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Broken Genius

von

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Explosion

Erst im Fahrstuhl holte Kaiba ihn wieder ein. Äußerlich wirkte er ruhig, aber ich sah ihm an, dass er sauer war. Seine Augen wirkten dunkel und verschlossen, so dass ich seine Gedanken nicht lesen konnte, aber schon immer hatte es deutliche Anzeichen gegeben, die mir gezeigt hatten, wann es nicht ratsam war, mit ihm Streit anzufangen.

Kaiba zu provozieren war für mich immer eine Art Sport gewesen, aber ich hatte von Anfang an verstanden, seine Signale zu deuten. Wenn er sowieso schon richtig gereizt war, wäre es absolut dumm gewesen, ihn weiter zu ärgern.

Und auch jetzt waren seine Signale deutlich.

Das deutlichste Zeichen, war die angespannte Kiefermuskulatur, das unkontrollierte Zucken seiner rechten Augenbraue und das gefährliche Glimmen in diesem eiskalten Blick. Meistens rammte er noch seinen Eckzahn in die Unterlippe und biss darauf herum, bis sie anschwoll. Seine Körpersprache hatte er wesentlich besser im Griff. Da gab es nur eine Kleinigkeit, die seinen Gemütszustand verriet. Wenn er aufgebracht war, sah man das an seiner linken Hand. Dann kratzte er nämlich immer mit dem Nagel des Zeigefingers über den Rücken des Daumens. Wahrscheinlich unbewusst, denn teilweise kratzte er die Haut sogar blutig. Mir war schon oft die kleine Narbe an der Stelle aufgefallen.

Auch jetzt zuckte seine Augenbraue und er kratzte über seinen Daumen. Laurens Reaktion schien ihn richtig zu ärgern. Ich traute mich nicht, ihn anzusprechen, also folgte ich ihm nur stumm zum Wagen und kletterte wieder auf den Fahrersitz.

„Fahr einfach!“, knurrte er.

Das erste Mal seit langem verfiel er wieder in seine Rolle als eiskalter Firmenchef, wirkte distanziert und bedrohlich, obwohl er nur dasaß und aus dem Fenster starrte. Allein seine Aura jagte mir eiskalte Schauer über den Rücken. Ich traute mich nicht mal, ihn zu fragen, wohin ich eigentlich fahren sollte. Also fuhr ich einfach durch die Stadt.

Ich wusste nicht genau, was ihn daran so wütend gemacht hatte. Dass Lauren ihm dermaßen wegen der Erfindung vor den Kopf gestoßen hatte? Vielleicht auch, dass sie sich ja genau deswegen getrennt hatten, sie ihm wieder gezeigt hatte, wie sehr sie seinen Erfinderwahn missbilligte und gleichzeitig versuchte, erneut mit ihm anzubändeln. Ja vielleicht stieß ihm genau das so sauer auf.

Offiziell wusste ich nichts von der Beziehung oder den Trennungsgründen, also konnte ich ihn schlecht darauf ansprechen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wandte er sich mir zu. „Fahr mich zur Firma!“

„Was willst du da?“, fragte ich überrascht.

„Nach dem Rechten sehen.“

Als Firmenchef bekam er Respekt und Anerkennung. Vielleicht versuchte er damit, die Enttäuschung über das ausbleibende Lob für seine Erfindung auszugleichen. An sich würde auch gar nichts dagegen sprechen, wenn er nur mal kurz nachsah, aber Kaiba war nicht der Typ, der sich mit einem kurzen Blick zufrieden gab und wenn er sich jetzt in seiner Arbeit vergrub, würde er wieder viel zu viel sitzen und zu wenig laufen. Also musste ich ihn davon abbringen.

„Wenn du unbedingt in die Firma willst, dann nur durch den Haupteingang.“, bestimmte ich. Jetzt konnte er sich aussuchen, ob er seine Eitelkeit weit genug überwinden wollte. Ich pokerte mal darauf, dass sein Stolz ihn daran hindern würde, mit Gips an seinen Mitarbeitern vorbeizulaufen.

„Nein! Es gibt einen nicht öffentlichen Zugang durch die Tiefgarage. Wir nehmen den!“

Ich schüttelte vehement den Kopf. „Nö.“

Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, wirkten immer dunkler und gefährlicher. Hoffentlich verschätzte ich mich nicht. „Was heißt hier nö?“, knurrte er.

