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Federschwingen

von

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„Erinnerst du dich eigentlich noch an … die Antwort auf diese bestimmte Frage?“, wollte Ray von ihr wissen. Er schaute Kyrie an. Sie saß neben ihm und schaute betont nachdenklich drein, dazu hatte sie die Arme verschränkt. Diese schwarze Jacke, unter der ihr weißes Shirt beinahe strahlend zu Geltung kam, passte sehr gut zu ihr. Und zum Wetter. Der Einsturz war relativ rasch gekommen – perfekt für die Ferien.

Er hoffte bloß, dass es nicht schneite. Es würde ihm zwar ein Stückchen Heimat zurückgeben, doch … wenn er schon einmal aus dem Roten Dorf raus kam, dann konnte das Wetter auch genauso gut halten und die Sonne zumindest ein wenig länger zum Vorschein bringen.

„Tut mir leid“, kam es von ihr. Sie lächelte entschuldigend. „Aber ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“

„Aber die Heilige Schrift kannst du auswendig“, kommentierte er trocken. Ehe sie sich zur Wehr setzen konnte, fuhr er fort – das entrüstete Aufblitzen in ihren Augen genießend: „Ob wir uns außerhalb der Schule …“ Das klang blöd. „Fernab der Mauer …“ Genauso. „Nicht hier“ … Das war vermutlich das Treffendste. „… treffen wollen.“

„Ich habe zugestimmt“, erinnerte sie sich. Dann zog sie einen Schmollmund. „Du hättest die Frage einfach sofort wiederholen können.“ Gleich danach murmelte sie irgendetwas von wegen „dramatischer Effekt“.

Er lachte. „Vermutlich!“

„Aber ich ziehe meine Aussage deshalb nicht zurück“, beruhigte sie ihn, wobei sie ihm sanft auf die Schulter klopfte, was ihn kurz zusammen zucken ließ. Es tat nicht weh, auch wenn es seine linke Schulter war, doch … es kam überraschend. Und war angenehm.

Ein solches Schulterklopfen vermisste er mittlerweile seit fünf Monaten.

„Das stimmt mich positiv“, gab er grinsend zurück, „Vorschlag?“

„Morgen beginnen die Ferien“, stellte Kyrie fest, wobei sie wieder ihre Hände verschränkte, „Aber es ist zudem Sonntag, was bedeutet, dass ich sehr früh aufstehe.“

Er nickte. „Du stehst immer früh auf, hör auf, es zu leugnen.“

„Misch dich nicht ein“, murmelte sie kühl, „Darum geht es hier nicht.“

Er lachte. „Wie steht es mit Montag? Für dich habe ich immer Zeit.“

Sie schaute ihn überrascht an. „Unternimmst du nichts mit Ted oder … Ken oder-…“

Er unterbrach sie mit einem Nicken. „Nein, Ken und Maggie haben reiche Eltern und arbeiten nebenbei – sie fahren über die Ferien ins Lichte Dorf.“ Da war doch etwas … „Ah!“, machte er, „Da wohnt doch deine Oma, oder? Die besuchst du doch auch, oder?“

„Ja“, antwortete sie, „Aber … ich bin mir noch nicht sicher wann.“

Er schob eine Augenbraue nach oben. „Das kommt dich dann aber teuer zu stehen.“

Sie winkte sofort ab. „Ich werde es verkraften … Aber darum geht es jetzt auch nicht!“

„Wenn ich mit dir rede, geht es immer nur um das eine“, bemängelte er amüsiert.

Sie blinzelte verwirrt. „Was?“

Dieses Mädchen! „Los, sprich! Wann hast du Zeit? Du bist diejenige mit dem übervollen Terminkalender.“

„Was machen wir überhaupt?“, warf sie ein.

„Darum geht es jetzt nicht“, entgegnete er.

Sie schaute unbeeindruckt. „Hast du ein Problem mit meiner Ausdrucksweise?“

Er erwog, es nicht zu tun, aber irgendetwas in seinem Inneren drängte ihn dazu – er tätschelte ihr den Kopf und kommentierte: „Du bist so ein süßes Mädchen.“

Sie schaute ihn erbost an – die Zornesröte stieg ihr ins Gesicht. „Montag ist in Ordnung!“, gab sie sich geschlagen.

„Wenn nicht, einfach schreiben!“, schlug er vor.

