Zum Inhalt der Seite

consider me

Puzzleshipping
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Joahr, lang lang ist´s her >D
Aber ich habs nicht vergessen. Ich werde versuchen, nun wieder regelmäßiger die Kapitel hochzuladen. Gab nur in letzter Zeit ... ein riesiges Tohuwabohu.
Doch nun, lest und staunt
*Kapitel auf den Tisch klatsch* Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Lichtermeer

Kapitel 3: Lichtermeer
 


 


 

„Das war unglaublich!“, wiederholte sich Tristan schon zum sechsten Mal. „Ich wusste gar nicht, dass man mit einem Fächer so tanzen kann“, murmelte Joey und die Mädels kreischten ständig etwas von >Anmut und Eleganz<. Sogar Harumi hatte entsetzt geschaut, denn es lief scheinbar alles anders, als sie erhofft hatte. Nur Yami musste wieder mal aus der Reihe tanzen. Denn er hatte sich bisher noch nicht geäußert. Er hatte Applaus geklatscht und mir zugezwinkert, doch das war´s. Ich wusste nicht, ob ich mehr erwarten sollte, denn immerhin hatte er mich einfach ins kalte Wasser geworfen. Wenn ich mich bis auf die Knochen blamiert hätte, wäre er sofort einen Kopf kürzer gewesen. Nun aber stand er neben mir, nickte zur Zustimmung bei den Ausrufen und blickte mich völlig normal an. Als würden wir im Garten sitzen und uns über Maschendrahtzäune unterhalten. Also irgendwie… reichte mir seine Reaktion nicht aus, aber was ich stattdessen wollte, konnte ich auch nicht direkt sagen. Aber vielleicht hatte ich auch nur etwas übersehen? Also durchforstete ich seine Augen nach etwas, doch er zwinkerte mir wieder nur zu. Seufzend gab ich auf.
 

Ich ging davon aus, dass das Fest sich so langsam dem Ende nähern würde, doch da hatte ich falsch gedacht. Nach meinem (Gott sei Dank!) Blamage freiem Auftritt wurde die Musik lauter gedreht und viele Menschen füllten die Tanzfläche. Die Stimmung war auf dem Höhepunkt, jeder lachte, trank Bowle von Mai, die sie fässerweise schon Wochen vorher aufgesetzt hatte (wo ich mich immer noch fragte, wie sie die hierher transportiert hatte) und ich… ja ich saß am Tisch, mein Gesicht auf meine Handinnenfläche gestützt und hielt mich ebenfalls an Mais Bowle fest. Es war nicht so, dass mich das alles nicht interessierte – ganz im Gegenteil. Ich hatte die Auswahl bei Serenity und Mai zuzuhören, die sich angeregt über die neuen Schuhe im Stadtzentrum unterhielten oder Tristan und Joey, deren Gesprächsthemen sich seit einer geschlagenen Stunde nur auf Autos und deren Zubehör beschränkten. Ich entschied mich für die Mädels und hatte inzwischen gelernt, dass Strasssteine an Schuhen zwar toll aussahen, aber sie nicht lange hielten.
 

Seufzend griff ich nach meinem Glas und stellte enttäuscht fest, dass es schon wieder leer war. Na toll. Für Nachschub müsste ich aufstehen – dann würde ich aber mit großer Sicherheit wanken und bei meinem Glück Leute umrennen. Also blieb ich sitzen und schielte sehnsüchtig zur Bowle, die nur wenige Meter von mir an einem Büffettisch stand. Seltsamer Weise standen aber dieses Mal mehrere Glasgefäße nebeneinander – war es vor einigen Minuten nicht nur eins gewesen?! Irritiert rieb ich meine müden Augen, blickte erneut hinüber… aber wenn ich die Augen zukniff, war es wieder eins. Seltsam.
 

Angewidert schob ich mein leeres Glas ein Stück von mir weg. Ich hatte eindeutig genug getrunken. Ich wurde kurz von Serenity abgelenkt, die laut aufkreischte, entzückt in die Hände klatschte und heftig nickte. Ich tat es in meinem benebelten Gehirn als unwichtig ab und erschrak, als ich plötzlich in zwei rubinrote Augen blickte. Unbemerkt hatte sich Yami neben mich gesetzt und grinste mich an. Er sah erschöpft aus, wollte es aber scheinbar überspielen, denn mit Elan griff er nach meinem leeren Glas und deutete auf das Büffet. „Ich werde mal die Luft rauslassen.“ Sofort wollte ich protestieren, erinnerte mich aber rechtzeitig an meinen Umstand und biss mir auf die Zunge, mit der ich wahrscheinlich eh nur lallen würde. Also nickte ich nur leicht und sah untätig zu, wie ich einem besoffenen Zustand immer näher rückte.
 

Nur wenige Augenblicke später stand vor mir ein volles Glas und neben mir saß Yami, der wie ein kleiner Junge mit den Früchten im Alkohol spielte. So ein Fruchtpieker war schon was Feines.

„Warum tanzt du nicht?“ Grummelnd schielte ich zu der Tanzfläche und schüttelte den Kopf. So weit kommt es noch, dass ich mich zum Affen machte. Ich war schon froh, dass ich mir nicht die Beine beim Fächertanz gebrochen hatte. Warum also das Glück mehrfach heraus fordern? Schnell musste ich das Thema wechseln, sonst würde der mich noch einfach hinauf schubsen. Nur wie sollte ich mich artikulieren? Panisch kaute ich auf meiner Unterlippe und zu allem Überfluss musste ich auch noch dringend auf die Toilette. Das wäre natürlich ein wunderbarer Grund gewesen, ungesehen für eine halbe Stunde zu verschwinden, um nüchtern zu werden. Jedoch wäre es keine gute Idee leicht angetrunken durch die Menschenmenge zu wanken. Also blieb mir nichts anderes übrig, als die Beine zusammen zu kneifen und nicht an Wasserfälle zu denken.

„Was ist los? Du bist so verspannt.“ Gott, kann der Kerl mich nicht eine Sekunde in Ruhe lassen? Wie zum Geier soll ich ihm denn antworten, ohne mir die Blöße zu geben? Normaler Weise bin ich nicht von wenigen Gläsern angetrunken, aber ich hatte heute kaum etwas gegessen und… mehr Ausreden fielen mit nicht ein.
 

Ich konnte seinen musternden Blick förmlich auf meinem Seitenprofil spüren und musste schlucken. Hoffentlich übersieht er meine verräterische Röte an meinen Wangen. „Du bist angetrunken!“, stellte er belustigt fest und grinste eine Spur breiter. Treffer. Meine Wangen wurden eine Spur dunkler und kniff noch fester die Beine zusammen. „Musst du auf die Toilette? Sie sind hinter dem DJ-Pult gleich links.“ Jaaaa doch, ich weiß das!!

