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Kind der Sirenen

von

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Das beste Mittel gegen Tränen

Louis spürte eine kühle Distanz zwischen ihm und Tailor, was an der momentanen Situation in seiner Familie liegen mochte, aber immerhin war das ganze jetzt schon vier Tage her.

Sie waren zusammen bei Giuseppina gewesen.

Anna schien es den Umständen entsprechend gut zu gehen, auch wenn das eher gegen die Situation, als für Annas Zustand sprach, und die Geschichte wurde etwas aufgeklärt.

Offenbar hatte die Italienerin ein bisschen mit sich gehadert, aber dann, als sie in der Stadt einkaufen gewesen war, hatten ihre Füße sie wie von selbst zum Haus der Devenors geführt und sie hatte geklingelt.

Das Wiedersehen war eher traumwandlerischer Natur gewesen, da sie beide es nicht so richtig realisiert hatten.

Tailor erfuhr auch, dass er seinen Namen von der schönen Italienerin hatte.

Die beiden Frauen hatten lange miteinander geredet und dann war es zu einem Kuss gekommen, in den Tailors Vater reingeplatzt war, und der Rest war ja schon bekannt.

Seit diesem Gespräch redete Tailor nur das Nötigste mit ihm, er wirkte nicht verärgert, aber seine Kälte war noch schwerer zu ertragen, da sie ja nun erst mal zusammen lebten.

Marcel hatte erklärt, dass er im Moment bei Ethan bleiben würde, und am Montag hatten sie einige Klamotten und die wichtigsten Schulsachen aus dem Haus geholt.

Auch wenn ihm die Entscheidung schwer fiel und er keine Ahnung hatte, wie er über seine Gefühle sprechen sollte, wollte Louis Tailor heute fragen, was los war.
 

Als Tailor nachhause kam, wollte er nur wieder alleine sein.

Dass sein Vater ihn verleugnet hatte, damit war er klargekommen, aber er hatte nur eine kleine Unbedachtheit begangen und irgendwie war alles eskaliert.

Er hätte etwas ahnen müssen.

Wenn er erkannt hätte, dass Louis den Hintergrund von Giuseppina zu verschweigen seine Neugier geweckt hatte, oder wenn er Louis weniger das Gefühl gegeben hätte, dass er ihm böse wäre, wenn dieser sich in seine Angelegenheiten einmischt, vielleicht hätte der ihm dann erzählt, dass er Giuseppina gefunden hatte...und vielleicht hätte er erkannt, dass Giuseppina zu seiner Mutter gehen wollen würde, und hätte das alles irgendwie kontrollieren können...

Ja, vielleicht.

Aber er hatte es nicht kontrollieren können, das Ganze war ihm aus den Fingern geglitten und eskaliert, an irgendeinem Punkt hatte er wohl einen Fehler gemacht.

Als er die Haustür aufschloss und in die Küche trat, weil er sich was zu essen schnappen wollte, sah er Louis dort am Tisch sitzen, seltsam ruhig und aufmerksam.

"Hi, Tailor."

"Hi."

"Wäre es okay für dich, wenn wir uns über etwas unterhalten?"

Was war denn jetzt los? Hatte er sich zu leichtsinnig verhalten und Louis über seine düsteren Gedanken aus dem Auge verloren?

"Klar"

Der Junge setzte sich und sah den Blonden erwartungsvoll an.

"Dass du erst mal hier wohnst, ist selbstverständlich, und dass wir nicht tun wie verliebte Täubchen, verlange ich sicher auch nicht, aber was ist los, dass du mir gegenüber so kalt bist?

Ich bin vielleicht kein Genie, wenn es um Gefühle geht, aber du kannst dir wahrscheinlich selbst denken, dass es auch mich verletzt, wenn mich jemand, der mir wichtig ist, fast vollkommen ignoriert und aus seinem Alltag ausschließt, obwohl er mit mir zusammen wohnt.

Das letzte Wochenende war sicher ein Schock, aber was bringt es, wenn wir nicht darüber reden?

Sag mir bitte nicht, dass mich das nichts angeht, weil ich nur dein Manager bin oder, dass ich dir ja doch nicht helfen kann, ich will es einfach nur wissen."

Tailor hatte seine blauen Augen fest und forschend auf Louis gerichtet.

