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Federschwingen

von

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Als sie bei ihm zuhause ankamen, war niemand zu Hause. Na ja, es war ja noch immer sehr früh – und Kim und sein Vater waren in der Kirche. Hoffentlich blieben sie lange weg.

… Plötzlich fiel ihm etwas ein.

„Oh“, ließ er verlauten, als er den Schlüssel in die Tür steckte.

Kylie hatte den riesigen Garten bestaunt, jetzt wandte sie sich zu ihm um. „Oh?“, wiederholte sie verwirrt.

„Irgendwie habe ich aufgeschoben, sie auf deine Ankunft vorzubereiten“, bemerkte er gerade, „Ich habe es immer auf den nächsten Tag verschoben“, erklärte er nachdenklich, „Und irgendwie habe ich das auch gestern gemacht.“

„Und du willst drei Studien abschließen?“, beschwerte sie sich, wobei sie die Arme ungehalten verschränkte und laut seufzte, „Du kannst ja von Glück sprechen, wenn du die Uni als Hausmeister abschließt!“

„Es macht nichts“, beruhigte er sie sogleich, wobei er die Tür aufstieß und mit dem Koffer hinein ging, „Wir werden sie nicht sehen, sie werden uns nicht sehen und alle werden glücklich sein.“

Sie blieb in der Tür stehen. „Ich würde deinen Vater aber gerne kennenlernen.“

Er gefror auf der Stelle. … Was? Langsam drehte er sich zu ihr um und starrte sie überrascht an.

Sie stand in der Tür, das Licht des Himmels strahlte sie von hinten an, was ihre Vorderseite in Schatten hüllte. Er konnte ihr Gesicht nicht so genau erkennen, aber er war sich sicher, dass sie herumalbern musste. Warum würde sie seinen Vater kennenlernen wollen?

Sie bewegte sich und stellte sich neben ihn, wobei sie ihm eine Hand auf die Schulter legte und anklagend anschaute. „Der arme Mann hat keine Ahnung, wie es seiner Frau geht – und du kümmerst dich nicht um ihn.“ Dann nahm sie ihren Koffer. „Und wo ist jetzt mein Zimmer?“ Ihr kompletter Tonfall hatte sich geändert und sie schaute sich neugierig um. „Ihr habt es aber groß hier. Wirklich, toll.“ Sie ging weiter und schaute in einen Raum. „Huh, an die Größe könnte ich mich gewöhnen!“

Meinte sie das ernst? Wollte sie wirklich … mit seinem Vater über seine Mutter sprechen? … Sie kannte ihre Mutter vermutlich am besten von allen. … Was würde sie ihm sagen?

„Warum willst du mit ihm- …“, begann er leise, beinahe traumatisiert. Warum nahm ihn dieser Fakt so mit? Er wurde von einem erstaunten: „Oh, da liegt ja jemand“, ihrerseits unterbrochen.

Langsam und verwirrt schritt er auf sie zu. Sie stand vor dem Wohnzimmer. Er spähte durch die Tür, die halb geöffnet war. Auf dem großen Sofa lag Kim. Sie schlief. Warum war sie denn nicht in der Kirche? War ihr Vater alleine gegangen?

„Wir gehen lieber“, flüsterte er Kylie zu, „Sonst sieht sie uns womöglich noch.“

„Ist das Radiants Freundin?“, wollte diese hingegen wissen.

Er packte sie am Arm und wollte sie mit sich zerren, doch sie hielt sich mit außerordentlicher Kraft am Türrahmen fest und begutachtete die schlafende Frau.

„Echt hübsch“, kommentierte sie, „… Hey …“ Sie starrte auf etwas.

Ray kümmerte das nicht, er wollte bloß nicht, dass Kim geweckt wurde. Sonst würde sie womöglich jetzt noch mit ihm sprechen. Was auch immer sie ihm sagen wollte.

„… Hey, kann es sein …“ Kylie wandte sich ihm zu. Sie wirkte irgendwie anklagend.