Leider war mein Gesicht scheinbar ein offenes Buch, denn plötzlich fing er leise an zu lachen. Der leichte Bass seiner Tonlage vibrierte in meinen Ohren und ich schob es auf den Alkohol, dass mir dabei eine Gänsehaut über den Rücken wanderte. „Du hast Angst, Tische umzurennen.“ Ertappt spielte ich mit meinem Daumennagel und vermied es weiterhin, ihn anzusehen. „Na dann muss ich mich aber mich ins Zeug legen, um dich einzuholen, denn ich habe nun Feierabend!“ Zur Bestätigung nickte er sich selbst zu, trank seine Bowle in einem Zug aus und als er auch noch nach meinem Glas griff und es an seine Lippen setzte, machte ich große Augen. Ohne es zu wollen, schoss mir eine Szene durch den Kopf, als ich noch in der Grundschule war. Seinen Seitenblick zu mir übersah ich dabei.
 

Ein Mädchen bot mir im Sportunterricht ihre Wasserflasche an, die ich dankend annahm. Plötzlich kicherte sie los „Wusstest du, dass es gerade ein indirekter Kuss ist?“ Das Wasser flog in hohem Bogen aus meinem Mund und die Röte schoss mir ins Gesicht.
 

Natürlich war so etwas total kindisch und wenn ich es Yami erzählen würde, würde er mich doch auslachen. Also tat ich so, als würde es mir nichts ausmachen und ignorierte das kleine Stimmchen in meinem Hinterkopf, was mich ärgerte, warum ich gerade bei ihm an so etwas denken musste.

Doch ich hatte nicht mit Yamis neckischer Seite gerechnet, denn nun beugte er sich zu mir rüber. Ich konnte sein Aftershave riechen und ohne es zu wollen, begrüßte mich die Gänsehaut erneut an meinem Rücken. „Wusstest du, dass das gerade ein indirekter Kuss war?“ WAS? Ruckartig drehte ich mein Kopf zu ihm und schaute entsetzt in seine Augen, die mich warm anblickten und für meinen Geschmack zu nahe waren. Also versuchte ich auf Abstand zu gehen und rückte mit dem Stuhl soweit es ging nach hinten. Jedoch war nach wenigen Zentimetern schon die Zeltwand. Er reagierte aber schneller als mein benebeltes Hirn, legte seinen Unterarm auf meine Stuhllehne und war wieder nur eine halbe Armlänge von mir entfernt. Irgendetwas sagte er. Ich sah, dass sich sein Mund bewegte, aber in meinen Ohren rauschte das Blut so laut – sein Duft lullte meine vom Alkohol übrig gebliebenen Sinne ein und seine leicht glänzenden Lippen machten mich wahnsinnig.
 

Benommen sprang ich von meinem Stuhl auf und versuchte die Flucht nach hinten. Nur schemenhaft registrierte ich seine weit aufgerissenen Augen und schlüpfte unbeholfen durch eine Lücke des Stoffes der Zeltwand und fand mich zwischen unzähligen Kisten und Kabeln wieder. Tolle Flucht, Yugi, du hast dich selbst in eine Falle manövriert. Denn ich war umzingelt von den Kisten. Sie waren so eng beieinander gestellt, dass es keine Lücke gab, wo ich mich selbst nicht mit eingezogenem Bauch hätte durchquetschen können. Fieberhaft überlegte ich, ob ich nicht einfach über die Kisten klettern sollte, als es hinter mir raschelte und Yami auftauchte. Ich konnte durch das schummrige Licht nur seine Konturen erkennen, wie er einen Schritt auf mich zu ging und ich nun wirklich endgültig in der Falle saß. Alles drehte sich und ich fand nur halt an den Kisten hinter mir. Beinahe wäre ich auch noch über ein Kabel gestolpert.

„Was ist denn los? Warum rennst du vor mir weg?“ Seine Stimme klang monoton und fast normal, dennoch stand er mir im Weg. „Mir wurde nur alles zu viel und brauchte frische Luft.“ Selbst in meinen Ohren klang die Ausrede flach, daher wunderte es mich nicht, dass Yami nichts sagte. Wahrscheinlich zog er vor Unglauben sogar eine Augenbraue hoch. Ich wollte an ihm vorbei huschen, achtete aber nicht auf den Kabelwirrwarr auf den Boden, verhedderte mich mit meinen Füßen darin und prallte gegen seinen Oberkörper. Es verging nicht mal eine Sekunde, da hatte er mich schon zurück an die Kisten gelehnt und überbrückte den letzten Schritt zu mir. Nun stand er schon wieder so dicht bei mir, dass sein Duft in meine Nase wehte. Ohne es zu wollen, atmete ich diesen tief ein, was mich leider nur noch benommener machte.
 

Mein Kopf schaltete sich völlig ab. Ich fragte mich nicht, warum er so handelte, oder worauf das hinaus lief. Ich ließ es nur auf mich zukommen und starrte ihn mit glasigen Augen an – versuchte in der Dunkelheit sein Gesicht zu erkennen.

„Diesen Fächertanz musst du mir bei Gelegenheit beibringen. Das sah echt gut aus.“

Bääm. Ohne es zu wollen entgleisten meine Gesichtszüge. Im Nachhinein wurde mir erst bewusst, dass ich mit etwas anderem gerechnet, nein, sogar gehofft hatte. Doch ich ließ mir nichts anmerken und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Ich wollte, dass es wie >sicher< aussah, aber irgendwie ging es schief, denn Yami lachte wieder in dieser tiefen Basslage, was mir durchs Mark und Bein ging. „Deine Gesten passen nicht zu deinem Gesicht, Yugi. Wenn du nicht willst, dass ich in dein Innerstes sehe, sollten deine Augen ausdruckslos sein.“

Aha.

Spätestens da fühlte ich mich völlig verarscht. Welcher normale Mann verhielt sich denn bitte so? Erst dieses Gequatsche von indirektem Kuss, dann watschelte er mir ungefragt hinterher nur um mich mit seiner Nähe noch wuschiger zu machen und dann haute er solche Sätze raus! Ich stand hier völlig hilflos, seiner Hand ausgeliefert und sogar leicht angetrunken und er fragte nach Tanzstunden.
 

Verwirrt blickte ich schnell zur Seite. Ich wunderte mich selbst über meine Gedanken. Was hatte ich denn bitte erwartet? Mein Verstand spielte mir scheinbar Streiche, denn ein Wort schwirrte mir durch den Kopf. >Kuss<

Überrumpelt drückte ich ihn zurück, wo er einen halben Schritt auf Abstand gehen musste und ich versuchte meinen Kopf wieder klar zu bekommen.

