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Harmonie

von

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Jeder will irgendwohin gehören

Kapitel 24: Jeder will irgendwohin gehören!
 

Tag Eins:
 

Hermine sah Draco nicht mehr. Sie brachte es nicht über sich, ihm in die Kerker nachzugehen und ihn dort, im Beisein anderer Slytherins, zur Rede zu stellen. Geschweige denn, ihn durch einen vorbeikommenden Slytherin aus dem Kerker herausrufen zu lassen. Am nächsten Morgen war er dann weg.
 

Als sie aufwachte, hoffte sie insgeheim auf einen Brief, eine Nachricht oder sonst irgendetwas von ihm. Eine Möglichkeit, mit ihm über das sehr unglückliche Ende des letzten Abends zu reden. Doch keine Chance. Sie wusste, dass er nicht mehr in der großen Halle essen durfte. Unterricht gab es einen Tag vor den Ferien nicht mehr und auch Madam Pomfrey hatte ihn nicht gesehen. Stattdessen erfuhr sie von Harry, dass er seinerseits von Kingsley gehört hatte, dass Draco bereits zwei Tage vor Ferienbeginn abgereist war und sich noch nicht einmal gescheut habe, sich offiziell wegen „Todesserdiensten“ beurlauben zu lassen. Etwas, das ihm ja, dank seines Vaters, gewährt werden musste.

Harry hatte daraufhin geseufzt und ein leises „Die Jagd kann beginnen“, gemurmelt. Hermine tat so, als habe sie es nicht gehört.
 

Das Problem war, dass sie es natürlich doch gehört hatte und es ihr darüber hinaus nicht neu war. Draco war eine Gefahr. Er hatte genug Beziehungen, um innerhalb der Schule relativ sicher zu sein, doch schon zwei Schritte außerhalb Hogwarts war er nichts weiter als ein Problem, das es zu beseitigen galt.

Und nun sagte dieser Vollidiot auch noch, was er in den Ferien vorhatte. Provokation, reine Provokation.

Das war der Punkt, an dem Hermine sich ein Taschentuch holen musste, da ihre Augen unvermittelt feucht wurden.

Eigentlich – Hermine putzte sich die Nase und stopfte das Taschentuch zurück in ihren Umhang - hatte er recht gehabt. Sie hätte wirklich lieber mit Ron als mit ihm geschlafen. Er war nicht ihr Freund, in keiner Beziehung, sondern nur ein Mensch, mit dem sie Zeit verbracht hatte, um sich von ihren eigenen Problemen abzulenken.
 

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Draco sollte sich im Nachhinein kaum noch an diese Tage erinnern können. Hätte man ihn gefragt, hätte er nicht einmal gewusst, wie lange er im Todesserlager gewesen war. Vielleicht hätte er dann seine Finger benutzt und mit deren Hilfe murmelnd vor sich hingegrübelt, wie oft er in dieser Zeit zu Abend gegessen hatte. Dieser Versuch wäre wohl aber im Voraus zum Scheitern verurteilt gewesen, da er so gut wie nie etwas aß und es so etwas wie feste Essenzseiten sowieso nicht gab.
 

Draco apparierte noch in der selben Nacht, in der er Hermine vor Hagrids Hütte hatte stehen lassen, zu einem Haus, das Bellatrix und Rodolphus unter falschem Namen für die Todesser gekauft hatten.

Ein großes, frei stehendes Anwesen im Landhausstil. Ziemlich in der Einöde und umgeben von hohen Hecken lag es sehr geschützt, doch zusätzlich hatte man zahlreiche Abwehrzauber eingerichtet. Würde es dennoch gefunden werden, konnte man auf andere Anwesen ausweichen. Zumindest diejenigen, die einen möglichen Angriff überlebten.

Er war nicht alleine. Etwa dreißig andere Todesser waren dort, die meisten aus dem selben Grund wie er.

Strafen mussten verhängt werden und nun galt es zu bestimmen, wer wohin gehen würde.
 