„Was?“, fragte er ungehalten. Konnte sie nicht einfach mit hoch gehen und dann draußen weiterreden, wo sie Kim nicht wecken konnte? Wo sie sich einfach weiterhin ignoriert fühlen konnte?

Hinter ihm klackte das Schloss und die Tür sprang auf. Er wandte sich der Person zu, die dort stand – sein Vater.

„Toll gemacht“, murrte er an Kylie gerichtet, die aber immernoch zu ernst wirkte.

„Radiant …?“, ertönte Kims ruhige Stimme, „Huh? Wer bist du?“ Jetzt hatte sie wohl Kylie erblickt.

„Wer ist das?“, wollte Radiant überrascht wissen, als er wohl ebenfalls Kylie erblickte.

„Niemand und wir gehen jetzt“, fuhr er dazwischen und probierte weiterhin, seine Freundin von der Tür wegzubringen.

„Warum hast du mir nie erzählt, dass sie ein Baby erwartet?“, forderte Kylie beleidigt zu erfahren, „So etwas sagt man seinen Freunden!“

„Wer erwartet bitte ein Baby?“, gab Ray verwirrt – und leicht gereizt – zurück. So lange hatte er es geschafft, sie alle zu ignorieren!

„Kim“, beantwortete sein Vater die Frage.

Schockiert starrte Ray ihn an. „Ernsthaft?“

Als Kim plötzlich an Kylie vorbeiging und ihr Bauch plötzlich die Form einer großen Blase hatte, schenkte Ray der Erzählung Glauben. Kim … Kim erwartete ein Kind? … Aber … Warum … Wie? … Irgendetwas in ihm verkrampfte sich. Er fühlte sich hintergangen – betrogen.

„Wir versuchen dir das schon seit einem guten Monat zu sagen“, erklärte Radiant sachlich, „Aber du ignorierst uns.“

Er wusste nicht, was er antworten sollte. Er starrte einfach auf den gewölbten Bauch der ansonsten so schlanken Frau … und fragte sich, wie er das übersehen hatte können … Das alles … Warum … warum erwartete sie ein Baby?

Kim erreichte Radiant, der die Tür erst jetzt hinter sich schloss, und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, dann umarmte sie ihn.

„Aus diesem Grund werden wir uns vermählen lassen“, fuhr er mit der Geschichte fort, als hätte er Ray nicht schon mit genug Dolchen durchstoßen.

„Und meine Tochter wird diese Woche ebenfalls zu Besuch kommen“, erklärte Kim freundlich, als wollte sie ihm noch einen drauf geben! War das hier eine öffentliche Hinrichtung?!

„Das wird aber voll hier“, gab Kylie dazu. Sie schien reichlich amüsiert über Rays ungläubiges Gesicht. „Wir haben dich alle gewarnt, Ignorant.“

Irgendwie fühlte er sich, als seien alle gegen ihn.

„Liz kommt am Mittwoch an und bleibt eine Weile hier“, erklärte Radiant weiter, „Sie wird im Gästezimmer schlafen.“

„Aber Kylie schläft im Gästezimmer“, entgegnete er perplex.

„Kylie?“ Kim schien verwirrt, dann musterte sie die blonde Frau.

„Ist das deine Freundin?“, informierte sich Radiant verwundert.

„Ich komme aus dem Roten Dorf“, stellte sie sich mit ihrem freundlichsten Lächeln vor. Sie schritt etwas nach vorne und verbeugte sich kurz, „Mein Name ist Kylie Immenson und ich hätte vorgehabt, für eine Woche hier zu bleiben.“ Ein eiskalter Blick traf Ray. „Wie ich bereits seit zwei Monaten ankündige.“

„Du bleibst hier?“, fasste Kim fröhlich zusammen, „Das ist aber nett! Hmm … Aber das Gästezimmer …“

„Ich kann auch beim Sündenbock hier schlafen“, meinte sie locker lässig. Ray wusste genau, wen sie damit meinte. Der Stoß in die Rippen, der daraufhin folgte, wäre gar nicht erst nötig gewesen! „Er schuldet mir ein Bett!“

„Ja, nimm ruhig mein Bett“, bot er ihr an, wobei er nicht freundlich klang, „Ich schlafe am Sofa.“

„Warum hast du nichts gesagt?“, wollte Radiant dann wissen. Zum ersten Mal sah er Emotionen auf dem Gesicht seines Vaters. Er wirkte beinahe … wütend. Zumindest enttäuscht. Ja, es musste echt blöd ausschauen, wenn man zur gleichen Zeit zwei Gäste hatte, von denen die jeweils anderen Hausbewohner nichts wussten. Aber so war es eben.

„Es ist ja alles geklärt, oder?“, gab er ungehalten zurück, „Komm, Kylie, wir gehen.“ Er machte auf der Stelle kehrt und ging wieder auf den Koffer zu, der mitten im Gang stand.

„Habt ihr Hunger? Soll ich euch Frühstück machen?“, bot Kim ihnen an, „Es ist früh – und du bist bestimmt die ganze Nacht gefahren!“ Sie wirkte, als würde sie es erst jetzt realisieren. „Aus dem Roten Dorf?“; wiederholte sie deshalb perplex, „Du solltest dir erst eine Pause gönnen!“

„Wie seid ihr eigentlich hierher gekommen?“, wunderte sich Radiant dann.

„Zu Fuß“, antwortete Kylie wahrheitsgetreu, „Es waren ja nur drei Blöcke.“ Ein wütender Blick durchbohrte ihn.

„Warum hast du nicht gefragt, ob wir sie abholen?“, keifte Radiant Ray an.

Ray wandte sich ungehalten seinem Vater zu und funkelte ihn an. Warum tat er plötzlich so fürsorglich? Sonst war es ihm auch immer egal, wenn er nicht da war, wenn er sich nicht meldete, wenn seine Mutter beinahe starb. Er brauchte hier nicht zu spielen. Kylie kannte ihn doch genauso.

„Ich war sowieso schon im Südblock“, gab er dazu, „Da wäre es nicht einmal umständlich gewesen.“ Radiant musterte dann wieder Kylie. „Ich entschuldige mich für sein Verhalten.“

„Bitte was?“, platzte es aus Ray heraus? Was fiel ihm bitte ein?!

„Ach was!“, sagte Kylie aus, wobei sie abwinkte, „Ich bin an diesen Idioten gewöhnt“, meinte sie locker, „Wenn ich nicht genau das an ihm lieben würde, wäre ich ja gar nicht hier.“

„Ich mache euch Frühstück“, entschied Kim dann eigenständig, wobei sie sich sofort in die Küche begab.

„Danke!“, rief Kylie ihr hinterher, dann entschied sie sich dazu, in die Küche zu gehen, „Soll ich helfen? Ich will keine Unannehmlichkeiten bereiten.“

„Nein, nein“, antwortete Kim aus der Küche heraus, „Bitte, setz dich! Das sind doch keine Umstände! Wir frühstücken jetzt auch erst!“

Kylie verschwand trotzdem in die Küche.

Jetzt stand Ray seinem Vater gegenüber. Der sah noch immer unzufrieden aus. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er schloss ihn wieder. Er schüttelte einfach den Kopf und ging in die Küche. „Ich helfe dir, Schatz.“

Ray starrte auf den Koffer. Den sollte er lieber hoch bringen. Er hatte keine Lust, ein Familienfrühstück zu machen. Er brauchte nicht mit diesen Leuten zu essen. Auch wenn er Kylie auch nicht alleine lassen wollte. Sie war extra für ihn gekommen … Er nahm den Koffer in die Hand. Warum konnten sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen?

… Und seit wann hatte Kim eine Tochter? … Und warum würde sie noch ein Baby bekommen? Zu allem Überfluss? Sie hatten doch schon mehr als genug Kinder, um die sie sich nicht kümmerten.

Er packte den Koffer und schleppte ihn die Treppen hinauf in sein Zimmer. Dort stellte er ihn ab. Vielleicht sollte er doch mit ihnen essen. Um zu schauen, was sie ihn noch vorenthalten hatten. Eine Schwangerschaft, eine Stiefschwester und eine bevorstehende Hochzeit.

