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Was im Schatten folgt ...

*KaRe*
von

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Dämonen der Dunkelheit

Er blickte aus dem Fenster hinaus in den verhangenen Abend. Graue Wolken zogen über den Himmel und kündeten erneuten Regen an. Regen, dessen Tropfen sich auf der Haut eiskalt anfühlen würden. Regen, der in einem dichten Vorhang vom Himmel stürzte und alles verbarg, was die Nacht noch nicht verschluckt hatte. Nebelbänke schoben sich langsam aus den Senken der Baumgruppen heraus über die großen Rasenflächen des Parks, während sich die Dunkelheit immer weiter ausbreitete.

Irgendwo in der Ferne heulte ein Hund. Ray hoffte zumindest dass es sich um einen Hund handelte. Fröstelnd schlang er die Arme um seinen Körper. Die Wildnis, die sich an der westlichen Grenze des Parks erhob, konnte durchaus Wölfe beherbergen. Ein erneutes Heulen zerriss die Nacht, diesmal klang es deutlich näher. Ray erschauderte erneut.

Was für seine Freunde ein großes Abenteuer war, brachte ihn an den Rand einer ausgewachsenen Panik.
 

Als Ray sieben Jahre alt gewesen war, hatte er allein in einer alten Festungsruine gespielt. Es war ein lustiger Nachmittag für ihn gewesen, bis zu dem Zeitpunkt, als der Boden plötzlich unter ihm nachgegeben hatte und er in die Finsternis gestürzt war.

Als er auf den Boden aufschlug tanzten weiße Punkte vor seinen Augen. Wie durch ein Wunder hatte er sich nichts gebrochen, doch als er wieder klar sehen konnte bemerkte er, dass er in den Schacht einer ausgetrockneten Zisterne gestürzt war.

Verzweifelt hatte er versucht aus diesem alten Schacht wieder hinaus zu kommen, hatte um Hilfe gerufen, versucht an den Wänden genug Halt zu finden um wieder hinaus zu klettern. Doch es hatte drei ganze Tage gedauert bis er gefunden und aus seinem Gefängnis befreit wurde.

Drei Tage in denen er allein in der Dunkelheit war, allein mit seiner Angst. Allein mit dem Gefühl des glatten Steins unter seinen Fingern, die immer wieder über die Wände geglitten waren auf der Suche nach einem Vorsprung oder einer Öffnung, irgendetwas das ihm die Flucht ermöglicht hätte. Allein mit Hunger und Durst, der klammen Kälte und dem Geheul der Kojoten in der Nacht.

Ray hatte danach lange gebraucht seine Angst davor, im Dunkeln allein zu sein, zu überwinden und glaubte es auch geschafft zu haben, doch dieser Ort hier …

Die glatten dicken Steinwände der Burg. Die feuchte Kälte, die einen mineralischen Geschmack im Mund hinterließ und jetzt auch noch das Geheul der Wölfe… wenn Ray die Augen schloss war er plötzlich wieder sieben Jahre alt und hatte panische Angst vor dem, was da in der Dunkelheit auf ihn lauerte.
 

Er wandte sich vom Fenster ab und konzentrierte sich auf den Raum vor sich. Eine geduckte Gestalt durch den Nebel im Park huschen zu sehen, würde seine Angst auch nicht dämpfen, eher im Gegenteil.

Wölfe meiden die Menschen, erinnerte er sich stumm daran, dass es keinen Grund zur Sorge gab. Doch das Mantra richtete wenig gegen die Panik aus, die immer wieder versuchte die Oberhand zu gewinnen. Wölfe verstärkten nur die Angst vor den Dämonen der Dunkelheit.

Ray atmete tief durch. Eine Nacht hatte er schließlich schon überstanden ohne den Verstand zu verlieren, blieben noch sechs, die würde er auch noch schaffen.

Wenn er sich einem der Anderen anvertraut hätte. Ihnen davon erzählt hätte, dass er sich fürchtete …

Ray schüttelte den Kopf. Er musste sich einfach nur zusammen reißen. Die Angst vor der Dunkelheit, die hier überall lauerte, war irrational. Genau, wie die Furcht davor aus Versehen in ein Zimmer eingesperrt zu werden, dass seit Monaten kein Mensch mehr betreten hatte und dessen dicke Wände seine Hilferufe erstickten.

Rays Pulsschlag beschleunigte sich wieder und Übelkeit stieg in ihm auf, als er über eine solche Situation nachdachte.

Eigentlich war ihm klar, dass da Nichts in der Dunkelheit auf ihn wartete oder dass er nicht tagelang unbemerkt irgendwo eingesperrt sein würde, dennoch spielte ihm sein Verstand seit er hier war Streiche, wie schon seit Jahren nicht mehr.

