Zum Inhalt der Seite

A thousand Years

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ein neues Leben

Alexander konnte sich selbst nicht erklären, wieso er ständig diesen gleichbleibenden Traum hatte. Von einer goldenen Stadt über der der Sternenhimmel hing und von diesem einäugigen Mann, der ihn verbannte. Wieso er stets seinen „Bruder“ sah, in dieser seltsamen Rüstung und dem seltsamen Auftreten. Ein Traum, der ihm wie ein altes Leben erschien, aber an so etwas glaubte er einfach nicht. Er glaubte nicht an eine andere Welt neben der, die er kannte. Er glaubte nicht an ein Leben vor diesem. Nun war er ein bekannter und begehrter Anwalt, der sich nur seiner Arbeit hingab. Sein „älterer Bruder“ Godric arbeitete als Kellner und sie verstanden sich nicht mehr seit Alex wusste, dass man ihn adoptiert hatte. Er erinnerte sich daran als sei es erst gestern gewesen als er im Keller nach etwas gesucht hatte und plötzlich die Adoptionsakte in der Hand hatte. Ihm war immer aufgefallen, dass seine „Eltern“ ihn nicht behandelt hatten, wie Godric. Godric war immer der Mittelpunkt gewesen. Sogar dann als heraus kam, dass Alexander ein begabtes Kind war und Förderung brauchte! Ihre Eltern hatten sich gegen eine spezielle Förderung entschieden, damit Godric sich nicht anders behandelt fühlte... Das hatte der Anwalt nie verstanden. Immerhin hatten sie Godrics Sportbegabung gefördert und alles, worin er eben gut war. Aber bei Alex wollten sie nicht mal ein paar Förderungskurse finanzieren, damit er sich seinem Niveau entsprechend entwickeln konnte.

Als er in der Highschool war und mit 16 in die gleiche Klasse wie sein Bruder versetzt wurde, weil er sonst hoffnungslos unterfordert gewesen wäre, hatte er sich noch gut mit Godric verstanden. Kurz darauf hatte er dann alles über die Adoption rausbekommen und verstanden, wieso seine Pflegeeltern nicht mehr unternommen hatten als das Überspringen einiger Klassen. Vorher hatte er seine Pausen mit seinem sportlichen Bruder verbracht, dann aber hatten nur noch Hass und Neid Platz bei ihm gefunden und er hatte sich entfernt. Das hatte Godric nie abgehalten, alle Schläger, die etwas gegen ihn hatten, zu verprügeln und seinen kleinen Bruder bis auf das Blut zu verteidigen. Etwas, was Godrics Noten sehr geschadet hatte... Das hatte Alex gewusst, aber der Kellner hatte stets von ihm verlangt zu schweigen. Ihren Eltern hatte er erzählt, dass er wegen Mädchen so schlechte Noten geschrieben hatte. Nun saß Godric in einem Beruf fest, der nur eine Notlösung hätte sein sollen. Zwar an einer Bar in einem Luxushotel und relativ gut bezahlt, aber ohne Aussichten auf einen Aufstieg. Sich zu bewerben hatte er ebenso aufgegeben...

Dann waren die Hawkins’ gestorben. Das hatte Godric hart getroffen. Alexander erinnerte sich noch genau, wie der Kellner am Grab gestanden und geweint hatte. Wie er die Welt für seinen Verlust verfluchte und sich immer wieder fragte, womit er und sie das verdient hatten. Dass er nicht nervlich zusammengebrochen war, war seinem besten Freund zu verdanken, nicht dem Anwalt. Er hatte den Zustand sogar verschlimmert, weil er immer wieder sagte, sie hatten es verdient und dass er sie immer gehasst hatte. Immer wieder rieb er God unter die Nase, dass sie niemals Geschwister gewesen waren und seine Zieheltern nie seine echten Eltern. Dabei kam es ihm so vor als hatte er all das schon ein Mal gesagt und schon ein Mal erlebt... Doch aufgehalten hatte ihn das nicht. Er hatte immer weiter Salz in die Wunde gestreut.

 

Dadurch hatten sie sich dann endgültig entfernt... Besonders, weil man Godric das Elternhaus vererbt hatte und Alexander ging praktisch leer aus. Da sein Bruder aber irgendwie nicht die Beziehung unter ihnen aufgeben wollte und immer noch die Hoffnung hatte, dass es wieder wie früher werden konnte, hatte er ihm vorgeschlagen, dort wohnen zu bleiben. Trotz all der schrecklichen Worte... Trotz allem, was Alexander zu verschulden hatte. Er stimmte zu, aber kündigte auch an, dass er so bald wie möglich ausziehen und ein eigenes Leben beginnen wollte. Das traf Godric ähnlich hart, wie die gemeinen Worte über seine Eltern und dessen Ableben. Immerhin wollte er immer mit ihm zusammen bleiben... Das war ein Bedürfnis, das tief in ihm verankert war. So tief, dass es schon wehtat...

Und obwohl sie in einem Haus lebten, lebten sie aneinander vorbei. Alexander tat alles, um Godric zu verletzen. Immer und immer wieder erinnerte er ihn an Dinge, die ihn schmerzten. Irgendwann hatte er sogar eine Affäre mit seinem Chef begonnen. Es verging kein Tag, an dem er den Kellner daran nicht erinnerte, indem er sagte, dass er wegen seinem Chef Überstunden gemacht habe. Er hatte es sogar schon so weit getrieben, dass er während des Sexes mit diesem ans Telefon gegangen und immer wieder in den Hörer gestöhnt hatte. An sich war es nicht die Homosexualität, die hierbei God ärgerte, sondern die Person, der er sich ergab... Er hasste Herrn Markrhon und erst recht, wie er seinen Bruder verdarb. Die Porno-Branche, in der Herr Markrhon tätig war, machte das Ganze nur noch schlimmer. Er produzierte Sexspielzeuge, Pornos aller Art und andere perverse Sachen, von denen Godric lieber nichts wissen wollte. Und da der Mann auch noch ein Perverser war, gab es mehr als genug Klagen, die sein Bruder für ihn abwandte. Und das mit Sorgfalt und Geschick. Egal, ob es um Kinderschändung, Vergewaltigung oder die Produkte ging, Alexander haute ihn raus, um dann seine Überstunden damit zu verbringen, mit ihm zu schlafen. Wieder und wieder...

