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Michaels Herz

von

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Kapitel 1

Die Schlacht war geschlagen und die siegreichere der beiden Armeen kehrte zurück nach Hause. Die silberne Stadt hoch oben in den Wolken leuchtete hell, um ihre Söhne zu begrüßen und die drei Erzengel Gabriel, Raphael und Uriel warteten auf dem Balkon des höchsten Turmes der Stadt, dem Turm des Herren, auf die Rückkehr ihres kriegerischen Bruders.

„Was meint ihr, wird er prahlen, wie viele Ungeheuer und Dämonen er heute wieder erschlagen hat?“, fragte Raphael in die Runde. Er war der vergleichsweise kleinste der vier Erzengel und hatte das am jüngsten wirkende Gesicht, welches von langem, blondem Haar umrahmt wurde.

„Wahrscheinlich“, seufzte Gabriel missmutig, strich sich eine Strähne seines silberweißen Haares aus dem Gesicht und verschränkte die Arme vor der Brust. „Um ehrlich zu sein interessieren mich seine Ausführungen nicht im Geringsten. Aber das letzte Mal, als ich ihm das verdeutlicht habe, hat er nur noch weiter ausgeholt und ich konnte mir sein Gerede über Schlachten und Schlachtpläne den Rest des Tages anhören.“

Raphael lachte kurz auf und klopfte seinem mürrischen Bruder zwischen den Flügeln auf den Rücken.

„Du weißt doch, wie er ist.“

„Da kommt er“, flüsterte Uriel leise. Er war der körperlich Größte der drei Anwesenden und im Gegensatz zu ihnen trug er ein schwarzes Gewand. Seine langen, schwarzen Haare waren ihm ins Gesicht gefallen und die schwarzen Federflügel hatte er leicht angezogen, als ob er eine nahende Gefahr verspüren würde.

Michael landete neben seinen Brüdern auf dem Balkon, warf ihnen sein Flammenschwert vor die Füße und stapfte, ohne ein Wort zu verlieren mit klirrendem Kettenhemd, an ihnen vorbei ins Innere des Turmes.

„Hallo, na wir haben ja eine Laune“, entfuhr es Raphael, als er den bebenden Flügeln seines rothaarigen Bruders nachsah.

„Es ist nicht seine Schuld“, sagte Uriel leise, als er das Schwert aufhob und in einen blutroten Rubin zurückverwandelte. „Luzifer hat an der Schlacht teilgenommen.“

„Ich verstehe“, sagte Gabriel nachdenklich und nahm Uriel den Rubinanhänger ab. „Also hat ihn ein Zusammentreffen mit seinem gefallenden, lichtbringenden Bruder so aus der Bahn geworfen.“ Die letzten Worte spie er beinahe aus. „Lasst uns gehen und warten, bis er sich wieder beruhigt“, damit breitete er seine Flügel aus und flog, ohne auf eine Zustimmung der anderen zu warten, los.

„Recht hat er“, sagte Raphael, zuckte mit den Schultern und flog ebenfalls los. Nur Uriel stand noch eine Weile auf dem Balkon und blickte nachdenklich zu dem blauen Horizont. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn, doch er konnte die Ursache nicht ausmachen.

Im Turm ließ Michael sein Kettenhemd zusammen mit einer restlichen Kleidung polternd zu Boden fallen und strich mit einer Hand über die Wasseroberfläche des aus weißem Gestein bestehenden Badebeckens. Als er die Temperatur der Flüssigkeit als angenehm empfand, ließ er sich hineingleiten und ächzte leise. Das Wasser färbte sich leicht rot von dem Blut der Gefallenen und mit langsamen Bewegungen begann er, den Rest abzuwaschen. Als er am Brustkorb die Stelle etwa auf Höhe seines Herzens berührte, an welcher Luzifer ihn in der Schlacht mit einem Hieb getroffen hatte, den er durch die Rüstung hindurch bis tief ins Innere gespürt hatte, zuckte er zusammen. Es war ein Schlag mit der bloßen Hand gewesen, dennoch fühlte Michael immer noch den eiskalten Schmerz. Ein Schaudern lief ihm den Rücken hinunter und er schloss die Augen.

„Verdammter Luzifer“, murmelte er leise und hoffte, dass das warme Wasser um ihn diese eisige Stelle in ihm irgendwie auftauen konnte.
 

