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Scordata Memoria

Vergessene Erinnerung
von

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Vergessene Erinnerung

Ach, verdammt, wo hatte er nur wieder die Ersatzzünder hingelegt? Das Bett war bereits hochgradig chaotisch, da mehr oder weniger sein gesamter Nachttischinhalt sich darauf verteilt wieder gefunden hatte. Von Zeitschriften, über drei Packungen Zigaretten, vier Feuerzeugen (eins mit dem Logo seiner Lieblings-Verschwörungszeitschrift), einer halb vollen Packung Taschentücher, drei angebrochenen Streichholzschachteln bis hin zu einem Dutzend Ringen, ebenso vielen Armbändern und sieben Haargummis.

Doch erst, als er die Schublade herauszog, fand er die gesuchten Zünder am Boden. Offenbar waren sie heraus gefallen. Mit einem leicht entnervten Knurren griff er in den Staub, der sich auf dem Boden gesammelt hatte und fischte die Plastiktüte heraus und schob die blöde Lade wieder an ihren Platz. Als er aber die Tüte ungeachtet des auch nicht gerade geringen Staubanteils ebenfalls aufs Bett schmeißen wollte, fiel ihm auf, dass er noch etwas in der Hand hielt, das wohl noch unter ihr auf dem Boden gelegen hatte.

Er pustete über das vermeintliche Stück Papier und erkannte ein altes Foto. Wie war das bitte da hingekommen? Er stand auf, klopfte sich den Staub von den Knien und sah nachdenklich auf das Bild. Mmh, es musste wohl beim schnellen Einräumen des Einzugs irgendwo herausgerutscht sein, anders konnte er es sich zumindest im Moment nicht erklären.

Sein Blick huschte darüber. Das war wirklich lange her… da dürfte er ungefähr drei gewesen sein. Das Foto zeigte ihn zwischen seinem Vater und der Frau, die er jahrelang für seine Mutter gehalten hatte. Neben ihm seine Schwester und neben ihr zwei weitere junge Eltern mit einem kleinen, braunhaarigen Kind, von dem man aber nicht viel sah, weil es sich an seine Mutter drückte, die sich zu ihm herabgebeugt hatte und es in den Arm nahm…
 

„Hayato, komm mal kurz her.“

Hayato blickte zu seinem Vater auf, der noch feiner herausgeputzt als sonst auf ihn zukam und vor ihm in die Hocke ging. Er war damit noch immer ein Stück größer, überragte ihn aber nicht mehr ganz so arg. Er wartete mit fragendem Blick und leicht schief gelegtem Kopf ab, was sein Vater wohl sagen würde.

Hayato wusste, dass sie heute wichtigen Besuch bekamen. Er hatte nicht so ganz verstanden, was genau es war, aber offenbar war ein hoher Posten bei einer verbündeten Famiglia neu besetzt worden – und deswegen war der amtierende Boss, sowie der neue Postenträger und seine Familie heute Abend bei ihnen eingeladen. Eigentlich fand er solche Sachen eher langweilig, aber immerhin durfte er wie die Erwachsenen länger aufbleiben und dafür nahm er das ganze gerne hin.

„Pass auf, mein Junge, Iemitsu hat einen Sohn in deinem Alter, der heute auch kommt. Mir wäre es lieb, wenn du dich ein wenig mit ihm beschäftigen könntest, das macht einen guten Eindruck.“

Hayato sah seinen Vater überrascht an und nickte dann mit einem kleinen Lächeln. Natürlich würde er seinem Papa helfen, wenn der ihn schon danach fragte.

Besagter Vater lächelte und strich ihm in einer Kleinkindergeste, die Hayato einen kleinen Schmollmund ziehen ließ über den Kopf. „Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen.“ Okay, immerhin machten es die Worte wieder gut und Hayato verzieh ihm das Streicheln sogleich wieder. „Der Junge kann kein Italienisch, aber du bist schlau, du kriegst das hin, nicht wahr, Hayato?“

Hayato nickte erneut, runzelte aber leicht die Stirn. Wie wichtig konnte die Familie dieses Jungen sein, wenn er nicht mal Italienisch konnte?