Was sollte er hiervon halten?

Das war für Louis eigentliche Art so ungewöhnlich sensibel und aufmerksam.

Und was solche Dinge anging, hatte er einen ähnlichen Grundsatz, wie wenn es ums Lügen ging.

Wenn jemand tatsächlich erkannte, wie er sich im Moment fühlte, dann hatte er das Recht es zu erfahren.

Sie saßen so noch ein paar Sekunden, dann blinzelte er, räusperte sich und legte seine Hände gefaltet auf den Tisch.

"Du willst wissen, was mit mir los ist? Alles? Nun...ich denke, dass du dich in der Situation lange nicht mehr befunden hast, wenn überhaupt schon einmal, aber ich bin verliebt.

Und leider ist diese Person zwar durchaus bereit mit mir intim zu werden, aber mehr nicht.

Ich komme trotzdem nicht los, und das verletzt mich, immer und immer und immer wieder.

Ich mache mir Sorgen um meine Mutter, die im Moment ein emotionales Wrack, ist und natürlich mache ich mir auch Gedanken darüber, wie diese Geschichte mit Marcel und Ethan weitergehen wird.

Unter anderem mache ich mir auch Vorwürfe, dass ich es so weit habe kommen lassen, dass die Situation so eskaliert."

Louis Gedanken waren darum geschwirrt, dass Tailor tatsächlich in jemanden verliebt war, als ihn das letzte aufhorchen ließ.

"Du glaubst ernsthaft, du hättest das verhindern können?! Sei nicht albern!"

Der Junge seufzte.

"Du verstehst das vielleicht nicht, aber ja, ich glaube, dass ich das wahrscheinlich gekonnt hätte."

Louis war irgendwie verärgert.

"Findest du nicht, da bildest du dir ein Bisschen viel auf deine Fähigkeiten ein? Manche Dinge kann man nicht kontrollieren, und an dieser Geschichte bist du sicher nicht schuld!"

Der Blonde bemerkte einen seltsamen Blick in diesen ausdrucksstarken Augen, etwas erschreckend Selbstverachtendes.

"Nein, ich überschätze mich nicht, aber wo wir beim Thema sind.

Wieso hast du mir nicht von Giuseppina erzählt? Warum hast du mir verschwiegen, dass du sie gefunden hast? Hatte das irgendwas mit Vertrauen zu tun oder...ich weiß nicht...was war es?"

Louis Mund war unangenehm trocken.

Das klang ganz und gar nicht wie eine Anschuldigung, eher so, als würde Tailor sich auch dafür die Schuld geben.

"Ich hatte einfach keine Gelegenhei-"

"Lüg mich nicht an!!!"

Louis Nackenhaare stellten sich auf und auch an seinen Armen hatte er Gänsehaut.

Tailors Stimme war kaum merklich lauter geworden als Zimmerlautstärker, aber sein Ton war so einschneidend und ungnädig, dass er sich reflexartig beinah geduckt hätte.

Der Junge starrte ihn mit einem so durchdringenden Blick an, wie ihn Louis sich vorher nicht hätte vorstellen können.

"Ich war verdammt ehrlich zu dir, beleidige mich nicht, indem du es jetzt wagst mich zu belügen!"

Als Antwort bekam Tailor erst mal nur ein Nicken.

"Ich...ich hatte wohl Angst."

"Vor mir."

Es war keine Frage sondern eine Feststellung, und Louis warf ihm einen beinah flehenden Blick zu.

"Weniger vor dir als davor, dass du mich verachtest, wenn ich dir erzähle, dass du bloß irgendeinen Namen nennen musst, und ich sofort beginne mir Gedanken darüber zu machen.

Ich..."

Er schluckte.

"Ich habe zwar viele Freunde, aber keiner davon ist wie du, und ich...ich hatte wohl Angst, dass ich dich verliere, wenn du das Gefühl hast, dass mein Interesse an dir zu weit geht."

Beinah hätte Tailor gelächelt, aber er konnte sich zurückhalten.

