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Wingless

Leseprobe
von

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Und dann kommt Sam


 

------------- Und dann kommt Sam --------------
 

Später am Abend, nachdem die Küche wieder aufgeräumt und alles abgespült war, saßen sie zusammen in dem großen Wohnzimmer. Seth hatte sich in die Ecke der Couch gekuschelt, Mike lag lang ausgestreckt quer darüber und Nathan hatte es sich zwischen Tisch und Couch auf dem Boden bequem gemacht.
 

Nach einem Monat bei Cooper, konnte er mit einer Couch nichts mehr anfangen, gab es bei seinem Trainer doch nur flauschige Sitzkissen, die man sich im Falle nebeneinander legte, wenn sie zu klein sein sollten. Er schlief nicht einmal gern auf einer Couch…
 

Mit dem Rücken an dem Polster lehnend, hatte er die Beine in den Schneidersitz gezogen und hatte den Blick auf den Fernseher gerichtet. Irgendeine unwichtige MTV-Sendung lief dort und entpuppte sich als langweiliger, als zu Anfang gedacht.
 

„Mike, schalt um“, hörte man Seth irgendwann gähnen. Dann raschelte es, die Couch knarzte einwenig und als Nathan einen Blick über die Schulter riskierte, sah er, Seth sich nun doch an seinen Freund kuschelte und dieser einen Arm um die Hüfte Seths legte.
 

„Wohin?“
 

„Keine Ahnung, schalt einfach um.“
 

Nathan schüttelte den Kopf. Er selbst war nicht so der typische Fernsehgucker. Eher machte er einen großen Bogen um diese Geräte und vermied es, sich über Stunden davor zukleben.
 

Er verfolgte, wie Mike durch die Programme zappte und dann irgendwann auf einem Fernsehsender stehen blieb, der gerade den Film Blood Sports ausstrahlte. „Kannst du das auch?“
 

„Was?“, wollte Nathan wissen, nachdem man ihm diese Frage gestellt hatte.
 

„So Steine zerschlagen?“, wollte Seth wissen.
 

„Keine Ahnung, ich hab das noch nicht versucht…“
 

„Und läuft das bei euch auch so ab? Ihr gebt euch so lange eins auf die Fresse, bis der eine aufgibt?“
 

„Nein… Also, das sind ja auch legale Turniere…“, kam es recht gelangweilt von ihm zurück. Er wollte jetzt nicht über Kampfsport reden. Am liebsten würde er gar nicht mehr reden heute. Er war so derart fertig mit der Welt.
 


 

Irgendwann musste er auch eingeschlafen sein.

Es war recht spät geworden und still in der Wohnung. Erst als er eine Hand auf seiner Schulter spürte, die ihn leicht rüttelte, schlug er seine Augen auf.
 

Mike hockte vor ihm, blickte ihn mit einem sanften Lächeln auf den Lippen an. „Es ist kurz nach zwei Uhr in der Früh.“
 

Nathan nickte, unterdrückte ein Gähnen und stand langsam auf.
 

„Willst du jetzt noch nach Hause fahren?“, drang die ruhige Stimme Mikes an sein Ohr. Sie war ruhig und gleichzeitig sehr ernst. Letztes sorgte dafür, dass Mikes Stimme einen dunklen Touch gab, der Nathan leicht verwirrt die Augenbraue heben ließ.
 

„Ja“, brachte er mühe hervor, räusperte sich kurz, als er merkte, dass seine Stimme sehr rau klang.
 

„Du schläfst mir doch am Steuer ein, wenn ich dich jetzt gehen lassen“, wurde ihm erklärt. „Ich kann’s nicht verantworten, wenn du wegpennst und deinen Wagen vor einen Baum oder was auch immer setzt. Ich zeig dir das Gästezimmer, komm.“
 

Mike nickte in die Richtung der Treppe. Nathan jedoch war sich nicht sicher, ob er hier schlafen wollte.

