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Delilah – Die Liebe einer Wölfin

von

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36. Kapitel

„...ging schon mal besser. Und du? Siehst nicht gerade ausgeschlafen aus. Dabei hab ich dir gesagt, dass du nicht hier zu bleiben brauchst.“

„Aber wenn was gewesen wäre, dann wäre es meine Schuld gewesen. Das lasse ich mir sicher nicht nachsagen.“ Die Worte klangen ganz nach einem aufkommenden Streit, doch der beinahe sanfte Tonfall darin milderte diesen Eindruck deutlich.

Delilah drehte sich vollkommen verschlafen auf der warmen Unterlage herum und bettete mit einem erschöpften Seufzen ihren Kopf auf Deans Schulter. Als sie wieder still lag, legte er seine Arme wieder um sie.

„Seit wann ist sie eigentlich hier?“ James hörte sich ungefähr genauso kaputt an, wie sie sich fühlte.

„Keine Ahnung. Es war aber noch nicht hell draußen.“ Dean gähnte einmal ausgiebig. Sie hätte ihn schlafen lassen sollen. Immerhin war er so schon total wachsam bei jedem noch so kleinen Geräusch. Mit ihr auf dem Schoß musste er ständig hoch geschreckt sein. Delilah hatte trotz seiner Nähe nicht besonders ruhig geschlafen.

„Meinst du, es geht ihr gut? Ich meine, ihr Hals sieht wirklich übel aus und man versteht sie kaum beim Sprechen.“ Nun klang James auch noch besorgt.

„Wenn’s nur das wäre!“ Deans Finger fuhren sanft durch ihr Haar. Es fühlte sich gut und beruhigend an.

„Ist denn noch etwas mit ihr? Vielleicht was mit dem Baby?“, hakte James sofort nach.

„Ich denke, sie-“

„Es geht mir gut.“ Delilah schlug mühsam die Augen auf und obwohl man sie immer noch nicht sehr gut verstand, war ihre Stimme doch schon kräftiger und ihr Hals schmerzte nach den wenigen Stunden Schlaf auch schon deutlich weniger.

„Du bist ja wach.“, stellte Dean überflüssiger Weise fest.

„Mhm.“ Langsam, um ihre Hände nicht zu fest irgendwo gegen Deans Körper zu pressen, wo sie nicht hingehörten, veränderte sie ihre Position und glitt dann von seinem Schoß, um sich kurz und auf wackeligen Beinen zu strecken.

„Wie fühlst du dich?“, wollte sie an James gewandt wissen. Sein Wohlergehen war hier vor allen anderen am Wichtigsten, immerhin konnte sie wenigstens aufrecht stehen.

„Geht so. Aber ich müsste langsam mal wohin.“ Er räusperte sich und wandte sich dann an seinen Bruder. „D, kannst du mir vielleicht ins Bad helfen?“

„Vergiss es, Mann. Young hat geraten, dich die nächsten Tage so wenig wie möglich zu bewegen. Allein schon wegen der Infusion mit dem Schmerzmittel solltest du hier bleiben, wenn wir das Teil nicht umständlich mitschleppen wollen.“

„Das ist doch nicht dein Ernst? Soll ich etwa gleich hier ins Bett machen, oder wie stellst du dir das vor?“ James sah alles andere als erfreut über diese Nachricht aus.

„Natürlich nicht. Young hat extra ein kleines Präsent für dich hier gelassen.“ Was auch immer es war, es zauberte Dean ein Schmunzeln auf die Lippen. Wenn auch nur ein ganz kleines.

Delilah sah ihn ebenfalls nur ratlos an, bis er so etwas wie eine seltsam geformte Plastikflasche unter dem Bett hervorzauberte und ihre Augen groß wurden.

„Da mach’ ich sicher nicht rein!“, protestierte James umgehend, als er erkannte, was sein Bruder da in der Hand hielt.

„Entweder du machst da rein oder Young verpasst dir einen Blasenkatheter. Kannst es dir gerne aussuchen.“, gab Dean ungerührt zurück und wurde wieder ernst. Sein Standpunkt war klar definiert und daran ließ sich auch nicht rütteln.

James wirkte noch bestürzter, als ohnehin schon und auch Delilahs Stirn legte sich in Falten, als ihr bewusst wurde, was genau das für ihn bedeuten würde.