Draco wusste, dass sein Vater für dieses kriegswichtige Projekt verantwortlich war. So wunderte es ihn auch nicht Lucius als seinen Vorgesetzten wiederzusehen, der durch die Räume des Anwesens ging, um alle zur Lagebesprechung zusammenzutrommeln.
 

Dies war nicht das erste Treffen, an dem Draco hier teilnahm. Schon eine ganze Weile leitete Lucius diesen Säuberungsfeldzug und wann immer es Draco zeitlich möglich gewesen war, hatte er an Einsätzen teilgenommen. Nun hatte er Ferien und somit sehr viel Zeit. Also, hier war er. Dort, wo wirklich hingehörte, oder nicht?
 

Lucius stand vor der versammelten Mannschaft und hatte eine lange Pergamentrolle mit hunderten von Namen, die Voldemorts aktuellem Propagandafeldzug schaden könnten, in der Hand. Es wurde nur ansatzweise erklärt, warum diese Leute beseitigt werden mussten, viel wichtiger war die Frage, wer wohin gehen sollte und der Befehl, dass man die Leute, zur Sicherheit auf jeden Fall umbringen sollte.

Weiterhin klärte man sie über die Gefahren durch den Orden, durch Muggel und Schlammblüter auf, die sich möglicherweise zusammentun würden, um dieses Säuberungskommando zu stoppen. Sie sollten alles, wirklich alles tun, betonte Lucius, um die Widersacher aufzuhalten.

Einsätze wurden besprochen, Teams wurden gebildet und Draco stellte stolz fest, dass sich niemand zu so vielen Einstätzen einteilen ließ wie er. Teilweise mehrmals am Tag, weshalb er auch beschlossen hatte, zwischendurch nicht nach Hause zu gehen, sondern die ganze Zeit über hier an diesem Ort zu bleiben, der mehr an ein brummendes Hornissennest denn an ein Wohnhaus erinnerte.
 

Crabbe und Goyle sollten auch bei dem ein oder anderen Einsatz mitgehen. Aber nicht nur seine beiden Freunde, auch einige andere Bekannte Dracos, wie zum Beispiel Marcus Flint, Adrian Pucey oder Montague, nebst einigen Jungen, die etwas älter waren als er und nicht in Slytherin gewesen waren. Es erfüllte Draco mit Stolz, dass sein Vater ihn vor versammelter Mannschaft anwies, auf diese Neutodesser etwas aufzupassen, da er wesentlich erfahrener und geübter in diesem blutigen Handwerk war.
 

Draco hatte selbstgefällig in die Runde junger Männer gelächelt und seinem Vater zugenickt.
 

Das war es dann aber schon mit der innerfamiliären Kommunikation gewesen. Rodolphus, der ebenfalls anwesend war, und Lucius, versuchten zwar, mit ihm nach dem offiziellen Teil ins Gespräch zu kommen, aber Draco verabschiedete sich und meinte, dass er mit seinen Schützlingen üben müsste.
 

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Tag drei:
 

Ferienbeginn.
 

Hermine war, wie abgesprochen, zu ihren Eltern gereist. Der Fuchsbau, wenn auch neu errichtet, barg zu viele Erinnerungen, die sie im Moment nicht einordnen konnte. Harry verbrachte einige Zeit dort, ab und zu war er am Grimmauldplatz und was er den Rest der Zeit machte, wollte Hermine nicht wissen.

Vermutlich war das der Hauptgrund, warum sie hier und nicht bei ihren Freunden war. Sie hätte zu viel von dem mitbekommen, was diese taten.
 

Nachdem Hermine geschlagene zwei Stunden ruhelos in ihrem Zimmer auf und abgegangen war, beschloss sie, sich zu ihren Eltern ins Wohnzimmer zu begeben, um dort eventuell weiterzuwandern.

Sie machte sich nämlich keine Sorgen. Sie war nicht nervös und deswegen gab es auch keinen Grund, hier stundenlang alleine mal die eine, dann die andere Wand anzustarren.
 