Wenn Max und Tyson nur aufhören könnten sich ständig gegenseitig zu erschrecken. Zum Glück spielten sie sich nur gegenseitig diesen Streich, seit sie gestern Kenny fast zu Tode erschreckt hatten und Kai ihnen danach eine Standpauke gehalten hatte.

Ray hoffte zu mindestens, dass er nicht auch noch Opfer eines solchen Streiches wurde. Seine Nerven waren auch so schon zum Zerreißen gespannt, ohne dass sich zu den eingebildeten Gestalten in der Dunkelheit auch noch ein paar Reale gesellten.
 

Robert, ihr Gastgeber, schien diese seltsam schauerliche Atmosphäre, in der er lebte, gar nicht wahrzunehmen. Er bewegte sich durch die düsteren Gänge, als würde er sich in einem hellerleuchteten Loft befinden, und nicht in einer Burg, die im Mittelalter erbaut worden war.

Natürlich waren seit diesem Zeitpunkt einige Veränderungen vorgenommen worden. Es gab überall fließendes Wasser, elektrischen Strom und sogar kabelloses Internet in einigen Räumen. Trotzdem hatte die Burg nichts von ihrer ursprünglichen Atmosphäre eingebüßt.

Rays Blick glitt durch sein eigenes Zimmer. Ein ausladendes Bett, ein großer Schrank und zwei Sessel vor einem kalten Kamin, das reichte als Einrichtung für die Gästezimmer. Ein großer viereckiger Teppich bedeckte den größten Teil der freien Fläche zwischen den Möbeln. Die Zimmer der Anderen sahen ähnlich aus. Ray kam nicht umhin, zugeben zu müssen, dass sein Zimmer eine urige Gemütlichkeit ausstrahlte, solange es hell war.

Der Garten vor seinem Fenster versank in Dunkelheit und die Blumenbeete und geharkten Wege wurden von Nebelschwaden überspült. Ray musste sich nicht mehr die Mühe machen das Licht einzuschalten, er hatte bereits jede erdenkliche Lichtquelle in seinem Zimmer angeknipst als es zu dämmern begonnen hatte. Eigentlich wartete er nur darauf, dass die Anderen von ihrer Privatführung durch die Kellergewölbe des Schlosses, die Robert ihnen gewährte, zurück kehrten. Ray hatte sich mit der Ausrede, dass er sich noch ein wenig hinlegen wolle, weil er wenig geschlafen hatte, in sein Zimmer zurückgezogen und die Anderen ihren Spaß haben lassen. Eigentlich war es gar keine richtige Ausrede gewesen. Ray hatte wirklich in der vorangegangenen Nacht sehr schlecht geschlafen. Träume voller beengter mit Dunkelheit gefüllter Räume hatten ihn heimgesucht und er war mehrmals schweißgebadet aufgewacht. Eine Führung durch die Kellergewölbe der Burg, so gut sie auch ausgeleuchtet sein mochten, würde seine Fantasie in dieser Hinsicht nur noch mehr beflügeln. Erst recht, da Robert etwas von ein paar alten Zellen angedeutet hatte.
 

Es klopfte an Rays Zimmertür und Ray sagte laut und deutlich: „Herein!“, bevor die Tür geöffnet wurde.

Gustav, Roberts Butler, betrat das Zimmer und verbeugte sich höflich. Für Ray war dieser Butler, genau wie die Burg an sich, ein Relikt des Mittelalters. Er war weit über fünfzig und nach Rays Meinung schon zu alt für einen solchen Job. Dünn wie er war, mit seinen langen knochigen Fingern und der fast schon zu altem Leder erstarrter Haut hätte er sicherlich einen ganz passablen Bonsai abgegeben, entschied Ray.
 

„Master Robert und seine übrigen Gäste haben die Führung nun beendet. Sie halten sich im Moment im großen Wohnzimmer auf und Master Robert lässt fragen ob es ihnen schon wieder so gut geht, dass sie ihnen vielleicht Gesellschaft leisten möchten.“, sagte Gustav in seinen steifen, höflichem Tonfall, von dem er wohl glaubte, dass dieser von seiner Stellung erwartet wurde.
 

„Sehr gerne.“, antwortete Ray nickend und der Butler verbeugte sich bevor er in den Flur zurück trat und darauf wartete, dass Ray ihm folgte.
 

***
 

„Du hast wirklich was verpasst.“, sagte Max zu Ray freudestrahlend, als dieser hinter Gustav das Wohnzimmer betrat. Ray war wirklich froh, dass der Butler mit Umsicht darauf achtete dass niemand der Gäste allein durch die Gänge der Burg laufen musste. Sicherlich hätte Ray sich hoffnungslos verlaufen, zumal die Bezeichnung „großes Wohnzimmer“ darauf schließen ließ, dass es mehrere Wohnzimmer zu geben schien.