Sie nickte. „Oder du, falls du doch noch Hobbys erhältst, die du bisher vergessen hast.“

Er lachte. „So verkalkt bin ich jetzt auch wieder nicht!“

Sie lächelte kurz. Dann holte sie auf: „Nachdem wir das jetzt geklärt hätten … Was machen wir wo?“

„Eine solch kalte Jahreszeit lädt dazu ein …“ Er überdachte kurz, was man in dieser Stadt alles tun konnte – na ja, in dieser Stadt konnte man schlichtweg alles tun. Kino – aber es lief kein guter Film. Dabei zusehen, wie ein Film gedreht wurde – aber es wurde kein guter gedreht. Eis essen – es war kalt. Sich in ein Café setzen, die Zeit totschlagen und dabei Imbisse zu sich nehmen … Da kam er wohl schon näher ran. Oder in ein schickes Restaurant gehen, um zu essen. … Nein, das war wohl zu teuer. Er hatte ehrlich keine Lust, bei seinem Vater um Geld zu fragen. Natürlich konnten sie auch am Abend etwas machen. Aber er wollte mit ihr nirgendwo hingehen, wo er für gewöhnlich hinging – das waren keine Orte für sie. Außerdem war es dort laut. Und er wollte schließlich Zeit mit ihr verbringen, mit ihr sprechen … Das Café schien zu siegen. „Wir überlegen uns beide etwas bis Montag“, schlug er vor, „Dann wählen wir spontan.“

„Wo treffen wir uns dann?“, wollte sie wissen.

„Ich weiß, wo du wohnst, also kann ich dich um … 16 Uhr dort abholen?“, unterbreitete er ihr.

Sie nickte. „Ja, Montag, 14 Uhr – vor meinem Haus.“

„Oder hast du jetzt schon einen Vorschlag?“

Sofort schüttelte sie den Kopf. „Nein, nein, lass es uns bis Montag überlegen!“

„Also schön!“ Er grinste.

Sie grinste ebenfalls. „Ich freue mich schon.“
 

Nathan seufzte. „Seit ich Assistent bin, hat es nur zwei Halbengel gegeben“, erklärte er, „Und jetzt noch dieses eine kleine Mädchen, das in zwanzig Jahren auf die Probe gestellt werden soll – Gott stehe ihr bei.“ Er legte eine kurze Pause ein. „Und ihrem Assistenten.“ Daraufhin grinste er – das Lachen ertönte erst, als Kyrie ihn beleidigt anschaute.

Er legte einen Arm um ihre Schultern. „Ach komm, das war doch bloß ein Witz.“

Sie warf ihr Schwert fort, woraufhin es beinahe sofort verschwand. „Ich … Ich bin einfach …“, begann sie, sprach aber nicht weiter.

„Zum hundertsten Mal“, beruhigte er sie, wobei er sie an den Schultern packte und vor sich hin stellte, „Schau mich an – ich bin dein Mentor!“

Sie tat es. In ihren Augen steckte Niedergeschlagenheit.

„Du bist gut“, versicherte er ihr, „Den Umständen entsprechend sogar sehr gut – aber … die Umstände sind einfach zu einschränkend, um ein besseres Ergebnis erzielen zu können.“

„Also willst du damit sagen, dass ich unser festgesetztes Ziel niemals erreichen werde?“, fragte sie lustlos, „Dass ich einfach aufgeben, dem Himmel fernbleiben und in fünfundzwanzig Jahren mein jähes Ende finden soll?“ Die Frustration war deutlich zu hören.

„Gegen Joshua würdest du in fünfundzwanzig Jahren vielleicht gewinnen“, stellte er erfreut fest.

„Du willst mich also fünfundzwanzig weitere Jahre als Klette bei dir haben?“, wollte sie wissen, „Willst … willst jeden Tag zu mir kommen, um mich abzuholen? Bei mir bleiben, sodass ich ihnen nicht schutzlos ausgeliefert bin?“

„Es macht mir nichts aus“, rechtfertigte er sich, „Wirklich nicht – ich habe keinerlei Problem damit.“ Die hundert Jahre war er bereit, für sie zu opfern. Sie verdiente ein glückliches Leben. Wie glücklich sie ohne wahre Freiheit auch sein konnte.

Für einen Moment sagte sie nichts. Dann rief sie ihr Schwert erneut. Das konnte sie mittlerweile wirklich gut. Sogar schon kurz nachdem sie den Himmel betrat. Manche Engel ließen sich einen ganzen Zyklus Zeit, um das beherrschen zu lernen – doch … sie ließen sich Zeit. Sie hingegen tat ihr Bestes. Und wenn man sich bemühte, war man eben weiter fortgeschritten als andere. Aber manchmal konnten auch Faulpelze Glück haben – wie auch Anfänger. So war der Lauf der Dinge.

Doch mit guter Vorbereitung konnte man sich auf beinahe alles gefasst machen!