Cooper würde sich nur Sorgen machen, warum er nicht ‚daheim’ war die Nacht und vor allem hatte er keine Lust, in fremden Betten zu pennen.

Schieß drauf, ob ich den Wagen vor einen Baum setze, dachte er sich. Dann ist wenigstens mein beschissenes Leben endlich zu ende. Dieses grundlose umherirren auf diesem Planeten, führte Nathan seine Gedanken weiter und schüttelte nur den Kopf.
 

„Ich fahr zu Cooper.“
 

„Nichts da, Junge“, kam es bestimmt von Mike zurück und eine große, schlanke Hand fasste seinen Oberarm, hielt ihn davon ab, sich wirklich abzuwenden.

„Du wirst mir nach oben folgen. Ich werde dir das Gästezimmer zeigen und mich dann auch ins Bett hauen. Aber ich lasse dich nicht fahren, ganz sicher nicht. Schlag dir das aus dem Kopf.“
 

Aus müden Augen blickte er zu dem größeren und älteren Musiker auf. War das ein Befehl?

Den braunen Augen nach, die ihn so bestimmt und gar schon herrisch entgegen blickten, war diese Frage überflüssig.

Niemals hätte er gedacht, dass gerade Mike einen solchen Blick drauf hatte… Jedoch bemerkte er hierbei einmal mehr, dass er keinen der Beiden – weder Mike noch Seth – gut genug kannte. Sie waren ihm immer noch fremd. So gesehen waren sie nur Bekannte, nicht einmal Freunde.
 

Als ob ich Freunde hätte, dachte Nathan mit leichter Selbstironie.
 

„Was bleibt mir anderes über …“, murmelte er vor sich hin.

Ein paar Worte, die gleich wieder ein zufriedenes Lächeln des Älteren zur Folge hatten.
 

Mit einem Nicken ließ Mike ihn los, nickte in die Richtung der Treppe und ging sogleich voraus.
 

Gar so, als würde er einfach erwarten, dass Nathan ihm folgte.

Und jener tat es auch. Noch im Halbschlaf, schleppte er sich Mike hinterher. Die Treppe hinauf, den offenen Flur entlang, bis sie in dem Teil des Hauses ankamen, der über der Küche lag. Eine schmale Treppe führte hoch auf den Dachboden des Wohnhauses. Mike öffnete eine leicht knarzende Tür, die wiederum in eine Art kleine Wohnung führte. Ein kurzes Stück Flur, mit einer kleinen Garderobe, einer Zimmerpflanze und einem schmalen Fenster mit weinroten Vorhängen.

Hinter einer weiteren Tür befand sich dann ein großer Raum mit einem großen Fenster am Ende, vor dem sich ein großes, mit beigefarbenen Bezügen bedecktes dunkles Bett befand. Eine kleine Couch, die sich an einer der Wände unter der Dachschräge befand gab es auch, ebenso einen kleinen Fernseher und ein Radio. Zudem einen ganzen Haufen Zimmerpflanzen. Warum auch immer. Hielten sich hier so viele Personen auf, dass man es hier schön grün und frisch einrichten musste?
 

„Soll ich dir das Bett eben überziehen?“
 

„Es ist irgendwas nach zwei. Mike, geh ins Bett, ich komm schon damit klar, dass das Bettzeug eine Woche auf dem Bett liegt, glaub mir“, brachte er hervor und kämpfte ein weiteres Gähnen erfolgreich nieder.
 

„Ok, dann… Gute Nacht, Nath.“
 

„Hm“, murrte er, sah noch, wie Mike das Zimmer verließ und er sich dann allein hier oben befand. Er ging noch einmal zurück, schloss die beiden Türen, ehe er sich die Schuhe von den Füßen streifte, die Hose auf den Boden gleiten ließ und sich dann unter die Bettdecke verzog.
 


 

Sehr spät am nächsten Morgen weckten ihn Geräusche aus dem Stockwerk unter ihm.

Irgendwas rauschte da, dann hörte er etwas, das sich anhörte wie ein Staubsauger – Stimmen folgten.
 