Blinzelnd sah er sich im Zimmer um, als er es betrat. Gestern Abend hatten sie auf jeden Fall in einem anderen Raum gesessen. Drei große Sofas gruppierten sich um einen flachen Holztisch vor einem Flachbildfernseher. Alle waren mit dunkelrotem Samt bezogen, dessen Farbe Ray stark an die von getrocknetem Blut erinnerte, und sich auch in den Vorhängen und Kissen wiederholte. An der einen Wand hing ein großes, bereits nachgedunkeltes Ölgemälde, es zeigte eine Schlachtenszene, daneben befanden sich eine Auswahl an Hellebarden und Streitkolben. Der angrenzende Kamin war kalt und leer. Ray setzte sich neben Robert auf eines der Sofas. Der Schlossherr war mit Kai in eine Partie Schach vertieft. Kai saß auf einem Kissen vor dem Tisch und betrachtete konzentriert die Figuren. Das Spielbrett stand auf der Kante des flachen Holztisches zwischen ihnen und Kais düstere Miene verriet, dass Robert ihn ganz schön in die Enge getrieben hatte.
 

„Du glaubst nicht, was es da unten alles gibt.“, fuhr Max fort und Ray konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. „Roberts Familie hat über die Jahrhunderte verschiedenste Sachen gesammelt. Die meisten sind natürlich Waffen gewesen, aber es gibt auch Schmuckstücke. Die Gänge da unten sind wie ein kleines Museum. Schade dass du nicht mitgekommen bist.“
 

Die Sache mit den Waffen glaubte Ray gern. Sein Blick blieb an dem Ölgemälde hängen. Sicherlich war darauf ein Vorfahr von Robert zu sehen, der seinen glorreichen Sieg in irgendeiner Schlacht für die Nachwelt festhalten wollte.
 

„Ja, Schade.“, sagte Ray halbherzig und lehnte sich zurück. Die bedrückende Atmosphäre der Burg war durch die bloße Anwesenheit seiner Freunde fast völlig in den Hintergrund gerückt. Sie lenkten seine Gedanken ein Stück weit ab. Doch aus den Augenwinkeln heraus behielt Ray die bodenlangen Fenster im Auge. Dunkelheit und ein schwacher Schein des Bodennebels schien mit ständig wachsender Kraft gegen sie zu drücken.
 

„Schach.“, Roberts Stimme neben ihm war leise, doch ein überhebliches Lächeln umspielte seine Lippen, nachdem er eine schwarze Figur versetzt hatte. Kai knurrte unwirsch.
 

„Wie lange noch bis zum Abendessen?“, fragte Tyson und gähnte herzhaft ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, was ihm einen missbilligenden Blick von Gustav einbrachte. Der alte Butler legte großen Wert auf Manieren, zumindest wenn Robert anwesend war.
 

„Das Abendessen wird in einer halben Stunde serviert. Aber ich kann die Köchin bitten schon jetzt ein paar Häppchen zu schicken.“
 

„Das wäre wunderbar, Gustav. Vielen Dank.“, sagte Robert lächelnd und der Butler verschwand mit einer Verbeugung aus dem Wohnzimmer. Der Schlossherr hatte schon am voran gegangenen Abend Tysons gesegneten Appetit mit Belustigung zur Kenntnis genommen. Robert zog seinen schwarzen Springer nach vorn und setzte Kai matt.

„Revanche?“, fragte Kai seufzend und nach einem Nicken Roberts begann er die Spielfiguren zurück auf ihre ursprünglichen Felder zu stellen. Als Kai seinen ersten Zug machen wollte, steckte der Butler abermals seinen Kopf durch die Wohnzimmertür hinein.
 

„Ein Telefongespräch für sie Master Robert.“, informierte Gustav sie.
 

„Wer ist es?“, fragte Robert scheinbar nur mit mäßigem Interesse. Er verschränkte die Finger ineinander, streckte seine Arme aus und ließ seine Gelenke knacken.
 

„Mr. McGregor.“
 

„Ich komme.“ Robert entschuldigte sich bei seinen Gästen und folgte Gustav hinaus.
 

„Spielst du solange gegen mich?“, fragte Tyson, als die Tür hinter dem Butler ins Schloss gefallen war?
 

„Meinetwegen.“, meinte Kai, schien aber nicht allzu erfreut zu sein. Er betrachtete Tyson nicht als ebenbürtigen Gegner was das Schachspiel anbetraf, soviel war sicher.
 