„Entweder durch den Haupteingang oder gar nicht!“

„Was zum Teufel soll der Scheiß?“ Ein schmaler Grat. Inzwischen zuckte seine Augenbraue und er kratzte unkontrolliert über den Daumen. Alle Signale standen auf Gefahr und normalerweise würde ich spätestens jetzt den Rückzug antreten.

„Wenn du dich wieder in deine Firma eingraben willst, obwohl wir beide wissen, dass das deiner Genesung nicht helfen wird, dann kann ich dich davon nicht abhalten.“, erwiderte ich gezwungen ruhig. Ich hatte meine Stimme gut unter Kontrolle, aber innerlich kämpfte ich mit blanker Panik. Was, wenn er ins Lenkrad griff oder mir einen Schlag verpasste? Ein fahrendes Auto war kein guter Ort zum Streiten. „Aber ich werde dich dabei nicht unterstützen. Also Haupteingang oder gar nicht.“

In seinen Augen glühte der Zorn. Er stand kurz davor, zu explodieren. „Was glaubst du, wer du bist, du verblödeter Köter!“, fauchte er laut und ungehalten. „Du hast nicht das Recht, mir irgendwas vorzuschreiben!“

„Ich schreibe dir nichts vor, ich verweigere dir nur meine Unterstützung bei so einem bescheuerten Vorhaben!“

„Raus aus meinem Auto!“, schrie er nun wütend. Spätestens jetzt wirkte er richtig furchteinflößend. „Ich brauch dich nicht, also verpiss dich!“

Das konnte er gern haben.

Ich schaltete den Motor ab, zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und kletterte schnell aus dem Auto. Mit eiligen Schritten entfernte ich mich davon.

Von mir aus konnte er sich gern heiser schreien und austoben. Er war ja so auf mich fixiert gewesen, dass er gar nicht gemerkt hatte, wohin ich uns gefahren hatte. An einen abgelegenen See am Stadtrand. Früher war es ein Badesee gewesen, doch heute würde wohl niemand mehr auch nur einen Fuß in dieses zu einem trüben Tümpel verkommene Gewässer halten. Ich kam hin und wieder trotzdem gern an diesen abgelegenen Ort, denn hier war sonst keine Menschenseele.

Kaiba würde auch sehr schnell gemerkt haben, dass ich uns quasi in die Pampa gebracht hatte, denn ich hörte, wie die Beifahrertür aufflog. Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass er auf mich zukam, aber ich war viel schneller und wendiger als er.

Vorsichtig rutschte ich die Uferböschung herunter und bahnte mir einen Weg durch das Schilf auf dieser Seite des Sees. Ich versteckte schnell den Autoschlüssel, denn das verschaffte mir den einzigen aber entscheidenden Vorteil. Anschließend kletterte ich den kleinen Hang wieder rauf.

Ich musste zu Kaiba nur genug Abstand halten und hoffen, dass meine Theorie stimmte. Nach jahrelangen Streitereien behauptete ich mal, Meister seiner Wutausbrüche zu sein. Er war dabei impulsiv und energisch, aber nicht wirklich ausdauernd. Nein, seine Wut war wie ein Tornado. Heftig, aufbrausend und nach wenigen Minuten verpufft. Er reagierte sich mit einem lauten, markerschütternden Gebrüll ab und kam danach wieder auf den Boden der Tatsachen, um damit abzuschließen.

Deswegen war es auch immer besser, ihn zum Explodieren zu bringen, als die Wut in ihm weiter schwelen zu lassen. Dann war er nämlich auch nicht nachtragend. Genau wie bei unseren Streitereien in der Schule. Er hängte sich nicht an einem Thema auf, über das er grollen konnte, im Gegensatz zu mir. Wenn ich damit am nächsten Tag das gleiche Thema angeschnitten hatte, reagierte er zuerst immer ruhig, musste erst neu von mir aufgeputscht werden. Eigentlich eine gute Eigenschaft. Hoffentlich verkalkulierte ich mich damit nicht.