Dennoch folgte er auf das Türklingeln hin seinem Vater brav ins Empfangszimmer, in dem bereits seine Mutter, Schwester und die Neuankömmlinge warteten – nur den besagten Jungen sah er nicht.

Erst, als sein Vater ihn vorstellte und er höflich, wie er es gelernt hatte, eine Verbeugung andeutete, beugte sich die Frau herunter, lächelte ihm entgegen und schob ein Kind hinter ihren Beinen hervor.

Und Hayato hätte fast die Augen verdreht, war das so ein Angsthase? Der Mann, den sein Vater Iemitsu nannte, lachte sacht und ging neben Hayato in die Hocke, ehe er ihm (immerhin auf Italienisch, er konnte es scheinbar wenigstens) erklärte: „Unser Kleiner ist ein wenig schüchtern, sei nett zu ihm, ja?“

Dann zwinkerte er Hayato zu, zog den sich sträubenden Jungen sanft hinter seiner Mutter hervor und drückte ihn in Hayatos Richtung. Der wiederum musterte das andere Kind neugierig. Er war kleiner als er selbst, hatte ziemlich wuschelige Haare, die mal einen Kamm vertragen könnten und wirkte wirklich eingeschüchtert. Und, wenn er sich nicht vollkommen irrte, waren da in den viel zu großen braunen Rehaugen auch noch Tränen, als er wimmernd zu seinem Vater aufblickte.

Jesses, da konnte man ja nicht zusehen… aber er hatte es seinem Vater versprochen und ein Mann stand zu seinem Wort. Hayato seufzte lautlos, dann lächelte er und griff die Hand des anderen Jungens und zog ihn mit sich in sein Spielzimmer.

Das Kind stieß ein Wimmern aus und wollte seine Hand losreißen, aber Kraft hatte er offenbar auch nicht. Na, das konnte ja lustig werden…

Als sie in seinem Zimmer angekommen waren, ließ Hayato den anderen los und sah ihn abschätzend an. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen und schloss ihn gleich darauf wieder. Das hatte wohl keinen Sinn… aber wenigstens einen Namen wollte er haben, immerhin wollte er auch gedanklich nicht den ganzen Abend von „dem anderen“ reden müssen. Gut, das sollte ja einfach sein. Hoffentlich.

Er sah das vollkommen verängstigt wirkende Kind auffordernd an (und daraufhin stiegen wieder Tränen in diesen großen, großen Augen auf – warum nur? Was hatte die Heulsuse?), legte eine Hand auf seine Brust und sagte deutlich und langsam: „Hayato.“

Der andere Junge blinzelte, kopierte die Geste und flüsterte absolut unhörbar etwas. Hayato verdrehte die Augen und sah ihn versucht fragend an. Der Junge schluckte schwer, dann wiederholte er gerade so hörbar: „Yoshi…“

Gut, jetzt hatte das Kind also wenigstens einen Namen für ihn. Hayato musterte es noch einen Moment lang, dann lief er zu seiner Spielzeugtruhe, öffnete den Deckel und fischte aus den sauber sortierten Utensilien seinen Ball heraus. Eigentlich nicht gerade sein Lieblingsspiel, aber jeder mochte Ballspielen, nicht?

Er drehte sich lächelnd um und warf Yoshi den Ball zu… nur, damit dieser ihn direkt ins Gesicht bekam, rückwärts stolperte und mit seinen vier Buchstaben auf dem Teppich plumpste. Große, wässrig glänzende Augen sahen ihn daraufhin vorwurfsvoll an, während der fest zusammengepresste Mund bebte, als Yoshi krampfhaft versuchte nicht laut zu weinen. Hayato bekam fast ein schlechtes Gewissen bei dem Anblick, zuckte kurz versucht entschuldigend die Schultern und drehte sich um, um diese Augen nicht mehr sehen zu müssen.

