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Federschwingen

von

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Schwertkunst … Kyrie zog sich irgendetwas an, das gerade herum lag und nicht durch ihre Flügel zerstört werden würde.

„Ich werde dich keine Sekunde aus den Augen lassen. Diese Mistkerle werden dir niemals wieder etwas antun – das schwöre ich hiermit auf Gott, Sin und die Todsünden“, wiederholte sie seinen Schwur leise. Daraufhin hatte er sie auf die Stirn geküsst.

Er hatte ihr erklärt, dass dies das mächtigste Versprechen wäre, welches existierte, da man auf die mächtigsten Wesen überhaupt seinen Schwur legte. Und er würde ihn einhalten. Er würde sie in den Himmel bringen, sie begleiten … Zwar hatte Nathan bedauert, dass sie dadurch ihre neu gewonnene Freiheit nicht ausnutzen können würde und dass sie dadurch auch von seinem Zeitplan abhängig wäre – doch Kyrie war es egal. Noch dazu hatte er hinzugefügt, dass er es einfach als normale Trainingsstunde weiterführen würde. Dann würde jeder akzeptieren müssen, dass er dafür viel Zeit aufwenden musste.

Sie würde den Himmel spüren können. Und das war alles, was zählte … Sie musste nicht verzichten, sie durfte wieder nach oben und … Nathan würde bei ihr bleiben …

Vor Glück hätte sie am liebsten geweint – doch sie fühlte noch immer Unbehagen. Was, wenn er sie doch nicht immer beschützen konnte? Wenn Xenon sie attackieren würde, bevor sie mit dem Schwert richtig umzugehen wusste? Was, wenn sie kein Talent dafür entwickelte, mit dem Schwert zu kämpfen? Sie wollte ja eigentlich gar kein Schwert! Aber … wenn es die einzige Möglichkeit war, sich gegen ein Engelsschwert zu verteidigen …?

Sie würde es dann wohl erdulden müssen.

Sie schauderte kurz.

Sie hoffte, dass Xenon und seine Leute sie einfach nie mehr wieder bemerken würden. Sie wollte keine Waffe verwenden. Das ging gegen ihre Prinzipien des Friedens … Sollte sie Nathan das sagen? Ihm erzählen, dass sie lieber auf den Himmel verzichtete und starb, als sich zu verteidigen?

Er würde lachen.

Als sie den letzten Schliff an ihrer Kleidung getan hatte, ging sie nach draußen in den Gang – wo Nathan gemütlich mit ihren Eltern plauderte.

Oh. Es war schon sehr weit nach Mitternacht. Vermutlich waren sie zu laut gewesen.

Sie schritt auf die drei Gestalten zu, welche sich unterhielten.

„… und so alt! Kyrie hat uns das gar nicht erzählt!“, sagte ihre Mutter gerade überrascht, als Kyrie in Hörweite trat, „Kyrie! Nathan ist hier!“

Sie nickte. „Ich weiß“, erwiderte sie ruhig.

„Ja, und Nathan lässt euch auch gleich wieder schlafen! Ich entführe nur kurz Kyrie.“ Er grinste.

Sie stellte sich neben ihn.

„So spät noch?“, wunderte sich John misstrauisch, wobei sein Blick sofort zu ihrem Arm schoss. „Was, wenn …?“

„Keine Sorge – ich passe auf sie auf. Ihr wird so etwas nie mehr wieder zustoßen. Das schwöre ich auf Gottes Heiligen Namen“, antwortete Nathan statt ihr – und das sehr überzeugt.

John blinzelte misstrauisch – seufzte dann aber. „Na gut. Dir würde ich meine Tochter immer anvertrauen, Nathan.“ Dann verzog er seine Augen zu schlitzen.

„Danke für dein Vertrauen, John“, sagte er förmlich – dann lächelte er noch einmal in die Runde. „Aber erholt euch gut und schlaft gut. Ihr habt morgen viel vor! Ich werde persönlich dafür sorgen, dass Kyrie rechtzeitig in der Uni ankommt.“

John nickte streng. „Das will ich auch hoffen.“

„Nathan, du kannst ruhig noch öfter vorbei kommen!“, warf ihre Mutter noch schnell ein.