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Draco starrte zu Alecto und Amicus Carrow, die heute mit ihm in diesem Muggelhaus gewesen waren. Er hatte Kopfschmerzen. Alecto sagte irgendetwas und Amicus lachte. Draco lachte pflichtschuldig mit, weil er das Gefühl hatte, dass dies eine witzige Bemerkung sein sollte.

Er stand auf und wankte aus dem Zimmer hinaus, um sich draußen auf der Veranda auf die Treppe zu setzen. Tief durchatmen.

Ein Blitz ließ Draco zusammenzucken und herumwirbeln. Snape kam mit wehendem, schwarzem Umhang auf ihn zu, blieb vor ihm stehen und sprach ihn an. Draco zuckte die Achseln und deutete auf seine Ohren. Ihm waren vorhin beim Einsatz die Ohren zugefallen, er hörte nichts.

Snape verzog den Mund, griff in seine Tasche und reichte Draco einen neuen Lederbeutel. Dann rauschte er an Draco vorbei ins Innere des Hauses.

Draco blieb auf der Veranda zurück und inspizierte den Inhalt des Beutels. Alles zu seiner Zufriedenheit. Sogar mit Auffüllzauber… in letzter Zeit waren seine Beutel so schnell leer. Er nahm eine der Pillen heraus, warf sie sich in den Mund und folgte Snape ins Haus.
 

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Tag Vier:
 

„Hermine!“, rief ihre Mutter und zupfte ungeduldig an ihrem Shirt. „Hermine, dein Essen wird kalt!“
 

Hermine zuckte zusammen und drehte sich vollkommen perplex zu ihrer augenrollenden Mutter um. Mutter wie Vater hatten bereits ihre Teller geleert, wohingegen Hermine sich noch nicht einmal erklären konnte, wer ihren üppig gefüllten Teller beladen hatte.

„Wirklich, Kind!“ Hermines Mutter schüttelte den Kopf und schnaubte missbilligend. „Ich frage mich, wo du mit deinen Gedanken bist!“
 

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„Ich hab einen!“, rief Draco stolz und reckte die Arme in die Luft. Crabbe verzog die Mundwinkel nach unten und nuschelte etwas unverständliches.

„Noch einen!“, frohlockte Draco, hob den Zauberstab und zielte erneut. „Getroffen!“

Goyle, der auf der anderen Seite neben ihm saß, sah etwas käsig um die Nase aus. Sein Zauberstab zitterte so stark, dass er bis jetzt nichts außer Blumen und Büschen getroffen hatte.
 

Draco, Crabbe und Goyle saßen gemeinsam mit Marcus Flint und Mulcibers Sohn, Marcellus, auf einem Mauervorsprung und übten an einer Gruppe Männer, die sie mittags gefangen genommen hatten, das Zielen.

Draco verengte die Augen, positionierte seinen Zauberstab und…
 

„Getroffen!“ Marcellus lachte und stieß Draco in die Seite. „Üben, Kleiner. Selber üben… Bei dem war ich schneller!“
 

Draco verzog den Mund und betrachtete den unter ihm liegenden, toten Körper eines Mannes. Er war gut, besser als dieser Vollidiot Marcellus. Er würde den anderen schon zeigen, auf wenn sie sich verlassen konnten. Wer der Bessere war…
 

Nur aus Prinzip richtete er den Zauberstab noch einmal auf den toten Pius Thicknesse und schoss abermals einen Fluch auf ihn ab.
 

Crabbe stöhnte und hielt sich die Hände an die Ohren. Marcellus, Marcus und Draco lachten.
 

Anfänger!
 

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Tag sechs:
 

Hermine las den Brief in ihren Händen mit fieberhaftem Eifer. Ihre Hände krallten sich um das Pergament und ihr Atem ging stoßweise im Takt der gelesenen Worte. Es war nicht ganz einfach, ihre Hände zitterten, wie immer, wenn Hedwig ihr einen Brief von Harry zu den aktuellen Ereignissen brachte.
 

