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All you need is Love

OS-Sammlung
von

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Protège Moi

Wann?, fragte er sich, während er die kantigen Gesichtszüge seines Kommandeurs betrachtete. Dieser hatte sich über den Tisch gebeugt und studierte die darauf ausgebreitete Landkarte.

Wann genau ist das geschehen?

Er ließ den Blick über die Finger gleiten, die an sein Kinn tippten. Der Kommandeur runzelte die Stirn und zog die Brauen tief hinunter, während er sich konzentrierte. Er ließ seinen Blick weiter wandern, über den muskulösen Unterarm, den Oberarm wieder hinauf.

Wann nur?

Sie kannten sich schon so lange. Er war mit ihm aufgewachsen. Seine Anwesenheit war ihm immer selbstverständlich gewesen. Und es war noch ihm nie aufgefallen, dass die Zeit solch prägnante Veränderungen mit sich bringen konnte.

Seit wann ist das so?

„Soren?“

Der Magier zuckte zusammen, er hatte gar nicht zugehört.

„Entschuldige, was hast du gesagt?“

Sein Kommandeur seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die blauen Haare, während er sich aufrichtete.

„Soren, ist alles in Ordnung mit dir?“

„Ja, natürlich“, entgegnete Soren steif und schluckte den Kloss hinunter, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Er tat so, als würde er sich auf die Karte vor sich konzentrieren, um ihm nicht in die Augen blicken zu müssen. Er konnte nicht. Er hatte das Gefühl, sich zu verraten. Zu lange schon kannte er seinen Kommandeur, als dass er seine Gefühlsstimmung vor ihm verstecken konnte. Noch immer hatte dieser erkennen können, wenn ihn etwas beschäftigte.

„Soren, sieh mich an“, befahl sein Kommandeur, doch seine Stimme war nicht barsch, es klang viel mehr nach einem Kommandeur, der besorgt war um einen guten Strategen, um einen Freund aus Kindertagen.

Der Magier biss sich kurz auf die Zunge und zwang sich dann, ihm direkt in die blauen Augen zu sehen. Die Worte kamen über seine Lippen, noch bevor er über sie nachgedacht hatte. Es waren seine Standardworte, wenn ihn jemand nach seinem Wohlbefinden fragte.

„Es geht mir gut.“

Wann hat sein Blick sich so verändert?

Der Kommandeur stöhnte leise und stützte sich mit den Armen auf dem Tisch auf, verdeckte mit seinen Händen genau den Teil der Karte, den Soren gerade betrachtete.

„Soren, werde ich jemals den Tag erleben, an dem du mir freiwillig erzählst, was dich bedrückt?“, fragte er ihn und leichter Ärger, aber auch Belustigung schwang in seiner Stimme mit, nur zu oft hatten sie in ebensolchen Situationen gesteckt.

Doch Soren hielt seine Gedankengänge mit eiserner Faust vor ihm verborgen. Er konnte dennoch nicht verhindern, dass seine Mundwinkel leicht zuckten.

Wenigsten das ist gleich geblieben.

„Kümmere dich um die Strategie unseres morgigen Kampfes. Was nützt es dir zu wissen, was in meinem Kopf vor sich geht, wenn dir der deine abgeschlagen wird?“

Der blauhaarige Kommandeur legte den Kopf in den Nacken, während er laut loslachte. Soren war nicht zu lachen zumute. Sein Blick war an Ikes Adamsapfel hängen geblieben, der auf und ab hüpfte, bis sich der Kommandeur beruhigt hatte.

„Nun denn, was schlägst unser bester Taktiker denn vor?“
 

Soren schlief nicht gut. Die ganze Nacht zwang er sich einzuschlafen, doch stattdessen wälzte er sich auf seinem Lager hin und her und hatte stets das Bild seines Kommandeurs vor Augen. Er hatte sich so verändert. Doch wann? Und warum war es ihm bis vor kurzem nie wirklich aufgefallen? Die verwirrenden Gedanken von sich stoßend, stand er noch früher auf, als er es normalerweise tat und begann, alles Notwendige für den Kampf vorzubereiten, versuchte, sich darauf zu konzentrieren und alles andere weit zurück in eine kleine Ecke seines Kopfes zu drängen. Ein Kampf stand an. Er konnte es sich nicht erlauben, an etwas anderes zu denken, wenn er nicht selbst derjenige sein wollte, dem der Kopf abgeschlagen würde.