Schlaftrunken blinzelnd, orientierte er sich erst einmal in dem sonnengefluteten Raum, in dem er sich befand und drehte sich auf den Rücken.
 

Seine Hände fuhren über seine Augen, strichen den verbliebenen Schlaf aus diesen und sorgten für eine klare Sicht.
 

Wo war er?

Ach ja, bei Mike und Seth in diesem Riesenbunker von Haus – stimmt.

Langsam drückte er die Decke Stück für Stück beiseite, setzte sich auf und schwang seine Beine über den Bettrand.
 

Seine Hose lag nicht weit entfernt, seine Socken waren bei den Schuhen geblieben …

Das Bett ließ er, wie es war, würde er es später machen oder einer der beiden Hausbesitzer würde es überziehen, was wusste er schon?
 

Einen Blick in den Spiegel der Garderobe werfend, fuhr er sich durchs Haar, richtete es ein wenig und verließ das Gästezimmer, ließ die Treppe schnell hinter sich und kam wenige Sekunden später unten im Wohnzimmer des Hauses an.
 

Der Staubsauger war verstummt, dafür aber nicht die Stimmen aus der Küche.
 

Langsam bewegte er sich dort hin, nicht wissend, wer oder was ihn erwarten würde.
 

Als erstes sah er Seth. Er lehnte an der Mittelinsel der Küche, hatte eine Tasse in der Hand und blickte in die Richtung, in welcher sich auch das Esszimmer befand. „Morgen“, gab Nathan von sich, als er näher auf Seth zukam.
 

Dieser lächelte ihn an, sagte aber nichts, da er das Gespräch wohl nicht unterbrechen wollte.
 

Auch Nathans Blick glitt in die Richtung des Tresens, der die Küche vom Esszimmer trennte.

Er erkannte Mike, er saß da, das Kinn auf die Hand gestützt, mit der anderen in einer Tasse herum rührend – ein Lächeln auf den Lippen.

Schräg vor ihm saß eine junge Frau, schlanke Figur. Sie trug einen hellen Jeansmini, wie er es erkennen konnte und ein graues Tanktop, ihre Füße steckten in schwarzen Pumps.

Sie hatte braune Haare, leicht hochgesteckt und ein schwarzes Bandana war über diese Haarpracht gelegt, im Nacken zusammengebunden.
 

Ihre Hände spielten mit einem Schlüsselbund, an dem mehrere silberne Schlüssel hingen und einige Anhänger. Aber ihr Gesicht, das konnte er nicht sehen.
 

„Wer ist das?“, fragte er sich, lehnte sich neben Seth und nahm die Tasse an, die ihm der Gitarrist vorhielt.
 

„Samantha. Sie ist Musikjournalistin, bringt häufig Texte über uns in dem Magazin ‚Youth Culture – Revolution of Music’. Mike hat sie in Miami kennen gelernt und ist seitdem mit ihr befreundet. Unter anderem ist sie unser Merchgirl geworden und kümmert sich um Extraevents für die ‚Cursed Elites’“, erklärte ihm Seth, nippte an dem Kaffee und sah ihn dann an.

„Sie ist sehr nett…“, eine kurze Pause entstand. Eine kurze Pause, in der sich ein Lächeln auf Seths Lippen bildete. „Und sie ist single.“
 

Gar satanisch wurde das Grinsen auf den vollen Lippen des Musikers, an denen heute Morgen nur zwei kleine Kugeln glänzten. Stand ihm auch besser, befand Nathan nebenbei, jedoch kam dann irgendwann die Information der Aussage in seinem Hirn an und er räusperte sich. „Ich bin aber mit meinem Singleleben sehr zufrieden“, gab er von sich, trank einen Schluck und lauschte den Worten, die zwischen Mike und dieser Samantha getauscht wurden.
 