„Sag mal, Hermine“, sagte ihr Vater freundlich, den sie eben erst neben sich auf der Bank im Garten der Grangers bemerkte. „Hast du dich eigentlich mal wieder mit jemandem getroffen seit… Nun ja, gibt es da etwas Neues?“
 

Hermines Magen zog sich zusammen. Es hatte Kämpfe gegeben und Tote. Namen standen keine dabei.
 

„Nein!“, sagte Hermine matt, faltete die Nachricht zusammen und stopfte sie in ihre Hosentasche. „Nichts Neues!“
 

„Ist auch besser so!“ Ihr Vater klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter und lächelte ihr freundlich zu. „Man muss solchen Dingen Zeit geben. Wenn man da etwas überstürzt, macht man sich am Ende nur unglücklich!“
 

Hermine nickte.
 

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Draco stand im Badezimmer des „Säuberungskommandos“ und wusch sich die Hände. Vielleicht seit einer Stunde oder länger. Sein Zeitgefühl funktionierte im Moment nicht so gut.

Sie waren an diesem Tag auf einem Kindergeburtstag gewesen. Eine Frau hatte geweint, Kinder hatten geschrien und irgendwann war ein nervös wirkender Mann entweder ins Zimmer hinein oder hinaus gelaufen. Draco war da nicht so sicher.

Die Antwort war aber auch nicht wichtig. Er kramte in seinem Umhang nach dem kleinen, schwarzen Lederbeutel, der bis obenhin prall mit lustigen, violetten Pillen gefüllt war. Er nahm eine davon heraus, schluckte sie, spülte mit etwas Wasser nach und verließ das Badezimmer, um jemanden zu suchen, mit dem er Karten spielen konnte.
 

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Tag Acht:
 

Ein schöner Tag im Mai. Draco saß an einen Baum gelehnt, wo er vor der Mittagssonne Schutz gefunden hatte und knabberte genussvoll an den letzten Überresten eines herrlich süßen Apfels.

Er ließ sich etwas weiter nach hinten sinken und schloss die Augen. Geistesabwesend fuhren seine Finger über seine Brust. In Gedanken war er nicht hier, sondern in der Heulenden Hütte, wo Hermine bei ihm im Bett lag, die buschigen Haare auf seiner Brust, ihren Arm auf seinem Bauch und… schnarchte.

Er grinste bei der Erinnerung daran und kribbelte ein wenig an seinem Umhang herum, weil er sich gerade vorstellte, wie er sie am Ohr kraulte. Sie hatte vehement abgestritten, in ihrem Leben auch nur ein einziges Mal geschnarcht zu haben.
 

Neben ihm kotzte sich Adrian Pucey gerade die Seele aus dem Leib. Draco war nicht so ganz klar warum und er hatte auch keine Lust, mit Flint darüber zu reden. Adrian war ein Anfänger, der musste da durch, wie Draco damals auch.
 

Draco nahm eine weitere Pille und ließ Adrian mit einem Eimer und seinem Brechreiz alleine. Er ging lieber zu Crabbe und Goyle, die hatten Feuerwhisky besorgt.
 

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Hermine saß im Garten der Weasleys und würgte an ihrem Apfelkuchen herum. Harry hatte den Weasleys Geld „geliehen“, damit sie den Fuchsbau neu errichten konnten. Angeblich, da er nach Schulschluss gerne in das Haus am Grimmauldplatz ziehen würde und dort in Ruhe an etwas Wichtigem arbeiten müsste.

Vermutlich aber auch, weil ihm die obdachlose „Schwiegerfamilie“ von Herzen leid tat. Nun wurde jedenfalls die Neuerrichtung gefeiert und Hermine feierte mit.
 

Sie feierten, sofern dies angesichts der politischen Lage überhaupt möglich war. Die Gespräche kreisten um Intrigen, Anschläge, Lügen und Angriffe. Gestern zum Beispiel hatte man ein Scharmützel mit einer Gruppe Todesser ausgefochten, die gerade dabei gewesen war, eine Muggelfamilie zu terrorisieren. Die Todesser benutzten unverzeihliche Flüche und der Orden hatte sich gewehrt.
 