„Du meinst, er schiebt mir einen Schlauch in meinen...?“

Dean nickte vielsagend. „Jupp. Wenn dir das lieber ist.“

„Gib schon her das Teil!“ Obwohl es ruppig klang, konnte James seine Hand nur ein Stück weit hochheben, ehe sie auch schon wieder kraftlos zurück auf die Decke fiel.

„Scheiße.“ Er atmete einmal tief durch und stieß ein frustriertes Seufzen aus. Vermutlich hatte er nicht damit gerechnet, dass er so schwach sein würde. Der Gang ins Bad hatte sich damit endgültig erledigt und nun war sein Tonfall hörbar betroffen und zurückhaltend: „Könntest du mir vielleicht dabei helfen, D?“ Es musste ihm ziemliche Überwindung gekostet haben, das zu sagen, denn James konnte Dean nicht einmal dabei ansehen.

Der trat ohne zu zögern näher ans Bett heran und sah mitfühlend seinen Bruder an. „Klar, Mann. Kannst dich doch auf mich verlassen.“ Auch sein Tonfall war nun gedämpft.

Bevor einer der beiden etwas sagen konnte, war Delilah auch schon aus dem Zimmer verschwunden und schloss leise die Tür hinter sich. Es musste für James auch so schon peinlich genug sein. Aber wenigstens hatte er seinen Bruder.

Zumindest darüber konnte Delilah froh sein, während sie langsam die Treppe hinunter humpelte, um nach dem Zustand der Suppe zu sehen, die sie eigentlich für James hatte kochen wollen.

Unten angekommen sah sie erstaunt auf die provisorisch reparierte Eingangstür. Elija musste sie wohl notdürftig zusammengezimmert haben. Wann er die Zeit dafür hergenommen hatte, blieb ihr dabei aber ein Rätsel.

Die Tür hing zwar etwas armselig in den Angeln und auch das Glas der Scheibe fehlte, aber bis sie eine neue Tür hatten, würde es auf alle Fälle gehen, zumal sie Sommer hatten und Regen vermutlich noch eine ganze Weile auf sich warten ließ.

In der Küche angekommen sah Delilah, dass der alte Werwolf auch an ihre Suppe Hand angelegt haben musste. Denn es lag bereits ein wirklich aromatischer Duft in der Luft und auch der Topf stand nicht mehr auf der gleichen Herdplatte, wo sie ihn hingestellt hatte. Vermutlich damit die Suppe auf kleiner Stufe heiß blieb, aber nicht mehr vor sich hin kochte.

Trotzdem etwas skeptisch probierte Delilah vorsichtig und musste erstaunt feststellen, dass die heiße Brühe wirklich unglaublich gut schmeckte, obwohl noch etwas Salz fehlte, das man für gewöhnlich erst kurz vor dem Verzehr hinzu gab. Zumindest dem Rezept aus dem Kochbuch nach zu entnehmen.

Während Delilah ein Tablett herrichtete und die Suppe für James in eine kleine Schüssel goss, sah sie ab und zu aus dem Küchenfenster, da offenbar ein reger Andrang in der Werkstatt herrschte, so viele Autos wie dort in der Einfahrt standen.

Delilah würde es nicht wundern. Gestern war alles einfach stehen und liegen gelassen worden. Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob Dean oder sein Vater dazu gekommen waren, die Termine für heute abzusagen.

Zum Glück hatte sie das Blut von der Veranda entfernt...

Delilah beneidete Elija in diesem Moment wirklich kein Bisschen. Sie hätte momentan absolut keinen Kopf für die Arbeit gehabt. Froh darüber, dass sie sich voll und ganz auf James konzentrieren konnte, machte sie auch noch frische Limonade, damit er ein paar zusätzliche Vitamine abbekam. Inzwischen dürften die beiden auch mit allen privaten Angelegenheiten fertig sein.
 

Das Tablett unter scharfer Beobachtung versuchte Delilah es ruhig zu halten, während sie mit dem Ellenbogen die Tür aufzubekommen versuchte. Ein unmögliches Unterfangen bei einem Türknauf.

Zum Glück kam ihr Dean zu Hilfe und machte die Tür für sie auf. Er nahm ihr auch gleich das Tablett aus den Händen, als er sah, wie voll beladen es war.

„Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte dir doch beim Tragen helfen können.“

Delilah schenkte ihm nur ein dankbares Lächeln. Besser als sich mit ihm darüber zu streiten, dass sie zwar schwanger, aber kein Invalide war. „Dein Dad verlangt übrigens nach dir. Ich glaube, es geht um eure Kunden.“

Dean stellte das Tablett auf James’ Nachttischchen ab, nachdem sie dafür Platz gemacht hatte. Die Neuigkeit schien ihn nicht besonders zu erfreuen.

„War ja klar, dass die uns schon nach einem Tag die Tür einrennen. Vielleicht sollten wir uns gleich gar keine neue besorgen.“ Er schnaubte und wandte sich dann an James. „Brauchst du noch was, oder kann ich euch beide allein lassen?“

James’ Blick huschte kurz zu Delilah hinüber, ehe er seinem Bruder ein kleines Lächeln schenkte. „Geh nur. Ich bin gut versorgt.“

Dean nickte, hauchte Delilah beim Vorbeigehen noch einen Kuss auf die Lippen und ließ sie dann alleine.

Für einen Moment lang herrschte so etwas wie ein peinlich berührtes Schweigen, bis James sich leise räusperte und auf die Suppenschüssel zu schielen versuchte, da er den Kopf nicht sehr weit drehen konnte. „Ist die für mich?“

„Ja.“ Delilah trat neben das Bett und überlegte, wie es für James wohl am Leichtesten gehen würde, damit er sie auch essen konnte.

„Selbst gekocht?“

Sie nickte einmal zur Bestätigung. „Ich habe sie auch schon probiert und lebe noch. Also keine Angst. Ich hab nicht vor, dich damit zu vergiften.“

„Hätte ich jetzt auch nicht angenommen. Immerhin hast du Talent.“

„Das und dein Kochbuch.“ Ihr Lächeln wurde breiter, ehe sie zu überlegen begann.

So wie James da im Bett lag, würde er eher an der Suppe ersticken, als dadurch satt zu werden.

„Denkst du, du hältst es aus, wenn wir dich etwas weiter aufsetzen?“ Ihr Blick blieb kurz am Infusionsbeutel hängen. Allzu viel Flüssigkeit war nicht mehr drin. Sobald der Beutel leer war, würde James auch wieder deutlicher mit seinen Schmerzen zu kämpfen haben.

„Ich denke schon.“ Seine Antwort riss sie wieder aus ihren Überlegungen.

„Gut, dann...“ Hm... Was jetzt?

Delilah zögerte kurz, ehe sie sich über James beugte, seinen gesunden Arm nahm und ihn sich vorsichtig um ihren Nacken legte.

„Halt dich so gut fest, wie du kannst und gib Bescheid, wenn ich dir irgendwie wehtue.“

„Okay.“

Es war gar nicht so einfach, an James eine Stelle zu finden, an der sie ihn gefahrlos anfassen und hochziehen konnte. Die Schulter, die ausgerenkt worden war, schied schon einmal aus und auch sein Nacken, da er dort immer noch dick mit einem Verband umwickelt war und Delilah nicht riskieren wollte, dass seine Nähte aufgingen. Viel blieb also nicht mehr übrig.

Kurz entschlossen packte sie ihn einfach an der gesunden Schulter und ein Stück seinen Rücken hinab, während sie dabei versuchte, seine verletzte Schulter so wenig wie möglich zu berühren.

Da James aber kaum mithelfen konnte, reichten ihre Kräfte nicht dazu aus, ihn weit genug aufzurichten. Gezwungener Maßen kniete sie sich halb zu ihm aufs Bett und versuchte es noch einmal, wobei ihr fast sein Arm vom Nacken rutschte.

Würde sie nicht genau sehen, wie sehr er sich anstrengte, obwohl er deutlich Schmerzen hatte, könnte sie James beinahe unterstellen, er würde sich absichtlich schwer machen. Was er natürlich nicht tat.

„Deli...“, presste er angespannt hervor. „...wir sollten vielleicht auf Dean warten.“

„Nein.“ Sie klang entschieden.“ Ich kann das!“

Delilah kletterte entschlossener denn je ganz auf das Bett, beugte sich noch weiter über James und zog so gut sie konnte.

Dieses Mal gelang es ihr, seinen Oberkörper soweit anzuheben, dass sie ihm ein paar Kissen in den Rücken stopfen konnte, bis er aufrecht genug saß, um essen zu können.

