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Hole in the Wall

Sie trafen sich im Loch in der Wand
von

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Der Fernseher rauschte in der Stille des Pubs. Nicht einmal der Wirt stand hinter dem Tresen und reinigte summend ein paar Gläser – vielleicht, weil er damit beschäftigt war, reglos auf dem Boden seiner Kneipe zu liegen. Ein Steakmesser ragte aus seinem Rücken, dort, wo das Herz sein mochte, und mehrere weitere Einstiche kündeten davon, dass es jemand ernst gemeint hatte.
 

Langsam ließ das Adrenalin nach, das durch seine Adern pumpte und erinnerte Corey daran, dass er weder Polizist noch Soldat noch Kung-Fu-Meister war. Ächzend ließ er sich auf einen Barhocker fallen und ignorierte die dunklen Flecken auf seiner schwarzen Hose genauso tapfer, wie die Löcher in seinem Jackett und das ganze Blut. Stöhnend fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht und durch die aschblonden Haare, wischte dabei den Schweiß kaum fort und verteilte dafür rote Schlieren. Sein Gehirn hatte sich schon vor einer Weile von der Idee verabschiedet, verstehen zu wollen, was mit ihm geschah, doch jetzt, wo der Wirt sich endlich damit abgefunden zu haben schien, tot zu sein, kehrten die Erinnerungen zurück. Die Erinnerungen an den Schwarm Fledermäuse, der in der letzten Nacht gegen sein Schlafzimmerfenster geklatscht war, und an den Kater, der auf seinem Weg zur Arbeit penetrant fünf Mal von links nach rechts über die Straße gelaufen war und sich erst durch einen beherzten Tritt von einem sechsten Mal hatte abhalten lassen.

Und dann war da natürlich noch die Erinnerung an den sonderbaren Mister Palmer, der ihm heute Nachmittag einfach so aus dem Sarg gekrochen war. Tot, natürlich. Corey war sich sicher, dass Mister Palmer tot gewesen war. Immerhin hatten sie das Blut des Dreiundneunzigjährigen zu dem Zeitpunkt längst gegen Formalin ausgetauscht und den alten Knaben exakt nach Lehrbuch einbalsamiert, damit seine reichen Urenkel bei der Bestattung nicht aus Versehen in die Trauerhalle kotzten. Aus dem Sarg gekrochen war Palmer trotzdem. Und als wäre das nicht genug, hatte er auch noch versucht, ihn zu beißen. Natürlich – ohne Gebiss war dieses Unternehmen zum Scheitern verurteilt gewesen. Dennoch hatten erst ein paar beherzte Schläge mit der teuren Mingvase aus dem Beratungsraum nebenan dafür gesorgt, dass Palmer so tot war, wie er es sein sollte. Vermutlich brauchten sein Sohn und dessen Frau jetzt nicht nur einen Bestatter, sondern auch einen Psychiater. Bei Gott – er brauchte jetzt vermutlich einen Psychiater.
 

Unglücklicherweise hatte Corey den nicht bekommen. Stattdessen hatte sein Chef, Fitz, der eigentlich Daniel Fitzgerald hieß, den Feierabend eingeläutet und ihn auf ein Guinness eingeladen. Leider erst, nachdem die Polizei und Palmer Junior mit Frau endlich abgerückt waren. Nicht, dass das seine beste Idee gewesen wäre. Als perfekter Pub für das Besäufnis hatte sich Fitz‘ Wahl, das Hole in the Wall, nicht erwiesen. Nein, das hatte es sich wirklich nicht. Tapfer hielt Corey sich davon ab, zurück zu dem Tisch zu sehen, an dem sie gesessen hatten und wo seine Fish‘n‘Chips noch immer auf ihn warteten – und Fitz‘ lebloser Körper. Der Anblick war einer, von dem zumindest sein Unterbewusstsein wusste, dass er ihn in diesem Moment nicht vertragen würde.

Stattdessen glitt sein Blick zurück zum Wirt und seine Hand hinauf zu seinem Hals, dort, wo Nick, der Wirt, dass geschafft hatte, was der gebisslose Palmer nicht hatte vollbringen können. Scharf sog er die Luft ein, als seine Finger die Wunden fanden. Hastig ließ er von der Idee ab, weiter tasten zu wollen. Stattdessen schielte er zum Wirt. Nick. Dem nicht tot zu kriegenden, blutsaugenden Nick.