Das geht nicht, Yugi!, rügte ich mich selbst. Yami war ein Mann, genau wie ich! Der Alkohol brachte wohl meine Hormone in Wallung, dass ich mir schon einbildete, meinen Nachbar küssen zu wollen. Wenn er eine Frau gewesen wäre, könnte ich es auf Zuneigung schieben. Nein Moment, das war falsch. Für Yami empfand ich auch Zuneigung, aber bestimmt nicht so, wie es bei einer Frau gewesen wäre. Oder etwa doch? Innerlich raufte ich mir die Haare und wusste nicht mehr, was richtig oder falsch war. Oder gab es da überhaupt ein Richtig oder Falsch? ARGH!

Yami half bei meinem innerlichen Kampf auch nicht gerade, denn er legte den Kopf schief und schien mich zu mustern. Am liebsten hätte ich wenigstens seinen Blick gesehen um erkennen zu können, was er dachte. Doch selbst das blieb mir verwehrt. Selbst die schemenhaften Umrisse reichten schon, um meine Gedanken in eine völlig falsche Richtung zu lenken. Denn in diesem Augenblick sah er verdammt gut aus.

„Was ist los?“, fragte er vorsichtig, doch ich konnte nur „Platzangst“ zwischen meinen Lippen hervor pressen. Für mehr hätte meine Luft nicht gereicht. Der Kerl raubte sie mir völlig. Ich wagte es kaum zu atmen aus Angst, wieder sein Aftershave riechen zu können. Wie zum Geier sollte man denn da einen klaren Kopf bekommen?!

Glücklicher Weise wehte dieses Mal nur ein leichter Geruch der Bowle zu mir herüber und ich fragte mich, wie viel er heimlich während der Arbeit getrunken hatte. So nüchtern schien er auch nicht zu sein, sonst würde er einem anderen Mann nicht so (unbewusst?) zu nahe treten.

„Warum wolltest du nicht tanzen?“ Irritiert befeuchtete ich meine trockenen Lippen. „Wieso, hättest du mich denn zum Tanzen aufgefordert?“ Er überbrückte den halben Schritt zu mir und ich konnte nicht mehr zurück weichen. Die Kisten hinter mir bohrten sich schon in mein Rücken.

„Ich frage mich, ob“, er hielt kurz inne und in der Stille konnte ich meinen verräterischen Herzschlag deutlicher hören.

„Unter gegebenen Umständen … es angemessen ist, wenn ich dich bitte zu tanzen.“

Lautes Lachen drang durch die Zeltwand und eine kleine Gruppe an Menschen ging hinter Yami vorbei. Durch den weißen Stoff blieben sie verborgen, genau wie wir. Freiwillige Kellner gingen von Tisch zu Tisch und entzündeten die Schwebelichter neu.

Kleine Kerzenlichter glimmten im Hintergrund auf und warfen nun ein schwaches Licht durch das dichte Gewebe – direkt auf sein Profil und seine Handinnenfläche, die er mir entgegen hielt. Er blickte mich so sanft an, als wäre ich etwas faszinierendes, was er noch nie zuvor gesehen hätte. In diesen Augenblick fühlte ich mich einzigartig und daraus schöpfte ich den Mut, leicht zu nicken. Ich zögerte kurz, ehe ich meine Hand in seine legte.

Sofort umgriff er sie, zog mich langsam zu sich, legte mir einen Arm um meine Taille, behielt aber meine Hand in seine an seinen Oberkörper gedrückt, während wir uns im Takt der Musik bewegten. Sie war langsam und romantisch.
 

Kitschige Gedanken schossen durch meinen Kopf, als wir die ganze Zeit den Blickkontakt aufrecht hielten und man hätte meinen können, ein verliebtes Pärchen habe sich nur eine ruhige Ecke gesucht, um ungestört sein zu können.

Nie zuvor hatte ich mit einem Menschen so eng getanzt, doch es fühlte sich unbeschreiblich an, die Wärme des anderen Körpers an sich zu spüren. Ohne es zu wollen, legte ich meine Stirn an seine Schulter und selbst als ich mir der Situation bewusst wurde, löste ich mich nicht, denn so konnte ich die verräterische Röte auf meinen Wagen verbergen.

Ich fragte mich nicht mehr, welche Beweggründe er hatte, sondern genoss einfach den Moment der Nähe. Schob die unbequemen Gedanken beiseite, die eine Antwort verlangten. Nicht nur von ihm, sondern auch von mir selbst. Als sein Daumen begann, meinen Handrücken entlang zu streichen, konnte ich ein Seufzen nicht mehr unterdrücken. Durch diesen Laut aus meinen Gedanken geschreckt, wollte ich mich von ihm lösen, doch die Hand an meiner Taille verschwand, nur um sich warm an meinen Nacken zu legen. Mit leichtem Druck behielt er meinen Kopf an seiner Schulter. Ich konnte seinen Atem an meinen Haaren spüren und schloss die Augen. Schon viel zu lange konnte ich mich nicht mehr so gehen lassen und genoss es, wie die Last von Stress nach und nach von meinen Schultern bröckelte.

Es war so angenehm, dass ich nicht einmal bemerkte, wie Yami der Einzige war, der sich im Takt der Musik bewegte, während ich einfach nur entspannt in seinen Armen lehnte und mich mitziehen ließ.
 

Im Nachhinein konnte ich nicht mehr sagen, wie lange wir in dieser kleinen Nische zwischen Kisten, Kabel und Staub getanzt hatten. Es kam mir wie eine kleine Ewigkeit und dennoch viel zu kurz vor. Wir hatten nicht weiter geredet, bewegten uns einfach nur aneinander gelehnt und wie ein Schwamm sog ich alles in mich auf, bis wir schließlich wieder zu unserem Tisch gingen, wo unser Fehlen nicht aufgefallen war.
 

Wir saßen wieder nebeneinander, als wäre eben nichts vorgefallen. Als wären wir nur auf Toilette gewesen. Sofort schaltete sich eine kleine Stimme ein, die mich penetrant fragte, was denn vorgefallen sein sollte. Wir hatten nur getanzt, mehr nicht. Unter Freunden war doch so ein Verhalten üblich.

Aber wieso fühlte es sich anders an? Wieso wollte ich, dass es sich anders anfühlte? Verzweifelt versuchte ich meinen stoischen Gesichtsausdruck unter Yamis wachsamen Augen zu wahren, was mir aber von Sekunde zu Sekunde schwerer fiel. Ich war kurz davor, Yamis Kopf mit meiner Handfläche weg zu drehen, doch es wurde mir abgenommen, indem Joeys Stimme durch das Zelt hallte. Ich blickte zum D.J.-Pult.

„Da nun alle einige Tränke intus haben, wird es nun Zeit für unsere alte Tradition. Also Kinder, auf zur Tanzfläche!“

Es setzte ein Lied ein, das mich an alte Ranches und deren Farmer erinnerte. „Whiskey´s gone!“, rief Serenity begeistert und klatschte in die Hände. Sofort kippte die Stimmung und die Kleinen, die die ganze Zeit ruhig bei ihren Eltern waren, stürmten zur Tanzfläche. Sie stellten sich in mehrere Reihen nebeneinander auf und fingen an, mit den Füßen im Takt der Musik zu bewegen. „Line Dance.“, flüsterte mir Tristan ins Ohr. Es kam mir vage bekannt vor, aber die Kinder schienen ihren Spaß dabei zu haben, denn ihr Lachen drang in jede Ecke, begleitet von den Tritten auf dem Boden, was sie synchron stampften. Mein Blick schweifte über die >kleinen Tänzer< und blieb an einem Mädchen hängen, was etwas unschlüssig am Rand stand und sich nicht ganz traute, sich zu bewegen. Die Eltern, nur wenige Meter entfernt, versuchten sie zu animieren, was aber nicht ganz gelang. Ihr Gesicht sprach Bände, denn fast schon trotzig schüttelte sie ihren schwarzen Haarschopf. Yami schien gemerkt zu haben, auf was meine Aufmerksamkeit nun lag, denn er seufzte. „Das ist Amelia. Sie hatte sich vor zwei Jahren das Bein gebrochen und seitdem tanzt sie nicht mehr.“ Ich brauchte gar nicht nachzufragen, denn mein Bauchgefühl verriet mir, dass es beim Erntefest passiert sein musste.
 

Ich war angetrunken, im Kopf ein wenig benebelt und noch völlig aus der Bahn geworfen, aber genau die Faktoren verursachten bei mir, dass ich meinen Stuhl zurück schob, mich hinter Yami um den Tisch schlängelte und auf die Tanzfläche zu schritt - kam direkt neben dem Mädchen zu stehen. „Na dann los..“, murmelte ich mir selbst zu und versuchte, mich an den anderen Kindern zu orientieren, was natürlich ordentlich in die Hose ging. Ich konnte weder die Schritte, noch konnte ich mich im Takt halten. Ständig stolperte ich über meine Holzschlappen und rempelte beinahe die Jungs und Mädels um mich herum an. Amelia hingegen schien es zu amüsieren, denn sie fing leicht an zu grinsen. „Aber das ist doch kinderleicht“, sagte sie voller Elan, kam näher und zeigte mir langsam die Schritte. Etwas verlegen kratzte ich mir die Wange. Bei den Kindern sah es so leicht aus…

Als plötzlich die ganze Meute um mich herum, auf dem Stand hüpfte und sich umdrehte um mit den Rücken zu den Gästen weiter zu tanzen, kam ich völlig durcheinander. Amelia lachte lauter und zeigte mir voller Stolz, was sie konnte. In den zwei Jahren schien sie keinen einzigen Schritt verlernt zu haben und ich klatschte bewundernd in die Hände.

Mehrere Lieder hindurch führte ich mich auf wie ein Elefant im Porzellanladen, doch es schien niemanden zu stören. Die Kinder hatten an meinen Versuchen Spaß und die Erwachsenen, die uns zusahen scheinbar auch.

Als schließlich die letzten Töne von „Oh, Susanna“ aus der Anlage dudelten, wollte ich mich heimlich davon schleichen. Mir taten die Füße weh und die Holzschlappen an meinen Sohlen waren für solche Tanzabende nicht gemacht, doch da hatte ich nicht mit dem Willen der Kinder gerechnet.

Ich kam nur wenige Schritte weit, als sich ein kleiner Junge vor mich stellte, den ich von der Arztpraxis kannte. Er grinste mich mit seinen strahlenden Milchzähnen an, was die kleine Zahnlücke zwischen seinen Vorderzähnen betonte. „Herr Muto, Sie wollen schon gehen? Aber wir haben Ihnen noch gar nicht alles gezeigt!“, und schon wurde ich wieder zur Tanzfläche gezerrt. Spürte weitere Kinderhände an meinen Rücken und Hintern, die mich ebenfalls unbarmherzig in die Mitte drückten.

Verzweifelt warf ich einen Blick über meine Schulter, auf der Suche nach einem rettenden Erlöser, aber niemand schien gewillt zu sein einzugreifen. Ich sah noch im Augenwinkel, wie Yami unter unseren Tisch griff. Tristan deutete auf mich, lachte und bückte sich ebenfalls. Nette Freunde, schoss es mir durch den Kopf und fügte mich seufzend meinem Schicksal. Also reihte ich mich wieder in die Gruppe und versuchte die Schritte nachzumachen, die mir von den Kindern vorgezeigt wurden. Als auch dieses Lied zu Ende war, wollte ich die Gunst der Stunde nutzen und mich klangheimlich aus dem Staub machen, aber da hatte ich die Rechnung ohne die Einwohner gemacht.

Es begann erneut die Melodie von „Whiskey´s gone“ und sofort erhoben sich fast alle Leute. Die Kinder machten bereitwillig Platz, indem sie zur Seite gingen. Sofort wollte ich ihnen folgen, wurde aber vom Bürgermeister aufgehalten. Dieser hatte seine feinen Schuhe mit Cowboystiefel getauscht, die bei jedem Schritt durch die Sporen rasselten. „Sie bleiben hier. Jetzt können sie Ihr Erlerntes einsetzen.“ Entsetzt starrte ich ihn an und wollte schon zum Protest ansetzen – die Wörter blieben mir aber im Halse stecken, als Yami mit den anderen ebenfalls die Tanzfläche betrat. Sie hatten sich Cowboyhüte aufgesetzt und zwinkerten mir verschwörerisch zu. Ich ahnte böses und wollte nun erst recht die Flucht antreten, als mich Yami gerade noch am Ellenbogen erwischte und unbarmherzig zurückzog.

„Nix da! Du bist nun ein Teil der Gemeinschaft, also tu auch was dafür.“

„Aber ich habe doch schon Auflauf mitgebracht!“, versuchte ich es und würgte ein „und Salat“ noch hervor. Langsam ergriff mich die Panik und schnürte mir den Hals zu. Ich hasste Menschenmassen und ich bekam das Gefühl, als würde jeder Körper näher rücken und mich noch mehr einengen. Bei den Kindern konnte ich wenigstens über die Körper schauen, sie gingen mir ja nur bis zur Brust. Dadurch, dass ich aber nicht gerade der Größte war, sah ich aus wie ein Mensch unter Riesen.

Doch Yami lachte nur, stellte sich neben mich. Joey kam auf die andere Seite und die Mädels vor mir. Na klasse – eingekesselt.

Tristan hingegen blieb am Tisch sitzen und grinste mich so schadenfroh an, dass ich nicht anders konnte, als beleidigt die Backen aufzublasen. „Und was ist mit ihm?“, fragte ich und deutete mit dem Kinn in die Richtung des Verräters.