Nathan grinste. „Ich denke, das Angebot kann ich gar nicht ausschlagen.“

Kyrie lächelte fröhlich. Gut, dass er es so sah … In letzter Zeit hatte es auf sie mehr so gewirkt, als würde er die Erde meiden – er hatte es auch so gesagt, aber … Meinungen änderten sich wohl … Wenn auch nur wegen ihr. Um sie zu beschützen. Bedauern stieg in ihr auf. Immer musste sie alles so kompliziert machen. Warum musste sie andere mit sich ins Unglück stürzen?!

„Gut, dann – viel Spaß, Kyrie! Und sei vorsichtig!“, warnte ihre Mutter sie.

„Und komm nicht zu spät zum Studium“, fügte ihr Vater tadelnd hinzu.

Kyrie nickte – ihre Eltern gingen daraufhin wieder zu Bett, während sie sich mit Nathan nach unten in die Eingangshalle bewegte. Er schaute sie an.

„Was ist?“, wollte Kyrie leise wissen.

„Wieso hast du ihnen nichts gesagt?“, fragte er leise, „Sie wirken so verständnisvoll und gut.“ Er schaute kurz zurück. „Ich bin immerhin auch ein Engel, genauso wie Xenon und der Rest.“

Sie schwieg für einige Sekunden. „Ich will ihr Bild von Engeln nicht verfälschen.“

„Es tut mir leid“, murmelte Nathan daraufhin.

Sie schaute ihn stirnrunzelnd an. Was tat ihm leid?

„Dass ich es zugelassen habe, dass sie dein Bild verfälschen.“

„Ich kenne dich, Liana, Deliora, Thierry und Joshua. Ich weiß, dass Engel prinzipiell gut sind“, beruhigte sie ihn daraufhin, „Ich weiß jetzt aber auch, dass Engel für ihre Überzeugungen einstehen – und das ist an sich doch auch gut … oder?“

Er zuckte mit den Schultern. „Schön, dass du es so siehst.“ Sein Gesicht wirkte im Schein des Lichtes grimmig.

Auch wenn ihr dieses Denken keineswegs half, ihre Angst zu überwinden. Diese Worte sprach bloß ihre vernünftige, gläubige Seite aus, die für alles eine Erklärung suchte. Die jeden in Schutz nehmen wollte und die sich selbst als den Sündenbock der Welt sah – falls man das vernünftig nennen konnte. Aber … das einzige Gefühl, das wirklich in ihr vorherrschte war blanke Panik.

Kyrie sperrte die Tür auf, zog sich ihre Stiefel an und eine Jacke an und ging dann mit Nathan nach draußen.

„Eigentlich greifen Engel nicht mit ihren Schwertern an“, erklärte er ihr, sobald sie die Tür verschlossen hatte, „Die Schwerter sind heilig und sollen nur gegen Dämonen eingesetzt werden und …“

Sie unterbrach ihn betrübt. „Sie denken, ich sei ein Dämon …“

„Haben sie dich mit dem Schwert getroffen?“, wollte er dann wissen.

Sie schaute ihn irritiert an. Er sah sie nicht an. „Getroffen …“, murmelte sie, „Gestreichelt wohl eher …“ Sie seufzte und berührte kurz ihre Wange, an welcher er sie geschnitten hatte. Es war nichts mehr davon zu spüren. Sie war außerdem froh, dass sie es geschafft hatte, die Erinnerungen, die dieser Strich mit sich gebracht hatte, wieder weitestgehend zu vergraben. Tief in ihrem Herzen.