Er kam auf mich zu, geladen und sichtlich aggressiv. Allein seine Aura strahlte die reinste Bedrohung aus. „Was soll der Mist?“, fluchte er. „Hast du jetzt völlig den Verstand verloren, du dämliche Töle?“

„Ich gebe dir nur Zeit, dich abzuregen, bevor du was Dummes tust.“

„Ich tu hier etwas Dummes?“ Seine Augen funkelten vor kalter Wut. „Du fährst uns mitten ins Nirgendwo und denkst allen Ernstes, du könntest mir vorschreiben, was ich tun soll?“ Jetzt schrie er, oder besser gesagt, er brüllte laut und furchteinflößend wie ein Löwe. „Du weißt rein gar nichts, du intelligenzverkrüppelter Bastard! Du verstehst nichts und ich lege auch keinen Wert darauf, von dir verstanden zu werden!“ Er kam bedrohlich näher. „Ich brauche dich nicht, bilde dir das bloß nicht ein! Also misch dich nie wieder in mein Leben ein!“

Okay, das war eine heftigere Reaktion als gedacht. Er schoss eine ganze Salve an wüsten Beschimpfungen und Flüchen auf mich ab. Ich musste ihm lassen, dass er mich mit wirklich kreativen Beleidigungen effektiv in den Boden rammte. Selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich diesem Ansturm einfach nichts entgegensetzen können. Wer hätte gedacht, dass er auf so hohem Niveau beleidigen konnte. Bei den meisten Worten musste ich erst mal nachdenken, was das überhaupt heißen sollte. Ich konnte wahrscheinlich froh sein, wenn ich keinen Hörsturz von seinem Gebrüll bekam.

Als seine Schimpftirade endlich endete, war er außer Atem und seine Wangen ganz rot. Ich war noch immer fassungslos, wie umfassend sein Vokabular mit Beleidigungen gespickt war, aber ihm schien es gut getan zu haben, sich Luft zu machen.

Bis hierhin stimmte meine Theorie. Eine heftige Explosion und dann wurde er ruhiger. Allerdings hatte er sich immer noch nicht abgeregt, das zeigte das Glimmen in seinen Augen deutlich. Dabei hatte er noch gar nicht die ganze Situation erfasst. Ich konnte nur hoffen, dass ich richtig lag und er sein Pulver bald gänzlich verschossen hatte. Danach konnte ich ihn immer noch besänftigen. Allerdings verstand ich jetzt ziemlich gut, warum seine Geschäftspartner solche Angst vor ihm hatten. Er verursachte bei mir allein mit seinem Blick das Gefühl, um mein Leben rennen zu müssen.

„Du wirst von hier aber nicht ohne mich wegkommen.“, warf ich ein, vergrößerte vorsorglich den Abstand zwischen uns, denn ich sah, dass er das bis jetzt noch nicht bedacht hatte und auch nicht gerade erfreut darüber war. „Wir sind zu weit draußen, als dass du mit dem Fuß nach Hause laufen könntest und du hast kein Handy dabei. Ich habe den Autoschlüssel versteckt, also bringt es dich auch nicht weiter, wenn du mich in dem Tümpel ertränkst.“ - und der Gedanke stand ihm sehr deutlich ins Gesicht geschrieben.

Er knurrte leise und die Intensität seines Blickes wollte einfach nicht abnehmen. Die Situation passte ihm gar nicht, aber er musste anerkennen, dass er doch auf mich angewiesen war. „Was soll der ganze Mist überhaupt?“, raunte er bissig.

„Schon klar, du bist sauer und gekränkt, weil dir Laurens Verhalten nicht passt.“

Dass ich ihren Namen in den Mund nahm, machte ihn nur noch wütender, das zeigte sein Blick. Wenn ich den nicht schon so gewohnt wäre, würde ich jetzt wahrscheinlich panisch wegrennen. Er hatte mich schon so oft bedrohlich angeschaut, dass ich mich davon inzwischen nicht mehr einschüchtern ließ. Zumindest nicht mehr so doll.

„Reagier dich doch erst mal ab, bevor du übereifrige Pläne schmiedest.“

Er schnaubte, starrte mich weiter vernichtend an. Aber er hörte zu. Das meiste Pulver war bereits verschossen, jetzt glimmte nur noch ein kleiner Rest.

Ich holte tief Luft und hoffte, dass er mir die nächsten Worte nicht allzu übel nahm. „Durch Mokuba weiß ich über eure Beziehung Bescheid, und auch über die Trennungsgründe.“

Das passte ihm wirklich nicht und die Wut in seinen Augen flammte wieder auf. „Es geht dich rein gar nichts an!“, zischte er.

„Nein, tut es nicht.“ Ich blieb gezwungen ruhig. „Aber ich verstehe, dass es dich sauer macht, was sie abgezogen hat. Das war wirklich mies von ihr!“

Sein Blick war absolut hasserfüllt. „Du hast keine Ahnung! Halt dich aus meinem Leben raus!“ Das konnte er wohl gar nicht leiden. Sein Liebesleben und seine Gefühlswelt behielt er lieber für sich und er wollte auch nicht, dass irgendjemand darin wühlte, ihm vielleicht sogar noch aufzeigte, was ihn bewegte.

