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Delilah – Die Liebe einer Wölfin

von

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33. Kapitel

"Komm raus. Komm raus. Komm raus, Schlampe!" Nadines Stimme klang merkwürdig näselnd, war aber dennoch nicht zu überhören.

Delilah wollte das Herz brechen. Sie hatte die ganze Zeit über darum gefleht, dass es James' Schritte waren, die da das Haus betraten. Doch offensichtlich kam nun ihre schlimmste Befürchtung durch die Tür herein.

James…

Ihre Finger fühlten sich plötzlich so kraftlos an, dass sie kaum noch die Messer halten konnte, während eisige Kälte ihren Brustkorb erfüllte und ihr das Herz gefrieren ließ.

"Glaub nicht, dass du dich vor mir verstecken kannst." Die Schritte kamen näher; waren schon beinahe in der Küche. "Den Gestank deiner Angst kann man bis vor die Haustür riechen."

Oh Gott, bitte lass ihn noch am Leben sein…

"Und dafür dass sich dieser Versager eingemischt hat, werde ich jetzt nicht mehr so gnädig mit dir sein und dich einfach nur erwürgen. Nein, jetzt will ich es erst so richtig auskosten…" Das kreischende Geräusch scharfer Fingernägel die über Stein kratzten, ließ ihr endgültig das Blut in den Adern gefrieren. Nadine war kaum noch zwei Meter von ihr entfernt, am anderen Ende der Kücheninsel hinter der sich Delilah versteckt hielt.

Panisch sah sie sich nach einem Fluchtweg um, doch sie würde nicht einmal bis zu den Fenstern kommen, ehe Nadine sie erreicht hatte. Außerdem zitterten ihre Finger plötzlich so heftig, dass sie die Verriegelung vermutlich gar nicht erst aufgebracht hätte. Beinahe fielen ihr die Messer aus den Händen.

James ist immer noch da draußen…, versuchte sie sich von ihrer eigenen Angst abzulenken und erreichte damit mehr, als sie erwartet hätte, als ein neuartiges Gefühl sie erfasste.

Delilah straffte sich mit einem Mal, als ihre Wölfin ihr mit rasender Wut zu Hilfe kam und ihr plötzlich Kraft gab, wo sie schon glaubte, gar keine mehr zu finden. Für einen flüchtigen Moment schloss sie die Augen und ging in sich, um von dieser Kraft so viel sie konnte in sich aufzusaugen. Denn wenn James wirklich noch lebte, dann würde er ihre Hilfe brauchen und sie würde den Teufel tun und sich noch länger feige verkriechen.

James war vielleicht nicht ihr Gefährte. Er war noch nicht einmal ihr Partner, aber verdammt noch mal, er war ihr Freund und der Vater ihres ungeborenen Kindes. Außerdem hatte er ihr schon mehrmals das Leben gerettet. Sie würde den Teufel tun und ihn im Stich lassen!

Delilahs Griff schloss sich wieder fest um die Messer und nachdem sie einen tiefen Atemzug getan hatte, sprang sie auf die Beine und wirbelte herum. Bereit zuzustechen.

"STOP!" James machte mit Nadine im Schlepptau einen Satz zurück, bevor Delilah das Miststück abstechen konnte. "Ich hab sie, Deli. Alles ist gut."

Vollgepumpt mit Adrenalin und zu töten bereit, erstarrte Delilah unter James' Worten mitten in der Bewegung und konnte ihn einfach nur ungläubig anstarren.

Er hatte dieses Miststück wirklich. Dieses Mal war der Griff um Nadines Kehle so fest, dass diese nur noch ab und zu röchelnd nach Luft schnappen konnte, während ganze Rinnsale von Blut ihr Gesicht hinab liefen, das mit Glassplittern bespickt war. Offensichtlich war sie es gewesen, die Bekanntschaft mit der Eingangstür gemacht hatte. Außerdem schien ihre Nase gebrochen zu sein.

Oh Gott… Delilah ließ vor lauter Erleichterung die Messer auf die Arbeitsfläche gleiten und nur Nadine konnte sie davon abhalten, James sofort um den Hals zu fallen, um sich zu vergewissern, dass es ihm gut ging. Denn er sah ziemlich mitgenommen aus. Doch das musste noch warten.

"Das ist die allerletzte Warnung.", knurrte er Nadine ins Ohr, während er sie rückwärts mit sich aus der Küche schleifte, so dass ihre Beine wild über den Boden schlenkerten und eine rote Spur über die Dielen zog, während sie verzweifelt versuchte, seine Hand von ihrer Kehle wegzuziehen.

Delilah berührte ihren eigenen heftig schmerzenden Hals und folgte den beiden. Dabei versuchte sie nicht daran zu denken, wie es sich angefühlt hatte, auf diese Art gewürgt zu werden.