„Ich ziehe zuerst!“, bestimmte Tyson und Kai nickte nach kurzem Zögern.
 

Anstatt das Schachbrett zu drehen stand Kai von seinem Kissen auf und nahm Roberts Platz neben Ray auf der Couch ein. Rays Blick ruhte auf den Fenstern. Es hatte zu regnen begonnen. Feine Tropfen schlugen gegen die Scheiben und drückten den Nebel zu Boden.

Tyson setzte sich auf den Boden und Max nahm daneben Platz, um gute Ratschläge zugeben. Die Beiden spielten meistens als Team, was ihnen nicht unbedingt zum Sieg verhalf. Wenn sie gegen Kai spielten gewannen sie fast genauso oft, wie sie verloren. Allein standen ihre Chancen nicht so gut ein Spiel für sich zu entscheiden.

Ray lehnte sich fast schon entspannt zurück.

Dann flackerte das Licht zum ersten Mal.

Ray blinzelte und hielt den Atem an. Er hätte es für seine Einbildung gehalten, wenn nicht die Blicke der Anderen auch einen Moment lang zu den Lampen gezuckt wären. Er zwang sich langsam auszuatmen um sein pochendes Herz wieder zu beruhigen. Selbst wenn das Licht jetzt hier ausfiel, er war in Gesellschaft seiner Freunde. Er musste sich keine Sorgen machen. Ray redete sich selbst gut zu und beruhigte sich so langsam wieder. Eine Panikattacke vor seinen Freunden zu erleiden, bloß weil das Licht kurz geflackert hatte, war das Letzte, was Ray jetzt wollte. Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Spielbrett zu um sich abzulenken.

Erneut flackerte das Licht.

„Was ist da los?“, fragte Tyson, und im nächsten Augenblick saßen sie alle in Dunkelheit.
 

Ich finde der Stromausfall ist ein hervorragendes dramaturgisches Mittel

Wie Angst schmeckt

Ray presste die Zähne fest aufeinander und versuchte ein Wimmern zu unterdrücken. Er wusste nicht ob es ihm gelang. Die Dunkelheit presste sich wie ein dickes Tuch auf Mund und Nase und raubte ihm den Atem. Panisch kämpfte er gegen die aufwallende Angst in ihm an, die die plötzliche Finsternis verursachte. Seine kalten Finger krallten sich in die Lehne des Sofas. Das abgestumpfte Trommeln des Regens dröhnte in seinen Ohren.

„Es gibt keinen Grund zur Panik!“, redete er sich ein. Doch die Schwärze wallte wie eine brodelnde Wasseroberfläche vor ihm auf und griff nach ihm.
 

Da waren sie wieder. Die Augen in der Dunkelheit, die ihn beobachteten und nur darauf warteten, dass er langsam den Verstand verlor. Gestalten in den Schatten, die er nie greifen konnte, doch er spürte ihre Blicke, wusste dass sie da waren, ihn verhöhnten.

Er war nur ein kleiner Junge. Was sollte er ihnen entgegen stellen, wie sollte er sich gegen diese Augen wehren, wenn sie ihn angriffen? Er war allein. Er musste fliehen. Außerhalb seines Gefängnisses regnete es. Noch spürte er den Regen nicht, doch es war nur eine Frage der Zeit bis das Wasser in sein Gefängnis dringen würde. Würde der Regen die Zisterne wieder fluten? Würden die Augen beobachten, wie er in seinem Gefängnis langsam ertrank?

Er musste fliehen.

Er musste hier raus.

Er musste …
 

Tysons Fluchen holte Ray in die Gegenwart zurück. Der unsichtbare Knebel, der ihm die Luft zum Atmen genommen hatte war von einer Sekunde auf die andere verschwunden. Der Japaner hatte sich anscheinend in der Dunkelheit am Holztisch gestoßen. Ray bemerkte, dass er die Beine an sich herangezogen hatte und sich tief in die Polster des Sofas drückte. Sein Körper war derart angespannt, dass er zitterte.

Holz klapperte duzendfach auf Holz. Diesmal waren die Figuren des Schachspiels umgestoßen worden. Und diesmal war es Max, der mit Verwünschungen um sich warf.

Einen Augenblick später wurde er Raum von einem schwachen bläulichen Lichtschein erhellt. Kenny hatte seinen Laptop eingeschaltet und somit für eine notdürftige Beleuchtung gesorgt. Ray sah die schwach beleuchteten Gestalten seiner Freunde und entspannt sich etwas. Er war nicht allein. Er war auch nirgendwo gefangen. Das eben war nur eine … Halluzination gewesen. Seine Muskeln entkrampften sich wieder und Ray zwang sich dazu sich wieder normal hinzusetzen.
 