„Malfoy war nicht dabei“, raunte Harry Hermine verstohlen zu, während alle anderen darüber klagten, wie sehr doch der Tagesprophet diesen Zwischenfall verdreht hatte.

Hermine schloss die Augen, atmete tief durch und zwang sich, das verräterische Lächeln, das sich auf ihre Lippen stehlen wollte, zurückzudrängen.

„Warum sagst du mir das?“, fragte sie, so beiläufig wie möglich und stopfte sich noch einen weiteren, geschmacklosen Bissen Kuchen in den Mund. Kuchen, der jedem hier am Tisch ausgezeichnet schmeckte, nur Hermine, die schmeckte gar nichts.

„Einfach so“, erwiderte Harry beunruhigend leise und zuckte die Achseln. „Er ist ja in unserem Jahrgang, nicht? Ich dachte du wolltest wissen, wer nach den Osterferien noch lebt und wer nicht mehr nach Hogwarts zurückkommt.“
 

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Tag Neun:
 

Es war bereits Nacht, denn Draco sah am schwarzen Himmel ein kunstvolles Feuerwerk leuchten. Er hatte keine Angst. Mit den Pillen hatte er solche Probleme nicht. Meistens. Der Tag war erfolgreich gewesen. Irgendein offener Kampf gegen Muggel war fast ohne Verluste überstanden und Lucius hatte es wohl irgendwie geschafft, den Zaubereiminister Scrimgeour zum Selbstmord zu überreden.
 

Deswegen wurde gefeiert. Ein bereits recht angetrunkener Lucius stand hier draußen, an einen Baum gelehnt neben Draco und fragte ihn, ob er nicht nachher mit ins Manor kommen wolle. Niemand wäre jeden Tag beim Säuberungskommando. Draco hätte schon sehr gut gekämpft und sollte sich die letzten Ferientage frei nehmen, um sie mit seiner Familie zu verbringen.
 

Draco lehnte mit der Begründung ab, dass es ja genau darum ginge. Keine Zeit mit der Familie zu verbringen, deswegen war er ja hier. Lucius ließ ihn dann alleine und war am nächsten Morgen, als Draco verkatert, unweit des Baumes, neben einer zerbrochenen Flasche Absinth aufwachte, natürlich schon längst weg.

Stattdessen war Goyle in seiner Nähe, der sich zitternd die Ohren zuhielt und mit panisch wilder Mimik irgendetwas murmelte.
 

Draco ließ ihn sitzen, um sich zu duschen und Pillen zu holen. Goyle sollte auch welche nehmen. Das machte vieles leichter.
 

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Es war bereits drei Uhr Nachts. Hermine saß inmitten von etwa dreißig verschiedenen Zeitungen und kämpfte sich verbissen durch das Meer der darin enthaltenen Artikel. Muggelzeitungen wie Zaubererzeitungen, selbst den Klitterer, hatte sie für die Ferienzeit abonniert.
 

Sie machte sich keine Sorgen. Das hatte rein gar nichts mit Draco zu tun. Es ging doch darum, welche Personen von ihrer Seite in einem Kampf mit Todessern verwickelt waren. Aber über so etwas schrieben die Zeitungen ja nichts. Vermutlich Zensur. So durchkämmte sie Zeile um Zeile, in jedem einzelnen Artikel über Kämpfe, Morde, Selbstmorde oder merkwürdige Begebenheiten. Unzählige, zu viele und zu oberflächlich beschrieben, um diese Vorkommnisse bestimmten Personen zuschreiben zu können.
 

Nicht alle verstorbenen Personen wurden namentlich genannt. Hermine warf den Tagespropheten weg und fischte stattdessen einen von Lunas Briefen aus einem Berg von Eulennachrichten heraus. Luna berichtete, dass der Minister bei seinem Selbstmord rosa Spitzenunterwäsche getragen hätte, ein Detail, das der Tagesprophet nicht genannt hatte und sie weshalb davon ausging, dass er an der grünen Gehirnpest gelitten hätte.