James warf Nadine wortwörtlich aus dem Haus, in dem er sie die wenigen Treppen der Veranda hinunter stieß und sie hart im Staub auf dem Boden landete. Sein Gesichtsausdruck war ein Abbild reinster, unverdünnter Wut. Mitleid suchte man darin vergeblich und auch Delilah hatte keines. Hätte sie immer noch die Messer in der Hand, sie wüsste nicht, ob sie sich nicht doch noch auf dieses Biest gestürzt hätte.

"Lass dich hier nie wieder blicken.", fuhr James finster fort, während er eine Hand drohend zur Faust ballte. "Ich meine es ernst."

Dieses Mal klang es nach keiner leeren Drohung. Sogar Delilahs Nackenhärchen stellten sich alarmiert auf.

Nadine kam nur mühsam wieder auf alle Viere, nachdem sie erst einmal damit zu kämpfen hatte, ihre Lungen wieder mit Sauerstoff zu füllen. Dass sie in diesem Zustand überhaupt noch hochkam, war beängstigend, doch der Kampfeswille war aus ihren Augen erloschen.

"Merk dir meine Worte." Sie spuckte aus. "Irgendwann mache ich euch so restlos fertig, dass ihr euch wünscht, mir nie begegnet zu sein. Das verspreche ich euch."

Sie verwandelte sich – wobei sie in dieser Gestalt einen noch abgerisseneren Eindruck machte – und zog endlich ab.

"Das wünsche ich mir schon jetzt.", hörte sie James' raues Murmeln.

Doch als Delilah zu ihm hochsah, starrte er nur unverwandt der immer kleiner werdenden Gestalt von Nadine hinterher, die sich schließlich schwer hinkend ins Unterholz des angrenzenden Waldes verzog. Für immer, wie Delilah hoffte.

James kam neben ihr ins Schwanken, so dass er sich mit der Schulter gegen den hölzernen Stützpfeiler der Verandaüberdachung lehnen musste, was ihm einen grauenhaften Schmerzenslaut entlockte.

Sofort war Delilah bei ihm, um ihn zu stützen. Seine Haut war eiskalt und überall klebte Dreck, Büschel von Wolfshaaren und Blut daran. Er besprenkelte mit Letzterem sogar den Boden, als er sich taumelnd zu ihr herumdrehte.

Delilah wollte ihn fragen, was mit ihm los war, da sie anhand seines Äußeren nur schwer seine Verletzungen abschätzen konnte, doch sie brachte noch nicht einmal seinen Namen heraus. Nur ein klägliches Krächzen.

"Ich muss mich nur…" James ließ sich so schwer auf ihre Schultern nieder, dass sie regelrecht in die Knie ging. "…kurz hinsetz…en…" Sein Körper erschlaffte völlig unvermittelt und riss sie mit sich zu Boden, als sie das Gewicht nicht halten konnte.

James!

Etwas lief ihr warm und klebrig in den Ausschnitt, durchtränkte ihre Bluse am Bauch und wurde auch vom Stoff ihrer Leggins aufgesogen, während sie noch versuchte, sich unter James' schweren Körper hervorzuziehen, um ihm besser helfen zu können. Der metallische Gestank von frischem Blut stieg ihr in die Nase, während ihre Finger in klebrige Feuchtigkeit griffen, als sie versuchte, James' Oberkörper hochzuwuchten, um sich darunter hervorzuziehen.

Entsetzt zog Delilah ihre Hand wieder zurück und starrte sie an.

Vorhin noch hatte sie gedacht, James wäre dank Nadines Schnittwunden am ganzen Körper mit Blut besudelt, doch mit immer größer werdendem Entsetzen, musste sie feststellen, dass er selbst einiges abbekommen haben musste. Vor allem sein Hals, wo noch immer sehr deutlich die Eintrittslöcher von Nadines Zähnen klafften.

Obwohl ihre Beine immer noch eingeklemmt waren, riss Delilah sich ihre Bluse herunter und presste sie gegen die blutende Wunde. Erst dann versuchte sie noch einmal, sich vorsichtig unter James hervorzuziehen.

Als ihr das endlich gelungen war, wusste sie für einen Augenblick lang nicht, was sie tun sollte. Ihre Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf und waren wenig hilfreich, außerdem wollte Panik sie übermannen, gegen die sie im Moment noch ankam. Gehetzt sah sie sich hilfesuchend um.

Hilfe… Sie musste Hilfe holen!