"Naja, wenn ich ehrlich bin, kann ich das verstehen, du hast mir gezeigt, wie ich dieses Leben führen kann, und ich besitze den nötigen Schneid dazu, dass mir die Gefühle derer, mit denen ich Spaß habe, egal sind, so wie du das auch machst. In der Zeit, in der du schon durch die Clubs ziehst, gab es sicher einige, die Angst davor hatten, du könntest sie abblitzen lassen, wenn sie zu großes Interesse zeigen, aber jeder gibt irgendwann nach, so wie du jetzt bei mir."

Louis spürte einen Dolchstoß durch sein Herz, Tailor war grade offenbar kurz davor ihn abzuservieren, so wie er selbst das bisher immer getan hatte, Marcel und Melissa hatten doch falsch gelegen, Tailor war zwar tatsächlich verliebt, aber natürlich nicht in ihn.

Tailor lächelte nun doch.

"Aber eigentlich passt es nicht zu dir, dass du irgendetwas in die Richtung für mich empfinden kannst. Nein, eigentlich hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass du für Liebe und dergleichen nicht viel übrig hast.

Ich vermute, dass du das in unserem Fall freundschaftlich meinst, auch wenn wir ein paar Extras in dieser Freundschaft genießen.

Ich verzeihe dir, dass du mir das verschwiegen hast, aber von nun an erwarte ich Ehrlichkeit, wenn es um so etwas geht.

Es würde mir zwar schwer fallen bei dir zu wohnen, wenn jemand von uns unerwidert in den anderen verliebt wäre, aber du bist es ja nicht, als kannst du mit mir über alles offen sprechen."

Louis schluckte, als er Tailors wohlwollenden Blick sah, und spürte wie der Dolch in seinem Herzen ein paarmal kräftig in der Wunde hin und her gedreht wurde.

Tailor liebte ihn scheinbar wirklich nicht, denn offenbar würde er dann nicht hier wohnen.

"Klar, tut mir leid, ich war ein Idiot."

Tailor lächelte freundlich "Ja, warst du, aber das passiert jedem mal."

Er hätte weinen mögen!

Es war erschreckend leicht die Maske aufzuziehen, und auch wenn Louis ganz offensichtlich beinah so weit war, im Moment war alles so chaotisch, dass er eine emotionale Achterbahnfahrt mit jeder Menge Jas und Neins jetzt nicht ausgehalten hätte. Auch wenn er grade gerne aufgehört hätte dem Blonden etwas vorzuspielen. Es war schon schwer genug für seine Mutter der Starke zu sein und in der Schule normal zu wirken.

Marcel war zwar auch noch da, aber er bekam einiges gar nicht mit in seinem Liebesglück.

Er stand auf, öffnete den Kühlschrank, holte sich einen Schokopudding raus und aus der Schublade einen Löffel.

"Ich bin dann in meinem Zimmer."

Louis sah ihm traurig nach und seufzte.
 

Im Gästezimmer, das er zurzeit bewohnte, setzte Tailor sich auf die Fensterbank und sah hinaus.

Er nahm einen Löffel des Puddings und schob ihn sich in den Mund.

Der Anblick des kleinen urigen Gartens mit Rosensträuchern und einer weißen Hollywoodschaukel, hatte im Moment keine aufmunternde Wirkung auf , sondern machte ihn stattdessen noch trauriger.

Was nur konnte er tun?

Hatte das alles überhaupt noch einen Sinn?

Louis schien zwar mittlerweile einiges für ihn zu empfinden, aber ob das Liebe war?

Und wenn ja, war sie dann nicht erzwungen?

Wie lange konnte so etwas denn überhaupt gutgehen?

Wann hatte er seine Gefühle so verschlossen?

Wenn er an die letzten Wochen dachte, dann wusste er noch, was er in den Situationen empfunden hatte, aber spüren konnte er es nicht mehr.

Er war sich nicht einmal sicher inwieweit Louis noch eine Wirkung auf ihn hatte, wenn er seine Maske nicht aufhatte.

Er war sich ja nicht einmal sicher, ob er seine Maske gegenüber Louis noch ausziehen konnte.

Sie waren so schwach geworden.

Er merkte nicht, dass er weinte.

An den Pudding dachte er auch nicht mehr.

War ja auch egal.

Er fühlte sich fürchterlich.

Wie nur hatte es so weit kommen können, dass er zum gefühlskalten Mistkerl wurde und Louis zu dem hoffnungslos Verliebten?

Der Löffel fiel ihm aus der Hand und schlug unter dem Fenster auf den Boden auf.

Er merkte es nicht.
 

Louis saß noch immer nachdenklich und betrübt in der Küche, als an der Hintertür zum Garten, auf die er starrte, ein Löffel vorbeisegelte und mit einem klackernden Geräusch auf der Terrasse aufschlug.

Er stand auf, nur um den Löffel aufzuheben, damit der da nicht einfach liegen blieb, aber als er die Tür öffnete, blickte er unbewusst nach oben, und was er sah, ließ sein Herz einen Moment aussetzen.

Tailor saß auf der Fensterbank und er schien gar nicht bemerkt zu haben, dass der Löffel runtergefallen war.

War er dort oben etwa eingeschlafen?

Vor höchstens zwanzig Minuten war er nach oben gegangen.

Aber was war es dann?

Sollte er lieber mal nachsehen?

Nun, wenn er doch schlief, dann wäre es gefährlich ihn dort einfach so sitzen zu lassen.

Ein Sturz aus dem ersten Obergeschoss würde ihn wohl nicht töten, aber er könnte sich sonst was brechen und üble Schrammen und blaue Flecken zuziehen.

Zielstrebig ging er wieder hinein, legte den Löffel auf die Anrichte und betrat die Treppe.

Nur kurz zögerte er an der Zimmertür, dann betrat er leise das Zimmer.

Tailors Blick war nach draußen gerichtet, er bemerkte gar nicht, wie Louis sich ihm näherte.

Schlief er etwa tatsächlich?

Vorsichtig streckte Louis die Hände nach Tailors Schultern aus.
 

Tailor nahm wahr, wie etwas Warmes Druck auf seine Schultern ausübte und ihn vom Fenster wegdrehen wollte.

Willenlos folgte er dem Druck und blickte in das Gesicht des Mannes, den er liebte.

Ja, er liebte ihn.

Er liebte ihn noch immer, aber es hatte einer Menge Trauer und Tränen bedurft, um sich dessen wieder klarzuwerden.

Und Louis war hier!

Er war hier bei ihm.

Er hatte sich nicht einfach zurückgezogen und sich von Tailors fiesen Worten unterkriegen lassen, sondern er war zu ihm gekommen.

Warum er hier war, war egal, Hauptsache war einfach, dass Louis jetzt, wo er ihn brauchte, für ihn da war.
 

Er stricht Tailor über die Wange, er weinte, seine Augen waren gerötet.

Was nur ging in diesem Jungen vor?

Was für einen Schmerz empfand er so tief?

Es ging sicher nicht nur um seine Eltern.

"Willst du mir nicht vielleicht doch sagen, worum es dir dabei wirklich geht?"

"Kann ich nicht."

"Wieso nicht?"

"Einfach so."

Der Blonde seufzt und nickte.

"Ist in Ordnung, kann ich dir irgendwie helfen?"

"Kannst du mich vielleicht einfach nur umarmen?"

"Klar."
 


 

Ethan kam nach Hause, wo ihn Marcel erwartete.

"Und?"

Der Schwarzhaarige grinste "Ich hab die Stelle."

"Glückwunsch, ich wusste du schaffst das."

"Danke, ich auch..."

Er lachte: "...schließlich habe ich das studiert und auch eine Menge Referenzen vorzuweisen."

Der Größere grinste kurz "Ja, du bist ein ganz toller Hecht, Angeber."

"Und, wie war die Schule?"

Marcels Miene verdüsterte sich.

"Tailor und ich verbringen zwar jede Pause zusammen, aber er lässt niemanden an sich ran, nicht einmal mich oder Sabrina. Auch wenn er mit unserem Vater schon länger verkracht war als ich, scheint ihn die Situation mehr mitzunehmen als mich. Ich nehme an, dass das auch an Louis liegt."

Ethan setzte sich an den Esstisch der großen schönen Küche in seinem neuen Haus.

"Ich hab einen Kohldampf..."

Marcel merkte, dass Ethan vom Thema ablenkte, wand sich aber trotzdem wieder der Herdplatte zu und stellte den Topf mit Bulgur und die Pfanne mit indisch gewürztem Wirsing in Currysoße auf die Untersetzer des Tisches.

"Hol mal grad zwei Teller und Besteck."

Er selber nahm zwei Gläser aus dem Schrank und Johannisbeersaft aus dem Kühlschrank.

Sie setzten sich gemeinsam wieder hin und Ethan sog demonstrativ den aufsteigenden Geruch ein.

"Mhmm...wie das duftet, ein Wunder, dass ich noch nicht am sabbern bin."

Marcel lächelte süffisant "Schade, das hätte ich zu gerne gesehen."

Der Ältere bekam einen sanften rosa Schimmer auf den Wangen und tat sich zu essen auf.

"Du glaubst also immer noch, dass Tailor in mein Brüderchen verliebt ist?"

Oh, schon wieder ein Themenwechsel.

"Ich glaube es nicht, ich weiß es."

"Wie kannst du dir da so sicher sein? Ich habe davon bisher nichts mitbekommen und ich vermute mal Louis auch nicht."

"Weil ich meinen Bruder kenne und weil er mit mir darüber gesprochen hat bevor ich euch davon erzählt habe. Seitdem erzählt er mir in der Hinsicht allerdings gar nichts mehr, er schottet sich von mir ab."

"Tailor ist ein seltsamer Mensch."

Marcel nickte betrübt.

"Er ist so zerbrechlich wie eine Porzellanpuppe, aber er verbirgt es mit viel Geschick, ich kenne ihn nun fast zehn Jahre und trotzdem kann ich ihn kaum durchschauen, wenn er es nicht zulässt. Er ist ohne Frage der intelligenteste Mensch, den ich kenne, aber dass ihm das viel Gutes bringt, kann ich nicht behaupten, eigentlich scheint er darunter hauptsächlich zu leiden."

Ethan aß weiter und räusperte sich kurz.

"Das schmeckt super."

Marcel blickte ihn überlegend an.

"Du bist süß."

Der äÄltere verschluckte sich ein bisschen.

"Mich hat niemand mehr süß genannt seit ich zwölf oder so war."

Marcel schmunzelte, wenn auch immer noch mit melancholischer Note.

"Das liegt nur daran, dass man es nicht sofort sieht, weil du so cool auftrittst, aber eigentlich bist du in der Hinsicht ganz anders als Louis.

Dein Bruder ist tatsächlich niemand, den man als süß bezeichnen würde, dafür ist er zu ignorant und rücksichtslos, auch wenn er diese Defizite charmant zu verpacken weiß.

Nein, wirklich nicht, ihr seid da ziemlich verschieden. Du scheinst es keine Sekunde zu ertragen, dass jemand durch dich traurig wird, selbst wenn du gar nicht wirklich schuld bist, und versuchst solche Situationen abzuwenden, worin du übrigens wirklich grottig bist, deine Themenwechsel sind ziemlich durchschaubar...und diese liebenswerte Unbeholfenheit macht dich süß."

"Mit andern Worten, ich bin ein Softie?"

Jetzt hatte Marcel ein richtiges Grinsen im Gesicht.

"Du sagst das, als wär das was Schlechtes. Ja, ich halte dich für einen emotional nicht abgestumpften Mann mit einem großen Bedürfnis danach, andere Leute glücklich oder zumindest nicht unglücklich zu machen."

Ethan blickte den jungen Mann vor sich eine Weile an.

"Weißt du, auch wenn Tailor vielleicht intelligenter ist, bringt ihm das gar nichts, denn er besitzt nicht deine Reife, ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich dich so reden höre. Ich glaube, auch ich besitze nicht deine Reife, du überragst uns alle an Weisheit."

Der Ausdruck im Gesicht des Jüngeren wurde schwer.

"Weisheit hat viel mit Erfahrungen zu tun und damit, wie man sie meistert und verarbeitet. In meinem recht kurzen Leben habe ich schon eine Menge gesehen und musste vieles lernen, vieles verstehen, ich bin nicht von Anfang an in behüteten Verhältnissen aufgewachsen wie du, Louis oder auch Tailor.

Ihr alle habt ebenfalls ungewöhnliche Kindheiten und Erziehungen gehabt, aber schon die Tatsache, ob man Eltern hat, die einen lieben, oder nicht, macht einen großen Unterschied."

Der Schwarzhaarige schluckte.

Marcel sah ihn sanft an und streckte seine Hand über den Tisch aus, um damit die seines Gegenübers zu ergreifen.

"Das mein ich mit süß. Ich habe dir doch nichts wirklich Schlimmes erzählt, aber du stellst dir vor, wie es wohl für mich gewesen ist, begreifst, dass man für frühe Weisheit einen Preis zahlt, und du schweigst.

Ich habe beinah das Gefühl hinter deiner Stirn zu sehen, wie du versuchst das Thema zu wechseln, oder mir ein paar kleine tröstende Worte zu sagen."

"Ist das falsch?"

"Wie kommst du darauf?"

"Ich weiß nicht...ich hab das Gefühl, Leute wie ich sind jene, die am Ende verlieren..."

"Weil du nachsichtig und mitfühlend bist, ja das mag sein. Diese Welt ist eine Welt voller Raubtiere, und darin kann man es sich nicht leisten ein Pflanzenfresser zu sein, ich bin kein Pflanzenfresser, und du magst dich zwar vielleicht so fühlen, aber du schaffst es, wie ein Raubtier aufzutreten, keine Sorge."

Ethan lächelte kurz.

"Hast du denn nicht irgendwann liebende Eltern gefunden?"

War das wieder ein absichtlicher Themenwechsel?

"Nein, aber jemanden, den ich lieben konnte, auf eine reine unschuldige Art."

"Tailor..."

"Genau. Aber die Devenors waren die besten Pflegeeltern, die ich hatte, sie haben mir nichts getan oder so, ich habe mich bei ihnen aufgehoben und sicher gefühlt, es war okay."

Ethan sah Marcel auf eine seltsame Art an.

Zur Überraschung des Braunhaarigen löste sich eine Träne aus den Augen seines Gegenübers.

"Was soll denn das, das war nun wirklich nicht negativ gemeint."

"Dann ist dir wohl selbst nicht klar, was du grade gesagt hast."

"Nein, ich hab grad keine Ahnung."

"Es hat in deinem Leben bisher niemanden gegeben, von dem du mit Liebe behandelt wurdest."

"Das stimmt wohl, aber was man nicht kennt, vermisst man nicht."

Ethan schien dem nicht zuzustimmen.

Er stand auf, umrundete den Tisch und beugte sich zu Marcel hinab.

"Jeder vermisst Liebe, selbst wenn er sie nicht kennt. Du bist vermutlich zu stolz, es auch nur dir selber einzugestehen, aber jetzt weiß ich endlich die Antwort.

Die Antwort darauf, warum du einen so traurigen Blick hast, wenn du glaubst keiner siehst dich. Ich hatte immer das Gefühl, dass deine Augen stumm weinen würden."

Marcel lachte nervös: "Was redest du da?"

"Deshalb bist du so vorsichtig und zurückhaltend mit deiner Liebe, du hast Angst, dass du ungeliebt bleibst..."

"Komm schon, lass gut sein jetzt..."

Er legte Ethan eine Hand an die Schulter und wollte ihn sanft wegschieben, aber dieser schüttelte ernst den Kopf und umschloss die abwehrende Hand mit seinen eigenen langen Fingern.

"Ich habe genug von diesem Hin und Her, du versuchst nur Zeit zu gewinnen, um eine Ausrede zu finden. warum das mit uns nicht funktionieren kann, dabei wissen wir es doch eigentlich beide, wir können das nur auf eine Art rausfinden, es bringt nichts hier rational zu bleiben."

"Ethan..."

"Marcel."

Marcels Stimme war ganz gebrochen, kaum hörbar.

"Nicht..."

Jetzt rannen auch ihm die Tränen aus den Augen.

Ethan sah ihn mit einem zarten Lächeln an "Warum weinst du jetzt?"

"Ich kann nicht..."

"Was kannst du nicht?"

"Ich kann das nicht sagen, es ist so..."

"Es ist so schmerzhaft es sich einzugestehen, das willst du sagen, oder?"

Ein zögerliches Nicken.

"Versuch es, wenn es raus ist, ist es besser."

"Nein...ich..."

"Doch."

"Ich..."

"Sag es, oder denkst du etwa. ich würde dich dafür verurteilen?"

"Ich weiß nicht...ich..."

"Sieh mich an und sag mir, was du fühlst?"

Marcel hob den Blick zu Ethan, bemüht nicht zu armselig auszusehen.

