Zum Inhalt der Seite

Der Tod und andere Normalitäten

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 1

Der kühle Wind strich sanft über meine geröteten Wangen, als ich eilig über die Bahngleise rannte um noch rechtzeitig zur Schule zu kommen. Die letzte Nacht war länger, als ich es erwartet hatte, daher kam ich erst vor wenigen Stunden nach Hause. Dementsprechend hatte ich natürlich auch verschlafen und musste nun zu Fuß zur Schule kommen – meine Bahn war schließlich schon lange weg. Ein Glück, dass ich das Laufen gewohnt war – es war schließlich meine Beinmuskulatur, die mir zu einem Kennzeichen wurde, das ich eigentlich nur des Nachts zu zeigen pflegte.

Aber diesen Gedanken durfte ich jetzt nicht nachhängen, ich musste zur Schule – pünktlich! Meine Schule war sehr streng eingerichtet – und für jeden Fehltritt hatte man zu büßen, auf welche Art und Weise auch immer. Und auf irgendwelche Bloßstellungen hatte ich heute keine Lust, wenngleich es die Lehrer wären, die bloßgestellt würden.

Als mein Blick auf meine Uhr wanderte, begannen meine Füße damit, mich schneller fortzubewegen. Ich hatte noch etwa zehn Minuten, dann würde die allmorgendliche Begrüßung sein.

Na super, dachte ich.

Mein Blick huschte hastig von links nach rechts – gut, die Straßen waren leer, niemand sah zu! Kurzer Hand machte ich einen Satz nach vorn, sprang dann mit Kraft vom Boden ab und landete – leise wie ich war – auf einem großen, rot geziegelten Dach.

Jetzt nur noch quer rüber …

Schnell sprinteten meine Beine quer über die Dächer, sprangen von Rand zu Rand, bis in der Ferne meine Schule in Sicht kam. Noch sieben Minuten. Unter mir war ein Klirren zu hören – verdammt, die ersten Leute machten ihre Läden auf! Und meine Beine trugen mich noch schneller. Noch fünf Minuten – gleich geschafft! Das Geräusch von öffnenden Fensterläden ertönte – nur noch ein bisschen!

Ich eilte, nein flog förmlich über die Dächer, meine schwarzen Haare wehten auf und ab und meine Tasche tat es ihnen gleich, bis ich unbemerkt am Haupttor meiner Schule ankam und eilig ins Gebäude stürmte, ehe ich den großen Saal erreichte, in dem die allmorgendliche Begrüßung stattfand. Meine Hand öffnete eine der großen Türen und ich fand schnell meinen Platz unter den anderen Schülern. Zwei Minuten hätte ich nun noch – pünktlich wie immer!

„He Kaná, warum warst du denn nicht im Zug?“, stupste mich ein Junge meines Jahrgangs an. Er hatte kurze braune Haare und graue Augen, sein Name war Keith.

„Ach naja, ich hatte heute Lust, zu laufen!“, antwortete ich grinsend und stellte meine Tasche ab. Keith war hier in der Schule der einzige, mit dem ich den ganzen Tag zusammen war, mit dem ich Hausaufgaben machte und der mir immer mein Essen klaute – andere würden uns als beste Freunde bezeichnen, er tat es auch, aber für mich war er nur der, der mir am wenigsten auf die Nerven ging. Das mag hart klingen, aber meine Freunde waren anders, viel spezieller. Und sie waren es auch, mit denen ich wirklich mein ganzes Leben teilte, während Keith und die anderen in mir nur den gewöhnlichen Schüler sahen.

Ein Mann mittleren Alters mit gestreiftem Anzug und einer Melone trat an das Podium vor uns und räusperte sich laut.

„Guten Morgen, Schüler!“

„Guten Morgen, Rektor Killany!“
 

Ich legte gähnend den Stift beiseite und erhob mich, um mit Keith in die Mensa zu gehen. Beiläufig fiel dabei mein Blick auf die Uhr – noch zwei Stunden, dann würde ich wieder nach Hause fahren. Vielleicht konnte ich auf dem Heimweg sogar bei Knife vorbeischauen, da war ich bestimmt eine Woche nicht mehr gewesen und der alte Mann hatte immer etwas zu erzählen. Und vielleicht hatte er ja wieder etwas für mich entwickelt …

„Kaná, willst du auch was?“, fragte Keith grinsend und deutete auf die Süßigkeitenregale – ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir bereits in der Mensa waren.

„Nein, ich habe etwas bei.“, antwortete ich lächelnd und ließ meinen Blick schweifen. Viele der Lehrer hielten sich gerade hier auf und aßen zu Mittag. Ich merkte, wie Keith die Schultern zuckte.

„Wenn du meinst.“, sagte er und griff nach diversen Schokoriegeln und Weingummitüten, die er anschließend an der Kasse bezahlte.

„Sag mal, Kaná – hast du die Hausaufgaben gemacht?“, fragte Keith beiläufig und kaute auf einem Weingummi herum. Ich seufzte, lächelte aber.

„Warst wohl wieder zu sehr mit Mai beschäftigt, hm?“, erwiderte ich. Mai war ein Mädchen unserer Klasse mit langem blonden Haar und reizenden vollen Lippen – Keith vergötterte sie förmlich.

„Hehe, sicher! Wenn sie nach mir ruft, kann ich die edle Dame doch nicht einfach allein lassen!“

Und er war naiv – immer tat er, was sie verlangte. Er ließ sich ausnutzen, doch er merkte es gar nicht.

„Wenn du so weitermachst, wirst du noch durch die Klausuren fallen.“, meinte ich, deutete dann auf die Tür, woraufhin Keith nickte.