„Gute Idee Kenny. Wenigstens einer, der erst nachdenkt, ehe er sich wie ein blinder Elefant im Porzellanladen verhält.“, sagte Kai anerkennend und sah böse in Tysons und Max Richtung. „Was hattet ihr überhaupt vor. Wolltet ihr euch in der Dunkelheit durch das ganze Haus tasten?“

Die beiden waren in ihren Bewegungen erstarrt, als das schwache Licht des Laptopbildschirms die Umgebung erhellt hatte. Weit waren sie wirklich nichtgekommen.

Tyson stand Kamin und sah aus, als hätte er den Sims nach Streichhölzern abtasten wollen und Max hatte sich erst halb erhoben und hielt ein paar Schachfiguren in der Hand, die er schnell zurück auf das Spielbrett stellte. Kai sah kurz zu Ray, um zu überprüfen, ob er sich auch zu irgendeiner Torheit hatte hinreißen lassen. Konnte aber nichts dergleichen feststellen.

„Wir sollten …“, begann Kai und hatte wie selbstverständlich die Entscheidungshoheit über diese Situation an sich gerissen, doch in diesem Moment betrat Gustav mit einer Taschenlampe das Zimmer. Das helle Licht belendete Ray, als der Lichtkegel der Taschenlampe über ihn glitt.
 

„Ist bei ihnen alles in Ordnung?“, fragte der Butler und alle nickten. Gustav stellte die Taschenlampe auf einem Tisch ab, sodass ihr kreisrunder Strahl an die Decke geleuchtet wurde, dann zog er ein Feuerzeug aus der Hosentasche und zündete einige Kerzen an. „Sie müssen den Stromausfall entschuldigen. Das kommt seit einigen Wochen öfters vor. Vor einiger Zeit wurde unweit des Dorfes eine neue Papierfabrik an das Stromnetz angeschlossen, seitdem kann es vorkommen, dass zu Stoßzeiten der Strom für einige Minuten ausfällt. Ich hatte gehofft der Netzbetreiber hätte das Problem vielleicht inzwischen behoben, weil es seit einigen Tagen nicht mehr aufgetreten ist.“ Irgendwie kam es Ray vor, als würde Gustav diesen Stromausfall für sein persönliches Versagen halten, obwohl er nichts dafür konnte.

Das Flackern der Kerzen und das Licht der Taschenlampe drängten Rays Dämonen in die Ecken des Zimmers zurück.
 

***
 

Zwanzig Minuten später war der Strom wieder da und mit ihm kam auch Robert zurück. Der Schlossherr berichtete, dass durch den Stromausfall ärgerlicherweise auch sein Telefongespräch unterbrochen worden war und er selbst eine Weile im Dunkeln gesessen hatte, bevor er eine Taschenlampe gefunden hatte.

Das nachfolgende Abendessen verlief recht ausgelassen. Vor allem da Max und Tyson Robert zu der blutigen Vergangenheit seiner Familie befragten und das Erzählte dann zu eigenen Geistergeschichten weiter spannen.

Niemand schien so recht zu bemerken, wie Ray nach und nach der Appetit verließ, je mehr sich Max und Tyson in ihren Gruselgeschichten zu übertrumpfen zu versuchten. Ray schob sein Essen lustlos über den Teller und legte schließlich sein Besteck zur Seite. Er brachte sowieso keinen Bissen mehr hinunter.
 

***
 

Ray lag in seinem Bett und starrte auf den dunkelblauen Baldachin über ihm. Bis auf seine Nachttischlampe hatte er alle Lichter im Zimmer ausgeschaltet. Anstatt einzuschlafen, wurde er von Minute zu Minute wacher. Sobald er die Augen schloss, befiel ihn wieder das Gefühl nicht allein im Zimmer zu sein. Er nahm die Geräusche des jahrhundertealten Hause fiel bewusster wahr. Dielen knarrten. Etwas raschelte im Abzug des Kamins. Bei jedem neuen ungeklärten Geräusch schlug Ray die Augen auf und sah sich panisch um. Jedes Mal mit pochendem Herzen, jedes Mal weiter vom ersehnten Schlaf entfernt. Ray konnte sich noch so oft einreden, dass es da nichts gab, vor dem er sich fürchten musste, er schaffte es einfach nicht sich zu entspannen.

Erneut schloss Ray die Augen. Er brauchte den Schlaf, das wusste er. Wenn er am nächsten Tag übermüdet war, würde es seinem Verstand nur umso leichter fallen ihm Dinge vorzugaukeln die gar nicht existierten. Vielleicht musste er sich nur vorstellen woanders zu sein. Zu Hause zum Beispiel. Ray konnte sich nicht daran erinnern, wann es bei ihm zuhause das letzte Mal einen Stromausfall gegeben hatte. Er war auf jeden Fall noch sehr viel jünger gewesen.