Doch das Adrenalin, das in seine Blutbahnen gepumpt wurde, kaum dass er den Feinden gegenüberstand, ließ ihn den Schlafmangel vergessen und er stürzte sich auf seine Gegner, in der Hoffnung, Ablenkung zu finden.

Alles lief nach Plan. Sie kämpften sich eine blutige Schneise durch das feindliche Heer. Sein Kommandeur kämpfte an vorderster Front, so wie er es immer tat und schwang sein Schwert treffsicher wie eh und je. Soren, als Magier eigentlich mehr für den Fernkampf geeignet, hatte sich auf der anderen Seite ebenfalls einen Platz weit vorne sichern können und vertraute darauf, dass er schnell genug war, um zweimal hintereinander angreifen zu können und den Feind aus den Stahlstiefeln zu hauen, ohne ihm die Chance für einen Angriff zu lassen.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass Ike in sein Blickfeld treten würde.

Wann genau hat er sich so verändert?

Er sah die kraftvollen, die selbstsicheren Angriffe.

Wann ist er so erwachsen geworden?

Er sah die von Blut überströmten Arme, die großen Hände, die zielsicher das Schwert führten.

Wann ist er so groß geworden?

Er sah die Muskeln, die sich unter der Haut anspannten und wölbten, bei jeder kraftvollen Bewegung, die er tat.

Wann ist er so stark geworden?

Er sah die Blutspritzer auf seiner Wange, der Schweiß, der ihm über die Schläfe und den Hals hinunter tropfte.

Wann ist er so männlich geworden?

Er sah, wie seine nachtblauen Augen aufblitzten, als er sich auf einen Gegner stürzte.

Wann ist er so gutaussehend geworden?

Soren hatte zu lange dagestanden. Gerade so konnte er dem ersten Axtkämpfer ausweichen, der sich blutlechzend auf ihn stürzte und konterte mit einer eher schlecht gezielten Windattacke. Doch ein Zweiter griff ihn von hinten an und bohrte die Stahllanze tief in seine Schulter. Sein Atem stockte und er ließ seine Bücher fallen. Mit der anderen Hand hielt er sich die verletzte Schulter, während er langsam zu Boden sank. Das Blut strömte aus der offenen Wunde und durchtränkte seinen Umhang. Das schrille Lachen eines Verrückten drang an seine Ohren, als der Hellebardier erneut seine tödlich aufblitzende Waffe hob. Soren konnte nicht mehr richtig denken, der Schmerz ließ ihn beinahe erblinden und das Rauschen in den Ohren machte ihn taub. Doch er gab nicht auf. Er grabschte nach dem erstbesten Buch und hob den unversehrten Arm in die Richtung des Hellebardiers. Der Elfenwind war stark genug, um ihn aufzuhalten, doch nicht stark genug, um ihn zu töten. Erschöpft sank er in sich zusammen und erwartete mit zusammengepressten Augen den durchbohrenden Schmerz einer Lanze. Da drang weit entfernt ein schriller Schrei an seine Ohren und wie durch Watte erkannte er Nephenees erschrockene Stimme.

„Ike!“, schrie sie.

Wie durch einen Schleier sah Soren, wie ihr Kommandeur sich zu ihr umdrehte und dann in die Richtung blickte, in die sie zeigte. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, als er den in sich zusammengesunkenen, blutüberströmten Magier erblickte. Hastig suchte er das Schlachtfeld nach der schnellst möglichen Rettung ab.

„Jill!“, brüllte er, als er die Wyvernreiterin ganz in der Nähe gerade einen Krieger mit Bogen erschlagen sah.