„Hey, es wird auch nicht mehr vorkommen.“

Ich lachte.

„Das hast du bereits die letzten sechs Male gesagt, Keith!“
 

Das laute Klingeln ließ mir einen erleichterten Seufzer entfahren – ich hatte an diesem Tag wirklich keine Lust mehr, daher war mir das Klingeln, das das Ende des Schultages einläutete nur allzu recht. Hastig packte ich meine Sachen zusammen, sah dann auf die Uhr. Ich hatte noch etwa zwölf Minuten Zeit, um zum Bahnhof zu gehen. Es blieb also noch genug Zeit, kurz beim Zeitungsladen anzuhalten und mir die neueste Tagesschau zu kaufen.

„Hey Kaná, kommst du?“, hörte ich Keith rufen und sah aus dem Fenster. Wie schaffte es dieser Kerl eigentlich immer, so schnell unten am Tor zu sein? Ich lächelte und bedeutete ihm, kurz auf mich zu warten, ehe ich hinunter rannte. Gemeinsam liefen wir dann in die Richtung, in der der Bahnhof lag.

„Ich freue mich auf die nächsten Ferien!“, gähnte Keith.

„Warum?“

„Was fragst du da? Natürlich weil ich dann endlich genug Zeit habe, Mai für mich zu gewinnen!“

„Wenn Mai etwas von dir wollte, Keith, hätte sie bereits etwas gesagt. Immerhin läufst du ihr den ganzen Tag hinterher.“

Keith sah mich grummelnd an, dann schlug er mir auf den Rücken – ich geriet ins stolpern.

„Weißt du was, Kaná? Du bist bloß eifersüchtig, weil mich ein Mädchen in ihrer Nähe haben will!“, kicherte er.

„Sicher, sicher – und morgen geht die Welt unter.“, erwiderte ich säuerlich – Mädchen waren das letzte, was ich nun brauchte. Immer kicherten sie dumm herum und redeten über irrsinniges Zeug. Außerdem hatten die Mädchen der Tageswelt keine Ahnung vom wahren Leben – niemand aus der Tageswelt hatte dies.

„Hey, wenn du dir eine Freundin suchen würdest, wärst du bestimmt nicht so ein Schwarzseher!“, meinte Keith lachend. Ich verdrehte die Augen.

„Schwarzseher? Ich nenne so etwas realistisch sein.“, erwiderte ich und kniff Keith in den Arm, der daraufhin kichernd wegsprang – manchmal war dieser Junge wirklich merkwürdig.

Nach ein paar Minuten zog ich an Keiths Ärmel und deutete auf den kleinen Zeitungsladen.

„Ich muss mir noch die Tagesschau holen.“, sagte ich. Keith rollte mit den Augen und seufzte.

„Warum holst du dir die jeden Tag? Es steht doch eh nichts interessantes drin!“

„Sagst du – vielleicht haben sie ja ein paar Informationen zu den Morden der letzten Tage!“

„Was sollen sie denn für Informationen haben? Denkst du, ein Vögelchen kommt vorbeigeflogen und flüstert ihnen, wer es getan hat?“

Ich zuckte die Schultern.

„Vielleicht.“

Ich war nur allzu froh, dass Keith die ganze Angelegenheit gelassen nahm – und nicht zu denen gehörte, die den ganzen Tag damit verbrachten, diese Morde aufdecken zu wollen. Denn wenn es so wäre, würde er mir gefährlich werden können. Ich holte mir Tagesschau wirklich jeden Tag, weil ich wissen wollte, wie weit die Polizei mit den Ermittlungen war. Aber nicht, weil ich wollte, dass sie die Morde aufklärten – ich wollte sicher gehen, dass alles sauber und nach Plan verlaufen war.

Kurze Augenblicke später hatte ich die Tagesschau bezahlt und ging mit Keith weiter Richtung Bahnhof. Dort angekommen mussten wir kaum zwei Minuten auf den Zug warten, der uns nach Hause bringen würde.

In diesem setzten wir uns auf ein paar freie Plätze und unterhielten uns weiter.

„Ich denke, ich werde mir nachher dieses neue Spiel kaufen.“, sagte Keith nachdenklich. Ich nickte zustimmend – ich wusste, dass Keith bereits seit drei Monaten auf dieses Spiel sparte.

„Hast du also endlich das Geld zusammen, ja?“

„Klar – pünktlich zur Erscheinung, wie ich es dir vorhergesagt hatte!“

„Na dann ist ja gut – sonst hättest du mir nur wieder die Ohren vollgequängelt!“, sagte ich bestimmt, woraufhin mich Keith entsetzt ansah.

„Ich würde dich nie vollquängeln! Dafür bist du viel zu taktlos!“, erwiderte er schnaubend.

„Ja, das stimmt wahrscheinlich.“, meinte ich lächelnd und schaute auf die Anzeige des Zuges.

„Du Keith, ich muss hier raus – will noch einen Freund besuchen. Bis morgen früh!“, sagte ich kurz und schnell, ehe ich aus dem Zug trat – ohne auch nur auf eine Antwort Keiths zu warten. Auf dem Bahnsteig schaute ich auf meine Uhr, dann steckte ich die Tageszeitung in meine Tasche und ging die lange Treppe hinunter, die zur Straße führte. Auch diese überquerte ich zielstrebig und gelangte nach wenigen Minuten auf einen alten Trampelpfad, der mich geradewegs zu einer alten, großen Hütte führte – extrem hässlich, wenn man mich fragt.

Schnell war ich zur Tür gelaufen und hatte mich kurz gestreckt. Dann öffnete ich sie – sie war schwer, wie immer – und trat in den dunklen Flur.

„He Knife, bist du da?“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück