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Atemzug

Grey Mr. Grey
von

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Feiner Nieselregen prasselte auf das zierliche Mädchen, dessen geschundener Körper auf einem hölzernen Podest lag. Der Totengräber hatte ihr ein schönes Kleid angezogen, sie gewaschen und versucht, ihre Verstümmelungen mit Schminke und Stoff zu verdecken, allerdings ziemlich erfolglos. Die Verwesung war schon zu weit fortgeschritten, als dass irgendjemand sie hätte aufhalten, geschweigedenn rückgängig machen können. Durch eine spezielle Einbalsamierung war es zumindest möglich gewesen, das Mädchen ein paar Wochen so zu konservieren, dass ihr das Fleisch nicht direkt von den Knochen fiel. Und da es bei den meisten Kathahgern üblich war, Verstorbene erst Wochen später gen Himmel zu schicken, war diese Balsamierung auch dringend von Nöten.

Die Trauergemeinde war ganz in weiß gekleidet, um in der Dunkelheit der Nacht einen Lichtschimmer darzustellen. Auch König Larhunn Kathah hatte sich in Schale geworfen und das Weiß angelegt. Heute hatte er sogar auf goldene Broschen und Schmuck verzichtet, was er für gewöhnlich nie tat. Aber der Anlass, zu dem sie sich versammelt hatten, bot keinen Platz für Prunk, sondern nur für natürliche Trauer.

Des Königs braunes Haar war ungemacht und verschmolz beinah mit dem dichten Bart, der die hinabhängenden Mundwinkel verdeckte. Im ersten Moment hätte man glauben können, dass es Müdigkeit sei, die seine tiefliegenden Augen widerspiegelten, doch der verräterische kleine Funken, der ab und an aufblitze, verriet, dass es Wut war, die er spürte.

Sir Yall hatte ein geschultes Auge für die Launen seines Königs, deshalb entging ihm dieses Funkeln nicht. Und er konnte seine Wut nachvollziehen. Wer sah schon gerne das eigene Fleisch und Blut zerfetzt auf einem Scheiterhaufen liegen, darauf wartend, in Flammen aufzugehen? Wäre es Yalls Tochter gewesen, die dieser Schandtat zum Opfer gefallen wäre, so hätte er sich den Mörder namens Stix Grey gepackt, ihn auf eine Folterbank gespannt und ihm nach und nach jedes Körperteil einzeln abgeschnitten. Er hätte ihn bluten lassen, diesen Bastard, hätte ihn wie ein Schwein aufgehängt und ihn langsam krepieren lassen.

Doch der König war anders. Er hatte den Mörder nicht einmal in seiner Zelle besucht, sondern stattdessen den Ermittlungskerl hingeschickt, der noch dazu die Hinrichtung, die zu gnädig gewesen wäre für einen solchen Mann, so lange hinauszögerte, bis der Gefangene genug von seinem Kerker hatte und sich auf und davon machte. Yall war sich sicher: Ihm wäre das nicht passiert! Ihm wäre Grey nicht so einfach entwischt.

Er dachte nach. Vielleicht waren des Königs Emotionen einfach verschoben? Als er seinen Erstgeborenen im Krieg verlor, sah man ihm erst Monate später an, dass ihn der Verlust schmerzte. Yall erinnerte sich noch gut daran, wie Larhunn sturzbetrunken und mit blutigen Fingerknöcheln zu Tisch kam. Wie er schrie und lachte und heulte. Wie er das Essen vom Tisch fegte als sei es ein Haufen Dreck, den es zu entfernen galt. Wie er sein Gold und seine teuren Gewänder aus dem Fenster warf, weil weder das eine noch das andere so viel wert war, wie der Sohn, der ihm genommen wurde.

Bald würde der König auch um seine geliebte Tochter trauern können, das wusste Yall. Aber noch hielt Larhunn Kathah seine Gefühle versteckt, zwang sie in die Knie, wie seine Untertanen. Nur damit sie sich irgendwann mit Gewalt an die Spitze kämpfen würden.

Sir Yall sah in den Himmel hinauf und stellte fest, dass die Sterne geflohen waren. Das machte die Nacht noch finsterer, als sie ohnehin schon war.

Als er den Blick wieder senkte, erblickte er seinen Knappen, der ihm eine Fackel reichte.

»Nicht für mich!«, fauchte Yall den Jungen an und deutete auf den Mann neben sich. »Gib sie dem König.«

Der Knappe tat wie ihm geheißen.

Mit einer quälend langsamen Bewegung nahm Larhunn die Fackel entgegen. Dann setzte er zielsicher einen Fuß vor den anderen. Die Menge hatte ein Spalier gebildet, durch das der König nun marschierte, die Fackel träge hinter sich herziehend. Die Menschen in weiß hielten die Köpfe gesenkt, sobald der König an ihnen vorüber ging.

Er passierte den Feuerkorb, der kurz vor dem Scheiterhaufen stand und entzündete das Holz in seinen Händen.

Dann hob er die Fackel gen sternenlosen Himmel und sprach leise, aber voller Würde: »Möge dich das Licht erreichen.«

Sir Yall sah zu den anderen Kindern des Königs hinüber, die ihren Platz weiter hinten hatten. Sie standen in der Mitte zweier Wachmänner, die ihre Rüstungen zwar ebenfalls gegen den weißen Umhang getauscht hatten, ihre Dolche aber bei sich trugen. Im Falle des Falles sollten sie die Nachkommen Larhunns mit ihrem Leben verteidigen. Ein leicht unbehagliches Gefühl überkam ihn, denn er wusste die beiden Wachen nicht direkt einzuordnen. Deshalb beschloss er, im Anschluss der Zeremonie diese Wissenslücke zu füllen.

Yall betrachtete die Kinder. Der Sohn namens Aschtan stand da wie ein echter Mann, keine Miene verziehend. Doch die beiden Töchter konnten ihre Tränen nicht halten. Und als Larhunn Kathah die Fackel an den Scheiterhaufen hielt und die  Flammen sich gierig ins Holz fraßen, da hörte Yall die Kinder schluchzen und weinen. Er wandte den Blick ab und richtete ihn auf den brennenden Scheiterhaufen.

Das Feuer erreichte das tote Mädchen. Es umtanzte die Kleine erst, züngelte wild und freudig um ihren einst so makellosen Körper herum und spielte ein letztes Mal mit ihr. Dann verschlang es sie.

Mit einem fauchenden Geräusch, das an einen gequälten Schrei erinnerte, schossen die Flammen in die Höhe. Goldgelbe Funken stoben hinauf zu den Göttern und übergaben ihnen die Seele des kleinen Mädchens.

Der König sank auf die Knie und betete. Yall sprach ebenfalls ein kleines Gebet, sah sich dann aber wieder zu den Kindern um. In Zeiten wie diesen war es umso wichtiger, dass er wachsam war. Damit der König keinen weiteren Grund zur Trauer bekam.

Als er zurücksah fiel ihm direkt eines auf: Die beiden Wachmänner waren nicht mehr an ihrem Posten. Er sah sich nach ihnen um, konnte sie jedoch nirgends erblicken.

Sir Yall reagierte schnell. Er wandte sich an die Leibgarde des Königs, die sich hinter ihm postiert hatte und nur auf seine Befehle wartete: »Vier Männer zum König und drei zu seinen Kindern. Elfran und Ohns, ihr kommt mit mir. Seid wachsam!«

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da teilte sich die Garde auf, wie Yall es verlangt hatte.

Yall und seine beiden Männer gingen auf den Palast zu.

»Du kennst die Wachen, die eben noch dort standen?«, fragte er Ohns, dessen größte Stärke sein unglaubliches Gedächtnis war, und deutete auf besagte Stelle. Ohns nickte und antwortete: »Zwei Ritter aus Neu-Onar. Sie wurden uns zugeteilt.«

»Zugeteilt?« Yall war verblüfft, dass er als Kommandant der Königsgarde nichts davon wusste. »Von wem?«

»Ich weiß es nicht, Sir. Soweit ich mich entsinne, haben sie zunächst im Verließ ihre Arbeit verrichtet. Für den heutigen Anlass kamen sie als Verstärkung.«

»Und wieso weiß ich nichts davon?« Yall sah den stämmigen Ohns böse an, der nur unschuldig mit den Schultern zuckte.

»Wo sind die Neuen hin?«, wollte Elfran wissen, der schnell erkannt hatte, warum Yall so aufgebracht war.

Sir Yall stieß die schweren Türen zum Palast auf und sagte: »Vermutlich hier.«

»Ihr meint, es seien Diebe, Sir?« Elfrans kritischer Blick sagte alles.