Hin und her gerissen zwischen dem Drang, ihre Bluse weiterhin auf die schlimmste Wunde zu pressen, damit James nicht noch mehr Blut verlor und dem Anblick des Telefons, das nur wenige Meter von ihr entfernt im Flur auf einem Tischchen stand, vergeudete sie weitere kostbare Sekunden. Doch schließlich fällte Delilah die Entscheidung, James für einen Augenblick loszulassen, um an das Telefon zu gelangen.

Gott sei Dank war es schnurlos, so dass sie sofort zu ihm zurück konnte, um wieder fest auf die blutende Wunde zu pressen, während ihre verschmierten Finger die richtigen Tasten zu drücken versuchten.

Drei Mal musste sie die Nummer neu wählen, da ihre Finger immer wieder an den feuchten Tasten abrutschten. Doch endlich hörte sie das erlösende Freizeichen.

Young hob schon beim zweiten Mal klingeln ab.

Delilah ließ ihn gar nicht erst zu einer Begrüßung ansetzen. "Hil…fe!"

Sie schrie es aus vollem Leibe, was bei ihrem derzeitigen Zustand hieß, dass es kaum als Flüstern herauskam. Ein Vampir müsste es dennoch gehört haben.

"McKen...zie… Ja...mes…" Delilah rang mit jedem einzelnen Buchstaben und versuchte dabei das immer heißer werdende Feuer in ihrem Hals zu übertönen. "Schwer verletzt… Zuhause… Überall … Blut!"

Es war zu viel. Ein gewaltiger Hustenanfall überwältigte sie, der ihr die Tränen in die Augen trieb und sie schmerzvoll aufschluchzen ließ. Doch alles was zählte, war Youngs Stimme an ihrem Ohr.

"Delilah? Delilah, hör mir zu! Ich bin in einer Viertelstunde da. Versuche die Blutung zu stoppen. Ich komme so schnell ich kann!"

Das Telefon flutschte ihr aus der heftig bebenden Hand, doch wenigstens war Hilfe unterwegs.

Sobald sich der Hustenanfall wieder etwas gelegt hatte, tastete sie erneut nach dem Telefon und suchte im Telefonspeicher nach Deans Handynummer. James brauchte seinen Bruder jetzt dringender denn je.
 

Obwohl Delilah verzweifelt darum kämpfte, die Blutungen und vor allem die an James' Hals zu stoppen, indem sie ihre Bluse in streifen riss und die schwersten Wunden verband, die sie bei dem ganzen Blut finden konnte, wich dennoch nach und nach jede Farbe aus ihm, während sich die Veranda um sie herum in eine immer größer werdende Blutlache verwandelte. Seine Haut fühlte sich bereits klamm an und sein Atem war flach aber dafür rasend schnell. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr.

James… "…bitte…" …gib nicht auf!

Delilah beugte sich über ihn und legte ihre Stirn an seine, während sie ihm über das Gesicht streichelte und ihre andere Hand weiterhin fest den feuchten Stoff gegen seinen Hals presste.

"Bleib … bei mir…", flüsterte sie ihm leise zu. Ihr Hals schmerzte entsetzlich, doch war es nichts zu dem Gefühl in ihrer Brust. Es schien sie fast zu zerreißen!

"Bitte!", flehte sie lauter. Ihre Finger prüften erneut seinen Puls. Dieser war kaum noch wahrnehmbar, aber noch atmete er. Delilah streichelte ihn weiter und betete darum, dass Young endlich zu Hilfe kam.

Wie viel Zeit war seit ihrem Anruf vergangen?

Sie wusste es nicht. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, in der sie hoffte und betete, während sie immer wieder überprüfte, ob er noch atmete und sein Herz schlug.

Doch nur allzu schnell wurde sein Atem immer flacher und rasender, bis er schließlich ins Stocken geriet und sich sein Brustkorb plötzlich gar nicht mehr ausdehnte. Auch der schwache Puls war schließlich weg.

Nein! Sie starrte entsetzt auf das bleiche, reglose Gesicht herab, das so überhaupt keine Ähnlichkeit mehr mit dem aufwies, das sie sonst gewohnt war. NEIN!

Delilah rutsche über den klebrigen Boden an seine Seite und begann ihn nach bestem Wissen – was nicht viel war - zu beatmen.

Obwohl sie das noch nie gemacht, sondern nur ein paar Mal im Fernsehen gesehen hatte, gab es für sie kein Zögern. Auch nicht als sie mit verzweifelten Versuchen auf seinen Brustkorb eindrückte.

Ihr Atem ging bereits pfeifend, während ihre Arme immer mehr zu schmerzen begannen, als ein großer Wagen in die Einfahrt preschte und schlitternd zum Stehen kam. Selbst wenn es ein Kunde gewesen wäre, hätte das Delilah nicht davon abhalten können, weiter zu machen und immer weiter. Sie würde niemals aufgeben, um James' Leben zu kämpfen.