„Danach ist etwas Seltsames passiert, nicht wahr?“ Er schaute sie dann neugierig an. „Du hast deine Vergangenheit gesehen – so als würdest du jeden Moment wieder erleben.“

Kyrie stoppte abrupt. „Was?“

Nathan ging noch einige Schritte weiter – durch die Dunkelheit erkannte sie wieder nur sein schiefes Lächeln, seine leuchtenden Augen und die Kleidung, die noch immer glänzte, als sei sie ein Teil des Himmels, als er sich umdrehte. „Die Schwerter haben eine ganz besondere Funktion.“

Kyrie öffnete leicht den Mund. „Sie … sie saugen Erinnerungen auf?“

Er lachte kurz. „Nicht ganz. Sie rufen sie hervor und machen sie für den Angreifer sichtbar.“ Er pausierte. „Ich habe dir doch bestimmt einmal erzählt, dass man vor die Todsünden kommt, wenn man jemanden beim Training mit dem Schwert verletzt.“

Sie nickte zaghaft.

„Das ist der Grund dafür“, erklärte er ihr leise, „Es ist im Himmel völlig egal, ob du jemanden einen Arm abhackst oder gleich den Kopf … Man heilt sowieso wieder. Aber die Erinnerungen, die aufgesogen werden, vergisst man deshalb nicht. Derjenige, der dich verletzt, kann in die tiefsten Tiefen deines Herzens und Geistes blicken – er erlebt alles, was du bereits erlebt hast, solange dich die Waffe berührt … und er erinnert sich daran.“

Kyrie sog scharf die Luft ein.

Nein … nein … Das … das durfte nicht sein … Dieser Drake … er konnte doch nicht wirklich …? Melinda … alle anderen … ihr Frust gegen Nathan … Wie sehr sie Ray vermisst hatte … Ihre Liebe zu Gott … Alles? Wusste er jetzt alles über sie?

„Wie lange … hat er deine Erinnerungen denn angesehen?“

„Woher weiß ich das?“, kreischte sie leicht verzweifelt, „Woher?!“

„Du siehst alles, was er sieht“, klärte Nathan sie informativ auf.

„Er hat nur einen kurzen Überblick über … alte Zeiten aufgerufen … Es waren bestimmt nur wenige Sekunden … Er musste weg.“ Sie unterdrückte ein erleichtertes Seufzen. Er hatte all ihren Schmerz der damaligen Zeit gefühlt … all ihre Einsamkeit gesehen, aber … zumindest nur das … Ihre allertiefsten Gefühle hatte er … nicht gefunden.

„Die Todsünden sind in der Lage, seine Erinnerungen daran zu löschen. Das ist ihre Aufgabe in dieser Sache. Aber … wenn es bei ihm eine absichtliche Handlung ist, steht darauf … eine andere Strafe.“

„Ich will nicht, dass er stirbt“, wandte Kyrie sofort ein, „Ich könnte das doch nie mit meinem Gewissen vereinbaren! Lass ihn vergessen – aber nicht mehr!“ Sie schaute ihn sogleich panisch an – wie konnte er das nur vorschlagen!?

„Sie hassen dich nicht aufgrund deiner selbst, Kyrie“, erklärte Nathan ihr daraufhin sachlich, „Sie hassen dich aufgrund deines Seins. Egal wie gut du zu ihnen sein wirst – sie sehen dich nicht. Sie sehen deine Art.“ Er wartete für einen Moment. „Aber lass uns das woanders besprechen.“

… Sie hassten nicht sie selbst … Ja … das war ihr aufgefallen …

„Nathan … Wirst du sie finden?“, fragte sie, als er los schritt und sie ihm nachfolgte. Sie schluckte stark, als sie die Türschwelle übertrat, aber Nathan, der ihr so nah war, gab ihr seelischen Halt. Er war für sie da. … Er würde sie nicht zurücklassen. Und so ging sie ihm nach. Auch wenn sie sich noch immer zu unsicher fühlte. Zu verletzlich. Nathan war hier.