„Wenn wir doch bloß wüssten, wer Jeff und Milli und Drake sind“, lamentierte Nathan, „Dann könnte Thierry einen Übungskampf fechten und dann mit dir ihre Kampftechniken durchgehen“, murmelte er gedankenverloren. Das hatte ihm Acedia ganz am Anfang gezeigt. Wie sie kämpfte. Sie hatte zwar betont, dass sie kein Fan von der Schwertkunst war, sondern mehr Wert auf die Beherrschung des Erlöschens und Aufbauens war – was ihn damals ungemein beruhigt hatte -, doch sie hatten gekämpft. Sie wollte wissen, was er so drauf hatte.

Er hatte eigentlich sehr viel zeigen müssen, was er dann Kyrie beigebracht hatte. Bloß mit dem Unterschied, dass er zuvor Jahrhunderte damit zugebracht hatte, genau das zu erlernen und zu verbessern.

Sein Problem war allen Anscheins nach sein Müßiggang gewesen – wenn er genauso stur an sich gearbeitet hätte wie Kyrie, wäre er mittlerweile vermutlich viel weiter. Und er hätte nicht all seine Jahre verschwendet. Aber damals hatte er es noch nicht verstanden – was es bedeutete, bloß eine begrenzte Zeit für etwas zu haben.

Achtzig Jahre, um aus ihr die perfekte Schwertmeisterin zu machen.

Er grinste.

„Was?“, fragte sie ungehalten, wobei sie bereits in Kampfstellung vor ihm stand.

„Nein, nur …“ Achtzig Jahre? Bei ihrem Talent würde sie zweihundert brauchen – mindestens. Bei ihrem Pazifismus – vierhundert. Aber bei der Sturheit mit der sie an die Sache heranging, mit der sie all ihre Abneigung überwand und zum reinen Selbstschutz zur Waffe griff … Vielleicht würde es bloß weiterer zwanzig Jahre bedürfen. „Erinnerst du dich noch an deinen Kampf mit Thi?“

Sie seufzte. „Nein, ich habe alles vergessen.“ Der Sarkasmus war nicht zu überhören. Ein seltener Ton aus ihrem lieben Munde, doch dennoch ein angewandter!

Er grinste. „Gut, dann wirst du jetzt überrascht sein!“ Und er ahmte beim nächsten Kampf seinen alten Konkurrenten nach. Nur gegen einen Nathan zu kämpfen, war nicht genug – gegen den echten Thi würde es hilfreicher sein, aber beim letzten Mittwochstreffen war er nicht da gewesen. Um genau zu sein war es das seltsamste Mittwochstreffen überhaupt: Es waren bloß Kyrie und er aufgetaucht. Also hatten sie eine ganz normale Übungsstunde daraus gemacht. Nächste Woche würden die anderen es ihnen schon mitteilen, was sie so zu erledigen hatten. Und vielleicht würden die anderen einwilligen, mit Nathan zu kämpfen, sodass er ihre Stile sich aneignen konnte, um Kyrie perfekt vorbereiten zu können – allerdings in der Zwischenzeit … Er selbst hatte so viele Kämpfe gefochten, damals, vor so langer Zeit, dass er sich sicher war, einige Asse aus dem Ärmel ziehen zu können. Sie würden es aushalten.
 

„Und was hast du heute im Himmel alles gelernt?“, fragte Magdalena lächelnd, während sie ihr Brot schmierte.

Kyrie zuckte mit den Schultern. „Nichts Besonderes. Ich habe etwas Zeit mit Nathan verbracht …“

„Es ist wirklich sehr freundlich von ihm, dass er dich immer abholt und wieder herbringt“; betonte John, „Anders als andere Personen.“

Sie schaute ihn ungehalten an. „Er ist in letzter Zeit sehr beschäftigt“, erklärte sie dann, „Sonst würde er länger mit euch sprechen.“

John wandte seinen Blick auf seine Tochter. Sie wirkte seltsam angespannt. So als … würde sie lügen. Sich unbehaglich fühlen. Aber sie brauchte doch vor ihm keine Geheimnisse zu haben! Er fand alles, was sie tat, wundervoll. „Gibt es Probleme?“, wollte er dann wissen.

Schock veränderte ihr Miene – doch sie bekam sich sogleich wieder ein und zeigte eisige Ruhe. „Nein, alles bestens. Keine Überfälle, keine Schwierigkeiten. Und bei euch?“

Er lachte. „Danke, hier läuft auch alles gut.“

Magdalena nickte zustimmend, während sie ihr Brot verschlang. Sie musste sich beeilen, weil sie heute noch im Restaurant aushelfen musste.