"Wie lange hat er schon keinen Puls mehr?" Young warf seinen schweren Koffer neben sie auf den Boden und kniete sich ihr gegenüber auf die andere Seite von James, während Delilah unablässig weiter sein Herz massierte.

Sie schüttelte den Kopf, da sie es nicht genau wusste. "Fünf…", presste sie mühsam zwischen heftigen Atemzügen hervor. Es war nur eine grobe Schätzung.

"Gut. Hör nicht mit der Herzmassage auf, bis ich es dir sage." Young zog sich sterile Handschuhe über und begann James' Vitalfunktionen noch einmal zu überprüfen. Danach rutschte er James' Körper hoch bis er Delilahs alten Platz oberhalb seines Kopfes einnahm. Er hatte zwei Gegenstände in der Hand, die Delilah nicht benennen konnte, aber sie hatte ohnehin alle Hände voll zu tun.

Mit geübten Handgriffen führte Young so eine Art Schlauch in James' Mund ein, zog anschließend einen Metallstab heraus und befestigte am Ende des Schlauchs eine Art Blasebalg.

"Hör kurz auf."

Delilah gehorchte aufs Wort und beobachtete, wie Young mit einem Stethoskop James' Brust abhorchte, während er den Blasebalg zweimal hintereinander drückte, so dass sie deutlich sehen konnte, wie sich James' Lungen mit Luft füllten.

"Okay, mach weiter."

Während Delilah erneut rhythmisch auf James' Brustkorb eindrückte, bereitete Young einen Defibrillator vor. Zumindest vermutete sie das, als er eine große Elektrode an James' rechter Schulter und eine unter seiner linken Achsel befestigte, die mit dünnen Kabeln an einem kleinen Gerät verbunden waren.

Danach forderte er sie auf, ein Stück wegzurutschen, während der Defibrillator die Werte las und Young erneut zweimal auf den Blasebalg drückte.

Hilflos sah Delilah zu, wie der Vampirarzt alles weitere übernahm und James einmal geschockt wurde. Danach brauchte er sie noch einmal für die Herzmassage, da der Schock nichts gebracht hatte, während er in einer beinahe übermenschlichen Geschwindigkeit nach einer Vene in James' Armbeuge suchte und einen Zugang legte, den er mit einem Klebestreifen befestigte.

Was sie dann sah, ließ Delilah beinahe innehalten und protestieren.

Young riss eine Packung mit einer sterilen, leeren Spritze auf, setzte sie an seinem Arm an und zog sie mit seinem eigenen Blut auf, ehe er den Großteil davon direkt in den Zugang injizierte und den Rest in die Wunde an James' Hals abgab.

Als er damit fertig war, schickte er sie wieder von James weg und überprüfte die Werte auf dem kleinen Monitor, während er ihn beatmete.

"Komm schon, James…" Er schockte ihn noch einmal und da! Das Piepen des Geräts wurde regelmäßig.

Youngs Miene hellte sich deutlich auf, als er endlich die erhofften Werte erhielt und Delilah ein aufmunterndes Lächeln schenkte. "Er ist wieder da."

Sie war immer noch zu schockiert, um irgendwie darauf zu reagieren. Natürlich war da irgendwo in ihr drin so etwas wie Erleichterung, dass James' Herz wieder zu schlagen begonnen hatte, aber sie fühlte es nicht.

Umso dankbarer war sie dem Arzt, als er Anweisungen gab, wie sie James' Atmung durch den Beatmungsbeutel unterstützen konnte, während er zurück zu seinem Wagen lief, um von hinten eine Plastiktrage zu holen, auf die sie James legen konnten, um ihn ins Haus zu bringen.

Zunächst konzentrierte Delilah sich nur auf James' Atmung und dass sie im richtigen Rhythmus und der richtigen Stärke auf den Balg drückte, während Young ihn vorsichtig zur Seite rollte und die Trage darunter schob. Dann übernahm der Vampir wieder das Beatmen, während Delilah nun damit zu kämpfen hatte, das Gewicht von James' Beinen zu halten, während der Vampir das andere Ende der Trage nur mit einer einzigen Hand hielt, als wöge sein Patient nichts.

Ihre eigenen Hände und Arme fühlten sich inzwischen kraftlos und zittrig an, doch sie würde James nicht loslassen, bis sie sicher im Haus angekommen waren.

Glas knirschte unter Youngs Schuhen als sie den schweren Körper durch den Flur in Richtung Küche trugen und ihn vorsichtig auf dem Esstisch ablegten. Er ließ sie noch einmal kurz mit James alleine, um den Notfallkoffer zu holen, nachdem er ihr einen Sessel unter den Hintern geschoben hatte, damit sie ihm nicht noch umkippte.