„Tristan hat eine andere Aufgabe.“ Gerade als ich fragen wollte, welche, stand er schon auf und winkte mit einer Kamera. „Das ist unfair. Ich habe zwei linke Füße.“, jammerte ich nicht gerade meinem Alter entsprechend, aber Yami ließ sich auch nicht gerade davon erweichen. „Du hast schon bewiesen, dass das nicht so ist.“ Ohne es zu wollen schoss mir die Röte ins Gesicht. „Na dann habe ich meinen Beitrag für das Tanzen schon geleistet.“ Doch wieder schüttelte er den Kopf. „Das zählt nicht. Damit hast du nur dein Misstrauen in uns wieder gut gemacht.“ Ja sag mal, was wollte der Kerl denn noch?! Fast schon sauer entriss ich ihm meinen Arm. „Und was ist mit dem Tanz vorhin?“

Von der anderen Seite spürte ich den fragenden Blick von Joey, doch Yami schien ganz genau zu wissen, worauf ich anspielte. Denn er nahm den Cowboyhut ab und setzte ihn mir lachend auf. „Auch das zählt nicht, Yugi. Und jetzt zier dich nicht so.“

Gerade als ich wieder fragen wollte, warum, wurde ich von einem grellen Licht geblendet und aus dem Konzept gerissen. Tristans Grinsen war so breit, das er es sich glatt einmal um das Gesicht wickeln könnte, als er die Kamera senkte. Noch bevor ich ihn zu fassen bekam, verschwand er schon wieder in der Menge.
 

Im Grunde hätte ich mir die Panik auch sparen können. Ich wurde nicht mal ansatzweise eingeengt, denn Yami links und Joey rechts neben mir hielten die Menge auf Distanz, indem sie einen Meter von mir entfernt standen und die Mädels vor mir ebenfalls. Natürlich redete ich mir ein, dass sie es nur taten, weil sie so etwas wie Instinkt hatten, wie es mir ging. Dass sie es nur taten, damit ich ihnen nicht in die Hacken latschte fiel mir in dem Moment nicht ein…
 

Das Fest neigte sich langsam dem Ende zu und nach stundenlangem Line Dance saß ich endlich wieder am sicheren Tisch. Doch anstatt es nach und nach leerer wurde, schienen alle auf etwas zu warten. Viele Kinder saßen inzwischen auf dem Schoß ihrer Eltern und schliefen fest mit dem Kopf an deren Brust vergraben, während sich die Erwachsenen leise unterhielten.

Yami stand vom Tisch auf und verschwand hinter einer kleinen Menschentraube. Kurz überlegte ich, ihm einfach hinterher zu laufen, doch ich besann mich eines Besseren. Nur kurze Zeit später tauchte er mit mehreren Schwebelichtern wieder vor mir auf, reichte mir eins und gab Mädels und den beiden Jungs auch eins. Serenity begann zu strahlen und fing sofort an in ihrer Tasche zu kramen.

„Ist es soweit?“, fragte Mai, worauf Yami lächelnd nickte. Als er bemerkte, dass ich mich nicht rührte, sondern einfach nur das Schwebelicht anstarrte, beugte er sich zu mir rüber. „Kennt ihr diesen Brauch in Japan nicht?“ Wenn er mir noch sagen würde, welchen er meinte, könnte ich ihn vielleicht auch antworten. Also schüttelte ich verlegen den Kopf.

Während er in die Runde zeigte, fing er an zu erzählen.

„Jeder bekommt ein Schwebelicht an einem Bändchen und schreibt seinen größten Wunsch auf ein Stück Papier, um es an die Schnur zu binden.“ Die schlafenden Kinder wurden geweckt und strahlten um die Wette, als sie die Lichter erblickten. Jeder sah so glücklich aus, dass es mein Herz erwärmte. Ich entdeckte sogar die Frau mit ihrem Kind, die vor einigen Tagen bei mir in der Praxis war und unbedingt Antibiotika haben wollte. Sie war wie ausgewechselt und lächelte ihrem Kind nur zu, während es wie selbstverständlich nach dem Feuerzeug griff und das Licht im inneren der Papierkugel entzündete – unter dem wachsamen Blick seiner Mutter.

„Wir versammeln uns dann auf dem Parkplatz und lassen gleichzeitig die Lichter los, um sie gemeinsam in den Himmel zu schicken. Die Wünsche, die wieder auftauchen und von Jemandem gefunden wurden, werden am Brunnen in der Stadtmitte an der Steinmauer befestigt. Nach unserem Glauben werden diese Wünsche bis zum nächsten Erntefest in Erfüllung gehen.“

Ich konnte nichts dazu sagen. Es war einer der schönsten Bräuche, die ich jemals gehört hatte und nahm dankend einen Zettel und Kugelschreiber von Joey an… und stoppte, kurz bevor die Spitze den Zettel berührte.

Was sollte ich mir wünschen? Mein Blick schweifte zu der kleinen Runde am Tisch in der Hoffnung, Hinweise zu erhalten. Beobachtete, wie Tristan Joey scherzhaft in die Seite boxte, Mai noch etwas auf ihren Zettel schrieb, während Serenity schon eifrig daran war, ihren an die Schnur zu knoten und blieb an Yami hängen, der dabei war, sein Licht zu entzünden. Sein kleines Licht erhellte unseren gesamten Tisch und tauchte jedes Gesicht in einen warmen Gelbton – unterstützte nur diese Unbekümmertheit, die ich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder fühlte. Was also sollte ich mir wünschen, wenn ich bereits wunschlos glücklich war, hier unter neuen Freunden?

Ohne es zu wollen, tauchten vor meinem inneren Auge die alten Bilder auf. Die Bilder, vor denen ich eigentlich geflüchtet war und in ein kleines Dorf zog. Was wäre, wenn es mir hier genauso erging wie in Japan? Wenn mich diese Probleme aus der Vergangenheit einholten?

Ich zögerte nicht einen Moment, als ich nur ein Wort auf den Zettel schrieb.

Akzeptanz.
 

Wie Yami es beschrieben hatte, versammelten sich alle auf dem Parkplatz. Viele waren auf die Dächer ihrer Autos gestiegen, die sie vorher mit einer Decke überworfen hatten. So wie auch wir. Ich stand auf meinen kleinen Mini, neben mir Mai, die sich sogar die Schuhe ausgezogen hatte, um den Lack nicht zu beschädigen. Joey und Serenity standen direkt hinter uns, neben der Fahrertür und wenige Meter entfernt Tristan mit Yami, die auf die Ladefläche von Yamis kleinen, verrosteten Truck geklettert waren.