Möglicherweise, so schrieb Luna, könnte er natürlich auch von einem Todesser durch den Imperiusfluch dazu gezwungen worden sein.

Lunas Brief flog auf einen Stapel anderer Briefe. Hermine angelte nach einer anderen Tagesprophetenausgabe, auf deren Titelbild ein breit grinsender Lucius Malfoy neben einer noch breiter lächelnden Bellatrix Lestrange stand, die beide tröstend versicherten, dass man Neuwahlen anstreben würde, da der stellvertretende Minister, der das Amt nun inne hatte, ja nur eine Übergangslösung sei.
 

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Tag elf:
 

Draco und einige andere, ebenso betrunkene Todesser, tanzten ausgelassen um einen brennenden Charly Weasley herum.

Die zehn lodernden Scheiterhaufen, die man auf die Schnelle in der sternenklaren Nacht errichtet hatte, leuchteten wie bengalische Feuer und erhellten das Dunkel.

Man hatte das aktuelle Hauptquartier des Ordens gefunden. Sicher, es waren auch einige Todesser gestorben, Marcellus und Alecto zum Beispiel, aber immerhin hatte man nicht nur zehn Menschen, sondern auch Unterlagen zu Ordensplänen mitnehmen können.
 

Hestia Jones schrie noch immer. Draco lachte und öffnete seine Hose. Ein Spaß, den er, Flint und Pucey schon ein paar Mal gemacht hatten. Scheiterhaufen anzupinkeln und dabei dämliche Witze über‘s „Feuerlöschen“ zu machen.
 

Bellatrix tanzte mit hoch erhobenen Armen durch die Reihen der schreienden Feuerfackeln und sang. Immerhin war dieses Schauspiel hier ihre Idee und ihr Werk gewesen, an dem sich die anderen erfreuen durften.
 

McNair konnte dabei sogar onanieren.
 

Draco hatte es auch versuchen wollen, aber dann war ein wütender Snape aus dem Nichts erschienen, hatte ihm eine Ohrfeige verpasst und ihn weggescheucht.
 

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Hermine hielt sich die Hände an die Ohren und sank weinend zu Boden. Es war zum Wahnsinnigwerden. Sie saß hier und konnte gar nichts tun. Wieder und wieder hatte sie Harrys Eulennachricht gelesen. Kurz nachdem er im Fuchsbau bei den Weasleys eingetroffen war, hatte er ihr diese Nachricht geschrieben.

Er war bei dem Überfall auf Bill und Fleurs Haus nicht dabei gewesen, so hatten seine zittrigen Finger mit krakelig-aufgewühlter Schrift auch nur das aufs Pergament kritzeln können, was er von Lupin und Bill erfahren hatte.
 

Charly war tot. Ebenso Hestia Jones, Lee Jordan und viele andere, deren Namen Hermine nicht mehr auf dem Pergament nachlesen konnte, da die Tinte von ihren Tränen bereits zu verschwommen war.

Hermine biss sich auf die Handballen, um nicht laut herauszuschreien. Sie krallte sich die Hände in die Haare und riss daran.
 

Zuerst dieser seltsame Schattenminister, dann die neuen Verordnungen zur „vernunftmäßigen Beaufsichtigung nicht magie-stämmiger Menschen“ und nun das.
 

Harry hatte geschrieben, dass einige Todesser getötet worden waren. Teilweise von ihren eigenen Leuten, die ihre Mitstreiter wohl lieber tot als in den Händen des Ordens sehen wollten. Harry schrieb, dass man einige trotzdem hatte gefangen nehmen können. Harry schrieb: „Malfoy war auch dabei!“
 

Und nun? Wo war er dabei gewesen? Bei denen, die getötet worden waren oder bei denen, die getötet hatten? Oder war er ein Gefangener? Grauenhafte Bilder, die Draco ihr durch seine Beschreibungen des gefolterten Wurmschwanzes gezeichnet hatten, drängten sich in ihren Geist.
 