Doch hier im Schloss schien das eine Alltäglichkeit zu sein. Erschreckenderweise.

Was wenn das Licht jetzt erneut ausfiel und er in tiefer Dunkelheit saß. Mit klopfendem Herzen riss Ray die Augen auf um zu überprüfen, ob das Licht seiner Nachttischlampe noch brannte.

Natürlich tat sie es.

Ray seufzte erleichtert und setzte sich auf. Hellwach wie er war würde er in der nächsten Stunde bestimmt kein Auge mehr zu tun. Vielleicht würde einer seiner Freunde noch wach sein. Dann konnte er sich mit ihm die Zeit vertreiben. Und zumindest eine Weile seine Ängste vergessen.
 

***
 

Ray hatte die Hand schon halb erhoben, als er in der Bewegung innehielt. Max und Tyson hatten schon geschlafen und bei ihnen hätte es Ray auch nicht großartig gestört sie noch einmal geweckt zu haben. Aber bei Kai war das immer so eine Sache. Der konnte das Gedächtnis eines Elefanten haben, wenn es darum ging sich zu merken, wer ihm wann und wie auf die Füße getreten war. Ray zögerte, sein Bedürfnis nach Gesellschaft überwog die Befürchtungen Kai zu verärgern. Er atmete tief durch hob die Hand und ….

Das Licht der Lampen in dem Gang flackerte einmal und dann war es plötzlich dunkel um ihn herum. Ray erstarrte. Panik überrollte so schlagartig, wie die Finsternis sich über ihn gesenkt hatte. Erschrocken riss er die Augen weit auf in der Hoffnung in der Dunkelheit etwas erkennen zu können. Er wirbelte herum und presste sich mit dem Rücken an die Tür und tastete hektisch nach der Klinke, fand aber nur glattes Gestein und lackiertes Holz unter seinen Fingern.

Die Dunkelheit vor ihm schien sich zu bewegen. War da ein federleichtes Tappen von Fußsohlen auf dem Steinboden? Ein erstickter Schrei entwich Rays Kehle und er taste noch hektischer nach der Türklinke. Die Kälte aus den Steinwänden kroch in Rays Glieder und auf einmal war er wieder in dem alten Schacht in der Festungsruine, war wieder sieben Jahre alt und wusste nicht, ob er jemals seinem Gefängnis entkommen konnte.
 

Die Tür hinter ihm schwang plötzlich auf und Ray kippte nach hinten. Nur mit Mühe fand er im Türrahmen Halt und verhinderte so einen Sturz. Er wandte sich um und sah Kai direkt in die Augen, der ihm mit einem Kerzenhalter in den Händen verblüffte Blicke zu warf. Ray war noch nie so froh gewesen Kai zu sehen.
 

„Alles okay?“, fragte Kai und hielt den Leuchter etwas in die Höhe um in dessen Lichtkegel in den Flur zu spähen.

Statt einer Antwort, schlang Ray einfach seine Arme um Kai und drückte sich an ihn.
 

Es war angenehm einen anderen Geruch, als dem nach kaltem Stein in der Nase zu haben und Kai war warm. Nicht dass es hier drin wirklich kalt gewesen wäre, die dicken Wände verhinderten die Hitze und Kälte nach innen drangen, dennoch war diese Wärme ein Zeichen der Sicherheit. Kai löste sich mit sanfter Gewalt aus der Umarmung und sah Ray stirnrunzelnd an. Dieser errötete, als er bemerkte, dass er Kai wie ein hilfesuchendes Kind sein Stofftier festhielt, umarmt hatte. Erneut ermahnte sich Ray daran, dass er nicht mehr sieben Jahre alt war, sondern sich wie ein Erwachsener verhalten sollte.
 

„´Tschuldige.“, nuschelte er verlegen und trat einen Schritt von Kai zurück und sofort schien es als rückten die Schatten wieder ein wenig näher. Ray versuchte aus den Augenwinkeln alle dunklen Ecken gleichzeitig in Auge zu behalten.
 

„Ray, was ist heute mit dir los?“, fragte Kai und Ray musste sich zusammen reißen um nicht zusammen zu zucken. Er hatte fast schon wieder vergessen, dass Kai vor ihm stand.
 

„Ich weiß auch nicht. Ich denke ich bin nur ein wenig nervös. Ist ja auch ziemlich gruselig hier.“, sagte Ray und brachte ein halbherziges Grinsen zustande, von dem er hoffte, dass der Russe es nicht sofort durchschaute. Doch Kais Stirnrunzeln verschwand nicht.
 