Sie keuchte am Ende genauso angestrengt wie James.

Vorsichtig zog sie seinen Arm von ihrem Nacken und legte ihn sanft an seine Seite, ehe sie sich langsam aufrichtete. Ihre Blicke begegneten sich und nun stieg ihr unverkennbar sein Duft in ihre Nase, vermengt mit dem Gestank von Jod, der von seinen Wunden kam. Aber das war im Augenblick nicht wichtig. Ihr Herz begann zu rasen.

„Danke.“, flüsterte er leise, als könne jedes lautere Wort den Moment zerstören.

Delilah strich ihm eine verirrte Strähne aus dem Gesicht, die ihn an der Nase gekitzelt haben musste, ehe sie sich mit starker Willensanstrengung aus seiner Nähe riss und sich aufrecht neben ihm hinsetzte.

„Sieh es als Wiedergutmachung an. Immerhin gehen deine gebrochenen Rippen auf mein Konto.“ Ihre Finger zitterten, als sie die Schüssel mit der Suppe zur Hand nahm und einmal darin umrührte.

„Wirklich? Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Wie kam’s dazu?“

Einen Moment zögerte sie. „Ich hab bei der Herzdruckmassage wohl zu fest gedrückt. Aber zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich so was zuvor noch nie gemacht hatte.“

Delilah nahm einen Löffel von der Suppe und beäugte ihn skeptisch, ob sich eventuell noch eine kleine Rauchschwade hoch kräuselte. Daher bemerkte sie James’ erschrockenen Blick erst, als er sie mit seinen Fingerspitzen am Oberschenkel streifte.

„Wieso eine Herzdruckmassage?“ Seine Stimme wurde gegen Ende hin ganz spitz.

Erst da fiel ihr ein, dass es ihm vermutlich keiner gesagt hatte. Delilah ließ den Löffel wieder sinken und schob eine Karotte in der Schüssel hin und her. Sie konnte ihm dabei nicht in die Augen sehen.

„Du warst ein paar Minuten lang weg...“, war ihre einzige Antwort.

Kurz schwieg er, dann: „Wie weg?“ Er wagte kaum zu fragen.

Sie seufzte schwer. „Dein Puls und deine Atmung waren weg.“ Ihre Stimme zitterte. Eigentlich wollte sie gar nicht mehr darüber reden, aber er sollte es wissen.

„Das...“ James musste mehrmals tief durchatmen. Er hatte keine Ahnung gehabt, wie ernst es gewesen war. Mehr gab es dazu also auch nicht zu sagen.

Da Delilah auch nicht weiter darüber reden wollte, nahm sie wieder einen Löffel von der Suppe, pustete vorsichtig darauf und hielt ihn James schließlich unter die Nase.

„Das ist wirklich nicht nötig, Deli.“ Es sollte wohl nur so etwas wie ein vager Protest sein, denn einen Augenblick später schlossen sich seine Lippen um den Löffel und er ließ sich von ihr füttern, während es hinter seiner Stirn immer noch kräftig arbeitete.

„Schon okay. Ich mache das gerne.“ Außerdem waren sie sich beide darüber im Klaren, dass es James nicht ohne Hilfe schaffen würde, so schwach wie er immer noch war. Aber auch darüber schwiegen sie.

Da James sich auf das Essen und Delilah sich auf das Füttern konzentrierte, blieb es eine ganze Weile lang still. Von draußen konnte man Hin und Wieder ein paar Autos davon fahren hören. Wie es schien wurde es also langsam wieder ruhiger.

Da James zwar seine Kraft, nicht aber seinen Appetit verloren hatte, holte Delilah ihm noch einen Nachschlag und machte sich selbst noch in aller Eile zwei belegte Brote, die sie schnell im Stehen hinunterwürgte, um wenigstens etwas im Magen zu haben. Immerhin wollte sie James nicht allzu lange alleine lassen.

Nachdem sie ihn endlich satt bekommen hatte, stellte sie die Schüssel zurück auf das Tablett und schenkte ihm etwas Limonade für Später ein. Danach sah sie ihn einfach an und studierte sein Gesicht. Sie sog regelrecht den Eindruck seiner lebendigen Züge in sich auf, die somit zum Teil die schrecklichen Bilder der Vergangenheit überlagern konnten. Wenn auch nie vollständig.