Und wie immer, wenn Kaiba sich auf zu privater Ebene angegriffen fühlte, zog er sich zurück. Kein Pulver mehr übrig, also fuhr er seinen Schutzwall hoch. Er wandte sich von mir ab und brachte mehr Abstand zwischen uns. Jaja, sobald seine Privatsphäre betroffen war, machte er dicht. Aber jetzt durfte ich nicht lockerlassen, sondern musste mich festbeißen.

„Mokuba und Lauren sind sich einig, dass sie deine Erfindungen nicht mögen, das ist mir schon aufgefallen.“

„Halt die Klappe!“ Er ging einfach weiter, wollte das einfach nicht hören. Allerdings konnte er mir mit dem Gipsfuß kaum davonlaufen.

„Ich glaube, Mokuba denkt, du könntest mit Lauen wieder zusammenkommen, wenn du diese Erfinderphasen nicht mehr hättest, und wenn ich ihr Verhalten von vorhin richtig deute, will sie das ja wohl auch.“

Wusste er das schon oder war ihm das neu? Vielleicht lag ich ja auch falsch, aber als Außenstehender würde ich meine Beobachtungen genau so zusammenfassen.

Und scheinbar traf ich einen Punkt, denn jetzt wirbelte er herum und starrte mich vernichtend an. „Was macht das schon?“, knurrte er. „Ich kann es nun mal nicht ändern.“ Er verpasste mir einen groben Stoß gegen die Brust, der mich zurücktaumeln ließ. Anscheinend war ich ihm zu nah auf die Pelle gerückt. „Und warum sollte ich es überhaupt versuchen, nur weil es anderen nicht passt?“

Gute Einstellung. Auch wenn er selbst diesen Erfinderwahn als qualvoll empfinden musste, er würde damit nicht für andere aufhören, selbst wenn er es könnte. Das erklärte auch seine unterkühlte Abfuhr von vorhin. Egal, welche Geschütze Lauren auffuhr, er würde sie nie zurücknehmen. Dafür war er einfach zu stolz. Dieses Wissen verschaffte mir Genugtuung.

„Du sollst es doch auch gar nicht ändern!“, rief ich eindringlich, wahrte aber trotzdem jetzt mehr Abstand zu ihm. „Genau darum geht es doch!“

„Du willst mich also dazu überreden, zu tun, was ich eh tue?“ Er schnaubte abfällig. „Du bist sogar noch dämlicher als ich dachte.“

Er war immer so reizend, wenn er sich ärgerte. „Ich wollte dich darin nur bestärken.“, erwiderte ich gezwungen ruhig. Auch wenn ich wirklich Verständnis für seine Situation hatte, er reizte mich gerade bis aufs Blut mit seinen ewigen Beleidigungen und seiner feindlichen Haltung. „Ich finde, du definierst den Wert deiner Erfindungen viel zu sehr über Mokubas und Laurens Meinung. Aber sie sind nicht so wertlos, wie dir immer gesagt wird. Dein Erfinderwahn ist auch nicht die reinste Belastung für deine Umgebung und erst recht kein Blödsinn! Nein, er ist wertvoll und sollte unterstützt werden.“

„Was weißt du schon?“ Und erneuter Rückzug. Er wandte sich wieder ab und lief in Richtung des kleinen Sees.

Diesmal setzte ich ihm nicht nach. Meine Worte mussten für ihn schwer begreiflich sein und er würde seine Zeit brauchen, um sie zu verstehen, zu deuten und dann für sich selbst zu beurteilen. Entweder er glaubte mir oder er strafte mich Lügen und verbannte mich wieder aus seinem Leben.

Ich ging zurück zum Wagen und lehnte mich dagegen. Während er nachdenken konnte, wartete ich geduldig und starrte Löcher in die Luft. Es war warm heute und der Himmel strahlend blau. Wirklich ein schöner Tag, um ihn unter freiem Himmel zu verbringen. Also schloss ich die Augen und genoss die Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Kaiba würde sich schon wieder beruhigen.

Wie lange ich dastand, wusste ich nicht, aber irgendwann wurden mir die Augen schwer von der Wärme und der Ruhe. Ich schüttelte den Kopf, um die Müdigkeitzu vertreiben. Wurde Zeit, einen erneuten Versuch zu wagen. Kaiba hatte inzwischen genug Zeit gehabt, alles zu durchdenken und langsam sollten wir wohl von hier verschwinden. Mich machte die intensive Sonneneinstrahlung nur müde, aber Kaiba war wesentlich empfindlicher und würde das noch viel deutlicher spüren als ich.