Die Bezahlung die hinter diesem Job stand, war dem Kellner dabei vollkommen egal. Immerhin war es der größte Hersteller von solchen Produkten weltweit und er war mehr als erfolgreich dabei. So war sein Bruder zum Staranwalt geworden und verdiente ein halbes Vermögen, fuhr einen Porsche und sah immer modisch und gut aus. Manchmal erwischte er sich, wie er ihn anstierte und sich danach verzerrte, mal über sein Sakko zu streichen oder das lockige, braune Haar zu streicheln. Für diese Gedanken hasste er sich sehr. Immerhin waren sie doch Brüder! Auch wenn Alex adoptiert war... Doch manchmal kam es ihm so vor als wäre dieses Gefühl ein Teil von ihm. Als habe er es schon ein Mal empfunden... Er hatte diesen immer wiederkehrenden Traum, in dem sein Bruder diese seltsam grünschwarze Kleidung trug und schwarzes, langes Haar hatte. Sie lebten in einer goldenen Stadt, über der die Sterne funkelten. In diesem Traum ging es um wilde Lust, die er mit ihm teilte und dann einem einäugigen Mann, den er als seinen Vater erkannte und der ihn dann verbannte. Dann wachte er auf und war schweißnass und verstand die Welt nicht mehr.

Irgendwann hatte er seinen Bruder gefragt, ob er den gleichen Traum mal gehabt habe und sein zögern hatte ihm verraten, dass es ihm genauso ging. Auch wenn er nicht so ganz verstand, glaubte er dennoch, dass das vielleicht einem vorherigen Leben entsprang oder unterdrückten Gefühlen. Er war da offen für alles, anders als Alex.

 

Gerade weil die Lage zwischen ihnen derartig verfahren war, begann ihr Morgen immer gleich: Alexander saß am Frühstückstisch mit der Zeitung des Tages in den Händen, während Godric am Türrahmen stand, einen Apfel aß und ihn argwöhnisch beobachtete. Immerhin suchte er wieder die Immobilienseiten nach einem Haus oder einer passenden Wohnung ab. Jeden Tag blieb der Kellner länger und riskierte zu spät zur Arbeit zu kommen, nur damit er sehen konnte, ob sein Bruder etwas fand. Seit etwa zwei Jahren suchte der Lockenkopf nun nach einem Eigenheim und bisher hatte er nie eines gefunden. Trotzdem fürchtete God, dass er irgendwann von der Arbeit kam und Alexander einfach weg war ohne irgendwas zurück zu lassen...

Als dieser die Zeitung faltete und seufzend beiseite legte, atmete Godric erleichtert durch und legte seinem Bruder – wie jeden Tag – seinen angebissenen Apfel auf den Teller zu dem Quark und dem belegten Brot mit Putenbrust. Dazu frühstückte Alex meistens noch etwas Frühstücksflocken, Kaffee und am Wochenende mal ein Croissant mit Marmelade. Er achtete auf ausgewogene Ernährung und bevorzugte selbstgemachtes Essen, anders als der Kellner, der sich nicht mal seine Äpfel selbst kaufen würde, wenn der Anwalt die nicht immer beim Einkaufen mitbringen würde, sobald sie leer waren. Sie waren so schrecklich verschieden... Dadurch war das Haus sauber, der Kühlschrank gefüllt und alles modern eingerichtet. Überall, wo God war, war auch das Chaos und Alex war so neurotisch, dass er alles hinterher räumen musste, um klar zu kommen. Dazu kaufte er stets mit Einkaufsliste und gewissenhaft ein, plante einfach alles vor. Godric tat einfach alles irgendwie, wobei er nie einkaufte, was gebraucht wurde und nicht mal sein eigenes Zimmer aufgeräumt bekam. Dafür kam er gut mit Menschenmassen klar, liebte Partys, hatte viele Freunde. Die Leute und vor allem die Frauen liebten ihn einfach! Dazu kam, dass er ein Fitnessjunkie war und jeden Tag ins Sportstudio ging, um seine Muskeln zu trainieren. Widersprüchlich dazu war, dass er am Liebsten Fastfood aß und das wirklich aufwändige, frische und gute Essen seines Bruders verschmähte...

„Ich muss los.“, sagte Godric nach etwas zögern, wagte es aber nicht, Körperkontakt zum Anwalt zu suchen, „Wir sehen uns später.“

„Ja...“, antwortete der Lockenkopf und sah langsam hinauf zu dem hünenhaften Blondschopf, „Versuch’ pünktlich zu kommen und zieh’ dich um, bevor dein Chef sieht, dass du schon wieder deine Arbeitskleidung nicht auf der Hinfahrt schon an hattest.“

God stockte und er wurde ganz bleich. Das durfte sein Bruder gar nicht wissen! Über seine Probleme mit seinem Chef sprachen sie kaum und seine ständigen Verspätungen sprach er schon gar nicht an. Auch nicht, dass er sich seinen ordentlichen Anzug dort anzog, um die Zeit zu sparen und ihn nicht auf seinem Motorrad zu zerknittern. Langsam sahen die blauen, strahlenden Augen zu dem Jüngeren und fixierten ihn schockiert und neugierig: „Woher weißt du denn bitte davon?“

„Dein Chef hat gestern angerufen.“, seufzte der Anwalt und gab dem Blick Godrics nicht nach, „Er hat mich zehn Minuten lang ohne Pause angeschrien, dass ich nie wieder zu spät kommen soll, weil er mir sonst Körperöffnungen aufreißt, die ich nun nicht näher beschreiben oder benennen möchte. Außerdem wiederholte er wieder und wieder, dass ich gefälligst im Anzug aufzutauchen habe und mich nicht erst im Hotel umziehen soll.“ Alexander beobachtete, wie sich der Hüne etwas wand und sich sichtlich unwohl fühlte. Erst nachdem die Genugtuung nachließ, fuhr er fort: „Er hat mir tatsächlich nicht geglaubt, dass ich nicht du sei. Er sagte mir, ich solle die dummen Ausreden sein lassen und mich endlich am Riemen reißen, ansonsten würde das Konsequenzen haben. Dann legte er einfach auf... Ich wollte es dir schon gestern sagen, aber du warst ja ewig unterwegs.“

Der Kellner nickte bleiern: „Danke.“ Dann griff er nach seiner Jacke und ging einfach. Darüber sprechen wollte er einfach nicht und am Liebsten auch nicht daran denken. Sicherlich machte sich Alex nun lustig über ihn und seine Lebenssituation. Sein Chef hasste ihn, er kam nicht weiter und er konnte sich nicht von seinem Bruder abnabeln, der gar nicht sein Bruder war...

 

Godric fuhr viel zu schnell auf seinem Motorrad, weil er verzweifelt versuchte, noch rechtzeitig anzukommen. Das war natürlich unmöglich, weil er so lange gewartet hatte, ob Alex eine Wohngelegenheit fand. Dennoch sollte der Barchef keinen Grund haben, nochmals bei ihm Zuhause anzurufen und wieder den Falschen anzubrüllen. Das ärgerte ihn total! Wieso war ihm bloß nicht aufgefallen, dass er nicht selbst am Telefon war? Alleine der Name sollte doch alles sagen! Zornig trieb er den Motor mehr an.