"Hältst du noch eine Weile durch?", wollte er mit einem prüfenden Blick wissen, nachdem er den Notfallkoffer auf die Küchentheke abgestellt hatte.

Delilah zögerte nicht, sondern nickte einmal deutlich und konzentrierte sich dann wieder weiter auf James' Atmung, während sie nun mit beiden Händen den Blasebalg drückte, um so etwas Kraft zu sparen.

"Gut, aber sag mir, wenn es nicht mehr geht. Du hilfst ihm nicht, wenn du auch noch umkippst."

Wieder ein Nicken.

"Wird sein Bruder auch bald hier sein?"

"Ich … hoffe…"

"Gut." Young holte einen der Stehlampenschirme an den Tisch, die normalerweise neben der Couch standen und benutzte ihn als Infusionsständer, an den er einen Beutel mit durchsichtiger Flüssigkeit befestigte, der durch einen Schlauch mit dem Zugang in James' Armbeuge verbunden war. Danach steckte er noch ein technisches Gerät an James' Finger, das er ebenfalls mit dem Defibrillator verband und überprüfte kurz den neuen Wert. Zumindest damit schien er vorerst zufrieden zu sein.

Als Young sich jedoch erneut selbst Blut abnahm, um es James zu spritzen, sah Delilah nicht mehr hoch. Sie konnte das einfach nicht mehr mit ansehen, ohne dabei enormes Unbehagen zu verspüren.

Überraschenderweise schien der Vampirarzt das zu bemerken, denn während er sich nun eindringlich mit der Wunde an James' Hals beschäftigte und dabei immer wieder einen Blick auf den kleinen Monitor warf, erklärte er: "Ich weiß, das mag befremdlich für dich sein, dass ich ihm einfach so mein Blut injiziere, ohne vorher einen Verträglichkeitstest gemacht zu haben, aber Vampirblut unterscheidet sich enorm von allen anderen Blutarten die es auf dieser Welt gibt. Sein Blut wird dadurch nicht verklumpen. Ganz im Gegenteil regt es die Zellregeneration an und solange Dean nicht hier ist und seinem Bruder Blut spendet, bleibt James' Zustand vorerst kritisch, aber durch mein Blut hoffentlich stabil. Denn der Blutlache dort draußen nach zu urteilen, hat er mindestens 2000 Milliliter verloren. Höchstwahrscheinlich sogar mehr."

Da Young dicht an der Stelle arbeitete, die sie mit ihrem Blick fixierte, konnte sie natürlich sehen, wie er die Bisswunde zuerst gründlich ausspülte, dann desinfizierte und schließlich zu nähen anfing. Seine Worte beruhigten sie dabei kein bisschen, denn daran hatte sie gar nicht gedacht. Ihr machte eigentlich etwas anderes Sorgen, doch zugleich sollte sie doch eigentlich wissen, dass sie dem Arzt vertrauen konnte.

Als dieser damit begann, die Wunde Stich um Stich zu nähen, verbannte Delilah alle weitere Gedanken vorerst aus ihrem Kopf.

Würde sie darüber nachdenken, dass er da durch James' Fleisch stach, um es wieder zusammen zu nähen, müsste sie sich vermutlich übergeben und damit wäre James auch nicht geholfen.

Er hatte mehr Kratzer und Bisswunden davon getragen, als zunächst angenommen. Sie waren zwar nicht so tief wie die an seinem Hals, da vermutlich das dichte Fell James weitestgehend geschützt hatte, dennoch waren weitere Stiche nötig, um die Wunden zu versorgen. Das machte Nadines hinterlistigen Angriff auf seine menschliche Form umso schlimmer.

Während Delilah der entfernt meditativen Aufgabe nachging, James' Atmung zu unterstützen, arbeitete Young in Höchstgeschwindigkeit weiter, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Zwischen dem Waschen, Nähen und Verbinden, verabreichte er immer wieder kleine Vampirblutinjektionen, bis man auch dem Arzt die Anstrengungen der Aktion ansah und dass er immer angespannter wurde.

Als er erneut die Vitalfunktionen überprüfte, wurde es nur noch offensichtlicher.

"Er braucht dringend eine Bluttransfusion. Meines wird ihn nicht mehr lange helfen, bevor seine inneren Organe darunter leiden." Youngs ehrliche Worte konnten sie kaum noch treffen. Delilah wusste selbst, dass ihre Möglichkeiten bald ausgeschöpft waren.

"Mein…Blut?" Sie bot sofort ihren Arm als unmissverständliche Geste an, da James das Gleiche schon einmal für sie und ihr Baby getan hatte. Wenn sie ihn damit retten konnte, würde sie es tun.