Schwerfällig stieß ich mich vom Wagen ab und ging runter zum See. Kleine morsche Stufen führten die Böschung hinunter zu einem ziemlich marode aussehenden Steg. Kaiba schien das allerdings nicht zu beunruhigen, denn er hatte es sich an dessen Ende bequem gemacht, lag ausgestreckt auf den verwitterten Holzplanken und ließ die Füße herabbaumeln.

Bei jedem Schritt, den ich über den Steg lief, knirschte es bedrohlich unter meinen Füßen. Trotzdem ging ich weiter und setzte mich neben Kaiba. Er hatte einen Arm über die Augen gelegt und wie nicht anders zu erwarten waren seine Nase und die Jochbeine gerötet. Das würde bestimmt noch ein paar hübsche Sommersprossen mehr geben.

Ich legte vorsichtig meine Hand auf seinen Bauch. Was mich dazu bewegte, konnte ich gar nicht sagen, es war eher ein Impuls, dem ich folgte. Kaiba tat auch gar nichts dagegen, also warum nicht.

Der Stoff seines schwarzen T-Shirts war unangenehm heiß unter meinen Fingern, aber trotzdem zog ich sie nicht zurück. Obwohl ich nicht direkt seine nackte Haut berühren konnte, fühlte es sich aufregend an. Ich konnte seine Muskeln ertasten und seine Atemzüge spüren. In gewisser Weise war diese Berührung, obwohl so simpel, sehr intim und dass er es einfach zuließ, jagte mir wohlige Schauer über den Rücken. Und es zeigte, dass seine Wut wirklich abgeflaut sein musste, sonst wäre er nicht so zutraulich.

„Ist dir nicht heiß?“, fragte ich.

Er murrte leise. „Zu heiß und zu hell.“

„Zu hell?“

„Was du bei deiner damaligen Aufzählung von Gründen für Lichtempfindlichkeit vergessen hast, ist der absolut simpelste.“, nuschelte er. Seine Stimme klang träge und kraftlos.

„Der wäre?“

„Genetische Benachteiligung.“ Vorsichtig hob er seinen Arm und blinzelte ein wenig gequält der Sonne entgegen.

„Ich weiß zwar nicht, was das heißt, aber ich finde, gerade du kannst wirklich nicht über schlechte Gene klagen.“ Schmunzelnd strich ich von seinem Bauch langsam höher. Was für einen schön definierten Körper meine Finger da ertasteten. Nein, er war zu schön, um über sowas zu klagen.

„Weißt du, was der Unterschied zwischen blauen und braunen Augen ist?“

„Die Farbe?“

„Die Pigmentierung!“ Er seufzte schwer, als hielte er mich für begriffsstutzig. „Je dunkler die Augenfarbe ist, desto mehr Pigmente sind in der Regenbogenhaut eingelagert. Und Pigmente schützen vor Sonnenlicht und Helligkeit.“

Ich überdachte, was er mir damit sagen wollte. „Du meinst also, du bist wesentlich lichtempfindlicher als ich, weil deine Augen auch viel heller sind und demzufolge weniger Pigmente beherbergen.“

Er nickte, starrte blinzelnd in den Himmel.

Mir war bis jetzt gar nicht klar gewesen, dass die Augenfarbe tatsächlich auch über die Lichtempfindlichkeit bestimmte, aber blaue Augen deshalb als Manko zu betrachten, ging entschieden zu weit. „Du hast unfassbar schöne Augen, was macht es da, wenn du die Helligkeit ein kleines bisschen schlechter verträgst?“

Schwerfällig setzte er sich auf, schüttelte dabei unwirsch meine Hand ab. „Du bist schuld, dass ich hier in der Hitze schmoren muss!“, murrte er. Und dass sie ihm nicht bekam, erkannte man an der geröteten Haut sehr deutlich. Allerdings sah er damit irgendwie niedlich aus. Es unterstrich noch deutlicher das weiche Blau seiner Augen. Sie wirkten jetzt nicht mehr verschlossen, also grollte er mir auch nicht mehr. „Du hättest dich auch in den Schatten setzen können.“ Ich deutete auf eine Baumgruppe gar nicht weit vom Wagen. „Es war deine eigene Entscheidung dich mitten in die pralle Sonne zu legen.“

Auf eigene Fehler hingewiesen zu werden, konnte er gar nicht leiden, das hatte er in der Vergangenheit gezeigt. Aber er schien jetzt wirklich kein Pulver mehr zu haben, denn außer einem kleinen Knurren kam nichts über seine Lippen.