Mit ernstem Gesicht wandte sie sich zu ihrem Kommandeur.

„Soren!“, brüllte er ihr zu, während er einen Angriff abblockte und fuchtelte mit seinem freien Arm in dessen Richtung.

Sie verstand sofort und ohne zu zögern lenkte sie ihren Wyvern über die Köpfe der Kämpfenden hinweg. Um den Hellebardier konnte sie sich später kümmern, das wichtigste war, erst Soren zu retten. Doch der Lanzenträger dachte offenbar anders. Kaum hatte sie den schwerverwundeten Magier auf ihren Wyvern gezogen, bohrte sich die Stahllanze in ihren Schenkel. Tapfer biss sie die Zähne zusammen und hob ihre Axt zum endgültigen Angriff.

Eingehüllt in eine alles verstummende Wolke aus Schmerz, ließ Soren sich in die hintersten Reihen in Sicherheit bringen, wo sich Alja gerade um Boyd gekümmert hatte. Er hörte, wie Ikes kleine Schwester scharf die Luft einsog, sah, wie sie entsetzt die Hand vor den Mund schlug, bevor sie von ihrem Pferd hinuntersprang und sich zu ihm hinunterbeugte. Doch alles war so weit weg, so unwirklich, und alles um ihn herum wurde taub, als er Aljas beruhigende Worte hörte, die heilende Wirkung des Pflegestabs in sich spürte.
 

Als er erwachte, war es noch sehr früh. Sein ganzer Körper schmerzte und sträubte sich, seinen Befehlen zur Bewegung zu gehorchen. Also starrte er an die Decke. Die Sonne war sowieso erst gerade aufgegangen, wie er an dem orangen Licht erkennen konnte, das sich durch einen Spalt im Zelt stahl. Der gestrige Kampf war für ihn gerade mal noch gut ausgegangen. Alja hatte ihn zwar wieder zusammenflicken können, doch sie war so wütend über seine Unachtsamkeit gewesen, Dummheit, wie sie es nannte, dass sie ihm schwor, ihrem Bruder zu drohen, ihn in die nächsten Kämpfe nicht mehr mitzunehmen, sollte er sich für den Rest dieses Kampfes nicht in den hinteren Reihen halten und nur aus sicherer Distanz angreifen. Er hatte nur nicken können. Alja war diesbezüglich genauso bedingungslos stur wie Ike.

Soren biss sich auf die Unterlippe, als er sich diesen Moment auf dem Schlachtfeld zurück in Erinnerung rief. Er musste sich einfach wieder besser auf das Wesentliche konzentrieren, er durfte sich nicht mehr ablenken lassen.

Er hat sich verändert und ich kann damit umgehen, redete er sich ein. Er musste sich selbst davon überzeugen, dass es in Ordnung war, dass der schusselige, übermütige, kleine Ike zu einem überlegten, starken, gut aussehenden jungen Mann herangewachsen war, der in der Lage war, Greils Platz, seines Vaters Platz, einzunehmen und sie zu führen. Und er, Soren, war jetzt verpflichtet, ihm loyal zur Seite zu stehen, nicht mehr als Aufpasser, sondern als sein Stratege, so, wie er es von Greil gelernt hatte. Und er würde seinen Pflichten nachgehen. Seine jammernden Glieder ignorierend, erhob er sich von seinem Lager.
 

Er fand Ike in dem Zelt, in dem sie immer ihr Vorgehen für den nächsten Tag besprachen. Er hatte seinen Rücken dem Eingang zugewandt und sich bereits wieder über die Karte gebeugt. Soren wusste, dass er überlegte, wo sie als nächstes hingehen würden.

