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So schnell

Eine Geschichte, in der alle Kapitel übertrieben lange Titel haben, die sogar noch länger sind als dieser Untertitel
von

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Zweites Kapitel, in dem Gilbert seine Hotel-Suite zugeteilt wird und wir erfahren, welche die einzige Situation ist, in der Toris eine Aufforderung von Ivan verweigern darf

Gilbert

Manchmal frage ich mich, wer eigentlich für den ganzen Schlamassel verantwortlich ist: Braginsky oder Lorinaitis selbst. Braginsky, weil er ihn (und seine anderen Leibeigenen) unterworfen hat, wie auch immer er es geschafft hat? Oder Lorinaitis, weil er sich unterwirft, weil er nichts tut, um Ivan die Stirn zu bieten? Ich hasse es, zuzusehen, wie er den Schwanz einkneift. Ich verachte ihn dafür. Gerade eben konnte ich einfach nicht mehr an mich halten.

Und Lorinaitis tut nichts. Noch etwas, das ich an ihm hasse. Ich habe ihm gerade vor die Füße gespuckt, Himmel nochmal, und er hat nichts gesagt, nichts getan! Gar nichts! So wenig Selbstachtung kann man doch gar nicht haben! Nein. Das ist völlig unverständlich, vor allem für einen so tollen Hecht wie mich.

Lorinaitis öffnet eine Tür und geht hindurch, ohne sich zu mir umzudrehen. Ich folge ihm und runzle die Stirn, weil der Gang dahinter beeindruckend schmucklos ist. Habe ich gesagt, Braginskys Haus wäre von innen reich? Nun, offenbar sind das nur die Teile, die für Besucher zugänglich sind. Hinter den Kulissen sieht es nicht mehr so gut aus. Aber Moment! Ich bin ein Besucher, oder etwa nicht?

„Hübsches Haus“, sage ich und begutachte einen dunklen Fleck an der Wand, oben unter der Decke. Als wäre aus dem Stockwerk über uns Wasser durch die Decke gedrungen.

„Es ist nicht mein Haus“, antwortet Lorinaitis pragmatisch und sieht mich noch immer nicht an. Wir biegen in einen anderen Gang ab, an dessen Seiten mehrere Türen zu sehen sind. Er bleibt vor der erstbesten stehen und öffnet sie.

„Das ist dein Zimmer.“

„Falsch“, sage ich. „Das ist das Loch, in dem ich hausen werde, bis ich Braginsky so auf die Nerven gehe, dass er mich vor die Tür setzt.“

„Wenn ich der Hausherr wäre, säßest du schon vor der Tür“, erwidert Lorinaitis nach einem kurzen Zögern und etwas zu lahm, als dass es ein guter Konter wäre. Ich sage nichts dazu, trete durch die Tür und sehe mich im Zimmer um. Ein Schrank, ein schlichtes Bett, ein Nachttisch. Der Koffer, den ich mitgenommen hatte, liegt am Fußende des Bettes.

„Hey, was für ein Service. Gepäck aufs Zimmer. Moment... wer hat das hierher gebracht? Wusstet ihr etwa im Voraus, dass Braginsky mich hier behalten würde?“

„Offenbar hast du auch damit gerechnet, eine Weile zu bleiben“, erwidert Lorinaitis hinter mir und beantwortet meine Frage nicht. „Wieso hast du sonst Gepäck dabei?“

Ich werfe ihm einen giftigen Blick zu. „Was geht dich das an, Klugscheißer? Du hast mir meinen Verschlag gezeigt, und jetzt kannst du gehen.“

„Willst du nicht wissen, wo das Bad ist?“

„Also schön. Wo?“

„Die Tür am Ende links. Das Licht ist kaputt, erschreck dich also nicht.“

„Was für ein Luxus. Wo ist der Salon, um das Abendessen einzunehmen? Und sind noch andere Gäste in diesem Flügel untergebracht?“

Er ignoriert meinen Spott und die erste Frage gleich mit – vielleicht, weil in diesem Haus nicht gegessen wird. Das würde erklären, wieso an ihm fast weniger dran ist als an mir. „Eduard und ich schlafen gegenüber, Raivis nebenan. Falls du irgendetwas brauchst...“

Seine Höflichkeit regt mich auf. „Falls ich nachts nicht schlafen kann und jemanden zum kuscheln brauche, ja?“

„Das ist dann dein Problem“, sagt er leise und dreht sich um.