James gähnte währenddessen einmal kräftig und ließ sich tiefer in die Kissen sinken. Natürlich entging ihm Delilahs Blick nicht, doch anstatt etwas zu sagen, schaute er einfach zurück.

Es bedurfte nur wenige Augenblicke, bis es für sie so intensiv wurde, dass sie wegschauen musste. Wieder klopfte ihr Herz wild in ihrer Brust.

So sehr er seinem Bruder auch bis aufs Haar glich, die winzigen Unterschiede zwischen den Beiden wurden immer offensichtlicher. James sah sie nicht so an, wie Dean es tat und umgekehrt traf das ebenfalls zu. Aber sie könnte nicht behaupten, dass ihr sein Blick nicht dennoch behagen würde. Ganz im Gegenteil. Er sah sie-

„Nadine ist danach nicht noch einmal zurückgekommen, oder?“

Überrascht über diese Frage und den abrupten Themenwechsel in ihrem Kopf, hob Delilah den Blick, doch inzwischen hatte James die Augen geschlossen.

„Nein. So viel ich gehört habe, hat das Great Falls Rudel sie zur Strafe verbannt. Was auch immer das genau bedeuten soll. Dein Dad und Dean haben mir leider nichts Näheres dazu erzählt.“

„Verstehe.“

Nun, da war er ihr in dieser Sache ziemlich weit voraus. Sie verstand nämlich gar nichts.

An seinen Zügen konnte man seine Anspannung ablesen und Delilah hätte gerne gewusst, was James in diesem Augenblick durch den Kopf ging.

„Hast du starke Schmerzen?“

„Es geht.“

Was auch immer das genau heißen mochte. Vielleicht spielte er auch nur den harten Kerl vor ihr und litt still vor sich hin. Aber noch war ein winziger Rest in dem Infusionsbeutel. Nur würde das nicht mehr lange reichen.

„Young schaut heute noch einmal vorbei. Er wird dir sicher einen frischen Infusionsbeutel mitbringen. Außerdem wollte er deine Verbände wechseln.“

„Hmm...“ James seufzte. „Sieht es eigentlich schlimm aus? Und bitte sei ehrlich.“

Er schlug die Augen wieder auf und schenkte ihr einen sehr nachdrücklichen Blick, dem sie sich nicht entziehen konnte.

„Es werden ein paar Narben bleiben, denke ich. Vor allem um deinen Hals herum, aber nichts, was deinem guten Aussehen irgendwie etwas anhaben könnte.

Nun wurde er eindeutig skeptisch. „Wieso fällt es mir schwer, das zu glauben?“

„Und wieso kannst du ein Kompliment nicht einfach annehmen, so wie es ist? Du bist und bleibst ein attraktiver Kerl und mehr werde ich dein Ego jetzt sicherlich nicht streicheln. Zumindest das kannst du mir glauben.“

Obwohl sie es vielleicht nicht sollte, schlich sich doch ein kleines Schmunzeln auf ihre Lippen. Seltsamerweise tat es James ihr ein paar Augenblicke später gleich, anstatt dadurch noch mehr an ihren Worten zu zweifeln.

„Wenigstens kann ich später bei den Frauen damit angeben.“, scherzte er nun eindeutig.

Obwohl Delilah ihn daraufhin anlächelte, erreichte es doch nicht ihre Augen. Allein die Vorstellung, er könnte sich vor anderen Frauen soweit entblößen, dass diese all seine Narben sehen konnten, machte sie rasend.

Eigentlich hätte Delilah gedacht, seit dem Vorfall mit Nadine, wäre sie schlauer geworden, aber wie es schien, war das definitiv nicht der Fall. Sie seufzte erneut.

„Was ist los?“

„Ach nichts. Ich werde dann mal das Geschirr wegräumen. Du willst dich sicher noch etwas ausruhen.“

„Kommst du denn später wieder?“, hakte er so vorsichtig nach, als könne allein die Frage etwas an ihrer Entscheidung ändern und als wäre er sich bewusst, dass er etwas falsches gesagt hatte. Was definitiv nicht der Fall war. Sie wollte James schon jetzt nicht alleine lassen, aber er brauchte Ruhe und sie eine kleine Pause.