„Ike“, sprach er ihn an und fuhr sogleich weiter, „ich würde dir gerne den Bericht über unseren letzten Kampf geben . Es gab keine Verluste und keine Schwerverletzten. Jeder hat sich hervorragend geschlagen.“

Er ratterte seinen Text hinunter, den er bereits so sehr internalisiert hatte, dass er nicht einmal stockte, als er bemerkte, dass er sich selbst wiedersprach. Schließlich war er selbst nur um Haaresbreite dem Tod entkommen. Und da bemerkte er Ikes Blick. Wütend war gar kein Ausdruck, seine Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt und spien tobende Funken, die Soren erstarren ließen.

„Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“, brüllte Ike ihn an und packte sein Handgelenk, um ihn am Zurückweichen zu hindern.

Soren wusste, dass er es verdient hatte und so wehrte er sich nicht. Beschämt stierte er gen Boden.

„Es tut mir leid“, meinte er etwas kleinlaut, doch Ike fand nur Trotz in seiner Stimme.

„Es tut dir leid? Es tut dir leid, Soren?“

Ikes Stimme bohrte sich tief in das Gewissen des Magiers, hinterließ ein Gefühl purer Schuld. Mit der anderen Hand hob er Sorens Kinn an, so dass er ihm in die Augen sehen musste.

„Du bist beinahe gestorben, verdammte Scheiße!“

Soren hatte ihn noch nie so außer sich erlebt. Allerdings hatte es auch noch nie jemand gewagt, beinahe unter seinen Augen wegzusterben. Seine Ohren dröhnten und sein Kinn begann schon zu schmerzen.

„Lass mich los“, zischte er und wand sein Gesicht aus Ikes festem Griff, entriss ihm das Handgelenk, was den Kommandeur jedoch nur noch wütender dreinschauen ließ.

„Es kommt nicht wieder vor“, versprach er trocken und setzte sich zum Abwenden an.

„Ich bin noch nicht fertig“, knurrte Ike jedoch und riss ihn herum, packte ihn fest an den Schultern, es war ihm egal, dass Soren nicht gerne berührt wurde.

Überrumpelt von Ikes Grobheit ließ Soren seinen Bericht fallen und die losen Pergamentblätter segelten zu Boden.

„Von jetzt an wirst du nur noch in den hinteren Reihen kämpfen, bis du wieder zu Verstand gekommen bist und wann das sein wird, werde ich entscheiden, hast du das verstanden?“

Ike hatte sich dicht zu ihm gebeugt, schüttelte ihn zur Bekräftigung seiner Aussage und wiederholte die letzten Worte.

„Hast du das verstanden?“

„Ja, ich habe es verstanden. Jetzt lass mich los“, forderte er missmutig zischend und verlieh seinem Wunsch Nachdruck, indem er sich in Ikes eisernem Griff wand.

„Sieh mich an, Soren“, ignorierte Ike ihn und beugte sich noch ein Stück näher zu ihm, um seinen Blick einzufangen.

Sorens Wille flackerte, als er etwas anderes als die pure Wut in Ikes Stimme vernahm und drehte sein Gesicht ihm zu, blickte ihm direkt in die Augen. Und auch da fand er es. Ein kleines, aber unübersehbares Glitzern.

„Ich hatte Angst, Soren“, gestand Ike mit heiserer Stimme und er schüttelte ihn nochmal in seiner aufsteigenden Verzweiflung, „ich hatte solche Angst, dich zu verlieren!“

Der Magier wusste nicht, was er tun, wie er reagieren sollte. Mit geweiteten Augen starrte er ihn nur an.

„Es... tut mir leid“, konnte er lediglich wiederholen und diesmal, diesmal meinte er es wirklich.

Ike seufzte und seine Hände, die noch immer auf Sorens Schultern lagen, glitten über die Schulterblätter zur Mitte seines Rückens, bis er sich umschlungen widerfand in diesen muskulösen Armen. Er wurde mitgezogen, als Ike sich nach hinten an den Tisch lehnte und ihn an sich drückte. Er war ihm so nah. Näher als jemals jemandem zuvor. Und er spürte durch den Stoff hindurch, wie Ikes Brustkorb sich bei jedem Atemzug hob. Und er spürte sein eigenes Herz, das aufgeregt gegen seine Rippen schlug.