Young schüttelte hingegen den Kopf, während er James' irgendein Medikament spritzte. "Du bist schwanger und selbst verletzt. Ich werde deine Gesundheit nicht riskieren. Wir brauchen Dean." Doch der war noch in unbekannter Ferne und keiner von ihnen wusste, wann er hier eintreffen würde. Ob er überhaupt rechtzeitig da sein würde.

Delilah begann kurz zu schwanken, woraufhin Young sofort neben ihr stand. Er wollte sie sich ansehen, doch sie wehrte ihn nur mit einem Knurren ab und drückte weiter den Blasebalg. Das war das Einzige, das sie noch aufrecht hielt, während ihre Finger durch James' Haar strichen und sie ihn immer wieder leise flüsternd anflehte, weiter zu kämpfen und bei ihr zu bleiben. Er durfte sie einfach nicht verlassen.

Young musterte sie noch einmal skeptisch und ließ sie dann taktvoll in Ruhe, um auch noch die harmloseren Schrammen und Kratzer zu versorgen und noch mehr von seinem Blut an James abzugeben.

Niemand konnte behaupten, der Arzt würde nicht alles tun, um James am Leben zu erhalten. Doch auch seine Möglichkeiten waren begrenzt.

Ein weiterer Schockmoment für Delilah kam, als Young James' Schulter schließlich mehrmals abtastete, seinen Arm anschließend packte, den Fuß in James' Achsel stemmte und mit einem kräftigen Ruck daran zog, woraufhin ein vernehmbares Knacken ertönte.

Delilah hatte nicht einmal bemerkt, dass James' Schulter ausgekugelt gewesen war.
 

Als ein weiterer Wagen in die Einfahrt fuhr, sprang Delilah von ihrem Stuhl auf, nur um sofort von Schwindel gepackt wieder zurück auf ihren Hintern zu plumpsen. Dennoch waren ihre restlichen Sinne geschärft und sie konnte hören wie Türen aufgerissen, aber nicht wieder zugeschlagen wurden. Kurz gerieten die Schritte auf der Veranda ins Stocken und sie konnte einen leisen Fluch hören, ehe Dean zur Küche hereinstürmte und wie angewurzelt stehen blieb, während sämtliche Farbe aus seinem Gesicht wich, als er seinen Bruder so auf dem Küchentisch liegen sah.

Der Anblick musste grauenvoll sein, denn inzwischen war fast jeder Zentimeter von James mit Verbänden und Pflastern versehen. Der Infusionsbeutel, der seinen Inhalt tröpfchenweise an ihn abgab, machte den Anblick sicher auch nicht besser und der Schlauch in seinem Hals dürfte dann wohl allen den Rest geben. Ihr ging es zumindest so.

Hinter Dean füllte sein Vater den Türrahmen aus und erbleichte ebenfalls sichtlich, ehe sein Gesicht einen solch harten Zug annahm, als wäre es aus Stein gemeißelt.

"Was ist passiert?", verlangte er donnernd zu wissen und starrte dabei Delilah an, als wäre sie der personifizierte Teufel persönlich, doch ehe sie auch nur zu einer Antwort ansetzen konnte, schnappte Young sich Dean und riss ihn mit sich zum Tisch hinüber, wo er bereits alles für die lebensrettende Blutblutspende vorbereitet hatte.

Dean ließ es einfach geschehen, während er wie erstarrt James fixierte, als würde sich seine ganze Welt mit einem Schlag nur noch um seinen Bruder drehen und ganz bestimmt tat sie das in diesem Moment auch.

Nicht einmal eine Viertelstunde lang würde es dauern, bis Young James endlich das wertvolle Blut verabreichen konnte. So hatte er es ihr zumindest erklärt. Dennoch drohte das die längste Viertelstunde ihres Lebens zu werden. Dabei war der heutige Tag bereits voll davon.

Delilah fühlte nicht anders als Dean, doch im Gegensatz zu ihm wurde sie von Elija grob am Arm gepackt und erneut vom Stuhl hochgerissen. Nur der Umstand, dass sie immer noch für James' Atmung zuständig war, ließ sie die Kraft aufbringen, sich mit einem wilden Grollen in der Brust von dem Arm zu befreien und sich wieder hinzusetzen, um sich auf ihre Arbeit konzentrieren zu können. Überraschenderweise schien das seine Wirkung zu tun, wenn auch nur vermindert. Aber zumindest fasste Elija sie nicht mehr an.

"Rede! Was ist da draußen passiert?!", verlangte er erneut zu wissen, während sein Werwolf die Zähne bleckte und sie mit einem ebenso schrecklichen Laut anknurrte, wie sie es eben noch getan hatte.