Sie hatte aber auf jeden Fall eine sehr angenehme Stimme. Angenehm tief, weiblich tief. Frauen mit ruhigen, klingenden Stimmen mochte er unheimlich gern…
 

„Was ist denn bitte die Cursed Elites?“
 

„Unser Fanclub… frag mich bitte nicht, wie das zustande kam. Ich bin an der Stelle selbst nicht so mitgekommen und es ist wohl auf Samanthas Mist gewachsen. Max hatte es damals abgesegnet und jetzt haben wir einen CE-Fanclub.“
 

Seth zuckte mit den Schultern, beließ es folglich dabei und seufzte.

„Ian hat sich heute schon gemeldet…“
 

„Was wollte er?“
 

„Fragen, was los ist. In seiner Art und Weise, du kennst ihn ja ein wenig.“
 

„Und sonst nichts?“
 

„Er hat nach dir gefragt.“
 

„Tatsächlich?“, fragte Nathan ungläubig nach. Eigentlich hatte er gedacht, dass sich ihre Wege wirklich trennen, an dem Morgen.

Für ihn klang das immer noch so komisch – so fremd.

Vor allem gab es ihm ein wenig zudenken, dass Ian sich doch tatsächlich nach ihm erkundigte.

Das passte nicht zu dessen Verhaltensweise. Zwar hatte Mike ihm erzählt, was alles passiert war und wie Ian eigentlich sein sollte, aber dennoch änderte das alles nichts an Nathans Sichtweise auf den Charakter des Tänzers.
 

Für ihn war Ian irgendwie trotz allem das Arschloch. Da konnte er nichts dran machen.
 

„Er wollte wissen, was du machst. Ob wir Kontakt zu dir hätten und solche Dinge. Aber ich hab ihm nicht wirklich eine Auskunft gegeben, da ich der Meinung bin, dass du das allein machen solltest, wenn du wirklich mit ihm reden willst.“
 

Leicht nickte er auf die Worte des Gitarristen hin nur und zuckte folglich leicht mit den Schultern. „Ian geht mir eigentlich sonst wo vorbei. Obwohl Mike mir so einige Dinge über ihn erzählt hat. Würde er sich mir gegenüber endlich ein wenig menschlicher verhalten, könnte man darüber reden… aber nicht so“, gab er von sich, leerte die Tasse, stellte diese auf die Küchenzeile zurück.

„Ich fahre dann auch mal langsam. Ich glaube, ich sollte mich mal langsam bei Cooper blicken lassen“, sagte er leise, wollte das Gespräch zwischen Mike und dieser Samantha nicht stören.
 

„Willst du denn nicht wenigstens noch zum Mittag bleiben? Du könnest Sam kennen lernen.“
 

Wieder erschien dieses satanische Lächeln auf Seths Lippen. Gott, das ließ ihn so versaut wirken.
 

Aber ehe er auch nur irgendwas darauf erwidern konnte, hörte man, wie Stühle zurück geschoben wurden. „Ich will euch auch gar nicht länger stören“, sagte Samantha, nahm ihre Schlüssel vom Tresen und drehte sich um.

Ihr Blick traf Nathans sofort und sie lächelte. Ihre Lippen waren von einem orangenen Rot, ungepierced – entgegen dem, was er wartet hatte… Ihre Augen wiesen eine hellblau – gar schon graue Farbe auf und waren mit intensiv schwarzen Eyeliner umrandet.

Aber am wichtigsten war ihr Lächeln. Sie sah so süß damit aus.
 

„Sam, das ist Nathan. Nathan, das ist Sam“, stellte Mike sie vor, grinste sich aber auch so einen vor sich her.
 

Und beinahe wäre Nathan ein ‚Ich weiß’ heraus gerutscht, was er jedoch lieber sein ließ.
 

„Hallo“, sagte sie, fasste das Schlüsselband und ließ die vielen Schlüssel aus ihrer Hand fallen. Es klimperte, klirrte und wenig später herrschte Stille. Für einen Moment.
 

„Hi“, brachte dann auch Nathan endlich heraus, ließ seinen Blick noch einmal über die Gestalt der jungen Frau wandern, die ihre Unterlippe für einen Augenblick zwischen die Zähne zog.