Langsam schlenderte er nach unten. Je länger er brauchte, desto besser.

Als er das Treppenende erreichte, erkannte er, dass Kylie am Türrahmen Ausschau nach ihm hielt.

„Brav“, lobte sie ihn spöttisch.

„Das war gar nicht so einfach“, beschwerte er sich mit einem dezenten Hinweis auf seinen Arm, „Du weißt noch?“

„Hat der Arzt nicht gesagt, du solltest ihn möglichst viel belasten?“ Sie grinste. „Komm jetzt rein, wir essen schon.“

„Haha“, machte er und ging auf die Küche zu. Vor dem Türrahmen blieb er stehen. Er schaute hinein. Am Tisch saßen Kim und Radiant. Kylie wartete auf ihn.

Wollte er wirklich so stark gegen seine Prinzipien verstoßen? Er wollte mit dieser Familie nichts zu tun haben. Das war nicht seine Familie. Seine Familie lebte im Roten Dorf. Und dorthin würde er zurückkehren. Er würde seine Mutter gesund machen.

Plötzlich packte Kylie ihn kräftig an der Hand und zog ihn über die Schwelle.

Er stand in der Küche. Mit den anderen.

„Ich führe dich schon noch dahin, wo du hingehörst“, versprach sie ihm, „Aber du musst mir dabei schon helfen.“ Sie wirkte anklagend. Mit welcher Aufgabe war sie eigentlich hierher gekommen? Irgendwie roch es ziemlich stark nach den Plänen seiner Mutter.

Er ließ sich von ihr zum Tisch führen und auf einen Stuhl drücken. Er saß neben Radiant, gegenüber von Kim.

Beide sahen ihn überrascht an. Kim lächelte freundlich, Radiant wandte sich dem Essen zu.

Kylie setzte sich neben ihn und bedankte sich noch einmal.

… Warum? Warum konnte es nicht einfach seine gewohnten Bahnen laufen? … Er wollte nicht hier sitzen. Er wollte nicht hier sein. Er wollte sich nicht mit ihnen verstehen. Kim … Kim konnte doch jederzeit ausflippen und Radiant verletzen. Radiant hatte seine Mutter im Stich gelassen, hatte sie sogar betrogen … war vor ihr und seiner Verantwortung als Vater geflohen … Warum wollte er dann die Verantwortung über einen erwachsenen Sohn übernehmen? Weil es einfacher war? Weil er ein schlechtes Gewissen hatte? Er würde sich nicht einfach so herum schieben lassen. Radiant bekam keine zweite Chance.

„Dann werde ich für Donnerstag doch eine größere Torte backen müssen“, sinnierte Kim, als Ray ihr seine Aufmerksamkeit schenkte.

Kylie nickte. „Wenn Sie wollen, helfe ich gerne! Ich liebe Backen!“

„Bitte, ich bin Kim, eine einfache Frau“, meinte sie verlegen, „Das Siezen lässt einen immer so alt wirken.“ Sie kicherte und streichelte dabei sanft ihren gerundeten Bauch.

„Was für eine Geschmacksrichtung?“, fragte Kylie – an ihn gewandt.

Er starrte sie verwirrt an. „Was?“

„Kuchen. Geschmacksrichtung. Du.“, wiederholte sie in Kurzform. Dann nahm sie ihre Faust und klopfte sanft gegen seine Stirn. „Hallo? Lebt da noch jemand?“

„Lass das“, maulte er und rieb sich die Stirn empört, „Ich brauche das da oben noch.“

„Wie läuft es beim Studium eigentlich?“, wollte Radiant dann wissen, „Bist du durch das erste Semester gekommen?“

„Klar“, antwortete er knapp.

„Geschmacksrichtung! Sonst wähle ich“, bestimmte Kylie.

Kim kicherte vor sich hin. „Es ist so lebhaft!“

„Warum soll ich wählen?“, wollte er von ihr wissen.