»Was weiß ich?«, zischte Yall und sah sich um. »Zumindest stimmt da etwas nicht, sonst wären sie auf ihrem Posten. Die ganze Sache stinkt mir!«

Für gewöhnlich wusste Yall über die Männer Bescheid, die seinem Befehl unterstanden – die meisten kannte er schon seit Kindertagen. Aber diese zwei waren ihm völlig fremd. Und es schmeckte ihm ganz und gar nicht, dass es zwei Fremde an ihm vorbei und so nah an die Königsfamilie geschafft hatten. Wären es Meuchelmörder gewesen, dann wäre der König jetzt bei den Göttern, genau wie seine kleine Tochter.

Die Tatsache, dass Larhunn noch am Leben war zeigte, dass die Wachen entweder einer Magenverstimmung unterlagen und dringend scheißen mussten oder Diebe waren, was Yall für wahrscheinlicher hielt.

Die drei Ritter standen in dem großen Saal des Palasts, an dessen Außenseiten je eine Treppe nach Oben führte.

»Elfran! Du gehst hoch in die Arkaden. Ohns! Du gehst hinab zu den Küchen«, befahl der Ritter und zückte den Dolch, den er unter dem weißen Umhang trug. »Bringt mir die Nichtsnutze lebend! Ich will wissen, was es damit auf sich hat.«

Dann ging jeder seinen Weg. Elfran übernahm das erste Obergeschoss, Ohns den Keller und das Erdgeschoss. Und Yall nahm die Treppen bis ganz nach Oben. Dort betrat er den weitläufigen Rittersaal, in dessen Mitte eine lange Tafel stand. Es war ebenjener Tisch, an dem der König sturzbetrunken um seinen Erstgeborenen getrauert hatte. Vielleicht würde er auch hier um seine Tochter weinen.

Der Saal war mit Blumen versehen. Teure Stoffe hingen mitsamt Gemälden und Portraits der alten Könige an den Wänden. Doch abgesehen davon war er leer.

Deshalb ging er durch die hinterste Tür und betrat den Flur, der ihn zu den Gemächern des Königs führte. Er betrat jede Kammer, fand die Blender aber nicht.

Dann erreichte er das Schlafgemach. Er drückte leicht gegen die verzierte Holztür und hob erstaunt die Augenbrauen, als sich diese nicht öffnen ließ.

Der Sicherheit des Königs wegen hatte man vor einiger Zeit einen massiven Riegel im Schlafgemach angebracht. Somit konnte Larhunn vor dem Schlafengehen seine Tür verschließen und hatte eine zusätzliche Sicherheit zu den Wachmännern, die für gewöhnlich die ganze Nacht über vor der Tür standen. Nur befand sich Lahrunn derzeit ganz sicher nicht da drin.

Er legte das Ohr ans Holz und horchte auf das, was immer dort drinnen vor sich ging. Sein Atmen ging so ruhig und lautlos, dass er davon nicht abgelenkt wurde und genau mitbekam, wie jemand auf der anderen Seite der Tür seine Waffe zückte.

Das war Grund genug für den Ritter, um zu handeln. Mit drei kräftigen Tritten sprengte er den offensichtlich nicht so massiven Türriegel auseinander. Die Tür flog auf und er hatte freie Sicht auf ein erschrockenes Gesicht, das von mattem Kerzenschein beleuchtet wurde. Der junge Mann mit seinem orangen Haar und dem Dolch in der Hand überlegte nicht lange. Er ließ die Waffe fallen und sprintete auf das offene Fenster zu, umklammerte ein daran befestigtes Seil und schwang sich in die Tiefe.

Doch Yall hatte nicht die geringste Absicht diesen Langfinger entkommen zu lassen, zumal er sich noch nicht mit ihm unterhalten hatte. Deshalb machte er einen Hechtsprung nach vorn und durchtrennte mit einem Hieb das Seil. Dann richtete er sich wieder auf und sah durch das Fenster. Es ging einige Menschenlängen weit runter. Wenn er Glück hatte, dann war der Blender so stark verletzt, dass er nicht mehr laufen und folglich auch nicht mehr fliehen konnte.

Von hier Oben konnte er nicht erkennen, ob dort unten jemand lag, weshalb er im Eiltempo die Treppen hinabsprintete, um sich das Ganze aus der Nähe anzusehen. Und er hatte Glück.