"Ich fühle mich einsam, alleine, jetzt erstrecht...sie alle sind weg, nicht einmal Tailor ist noch da..."

Warme Arme schlossen sich um seine Schultern, er spürte Ethans warmen Atem im Nacken.

"Danke, dass du es gesagt hast, das musste sein, denn jetzt kann ich dir etwas versprechen. Ich werde alles geben, was ich kann, um dir die Einsamkeit zu nehmen, alles. Und hiermit fange ich an."

Er zog Marcel näher zu sich und küsste ihn auf den Mund, liebevoll, zärtlich, weich.

Nach einem unendlichen Augenblick löste er sich, sah in Marcels verheultes Gesicht, wischte eine Träne ab und lächelte "Du bist nicht alleine, ich bin da, und ich liebe dich."

Marcel begann wieder zu weinen und schlang seine Arme um Ethans Mitte, vergrub sein Gesicht in dessen Oberteil.

"Spinner..." murmelte er, was dem Angesprochenen ein grimmiges Grinsen entlockte.

"Vielleicht...aber solange es funktioniert..."

Sagte er, während er den Jüngeren fest an sich drückte, was für einen Schatz er da in seinen Armen hielt!
 

Eine ganze Weile hatten die beiden so dagestanden, erst hatte Marcel noch etwas geschnieft und versucht nicht zu schluchzen, aber dann war auch das vergangen und sie hatten sich einfach schweigend aneinander festgehalten. Dann gab Ethans Magen auf einmal ein Knurren von sich.

Der Braunhaarige grinste hämisch und Ethan hatte einen schuldbewussten, etwas peinlich berührten Gesichtsausdruck.

"Tut mir leid, aber ich habe echt schon die ganze Zeit Kohldampf und noch fast nichts von deinem leckeren Wirsing-Zeug gegessen..."

"Es nennt sich Bulgur, aber egal, es ist auch kalt genießbar, oder soll ich es nochmal warm machen?"

"Nein, schon gut, kalt ist super. Was du bisher gekocht hast, hat immer geschmeckt."

"Schmeichler."

"Nein wirklich, du wirst mal die perfekte Hausfrau abgeben, ich kann mir richtig gut vorstellen, wie das wäre. Morgens, wenn ich aufwache, würdest du in der Küche stehen, mich mit einer Tasse Kaffee begrüßen, vollkommen nackt bis auf eine süße hellblaue Rüschenschürze, auf der so etwas steht wie >Ein Lamm in der Küche, ein Tiger im Schlafzimmer<..."

Marcel lachte wohlwollend und löste sich aus ihrer Umarmung: "Sicher, davon träumst du wohl."

Ethans Miene war ernst: "Das tue ich."

"Ach, sei still und iss."

Der Schwarzhaarige schmunzelte "Ja doch, Liebling."

Er zwinkerte schalkhaft, und sein Gegenüber musste widerwillens lächeln.

"Spinner"

"Naja, vielleicht ein bisschen..."
 


 

_________________

Tja...ein malancholisch-romantische kapitel...

Man merkt die Tendenz des letzten "Aktes" denke ich, auch wenn es noch etwas bis zum Ende dauern wird...ich prognostiziere jetzt einfach mal noch ca 4 bis 5 Kapitel :3



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  _t_e_m_a_
2012-07-08T09:15:13+00:00 08.07.2012 11:15
Uh >___< ich mag ethan und marcel total, du hast mein Herz höher schlagen lassen <3
Jetzt bin ich gespannt wie es mit tai und louis weitergeht...!
Auf zum nächsten Kapitel xD

Lg, die tema~
Von:  Salix
2012-06-24T19:35:12+00:00 24.06.2012 21:35
Ein sehr beschauliches, einfühlsames Kapitel, in dem man sowohl Tailors, als auch Louis', Ethans und Marcels Handlungsweisen nachvollziehen kann.

LG
Von:  tenshi_90
2012-06-24T14:56:55+00:00 24.06.2012 16:56
Das Kapitel ist echt sehr schön geschrieben :)

Man kann die Emotionen sehr gut nachvollziehen. Ich hoffe, dass Louis und Tailor doch noch iwie zueinanderfinden werden ;)

Freu mich auf das nächste Kapitel

LG


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