Er selbst hatte für heute frei. Die Messe gab es erst morgen. „Gehst du heute wieder weg?“, wollte er wissen, „Zu einem … Konzert.“

„Keine Sorge, morgen gehe ich wieder zur Kirche“, versicherte sie, „Aber am Montag bin ich tagsüber wieder weg. Und mittwochs. Wie immer.“

„Solange du mit dem Lernen klarkommst“, erinnerte John sie streng. Um seine Worte zu unterstreichen, verschränkte er die Arme, „Hast du in den Ferien sonst etwas vor?“

„Ich …“, begann sie, brach dann aber wieder ab.

Er schaute sie auffordernd an.

„Nun … Ich habe gehofft, dass Nathan mit mir ins Lichte Dorf geht. Zu Großmutter …“, erklärte sie kleinlaut.

„Teleportieren“, murmelte John überrascht, „Wirklich, wirklich …“ Er schüttelte den Kopf und schaute gen Himmel. „Es gibt Dinge, die man einfach nicht begreifen kann, wenn man sie nicht selbst erlebt.“ Er seufzte. Engel … sie waren wirklich überall.

Kyrie hatte es ihnen bereits am Anfang erzählt – was es mit dem Teleportieren auf sich hatte. Er hatte es sich nicht wirklich vorstellen können – bis Nathan dann ständig in ihrem Haus erschien, ohne je durch die Tür gekommen zu sein.

Und dass sie das über die ganze Welt verteilt tun konnten … Auch seine Tochter.

Er fasste sich an die Stirn. Allein der Gedanke daran, dass es Wirklichkeit war, bereitete ihm Kopfschmerzen. Aber Gott hatte die Engel eben zu Beschützern der Menschen ausgebildet – und dafür mussten sie zu jeder Zeit jede Stelle erreichen können.

„Grüß Mutter dann schön von mir, ja?“, bat seine Frau. Sie hatten akzeptiert, dass Menschen den Himmel weder betreten konnten noch durften. Es wäre so vieles einfacher, wenn das möglich gewesen wäre …

„Natürlich“, meinte Kyrie, „Aber … wenn sie anruft – ich habe das Zugticket.“

John lachte laut auf. „Mirabelle würde einen Herzinfarkt erleiden, wenn es anders wäre!“

„Ihre Enkelin als Schwarzfahrerin“, murmelte Magdalena amüsiert, „Wie unvorstellbar.“

Kyrie nickte. „Habt ihr ihr etwas davon erzählt, dass Nathan weggegangen sei?“, wollte sie dann wissen.

John schüttelte den Kopf. „Ich habe geschwiegen.“ Er schwieg sehr oft, wenn seine Schwiegermutter zu Besuch war. Aber die alte Dame brachte immer wieder Abwechslung ins Haus.

Auch seine Frau wies zurück: „Nein. Kein Wort. Er kann also gerne mitkommen.“

„Vielleicht hörst du dann ja auf sie“, brachte John noch ein, ehe ihn vier wütend dreinblickende Augen zum Schweigen brachten. Dass Magdalena gegen ihn war!

Aber er … er würde es wirklich gut heißen, wenn Kyrie und Nathan ...

„Wann bringst du eigentlich einmal deine Freunde aus dem Himmel mit?“, wechselte Magdalena schnell das Thema, „Liana und die anderen, meine ich.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich hoffe bald“, gab sie zu, „Aber ich bin mir nicht sicher, ob sie Zeit haben.“

Magdalena zog einen Schmollmund. „Für mein Schätzchen müssen sie sich doch Zeit nehmen!“ Dann erhob sie sich. „Ich mache mich auf den Weg. Bis später, ihr beiden. Seid brav.“

Sie verabschiedeten sich von ihr, umarmten sie und beobachteten sie beide dabei, wie sie von Dannen ging.

John sah zu Kyrie. „Schauen wir einen Film?“, schlug er vor.

Sie nickte. „Es sind Ferien“, begründete sie daraufhin, „Was sehen wir uns an?“

Er zuckte mit den Schultern. „Such du es aus. Nach deinen Prüfungen hast du es dir verdient!“

Er war einfach stolz auf seine Kleine. Dass sie zu seiner einer klugen, fleißigen, lernwilligen jungen Dame heranwachsen würde … Einfach unglaublich! So erinnerte sie ihn sehr an ihre Mutter. Damals, als sie noch jung war!


Nachwort zu diesem Kapitel:
So schnell kommt man in Verzug!! Oh je, oh je!!

Ich hoffe, bei euch läuft's soweit noch gut? :2

Danke fürs Lesen <3

Liebe Grüße
Bibi the Geni Komplett anzeigen

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