Der orangehaarige Bengel, dem das Kind ins Gesicht geschrieben stand, hatte sich das linke Bein verdreht. Schwer atmend und mit Schmerz in den Augen blickte der Kleine zu Sir Yall, der auch ohne seine Rüstung einen bedrohlichen Eindruck machte. Der Ritter packte den Bengel am Kragen und zog ihn hoch.

»Sprich! Was hattest du im Schlafgemach des Königs zu suchen?« Yalls fordernder Tonfall ließ den Kleinen erschaudern. Hilfesuchend krallte er sich an den Arm des Ritters, brachte jedoch kein Wort heraus. Yall war nicht zimperlich und wusste, wie man an Informationen kam. Er ließ den Blender auf den Hintern fallen und trat mit voller Wucht auf sein gebrochenes Bein. Doch anstelle des erwarteten lauten Schreies drang nur ein klägliches Fiepen aus seiner Kehle.

Yall lächelte anerkennend. Damit hatte er nicht gerechnet.

Er kniete sich zu ihm herunter und hielt ihm den Dolch an die Kehle. »Du kannst es mir entweder jetzt sagen, oder ich werde es in der Folterkammer höchstpersönlich aus der herausschneiden.«

»Was soll ich Euch sagen, Sir?«, kam es nun unter Schmerzen von ihm.

Der Ritter zuckte die Schultern. »Fangen wir damit an, wo dein Partner ist. Er ist doch dein Partner, oder? Also: Wo ist er?«

Der Bengel sah Yall mit großen Kulleraugen an und flüsterte: »Na, direkt hinter Euch.«

In diesem Moment, als Yall seinen Fehler erkannte, spürte er einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf, der ihn von einem Moment zum anderen in den Schlaf schickte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2015-01-29T19:20:00+00:00 29.01.2015 20:20
Hey :)

Irgendwie finde ich den Gedanken, dass sie das Mädchen - trotz der Verletzungen und der Verwesung - aufbaren extrem eklig. Einfach, weil man das doch als Angehörige auch nicht sehen möchte, oder? Zumindest würde ich das nicht wollen, als letztes Bild von dem Kind...
Aber natürlich wie auch zuvor sehr gut geschrieben.

Die Trauergemeinde war ganz in weiß gekleidet, um in der Dunkelheit der Nacht einen Lichtschimmer darzustellen.

Den Gedanken mag ich. Eigentlich macht es ja wirklich wenig Sinn, warum man so "schwarz" angezogen ist (das heißt, Sinn macht es schon irgendwie), denn das weiße kann man ja wirklich als einen Hoffnungsschimmer sehen. Ich mag es, dass du dir wirklich Gedanken machst, wie es in dieser Welt wirken könnte, anstatt einfach das jetzige zu übertragen.

Mir tut der König leid. Erst verliert er anscheinend den Sohn, dann auch noch die Tochter auf solch grausame Weise...er tut mir wirklich leid. Daher ist ihm noch mehr Achtung entgegen zu bringen, dass er eben sich noch so "moralisch" verhält, dass er den (vermeindlichen) Mörder eben nicht so tötet, wie Yall es selbst tun würde.

Yall selbst... ich weiß nicht recht, was ich von ihm halten soll. Zunächst war er mir sehr unsymphatisch, aber eigentlich macht er ja nur seinen Job und sorgt sich um die Königsfamilie. Trotzdem will keine Symphatie für ihn aufkommen - daher fand ich den Schlag sogar eher ein wenig gerechtgertigt, auch wenn sie natürlich Diebe sind und Yall allen Anschein nach im Recht ist. Dennoch... naja xD
Vielleicht wird er ja noch symphatisch ;)

Auch hier sind mir Kleinigkeiten aufgefallen:
(...) fortgeschritten, als dass irgendjemand sie hätte aufhalten, geschweigedenn rückgängig machen können. - Geschweige, denn meiner Meinung nach (habs sogar extra gegoogelt, damit ich keinen Müll erzähl xD)

~Kommentarfieber~
Von:  Lillunija
2013-12-14T19:43:34+00:00 14.12.2013 20:43
Der Bengel hatte mehr Glück als Verstand, in dem Moment, gehabt ^^.
Eine schöne Fortsetzung.
Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel.
Der arme Yall wird ein ganzschönen Brummschädel haben wenn er erwacht.


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