„Versprich mir“, flüsterte Ike heiser, ganz nah an seinem Ohr, was ihn erschaudern ließ, „dass du nie wieder so unvorsichtig bist.“

Soren schluckte. Sein Mund war ganz trocken und hinter seinen Augen fühlte er ein leichtes Brennen, was ihn überraschte.

„Ich kann nichts versprechen“, sagte er zögernd und biss sich auf die Unterlippe.

„Soren, bitte“, raunte Ike bitter und dem Magier stockte der Atem, als er eine Hand in seinen Haaren fühlte, die seinen Kopf noch ein Stück näher an die Brust seines Kommandeurs drückte.

Er wusste nicht, was er tun sollte, wie er sich verhalten sollte. Er stand einfach da, stocksteif und starrte in den blauen Stoff von Ikes Hemd. Er fühlte sich gefangen, seine Lunge hatte sich zusammengeschnürt, sein Herz schlug hart und schmerzte bei dem Versuch, beinahe zu zerspringen. Alle hier wussten, dass er es hasste, berührt zu werden, dass er es nicht mochte, wenn man ihm zu nahe kam. Auch Ike hatte dies immer respektiert.

Seit wann ist das anders?

„Ich...“, versuchte er etwas zu sagen, doch seine Stimme wollte ihm nicht so recht gehorchen. Ihm war schwindelig.

Er spürte Ikes warmen Atem am Hals, hörte den verzweifelten Seufzer direkt neben dem Ohr und plötzlich überkam seinen Körper eine hitzige Welle unkontrollierbarer Gefühle, die er nicht definieren konnte, die seine Gedanken blockierten, sein Hirn einfach ausschalteten. Alles, was er in diesem Moment wahrnehmen konnte, waren Ikes Körper, den er mit seinem eigenen deutlich spüren konnte, und die Wärme, die von ihm ausging und auf ihn überzugehen schien. Da war nur noch Ike.

Warum ist es bei ihm anders?

Er schluckte den Kloss herunter und ließ es zu, dass seine Augenlider sich schlossen, einfach, um den Moment zu genießen. Doch die Situation drängte sich in seinen Gedanken nach vorne. Ike hatte Angst um ihn gehabt. Angst, ihn zu verlieren. Und er versuchte gerade verzweifelt, ihn daran zu hindern, sich noch einmal in eine solch prekäre Lage zu bringen. Als er die Augen wieder öffnete, erfüllt von dieser Erkenntnis, die er zuvor versucht hatte zu verdrängen, löste sich eine einzelne Träne aus seinem Augenwinkel.

„Ich kann es dir nicht versprechen“, wiederholte er sich leise, flüsternd, zögerlich, „aber ich werde es versuchen.“

Er fühlte, wie ein Teil der Anspannung von Ike abfiel und er konnte beinahe sehen, wie sich sein Mund zu einem gezwungenen schiefen Grinsen verzog.

„Mehr kann ich nicht verlangen“, seufzte er und presste Soren noch näher an sich, strich ihm durch das rabenschwarze, glänzende Haar, „danke.“

Etwas schnürte Soren die Luft ab. Er fühlte sich zittrig und die Hitze stieg in ihm auf, eine Ohnmacht übermannte ihn, er hatte keine Kontrolle mehr. Und als er dann seinen Namen hörte, in sein Ohr geraunt, so nah, dass Ikes Lippen seine Ohrmuschel beinahe berührten, konnte er nicht verhindern, dass ihm ein leiser Seufzer entwischte.

Und das reichte, dass Ike den Kopf senkte und die Lippen gegen Sorens Hals drückte.

Soren wusste nicht, wie ihm geschah. Die Hitze, die vorhin aufgestiegen war, explodierte in seinem Körper und dort, wo Ike ihn berührte, schien seine Haut in Flammen aufzugehen. Der Boden schien ihm unter den Füssen weggerissen zu werden und er hob die Hände, um sie in den Stoff von Ikes Hemd zu krallen, um den Halt nicht zu verlieren. Den Kopf jedoch ließ er impulsiv in den Nacken fallen.

Beinahe gedankenlos stürzte sich Ike auf die freigelegte Stelle, die eine Hand in seine Haare vergraben, mit der anderen strich er ihm die Wirbelsäule entlang. Die Hand im Kreuz, presste er ihn an sich, dass Soren den Rücken durchbog, und küsste ihn an einer Stelle unter dem Ohr, was ihm die Knie einknicken ließ. Die Lippen einen Spalt breit geöffnet, atmete er zitternd aus.

Was passiert hier gerade?

Er schmolz dahin unter Ikes Berührungen, er fühlte sich wie Wachs in seinen Händen. Er schloss die Augen und gab sich einfach diesem atemberaubenden Gefühl hin, ließ sich fallen, voller Vertrauen. Und es fühlte sich gut an. Noch nie hatte er so etwas zugelassen, doch bei Ike fühlte es sich so gut an. So vertrauenswürdig. Bei ihm hatte er das Gefühl, dass er sich fallen lassen konnte, dass er ihn stützen würde.

Ein Knie drängte sich zwischen seine und der Kontakt zwischen ihnen intensivierte sich so sehr, dass Soren schwindelig wurde. Ike zog an seinen Haaren und seinen Kopf etwas nach hinten, und eine Welle fiebrigen Begehrens durchflutete seinen Körper, als er Ikes Lippen nach seinen tasten spürte. Sanft, zurückhaltend.

War er schon immer so?

Doch so unerwartet es gekommen war, so schnell endete es. Als Ike ihm in die Augen sah, schreckte er zurück.

Das bin nicht ich!

Augenblicklich hob er die Hände und schob sich von Ike weg, welcher ihn auch sofort freigab. Ein weiterer verschreckter Blick, bevor Soren sich abwandte.

„Wenn du mich bitte entschuldigen würdest“, sagte er mit versucht stabiler Stimme und floh berauscht aus dem Zelt.
 

Er hatte lange überlegt, war aber zu keinem Schluss gekommen. Was’, Wies, Warums schwirrten in seinem Kopf herum, doch er fand keine Antworten. Ikes Anblick war dabei nicht besonders hilfreich, doch er konnte ihm nicht einfach aus dem Weg gehen, schließlich kämpften sie Seite an Seite, aßen am gleichen Tisch, teilten ihre Gedanken bezüglich eines Kampfes. Ihm aus dem Weg zu gehen war gleich bedeutend, wie Greils Söldner zu verlassen. Es war unvorstellbar. Und so konnte er es nicht verhindern, dass sie sich am selben Abend zum Abendessen wiedersahen. Ike musterte ihn beinahe durchgehend und Soren fühlte sich, als würde er auf glühenden Kohlen sitzen. Einerseits wollte er selbst zu ihm hinüberschauen, wollte dieses Gefühl wieder spüren, wollte ihm nahe sein, doch andererseits widersprach dies seinem Naturell. Also floh er gleich nach dem letzten Bissen in das Lager, wo unter Anderem auch seine Bücher aufbewahrt wurden. Bücher würden ihn beruhigen, würden ihn ablenken. Da konnte er eintauchen in den Inhalt, seinen Gedanken freien Lauf lassen, abschalten.

Erschrocken fuhr er zusammen, als er eine Hand durch seine Haare streichen spürte und eine Stimme über sich hörte.

„Wusste ich doch, dass ich dich hier finden würde.“

Soren wandte sich um und schaute hoch, erblickte Ikes Gesicht, wie er ernst und gleichzeitig verträumt zusah, wie Sorens schwarzes Haar ihm durch die Finger glitt. Für einen Schlag stolperte sein Herz. Als Ike zu sprechen weiterfuhr, schaute er ihn noch immer nicht direkt an.

„Weißt du noch, als wir uns das erste Mal begegneten?“, fragte er leise. Melancholie schwang in seiner Stimme mit.

„Natürlich, wie könnte ich das jemals vergessen?“, entgegnete Soren und schaute Ike unverwandt ins Gesicht. „Ich bin damals durch die Straßen geirrt und fast verhungert. Du hast mir zu Essen gegeben.“

„Als du ein paar Tage später vor unserer Tür standst, war ich überglücklich zu sehen, dass es dir gut ging.“ Ein leichtes Lächeln verzog seine Mundwinkel und vorsichtig schob er eine Haarsträhne aus Sorens Gesicht. „An jenem Tag habe ich mir geschworen, dich zu beschützen.“

Soren wusste nicht wieso, aber sein Herz klopfte heftiger als normal in seiner Brust und in seinem Bauch fühlte er ein heftiges Kribbeln.

„Du bist so stark geworden. Doch als ich dich so sah“, fuhr Ike fort, „bekam ich solche Angst, ich könne dich verlieren, Angst, versagt zu haben.“

Ich bin kein kleines Kind mehr, wollte Soren sagen, doch alles, was aus seinem Mund kam, war sein Name.

„Ike“, sagte er mit heiserer Stimme.

„Ich werde dich beschützen“, raunte Ike und küsste die Haarsträhnen, die er in seiner Hand hielt.

Es kostete Soren viel Überwindung, eine Hand zu heben und sie Ike auf die Wange zu legen und sein Gesicht sich zuzuwenden, bis sie sich in die Augen sahen. Die Wiesos und Warums schwirrten wieder in seinem Kopf herum und er hatte keine Ahnung, was und vor allem wieso er hier eigentlich tat, was er tat. Er konnte einfach fühlen, dass es das Richtige war. Seufzend lehnte er sich nach vorne und vergrub sein Gesicht in Ikes Hemd. Er atmete seinen Duft ein und schloss die Augen, um ihn in sich aufnehmen zu können. Seine Hand ruhte auf Ikes Brust. Eine Weile verharrten sie so, bis Ike auf die Knie sank und Soren von unten herauf anschaute, seine Hände fest haltend.

„Ich werde dich beschützen, Soren.“

Es war ein Schwur. Und Sorens Herz schlug aufgeregt gegen den Brustkorb. Er konnte nicht anders, als ihm eine Hand zu entziehen und sie ihm auf die Wange zu legen.

„Danke“, flüsterte er und beugte sich etwas nach vorne, um ihm einen zarten Kuss auf die andere Wange zu hauchen.

Doch stattdessen wurde er von Ike im Nacken gepackt und zu sich gezogen und seine Lippen fanden sich auf Ikes wider. Er wollte protestieren, doch sein Körper schien sich zu weigern. Er spürte die Hitze, wie sie ihn in heftigen Wellen überkam. Erschaudernd ließ er zu, dass Ike seine Beine auseinander schob und sich dazwischen drängte, um ihm näher zu sein. Seine Hände schoben sich unter sein Hemd, brannten sich in seine Haut und das Kribbeln, das er zuvor in seinem Bauch spürte, breitete sich aus, die Wirbelsäule hoch, über die Kopfhaut und hinunter bis in seine Finger- und Zehenspitzen. Sein Atem stockte. Seine Finger krallten sich in seine Schultern.

„Ike, was tust du?“, fragte der Magier mit bebender Stimme.

Ike blickte hoch.

„Ich bestätige mein Versprechen mit einer Zeremonie.“

Soren wollte gerade etwas entgegnen, doch er schnappte nach Luft, als er spürte, wie Ikes Lippen sich mit seiner bloßen Haut beschäftigte, die er vorhin freigelegt hatte. Seine Finger nestelten an seinem Gürtel. Und der Mund wanderte tiefer.

„Ike! Nicht, ich“, wollte Soren einwenden, doch sein Kommandeur ließ sich nicht beirren.