„Wieso schlafe ich eigentlich da, wo das Gesinde schläft, Lorinaitis? Ich dachte, das hier wäre ein Gästezimmer!“

„Ivan hat verschiedene Arten von Gästen“, antwortet er, und bevor ich noch etwas erwidern kann, hat er die Tür hinter sich geschlossen.

Wütend lasse ich mich auf das Bett plumpsen. Braginsky hat verschiedene Arten von Gästen, ja? Und ich gehöre zu der Art, die man irgendwo zwischen den Leibeigenen schlafen lässt, anstatt sie anständig unterzubringen? Sehr schmeichelhaft. Um mich auf andere Gedanken zu bringen, greife ich nach dem kleinen Koffer und öffne die beiden Schnallen daran. In den Kofferdeckel sind einige Luftlöcher gebohrt, das Innere ist mit einem Kissen ausgepolstert. Ein mittlerweile etwas vollgeschissenes Kissen.

„Konntest du dich nicht beherrschen, mein gefiederter Freund?“

Gilbird flötet etwas, hüpft auf meine Schulter und pickt an meinem Ohr herum. Gutmütig streiche ich mit einem Finger über seine Federn. Ich konnte den kleinen Kerl doch nicht ganz allein lassen. Lorinaitis hatte Recht: Ich habe die dunkle Ahnung gehabt, dass Braginsky mich länger bei sich behalten könnte. Das hätte ich Gilbird nicht antun können, so ganz allein ohne meine Großartigkeit. Und außerdem dachte ich, es kommt gut, mit einem Koffer anzureisen. Dann sieht es nicht so aus, als hätte ich nichts mehr an Besitz als die Kleider auf meinem Leib. Das muss schließlich nicht jeder gleich sehen.

„Komm, mein Kleines“, sage ich und schiebe Gilbird unter meinen Kragen. „Wollen wir doch mal sehen, ob wir den Lokus finden.“
 

Ivan

Toris ist heute Abend anders. Ich verstehe nicht warum und will auch eigentlich nicht danach fragen, aber nach und nach wird es zu viel. Ich liege auf dem Bett, das Kinn in die Hände gestützt, und betrachte ihn, wie er mit dem Rücken zu mir auf der Bettkante sitzt. Er sieht mich nicht an, sondern starrt an die Wand gegenüber. Ausgerechnet heute Abend, wo ich dringend ein wenig Ablenkung gebrauchen könnte.

„Was ist los, Toris?“, frage ich leise und richte mich auf.

Er antwortet nicht, dreht sich aber zu mir um. Zu meiner Bestürzung sehe ich, dass sein Gesicht verzerrt ist. Er beißt sich auf die Lippe und scheint kurz davor, in Tränen auszubrechen. Oder mich anzuschreien.

„Wieso“, fragt er dann doch recht leise, obwohl seine Stimme zittert, „haben Sie nichts getan?“

Ich verstehe nicht, was er meint. „Wofür getan?“

„Heute. In Ihrem Büro.“

Ach, davon spricht er. Natürlich erinnere ich mich.

„Gilbert ist ein Mistkerl, nicht wahr?“, frage ich und lache leise. „Aber ich werde es ihm schon abgewöhnen.“

„Warum haben Sie nicht heute direkt damit angefangen?“

Ich lege den Kopf schief und hoffe, dass er mir nicht ansieht, wie nervös er mich macht. „Mir war nicht danach“, weiche ich aus.

„Ihnen war nicht danach“, wiederholt Toris. Eine Träne löst sich aus seinem rechten Auge und rollt über seine Wange. „Ich verstehe.“

„Aber Toris!“ Ich schüttle bestürzt den Kopf und wische die Träne mit dem Finger beiseite. „Es ist doch alles in Ordnung, hmm? Er hat dir doch nichts weiter getan.“

„Er hat mich angespuckt“, flüstert Toris.

„Er hat dich nicht getroffen...“

„Das ist doch egal!“, kreischt Toris und weicht ein Stück vor mir zurück. „Sie verstehen nicht, worum es geht! Sie verstehen es nicht!“

„Nein“, sage ich dumpf und wünschte, ich könnte ihm die Wahrheit sagen. Natürlich verstehe ich. Ich weiß selbst nicht, wieso ich heute nichts gegen Gilbert tun konnte. Wieso ich ihn nicht zurecht weisen konnte. Vielleicht, weil ich einen solchen Trotz nicht gewöhnt bin. Ich werde es schaffen, Gilbert seine Flausen auszutreiben, denke ich. Aber um welchen Preis?