Mein Licht hielt ich fest umklammert. Ich wollte es nicht aus Versehen zu früh los lassen und diesen schönen Moment versauen. Ein kleiner Junge der auf dem Arm seines Vaters war, passierte genau dieses Missgeschick. Ihm entglitt das Licht, griff mit seinen kleinen Fingern ungeschickt nach der Schnur, bekam nur seinen Wunsch zu fassen. Das Licht stieg höher, der Zettel jedoch in der Faust des Jungens, der nun

leise wimmerte. Selbst der Vater versuchte noch, es zu erhaschen, doch was ihm nicht gelang, schaffte Yami, der mit einem Satz in die Luft sprang und durch seine erhöhte Standposition die Schnur locker erreichte.

Normaler Weise würde ich nun mit den Augen rollen und >Angeber< denken, doch die Augen des Kindes glitzerten so glücklich und dankbar, dass man gar nicht anders konnte, als ihn ein wenig zu bewundern. Nicht jeder hätte so schnell reagiert und ich hatte schon oft die Hilfsbereitschaft dieser kleinen Gemeinde unterschätzt.
 

Alle waren still und schienen auf etwas zu warten. Gerade als ich Mai fragen wollte, worauf, bekam ich die Antwort. Wie von Zauberhand lösten sich die Schwebelichter von den Ästen der Bäume um uns herum und schwebten langsam immer höher. „Jetzt“, flüsterte mir Mai zu, während sie ihres losließ.

Es war ein wunderschöner Anblick, wie die Wünsche und Hoffnungen der Bewohner in Form von Lichtern erst ihre Gesichter streiften und sich dann zu den anderen über ihnen gesellten. Der kleine Junge lachte begeistert auf, als sein Licht das seines Vaters in der Luft anstupste.

Zaghaft löste ich meine Finger von der Schnur und sah wie in Trance zu, wie es erst höher schwebte, dann von einem Windhauch geschoben zur Seite trieb und sich das Bändchen mit einem anderen verhedderte. Beide setzten ihren Weg gemeinsam fort und flogen langsam höher. Mein Blick schweifte zu dem Besitzer und traf direkt auf meinen Nachbarn, der mich erst erstaunt ansah, mich dann aber wieder so warm anlächelte, wie zuvor zwischen all den Kisten.

Die Zeit um uns herum, begann sich in Zeitlupe abzuspielen, die Wunschlichter schwebten langsam um uns herum und warfen ein Licht auf Yami, das ihn noch unwiderstehlicher erscheinen ließ. Das Spiel der Muskeln seiner Arme, durch das hochgerollte Hemd leicht erkennbar, als er seine Hände in den Hosentaschen vergrub. Die Krawatte hing locker um seinen Hals und die obersten zwei Knöpfe waren geöffnet. Ich konnte meine Augen nicht von ihm losreißen und mir schlug das Herz bis zum Hals.

Dieses Gefühl war für mich neu, es war beunruhigend und aufregend zugleich.
 

Selbst Tage später konnte ich diesen Moment nicht aus meinem Gedächtnis streichen und immer wieder spukte mir auch das zweisame Erlebnis zwischen den Kisten im Kopf herum. Ich fragte mich, was Yami dabei dachte. Warum er sich dort so anders benommen hatte, als sonst. Wenn ich nicht so ein schüchterner Gänserich gewesen wäre, hätte ich ihn schon längst darauf angesprochen. Aber irgendwann würde ich es tun.

Mit diesem Entschluss lebte ich meinen Alltag, benahm mich völlig normal. Und doch hoffte ich ein klein wenig, dass mein Nachbar von sich aus Andeutungen auf unseren Tanz machte… doch nichts geschah. Der werte Herr Sennen hielt es nicht für nötig, darüber auch nur ein Wort zu verlieren.

Aber wirklich böse sein konnte ich ihm nicht. Er dachte sich nichts dabei, konnte ja nicht ahnen, was er damit in mir ausgelöst hatte und solange ich nichts sagte, würde er es wohl auch nie erfahren. Also grüßte ich ihn weiterhin jeden Morgen, winkte ihm freundlich zu, wenn ich ihn durch ein Fenster sah und verkroch mich nicht mehr Stuntman mäßig hinter Hecken.

Abgesehen davon hatte ich auch ganz andere Sorgen, die meine Gedanken zerstreuten. Und zwar das anstehende Grillen, das dieses Mal in meinem Garten stattfinden sollte… mit Fleisch! Mir graute es davor, auch nur eine Metzgerei zu betreten, wie sollte ich es da schaffen, rohes Fleisch auf den Grill zu legen? Seit Jahren konnte ich mich erfolgreich drücken, es auch nur zu berühren. Aber ich hatte da eine kleine Idee. Ich gaukelte ihnen einfach vor, es sei Fleisch, dabei war es Tofu. Und wenn es ihnen schmeckte, holte ich mit erhobenem Haupt die Verpackung hervor und rieb ihnen unter die Nase, was sie gegessen hatten. Dann würden sie keine Witze mehr machen. Zumindest war das der Plan. Die Umsetzung war wieder ein ganz anderes Thema.

Also fuhr ich am Freitag vor dem Grillwochenende in den kleinen Lebensmittelladen und plünderte das gesamte Tofu Angebot. Ich war noch von Japan so verwöhnt, das ich große Auswahl erwartete, aber sie hatten nur wenige Sorten. Doch auch das versetzte meinem Plan nur einen minimalen Rückschlag. Denn wenn man es richtig würzte, würden sie keinen Unterschied feststellen können. Voller Elan plünderte ich auch das Biersortiment in Joeys Kiosk. Natürlich hätte ich es auch in dem Lebensmittelladen besorgen können, aber es schien mir irgendwie nicht richtig. Jeder Geschäftsinhaber ist auf jede noch so kleine Einnahme angewiesen und so konnte ich den Blondschopf unterstützen, was er auch zufrieden zur Kenntnis nahm, indem er mir einige Chipstüten gratis in den Kofferraum stopfte.

Den ganzen Abend war ich damit beschäftigt, die Reste meines Umzuges aus dem Weg zu räumen. Ich faltete die leeren Kartons zusammen und schob sie auf den Dachboden. Die Gartendekoration, die ich schon Anfang der Woche im Gartencenter der Stadt erbeutet hatte, verteilte ich auf meinem Rasen vor und hinter dem Haus und selbst die alten Gartenmöbel, die ich in der Garage gefunden hatte, wurden geschrubbt und aufgestellt.

Nur ein Problem blieb: wohin mit dem Bier? So groß mein Kühlschrank auch sein mochte, es passte nicht mal eine Kiste rein. Doch darum wollte ich mich später kümmern.

Seit ich hier in Churchill war, kam ich nicht dazu, meine Tai Chi-Übungen zu machen und der kleine Tanz bei dem Erntefest hatte mir nur zu deutlich gezeigt, wie sehr ich diese Entspannung vermisste. Also zog ich mir entschlossen die weiße Jacke an, die den klassischen Schnitt chinesischer Kleidung hatte, mit Stehkragen und schwarzen Knotenknöpfen. Nur nach meiner Hose musste ich etwas suchen. Sie lag nicht bei den anderen Sportsachen und ich sah mich schon nur in Boxershorts und Jacke, doch dann entdeckte ich sie zwischen meinen T-Shirts. Wie sie dahin kam, fragte ich mich lieber nicht.