Jesses, das war ja schlimm…

Er warf einen weiteren Blick in die Kiste, entschied sich angesichts der scheinbar nicht sehr ausgeprägten sportlichen Fähigkeiten gegen Jojo, Seilspringen oder Frisbee und kramte etwas tiefer. Irgendwo da drin sollte ein Bildermemory sein, das konnten sie auch spielen ohne sich zwangsweise unterhalten zu müssen – vorausgesetzt Yoshi kannte Memory, aber davon ging Hayato jetzt einfach mal aus.

Als er das Spiel fand und sich fast triumphierend wieder aufrichtete, stellte er fest, dass Yoshi auf einmal neben ihm stand – oder eher auf dem Truhenrand hing. Der Junge war doch ein gutes Stück kleiner als er selbst und schien sich zusätzlich nicht so ganz zu trauen, was dazu führte, dass seine Nase mehr oder weniger zwischen seinen Händen auf dem Rand der Truhe lag, während seine Augen neugierig hineinblickten.

Hatte er noch nie eine Spielzeugkiste gesehen?

Hayato gab ihm einen Augenblick, dann tippte er ihn an der Schulter an, woraufhin Yoshi sich zu ihm drehte, das Spiel musterte, wieder ihn, wieder das Spiel und ihn schließlich verständnislos anblickte. Aber immerhin ließ er die Truhe los und wand sich vollständig zu ihm um.

Nun gut… Hayato störte sich nicht daran, setzte sich auf seinen weichen Spielteppich und packte in aller Ruhe das Spiel aus, mischte die Karten und verteilte sie auf dem Boden. Yoshi folgte langsam, imitierte dann seine Sitzhaltung und sah ihm zu. Als Hayato aber die ersten Karten umdrehte und wieder verdeckte, warf ihm der Junge wieder einen Blick zu, der fast das gigantische Fragezeichen über seinem Kopf sichtbar machte.

Dann griff Yoshi aber doch langsam nach einer der Karten, drehte sie um und quietschte vergnügt, als ein Roboter zum Vorschein kam. Entgegen jeder Regel drehte er die anderen Karten auch um, bis er den zweiten Roboter fand und ihn fröhlich strahlend vor sich legte. Hayato sah ihm stumm zu und wusste nicht so recht, was er jetzt damit anfangen sollte, aber er wusste, dass der Junge scheinbar nur Extreme kannte. Entweder er weinte oder er strahlte so stark, das man kaum hinsehen konnte…

Kopfschüttelnd, musterte er das Kind vor sich skeptisch… toll, sollte er ihn den Rest des Abends eine Memorykarte anstarren lassen?

Mit einem kurzen Blick auf seine anderen Karten (Autos, Motorräder, Computer,…), schüttelte er den Kopf, tippte den Kleinen nochmals an und zog ihn mit ins angrenzende Musikzimmer. Yoshis Augen weiteten sich merklich (auch wenn er zuvor ein wenig schmollend dreingeblickt hatte) und er tippelte fröhlich auf den Flügel am Fenster zu. Oh, ob er auch spielte…?

Hayato verzog gepeinigt das Gesicht und korrigierte die Einschätzung sogleich, als Yoshi wild auf den Tasten herumhämmerte und dabei lachte. Das tat doch weh!

Schnell lief er zu dem anderen und hielt seine Hände fest, woraufhin Yoshi erschrocken zusammenzuckte und ihn fast verängstigt ansah. Hayato seufzte, kletterte auf den Hocker, warf einen letzten Blick auf Yoshi und spielte eine einfache Melodie.