Nach etwa zehn Minuten erreichte er das Hotel. Eine neue Redkordzeit, wenn man bedachte, dass man etwa dreißig Minuten von ihrem Zuhause aus brauchte, wenn man sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen hielt... Er stieg rasch von seinem Bike und eilte hinein. Leider verließ ihn ab da an das Glück, denn als er sich Richtung Umkleide begab, lief er seinem Chef über den Weg. Dem stand der Zorn ins Gesicht geschrieben. Godric war sich sicher, dass wenn noch mehr Blut in dessen Kopf gepumpt wurde, er einfach explodieren würde. Das sprach er aber lieber nicht aus...

„Sie sind schon wieder zu spät, Herr Hawkins!“, wetterte der Mann, „Ich habe Ihnen gestern erst gesagt, Sie sollen nicht mehr zu spät kommen und gefälligst fertig bekleidet hier auftauchen! Und nun sehen Sie wieder so... beschissen aus und Sie sind auch wieder zu spät!“

„Eigentlich haben Sie mit meinem Bruder telefoniert...“

„Nun reden Sie sich nicht raus!“

In dem Moment, wo der Kellner antwortete, kam gerade sein Kollege dazu. Sein ebenso blondes Haar war wesentlich kürzer als Godrics und er hatte es mit etwas Gel zu einer ordentlichen Frisur geformt. Den Anzug trug er auch bereits sauber und akkurat und sah einfach top gestylt aus. Kein Vergleich zu Alexander, aber trotzdem war er immer wieder erstaunt, wie Fili es schaffte, stets so klasse auszusehen und das am frühen Morgen. Und er war immer pünktlich, obwohl er seinen eigenen Bruder vorher noch zur Arbeit brachte und danach abholte! Obwohl sein Kumpel sehr klein war, kam er bei Frauen super an. Mit ihm zusammen machten sie etwa sechzig Prozent der Einnahmen der Bar aus. Sie waren Frauenmagnete, besonders wenn sie gleichzeitig Schicht hatten.

Das wussten sie Beide, aber nur Fili wusste es auch einzusetzen. Deshalb war er es auch, der ihren Chef ernst und böse anstierte als er sich einmischte: „Nun kommen Sie mal runter! Er kommt zwar zu spät zur Arbeitszeit, steht aber immer rechtzeitig hinter dem Tresen und das ordentlich und ausgeruht. Die Aufräumarbeiten vor dem Eröffnen der Bar schaffe ich auch alleine, Hauptsache er ist da, sobald die ersten Kunden aufschlagen!“

„Er wird dafür bezahlt, dass er rechtzeitig kommt!“, meckerte der Chef dagegen an und wirkte so als platzte er gleich, „Ich kann Niemanden gebrauchen, der nicht zur vereinbarten Zeit aufkreuzen kann! Ich habe die Kündigung schon lange geschrieben, ich muss sie nur noch unterschreiben!“ In dem Moment wurde God ganz übel. Jegliche Farbe wich aus seinem Gesicht und er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Bisauf Kellnern hatte er nichts gelernt und deshalb wäre es eine düstere Zukunft, wenn er nun plötzlich gekündigt werden würde. Und dann auch noch unter solchen Umständen... Niemand würde ihn in einer Bar anstellen!

Fili aber ließ sich nicht erschüttern oder erdrücken: „Wenn Sie ihn feuern, dann werde ich kündigen! Und da wir mehr als fünfzig Prozent Ihrer Einnahmen sind, wird Ihr Chef sicher nicht erfreut sein, wenn die plötzlich komplett wegfallen!“

In dem Moment verstummte auch der Barchef. Nun sah er elend und krank aus... Der Hotelleiter würde ihn dafür verantwortlich machen, wenn die Bar plötzlich nicht mehr lief und Fragen stellen. Ihm dann zu schildern, wie das verlaufen war, war ein Albtraum. Damit hatten die Kellner gewonnen und das ärgerte ihn. Fili interessierte das nicht, sondern er zog seinen Kumpel mit sich und führte ihn in die Umkleide.

Hier waren sie vollkommen alleine und darüber waren sie Beide froh. Godric nickte dankbar und begann sich dann endlich umzuziehen und die langen Haare zu einem Zopf zusammen zu binden. Fili bemerkte, dass es ihm nicht gut ging und dass das nicht nur an dem Streit mit dem Brötchengeber lag: „Ist alles in Ordnung? Hattest du wieder Streit mit Alex?“ Er vermied es >dein Bruder< zu sagen, weil er dafür mal heftig einen auf den Deckel bekommen hatte. An dem Tag war es ein besonders heftiger Streit gewesen und sein Kumpel hatte ihm ins Gesicht geschrien, dass der Anwalt nicht sein Bruder sei. Seither achtete er darauf, es nicht mehr zu sagen, falls es wieder so eskaliert war.

„Nein.“, antwortete God ihm nun wieder gefasst, „Es ist alles in Ordnung. Mich hat nur der Arsch eben überrumpelt.“

„Wenn was sein sollte, dann zögere nicht und rede mit mir. Ich bin für dich da! Egal, worum es geht.“

„Ich weiß, danke, Fili.“

Der Kleinere nickte, wenn er auch über das ständige Schweigen seines Freundes besorgt war: „Wir sollten nun hinter den Tresen, bevor die Adern am Hals dieses Idioten platzen.“

„Ja, da hast du recht.“, stimmte Godric zu und strich sich nochmals das Jackett glatt, „Ich will die Sauerei nicht aufwischen müssen und du sicher auch nicht.“

„Nicht wirklich.“

 

Es dauerte keine zwei Minuten nach dem Eröffnen der Bar, da kamen schon die ersten Frauenschwärme. Es war noch recht früh und eigentlich sollte man meinen, dass Alkohol noch lange nicht auf der Speisekarte stand, aber hier war eigentlich immer volles Haus. Besonders aber abends und nachts. Es waren natürlich nicht nur attraktive Frauen dabei – das waren sogar die Wenigsten – aber das war Berufsrisiko. Immerhin standen zwei trainierte Männer mit verschmitzten Grinsen und schönen Gesichtern hinter der Theke und mischten süße und starke alkoholische Getränke. Und das schnell mit Sorgfalt und Geschick. Dabei konnten sie recht viele Kunden gleichzeitig abarbeiten. Die Frauen versuchten derweil mit den Barkeepern zu flirten und einige wagten es sogar, Körperkontakt aufzubauen. Beide gingen nur so viel darauf ein, dass es die Damen lockte, wieder zu kommen und gutes Trinkgeld da zu lassen. Da sie nun auf der Arbeit waren, kam mehr nicht in Frage. Nur hier und da mal ein Zwinkern oder ein kecker Spruch.