„Hat mal jemand eine Wand? Ich will meinen Kopf dagegen hauen“, murmelte sie plötzlich genervt, „Hallo? Kumpel? Du hast Geburtstag? Geburtstag – Kuchen – klingelt jetzt was?“ Sie verschränkte die Arme. „Und ich habe dich wirklich einmal für klug gehalten.“ Dann seufzte sie. „Aber du bist und bleibst ein Idiot.“

… Stimmt. Er hatte am Donnerstag Geburtstag. … Hey, dann war Kylie ja an seinem Geburtstag da! … Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Das war ihre Absicht gewesen. Sie hatte sich wohl deshalb für diese Woche entschieden. Er war schon ganz schön blöd.

Dann starrte er Kim überrascht an. Woher wusste sie denn, wann er Geburtstag hatte – oder warum kümmerte es sie? Er wusste ja nicht einmal, wie sie im Nachnamen hieß. … Sie sollte ihn doch einfach ignorieren! Und was tat er jetzt? Hier. Mit ihr. Am Frühstückstisch sitzen. Er unterdrückte ein Seufzen.

Warum musste Kylie immer alles auf den Kopf stellen?

„Schokolade“, antwortete dann. Kyries Lieblingssorte. Dann konnte er sie auch einladen.
 

Kylie hätte bis Donnerstag im Gästezimmer schlafen können, doch sie hatte entschieden, dass sie sich dann bis Donnerstag schon an Rays Anwesenheit gewöhnen konnte, weshalb sie lieber von Anfang an in seinem Zimmer übernachten wollte. Ihm machte das nichts aus. Es war immerhin Kylie.

Er schlief am Sofa, welches eigentlich immer unbenutzt war, sie durfte sein Bett benutzen. Das Licht war aus, sie waren schlafbereit.

Sie hatten auch einen anstrengenden Tag hinter sich. Das Frühstück war zum Glück schnell vorüber gewesen, die Gespräche mit ihm waren zum Erliegen gekommen – das war schön. Er hatte einfach den anderen beiden dabei zugehört, wie sie Kylie ausgequetscht hatten. Irgendwann hatten sie erfahren, dass sie Krankenschwester war und seine Mutter pflegte. Sein Vater war davon sehr überrascht – und natürlich hatte Ray die vorwurfsvollen Blicke auf sich ruhen gespürt, weil er nie etwas davon gesagt hatte, dass er mit der Pflegerin befreundet war.

Aber er würde es nicht ändern, wenn er es könnte.

Sie erzählte ihnen bereitwillig etwas über den Zustand seiner Mutter – dabei fielen Details, die sie ihm immer vorenthalten hatte. Sie konnte ganze Gesprächsblöcke zitieren – Kim und Radiant dachten vermutlich, es seien eigene Zusammenfassungen. Aber Ray war sich ziemlich sicher, dass die Gespräche genauso abgelaufen waren. Sie hatte einfach ein Superhirn, das sich alles merken konnte. Er war der Beweis – er hatte in der Schule den ganzen Tag mit ihr verbracht, sie hatte niemals auch nur ein Buch aufgeschlagen, aber immer alle Antworten gewusst. Immer genau das aufgeschrieben, was der Lehrer gesagt hatte. Sie war ein Genie. Und dennoch hatte sie sich gegen ein Studium entschieden.

Er schaute in die Dunkelheit, an die Stelle, an der sie liegen sollte.

„Wenn ich es höre, kann ich es“, murmelte er vor sich hin, „Also ich muss etwas können, um zu lernen!“

„Letzte Klasse, vorletzter Schultag, Pause nach der vierten Stunde“, erklang es von ihrer Seite, „Du hast dich darüber gewundert, dass ich nicht auf die Universität gehe.“ Sie schwieg für einen Moment. „Und es ging anders.“

„Ach ja?“ Er lächelte. Das machte sie immer. „Angeberin.“

„Gut, dann sage ich es eben nicht.“ Jetzt hatte er sie schon wieder genervt.