Er vermochte es nicht zu deuten, was sie dazu führte, aber im Endeffekt wollte er es auch nicht wissen.

Oder?
 

„Oh mein Gott“, brachte Seth dann irgendwann lachend hervor, stieß sich von der Mittelinsel ab und ging auf seinen Freund zu. „Ihr verhaltet euch wie zwei Teenager!“
 

„Tun wir nicht!“, kam es jedoch von Nathan als auch von Samantha zurück. Etwa, dass die anderen noch mehr lachen ließ.
 

„Nein nur nicht…“
 

„Och man, Mike! Ich gehe jetzt!“
 

Samantha schob ihre Lippe vor, wirkte wie ein kleines bockiges Mädchen, dem man gerade die Lieblingspuppe weggenommen hatte und ging dann auch schon an Nathan vorbei.
 

„Bye Sam!“, riefen sie noch hinterher und schon hörte man die Tür.
 

„Ich werde auch gehen. Cooper macht sich sonst nur Sorgen und vor allem will ich euch nicht noch länger auf die Nerven gehen. Man sieht sich, ich meld mich.“
 

Er zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, wandte sich dann aber auch zum gehen um.
 

„Pass auf dich auf, Nath.“
 

„Immer doch.“
 

Auch er verließ das Haus, sah aber Samantha noch an ihrem Wagen lehnen.

Zumindest vermutete er, dass es ihrer war.

Ein schwarzer Ford Mustang Mach 1.

Ein Klassiker unter den Oldtimern, zumindest war dies seine Ansicht darauf.
 

„Wolltest du nicht fahren?“, fragte er, kam auf sie zu.
 

„Nein. Ich wollte mit den beiden eigentlich nachher weggehen. Aber es wird ohnehin gleich einer von ihnen hinter mir her kommen. Ansonsten bin ich nachtragend“, lächelte sie ihm entgegen, verschränkte die Beine an den Knöcheln und zuckte mit den Schultern.
 

„Deiner?“, lenkte er dann jedoch das Thema um, deutete auf den Wagen, an welchem Sam lehnte.
 

„Ja. Meiner. Er gehörte meinem Opa, ich hab ihn geerbt…“
 

„Ford Mustang Mach 1. 540 PS unter der Haube, Baujahr ’69. Eines der wenigen Autos, die einen faszinieren können“, gab er von sich, kam auf sie zu und blieb wenige Meter vor ihr stehen.
 

„Du kennst dich mit Autos aus?“
 

„Ich bin erstens ein Mann und zweitens mach ich eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker“, erklärte Nathan sich, sah auf die wesentlich kleinere junge Frau nieder.
 

„Wie alt bist du denn, wenn ich fragen darf?“
 

„Neunzehn.“
 

„Süß. Wirklich süß.“
 

Wieder lächelte sie ihr Lächeln.
 

„Du bist echt ein kleines Miststück oder?“
 

„Ich bevorzuge Bitch.“
 

Seine Augenbraue hob sich auf dieses Kommentar hin ein wenig, als er sich neben sie an den Wagen lehnte.
 

„Aja“, gab Nathan von sich, sah sie skeptisch von der Seite her an.

„Jedem das seine.“
 

„Sag… Du kennst Ian?“, fragte Samantha dann, strich ihr Oberteil etwas glatt und verschränkte dann die Hände vor sich. „Ich meine … ich habe gehört, wie Seth gerade seinen Namen erwähnte…“
 

„Ich hab ihn letzten Monat kennen gelernt. In Jacksonville.“
 

„Was hältst du von ihm?“
 

„Warum willst du das wissen?“
 

„Weil ich gern weiß, was ‚Außenstehende’ von ihm halten. Weißt du, Leute, die ihn noch nicht so gut und so lange kennen.“
 

Und mit einem Mal machte es Klick in Nathans Kopf.