Das hatte er sie doch gefragt: „Willst du, dass ich auch ohne Zunge und Fingernägel dastehe und an meinem eigenen Blut ersticke?“
 

„Nein!“, schluchzte Hermine und presste ihren Kopf gegen die Knie. „Ich will dich einfach nur hier bei mir haben. Sonst nichts!“
 

Draußen klopfte ihre Mutter gegen die Tür. „Hermine, kommst du? Mach dich fertig, wir gehen jetzt gleich essen!“
 

Hermine wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und beruhigte ihre Stimme. „Geht ohne mich. Ich will noch mal Freunde besuchen!“
 

„Oh!“, hörte sie ihre Mutter hinter der Tür etwas enttäuscht antworten. „Bist du heute Abend wieder da?“
 

„Natürlich!“
 

Natürlich, ihr Vater hatte heute Geburtstag, das wurde groß gefeiert. Aber jetzt musste sie einfach in den Fuchsbau. Erstens, um den Verzweifelten dort beizustehen, zweitens, um vielleicht zufällig herauszubekommen, ob Draco noch lebte.
 

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Tag fünfzehn:
 

Er würde sterben.
 

Jetzt!
 

Draco lag mit ausgestreckten Armen auf dem Bauch. Er drückte sein Gesicht ins Gras, versuchte sich so platt wie möglich zu machen und schrie um sein Leben.
 

Vorhin hatte es geregnet, so dass der Boden aufgeweicht, matschig war und sehr intensiv nach allem roch, was dort wuchs. Grashalme bohrten sich ihm in die Nase, sein Mund war voller Erde und seine Hände gruben sich in Matsch.
 

Er, Crabbe und Goyle waren gerade im Garten des Säuberungskommandos gewesen, um dort an ihren Flüchen zu üben, als aus dem Nichts die Bombe eingeschlagen war.

Sie schlug in der unmittelbaren Nähe Dracos ein, fraß ein kratergleiches Loch in den Boden und hob ihn mit der Wucht ihres Aufpralls von den Füßen.
 

Er schmeckte bittere Erde zwischen seinen Zähnen. Etwas stach in seine Zunge und erst jetzt spürte er, dass er sich die andere Hand an einer Distel verbrannt hatte.
 

Schreie!
 

Laut, grell und voller Panik.
 

Flüche jagten in Sekundenabständen über seinen Kopf. Er hörte Menschen rennen, sah schwarze Schuhe über den Rasen stürmen, aber er konnte seinen Kopf kaum anheben.

Etwas Schweres, Heißes hatte ihn getroffen. Nein, nur gestreift und schon jetzt roch er sein angesengtes Haar, das von der Energie des Fluches verschmort worden war.
 

Sie waren überall. Hunderte vielleicht. Jeder einzelne von ihnen schoss unablässig Flüche ab, während er, Draco, mitten im freien Feld lag und weder zum Haus zurück noch in den Wald hineinrennen konnte, da jeder Zentimeter um ihn herum von Flüchen und Explosionen heimgesucht wurde.
 

Es gab einen Knall und die Erde bebte. Unter ihm waberte der Boden, als würde er hier nicht im grünen Gras, sondern auf einem überdimensionalem Wackelpudding liegen. Der sekundenlange, alberne Gedanke an Pudding wie die panische Angst vor einem möglichen Erdbeben waren aber beide nur Ausgeburten seines verwirrten Gehirns, denn das, was den Boden zum Leben erweckte, war nur die Wucht von unzähligen Explosionen, die um ihn herum das Grundstück zerrissen.
 

Sein Zauberstab lag eine Armlänge von ihm weg. Draco trippelte mit den Fingern nach vorne, doch gerade als er ihn fast erreicht hatte, gab es eine erneute Explosion und etwas Schweres, brennend Heißes fiel auf ihn.
 