Nick, der endlich tot war und tot blieb. Hoffentlich.

Stirnrunzelnd fragte er sich, ob das, was er gerade getan hatte, als Mord zu klassifizieren war, oder zumindest als Totschlag. Konnte man ihn tatsächlich dafür belangen, dass er, mittlerweile zwei, Tote getötet hatte? Kopfschüttelnd vertrieb er den Gedanken. Die Frage, ob er ein Stuhlbein mit Fitz‘ Steakmesser anspitzen und neben sein Steakmesser rammen sollte, nur um auf Nummer sicher zu gehen, war drängender.
 

Jemand räusperte sich. Schlagartig zuckte Corey zusammen, bereits auf der Suche nach irgendwas mit dem er zuschlagen konnte, bevor er sich daran erinnerte, dass er nicht der einzige lebende Pubbesucher war.

Skeptisch blickte er auf, zu dem Mädchen mit den blauen Strähnen, das vor wenigen Minuten panisch in den Pub gestürzt war – und ihm damit vielleicht das Leben gerettet hatte. Sie hockte jetzt zwischen einem umgestürzten Tisch und den dazugehörigen Stühlen und presste ihr Buch – das Buch, das ihr das Leben gerettet hatte – fest an ihre Brust. Ihre Schuluniform kündete von einer der Privatschulen der Stadt und davon, dass irgendetwas versucht hatte, sie in handliche Portionen zu zerteilen.

„Netter Move“, sagte sie über das Rauschen des Fernsehers hinweg, der wohl nie wieder Arsenal gegen Tottenham zeigen würde, seit ihn Coreys Guinness getroffen hatte. „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so viel Kraft haben.“

Ich auch nicht, war die korrekte Antwort, die Corey ihr nicht geben würde. Stattdessen sagte er: „Es kommt nicht darauf an, wie viel Kraft du in einen einzelnen Schlag legst, sondern mit wie viel Wucht du mehrfach auf dein Ziel einhackst.“

„Oh“, antwortete sie, sehr intelligent. Aber immerhin offenbarten ihre nächsten Worte, dass sie sich Gedanken gemacht hatte, während sie ihn stumm wie ein Fisch angeglotzt hatte.

„Ich weiß“, begann sie und stockte, „Ich – Die Frage ist ziemlich bescheuert. Aber – Denken Sie, ich meine, das ist nicht möglich, aber der Wirt, der Wirt, der –“

„Nick“, warf er hilfsbereit ein.

Nick, richtig. Nick hat Zähne, über die würde meine Miss Jernigan, meine Zahnärztin, vermutlich gern einen Aufsatz schreiben. Oder ein Buch. Und er hat Sie gebissen. Und den Mann da drüben am Tisch bestimmt auch.“

„Das ist mein Chef.“

Das war dein Chef, korrigierte eine leise Stimme in seinem Hinterkopf, die vielleicht seinem Unterbewusstsein gehörte. Corey verzog das Gesicht, doch das Mädchen störte das scheinbar nicht.

„Richtig, genau der“, fuhr sie fort. „Jedenfalls hat er den auch gebissen. Und mich wollte er beißen und ich habe seine Zähne gesehen. Ich weiß, das ist unmöglich, aber denken Sie, der Wirt ist ein Vampir?“

Ja, antwortete die leise Stimme seines Unterbewusstseins, doch Corey sagte kein Wort. Da war immer noch sein Verstand, der nach einer Erklärung suchte, warum Mister Palmer ihm aus dem Sarg gekrochen war, und der den Lösungsvorschlag ‚Zombie‘ kategorisch ablehnte. Jetzt auch noch eine Erklärung für den vampirischen Wirt zu finden, die nichts mit Vampiren zu tun hatte, war vielleicht zu viel für ihn – denn die zu finden, würde nicht einfach sein. Corey kannte dank seiner Schwester diverse Vampirschmonzetten und Nick erfüllte für seinen Geschmack eindeutig zu viele Merkmale diverser Checklisten.

„Denken Sie, er ist tot?“, ertönte die Stimme des Mädchens in der rauschenden Stille.