Lebte Ian nicht in Miami? Und hatte Seth nicht gerade gesagt, dass diese junge Frau neben ihm auch dort lebte?

Kannten sie sich gut?
 

„Er ist mir zu unterkühlt. Zu anzüglich und zu sehr auf eine ganz bestimmte Sache aus.“
 

„Kennst du seinen kleinen Bruder?“, wollte sie dann wissen, lächelte vor sich hin.
 

„Nein, ich denke nicht.“
 

„Derek? Du kennst ihn nicht? Derek Blair ist doch der Quarterback der Highschool hier in der Nähe.“
 

„Du meinst nicht den Quarterback, den ich meine, dass es der Quarterback ist?“
 

„Nun ja, wenn wir von einem größeren, brünetten jungen Mann reden, der mehr in den Armen hat, als in seinem Köpfen… Wenn wir von einem Typen reden, dessen Augen so stechend blau sind, dass man fast meinen mag, man würde ertrinken. Wenn wir von einem jungen Mann reden, der eine größere Fresse hat, als einige andere ein Ego… wenn wir von jemanden reden, der gern seine Faust hebt, anstatt ruhig miteinander zu reden, dann reden wir von der gleichen Person.“
 

Alles in Nathan ging auf ‚Red Alert!’. Jede Alarmglocke begann plötzlich zu schrillen.

Dieser Derek war mit seiner Schwester zusammen.

Der kleine Bruder von Ian war mit seiner Schwester zusammen…
 

„Ich sehe schon, wir sprechen von der gleichen Person“, hörte er Samantha schlussfolgern. Dabei klang es nicht einmal sehr überrascht oder resignierend. Es war eher so eine Art Vorwissen, oder wie auch immer man es nun nennen möchte.
 

„Was ist mit ihm?“, fragte er geschockt nach. Innerlich jedoch fragte er sich auch sofort, ob er das überhaupt wissen wollte…
 

„Er ist das etwas harmlosere Abbild seines großen Bruders. Ein Schläger, ein ‚Bad Boy’. Woher kennst du ihn?“
 

„Er ist der Lover meiner Schwester“, stellte Nathan nüchtern fest. Er war selbst ein wenig überrascht, dass er das so locker rüber brachte. Innerlich fühlte er sich viel erschlagener von der Tatsache, dass er einen Teil von Ian Familie die ganze Zeit gekannt hatte…

„Sie sind beinahe ein Jahr zusammen, jetzt im August.“
 

Anerkennend pfiff Samantha. „Das überrascht mich, dann muss deine Schwester etwas Besonderes sein. Wenn ich eines über die Familie Blair gelernt habe – die wohnt überings hier in der Straße – dann ist es die Tatsache, dass sie alle sehr sprunghaft sind.“
 

Ihr Blick wanderte zu ihm, nur realisierte er das so gut wie gar nicht. Viel eher hatte er begonnen auf den Boden zu starren. Das war alles zu viel für ihn.
 

„Alles klar, Nathan?“
 

„Was? … Ja, ja klar. Alles ok“, log er.

Dabei machte er sich wirklich Sorgen um seine Schwester.

Wenn Ian schon so unterkühlt war und wohl sehr viele Probleme in seinem Leben hatte und hat, wie ist dann sein Bruder drauf?

„Hat er eigentlich viele Geschwister?“
 

„Wer?“
 

„Ja, Ian… Hat er viele Geschwister?“
 

„Hast du Angst, mit seiner Schwester geschlafen zu haben, ohne es zu wissen?“, scherzte die Brünette neben ihm.
 

„Nein. Ich würde nur gern wissen, wie viele es von der Sorte noch gibt…“
 

„Er hat einen dreijährigen Bruder, Miguelle. Dann einen achtjährigen Bruder, Niclas. Einen sechzehnjährigen Bruder, Joel. Halt Derek… Nadine, seine zweiundzwanzigjährige Schwester und er hatte mal eine dreißigjährige Schwester. Aber diese beging Selbstmord vor drei Jahren.“
 

„Oh mein Gott.“

Seine Hände fuhren über sein Gesicht, endeten in seinen Haaren und strichen diese zurück.