„Willst du noch in die Firma?“

Er schüttelte träge den Kopf, wirkte jetzt eher müde und erschlagen.

„Dann fahr ich dich jetzt nach Hause, okay?“ Ich wollte aufstehen, doch er ergriff meinen Arm und hielt mich zurück.

Sein Blick bohrte sich in meinen, als versuche er mich zu analysieren. „Warum ist es dir so wichtig, was ich von meinen Erfindungen halte? Ist doch meine Sache.“

Es interessierte ihn also doch. Mit ein bisschen Glück könnte er mich wirklich als einen Verbündeten sehen, wenn er mir glaubte. „Ich finde, du hast das Potenzial Unglaubliches zu erreichen. Du hast ein einzigartiges Talent, das man unbedingt fördern sollte. Stell dir vor, was du alles erreichen könntest, wenn du dich nur noch aufs Erfinden statt auf die Leitung deiner Firma konzentrieren würdest.“

Er bedachte mich mit einem kritischen Blick. „Ausgerechnet du willst mir sagen, dass ich diese… Anfälle ausleben soll?“

Anfälle? Das war ein ziemlich hässliches Wort dafür, aber ich nickte. „Was du dabei erschaffst ist einmalig genial. Du solltest an den Erfindungen dranbleiben, statt sie nach Fertigstellung einfach in die Ecke zu werfen.“

„Wozu denn?“ Sein Blick wich meinem aus, glitt lieber über den See.

Es ärgerte mich, dass er diesbezüglich überhaupt kein Selbstbewusstsein hatte. Wie nur könnte ich das ändern? „Mokuba und Lauren sind dagegen, weil du dich dabei dieser starken körperlichen Tortur aussetzt. Ich glaube nicht, dass es direkt gegen die Erfindungen gerichtet ist.“

„Macht keinen Unterschied. Ich kann es nicht ändern, falls dir das entgangen ist.“

„Aber mit ein bisschen Unterstützung von außen kannst du diese Phasen durchleben, ohne dich körperlich dermaßen zu überfordern.“

„W-was?“ Jetzt sah er mich doch an, aus großen ungläubigen Augen. „Wie?“

„Du arbeitest phasenweise, ganz einfach. Wenn man dich beobachtet, kann man das gut erkennen, weil die auch die Teile, die du in deiner Erfindung verbaust, danach sortierst.“

Wenn ich seinen irritierten Blick richtig deutete, wusste er selbst das gar nicht.

„Du bist nicht ansprechbar, wenn du dich mitten in deiner Arbeit befindest, aber hast du gerade eine dieser Phasen abgeschlossen, kann man dich aus deiner Arbeit herausholen. Man muss dich also nur zum rechten Zeitpunkt abpassen und dann bist du eigentlich ganz pflegeleicht.“

Er starrte mich vollkommen fassungslos an. Wahrscheinlich konnte er es einfach nicht glauben, dass ausgerechnet ich einfach daherkam und entdeckte, wie er seinen Erfinderwahn schadlos durchleben konnte, nachdem doch alle anderen daran gescheitert waren. Dabei war es so offensichtlich.

Ich lächelte, stolz über meine Erkenntnis. „Weißt du, was das heißt? In Zukunft kannst du dich deinen Erfindungen widmen, ohne dich dafür aufzuopfern.“

„Ich könnte zumindest körperlich unversehrt bleiben.“, murmelte er nachdenklich. Er starrte wieder aufs Wasser. Wieso begeisterte ihn das nicht? „Aber ich bleibe weiterhin eine Marionette meiner eigenen Gedanken.“

Ich senkte betreten den Blick. Klar war es toll, wenn er sich körperlich nicht mehr opfern musste, aber es änderte nichts daran, dass er es nicht kontrollieren konnte.

„Du hast keine Vorstellung davon, wie qualvoll es ist, einfach von diesen Visionen überrannt zu werden und sich dem gar nicht entziehen zu können.“ Er schloss die Augen, sein Gesicht wirkte angespannt, als würde ihn allein der Gedanke daran stressen.

„Vielleicht lässt sich auch das ändern.“, meinte ich vorsichtig.