Obwohl Fili und Godric manchmal Wetten machten, ob sie es schafften, eine bestimmte Frau abzuschleppen. Dann ging es darum, ein Date auszumachen und die Telefonnummer zu bekommen. In der Regel bekamen sie das auch, weshalb es eigentlich ein unnötiges Spiel war, weil das Ergebnis von Anfang fest steht. Aber irgendwie musste man sich die Arbeit schön reden und dafür sorgen, dass die Zeit einfach schneller verging. Gerade weil sie so einen bescheuerten Barchef hatten und in einem Beruf steckten, der nicht viele Perspektiven bot. Obwohl Fili das nicht mal müsste... Sein Onkel hatte reich geerbt und bei dem lebte er nicht nur, er war auch bei ihm aufgewachsen. Also konnte der Kurzhaarige tun und lassen, was er wollte. Er hatte sich aber entschieden, trotzdem arbeiten zu gehen und er schwor, dass ihm das Kellnern tatsächlich Spaß brachte! Das fand Godric bewundernswert. Der jüngere Bruder von Fili war ähnlich eingestellt, obwohl dieser als Erzieher in einem dörflichen Kindergarten arbeitete. Ihr Onkel hingegen war ein Geschichtslehrer an einer örtlichen Schule.

God war sich sicher, dass er mit so viel Geld nie wieder arbeiten gehen würde bis es aufgebraucht war. Aber davon konnte er nur träumen... Nicht alle konnten erfolgreiche Anwälte sein oder ein großes Erbe abstauben, das man durch Aktien und kluge Anlagen noch vergrößerte. Obwohl er Alexander die Welt zu Füßen legen würde, wenn er wirklich solch ein Vermögen hätte. Er würde dann alles einsetzen, damit er endlich seinen Job kündigte. Und wenn er dafür in einer anderen Kanzlei anfing oder einer anderen Firma, war es ihm recht, so lange es nichts mit Pornos mehr zu tun hatte. Und er weit weg von dem perversen Herrn Markrhon war... Aber auch das war einfach zurzeit nicht denkbar.

Deshalb arbeitete er einfach weiter. Flirtete mit Frauen, steckte sich das Trinkgeld ein und ließ seine Muskeln und seinen Körper für ihn sprechen. Das liebten die Kundinnen.

 

Weniger unzufrieden mit der Gesamtsituation war Alexander. Er war ganz entspannt in seinem Porsche zu dem riesigen Firmengebäude gerast und hatte sich dort gerne hinter seinen Schreibtisch begeben. Er liebte seinen Beruf, wenn er auch einem schlechten und perversen Menschen davor bewahrte, ins Gefängnis zu gehen. Und dort gehörte er zweifellos hin. Doch der Anwalt handelte stets im Sinne seines Arbeitsgebers, wie es wohl alle taten – auf die eine oder andere Weise. Er gewann jeden Rechtstreit für ihn, indem er sich ausgiebig über den Streitpunkt informiert und wie viele der Klagepunkte der Wahrheit entsprachen und welche nicht. Dann las er sich Gesetzesabschnitte durch und konnte all diese Texte in seinem Kopf abrufen, wie ein Computer. Das war seine Begabung, die seine Zieheltern nie hatten fördern wollen. So konnte er sich souverän im Gerichtssaal den Klägern stellen, Beweise liefern und alle in Grund und Boden reden. Er verlor sehr selten und dann waren es meistens nur unbedeutende Klagen, die den Ruf von Herrn Markrhon kaum schädigte.

Er bereute keineswegs seine Entscheidungen und dass er so viele Siege davontrug, obwohl sein Boss schuldig war. Das war eben sein Beruf. Dafür wurde er bezahlt! Er handelte im Interesse seines Brötchengebers und das lag auch in seinem Interesse. So handelte Jeder und dafür ließ er sich nicht einfach verurteilen. Es gab nur eine berufliche Entscheidung, die er zutiefst bereute... Es verging kein Tag, an dem ihn das nicht quälte.

Vor etwas mehr als einem Jahr hatte sich ein junges Mädchen bei seinem Chef beworben. Eine Asiatin mit starkem deutschen Blutanteil, welches dadurch ein schönes gemischtrassiges Aussehen hatte, welches sich in mandelförmigen Augen, weichen Gesichtszügen und schönem, goldblondem Haar, einen aufregenden Körper und viel Talent zeigte. Doch da ihr die Erfahrung fehlte, wollte keine Modelagentur sie einstellen. Aus Frust bewarb sie sich dann bei seinem Chef – wahrscheinlich hatte sie nicht gedacht, dass dieser tatsächlich Interesse haben könnte. Da sie zu dieser Zeit minderjährig war, landete diese Bewerbung direkt auf seinem Tisch, statt auf dem seines Chefs. Das Potenzial hatte der Anwalt auf einem Blick erkannt und sich von der exotischen Schönheit in den Bann schlagen lassen. Sofort hatte Alexander über sie Recherchen gestartet und so recht schnell rausgefunden, dass das werdende Model ein mathematisches Genie war und aus einer reichen Familie stammte. Durch die Vergewaltigung ihres Onkels hatte sie einen Sohn bekommen, den man ihr aber weggenommen hatte, weil es eben aus Inzest entstanden war. Dazu kamen deutliche Anzeichen für häusliche Gewalt: Krankenhausbesuche, oftmals Verbände, Wutausbrüche in der Schule und ähnliches. Es war ein wirklich leichtes Spiel gewesen... Zusammen mit Herrn Markrhon hatte er sie überzeugt, ihre Familie zu verklagen und so wurde sie zu ihrem eigenen Vormund. Mit dem Geld, das sie schon vorher durch einen Sugardaddy verdient und gespart hatte, kaufte sie sich ein Haus und unterschrieb kurz darauf den Vertrag bei seinem Chef.

Was danach folgte, hatte ihr Niemand gesagt. Das war der Punkt, an dem er zu bereuen begann... Nicht nur der verklagte Vater und der Onkel wandten sich von ihr ab, sondern auch der Rest der Familie. Man machte ihr Vorwürfe, in der Schule war sie nur noch die, die ihren Vater verklagt hatte. Ihren 17. Geburtstag verbrachte sie vollkommen alleine, weil auch ihre Freunde sich von ihr abwandten, weil sie diesen drastischen Schritt und ihr vorheriges Schweigen einfach nicht verstanden. Natürlich war auch die Arbeit in der Porno-Branche risikobehaftet und führte zu perversen Fans und Stalkern. Außerdem musste sie >Kleidung< tragen, die sie sonst nur für ihren Partner gewählt hätte und sich vor laufenden Kameras ausziehen oder sogar mit Jemandem schlafen. Das hatte schon viel stärkere Personen zertrümmert. Auch wenn sie das nach Außen nicht zeigte, litt sie unter ihren Entscheidungen und auch darunter, in welcher Branche sie gelandet war. An ihrem 18. Geburtstag war er dann für sie da. Sie hatten schön gefeiert mit allem, was dazu gehörte: Kuchen, Kekse, Musik und Geschenke. Aber das ersetzte weder Freunde noch Familie...

Dennoch mochte er sie sehr. Mit ihr konnte er auf einem Niveau sprechen, das ihm seine Ziehfamilie nie hatte bieten können. Sie war dazu sehr frech und ehrlich, was er zu schätzen wusste. Aber ihre Fröhlichkeit wich von Tag zu Tag. Und er trug eine Teilschuld daran...

 

„Alex...“, hörte der Anwalt plötzlich eine vertraute Stimme und er sah von seinen Akten auf.

„Reika.“, erwiderte er schließlich und lächelte sanft, „Wie geht es dir?“

Das Model schüttelte den Kopf und kam etwas näher: „Wie immer. Willst du zusammen mit mir Mittag essen?“

Alexander stimmte zu und legte dafür seine Arbeit beiseite. Dann griff er nach seinem teuren Mantel und begab sich an die Seite der Blondine. Sanft legte er ihr seine rechte Hand ins Kreuz und führte sie so. Viele der Mitarbeiter sahen sie an als sie an ihnen vorbeikamen und tuschelten. Es gab viele Gerüchte, dass der Anwalt und das Model etwas miteinander am Laufen hätten. Das stimmte natürlich nicht. Aber es gab Tage, da war er sich einfach nicht sicher, was er empfand... Da waren die zu starken Gefühle für Godric und diese Träume. Der Drang, ihm nah zu sein, aber ihm gleichzeitig weh zu tun und ihn fern zu halten. Auf der anderen Seite verstand er sich wirklich gut mit Reika und harmonierte mit ihr geistig und charakterlich. Doch welche dieser Emotionen waren Freundschaft? Welche waren Verlangen? Welche Liebe? Früher war sich Alex sicher gewesen, dass er immer genau wusste, was er wann fühlte, aber inzwischen war er sich in nichts mehr sicher. Gerade, weil er seinen Bruder so gerne berühren wollte. Er wollte ihn spüren. Ihm nah sein... Das war zu einem so starken Bedürfnis geworden, dass er es nur unterdrücken konnte, indem er ihm wehtat und mit ihm immer wieder stritt. Das tat keinem von ihnen gut, aber er konnte es auch nicht wirklich einstellen.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Reika ihn und sah ihn ernst an. Sie machte sich Sorgen, auch wenn sie nicht in der Lage war, das richtig zu zeigen. Emotionen fielen ihr schwer, außer man sagte ihr, welchen Gesichtsausdruck sie machen sollte – was keine wirklichen Gefühle waren.

„Ja, natürlich, alles bestens.“, log der Anwalt ohne zu zögern, „Was sollte schon sein?“

„So wie ich dich kenne, irgendwas mit deinem großen Bruder.“

„Er ist nicht mein Bruder, ich-...“

„Ja, ja, du wurdest adoptiert.“, unterbrach sie ihn und beendete so direkt auch seinen Satz, „Das spielt doch keine Rolle, oder? Er ist dir doch trotzdem wichtig und ihr seid doch trotzdem zusammen groß geworden! Egal, wie du es nennst, er ist dir trotzdem wichtig. Und du kannst auch nicht ohne ihn.“

Zähne knirschend blickte Alex zur Seite und versuchte dem Blick auszuweichen, den sie ihm unverfroren schenkte: „Wie kommst du bloß auf solche Ideen, Reika? Ich kann ihn nicht leiden! Er ist dumm und er nervt... Er kennt nur Cartoons, Sport, Fressen und fremde Frauen ficken. Ich bin froh, wenn ich nicht mehr mit ihm unter einem Dach wohne!“

„Das sagst du seit wir uns kennen.“, erwiderte die Langhaarige gelassen, während sie ein Restaurant betraten, welches nah der großen Firma war und wirklich gutes und frisches Essen servierte, „Aber du bist immer noch nicht ausgezogen und trägst immer noch Sorgenfalten, sobald ihm irgendwas zustößt. Eigentlich findest du keine passende Immobilie, weil du nicht ausziehen, sondern bei ihm bleiben willst. Vielleicht empfindest du keine geschwisterliche Bindung zu ihm, aber irgendeine Art von Liebe hegst du.“ Ein Kellner führte die Beiden an einen kleinen, aber schönen Tisch mit gutem Blick auf die belebte Straße. Er gab ihnen auch direkt eine Speisekarte, ehe er sich entfernte. Dann sah die junge Frau ihn erneut an: „Leugne es ruhig, aber wenn mir das sogar auffällt, dann ist da auch was dran.“

„Ich habe etwas mit Herrn Markron...“

„Ja... Eine lieblose Affäre.“

Dazu wusste der Anwalt nichts mehr zu sagen. Sie hatte ja recht... Da war irgendwas, auch wenn er das Kind nicht benennen konnte oder wollte. Da waren starke Gefühle und die hinderten ihn an dem Schlussstrich. Nun ärgerte er sich aber noch mehr! Er machte sich Vorwürfe wegen dem, was er ihr angetan hatte und nun half sie ihm, indem sie ihm Tipps gab und für ihn da war, statt dass er seine Schuld beglich. Es half ihm weiter, wenn er auch immer noch keine Antwort hatte, die ihn nach Vorne brachte.

Trotzdem dankte er ihr und sah sie dann erneut an: „Darf ich dich mal etwas fragen?“

„Natürlich, frag’.“

„Hast du manchmal wiederkehrende Träume?“, wollte der Anwalt wissen und fühlte sich etwas unbehaglich dabei, „Träume, die du dir nicht erklären kannst, aber die dir so... vertraut und realistisch vorkommen. Als hättest du das, was darin getan und gesagt wurde, wirklich erlebt. Aber sobald du aufwachst, weißt du, dass das eigentlich nicht sein kann.“

„Ja, solche Träume habe ich.“, sagte die Asiatin erstaunt und sah von der Speisekarte auf, „Was träumst du?“

Alexander war erleichtert, dass sie solche Träume auch zu haben schien und sie ihn nicht für verrückt erklärte. Dadurch konnte er sich entspannen und sah ihr nun mutiger in die schönen, eisblauen Augen: „Es sind eigentlich verschiedene Träume, die immer mal wieder kommen. In dem einen bin ich in einer goldenen, riesigen Stadt, die nicht auf der bekannten Erde zu sein scheint. Mein Bruder trägt eine seltsame Rüstung und wir werden für unsere... Liebschaft verbannt. Der Traum kommt am Häufigsten vor...“ Er wartete auf ihre Reaktion, bemerkte aber weder Abscheu noch Skepsis. Nur gesunde Neugier. „In einem anderen Traum lebe ich im Mittelalter und scheine ein König zu sein. Auch dort kommt mein Bruder vor und wir haben eine heimliche Affäre... Ich wache immer auf, sobald ich sozusagen... Na ja... komme!“, berichtete Alex etwas aufgeregter, „Die anderen Träume finden in diesen Szenarien statt, unterscheiden sich aber inhaltlich nicht großartig. Mein Bruder ist immer da, wenn er auch stets etwas anders aussieht. Aber ich erkenne ihn durch seine Gesichtszüge und seine Augen... Wir haben jeweils andere Namen, aber es kommt mir so vertraut vor als hätte ich das wirklich erlebt.“

„Wie heißt ihr denn in deinen Träumen?“, wollte das Model wissen und bestellte sich derweil einen gemischten Salat. Er wählte ein Schnitzel mit Bratkartoffeln. Erst als der Kellner weg war, fuhr der Anwalt fort: „In dieser goldenen Stadt heißt er Thor und ich Loki...“

„Das sind alte nordische Götter.“, mischte sich Reika ein, „Thor ist der Gott des Donners und Loki ist der Thor des Schabernacks. Zumindest glaubte man das...“

Mit so etwas kannte sich Alexander einfach nicht aus, deshalb freute es ihn, dass sie so ein aufgewecktes und interessiertes Wesen hatte, dass so etwas bei ihr nicht nur hängen blieb, sondern sie darüber auch in der Regel recht viel wusste. Er würde sich diese Aussage merken, damit er später eigene Forschungen anstellen konnte. Vielleicht fand er dann den Grund dieser Träume heraus. Es war zumindest ein Ansatz...

Dennoch riss er sich aus seinen Gedanken und räusperte sich: „Okay, danke. Und in dieser Mittelalter-Träumerei heiße ich Konstan und er Ben. Zumindest nennen wir uns so, aber es kommt mir so vor als wären das nicht unser ganzer Name, sondern nur Kosenamen. Vielleicht auch Decknamen oder so...“

Reika dachte kurz nach, ehe sie ihm eine Antwort gab: „Vielleicht Kurzformen für Konstantin und Benedikt? Das wären zumindest typische Namen für so eine Zeit.“

Tatsächlich weckte das ein vertrautes Gefühl in ihm. Als habe er eben diese Namen schon oft gehört und sich damit verbunden gefühlt. Aber vielleicht redete er sich das auch nur ein. Wollte an etwas wie Vorhersehung glauben... Er war 26 Jahre alt und hatte immer noch keine ernsthafte Beziehung, keine Kinder und nichts, was er für die Zukunft plante. Wäre es da nicht schön zu wissen, dass da Jemand war, der ihm über viele Leben folgte? Jemand, der einfach zu ihm gehörte, was auch immer geschah?

Diese Hoffnung erschien ihm albern. Es war ihm sogar ein bisschen peinlich... Immerhin redete er sich nun ein, dass Godric vom Schicksal für ihn bestimmt wurden war. Aber sie waren zusammen aufgewachsen, wie Geschwister! Auch wenn sie keine waren... Der Kellner empfand es immerhin so. Außerdem war es selbst zu der heutigen Zeit immer noch sehr verrufen, homosexuell zu sein. Gerade bei Männern. Zwar hatte Alex die Liebschaft mit seinem Chef, aber das war weder etwas Ernstes noch eine Sache, die er nach außen trug. Außerdem hatte er es ursprünglich nur begonnen, um God mit dem Gedanken wahnsinnig zu machen, er sei >schwul<. Dass er vielleicht wirklich schwul war, war nun erschütternd... Doch es würde so vieles erklären. Viele ihrer Streitigkeiten, viele seiner Gedanken. Zu viele seiner Fantasien als er mit Herrn Markrhon schlief.

„Vielleicht bedeutet es nichts...“, murmelte das Model und riss ihn damit aus seinen Gedanken, „Vielleicht sind es auch Erinnerungen an ein Leben, das lange vor diesem stattfand. Egal, was es ist, du solltest es nicht ignorieren. Und auch nicht die Botschaft, die dir diese Träume sicher zu übermitteln versuchen. Es geht nicht umsonst immer nur um euch Beide...“

„Du hast wahrscheinlich recht.“

„Natürlich habe ich das!“, kicherte Reika, „Ich habe immer recht.“

„Jetzt klingst du schon wie Gody.“, grinste der Anwalt.

Kurz darauf brachte man ihnen auch das Essen an den Tisch und sie redeten weiter. Über alles, was ihnen zu den Träumen in den Sinn kam. Es war ein sehr angeregtes Essen.

 

Der Abend hatte bei den Geschwistern ebenso eine Routine entwickelt, wie der Morgen. Godric kam von der Arbeit, warf seine Schuhe ab, wie es ihm gerade passte, schmiss die Jacke auf den Boden und verursachte auf der Suche nach Cola sehr viel Chaos in der gemeinsamen Küche. Dann ließ er sich einfach auf dem Sessel fallen und schaute den Kinderkanal oder einen Animationsfilm auf DVD. Alexander kam irgendwann zwischen 20.00 und 22.00 Uhr nach Hause, las Jacke und Schuhe auf, um sie ordentlich aufzuhängen und abzustellen. Entzog sich dann die eigenen Lackschuhe und die Jacke, um sie ebenso ordentlich dazu zu stellen. Dann ging er in die Küche und räumte dort wieder alles auf, ehe er mit ein paar Akten von der Arbeit ins Wohn- und Esszimmer kam. Dort setzte er sich wortlos an den Essenstisch, schlug eine Akte auf und begann sie zu lesen und zu studieren. Darüber seufzte dann der Kellner, der sich aus seinem Sessel erhob und nahm von der Pinwand ein Prospekt eines Lieferanten – wie gehabt vom Pizzalieferanten. Dann kam er zurück, setzte sich zu seinem Bruder an den Tisch und sah auf die Schrift des Zettels.

„Hast du schon gegessen?“, fragte Godric etwas distanzierter, wie jeden Abend.

„Tatsächlich habe ich heute schon gegessen.“, antwortete der Anwalt. Das kam nicht oft vor. Meistens arbeitete er ohne Pause durch und nahm sich seine Arbeit dennoch mit nach Hause. Das gemeinsame Abendessen war ihre einzige gemeinsame Aktivität, in der sie sich nicht stritten und einfach beisammen waren. Deshalb wartete der Kellner auch immer darauf, dass sein Bruder nach Hause kam und aß bis dahin nichts.

Deshalb seufzte er auch leise, ehe er Alex anblickte: „Möchtest du trotzdem etwas zu Essen, Lexy?“

Nun war es der Anwalt, der seufzte. Er hasste diesen Spitznamen und wusste beim besten Willen nicht, wie der Kellner damals darauf gekommen war. Aber er ließ sich beim besten Willen nicht davon abbringen, egal, was er machte oder sagte!

„Ich würde einen gemischten Salat nehmen...“, murmelte Alexander nach einer kurzen Bedenkzeit. Er wollte das gemeinsame Essen nicht ausfallen lassen, nur weil Reika heute mal mit ihm Mittagessen war. Dafür bedeutete ihnen Beiden das zu viel.

Godric nickte und stand auf. Er wählte die Nummer des Lieferanten und bestellte für sich – wie immer – eine große Salamipizza und dazu den gewünschten Salat. Er bestätigte die Anschrift und bedankte sich, dann legte er auf. In der Zeit hatte der Lockenkopf sein Gesicht in den Händen vergraben und schwerfällig ausgeatmet. Er ging davon aus, dass es gerade Niemand sah, aber natürlich war es genau der falsche Moment. God kam zurück und zögerte etwas, setzte sich dann aber wieder zu seinem Bruder. Auch das war neu. Sonst guckte er Cartoons bis die Lieferung ankam.

Ganz zaghaft legte er ihm die Hand auf die zusammengesackten Schultern: „Ist alles in Ordnung, Lexy?“

„Warum fragen das heute alle?“

„Vielleicht, weil du so aussiehst als stimmte etwas nicht.“

Die Meisten schienen ihn besser einschätzen zu können als es ihm lieb war. Alle bemerkten sein hadern und zögern. Sie sahen den Frust in seinen Augen und die Schuld auf seinen Schultern. Da konnte er offenbar auch Niemanden überzeugen, dass das alles nur Einbildung war. Davon konnte sich der Anwalt nicht mal selbst überzeugen! Aber das galt auch für seinen Bruder.

Erst nach einigen Augenblicken konnte sich Alexander aus seiner Starre lösen und senkte die Hände, um dem Älteren direkt ins Gesicht zu sehen: „Alls gut, Gody. Ich bin einfach nur etwas müde, mehr ist es nicht.“

Die Lüge erkannte der Kellner sofort. Deshalb fackelte er auch nicht lange, sondern stahl ihm direkt die Akten unter den Fingern weg. Darauf reagierte der Anwalt allergisch. Er sprang auf und wollte sich die Papiere zurückschnappen, aber Godric rannte einfach weg und stellte sich auf die andere Seite des Sofas.

„Was soll denn das?!“, schimpfte Alex wütend. In dem Moment, wo er um das Sofa treten wollte, ging auch Godric weiter, damit der Abstand gleich blieb. Die teure Couch, die der Anwalt irgendwann gekauft, aber nie genutzt hatte...

„Ich finde, du solltest mal einen Abend frei machen.“, antwortete dann der Kellner, „Du musst mal was anderes machen als zu arbeiten. Das ist doch deine Freizeit, Lexy! Guck’ mal Fern oder geh’ spazieren. Denk’ mal an etwas Anderes als deine Arbeit.“

Darin unterschieden sich die Geschwister auch. Godric floh vor jeder Arbeit und Verantwortung, während Alexander diese suchte. Leider war die Arbeitswut zu groß geworden und inzwischen war er ein Workaholic. Etwas, was der Kellner nicht gerne mit ansah. Trotzdem versuchte der 26-Jährige um das Sofa zu laufen, aber kurz bevor er God hatte, sprang er einfach über die teure Couch und brachte diese so wieder zwischen sie. Der Anwalt fluchte erbost und haderte, ob er diesem Beispiel folgen sollte, entschied sich aber für die Aufgabe. Genervt setzte er sich wieder an den Essenstisch. Godric kam vorsichtig näher und setzte sich dann einfach auf die Akten neben den Jüngeren. So konnte Alex ihn nicht austricksen und wieder an die Arbeit kommen.

Obwohl dieses Spielchen sie Beide etwas aufgelockert und an ihre Jugend erinnert hatte, wirkte Alexander immer noch zerschlagen. Es war fast so als belastete ihn irgendwas. Wahrscheinlich etwas, was Godric eh nicht verstand, weil es seinen Horizont überschritt, aber das hinderte ihn keineswegs, es trotzdem zu wagen.

„Was ist denn nun los?“, versuchte es der Blondschopf erneut.

„Nichts, was dich-... Ach, vergiss’ es.“

„Nichts, was mich etwas angeht, he?“

„Interessiert. Ich wollte interessiert sagen...“, murmelte Alexander und sah den Hünen etwas verletzbarer an, „Nicht, dass es dich nichts anginge...“

God schluckte schwer. Das war viel mehr als er sonst von dem Anwalt als Antwort bekam. Zwar besaß sein Bruder eine Silberzunge und er wusste auch, dass er den Schalk in sich hatte, aber trotzdem gingen ihre Antworten meistens nicht über kurze Belanglosigkeiten hinaus. Dass Alex ihn beschwichtigte, kam niemals vor. Aber auch nicht, dass er so schutzlos und verletzlich wirkte. Deshalb wusste der Kellner, dass er nun nicht aufhören durfte.

„Doch, es interessiert mich.“, sagte er mit fester Stimme, „Sonst würde ich nicht fragen. Was ist los?“

Unbehaglich knetete sich der Anwalt die Hände und schien kurz nachzudenken, ehe er zur Antwort bereit war: „Erinnerst du dich an die große Klage vor etwa einem Jahr? Wo ich dafür gesorgt habe, dass das jetzige Vorzeigebild meines Chefs ihr eigenes Vormund wird und die Modelstelle antritt? Das Mädchen, das ihre Familie für Vergewaltigung, Misshandlung und Vernachlässigung verklagte?“

„Klar, erinnere ich mich.“, antwortete Godric und nickte, „Du hast damals Tag und Nacht gearbeitet. Ihr habt sehr oft getagt und es war kein einfacher Rechtskrieg. Ihr Vater hatte super Anwälte. Trotzdem habt ihr gewonnen... Was ist mit dem Fall?“

„Reika ist inzwischen eine sehr gute Freundin von mir geworden.“, gestand Alex. Das überraschte den Kellner. Sein Bruder hatte sonst keine Freunde und schon gar keine weiblichen! Zumindest bekam er nichts in der Richtung mit.

Trotzdem verstand der Blondschopf das Problem dahinter nicht. Er überlegte, kam aber nicht drauf, weshalb er doch nachhaken musste: „Und was genau ist das Problem?“

„Sie geht an all dem zugrunde...“, antwortete Alexander unwohl, „Freunde, Verwandte... Alle wenden sich ab. Sie wurde in ihrem letzten Schuljahr extrem gemobbt. Sie lebt alleine in einem viel zu großen Haus... Dazu kommt, dass sie sich für die Kamera auszieht, damit wildfremde Männer sich an diesem Bild eine runterholen. Was meinst du, wie Leute auf der Straße reagieren, die sie erkennen? Es ist widerlich!“ Er schüttelte sich bei dem Gedanke. Manchmal verstand er nicht, wieso sein Geschlecht so war, wie es eben war! Immerhin war Reika eine junge Frau, wie jede Andere, nur mit einem recht offenen Beruf. „Auch wenn sie die Starke mimt, das Ganze macht sie fertig. Sie wollte ein >richtiges< Model werden und nun verkauft sie ihren Körper. Sie wollte mal so viel mehr sein, aber sie tritt auf der Stelle und das vollkommen alleine. Und ich bin Schuld...“