Ich schlüpfte in die Hose, wickelte mir den überlappenden Hüftbund fest um den Bauch, so dass sie eine große Falte hatte und zog mir meine typischen japanischen Socken an, wo nur der große Zeh abgetrennt wurde. Schnell schnappte ich mir meinen kleinen MP3-Player, steckte mir die Ohrstöpsel in die Ohren, betrat den Garten und atmete die warme Abendluft tief ein.
 

Während ich langsam meinen Körper entspannte und die verschiedensten Techniken ausübte, lief mein Geist auf Hochtouren. In den ersten Minuten versuchte ich krampfhaft an nichts zu denken, aber die Erinnerungen kämpften verbissen um meine Aufmerksamkeit. Also versuchte ich mich auszutricksen, indem ich mich auf meine fließenden Bewegungen konzentrierte, aber auch das brachte nicht den gewünschten Erfolg.

Immer wieder schossen mir einzelne Frequenzen durch den Kopf. Nur zu gut konnte ich mich an das bange Gefühl erinnern, das ich hatte als ich das Ortsschild von Churchill mit dem Umzugswagen passierte. Ich war voller Unsicherheit, die erst nachließ, als sich Joey förmlich aufdrängte und mich mit zu Yami schleifte. All meine Ängste schienen unbegründet. Sie waren freundlich zu mir, schauten großzügig über meine Fehler hinweg und selbst als ich mich wie der größte Trampel anstellte, verurteilten sie mich nicht – obwohl ich zu schnelle Urteile über Yami gezogen hatte. Man könnte es als wahren Glücksgriff bezeichnen.
 

Langsam drehte ich mich auf meinen Ballen um und hob die Arme im Halbkreis, als ich das Gesicht von Yami vor Augen hatte. Warm lächelnd, freundlich und dieses kleine Grübchen, was sich dann immer in seinen Mundwinkel schlich, wenn…. stop!!

Ruckartig wechselte ich die Stellung und verdrängte die Erinnerung. Dieses Spielchen lief mehrere Male, bis ich frustriert aufgab und sein Gesicht zuließ. Egal, was mir da mein Kopf sagen wollte – vielleicht half es ja, wenn ich einfach abwartete, was passierte.

Doch leider überschwemmte mich mein Gehirn nicht nur mit Bildern, sondern auch mit Sinneseindrücken. Wie er roch, als wir im Kompost landeten. Wie es sich anfühlte, an seinen Oberkörper gelehnt zu tanzen und vor allem, was sein Blick alles in mir auslösen konnte.

Zitternd setzte ich beide Beine fest auf den Rasen, krallte meine Zehen hinein und versuchte meine Atmung zu kontrollieren. Doch auch das gelang mir nicht.

Wieder kroch Panik in mir hoch.

Nicht schon wieder! Es durfte nicht noch einmal passieren, ich musste die Fassung bewahren… doch es gelang mir einfach nicht. Egal wie verzweifelt ich versuchte, mich dagegen zu wehren, umso heftiger kamen die Erinnerungen zurück, rissen mich fast um.
 

„Hey Yugi, hier ist eine ganze Meute, die Fleisch und Bier will!“, ertönte es grölend hinter mir. Hektisch drehte ich mein Kopf um, blieb aber in der Tai Chi-Pose, die ich gerade vollführte und mir sackte mein Herz durch den Hüftbund, als ich in die fröhlichen Gesichter meiner Freunde blickte. Die Mädels hatten sich rausgeputzt und Tristan hatte ein riesigen Packen Fleisch unter seinen Arm geklemmt.

Langsam keimte in mir der Verdacht auf, dass ich mich im Tag geirrt hatte.
 

Und da war es wieder.

Dieses verfluchte Gesicht. Lächelnd wie eh und je und mit einen Ausdruck in den Augen, den ich (oh, welch ein Wunder) nicht deuten konnte. Wie gern würde ich da in diesem Moment reinschlagen.
 


 

tbc


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ein mega Dank geht an Atem, die sich um später Stunde noch diese unfassbar chaotische Korrektur reinziehen musste (arme Sau xD). Ohne dich würde man vor den vielen Fallfehlern rückwärts umkippen *umflausch und auf Silbertablett heb*
Auch geht ein kleines Danke an -Miaka-, die mir gebrauchte Tritte in den Allerwertesten gab. Mögest du nie mehr das Gewehr gebrauchen müssen >D Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (5)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  viky
2014-10-14T10:02:16+00:00 14.10.2014 12:02
Eine wunderschöne FF wie ich finde. Freue mich riesig auf die Fortsetzung.

LG
Viky

Von: abgemeldet
2013-07-05T22:33:37+00:00 06.07.2013 00:33
Endlich habe ich es geschafft das neue Kapitel zu lesen ^_^ Hatte in den letzten Monaten so viel zu tun... sorry.
Ich finds gut, dass sich die beiden endlich weiter annähern und wie du das geschrieben hast. Bin echt ein wenig neidisch, weil du so gut in der Ich-Form schreiben kannst, was ich überhaupt gar nicht drauf habe. Ich bin auf jeden Fall gespannt wie es weiter geht und wer wie den ersten Schritt machen wird und wann es denn nun endlich passiert ^_^
Ich hoffe du fängst nicht so an wie ich.... ewig lange Schreibpausen v_v#

Bis denn denn und liebste Grüße!
Von:  mu_chan
2013-06-01T12:26:31+00:00 01.06.2013 14:26
*-*
ich war so verblüfft als ich die pn sah...& es hat mich in ein wohlverdientes Wochenende geleitet :D
danke!

aber zum kapitel,
es ist wirklich sehr schön geworden und diese kleine annäherung zwischen yami und yugi...zucker pur! ehrlich...
ich mag die zwei süßen und bin gespannt, ob die sache mit dem tanz zwischen den beiden noch zur sprache kommt :D
was mich allerdings auch noch interessieren würde ist, was denkt der gute herr sennen darüber und empfindet er auch schon so anfängliche gefühle?
bei yugi scheint es ja schon gefunkt zu haben, obwohl er selbst damit noch gar nicht umzugehen weiß. ^-^

ich freu mich jedenfalls wenn es bald weiter geht!

& -Miaka-, danke das du so hartnäckig bist! <3

glg mu_chan ^^
Antwort von:  GeezKatsu
02.06.2013 13:23
Ein Teil deiner Frage habe ich bei Miaka beantwortet :D
Von:  -Miaka-
2013-05-31T23:25:06+00:00 01.06.2013 01:25
Ich wollte den ersten Kommentar schreiben. Mist, verpennt. Ich hab mich heute Morgen so wahnsinnig gefreut, dass das neue Kapitel endlich, endlich da ist. Hab's natürlich direkt gelesen, aber hatte nicht sofort Zeit zum Kommentieren. Die hab ich eigentlich gerade auch nicht so wirklich, aber ich nehm sie mir einfach mal fix noch.