„Ihm steckt ein Messer im Oberkörper.“

„Ihm steckte auch schon ein Messer in der Hand.“

Skeptisch blickten beide zu eben jener Hand. Nicht einmal ein Schorf zeugte davon, dass Corey ihm vor wenigen Minuten ein Steakmesser zwischen die Mittelhandknochen gejagt hatte. Sein Unterbewusstsein machte einen weiteren Haken auf der Checkliste.

„Beschwör‘ es nicht“, antwortete er langsam. Vorsichtig stand er auf, um hinter den Tresen zu taumeln. Suchend glitten seine Hände über Gläser und Flaschen. „Was ist das eigentlich für ein Buch? Nicky hier hat es angestarrt, als sei es die Bibel.“

„Die Bibel?“, echote sie. „Ähm, nö, das ist Breaking Dawn, wieso?“

Breaking Dawn? Davon hatte er gehört. Nicht einmal seine Schwester hatte das Buch angefasst … Abrupt hielt er inne und griff nach der nächsten Flasche, die seine Hand berührte. Er ignorierte die Tatsache, dass das Gesöff bereits halb leer war. Mit fahrigen Händen zog er die Flasche aus dem Regal und öffnete sie.

„Nur so.“

„Oh. Okay. Was machen Sie da? Oh, ich weiß! Sie wollen die Wunde mit dem Alkohol desinfizieren, oder? Glauben Sie, dass hilft gegen Vampirspeichel? Sie denken doch auch, dass der Wirt, Nick, ein Vampir war, oder? Sie haben mir nämlich nicht auf meine Frage geantwortet. Hey, ich frage mich gerade, ob Nick in der Sonne glitzert? Ich meine, ich weiß natürlich, dass Stephenie Meyers Interpretation des Mythos recht, äh, eigenwillig ist. Aber vielleicht hat sie ja recht? Ich meine, eigentlich dachte ich auch nicht, dass es Werwölfe gibt, aber mein Date hat vorhin plötzlich Haare bekommen und gejault. Als er nach mir geschnappt hat, bin ich dann lieber gerannt, aber ich glaube, normal ist das nicht. Das sollte eigentlich nicht passieren. Aber es ist passiert. Also ist es doch möglich, dass der Wirt glitzert, oder? Eigentlich habe ich mir Vampire immer hübscher vorgestellt, so wie Edward. Also Edward und nicht Robert Pattinson … Gut, ich glaube, Lestat ist das bessere Beispiel …“

Corey nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche und dann noch einen. Das Zittern seiner Hände ließ nach, die Erkenntnis, dass das zu viele Fragen auf einmal waren, mit denen er sich nicht befassen wollte, leider nicht. Kurz überlegte er, ob er noch einen Schluck nehmen sollte, entschied sich aber ob der Tatsache, dass er nicht wusste, welches Mythologieviehzeug ihm heute noch ans Leder wollte – mittlerweile rechnete er mit allem, auch mit Harry Potter und mit Einhörnern – dagegen. Stattdessen kramte er nach dem Verbandskasten, der sich irgendwo befinden musste.

„Also desinfizieren Sie die Wunde nicht?“, fragte das Mädchen weiter. Deutlich hörte er die Enttäuschung in ihrer Stimme. Er ignorierte sie.

Derweil fand er tatsächlich einen Verbandskasten unter der Kasse, der nicht mehr enthielt, als das Nötigste. Vermutlich gab es in den hinteren Räumen ein besser ausgestattetes Exemplar, aber er hatte nicht die Geduld, danach zu suchen. Außerdem wollte er es vermeiden, den Wirt zu eindeutig aus den Augen zu lassen, nur für den Fall. Unter dem skeptischen Blick des Mädchens begann er damit, die Bisswunde an seinem Hals zu versorgen. Ganz einfach war das nicht und das nicht nur, weil er quasi blind arbeiten musste. Mehrfach zuckte er zusammen. Irgendwann setzte er sich auf einen der Bierkästen hinter der Theke und überließ die Bewachung des toten Wirts dem Mädchen. Helle Lichtblitze tanzten wie Sterne in seinem Blickfeld, das mehrfach bedrohlich dunkel wurde. Langsam lehnte er sich zurück, an die Wand hinter dem Kasten, und atmete tief ein und wieder aus.