Ich rutsche näher an Toris heran, der mir wieder den Rücken zudreht. Behutsam schiebe ich eine Hand unter sein Hemd und taste nach den Narben auf seinem Rücken. Er schaudert leicht. Manchmal glaube ich, er hat mir früher besser gefallen – bevor ich mit Gewalt dafür gesorgt habe, dass er alles tut, was ich sage. Natürlich, im Grunde gefällt er mir so, wie er jetzt ist, still und lieb und folgsam. Aber vorher war er irgendwie vollständig, einzigartig, mit einem starken Willen. Und ich glaube, deswegen konnte ich Gilbert heute nicht zurechtweisen. Er hat den stärksten Willen, der mir jemals untergekommen ist. Vielleicht will ich ihn einfach nicht zerstören, nicht zerbrechen. Wieso muss ich eigentlich immer alles zerbrechen, das ich anfasse? Ich umgebe mich mit Zerbrochenen.

„Bitte, Toris“, sage ich leise, beuge mich vor und vergrabe das Gesicht in seinem Haar. „Lass uns nicht mehr daran denken.“

Er sagt nichts und rührt sich nicht. Ich schlinge die Arme um ihn. „Was ist los, Toris? Bist du heute Abend nicht in der richtigen Stimmung?“

„Nein“, antwortet er mit einer Stimme, die zu zerbrechen droht. Ich habe ihn gut dressiert. Er weiß, dass es nur eine Situation gibt, in der er eine Aufforderung von mir verweigern darf. Es ist diese hier, und ich muss mich damit abfinden. Schweren Herzens drücke ich ihn noch einmal an mich und lasse ihn dann los. Manche Dinge machen keinen Spaß, wenn sie erzwungen werden, und nichts macht erzwungen so wenig Spaß wie dies hier.

„Also gut... dann geh ins Bett. Gute Nacht, Toris.“

„Gute Nacht“, erwidert er leise, ohne mich anzusehen. Er steht auf und geht zur Tür. Als er die Klinke drückt, zögert er noch einmal kurz, doch dann geht er hinaus und schließt die Tür wieder, ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen.

Ich seufze tief, strecke mich auf meinem Bett aus und vergrabe das Gesicht in einem Kissen. Also noch eine Nacht allein. Das muss nichts Schlechtes sein, denn wenigstens habe ich genug Platz für meine großen Knochen. Aber trotzdem hätte ich viel lieber Toris hier gehabt. Ich habe ihn gern.

Wenn er geblieben wäre, hätte ich wenigstens Gilbert vergessen können.
 

Toris

Ich habe mir schon wieder eine Auszeit genommen. Das sollte ich wohl nicht zu oft tun, um Ivans Geduld nicht auf die Probe zu stellen, aber heute Abend ging es nicht anders. Ich habe mir immer eingeredet, dass Ivan mich nicht nur als Objekt sieht, nicht nur als sein Püppchen. Als sein Mädchen für wirklich alles, das ihm nachts Gesellschaft leistet, wenn er nicht allein schlafen möchte. Ich habe mir immer einzureden versucht, dass ich ihm wirklich etwas bedeute. Immerhin ist es das, was er manchmal in mein Ohr flüstert, wenn er glaubt, dass ich schon neben ihm schlafe. Wobei es sich neben ihm herzlich schlecht schlafen lässt. Er drückt mich immer so fest an sich, dass ich glaube, er müsste mir alle Rippen brechen.

Aber wenn ihm irgendetwas an mir liegen würde, hätte er mich heute vor Gilbert in Schutz genommen. Er hat es nicht getan. Entweder hat Gilbert irgendetwas wirklich Außergewöhnliches an sich, oder es ist so, wie meine Vernunft es mir seit Jahren predigt. Du bist nur irgendjemand, Toris. Du bist unwichtig, gesichtslos, leicht zu ersetzen. Wenn du dich nicht als Erster angeboten hättest, um sein Bett zu teilen, hätte es eben Eduard getroffen oder Raivis (Gott bewahre) oder sonstwen. Es ist ihm völlig egal, wer da neben ihm liegt, solange es irgendein warmer Körper ist.

Ich versuche, nicht weiter darüber nachzudenken. Es wird mich in den Wahnsinn treiben, wenn ich nicht aufpasse. Also schlage ich möglichst schnell den Weg zu meinem Zimmer ein und versuche, an nichts zu denken. Es funktioniert schlecht.

Du bist erbärmlich, Toris. Du solltest Ivan hassen für alles, was er dir angetan hat. Es sollte dich nicht interessieren, was er fühlt. Du hast genug andere, denen du wichtig bist. Wieso bemühst du dich so um Ivan? Ausgerechnet er, der dir nun wirklich egal sein kann. Du hast Eduard, Raivis und Feliks, und Natalia, die du liebst. Was willst du denn mehr? Vergiss Ivan.

Meine Gedanken werden unterbrochen, als ich den Gang erreiche, an dem unsere Zimmer liegen. Ein gedämpftes Schluchzen dringt hinter Raivis' Tür hervor. Ich bleibe stehen und zögere einen Moment, bevor ich hingehe und die Tür öffne.

„Raivis?“

Er liegt im Bett, auf dem Bauch, das Gesicht in seinem Kissen vergraben. Er versucht, damit sein Weinen zu ersticken, aber es funktioniert nicht ganz. Seine schmalen Schultern zucken.

„Raivis“, sage ich leise und trete ein Stück näher. „Kann ich irgendetwas für dich tun?“

Er hält kurz inne und dreht den Kopf, um mich anzusehen. Seine Lippen zittern noch. Dann schüttelt er sehr langsam den Kopf und vergräbt das Gesicht wieder in dem Kissen.

Es ist nichts zu machen. Wenn Raivis sich in den Schlaf weint, ist es am Besten, ihn machen zu lassen. Ich habe meine Frage mit Absicht so formuliert, kann ich irgendetwas für dich tun, und erfahren, dass ich nichts für ihn tun kann. Wie immer. Ich glaube, ich habe seit Jahren nichts mehr für ihn tun können.

Langsam weiche ich wieder zur Tür zurück, trete auf den Gang und ziehe sie behutsam hinter mir zu. Als ich mich umdrehen will, erklingt das Geräusch eines Schrittes hinter mir in der Dunkelheit. Erschrocken fahre ich herum, drücke mich mit dem Rücken gegen die Tür und taste nach dem Lichtschalter. Die Lampe unter der Decke geht flackernd an.

„Keine Panik, Lorinaitis“, sagt Gilbert und gähnt. „Ich bin's nur.“

Ich atme tief durch und versuche, mich zu sammeln. „Gilbert. Was machst du denn hier?“

„Könnte ich dich auch fragen. Wo kommst du mitten in der Nacht her?“

„Das geht dich nichts an.“

„Ach, wahrscheinlich mal eben bei Braginsky gewesen. Knick-Knack und so weiter?“

Ich starre ihn an und spüre, wie ich rot werde.

„Nein“, sagt Gilbert ungläubig und ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. „Im Ernst?“

„Lass mich in Frieden“, sage ich zitternd.

„Okay, kein Problem. Überraschen tut's mich auch nicht so, wie es vielleicht sollte... Ist nicht mein Bier, wo du deine Nächte verbringst. Jeder so, wie er's mag.“

„Da mein Teil damit geklärt wäre, bleibt nur noch die Frage, was du hier machst“, sage ich und spüre, dass meine Wangen noch immer hochrot sind. Sie brennen förmlich. Warum schämst du dich, ausgerechnet vor ihm? Seine Meinung ist einen feuchten Dreck wert, und irgendwann hätte er es ja doch herausgefunden. Es weiß doch sonst jeder.

„Ich kann nicht schlafen, wenn Galante nebenan flennt. Warum habe ich das Zimmer neben ihm?“

„Es war sonst keines mehr frei, soweit ich weiß.“

„Kann ich bei dir schlafen?“, fragt er keck, und ich weiß, dass er etwas wie du scheinst ja nicht wählerisch zu sein hinzufügen möchte, also gebe ich ihm keine Gelegenheit dazu.

„Gute Nacht, Gilbert.“

„Gute Nacht? Schön wär's!“

Ich drehe mich um und gehe in mein Zimmer. Meine Erleichterung, weil Gilbert mir nicht folgt, kommt mir übertrieben vor. Wer ist er schon, dass er es sich erlauben kann, auf mir herum zu hacken? Mistkerl, denke ich und schließe die Tür hinter mir. Verdammter Mistkerl.

Ein dumpfer Laut erklingt von draußen, als habe jemand mit der Faust gegen eine Tür oder eine Wand geschlagen. „Ruhe da drinnen!“, ruft Gilbert halblaut.

Ich krieche ins Bett, schließe die Augen und ziehe mir das Kissen über den Kopf. Dass das Leben ungerecht ist, wusste ich, aber in letzter Zeit wird diese Ungerechtigkeit wirklich auf die Spitze getrieben. Herr, gib mir Kraft.



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