„Natürlich. Spätestens wenn Young hier aufkreuzt, versprochen.“

„Gut. Und noch mal danke für die Suppe. Sie war wirklich lecker.“

Delilah stand nun wieder mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen auf. „Das freut mich. Aber ich habe auch einen verdammt guten Lehrmeister.“

Das brachte ihn nun zum Strahlen und sein Lächeln steckte auch sie an.

Bevor wieder ein peinliches Schweigen entstehen konnte, schnappte sie sich das Tablett und verließ James’ Zimmer.

Delilah räumte alles schnell in den Geschirrspüler, ehe sie sich auf die Suche nach Dean und seinem Vater machte, um ihnen vielleicht irgendwie zur Hand zu gehen. Natürlich auch, um beide darüber aufzuklären, wie es James ging und dass er jetzt noch ein bisschen schlafen würde.

Sie selbst hätte das nicht zu Stande gebracht, obwohl sie total erledigt war. Nicht zuletzt deshalb suchte sie sich den ganzen Tag über irgendeine Art Beschäftigung.
 

„Das sieht ja schon sehr vielversprechend aus.“

„Scheiße, ich glaub, mir wird schlecht.“

„Reiß dich mal zusammen!“

„So schlimm ist es nun auch wieder nicht.“

Young legte noch mehr von den Nähten an James’ Hals frei, wodurch sich Dean nun endgültig abwenden musste. Er war eindeutig grün um die Nase, weshalb es ihm wohl ernst mit seiner Aussage war.

Natürlich war der Anblick der dunklen Nähte auf heller Haut zusammen mit der bräunlichen Farbe des Jods kein sehr schöner Anblick, aber Delilah war er tausend Mal lieber, als die klaffende, blutende Wunde, die es gewesen war. Dahingehend sah es wirklich schon sehr viel besser aus.

An James’ Blick konnte man erkennen, dass er gerne einen Spiegel gehabt hätte, um die Wunden an seinem Hals sehen zu können, doch er würde auch so schon genug zu sehen bekommen, wenn Young erst einmal den Rest von ihm ausgepackt hatte.

„Einer von euch sollte mir genau beim Wechseln der Verbände zusehen, da ich in den nächsten Tagen nicht herkommen kann.“

Keiner rührte sich.

„Ich lasse dir auch ein paar Schmerztabletten hier, damit du nicht mehr länger an der Infusion hängen musst.“ Der Vampir warf die schmutzigen Verbände in die Schachtel, die Delilah extra dafür vorbereitet hatte, um später alles verbrennen zu können.

Da Dean nicht den Eindruck machte, als könne er seinen Bruder auch an eine andere Stelle betrachten, außer dessen Gesicht, trat Delilah näher, um dem Arzt besser bei seiner Arbeit zuschauen zu können. Es würde wohl an ihr hängen bleiben, James’ Verbände zu wechseln.

Elija schaute zwar immer wieder einmal nach seinem Sohn, aber irgendwie konnte man dabei nicht gerade von einer entspannten Atmosphäre sprechen. Es war also besser, wenn sie das erledigte und ganz ehrlich, sie machte das wirklich gerne. Denn so hatte sie das Gefühl, irgendwie wieder etwas gut zu machen. Ganz konnte es ihre Schuldgefühle nicht mildern, aber sie gab sich auch nicht der Hoffnung hin, dass irgendetwas das konnte.

Nachdem Young den Verband um James’ Hals erneuert hatte, ließ er es Delilah gleich an der nächsten Stelle versuchen. – James’ Oberschenkel.

Delilah war viel zu konzentriert auf das was ihre Hände taten und Youngs Anweisungen, um sich Gedanken darüber zu machen, dass James nur seine Shorts trug und sie ihm diese sogar noch ein paar Zentimeter weiter nach oben schieben musste, um die tiefen Kratzspuren vollständig versorgen zu können.

James’ Muskeln spannten sich unter ihren Händen deutlich sichtbar an.

„Du machst das sehr gut. Hast du das denn schon einmal gemacht?“, lobte Young, was ihr ein kleines Lächeln abrang, ehe sie sich mit dem Unterarm einmal quer über die Stirn wischte. Die Konzentration und ansteigende Hitze trieben ihr den Schweiß ins Gesicht. Langsam wurde es Tagsüber richtiggehend heiß.