Die Schritte, die sich ihm näherten, hörte er nur dumpf. Irritiert öffnete er die Augen. Seine Alarmglocken schlugen an, dennoch ließ er sich das Verbandszeug bereitwillig aus den Händen nehmen.

„Okay, Desinfektionsmittel ist vielleicht besser als Alkohol, zugegeben. Aber der Alkohol wäre cooler gewesen“, hörte er eine Stimme – das Mädchen. Es musste das Mädchen sein. Tatsächlich glaubte er, sie in dem Schemen, den er sah, ausmachen zu können. Wirklich darauf achten konnte er nicht, denn sie begann kurzerhand, an seinem Hals herumzuwerkeln. Seine Hand zuckte in einer unkontrollierten Geste hoch. Als er realisierte, dass er nicht wusste, was er mit ihr tun sollte, ließ er sie wieder sinken und das Mädchen gewähren.
 

Irgendwann wurde es besser. Irgendwann, dass war deutlich später, lange nachdem das Mädchen die Wunde längst mit einem großen Pflaster abgeklebt hatte. Mühsam blinzelte er gegen das gelbliche Licht der Pub-Beleuchtung. Das Mädchen räusperte sich. Das Geräusch war penetrant genug, um ihn aufsehen zu lassen.

„Geht‘s wieder?“

„Nein.“

In seinem Augenwinkel nickte sie langsam.

„Fitz ist tot“, fügte er hinzu.

„Ich weiß“, antwortete sie, auch wenn ihm schleierhaft war, woher sie wusste, wer Fitz war. Vielleicht konnte sie doch eins und eins zusammenzählen. „Ich hab‘s überprüft.“

„Das war nicht das, was ich hören wollte.“

„Tut mir leid.“

Kurz trafen sich ihre Blicke. Ob es ihr tatsächlich leid tat, konnte er nicht in ihrem Gesicht lesen. Vielleicht hatte sie das Ausmaß dessen, was gerade passiert war – möglicherweise immer noch passierte – noch nicht realisiert. Er hatte das Ausmaß dessen, was passiert war, noch nicht realisiert. Was er jetzt realisierte – Fitz war tot. Er hatte nicht einfach nur eine Leiche am Hals, deren Wiederauferstehung man wissenschaftlich vielleicht doch irgendwie erklären konnte, und den wütenden Sohn dieser Leiche. Sein Vorgesetzter war tot. Wegen einem gottverdammten Bier und billigen Fish‘n‘Chips.

Corey vergrub das Gesicht in den Händen. Er spürte ihre Hand auf seiner Schulter, ignorierte sie jedoch. Es war eine Geste des Mitgefühls – Mitgefühl, mit dem er im Moment nichts anfangen konnte.
 

„Noch etwas Whiskey?“, fragte sie irgendwann. „Ich könnte ein sauberes Glas suchen.“

Corey antwortete nicht. Die Wunde an seinem Hals pochte drohend und schnürte ihm die Kehle zu – die und die Erinnerung. Vermutlich hätte er nicht einmal dann etwas trinken können, wenn er gewollt hätte.

Sie schwieg eine Weile. Vielleicht hatte sie eingesehen, dass er nicht antworten würde. Vielleicht aber auch nicht.

„Ich heiße Faith“, warf sie schließlich zusammenhangslos ein, als sich die Stille über das Rauschen des Fernsehers hinweg dehnte. „Und ja, ich kenne die Witze. Faith Faithless, nennen meine Mitschüler mich, aber witzig ist das nicht. Eigentlich heiße ich Faith Barton. Und Sie?“

Er antwortete nicht, was Faith nur seufzen ließ.

„Schon gut, ich weiß“, fuhr sie fort. „Sie haben gerade einen toten Wirt erstochen, Sie müssen sich nicht vorstellen.“

„Ich habe auch Mister Palmer erschlagen“, flüsterte er leise. Er konnte nicht einmal sagen, warum er es tat. Fakt war, dass er Mister Palmer wieder vor seinem inneren Auge sah – alt und faltig und tot. Untot.