„Woher kennst du Ian?“
 

„Ich wohnte damals in seiner Nachbarschaft. Damals haben sie zwar auch in Orlando gewohnt, aber an einer anderen Stelle…. Man bekommt halt so viele Dinge mit, wenn man Haus an Haus wohnt…“
 

„Was für Dinge?“
 

Wollte er Mikes Worte bestätigt haben? Wollte er das wirklich?

Oder war es einfach nur Interesse an einer Person, die er kennen gelernt hatte und die im Grunde selbst nur ein Spiel spielte. So, wie er es selbst eigentlich auch tat?

Weil er nicht nur das Arschloch in Ian sehen wollte? Versuchte er es überhaupt?
 

„Dinge halt. Du musst wissen, dass Ian und seine ganzen Geschwister alle nur Halbgeschwister zueinander sind. Seine Mutter hatte so viele Männer, wie andere Frauen Unterwäsche haben… Und jedes Kind ist von einem anderen. Ians Dad kommt aus Miami, hatte aber hier in der Innenstadt gewohnt.

Manchmal, dann habe ich ihn morgens gesehen … er sah aus, wie ein buntes Kunstwerk aus Blau-, Violett- und Grüntönen. Aber er hat sich nie gewehrt. Auch nicht, wenn die Freundinnen seines Vaters ihn anschrieen, ihn schlugen. Er hat sich nie gewehrt…“
 

Sie seufzte, stieß sich vom Wagen ab und warf einen Blick in die Richtung der Haustür. Seufzte dann erneut und sah wieder zu Nathan.
 

„Dafür wurde er oft von der Polizei nach Hause gebracht um am nächsten Spätnachmittag von zwielichtigen Gestalten abgeholt zu werden. Irgendwann war er für drei Monate weg gewesen ... Drei Monate war er im Knast gewesen, wegen einer Sache, für die er den Kopf hergehalten hatte… Und dann kam eine junge Frau. Amanda. Sie war oft da und irgendwann schob sie einen Kinderwagen. Sie war nett gewesen. So sanft und … Einfach alles, was man sich von einer Mutter halt erwartet…Ab da ging es für Ian etwas bergauf – zumindest sah es von Außen so aus…“
 

„Was ist dann passiert? Mike meinte…“
 

„Seine Tochter ist gestorben, das ist passiert. Fünf Jahre war er irgendwie menschlich gewesen. Fünf Jahre! Und dann wird ihm der Boden unter den Füßen weggerissen. Amanda geht, er steht allein da. Er tat mir so leid. Alles, für das er gekämpft hatte, für das er sich eingesetzt und um das er sich gekümmert hatte – weg. Mit einem einzigen Mal.

Er fiel in sein altes Schema zurück. Und als Krönung starb dann auch noch seine Schwester und das war der Abschluss. Wann immer er mir damals auf dem Bürgersteig oder im Supermarkt oder wann auch immer begegnet ist, war er so anders. So … weggetreten.“
 

„Er war auf Drogen?“
 

„Ich weiß nicht, ob er es wieder ist… Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass er sich in der Zeit eine noch dickere Mauer aus Eis erbaut hat. Eine Mauer, die er perfekt erhält und sorgfältig pflegt, damit sie nicht schmilzt. Aber das war die Zeit, in der er sich auch seine kleine eigene Welt erschaffen hatte. Eine Welt, in der er sein eigener Chef war. Weißt du, dass er eine eigene Tanzschule in Miami hat?“
 

„Ich weiß, dass er Choreograph ist… Und tanzen kann er auch.“
 

„Ja, er hat eine eigene Tanzschule. Ich hab bei ihm den klassischen Tanz gelernt. Tango, Walzer und all solche Dinge. Ich weiß nicht, ob es ihm Spaß macht. Aber ich glaube, es war auch ein Stück weit deswegen, weil alle, wegen denen er die drei Monate hatte absitzen müssen – wobei es eigentlich ein Jahr gewesen ist, aber die letzten neun Monate hatte er auf Bewährung verbringen dürfen – irgendwelche wichtigen Berufe hatten. Bankier oder etwas in der Art… Ian ist ein Arschloch, weil es bisher noch keiner geschafft hatte, diese Mauer wieder einzureißen. Das hatte nur Amanda geschafft … für eine kurze Zeit.“
 

Er hatte seine Bestätigung. Das, was Mike ihm sagte, nur ein wenig ausführlicher. Ein wenig detaillierter.
 