Das hatte er den ganzen Tag über ziemlich oft geschafft. Nach dem Frühstück hatten sie begonnen, die Stadt zu erkunden. Sie hatten mit dem Nordblock angefangen, weil der der nächste war. Und nachdem sie schon durch die ganze Stadt gelaufen waren, mussten sie mit etwas Kleinem beginnen. Deshalb waren sie am frühen Abend auch schon fertig und zurückgekehrt. Kylie hatte ihn gedrängt, noch einmal mit Kim zu Abend zu essen, aber er hatte abgelehnt. Darum waren sie zu einem Imbiss gegangen – dort hatten sie zufällig Ken getroffen. Der hatte sich natürlich über Kylie gewundert, diese hatte ihm dann die Geschichte erzählt. Ray erwartete schon jeden Moment eine Nachricht von Mark. Wenn Ted noch da gewesen wäre, dann hätte er vermutlich schon längst zehn „Treffen wir uns? Bring Kylie ruhig mit!“-Nachrichten bekommen.

Während des Tages hatte es auch angefangen zu schneien. Das Gold des Himmels war einem matten Grau, das einen goldenen Schimmer aufwies, gewichen und Schneeflocken waren heruntergefallen. Einige Leute freuten sich darüber, andere verfluchten den Schnee. Ray lebte einfach damit, Kylie genauso. Auch wenn sie sich tierisch darüber aufregte, dass sie genau in der Woche kommen musste, in der Schnee kam. Aber zumindest hatte sie am Anfang eine unverschneite Stadt miterleben können.

„Und … du hast echt nicht gerafft, dass Kim ein Kind erwartet?“, kam es von Kylie her. Sie konnte einfach nie die Klappe halten. „Also wirklich … So etwas sieht ja sogar ein Blinder mit einem Krückstock!“ Sie lachte.

„Ja, aber – wie du weißt - …“, begann er, wurde aber, wie erwartet, unterbrochen.

„… habe ich sie ewig nicht mehr gesehen, weil ich sie ignoriere, weil ich ein dummer Ignorant bin, der nicht schätzen kann, was ihm am Silbertablett serviert wird“, beendete sie den Satz für ihn. Auch wenn er es nicht genau so ausgedrückt hätte.

„Hey, ich war mit allem zufrieden, was bis heute passiert ist, bevor wir dieses Haus betreten haben“, rechtfertigte er sich, „Nur du musst alles durcheinander bringen.“

„Finde dich damit ab“, meinte sie dann – beinahe kühl, „Soll ich dir von Maria ausrichten. Ich werde ihr sagen, dass Radiant Nachwuchs erwartet. Sie wird sicher erfreuter reagieren als du.“

„Hältst du mir gerade eine Moralpredigt?“, wunderte er sich. Was war nur los mit ihr? War sie wirklich Kylie? Die, die er vor sechs Monaten am Bahnsteig zurücklassen musste? Die, die ihn ermutigt hatte, sein Leben zu leben, wie er es wollte? Warum mischte sie sich plötzlich ein? Bis er sich besser mit Kyrie verstanden hatte, war sie seine Bezugsperson, wenn es um seinen Vater ging! Warum fiel sie ihm jetzt in den Rücken?

„Nein“, sagte sie gerade heraus, „Aber jemand muss dir die Augen öffnen.“

„Gute Nacht“, wies er sie ab und drehte sich weg. Das ging sie nichts an. Also sollte sie sich auch raushalten. Niemanden ging das etwas an.

Er war einfach nur wütend, verletzt und … untröstlich. Und genauso sollte das auch bleiben!

Als er damals … vor sechs Monaten seinen Vater gesehen hatte … Da war er einfach nur noch wütender und enttäuscht als ohnehin schon … Der Mann, der Schuld hatte. Das war sein Vater. Und das würde auch so bleiben!


Nachwort zu diesem Kapitel:
Noch drei Kapitel, dann fehlen noch 20!!
Ob das gut geht bis Jahresende? Wir werden es erfahren! XD

Ich hoffe, dass es euch gefallen hat <3
Liebe Grüße
Bibi Komplett anzeigen

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