„War der auch ein Vampir?“

„Er ist mir aus dem Sarg gekrochen. Und er hat versucht, mich zu beißen. Ohne sein Gebiss.“

„Oh.“ Sie verstummte, aber leider nur kurz. „Sind Sie ein Vampirjäger?“

Skeptisch sah er auf, musterte sie eingehender, als nur aus dem Augenwinkel. Ihr Gesicht war ziemlich gewöhnlich. Zwei blaue Augen, eine Nase mit einem leichten Höcker, ein Mund mit etwas Lipgloss. Schwarze Haare mit blauen Strähnchen umrahmten ihr herzförmiges Gesicht. Die Proportionen stimmten und leichtes Make-Up verdeckte ihre Pickel. Nichts davon machte sie besonders hässlich, nichts davon machte sie besonders schön, aber in ihrer Gewöhnlichkeit war sie recht hübsch anzusehen.

„Nein. Bestatter.“

Wieder sagte sie „Oh“ und es klang fast wie ‚Auch gut. Können Sie mir zeigen, wie man Leichen aufschneidet?‘. Vermutlich hatte sie seinen Blick gesehen. Auch wenn ihr die Frage vielleicht auf der Zunge lag, stellte Faith sie nicht. Zugegebenermaßen legte Corey keinen Wert darauf, ihr den Unterschied zwischen einen Bestatter und einem Gerichtsmediziner zu erklären.

„Also wissen Sie auch nicht mehr als ich?“, fragte sie stattdessen.

Halb nickend, halb den Kopf schüttelnd zuckte er mit den Achseln. „Du hast zumindest dieses Buch gelesen.“

Breaking Dawn, meinen Sie? Oh ja. Und Interview with the Vampire. Aber –“ Sie stockte erneut. Nervös leckte sie sich mit der Zunge über die Lippen. „Das hier ist anders. Hier ist überall Blut und dem Wirt steckt ein Steakmesser zwischen den Rippen und er ist hässlich. Und Ben hat mich angeknurrt und versucht, mich zu beißen. Dabei mag er Hunde nicht mal und er rasiert sich täglich, weil ich das Kratzen nicht mag. Und außerdem – sollten hier nicht Polizisten auftauchen? Wir waren doch laut, oder? Und wenn nicht die, dann zumindest Gäste. Warum kommt hier niemand?“

„Vielleicht ist es die Apokalypse.“

Corey hatte es schneller ausgesprochen, als er den Gedanken überhaupt gedachte hatte, dennoch schmeckten die Worte unangenehm auf seiner Zunge. Vornehmlich unangenehm wahr. Nach allem, was er wusste, konnte es die gottverdammte Apokalypse sein. Fledermäuse waren ihm gegen die Fensterscheibe geklatscht. Dazu der penetrante Kater und Mister Palmer. Und Nick. Ganz besonders Nick.

Sein Magen ballte sich zusammen und Hände taten es ihm gleich. Er spürte, wie sich seine Nägel in die Haut seiner Handballen drückten. Ruckartig stand er auf. Corey spürte sich taumeln und schüttelte doch nur den Kopf. Das Schwindelgefühl verschwand langsam. Als er sich in Bewegung setzte, waren seine Schritte fest und zielgerichtet – oder so fest und zielgerichtet, wie sie sein konnten, wenn ein Vampir einen gebissen hatte. Der harte Ton seiner Schuhe auf dem Holzparkett hallte in seinen Ohren wieder, aber vermutlich spielte seine Wahrnehmung ihm nur Streiche. Er war nicht nur gebissen worden, er hatte auch Blut verloren. Vielleicht war das Grund genug für seine Wahrnehmung, um ihm Streiche zu spielen.

Neben Fitz blieb er stehen. Fitz war ein guter Mann gewesen. Ein ansehnlicher Mann, mit braunem Haar, ebenso brauen Augen und ersten Lachfalten. Ein Familienvater mit zwei Kindern. Ein guter Vorgesetzter, locker, witzig, aber eine gute Führungspersönlichkeit. Jetzt jedoch lag er zusammengesunken auf einem schäbigen, alten Tisch in einem schäbigen Pub, und schwamm in seinem eigenen Blut. Sein Jackett war dunkel, sein ehemals weißes Hemd rosa und rot, sein Hals aufgerissen. Blicklos starrten seine Augen ins Leere.

Eben, vor einer Ewigkeit, hatte Corey einen Wust von Gefühlen empfunden, die er nicht recht zu benennen konnte. Trauer war darunter. Mitleid. Jetzt jedoch überschattete ein anderer Gedanke den Rest. Und der lautete nicht Er ist tot., nicht mehr, sondern Hoffentlich bleibt er tot.