„Warum ist er von hier weg?“
 

„Wegen seiner Tochter, die Trennung von Amanda, der Tod seiner Schwester… Das alles hat ihn völlig fertig gemacht. Daraufhin ist er abgehauen…“
 

„Warum kommt er nicht wieder?“
 

„Ich glaube, das ist ein Problem, dass er irgendwie mit irgendjemanden hat. Es ist nicht so, dass alle seine ‚Freunde’ auf die gerade Bahn gekommen sind. Einige von ihnen sind noch heute Mitglieder in einigen Gangs und machen Stress. Es ist nur eine Vermutung.“
 

„Hast du mit ihm geschlafen, oder warum weißt du das alles?“

Für ihn war es eine durchaus berechtige Frage.

Niemand wusste bisher so viel über diese Person. Niemand.
 

„Nein, ich bin nur jemand der viel zuhört, viel lauscht und gern beobachtet. Ich bin Journalistin, ich darf so was… Und die Akte Ian ist noch lange nicht erkundet, glaub mir.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Arisa_abukara
2012-04-28T21:51:54+00:00 28.04.2012 23:51
Wow, echt ich bin baff
So viel aufeinmal!

sorry wenns kurtz ist/wird, is aber etwas spät x"D

zwar waren die infos schon bekannt, aber die detils sind besser O.O
und das mit Dereck...iiih! wieso? ich mag ihn nicht!
und so wirklich is der auch nicht aufgetaucht...ich glaub nur 1-2 mal...oder?

naka auf jedenfall, tolles Kapitel!
echt sehr Informativ! ich hoffe das Nath sein Hirn anschlatet
Sam wird es ihm wohl nicht einfach so erzählt haben, sie hat bestimmt hintergedanken, genauso wie wir xD

freu mivh schon aufs nächste *-*

lg Arisa ^-^
Von:  Teukie-Chan
2012-04-28T21:25:01+00:00 28.04.2012 23:25
armer ian, das ist echt total heftig was so
mit ihm passiert ist und so.
dann ist es ja keine wunder das er so ein eiskloitz
in naths augen ist und so.
aber ich hoffe wirklich wirklich sehr das ian sich ihm vlt
iwie mal in einer art und weise mal so anvertraut und
anders rum vt auch so oder so.,,,

ich find es jedenfalls echt shclimm das mit ian und so..
aber ich hoffe des geht balt wieder alles gut.....

find es immer wieder toll so wie due schreibst ^^


hdl

lg
Von:  Inan
2012-04-28T20:01:19+00:00 28.04.2012 22:01
Alter, armer Ian, es zerreißen sich einfach alle das Maul über ihn und das, was ihm so passiert ist xD
Dafür lernt man ihn aber natürlich auch indirekt besser kennen, es ist ja schon prägend, wenn man so viele Menschen verliert und dabei vorher auch so schon nicht gerade das Glückskind und Sonnenscheinchen persönlich war..
Ein klein bisschen depressiv veranlagt ist Nathan anscheinend aber auch, viel von sich halten tut er ja nicht unbedingt >o<
Super Kapitel x3
Von:  tenshi_90
2012-04-28T15:19:56+00:00 28.04.2012 17:19
Schönes Kapitel

Jetzt kennt man Ian etwas besser. Hätte nicht gedacht, dass er es so schwer hat. Ich bin so gespannt, wie es jetzt weitergehen wird.

LG


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