Er widmete ihr einen kurzen Blick. „Es kommt darauf an, wie du sie beschreibst.“

„Ich … Ihre Gesichter haben sich eingebrannt“, murmelte sie, „Ich kann sie erkennen.“

„Wenn nicht sogar mehr“, meinte er, „Zeig sie mir.“ Ein strenger Blick strafte sie danach. „FALLS du sie verraten willst“, fügte Nathan hinzu, „Auf ihr Tun steht die Verbannung auf die Erde für fünfundzwanzig Jahren mit nur einer Chance, zurückzukehren – einer so geringen Chance, dass sie also wirklich in fünfundzwanzig Jahren verenden werden.“

Sie würden also unfreiwillig auf den Himmel verzichten und ihrem Tod ins Auge blicken … während sie dies freiwillig getan hätte und …

„Gott wird sie aufnehmen“, antwortete sie leise, verschränkte ihre Arme und starrte auf den Boden.

„Wenn sie auf der Erde sterben nicht“, murmelte Nathan.

„Was?!“, fragte Kyrie entsetzt. Sie starrte Nathan mit offenem Mund an. Was … was sagte er da?!

„Gott nimmt die Seelen der Menschen, die auf der Erde sind. Die Seelen der Engel, die im Himmel sind – und keine andere. Stirbt ein Engel auf der Erde, so bleibt seine Seele auf der Erde bis in die Unendlichkeit gefangen – ohne Hoffnung auf Rückkehr oder auf Einkehr ins Paradies. Darum ist diese Strafe auch besonders grausam …“

… Sie … sie hätte ihre Seele geopfert? Wegen dieser Leute?

Und jetzt opferte sie im Gegenzug das Leben jener Leute?

… Nein … Das konnte sie nicht. Das durfte doch nicht … Warum war die Welt nur so unfair?! Warum … konnte nicht einfach einmal etwas einfach sein? Etwas …

Diese seltsame Leere umhüllte sie wieder. Eine seltsame Leere, gegen die sie sich nicht wehren konnte … Die sogar ihre Angst überdeckte … und die ständig „Mörder“ schrie.

„Lassen wir sie ziehen …“, hörte Kyrie sich selbst wispern, „Lassen wir sie … Was will er mit diesen wertlosen Erinnerungen auch anfangen? Sie werden ihm nichts nützen und mir nicht schaden.“

„Bist du dir sicher …?“, fragte Nathan überrascht, „Überlege dir das lieber noch einmal – sie haben dich attackiert, bedroht – wollten dich aus dem Himmel vertreiben!“

„Ich will nicht, dass sie ewig leiden“, erklang ihre bröckelnde Stimme in seltsamer Ferne, „Wenn es eine einfache Variante der Strafe gibt, sollen sie sie erhalten, aber nicht diese … grausame …“ Wie konnten Engel nur so grausam entscheiden? Nicht zu Gott zurückzukehren? Was sollte das? Das war nicht Gott! Nicht so, wie er sein sollte!

… Aber … wenn sie sie damals getötet hätten … auf jener Treppe … Wie sie angedroht hatten … Sie hätte ebenfalls jenes Schicksal erlitten … Auf ewig auf der Welt … unsichtbar, klein … und tot. Ungeliebt von Gott …

Sie spürte, wie sie zitterte. Sie könnte auf ewig tot sein. Wegen ihnen. Und wenn sie herausfanden, dass sie erneut in den Himmel zurückkehrte … Die Angst lähmte sie.

Plötzlich legte Nathan einen Arm um sie und zog sie an sich. „Ich beschütze dich, Kyrie“, schwor er, „Ich werde dich Tag für Tag hier sicher unten abholen, werde dich sicher wieder zurückbringen und das, bis du die Schwertkunst so beherrschst, dass du dich ohne Weiteres verteidigen kannst. Und auch dann werde ich dich nicht mehr aus den Augen lassen, bis du dir sicher bist.“

„Nathan …“, hauchte sie und schmiegte sich an ihn, „Danke …“ Auch wenn seine Worte die Angst kaum überlagern konnten, die in ihr brodelte.
 