Mehrere Bäume krachten. Draco weinte und womöglich hatte sich gerade seine Blase entleert. Er versuchte wieder die Hand auszustrecken, bis…
 

Zack!
 

...ein feuerheißer Blitz über seine leicht erhobene, ausgestreckte Hand raste.
 

Es war, als würde er in tiefem Wasser tauchen und nicht mehr wissen, wo oben und unten war. Er lag hier inmitten von allem und über, unter, neben ihm schossen Flüche, wie ein infernales Höllenfeuer.
 

Hinter ihm schrie jemand, vor ihm, neben ihm… und sie fielen. Überall kippten Menschen wie Bäume um. Mauerteile und Holzsplitter und einfach alles, was hier gestanden hatte, wurde von der Wucht des Kampfes aufgefressen.
 

Ein Körper wurde neben ihn geschleudert. Draco schrie. Er konnte nicht weg. Der Kampf hatte ihn unvermittelt an der schlechtesten aller Stellen ereilt. Bei dem letzten Einsatz waren sie überrascht worden. Jemand hatte Amicus überwältigt. Draco hatte ihn bereits für tot gehalten, weil er gänzlich von Blut überströmt war und sich angepinkelt hatte, sonst hätte er den Körper, den die Auroren mit sich schleiften, doch mit einem letztem Fluch zerfetzt, bevor er floh.

Offensichtlich hatte Draco sich geirrt, denn Amicus hatte wohl noch lange genug gelebt, um den Standort des Säuberungskommandos preiszugeben. Wie auch immer die Auroren durch die Fideliuszauber gekommen waren, sie hatten es jedenfalls geschafft.
 

Sein Vater hatte es doch gesagt. Es war möglich. Würde man sie hier finden, zögen sie eben woanders hin. Nur dumm für die, die während der Zerstörung gerade dort waren. So wie Draco jetzt, der abermals vor Schreck wie ein Tier aufschrie, als ein umgestürzter Baum nur wenige Zentimeter vor ihm niederkrachte.
 

Holzsplitter, Laub und diverse Tiere prasselten vom Himmel herunter.
 

Ein erneuter Einschlag und Draco sah einen Körper fliegen. Er erinnerte sich daran, dass der Dunkle Lord selbst ohne Zauberstab fliegen konnte und er diese Kunst wohl auch an diverse Todesser weitervermittelt hatte. Aber dies hier war kein Flugschüler des Lords, denn der dicke, schwerfällige und doch federleicht über ihn hinwegsegelnde Körper, hatte keinen Kopf.
 

Wie in Trance drehte Draco sich mit dem unbekannten Flugobjekt mit und
 

„Aaah!“
 

sah sich dem abgetrennten Kopf gegenüber, der wie eine behaarte Bowlingkugel ebenfalls durch die Luft geflogen war und nun direkt auf seiner ausgestreckten Hand landete.
 

Draco schrie, und schrie, und schrie und die Schreie, die er um sich herum noch hörte, mochten vielleicht sogar das letzte sein, was Goyles weit aufgerissener Mund von sich gegeben hatte.

Seine Zunge hing heraus und er sabberte oder blutete auf Dracos Hand. Scharfe Zähne bohrten sich in Dracos Finger. Als wäre ein Messer auf Draco gelandet, bohrten sich Goyles Schneidezähne in Dracos Fleisch.
 

Es qualmte und der Geruch nach verbranntem Fleisch ließ in Draco das Gefühl aufkommen, dass er hier als Steak auf dem Grill einer besonders heißen Barbecueparty lag. Heiß, sehr heiß. Die Wälder brannten. Immer wieder Rufe, Schreie… Ein weiterer Baum krachte und Draco sah hunderte von brennenden Blättern, die wie ein goldenes Feuerwerk auf ihn herunterregneten.
 

Ein brennendes Blatt traf seine freie Hand. Er schrie auf und schlug das Feuer aus. Ein anderes Blatt landete direkt vor seinem Gesicht, ein weiteres auf Goyles Haaren. