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Tower

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Songfic zu diesem Lied: http://www.youtube.com/watch?v=Q7STgkbOoXM Komplett anzeigen

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Miss Marple


 

Tower


 


 


 

You're high up on the Tower
 

Now don't look down
 

I will be OK here on the ground
 

And you can always call to say hello from time to time
 

When you're no longer mine...
 

 
 

Es ging ihr so schlecht… Vier Tagen kämpfte sie, aber irgendwie hörte selbst das auf. Sie nahm nichts mehr an. Kein Futter, kaum Wasser, ihre Medikamente landeten zwar in ihrem Maul, doch ich bezweifle dass sie sie schluckte. Die Antibiotikareste vom vorigen tag hingen ihr immer noch am Maul und sie machte keine Anstalten sie sich wegzulecken.

Wie das sein muss? Die ganze Zeit den bitteren Geschmack von Antibiotikum im Maul zu haben?

Registriert sie das überhaupt noch? Merkt sie eigentlich dass sie noch schmecken kann?

Ich erinnerte mich an meine erste und bisher einzige Lungenentzündung, die ich damals mit vierzehn hatte.

Diese Schmerzen… Der Gedanke dass sie genauso, nein, wahrscheinlich sogar noch mehr, leiden muss, triebt mir die Tränen in die Augen, selbst jetzt noch, selbst jetzt noch, wo fast ein halbes Jahr vergangen ist dass sie gestorben ist. Ich hätte ihr das Antibiotikum spritzen sollen, so wie die Tierärztin, aber das ging natürlich nicht… Ich hätte ihr weh tun können, noch mehr als sie sowieso schon litt.

Am Sonntag sah sie schon recht beschissen aus, doch ich hab es nicht ernst genommen.

Am Montag, dem fünfundzwanzigsten Februar, gingen wir, mein Vater und ich, dann mit einem stark unterkühlten Kaninchen zum Tierarzt.

Tja.

Und am Mittwoch, dem siebenundzwanzigsten Februar, hatte ich ebendieses ‚stark unterkühlte‘, was noch untertrieben ist, Kaninchen um 16.23 Uhr auf dem Arm und… und… Ich weiß nicht.

Ich weiß nicht mehr was mir alles durch den Kopf schoss. Aber ich weiß noch dass ich an das erste Treffen mit ihr denken musste. Ich sah sie und ihre Schwester und konnte einfach nicht widerstehen. Ich musste sie einfach aus diesem Kellerloch holen, wer weiß wo sie sonst gelandet wären.

Eigentlich hatte ich ein verdammtes Glück Missy und Meggy damals bekommen zu haben… Sie waren meine Lieblinge, ich hab sie geliebt, einfach für alles. Ihre Anhänglichkeit vor allem.

Eigentlich hießen sie ja Fibi und Gonzo, weil Meggy für einen Kerl gehalten wurde, doch ich hab sie eben unbenannt. Miss Marple und Meggy klingen doch auch viel besser, nicht?

Dann starb Meggy an Krebs, September 2011.

Und ich hatte nur noch Missy, meinen kleinen Sonnenschein. Dieses kleine Fellknäul, in die ich all meine Liebe reinpressen konnte.

Hab ich auch.

 
 

I will be drunk on cheap beer
 

Like everyone else around here
 

You've got the world at your feet
 

There's nothing out there for me
 

You don't have to lie
 

Saying that you'll try to make it work from a distance
 

Just leave me here to die as i watch you climb up to the top of your ambitions
 

 

Manchmal, im Sommer, da hab ich mich einfach in den Auslauf gelegt und gekichert wenn sie mir durch das Gesicht geschnüffelt hat und mich mit ihren langen Tasthaaren im Gesicht kitzelte. Ich hab das immer so genossen und hab ihr gerne mit dem Zeigefinger die Stirn gekrault. Hochgenommen hab ich sie nie, ich weiß doch wie ungern Kaninchen das haben.

Ich hab sie ganz anders behandelt als die anderen Kaninchen, weil sie mich eben auch anders behandelt hat. Sie war was ganz besonderes.

Sie war wie ein kleiner Hund, immer musste ich Angst haben dass ich ausversehen auf sie trete wenn sie an meinem Hosenbein Männchen machte.

Und ich hab es geliebt.

 
 

You're high upon the Tower now don't look down
 

I will be okay here on the ground
 

And you can always call to say hello from time to time
 

When you're no longer mine
 

 

Ich weiß dass sie nicht mehr jung war, aber nie dachte ich darüber nach, wie es wäre wenn sie weg wäre. Ich hatte immer gedacht dass sie, in zwei, drei Jahren, einfach an Altersschwäche friedlich einschlafen würde, aber auf das was kam war ich nicht vorbereitet.

Immer dachte ich dass ich sie noch eine Zeit lang haben würde, dass sie alt und zufrieden werden seien würde, wenn sie stirbt, aber das war nicht so. Sie war weder sonderlich alt, noch war ihr Tod friedlich.

Die Schmerzen, wie sich jeder Atemzug, jede Sekunde, wie eine einzige, nicht endende Tortur, anfühlt, ist ein Albtraum, ich muss es doch wissen.

Ich hatte solche Angst. Als sie bei mir im Zimmer, in ihrer Kiste war, in der sie eigentlich gesund werden sollte, hatte ich immer solche Angst. Und da war immer diese Kloß in meinem Hals.

Wann auch immer ich nicht in der Schule war und mich auf nichts konzertieren musste, war ich geistig bei ihr. Immer hoffte ich dass sie es schaffen würde, dass, wenn ich nach Hause käme, sie ihr Futter gefressen hätte und es ihr besser ginge.

Tat es nicht.

 
 

Here in a pale shadowed light
 

Under the trailer park lights
 

There'll be nothing left for you to see
 

You won't even recognise me
 

 
 

Es ging mir so schlecht in dieser Zeit in der sie krank war, ich wollte manchmal nur noch weinen und hab mir gewünscht dass es aufhört, dass diese verdammten Medikamente endlich anschlagen, dass sie gesund wird.

Ich muss sagen, im Nachhinein, waren diese vier Tage die schlimmsten, die ich seit Meggys Tod hatte.

Doch die Krönung kam als es zu spät war.

 
 

You don't have to lie
 

Saying that you'll try to make it work from a distance
 

Just leave me here to die as i watch you climb up to the top of your ambitions
 

 

Es war der vierte Tag, Mittwoch, und ich hatte etwas beobachtet. Missy stützte ihren Kopf gerne auf Gegenständen auf, was ihr das Atmen erleichterte. Also nahm ich sie auf den Arm, legte ihren Kopf auf meinen Unterarm.

Eine Freundin war mich besuchen, wir hatten uns lang nicht gesehen.

Und so saß ich dann so auf meinem Drehstuhl, an meinem Schreibtisch, meine Freundin saß auf meinem Bett. Missy hatte davor ihre Medikamente bekommen, doch als sie auf meinem Schoß lag, konnte ich genau ihre angestrengte Atmung hören. Und spüren.  Sie war so unglaublich schlaff und kraftlos, so vollkommen fertig. Ab dem Moment hätte ich eigentlich wissen oder zumindest ahnen müssen, dass sie im Sterben lag. Aber ich dachte da einfach nicht dran, vielleicht hab ich es auch nur verdrängt.

Ja, ich war kurz davor zu weinen, aber nur weil ich dachte dass es schlimmer mit ihr wird. Ich wusste ja nicht wie nah sie schon an der Schwelle zum Tod war.

Doch das alles, die gesamte Situation, ihr Zustand, das tat alles so unglaublich weh, ich war erleichtert dass meine Freundin da war, das lenkte ab und ich konnte kurz vergessen was war. Ich konnte lachen.

Ich wusste nicht wie sehr ich mich dafür, für diese Fröhlichkeit, hassen würde.

Jedenfalls saß ich da, kraulte Missys Kopf und plötzlich… Na ja.

Sie fühlte sich nicht direkt ‚kalt‘ an, aber nicht mehr so warm wie sie seien sollte. Lauwarm.

Es brauchte eine Sekunde für mich um das zu realisieren.

Und dann blieb mir das Herz stehen. Ich hatte einfach das Gefühl als ob mir das Herz wortwörtlich zerbrechen würde.

Man kann den Schmerz den ich empfand nicht in Worte fassen. Den Schock. Das Gefühl das meinen gesamten Körper, meinen Verstand, erfüllte, als ich realisierte was ich nicht wahr haben wollte.

‚Tschüss‘ zu sagen ist so einfach wenn man weiß dass man denjenigen wieder sehen wird. Aber wenn ihr Herz sich verlangsamt und schließlich ganz aufhört zu schlagen und man selbst dies nicht mal mitbekommt, ist es die grausamste Sache die du dir vorstellen kannst.

Ich weiß nicht mal was meine letzten Worte waren die ich an sie gerichtet habe. Ich denke es war wohl so was wie ‚Ach Süße, was machst du für Sachen, hm?‘. Wahrscheinlich. Das hab ich in der Zeit oft zu ihr gesagt.

Ich hab einen Augenblick lang versucht die aufsteigende Panik zu unterdrücken, sie los zu werden.

Das Leben war einfach so aus Missy gewichen und ich hatte es einfach nicht bemerkt.

Warum hab ich es nicht bemerkt?

Warum hab ich meine Freundin eingeladen, warum hab ich mit ihr Späße gemacht? Ich hätte meine Aufmerksamkeit an Missy wenden sollen, ich hätte nur für sie da sein sollen, sie hätte meine ungeteilte Aufmerksamkeit verdient, sie ganz allein.

Warum hab ich die letzten Minuten mit ihr so sehr verschwendet?

Ich kann mir das nicht verzeihen, bis heute nicht. Ich hasse mich dafür.  Sie ist gegangen, sie hatte schmerzen und ich hab sie ignoriert. Sie lag in meinen Armen und ich hab sie einfach sich selbst überlassen.

Ich weiß dass ich nichts hätte machen können, dass ich sie nicht hätte retten können, doch alles hätte ich dafür getan um mich von ihr zu verabschieden.

Jedenfalls lag sie da nun, schlaff, kraftlos, kühl, wie eine Puppe und ich hatte realisiert was geschehen war.

Mein gesamtes Blut wich aus meinem Kopf und als ich den Mund aufreißen wollte um nach Luft, die mir mit einem mal weg blieb, zu schnappen, spürte ich diesen unendlichen Druck, der sich in meinem Kopf aufgebaut hatte, entweichen. Luft bekam ich trotzdem nicht.

Es war als ob mich jemand erwürgen würde. Der Druck in meinem Hals war noch immer vorhanden und als ich einen Augenblick später wieder Luft zum Atmen hatte, war ein flaches Keuchen das erste was mir entwich.

Nochmal musste ich Luft holen und dann, plötzlich, platze alles aus mir raus.

In Sekundenschnelle schienen sich ganze Seen an Tränen in meinen Augen gesammelt zu haben, ich wusste gar nicht wo die alle herkamen.

Und es kam einfach alles aus mir raus. Meine Kehle war plötzlich staubtrocken, und die unzähligen Schluchzer durchfuhren meinen gesamten Körper.

Selbst heute spüre ich noch immer diesen Druck in meinem Hals, wenn ich nur daran denke.

Es tat einfach nur weh.

Ohne Rücksicht auf die Tatsache dass sich Missys Körperflüssigkeiten, zumindest das bisschen was in ihrer Blase gewesen war, auf meiner Hose verteilten, nahm ich den toten Körper auf den Arm und umklammerte sie zwanghaft und im Grunde viel zu fest, versuchte ihre letzte Körperwärme irgendwie aufzufangen, sie warm zu halten. Es wäre zu schmerzhaft gewesen nur einen kalten, steifen Körper im Arm gehabt zu haben.

Jedenfalls schluchzte ich. Irgendwie musste ich mich auf mein Bett gesetzt haben, denn ich spürte wie meine Freundin tröstend die Arme um mich legte und einfach nur für mich da war. Ob ich das wollte? Nein.

Aber ich wehrte mich nicht, es war mir irgendwo auch egal.

Ich hab sie geliebt, meine kleine Missy. Ich hab sie einfach nur geliebt, wie ich noch nie zuvor eines meiner Kaninchen geliebt habe und nie hatte ich an diesen Moment, den ich grade durchmachte, gedacht, einfach weil ich dachte dass ich noch Zeit hätte… Dass sie noch Zeit hätte.

Alles würde ich dafür geben um zu wissen wie sie letzten Endes über mich gedacht hatte, wie sie denn je über mich gedacht hatte.

Ob sie wohl wütend auf mich war, dafür dass ich sie hab so lange leiden lassen, dafür dass ich in ihren letzten Minuten nicht so da war, wie ich gerne für sie dagewesen wäre.

Ich wollte nicht die Augen öffnen, sie so sehen. Ich wollte nicht das Gegenteil von alle dem sehen, auf das ich gehofft habe.

 Ich wollte am liebsten nie wieder aufsehen, ich wollte auf ewig zusammengekauert auf meinem Bett sitzen, Missy gegen meines gepresst. Ich atmete ein paar mal in ihr Fell, was ihrer Haut eine gewisse Wärme zurückgab. Ich wollte genau dieses Gefühl am liebsten für immer irgendwie retten, ich wollte dass es einfach so bleibt.

Doch ich hatte meine letzte Chance, meine letzte Chance für ALLES, verpasst.

Im Nachhinein klingt das unglaublich egoistisch.

Im Nachhinein hätte ich viel lieber gewusst wie es ihr ging, einfach was ihre letzten Gedanken waren. Was denkt sich so ein Kaninchen wohl, wenn es seine letzten Augenblicke vergehen?

Ich weiß es nicht.

Ich weiß nur dass es verdammt weh tat.

Tut.

Es tut wirklich verdammt weh.

 
 

You're high upon the Tower now don't look down
 

I will be okay here on the ground
 

And you can always call to say hello from time to time
 

When you're no longer mine
 

When you're no longer mine
 


 



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