Delilahs Wölfin drohte nachzugeben und sich zu unterwerfen. Doch so absolut widersprüchlich es sich für sie auch anfühlte, sie konnte nicht kleinbeigeben und dem Alpha den nötigen Respekt erweisen. Nicht solange James in Gefahr war!

"Elija…" Young schaltete sich ein und berührte vorsichtig den Arm des Werwolfs, zuckte aber reflexartig zurück, als Elija zu ihm herumfuhr, als wolle er ihm gleich den Kopf von den Schultern trennen. "WAS?"

Nun fletschte auch der Vampir die Zähne und zum ersten Mal konnte Delilah deutlich seine langen Fänge erkennen, die ihr bis dahin noch nie aufgefallen waren.

Mit einem Schlag hatte sich der sanftmütige Arzt von einer Sekunde auf die andere, ebenfalls in ein gefährliches Raubtier verwandelt. Eines, das erst recht nicht so einfach kleinbeigeben würde.

Eine Gänsehaut jagte ihr bei diesem Anblick über den gesamten Körper und ließ sie erschaudern. Nachts und allein im Wald wollte sie Young in diesem Zustand nicht begegnen.

"Delilahs Kehlkopf wurde gequetscht. Im Augenblick wird sie niemandem einen ausführlichen Bericht abgeben können, egal wie sehr du sie bedrohst. Ihre angegriffenen Stimmbänder lassen das einfach nicht zu. Außerdem braucht James dich jetzt. Du kannst Delilah mit dem Beatmen ablösen, damit ich mir ihre Verletzung genauer ansehen kann. Verstanden?"

Einen Moment lang glitt Elijas Blick prüfend über ihre Kehle, ehe er endlich seine aggressive Haltung etwas lockerte und sie unwirsch zur Seite schob, um sie abzulösen. Delilah wich ihm auf der Stelle aus und rieb sich über ihren schmerzenden Arm, auf dem sich bereits jetzt dunkle Fingerabdrücke abzeichneten. Sie trug es ihm nicht nach.

Young erklärte Elija kurz was dieser zu tun hatte, verfrachtete sie dann auf einen anderen Stuhl, ging aber noch einmal zu James hinüber, um dessen Vitalfunktionen zu überprüfen und ein paar Dinge aus seinem Koffer zu holen, nachdem er mit dem Ergebnis seiner Musterung zufrieden war. Er sah auch noch einmal nach Dean, der schweigend am Tisch saß und die Hand seines Bruders hielt, während sich langsam der Blutbeutel füllte. Danach ging er zu Delilah hinüber und konzentrierte sich nun voll und ganz auf sie.

"Bist du zwischendurch ohnmächtig geworden, während oder nachdem du gewürgt worden bist?" Er zog sich frische Latexhandschuhe an, während sie nur den Kopf schüttelte.

"Hast du Schmerzen beim Schlucken?" Vorsichtig begann er ihren Hals abzutasten und dabei besonders gründlich ihren Kehlkopf. Dieses Mal nickte sie und versuchte die neu entfachten Schmerzen so gut es ging zu ertragen. Dennoch liefen ihr erneut Tränen aus den Augen, ohne dass sie es verhindern konnte.

"Auch Atembeschwerden?"

"Nur … Anfangs…" Delilah wischte sich die Tränen weg und versuchte sich ganz auf die grün-blauen Augen des Vampirs zu konzentrieren und nicht auf das Bild, das sich ihr hinter ihm bot, denn der Anblick der drei McKenzie-Männer schnürte ihr zusätzlich die Kehle zu.

"Sehr gut. Offenbar heilt es bereits. Aber ich will mir das trotzdem noch genauer ansehen." Dazu setzte er ein seltsames Stirnband mit einem runden Spiegel in der Mitte auf und nahm ein langes, metallenes Gerät zur Hand, das sie irgendwie an einen Zahnarztspiegel erinnerte.

"Den Mund bitte weit aufmachen."

Delilah tat, was Young von ihr verlangte und wiederholte das Ganze, als er sie noch einmal dazu aufforderte. Danach nahm er das Stirnband wieder ab und tastete noch einmal über ihren Hals.

"Die Luftröhre scheint nicht beeinträchtigt zu sein und der Kehlkopf erholt sich bereits. Dennoch werde ich dir etwas zum Inhalieren besorgen und du solltest deine Stimme für die nächsten Tage schonen, damit sich deine angeschlagenen Stimmbänder wieder erholen können und keine permanenten Schäden bleiben."

Delilah nickte nur. Was könnte sie auch sonst anderes tun?