„Komm rein.“, sagte er nach einer kurzen Pause, zog Ray komplett in sein Zimmer hinein und schloss die Tür hinter ihnen.

Ray entspannte sich augenblicklich. Nicht mehr allein in völliger Dunkelheit zu sein ließ seine Panik verschwinden. Er dachte besser nicht daran, dass er da gleich wieder raus musste um zu seinem Zimmer zu kommen.

„Setz dich.“, murmelte Kai und ging zum Kaminsims hinüber um einen weiteren Kerzenleuchter anzuzünden. Ray ließ sich in einem der Sessel vor dem kalten Kamin fallen. Auf dem Rost waren zwar ein paar Holzscheite aufgestapelt doch Ray bezweifelte, dass er geschickt genug war sie in Brand setzen zu können. Es war auch noch gar nicht nötig ein Feuer im Kamin zu entfachen.
 

„Was hast du da draußen gemacht?“, fragte Kai ihn nachdem er den zweiten Kerzenständen auf seinem Nachttisch abgestellt hatte. Das gelbe Licht der Kerzen tauchte das Zimmer in einen flackernden Lichtschein und der Kerzenhalter auf dem Nachttisch sorgte dafür, das Kais scharf geschnittenes Profil neben ihm an die Wand geworfen wurde, nachdem er sich in den zweiten Sessel gesetzt hatte.
 

„Ich …“, begann er und geriet sofort ich ins Stocken.

Ray seufzte und sah Kai in die Augen. Es hatte mal eine Zeit gegeben, da hatte Kai ihnen allen nicht vertraut, vor ihnen so viele Dinge zurück gehalten und nun saß er selbst hier und bekam den Mund nicht auf.

„Ich wollte nicht allein sein.“, sagte er dann und auf einmal sprudelte alles aus ihm heraus. Er erzählte Kai von seinem Kindheitserlebnis. Wie er geglaubt hatte seine Angst davon besiegt zu haben und davon, dass sie zurück gekehrt war seit sie hier waren. Von den sich bewegenden Schatten und den Augen, die ihn aus der Dunkelheit heraus verfolgten. Ray war von sich selbst überrascht, wie leicht es ihm fiel darüber zu reden, nachdem er einmal davon angefangen hatte.

Er fühlte sich zwar nicht wirklich von seiner Last befreit, nachdem er Kai das alles gesagt hatte. Doch es hatte irgendwie geholfen mit jemanden darüber zu reden.
 

„Was willst du jetzt machen?“, fragte Kai nachdem Ray einige Minuten nichts mehr gesagt hatte.
 

„Ich weiß nicht.“, sagte Ray schulterzuckend. Er wusste dass es eigentlich nur zwei Möglichkeiten gab. Sich seiner Angst zu stellen, oder abzureisen. Er wollte eigentlich weder das eine noch das andere.

Es klopfte leise an der Tür und Kai und Ray drehten ihre Köpfe.

„Herein!“, forderte Kai den Besucher auf und einen Moment später öffnete Gustav, der Butler, die Tür.

„Master Robert entschuldigt sich für den erneuten Stromausfall und lässt fragen, ob bei ihnen auch alles in Ordnung ist.“, sagte der Butler höflich und stellte einen schmalen Kasten, in dem sich noch weitere Kerzen befanden auf den Kaminsims.
 

„Alles Bestens.“, sagte Ray und Kai nickte nur zur Zustimmung, bevor der Butler sich leicht verbeugte und das Zimmer wieder verließ.
 

„Kenny wird noch die Krise kriegen.“, sagte Ray, nachdem die Tür wieder ins Schloss gefallen war. „Wenn er nicht rund um die Uhr eine Lademöglichkeit für seinen Laptop in der Nähe hat, ist er doch nur ein halber Mensch.“ Ray grinste Kai an, doch der reagierte gar nicht auf seinen Scherz und so sagte er: „ Ich gehe mal besser in mein Bett. Es ist schon spät.“
 

„Du kannst hier bleiben, bis der Strom wieder da ist.“, schlug Kai vor und Ray nickte erleichtert.

„Ich geh nur kurz ins Bad. Bin gleich wieder da.“ Der Russe zündete sich eine der neuen Kerzen aus dem Kästchen auf dem Kamin an und steckte sie in einen einzelnen Halter, bevor er mit seiner behelfsmäßigen Lichtquelle das Zimmer verließ.