„Na klar doch!“ Er schnaubte sarkastisch. „Ich kann mir ja einfach so lange auf den Kopf hauen, bis die Idee weg ist.“

„Widmest du dich dem Erfinden eigentlich nur, wenn du diese Geistesblitze hast?“

„Reicht doch!“

„Vielleicht nicht. Vielleicht ist deine Genialität wie ein Vulkan. Wenn du sie die ganze Zeit unterdrückst, kommt sie mit diesen Visionen explosionsartig zum Vorschein, aber wenn du sie immer wieder in kleinen Dosen ablässt, kannst du es dadurch vielleicht abfangen.“

Er starrte mich kurz nachdenklich an, ehe er sich ruckartig erhob. „Mir scheint, du hast keine Ahnung von Vulkanen. Die explodieren nämlich nicht immer nur ein bisschen. Ich würde jetzt gern nach Hause.“

Damit war das Gespräch für ihn wohl beendet. Sollte mir recht sein. Ich hatte ihm gesagt, was wichtig für ihn war und ich wusste, dass er mir Respekt für meine Entdeckung zollte, auch wenn er mir meine Vulkantheorie nicht glaubte. Ich allerdings fand, es wäre eine Idee, der man nachgehen sollte. Es stimmte doch, wenn er sich nur noch seinen Erfindungen widmen würde, könnte er Revolutionäres erreichen.

Aber erst mal ließ ich das Thema ruhen. Ich ging ins Schilf, um den Schlüssel zu holen. Dort hatte ich ihn unter einem Stein versteckt, um ihn auch wiederzufinden. Eine unfassbar blöde Idee, wie sich zeigte. Ungeschickterweise hatte ich den Schlüssel mit dem Bart voran in die Erde gesteckt. Als ich ihn aus dem Boden zog, war er in zwei Teile gebrochen. Verdammt! Kaiba würde mich umbringen und das zu recht. Innerlich ohrfeigte ich mich dafür. Ich war vorhin so gehetzt gewesen, dass ich dabei den Schlüssel viel zu rabiat gehandhabt haben musste.

Zerknirscht sammelte ich die Schlüsselüberreste auf und folgte Kaiba, der bereits am Wagen wartete. Anscheinend sah er mir meinen Missmut schon von weitem an. „Hast du den Schlüssel verloren?“, fragte er kritisch.

„Nein…“ Zögerlich zeigte ich ihm den Schlüssel. „Nicht verloren.“

Er verdrehte nur die Augen. „Warum überrascht mich das so gar nicht?“ Kopfschüttelnd schnappte er sich den Griff des Schlüssels und schloss mit der darin integrierten Fernbedienung den Wagen auf. Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, kletterte er auf den Fahrersitz. Was sollte das bringen? Wollte er jetzt im Wagen grollen?

Ich machte vor Schreck einen Satz rückwärts, als das Auto plötzlich ansprang. Was zum? Hatte er etwa einen Ersatzschlüssel im Auto? Hastig kletterte ich auf den Beifahrersitz, bevor er noch ohne mich losfuhr. Kaum hatte ich die Tür hinter mir zugezogen, da rollte er auch schon an.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte ich verblüfft.

„Kurzgeschlossen.“, antwortete er knapp.

Logisch, ein Genie wie er konnte das bestimmt im Schlaf. Aber das hieß ja eigentlich, er hätte die ganze Zeit von hier verschwinden können. Also warum hatte er es nicht getan?

Als ich ihn danach fragte, bedachte er mich nur mit einem schiefen Blick. „Du hast nicht viel Ahnung von Autos, oder?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Moderne Autos haben eine elektronische Wegfahrsperre, die unter anderem Benzinpumpe und Zündung blockiert, wenn sie eingeschaltet ist.“, erklärte er sachlich. „Wie bei den meisten Fahrzeugen wird auch bei diesem hier die Wegfahrsperre ausgeschaltet, wenn man per Funkfernbedienung die Türen entriegelt.“

Ich überlegte kurz. „Ohne Fernbedienung hättest du also die Wegfahrsperre überwinden müssen.“

„- und das Türschloss knacken. Das hätte aber hässliche Kratzer gegeben.“

„Aber ein Genie wie du hätte auch die Wegfahrsperre überwinden können, richtig?“

Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Sicher. Aber es wäre wesentlich aufwendiger und ohne Werkzeug eine schmutzige Angelegenheit.“

Kaiba, das Technikwunder.

„Soll ich dich zuhause absetzen?“

Die Frage kam so plötzlich, dass sie mir wie ein eiskalter Schlag ins Gesicht vorkam. Wie dumm von mir, einfach anzunehmen, dass er mich brav wieder mit zu sich nahm. Wozu auch, er brauchte mich doch nicht.