Entschlossen schloss er seinem toten Vorgesetzten die Augen. Kurz überlegte Corey, ob er Fitz das Steakmesser in den Leib rammen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Er wurde die Leiche seines Vorgesetzten nicht schänden, wenn ihm die Wahl blieb. Stattdessen ließ er sich auf seinen Stuhl fallen.

„Was werden Sie jetzt tun?“, hörte er Faith hinter sich.

Für einen Augenblick lang sah Corey zu Fitz, dann auf seinen Teller mit den kalten Fish‘n‘Chips. Was wollte er tun? Und noch viel wichtiger: Was konnte er tun? Sich betrinken? Sich aufhängen?

„Dein Freund hat sich in einen Werwolf verwandelt?“

Faith schwieg kurz. Vielleicht nickte sie, oder zuckte mit den Schultern. Er sah nicht zu ihr sondern nur auf die helle, weiße Marinade neben seinem frittierten Fisch.

„Zumindest sind ihm plötzlich Haare gewachsen und er hat gejault. Außerdem hat er versucht, mich zu beißen. Also – nun – Der Wirt war ein Vampir, oder?“

Er nickte langsam. Genauso träge hob er die Hand, überlegte kurz, was er damit wollte, und griff dann statt zu einem der Kartoffelstreifen zu dem Messer neben dem Teller. Corey presste die Lippen aufeinander. Dann entschied er sich.

„Wir warten bis zum Morgen oder bis die Polizei kommt – was auch immer zuerst eintrifft.“ Sein Blick glitt hinüber zu Nick. „Dann bring ich dich nach Hause.“

„Und dann?“

Und dann – das war die Frage. Vielleicht wachte er dann auf. Vielleicht fraß ihr Date sie, bevor sie bei ihr ankamen. Oder Mister Palmer. Vielleicht hängte er sich danach auf, wenn Mister Palmer sie nicht fraß. Vielleicht nahm die Polizei sie auch einfach fest. In einer Zelle war er vielleicht zumindest vor Nick sicher. Vielleicht – aber auch ganz vielleicht – verlor er dann auch endgültig den Verstand und jagte diesen Werwolf zur Hölle, wenn er ihn fand.

„Durchsuch die Schubladen. Vielleicht findest du ein paar Messer.“

„Silberne?“, fragte sie leise. Er spürte ihr Grinsen in seinem Nacken, das versprach, dass sie nicht zuhause bleiben würde. Er schloss die Augen, nur für einen Moment.

„Vorzugsweise.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Trollfrau
2012-09-02T11:58:06+00:00 02.09.2012 13:58
Hey, ich frage mich gerade, ob Nick in der Sonne glitzert?
XD Der war gut!
Schöne Geschichte. Macht unweigerlich Lust auf mehr. Wäre wirklich interessant, zu wissen, wie es da weiter geht.
Die Themen Vampire und Werwölfe sind zwar mittlerweile ziemlich ausgelutscht, aber diese Geschichte gefällt mir. Ich mag den bissigen Humor, der die ganze Zeit über mitschwingt.
Von: abgemeldet
2012-08-01T18:43:05+00:00 01.08.2012 20:43
1.) O___O
2.) ...???
3.) =D

Das war mein erster Eindruck. Jetzt hab ich alles drei mal gelesen. Ehm, ich bin mir noch immer nicht sicher, ob das sein "Ernst" ist oder ob er wirklich verrückt ist. Das Thema ist sichtlich getroffen und die Biss-Satire ist zum Schreien - ein wahrer Fan, was o.ô? - allerdings kann ich auch nach drei Durchgängen nicht erkennen, ob das "passiert" ist oder nur ein Traum. Es kann schließlich nicht tatsächlich so geschehen sein.
Immernoch... beim ersten Lesen war ich einfach erschüttert, beim zweiten total veriwrrt und beim dritten hab ich einfach nur noch von einem Witz bis zum nächsten gelesen und unterbewusst alles dazwischen ausgelassen. Naja, ich mag die Geschichte, sie ist gut geschrieben, nur wo ist der Sinn dahinter? :>

lg~
dao


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