Nicht einmal mit Kyries Magie zusammen hätte er dieses Mal den kurzen Weg in den Himmel gehen können – das letzte Mal war sie voll aufgeladen, dieses Mal aber hatte sie keinen Kontakt zu den Todsünden gehabt, weshalb sie ebenfalls bereits Energieverlust erlitten hatte … Und er hatte seine aufgebraucht, um in Kyries Zimmer zu gelangen.

Also trottete er den Fußweg entlang – so hatte er in späterer Folge zumindest den Tatort näher begutachten können.

Kyrie tat ihm wirklich unendlich leid – und es war wirklich seine Schuld, dass sie so gelitten hatte. Wenn er doch nur früher auf Liana gehört hätte … Er hätte Kyrie aus ihrer Angst befreien können, hätte sie früher in den Himmel bringen können, um ihren Arm zu heilen. Was Ärzte nicht bewerkstelligen konnten, konnte die Magie des Himmels alle Mal.

Kyrie stand mit ihren ausgebreiteten Flügeln vor ihm und starrte ihre Hand an, welche sie als Test immer weiter nach oben und nach unten bewegte. Immer wieder. Immer wieder.

„Sie … sie funktioniert wieder“, staunte Kyrie, als sie ihre Schultern drehte, „Ich kann sie spüren … Den ganzen Arm … Alles …“

Nathan grinste. „Ich habe es dir doch versprochen – der Himmel heilt alles.“

„Ich fühle mich wieder … gut …“, hauchte sie, „Wieder … richtig …“ Plötzlich wirkte sie wieder betrübt. „Wieso können nicht einfach alle Menschen die Magie des Himmels spüren?“, fragte sie leise, „Andere trifft es schlimmer als mich …“

„Du opferst dafür etwas“, erklärte er ihr, „Wären andere Eltern und Halbengel so mutig wie du, wären sie alle in der Lage, auch in den Genuss des Lichtes zu kommen. Aber für dein Opfer erhältst du dieses Privileg.“

„Was opfere ich denn Großes?“, wollte sie abwertend wissen, wobei sie bloß in ihre wieder funktionierende Hand starrte, „Was ist es, das mich dazu auserkort, mich heilen zu dürfen, sobald ich es möchte?“

„Kyrie …“, sagte er, ohne genau zu wissen, wie er jetzt fortfahren wollte. Wie sollte er es ihr nur sagen? Er hatte es von Anfang an verschwiegen. Er hatte es ihr niemals sagen wollen – er wusste, wie sehr sie an der Liebe Gottes hing, er wusste, wie sehr sie die Engel liebte … Wie sollte er ihr da ihr wahres Wesen erklären?

Wenn diese … diese verfluchten Engel nur nicht gekommen wären!

Wieso nur hatte sie ihm keine Namen nennen können? Es wäre aber doch ziemlich lausig von ihnen, wenn sie sich vor ihr beim Namen nennen würden. Aber vielleicht hielt sie die Namen auch nur geheim. Um ihre Angreifer zu beschützen. Diejenigen, die sie in Panik versetzt hatten! Die sie so in Panik versetzt hatten, dass sie gezögert hatte, ihre Flügel auszubreiten. Dass sie sich vor Angst an ihn geklammert hatte, als sie den Himmel betraten. Und als sie auf die Knie gegangen und ihn darum gebeten hatte, ihr das nicht anzutun, als er ihr vorgeschlagen hatte, dass sie die Engelsmagie einsetzte, um die Gesichter ihrer Peiniger anzufertigen.

Er konnte diesen Mistkerlen nicht verzeihen. Er wollte es nicht! Das waren alles komplette Vollidioten.

… Aber zumindest Kyrie sollte erfahren, was es mit dem Angriff auf sich hatte … Was geschehen war, war geschehen. Es würde sowieso nicht mehr zu ändern sein, also …

Sie schaute ihn fragend an.

„Setzen wir uns …“, schlug er vor und führte sie dann langsam zu der Treppe, auf der sie sich schon immer getroffen hatten, „Ich muss dir etwas sagen … über … Darüber, was diese schrägen Vögel zu dir gesagt haben …“

„Dämonen?“, mutmaßte Kyrie, „Bin ich ein Dämon?“

Er schwieg.