„Ich will dich“, raunte er und beugte sich über Sorens Schoss, „ich wollte dich schon immer.“

Soren krümmte sich über Ikes Kopf, biss sich auf die Unterlippe und versuchte, sich unter Kontrolle zu halten, doch je näher Ike ihn auf den Gipfel der Lust zutrieb, desto schwerer fiel es ihm, regelmäßig zu atmen, geschweige denn, irgendetwas zu denken, und elektrisierende Hitze durchzuckte seinen Körper. Ike zog ihn an den Hüften an den Stuhlrand und Soren kippte gegen die Lehne. Mit einem befreiten Stöhnen fiel sein Kopf nach hinten und sein Kreuz bog sich zuckend durch. Keuchend schlug er sich die Hände über das Gesicht. Er wollte Ike jetzt nicht anschauen müssen. Es war ihm irgendwie peinlich. Es war das erste Mal, dass jemand so Hand an ihn legte. Doch es sah nicht so aus, als ob Ike hier aufhören wollte. Im Gegenteil, er schob beide Hände unter Sorens Hintern und hob ihn hoch, während er aufstand. Um nicht nach hinten zu fallen, schlang Soren die Arme um seinen Kopf. Er fühlte sich merkwürdig schwach und energiegeladen zugleich. Mit verschleierten Augen schaute er Ike an.

„Was tust du mit mir?“, fragte er mit heiserer Stimme und vergrub seinen Kopf an Ikes Hals.

„Soren, vertraust du mir?“

Ike setzte ihn auf dem Tisch ab und schaute ihm in die Augen. Soren nickte.

„Ja, das tu ich.“

„Dann lass mich dir zeigen, was ich für dich empfinde“, raunte Ike und eroberte seinen Mund.

Sorens Sinne waren noch immer vernebelt und so ließ er protestlos zu, dass Ike ihm die Kleidung abstreifte und auch sein eigenes Hemd auszog. Völlig nackt saß er vor ihm, den Blicken seines Kommandeurs ausgeliefert und das Blut schoss ihm in die Wangen, einerseits, weil er sich peinlich berührt fühlte, andererseits, weil Ike mit seinem muskulösen Körper direkt vor ihm stand. Stöhnend ließ er sich nach hinten auf die Tischplatte sinken und versuchte, diesen Gedanken aus seinem Kopf zu verdrängen. Doch Ike beugte sich über ihn, ein leichtes Grinsen auf den Lippen und tauchte in seinem Blickfeld auf.

„Genau so habe ich dich in meinen Träumen immer vor mir gesehen“, meinte Ike, „fehlt nur noch...“

Seine Hand glitt nach unten und Soren keuchte auf.
 

Soren konnte sich nicht erklären, wieso er zuließ, was Ike mit ihm anstellte. Doch er fühlte den Sturm in sich toben und seine Gefühle wirbelten in seinem Herzen, bis sie ihn komplett erfüllten. Es war, als ob er auf einer Wolke der Lust davongetragen wurde und gleichzeitig einem eisernen Griff ausgeliefert war. Ike war überall. Um ihn. In ihm. Sein Körper, sein Atem, seine Hitze. Seine Hände. Er trieb ihn in einen ekstatischen Strudel, der ihn mitriss, dem er nicht zu entfliehen vermochte. Doch er ließ sich mitreißen, während lustvolle Laute seinen Mund verließen.

„Ike“, flüsterte er bebend und schlang die Arme um dessen Nacken, „beschütze mich.“

Ike stöhnte und vergrub eine Hand in Sorens Haare, zog daran, sodass sein Kopf nach hinten fiel und er ihm in die Augen blicken konnte, die ihn verschleiert anblinzelten.

„Ich werde dich immer beschützen.“

Von Glück erfüllt, eroberte er erneut Sorens Mund. Und das Buch, das er mit der Hand vom Tisch fegte, sodass er sich aufstützen konnte, landete verkehrtherum auf dem Boden. Trockenes Blut klebte am Umschlag und erinnerte daran, welch starke Gefühle diesen Raum erfüllten.

Angst, Verzweiflung.

Und Liebe.
 

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