Ray versank tiefer in dem Sessel und seufzte. Obwohl er nun wieder allein war, schien ihm seine Umgebung weniger bedrohlich. Die einfache Tatsache, dass er nicht lange allein bleiben würde, sondern, dass Kai bald zurück sein würde half bereits. Vielleicht lag es auch nur daran, dass er sich bereits seine Angst von der Seele geredet hatte.

Ray beobachtete die Flammen und das Schattenspiel, das sie an die Wände warfen. Er gähnte und rollte sich so gemütlich wie möglich auf dem Sessel zusammen.
 

***
 

Er schreckte hoch. Eben hatte er noch die tanzenden Schatten beobachtet und dann waren ihm seine Augen zugefallen.

Er blinzelte und stellte erschreckt fest, dass es draußen bereits hell war.

Immer noch lag er zusammen gerollt in dem Sessel in Kais Zimmer. Langsam richtete er sich auf und griff geistesgegenwärtig nach dem Decke, die über ihm lag, bevor sie zu Boden gleiten konnte. Kai musste sie aus Rays Zimmer geholt haben und ihn damit zugedeckt haben während er schlief. Rays Blick glitt zu Kais Bett, in dem der Russe seelenruhig schlief. Gähnend stand er auf und streckte sich. Trotzdem er nicht in einem Bett geschlafen hatte fühlte Ray sich ausgeruhter, als in der Nacht zuvor. Keine Träume voller Kindheitserinnerungen hatten ihn heimgesucht. Ray ging zum Fenster und sah hinaus in den Garten.



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Kommentare zu dieser Fanfic (11)
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Von:  Akiko_22
2013-09-09T10:48:28+00:00 09.09.2013 12:48
Es ist bis jetzt eine sehr sher schöne FF. Dein Talent, den Worten Leben eunzuhauchen, ist klasse. Ich tauche quasi in diese FF hinein und bin darain gefangen. DU schaffst es die Situation so zu beschreiben, dass man sich beteiligt fühlt.
Ich hoffe du schreibst bald weiter. Ich würde zu gerne wissen, wie es weiter geht und wie Ray mit seiner Angst vor der Dunkelheit umgeht.

LG
Akiko
Von:  sonoka
2013-08-10T19:31:56+00:00 10.08.2013 21:31
es ist ja leider s chon länger nichts mehr passiert und ich hoffe das du bald weiterschreibst denn ich finde deine FF wirklich gut und würde mich freuen wenn ich eine FF bekommen würde wenn du weiter geschrieben hast ^^
LG Sonoka
Von:  Minerva_Noctua
2013-04-25T20:16:33+00:00 25.04.2013 22:16
Die Auflösung rund um den Stromausfall fand ich sehr gut.
Auch hier wieder sehr lebendig erzählt.
Das Ende ist etwas abrupt.
Ich hoffe, du schreibst auch hier bald weiter:3

Bye

Minerva
Von:  Minerva_Noctua
2013-04-25T19:56:35+00:00 25.04.2013 21:56
Die Beschreibungen der Natur und Gefühle sind wie stets beeindruckend.
Da lerne ich als FF-Autorin ziemlich viel.
Als Leserin bin ich einfach nur hin und weg von den ganzen mitreißenden Sinneseindrücken.
Es gefällt mir, wie du Reis Angst erklärt hast. Realistisch.
Nett fand ich auch das Schachspiel und dass Tyson sich ebenfalls daran versuchen wollte:)

Bye

Minerva
Von:  jack-pictures
2013-04-06T07:10:09+00:00 06.04.2013 09:10
Richtig spannend, das hier zumlesen.
Von: abgemeldet
2013-02-09T00:52:14+00:00 09.02.2013 01:52
Schön geschrieben, wirklich :D
Ich erwarte mit Spannung die Fortsetzung *__*
Von:  Hatsu-chan
2013-01-22T22:39:24+00:00 22.01.2013 23:39
Auf jeden Fall schon sehr spannend aufgebaut und noch alles offen wie es um die Beziehung zwischen Kai und Ray steht, gefällt mir.
Ich bin schon sehr gespannt wie es weiter geht.

lg
Von:  Erdnuckel
2013-01-20T12:40:48+00:00 20.01.2013 13:40
Ich bin gespannt wie es weitergeht :D
LG
Von:  Destinysoul
2013-01-19T22:45:40+00:00 19.01.2013 23:45
Das Kapitel war einfach toll, ich hab großen spaß beim lesen. Ich finds schön, dass ray sich kai anvertrauen konnte.

weiter so!
Von:  Destinysoul
2013-01-13T22:52:19+00:00 13.01.2013 23:52
hui, das klingt ja sehr spannend und auch eine neue idee, toll!

und das beste ist ja, das es ne kare ist ^^

ich bleib dran :)
weiter so


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