„S-sicher.“, meinte ich leise. Ich sagte ihm meine Adresse und er tippte es ins fest eingebaute Navi ein. Eigentlich ziemlich sinnlos, immerhin wohnte ich an einer großen Hauptstraße. Die müsste er auch so finden. Aber nein, er folgte brav der Routenplanung bis direkt vor meine Haustür.

„Danke.“, murmelte ich, als er den Motor ausschaltete.

„Sicher.“ Mit einem Mal beugte er sich zu mir rüber. Sein Gesicht kam meinem sehr sehr nah, so dass ich seinen warmen Atem auf meiner Wange spürte. Sein Blick glitt zu mir, bohrte sich in meinen. Was starrte er mich so intensiv an? Mir liefen Schauer über den Rücken bei diesem hellen Blau und seine Nähe ließ mein Herz rasen. Was sollte das werden?

„Ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn man versucht, mich zu etwas zu zwingen, Wheeler.“, sagte er bedrohlich ruhig. „Noch einmal so eine Aktion wie dein toller Ausflug in die Einöde heute und ich zeig dir noch eine Seite an mir, die du nicht kennst. Und glaub mir, die möchtest du auch lieber nicht kennenlernen.“ Seine Stimme klang fast schon sanft, als er das sagte. Das machte es nur noch beängstigender. Kaiba wusste sehr genau, dass er wesentlich furchteinflößender war, wenn er nicht brüllte sondern diese eiskalte Beherrschtheit an den Tag legte.

Ich schluckte schwer. „V-verstanden.“

„Gut.“ Er lehnte sich zurück. „Dann steig jetzt aus.“

Widerwillig schnallte ich mich ab. Derweil glitten seine Finger erneut zum Navi und tippten jetzt seine Adresse ein. „Dein Orientierungssinn ist nicht sehr ausgeprägt, oder?“

Er hielt mit seinen Eingaben inne, sah mich schief an. „Wozu, wenn mein Auto schon weiß, wo ich hin muss?“

„Schon gut.“ Darüber konnte ich nur schmunzeln. Seto Kaiba, Genie auf so vielen Ebenen und gleichzeitig so untalentiert in anderen Angelegenheiten. Wie unfair wäre es, ihn jetzt nicht mehr weiter studieren können? „Kann ich zu deiner nächsten Physiotherapie wieder mitkommen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Von mir aus.“

„Danke.“ Zuversichtlicher kletterte ich jetzt aus dem Auto. „Dann sehen wir uns da, du orientierungsloses Genie.“ Ich verschwand schnell im Hausaufgang, bevor er mich mit seinem bösen Blick noch aufspießte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2014-12-29T00:45:51+00:00 29.12.2014 01:45
Wer hätte gedacht, das Seto so orientierungslos ist, was den Straßen anbelangt. Ist ja doch niedlich irgendwie. Man lernt nicht aus bei Seto. ^^
Von:  Onlyknow3
2014-09-07T21:34:50+00:00 07.09.2014 23:34
Darauf freue ich mich auch, bin echt bgespannt was die beiden noch so alles Anstellen werden, weiter so . Deine Gschichte hat es echt drauf freue mich über jedes Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  JK_Kaiba
2014-09-07T09:49:26+00:00 07.09.2014 11:49
Das war wieder ein super Kapitel.
Joey ist ja schon lebensmüde, als er Kaiba immer weiter reizt, aber stimmt schon, wenn jemand Kaibas Wutausbrüche kennt, dann Joey von daher auch logisch das er weiß wie er sich wieder abreagiert...
Fand es auch schön das Joey ihm endlich gesagt hat, das er seinen Erfinderwahn gut findet und er sich von Mokubas und Laurens Meinung nicht beeinflussen lassen soll.
Ich glaube das hat ihm schon ein paar Pluspunkte gebracht, auch wenn es sicherlich noch ein weiter Weg ist.

Bin schon sehr gespannt wie es weitergeht und was noch so alles kommt.

LG Jacky
Von:  Lunata79
2014-09-06T21:22:49+00:00 06.09.2014 23:22
Uh! Das war ein sehr interessantes Kapitel.
Wie bringe ich einen Seto Kaiba zum Explodieren? XD
Komisch finde ich aber schon, dass Kaiba sich von Joey berühren lässt. Diese Aktion verbuche ich für Joey als großen Fortschritt.
Jedoch hat er die nette Mauer von Kaiba noch lange nicht zum Einsturz gebracht.
Bin schon neugierig, wie es weitergeht. *ganz hibbelig bin*

Lg
Lunata79


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