Nun war es Godric, der seinen Mut zusammennahm. Er ergriff eine der Hände des Jüngeren und hielt sie so fest, dass er sich nicht losreißen konnte, aber so sanft, dass er ihm nicht wehtat. Dabei blickten die blauen Augen tief in die seines Bruders: „Wieso solltest du Schuld sein? Sie hatte doch eine Wahl! Außerdem haben doch ihre Verwandten all diese Dinge wirklich getan, oder? Es ist doch besser, wenn sie weg von ihnen ist! So ist sie sicher...“

„Aber ich hätte ihr sagen müssen, was solch eine Klage mit sich bringt! Ein verdammtes Jahr... So lange hätte sie doch noch warten können.“

„Nein, auf keinen Fall.“, widersprach God direkt, „In dem Jahr hätte sonst was passieren können! Vielleicht hätte man sie tot geprügelt! Vielleicht wäre noch Schlimmeres geschehen. Und denke nur an den dauerhaften Schaden ihres Verstandes! Ein Jahr macht so viel aus...“ Endlich erwiderte Alexander den Druck der Hand des Blondschopfes. Diese Worte schienen wirklich tröstlich zu sein. Godric wusste, dass das an der Wahrheit dahinter lag. Deshalb fuhr er auch fort: „Wenn du sühnen willst, dass du ihr das Leben gerettet hast für einen hohen Preis, dann hilf’ ihr, eine bessere Stelle zu finden. Du hast Kontakte und kennst viele Leute! Wie oft wirst du gefragt, ob du für ein Shooting zu haben wärst? Jeder hält dich für ein Model! Das kannst du für sie nutzen.“ Daran hatte der Anwalt noch gar nicht gedacht! Wenn Reika sich nicht bewarb, dann konnte er ja immer noch rumfragen. Vielleicht lud sie Jemand ein und sie konnte sich dann beweisen. Endlich rauskommen aus der Szene... Vielleicht würde sein Chef ihn dafür feuern, aber sein Gewissen gebot, dass er etwas unternahm.

Nun drückte Alex die Hand des Älteren etwas fester. Zwang seine Finger sogar zwischen seine. Sah ihm dabei fest in die Augen: „Ja, du hast recht. Wenn ich das auch nicht gerne zugebe.“

„Klar habe ich recht!“, erwiderte Godric.

Es läutete an der Tür, also löste er sich unwohl von dem Anwalt. Er fürchtete sich etwas, dass der sich seine Akten zurück stahl und arbeitete, wenn er wiederkam. Trotzdem musste er an die Tür und bezahlte dort den Lieferanten. Als er zurückkam, saß Alexander immer noch da und die Akten lagen immer noch auf dem Stuhl. Erstaunt und etwas stolz stellte der 28-Jährige das Essen auf den Tisch und holte Besteck aus der Küche. Dann setzte er sich erneut auf die Papiere und schob seinem Bruder den Salat hin. Er selbst öffnete den Karton mit der dampfenden, leckeren Pizza. Der Kellner inhalierte den Duft. Davon bekam er einfach nicht genug! Dann begann er sie zu schneiden. Er aß zuerst den Rand, um das Beste für den Schluss aufzuheben. Der Anwalt öffnete derweil den Salat und rührte etwas darin herum, ehe er ebenso zu essen begann.

„Fang’ am Besten gleich morgen damit an, Lexy.“, warf dann nochmals der Blondschopf ein, „Je schneller du dein Gewissen beruhigst desto besser. Geh’ doch zu diesem total angesagten Laden... Wie hieß er noch? Das Chiyo? Da kennst du doch den Leiter von und der ist doch souverän.“

Wieder ein Gedanke, der Alexander gar nicht gekommen war. Abrupt sprang er auf und wusste kaum noch seine Gedanken und Ideen zu ordnen. Er packte Godric im Nacken und presste seinen Mund direkt auf seinen. Sein Bruder war zu überrumpelt, um irgendwie darauf zu reagieren und der Kuss war auch zu kurz: „Danke, Gody. Wirklich... Vielen Dank!“

Mit diesen Worten stürmte er in sein Zimmer, in dem auch sein Computer stand. Er würde Recherche betreiben. Godric aber blieb alleine mit dem Essen im Wohn- und Esszimmer und versuchte zu verstehen, was gerade passiert war.

 

 

Kapitel 1 Ende



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (6)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2013-10-03T20:49:21+00:00 03.10.2013 22:49
Ui ui ui. Das nenn ich harten tobak. Cool wie du die Gefühle der beiden zu Wort bekommst. Freu mich schon total auf das nächste Kapitel!
Antwort von:  Kylie
04.10.2013 06:46
Danke für deinen Kommi. :-)
Freut mich, dass du das sagst, weil mir die Gefühlsschiene und auch das Komplizierte hinter Beziehungen sehr wichtig ist.
Mal sehen, vielleicht kriege ich das zweite Kapitel auch schon heute fertig. ^^
Antwort von: abgemeldet
04.10.2013 15:49
Oh das wurde mich wirklich freuen. Sowas nenn ich gute Nacht lektüre ^^
Antwort von:  Kylie
04.10.2013 15:52
Ich habe es sogar geschafft, demnach hast du deine Gute Nacht-Lektüre sogar bekommen. xD
Antwort von: abgemeldet
04.10.2013 15:55
Jaiiiiii xD jetzt muss Arbeit nur schnell umgehen und dann schreib i dir wieder ein kommiiii ^_____^
Antwort von:  Kylie
04.10.2013 15:57
xDDD Schön, dass du dich so freust. :-)
Hetz' dich nicht, aber freuen würde ich mich natürlich dennoch. ;-) Schon mal viel Spaß beim Lesen! :D
Von:  Yako
2013-10-03T08:31:37+00:00 03.10.2013 10:31
Na die haben ja ne super Beziehung.:-)

Antwort von:  Kylie
03.10.2013 10:50
Was soll ich sagen? So sind Geschwister eben. xD
Von:  Happiness
2013-10-02T13:45:28+00:00 02.10.2013 15:45
Hey! Ich bin auf auf deine FanFic gestoßen und ich finde sie super! Wirklich. Ich hoffe, dass du weiterschreibst und die Fanfic auch zu Ende bringst.Deine Idee und dein Schreibstil sind awesome, ich freue mich schon auf ein neues Kapitel von dir.
Liebe Grüße,
Happiness
Antwort von:  Kylie
02.10.2013 22:04
Vielen Dank für die Blumen. Freut mich, dass es dir so gefällt. :-)
Zumindest bin ich bestrebt, die FF auch zu Ende zu bringen. xD

Liebste Grüße

Cissy
Antwort von:  Happiness
04.10.2013 22:00
Blumen? Äh, gerne :) Ich hoffe, sie riechen gut :D


Zurück