Während Michael die Spuren der Schlacht von seinem Körper entfernte, hörte man weit unten in der Hölle, wie ein lautes Gelächter sich in den Gängen von Luzifers Palast aus schwarzem Marmor ausbreitete. Der gefallene Engel saß, die Reste seiner verbrannten Federflügel angezogen und die ledernen Schwingen weit ausgebreitet auf seinem Thron aus weißen Knochen in einem Saal, der mit abgeschlagenen Engelsflügeln an den Wänden geschmückt war und betrachtete das zuckende Etwas in seiner Hand.

„Mein armer, armer Bruder“, sagte Luzifer mit einem höhnischen Lächeln zu dem pulsierenden Stück Gewebe.

„Was machst du nur ohne dein aufrichtiges, gutes Herz?“ Wieder erfüllte sein Lachen die Halle. „Du törichter Narr hast den Austausch ja nicht einmal bemerkt. Zu gerne würde ich sehen, welchen Schaden du wohl anzurichten vermagst, bevor sie verstehen, was vor sich geht.“ Er leckte sich leicht über die Lippen und gab dem zuckenden Herzen einen zärtlichen Kuss, bevor er es in eine schwarze Kugel sperrte und diese mit dunkeln Lichtblitzen verschwand.
 

„Hinaus mit dir! Geh mir aus den Augen!“, schrie Michael den jungen Engelsdiener an, der ihm eigentlich nur etwas zu trinken bringen wollte, warf ihn mit einem kräftigen Stoß aus seinem Zimmer und knallte die Tür zu. Der junge Engel kam stolpernd zum Stehen und blickte mit großen Augen zu Raphael, der ihn mit einer Hand aufgefangen hatte,

„Ist mir dir alles in Ordnung?“, fragte Raphael sanft. Der Junge nickte und verneigte sich leicht.

„Na geh. Ich denke, hier kannst du nicht mehr viel tun.“ Raphael lächelte ihm zu, worauf der Junge erneut zustimmend den Kopf bewegte und den Gang hinuntereilte.

„Michael, was machst du nur?“, fragte Raphael sich leise selbst und öffnete vorsichtig die Tür zu dem Zimmer des Feuerengels.

„Michael? Wärst du bereit mir einige Momente deiner Zeit zu opfern?“, fragte er seinen Bruder, der mit weit ausgebreitetem Flügeln vor einem großen Fenster stand und hinausblickte.

„Was willst du?“, brummte Michael barsch.

„Mir dir reden“, antwortete Raphael, ohne sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.

„Ich aber nicht mir dir, geh wieder.“

„Und wenn nicht? Willst du mich dann ebenso rauswerfen, wie bisher alle anderen?“

„Wenn es sein muss“, knurrte Michael und starrte weiter aus dem Fenster. Langsam setzte Raphael einen Fuß vor den anderen und näherte sich seinem Bruder.

„ Was hat Luzifer gesagt, dass du so verletzt bist?“, fragte er, als er nur noch wenige Schritte von den weiten, weißen Flügeln vor sich entfernt war. Blitzschnell drehte Michael sich um und traf Raphael mit der Rückseite seiner geballten Faust genau ins Gesicht, worauf dieser zurücktaumelte.

„Kein Wort mehr!“, schrie Michael und Raphael sah, wie aus dessen Augen Flammen emporloderten. „Verschwinde und lass mich alleine!“

„Wie du möchtest“, sagte Raphael ruhig, wischte sich etwas Blut vom Mundwinkel und wandte sich zum Gehen. „Ganz, wie du willst.“

Er war gerade durch die Tür, als Michael sie hinter ihm mit einer solchen Wut zuschlug, dass man denken könnte, er wolle sie aus den Angeln heben. Raphael schüttelte den Kopf und blickte zu Uriel, der neben der Tür stand.

„Jetzt ist keine gute Zeit, mit ihm zu reden“, sagte Raphael und besah sich das Blut an seiner Hand.

„Etwas stimmt mit ihm nicht“, sagte Uriel und betrachtete die Tür eindringlich.

„Wer weiß, worüber Luzifer und er sich bei der Schlacht gestritten haben. In ein paar Tagen ist sicherlich wieder alles beim Alten.“

Uriel wollte darauf etwas erwidern, doch da riss Michael von innen die Tür auf und stürmte an den beiden vorbei, den Gang hinunter. Raphael zuckte bei dem Anblick nur mit den Schultern und ging den Gang in entgegengesetzter Richtung entlang. Uriel ging Michael hinterher, doch schon nach ein paar Schritten fiel ihm etwas auf dem Boden auf. Er bückte sich und hob zwei große Federn auf, die Michael allem Anschein nach verloren hatte. Suchend blickte er sich um und entdeckte recht schnell noch einige weitere.