Sie nahm es als Antwort und setzte sich genauso wortlos.

„Nicht ganz“, antwortete er letztlich, wobei er tief durchatmete.

„Nicht … ganz“, wiederholte sie gebrochen, „Was soll das bedeuten?“

„Du weißt, dass Dämonen auf Menschen mit schweren seelischen Störungen leicht übergreifen können – genauso wie sie Halbengel leicht beeinflussen können. Darum sendet man ihnen Aufpasser.“

Sie nickte.

„Wenn es bloß darum ginge, einen Engel vor einem Dämon zu schützen, so bräuchte man niemals einen Assistenten zu schicken“, betonte Nathan, ohne Kyrie anzusehen, „Man könnte den schwächsten Engel schicken. Ein Dämon auf der Erde ist nicht mächtig.“ Er seufzte. „Na ja … wenn … wenn es nur einer wäre … Halbengel … sind eigentlich keine Halbengel … Sie sind mehr eine Art Verbindung von Engeln und Dämonen, die keine Menschen sind. Um genau zu sein … ist jeder Halbengel bei der Geburt ein Dämon, da er in der Dunkelheit geboren wird. Es gibt keine Halbengel mehr, die tagsüber das Licht der Welt erblicken – ihre Geburten finden ausschließlich bei Nacht statt.“ Er schaute kurz zu Kyrie, welche nicht reagierte. „Und erst wenn ein Engel sie findet, können sie konvertiert werden. Dies muss sehr bald nach der Geburt geschehen – denn die Dämonen sind auf der Suche nach den ihren. Je mehr Dämonen es durch die Barriere schaffen, die Gott ist, desto mehr können Halbengel finden, desto mehr können zu Dämonen gemacht werden und … entsprechend gefährlich wird ihre Streitmacht. Und wenn sie ein Kind zu einem Dämonen machen, so beeinflussen sie auch gleich die Eltern.

Der Engel, der einen Halbengel aufspürt, also die dunkle Energie, die von ihm ausgeht, sendet einen Ruf an eine Todsünde, sodass diese noch in derselben Nacht kommen können, um das Geschöpf mit ihrem Licht zu erleuchten, sodass es eine Chance hat, ein Engel zu werden. Es ist Fairness, die Engel dazu verleitet, nicht sofort jedes dieser Kinder zu sperren. Sie lassen die Chance. Jedes auf Anhieb gesperrte Kind …“ Er sog scharf die Luft ein. „Die Erinnerungen an die Todsünden und an das Kind werden aus dem Gedächtnis der Eltern gelöscht. Das Kind … muss in den Himmel gebracht werden. Es wird dort für einen Tag gelassen und … wenn ein Halbengel länger als einen Tag im Himmel verbringt … Du weißt, was dann geschieht.“

Nathan schaute nicht zu Kyrie. Er konnte sich vorstellen, wie sie gerade drein blickte. Das war einer der Gründe, weshalb er ihr diese Geschichte vorenthalten wollte.

„Viele Engel fühlen sich aufgrund dessen schuldig … und hassen Halbengelgeburten genau aus diesem Grund. Sie wollen es nicht – aber man möchte die Eltern andererseits auch nicht in eine Haut zwingen, die sie nicht tragen wollen.“

„Ihr …“, murmelte sie dazwischen, „Ihr tötet … ihr tötet …!?“

Er widmete ihr einen Seitenblick – sie wirkte wütend. Einfach zum ersten Mal, seit er sie kannte, wirkte sie wütend. Wütend und geschockt.

„Ihr … ihr … lügt …“ Ihre Stimme brach. „Ihr sagt den Eltern nichts … Ihr tötet einfach alles, was sie lieben?! Ihr …“ Sie wirkte fassungslos und zutiefst empört und unglücklich und ungläubig und …

Und sie hatte doch Recht, aber … Was blieb denn sonst?

Nathan überging sie einfach. Was anderes sollte er tun? Mit ihr diskutieren? Über etwas, wogegen er nichts unternehmen konnte? „Dann gibt es die Eltern, die ihrem Kind die Entscheidung überlassen, sobald es zwanzig ist. Zwanzig … sodass es nicht stirbt, ehe es die Entscheidung getroffen hat. Es wird zum Engel, weil die Entscheidung im Raum steht. Die Todsünden senden dadurch Licht in den Körper des Kindes … und seine dunkle Energie wird zu Licht. Sollte das Kind diesen Vorgang nicht überleben … löschen die Todsünden die Erinnerungen an Engel aus dem Gedächtnis der Eltern und der Halbengel war einfach ein Opfer seiner schwachen Gesundheit…“

Kyrie keuchte. „Was?!“

„Und … wenn es lebt, lebt es einfach zwanzig Jahre dahin, wird von Jahr zu Jahr schwächer und damit erneut wieder angreifbar für Dämonen. Der Assistent hat die Aufgabe, die Zielperson bis zum Antreffen der Todsünden zu behüten – sowohl vor dem Tod als auch vor den Dämonen. Sie … zu beobachten … Und falls sie mit einem Dämon in Kontakt gerät und der Assistent dies nicht mehr rechtzeitig verhindern kann, muss er …“ Er schaute schuldbewusst zu Kyrie, in deren Augen Erleuchtung stand.

„Du … hättest mich unter diesen Umständen … getötet?“, fragte sie fassungslos.

„Es wäre mir nichts anderes übrig geblieben“, murmelte er, „Überlebt der Halbengel also die zwanzig Jahre, lehnt aber ab … so werden alle Erinnerungen an die Todsünden gelöscht und der Assistent muss weit weg ziehen oder anderweitig aus dem Leben des Engels verschwinden. Die Todsünden löschen das Gedächtnis und der abgelehnte Halbengel stirbt in fünfundzwanzig Jahren … auf der Erde.“

Plötzlich unterbrach Kyrie ihn. „Nein!“, schrie sie, „Nein!“ Sie erhob sich und ging einige Schritte rückwärts, „Nein …“

„Kyrie …“, sagte er sanft, „Ich wollte dich mit meiner Lüge leben lassen …“ Er flog nach oben und näher auf sie zu – sie schritt zurück.

„Nein … Ihr … tötet …“ Dann brach sie zitternd zusammen. „Die Todsünden … töten … und töten …“, murmelte sie geschwächt, „Und töten … und töten dafür, dass andere verletzen …“

Sie schüttelte irritiert den Kopf. „Nein … Das …“

Er überbrückte schnell den Abstand zwischen ihr und ihm und legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Verstehst du jetzt, womit du es verdienst, hier zu sein?“

Zitternd hob sie ihren Kopf. Ihre dunklen Augen waren geweitet und starrten ihn entsetzt an. „Ihr … seht dies als … Entschädigung für tausende Tote? Einen Halbengel und einen noch nicht hervorgebrachter Halbengel, der in den nächsten zwanzig Jahren auch noch sterben könnte?“

Die Wut kehrte in ihre Augen zurück und der Schock war verschwunden. Plötzlich erhob sie sich. „Wieso?“, knurrte sie, „Wie könnt ihr nur!?“ Sie bettete ihr Gesicht in ihre Hände und bewahrte für einige Augenblicke Ruhe.

„Xenon hat Recht …“, murmelte sie plötzlich voll gelassener Erkenntnis, „Ich … bin ein Dämon.“

Ehe er dagegen reden konnte, deutete sie aber auf ihn und Anklage stand in ihrem Blick. „Und ihr seid es auch!“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Etwas zu spaet, ich sehe schon ^^°
Die anderen beiden werden bald folgen, danach kehrt hoffentlich wieder Normalitaet ein!

Danke fuers Lesen <3 Liebe Gruesse
Geni Komplett anzeigen

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