Eigentlich hatte sie gedacht, dass Young nun mit ihr fertig war, doch wie es schien war das erst der Anfang, denn er begab sich vor ihr auf die Knie und zog ihr ausgestrecktes Bein auf seinen Schoß. Erst als er ihr mit einer Pinzette einen Glassplitter aus der Fußsohle zog und sie mit einem scharfen Zischen zusammenzuckte, konnte sie diesen Schmerz spüren. Vorhin war ihr noch nicht einmal aufgefallen, dass sie an den Füßen blutete.

Als der Vampir mit dem ersten Fuß fertig war, war auch endlich Deans Blutbeutel voll und Young unterbrach seine Arbeit, um James sofort die lebenswichtige Bluttransfusion zu geben. Wieder überprüfte er die Vitalfunktionen, ehe er sich wieder ruhiger an ihren zweiten Fuß heranmachte.

Kaum saß auch dieser Verband kam Leben in die Männergruppe. James' Körper bewegte sich schwach und er begann schrecklich zu würgen. Vermutlich um den Gegenstand aus seinen Hals zu bekommen, der ihn bestimmt irritierte.

Sofort war Young bei ihm und schob Elija zur Seite. Er nahm den Beatmungsbeutel ab und zog in einer flüssigen Bewegung den Schlauch aus James' Hals, was diesen nun noch mehr würgen und husten ließ.

"James? Wenn du mich hören kannst, drück bitte meine Hand."

Delilah verschlang ihre eigenen Finger miteinander und presste regelrecht das Blut daraus, während sie dabei zusah, wie James sich unruhig hin und her bewegte, ab und zu die Augen öffnete und dann endlich Youngs Hand drückte. Er schien nicht ganz zu verstehen, was vor sich ging, befolgte aber schließlich die Anweisungen des Vampirarztes, als dieser mit einer kleinen Taschenlampe in seine Augen leuchtete und ihn dazu aufforderte, dem Licht zu folgen. Sein Atem ging immer noch schwer.

"Hör zu, James. Ich werde dir jetzt eine Sauerstoffmaske umlegen. Das wird dir das Atmen erleichtern, okay?" Woher Young plötzlich die Sauerstoffflasche hernahm, wusste Delilah nicht, aber nachdem James noch einmal seine Hand gedrückt hatte, konnte der Arzt ihm die Maske aufsetzen. Danach tastete er noch einmal seinen Bauch ab, fragte ihn, ob er dort, wo Young auf ihn eindrückte, Schmerzen verspürte, was zum Glück mit einem schwachen Kopfschütteln beantwortet wurde. Aber das James Schmerzen hatte, war nur zu offensichtlich, weshalb Young ihm schließlich etwas spritzte, während sich nun Elija und Dean einschalteten und leise auf James einsprachen. Es klang sogar für sie beruhigend und nach ein paar Augenblicken, war sie sich sicher, dass James wieder ohnmächtig geworden war.

Gerne wäre Delilah ebenfalls zu James gegangen. Hätte am liebsten seine Hand gehalten, ihm weiterhin durchs Haar gestreichelt und sich dadurch versichert, dass er schon wieder auf die Beine kommen würde. Doch sie stand Abseits auf ihren schmerzenden Füßen, hielt sich selbst so fest wie sie nur konnte und hatte mehr denn je das Gefühl, völlig alleine zu sein. Sie wollte die Männer nicht mit ihrer Anwesenheit stören. Nicht nach allem, was passiert war.

"Wir sollten James ins Bett bringen, sobald mir einer von euch beiden dabei geholfen hat, seine Schulter zu fixieren. Delilah, du holst Eis aus dem Kühlschrank und wickelst es in ein Handtuch und danach will ich, dass du dich hinsetzt und deine Füße schonst."

Delilah tat wie ihr befohlen. War sogar dankbar für Youngs Befehlston. Es gab ihr zumindest eine Richtung.

Sie sorgte für das Eis, während Elija dabei half, den Oberkörper seines Sohns soweit aufzurichten, dass Young einen Verband um dessen Schulter wickeln und damit James' Arm fixieren konnte.

Dean war noch blasser als zuvor, wachte jedoch mit scharfem Blick über das Vorgehen der beiden Männer, ohne seinen Bruder auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen. Erst als Delilah mit dem Eis neben ihn trat, schien er sie zum ersten Mal seit diesem Vorfall wirklich wahrzunehmen.

Sein Blick war voller Fragen, während er sie gründlich musterte und an ihrem Hals hängen blieb. Doch er bedrängte sie nicht und dafür war sie ihm dankbar. Zu gerne hätte sie eine Erklärung abgegeben, doch sie konnte es im Moment einfach nicht. Allerdings war sie durchaus dazu in der Lage, Deans Hand vorsichtig zu nehmen und festzuhalten. Der Kontakt schien sie beide etwas zu beruhigen, doch sie würden erst wieder erleichtert aufatmen können, wenn es James wieder besser ging.



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