Erst als er geendet hatte, drehte er sich zur Seite und stellte überrascht fest, dass Yoshi ruhig neben ihm stehen geblieben war und ihn mit seinen großen Augen neugierig ansah. Aber er lächelte und legte fast traurig den Kopf schief, als er endete. Hayato zögerte kurz, dann legte er die Finger wieder auf die Tasten und begann ein weiteres Lied.

Irgendwann während er spielte, kletterte Yoshi etwas umständlich neben ihn, aber er machte nichts weiter, saß einfach nur ruhig da und sah und hörte zu.

Beim dritten Lied schließlich gähnte er und im vierten sackte auf einmal sein Kopf auf Hayatos Schulter. Letzterer zuckte erstmal erschrocken und aus dem Lied gerissen zusammen, dann lachte er leise. So eine Schlafmütze… aber er brachte das Lied dennoch zu Ende und so fanden auch ihre Eltern sie kurz darauf vor.

Yoshis Mutter stupste ihn sacht an, nahm das blinzelte Kind in den Arm und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das Hayato nicht verstand, aber er sah das zufriedene Nicken seines Vaters und ein kleines Lächeln schlich sich nun doch auch auf seine Züge.

Als sie sich für ein Foto aufstellten, wollte Yoshi nicht, er schlief immer wieder fast in den Armen seiner Mutter (auch im Stehen) ein und als die Familie ging, trug sein Vater ihn wirklich im Arm.

Hayato sah ihnen einen Moment lang nach. Der Junge würde sicher mal ein netter Mann werden, so einer, den sein Vater immer als „zu weich“ oder „Schwächling“ bezeichnete. Er war ja irgendwie fast schon niedlich, aber er würde es im Leben sicher niemals zu etwas bringen…
 

Er betrachtete das Bild noch einen Moment nachdenklich, aber die Erinnerungen waren viel zu bruchstückhaft, als dass er sie hätte zusammensetzen können und das Foto verriet zu wenig. Der kleine Junge war nur von hinten zu sehen, die Frau fast gar nicht, weil sie vor ihm hockte und der Mann, an dessen Namen er sich partout nicht erinnern konnte, hatte sich ebenfalls zu seinem Sohn herabgebeugt und somit verhindert, dass sein Gesicht zu sehen war.

Was wohl heute aus der Familie geworden war?

Er schüttelte mit einem ironischen Schnauben den Kopf. Wer immer sie gewesen waren, sie waren nicht mehr wichtig, sonst hätte er sie gekannt. So legte er das Bild kurzerhand in die Nachttischschublade, schloss diese und griff endlich nach den Zündern. Er hatte heute schließlich noch wichtigeres vor, als gedankenversunken auf ein altes, unwichtiges Bild zu starren…



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  oOArtemisOo
2013-01-08T06:13:56+00:00 08.01.2013 07:13
Wow, ich muss sagen ich bin irgendwie einfach sprachlos.
Eine wirklich wundervoll Gefühlfolle Geschichte.
Lg
Artemis
Von:  Rondine
2012-11-26T18:06:31+00:00 26.11.2012 19:06
... Zuckerschock! *__________________*
Mehr kann ich dazu ja wirklich nicht sagen. Wie ich mir das einfach nur bildlich vorstellen konnte. So süß! <3 Dieser Film, awww, klein-Hayato und Klein-Tsuna beim Spielen, oder irgendwas davon. *kicher* Ich stand sehr kurz davor lauthals rumzuquietschen. *o* So süß! Ich sterbe tausend Tode, wenn ich mir vorstelle, wie Klein-Tsuna an Klein-Hayatos Schulter einschläft, während der Piano spielt. *////* Was ich noch richtig niedlich fand, war das mit dem Roboter... *lach* ...und deinetwegen hab' ich jetzt Bock, Tsuna durchzuknuddeln. xD

Der Schluss hat mich dann zum Schmunzeln gebracht, weil Hayato einfach nicht dahinter kommt, auf wenn er da aufgepasst hat... :D *kicher* Nicht wichtig, höhö... XD


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