„Als ich noch klein war, hab ich mich oft mit einem wilden Kater geprügelt. Danach musste mich mein Vater immer zusammenflicken. Dabei ist wohl was hängen geblieben.“

„Gut möglich.“ Young reichte ihr die Schere, damit sie sich an den nächsten Verband um James’ Wade kümmern konnte. Diese Stelle schien ihm schon sehr viel weniger auszumachen, denn er atmete einmal tief durch und entspannte sich wieder.

„Geht’s?“ Das war Dean, der sich mit dem Rücken gegen das weit geöffnete Fenster gelehnt hatte und nur ab und zu einen Blick zu Delilah schweifen ließ. Hauptsächlich konzentrierte er sich auf das Gesicht seines Bruders.

„Ist nicht so schlimm. Kitzelt eher.“

„Na solange es nur das ist.“

„Ja, genau...“

„Traust du dir auch zu, die Fäden zu ziehen, Delilah?“

Erschrocken hielt sie mitten in der Bewegung inne. „Was?“ Ihre Stimme klang ganz dünn und sie sah den Vampir völlig entgeistert an. Er konnte ihr doch nicht so etwas derart Wichtiges anvertrauen. Hier ging es schließlich um James! Der im Übrigen auch nicht gerade erfreut darüber dreinschaute.

„Ich kann das doch gar nicht...“

„Ach, da ist wirklich gar nichts dabei. Du brauchst nur eine Pinzette und eine kleine Nagelschere. Dann hebst du mit der Pinzette den Knoten leicht an und schneidest die Schlaufe durch. Dann leicht ziehen und schon ist der Faden raus. Tut auch nicht wirklich weh.“

So wie er das sagte, klang es wirklich einfach, aber Delilah hatte trotzdem Angst davor. „Ich weiß nicht. Was ist, wenn ich ihn schneide?“

Nun starrten sie alle drei den Vampir an, der jetzt auch noch zu grinsen anfing. „Mit einer Nagelschere... Nach den ganzen schweren Verletzungen macht dir das noch Sorgen? Brauchst du vielleicht auch noch eine örtliche Betäubung, James?“

„Öhm...“ Jetzt hatte James gar keine andere Wahl, als den Harten zu markieren, da es, so wie der Arzt das sagte, lächerlich banal klang.

„Ach Quatsch. Gegen die ausgerenkte Schulter ist das doch das reinste Kinderspiel!“

Was jetzt hieß, dass es tatsächlich an ihr hängen blieb. „Und du hast wirklich keine Zeit dafür?“ Nun wurde ihr Blick flehendlich, aber Young schüttelte nur entschuldigend den Kopf.

„Ich muss noch für eine wichtige Operation außer Landes fliegen und werde die nächsten Tage nicht erreichbar sein. Sollte was sein, müsst ihr eben zu einem Menschenarzt gehen. Solange ihr keine Beweise zurücklässt, kann eigentlich nicht viel passieren.“

Die Brüder nickten synchron, kannten diese Prozedur also schon. Zum Glück hatte Delilah noch nie wirklich einen gebraucht und jetzt war ja Young da. Also meistens zumindest.

„Nein. Ich schaffe das schon.“, teilte sie schließlich entschlossen mit. Sie würde das schon irgendwie packen. So schwer konnte es doch nicht sein und James hielt offensichtlich eine Menge aus.

Hoffentlich war das wirklich eine kleine Nagelschere...

„Gut, da das jetzt geklärt wäre... James?“ Young sah ihn plötzlich sehr ernst an, so als hätte er wirklich verdammt üble Nachrichten für ihn.

James zog instinktiv den Kopf ein. „Ja?“

„Ich muss mir jetzt noch einmal deine Schulter ansehen. Außerdem habe ich eine Salbe mitgenommen, die dir bei der Heilung helfen wird.“ Das klang doch eigentlich gar nicht so schlimm. Andererseits hatte Delilah keine Erfahrung mit ausgerenkten Gliedmaßen.

Aber sie bekam eine Ahnung von den Schmerzen, als sie James’ plötzlich bleiches Gesicht sah. Dabei hatte Young seine Schulter noch nicht einmal berührt.

„Kann ich nicht vorher die Schmerztabletten kriegen?“, fragte er leise und schluckte, als Young nur den Kopf schüttelte.