„Sehr seltsam“, murmelte er, beschloss aber den anderen zunächst noch nichts davon zu erzählen, sondern Michael stattdessen weiter zu beobachten.
 

Missmutig stapfte Michael durch die Gänge, bis ein junger Bote seinen Weg kreuzte. Ohne eine Begrüßung, packte der Feuerengel ihm an Kragen und zog ihn an sich heran.

„Hey, weißt du wo ich Gabriel finden kann?“

„Ich… ich habe ihn vor wenigen Minuten erst in der Bibliothek gesehen“, stammelte der junge Engel ängstlich, als er Michaels zornigen Blick sah. Ohne ein weiteres Wort stieß der Erzengel ihn zur Seite und marschierte geradewegs in Richtung Bibliothek. Sie befand sich weit im Inneren des Turms und nur hochrangigen Engeln war der Zutritt gestattet.

Mit einem lauten Knall stieß Michael die Tür zur Bibliothek auf.

„Gabriel, wo im Namen des Herren steckst du?“, rief er donnernd.

An einem der vielen Lesepulte sitzend, hob Gabriel den Blick und sah zu seinem Bruder, der aufgebracht auf ihn zukam.

„Was kann ich für dich tun, mein Lieber?“, fragte Gabriel so ruhig es ihm möglich war. Ihm stand beim besten Willen nicht der Sinn nach einem von Michaels Ausbrüchen.

„Gib mir mein Schwert zurück“, forderte der Engel des Feuers mit glimmenden Augen und einer unüberhörbaren Wut in der Stimme.

„Warum?“, fragte Gabriel schlicht und schloss das Buch, in welchem er bis gerade gelesen hatte.

„Weil ich es von dir verlange.“ In Michaels Stimme war ein leichtes Knurren zu vernehmen. Gabriel stand auf, um seinem Bruder direkt in die Augen sehen zu können.

„Ich fürchte, dass geht nicht. Du bist immer noch viel zu aufgebracht und das ist nicht gut. Du erhältst dein Schwert erst zurück, wenn du den Vorfall mit Luzifer, welcher Art auch immer er gewesen sein mag, wieder aus deinem Herzen verbannt hast.“

„Lass Luzifer aus dem Spiel!“, schrie Michael und schlug Gabriel so hart die Faust in den Magen, dass dieser ein Stück nach hinten geschleudert wurde.

„Hast du den Verstand verloren?“, platzte nun Gabriels Temperament aus ihm heraus. Er griff zwischen die Falten seine Gewandes und holte den Anhänger hervor, der das Flammenschwert barg.

„Du willst dein Schwert wieder? Hier, nimm es und werde glücklich mit deinem Groll.“ Wütend beschwor er die mächtige Waffe und warf sie Michael entgegen. Dieser fing das Schwert mit einer Hand am Griff und mit der anderen an der brennenden Klinge. Das Feuer an sich versengte ihm kaum die Haut, doch die immer scharfe Schneide schnitt tief in seine Handfläche. Brodelndes Blut tropfte aus der Wunde auf den weißen Steinboden. Michael schien es nicht zu spüren.

„Vielen Dank“, murmelte er düster und knallte Gabriel den Schwertknauf unters Kinn. Der Schmerz ließ diesen laut aufseufzten und in die Knie gehen.

„Das nächste Mal solltest du mir mein Eigentum besser direkt aushändigen“, fauchte Michael seinen knienden Bruder an und wandte sich ab. Gabriels Augen glühten vor Zorn, als Michael die Bibliothek verließ. Er ließ seiner Wut durch einen Schrei freien Lauf und fegte mit einer barschen Bewegung das Buch vom Lesepult.

„Was bildet der sich eigentlich ein?“ Leise Verwünschungen murmelnd stapfte nun auch Gabriel nach draußen, ohne Uriel zu bemerken, der, wie ein schwarzer Rabe auf einem kleinen Balkon etwas erhöht sitzend, das ganze Schauspiel beobachtet hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Azahra
2012-04-08T06:14:10+00:00 08.04.2012 08:14
Morgen :),

Ich finde die Idee mit den Erzengel richtig gut gelungen!
Mir gefällt es das sie sich so oft streiten.
Das Herz das Luzifer hat .... würde sehr gerne wissen was es damit auf sich hat :)

cucu
Azahra


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