Es ist einfach so schön wieder in diese Nachbarschaft einzutauchen, ich konnte mir den ganzen Trubel und die Musik, den Tanz, die Leute so gut vorstellen. Und die Tanzszene zwischen Kisten und Kabelsalat fand ich echt gut und originell. Ich blick zwar auch noch nicht so ganz durch, was Yami damit bezwecken wollte (wobei ich es mir natürlich denken kann, wozu les ich die FF denn auch sonst ;), aber dass ich damit auf dem gleichen Stand wie Yugi bin, ist wohl wieder ziemlich gut so. Es bleibt spannend!

Eine Sache finde ich richtig genial. Du kannst diese kleinen Gedankengänge und Gefühlsirrungen und -wirrungen total gut darstellen. Wie Yugi beispielsweise denkt, er erwartet gar nichts, dann aber merkt, dass er irgendwie doch viel mehr erwartet hat, weil er fühlt, dass es ihn enttäuscht hat. Das ist so menschlich, da könnte ich aus meinem Leben so viel erzählen, in dem es mir exakt so ging. Oder auch, wie er es eigentlich nicht wahrhaben will und versucht sich einzureden, dass er gar nix erwartet und dann tut er es doch und - ach nein, das geht ja alles nicht, Yami ist ja auch ein Mann! Lustigerweise hatte ich erst vor Kurzem ein ähnliches Erlebnis und seitdem weiß ich, wie realistisch diese Verdrängungsgedanken sind und wie man es selbst erst langsam akzeptieren kann. Wirklich gut geschrieben bisher!

So, Kritik! Nicht alle Sätze waren diesmal so ganz ausgereift, zumindest habe ich das aus den anderen Kapiteln besser in Erinnerung. Andereseits war bei dir auch viel los, da ist sowas eher zweitrangig. Außerdem ist es gar nicht wirklich ins Gewicht gefallen, es fiel mir eben nur an manchen Stellen auf. Und war immer noch zigmal besser als in vielen anderen FFs. Zweitens, Yamis und Yugis Beziehung ist mir hier gar nicht mehr so richtig klar. Das kann jetzt aber auch einfach daran liegen, dass das letzte Kapitel so lange her ist und ich es natürlich jetzt nicht direkt nochmal gelesen habe. In der Zusammenschau ist es möglicherweise total schlüssig, aber dieses Kapitel seperat betrachten, da wusste ich nicht mehr so richtig, wie sie eigentlich voneinander denken. Sie sind Nachbarn und da war sozusagen was von Neuanfang. Außerdem kämpft Yugi natürlich noch darum, so richtig in die Gemeinde aufgenommen zu werden, bzw. weiß er selber gar nicht so genau, ob er DAS will oder was er eigentlich will (finde ich übrigens klasse, die Thematik) Yami dagegen ist sehr undurchschaubar. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich ein Negativpunkt ist oder es die ganze Sache nur viel besser macht. Was ist seine Rolle in der Gruppe, wie war sein bisheriges Leben, warum will er ausgerechnet von Yugi was (will er überhaupt schon was von ihm? Ja? Nein? Wenn Ja, warum?) Ich müsste echt nochmal alle Kapitel hintereinander lesen. Ich bin mir sicher, dass ich einfach nur nicht mehr das komplette Bild vor Augen habe. Ich wollte es trotzdem mal erwähnen, vielleicht hilft es dir ja beim Schreiben der weiteren Geschichte.

Ach und ich fand die Idee mit dem Lichterfest ja echt so schön! Ich wünschte, das wäre bei uns erlaubt. Zumindest so Laternen mit Feuer sind nicht erlaubt, dabei gibt es da so schöne Abschiedsrituale usw. Daran musste ich zumindest denken. Ich hab solche Wunscherfüllungs-Sachen schon immer geliebt, wir haben das oft mit Heliumbalons gemacht und manche wurden kilometerweit weg gefunden. Echt toll, dass du das eingebaut hast. So eine schöne Szene.

Jetzt heißt es wieder warten. Ich hoffe, dass es jetzt wieder besser bei dir läuft und du auch wieder mehr Zeit für deine Hobbies (inkl. Schreiben) hast. Ich liebe diese Fanfiktion, ich kann das nicht oft genug sagen. Es ist so, so selten, dass mich eine deutsche Fanfik so begeistert hat. Ich hab auch vor, alle anderen deiner YGO-FFs zu lesen. Bisher fand ich alles, was ich von dir (und evtl. Co-Autoren) gelesen habe, richtig gut. Und glaub mir, ich sage das nicht zu jedem.

Und falls es doch wieder ewig dauern sollte ... *Gewehr zück* Ich bin hartnäckig, mich wirst du nicht los, bis die FF beendet ist! :D

Ganz liebe Grüße, Miaka
Antwort von:  GeezKatsu
02.06.2013 13:22
Du liegst völlig richtig. Mit den vorherigen Kapiteln hatte ich mir Zeit gelassen, immer wieder einige Handlungen/Aussagen hin und her geschoben, bis es mir passte. Doch in "Lichtermeer" ging es eher nur husch husch. Die Hälfte des Kapitels lag ja schon seit Januar auf meinen Laptop, aber irgendwie fehlte mir die Zeit/Elan, es zu vollenden und selbst jetzt fehlt ein Teil des Plots, den ich eigentlich eingeplant hatte... Tja... nur irgendwie kam ich nicht so ganz aus dem Mustopf xD

Dafür wird das Folgende wieder länger, um den fehlenden Plot wieder aufzuholen, sonst haut´s ja nicht mehr mit meinen roten Faden hin >.<

Warum Yami sich so in manchen Situationen verhält (mal nen Schritt vor, mal zwei Schritte zurück) ist beabsichtigt und (ja, für alle ungeduldigen Puzzlefans nicht tragbar) geplant. Sein Charakter hat sich nicht aus freier Hand entwickelt, sondern ich denke mir schon etwas dabei =)
Ich kann jetzt aber nicht genau darauf eingehen, da ich aus Yugis Sicht schreibe und er tappt ja wie du im Dunkeln >D
Aber es wird nach und nach Licht in die Sache gebracht.

Ich mag auch diese kleinen Traditionen und gerade unscheinbare Städte sind voll davon
Von:  Shanti
2013-05-31T19:41:52+00:00 31.05.2013 21:41
abendddddddddddd^^

hahahahahaha omg yugi ist einfach zu süßßßßßß ^^^^^^^^
oha hahahaha da hat er wohl denn tag verpeilt hahahahaha
weiter so ^^

lg

shanti


Zurück