„Ich werde vorsichtig sein, aber ich muss wissen, wenn es irgendwo stärker schmerzt als es sollte. Es könnten Muskeln oder Sehnen verletzt sein und ohne ein anständiges Röngtenbild, lässt sich das anders nicht so leicht feststellen.“

Da blieb ihm wohl keine andere Wahl, denn James zu transportieren wäre noch schlimmer für ihn gewesen. Daher atmete er einmal tief durch und sammelte sich.

„D?“ James sah seinen Bruder Hilfe suchend an, der sofort an seine Seite eilte und seine gesunde Hand ergriff. „Ich bin hier.“

James’ Finger schlossen sich so fest um die Hand seines Bruders, dass seine Knöchel weiß hervor traten und Dean ihn zusätzlich auch noch an der gesunden Schulter berührte.

„Okay, es kann losgehen.“

Während der Vampir langsam die Schlinge löste, in der James’ Arm bisher gelegen hatte, schloss dieser die Augen und hielt sich an seinen Bruder fest.

Dean ging wirklich rührend mit seinem Bruder um. Ganz so, als wäre nie etwas zwischen ihnen beiden vorgefallen. Eigentlich kümmerte er sich sogar äußerst führsorglich um ihn. Gerade bei den Dingen, bei denen Delilah nicht wirklich helfen konnte, da sie für James viel zu unangenehm gewesen wären und darüber war sie ganz froh.

James’ Schmerzen wurden deutlich größer, so dass auch Delilah mitfühlend ihre Hände auf seine Wade legte. Sie konnte ihn zwar nicht so halten, wie sein Bruder es tat, aber sie zeigte dadurch deutlich, dass auch sie für James da war.

Als hätte Young nur darauf gewartet, legte er nun richtig los. Vorsichtig begann er James’ Schulter abzutasten, der zwar keinen Laut zwischen seine zusammen gepressten Lippen hervorbrachte, sich aber deutlich spürbar unter ihren Händen verspannte und schließlich sogar zu zittern anfing.

„Du packst das, J. Halt nur noch ein Bisschen durch.“, flüsterte Dean seinem Bruder beruhigend zu, der nun sein Gesicht so weit in dem Kissen verbarg, wie es ihm nur möglich war.

Young arbeitete derweil schnell und zielgerichtet um James nicht länger als nötig zu quälen. Als er dessen Arm dann aber auch noch ein Stück weit anhob, konnte dieser ein schmerzvolles Stöhnen nicht mehr länger unterdrücken und seine Beine zuckten, als wolle er jeden Moment aufspringen und davonlaufen.

Verstohlen wischte Dean ihm eine Träne von der Wange, woraufhin Delilah den Blick senkte.

Endlich legte der Vampir den Arm wieder ab und nahm die Salbe zur Hand, um sie sanft nur mit den Fingerspitzen einzumassieren.

James’ Anspannung ließ daraufhin zumindest etwas nach.

„Ich denke, einer der Muskeln hat einen feinen Riss abbekommen, aber zusammen mit den überdehnten Sehnen und Bändern wird das von selbst heilen. Am besten benutzt du den Arm die nächsten zwei bis drei Wochen so wenig wie möglich.“

„Das hatte ich auch schon vor.“, stieß James immer noch zwischen zusammen gepressten Kiefern hervor, während sein Atem vor Anstrengung keuchte und er sich tiefer in die Kissen sinken ließ. Das Ganze musste ihm ziemlich viel Kraft abverlangt haben.

Endlich war der Vampir mit der Schulter fertig und wischte sich die Hände an einem Tuch ab. „Das war’s vorerst. Ich ziehe dann nur noch den Zugang raus und danach bekommst du die Schmerztabletten und darfst schlafen.“

Alle atmeten erleichtert auf.

„Delilah, wenn du Zeit hast, werde ich dir noch alles näher erklären, was du die nächsten Tage bei ihm beachten musst.“

„Ist gut.“ Sie streichelte James noch ein letztes Mal und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Ruh’ dich aus. Heute Abend kriegst du dafür etwas Leckeres zu Essen.“

„Danke.“, hauchte er leise, ließ die Augen aber geschlossen.

Bevor sie ging, strich sie auch Dean noch einmal über die Schulter und verließ dann zusammen mit Young das Zimmer, um die beiden alleine zu lassen.

Sie wünschte wirklich, sie könnte mehr für James tun. Dass er wegen ihr solche Schmerzen litt, tat ihr in der Seele weh.



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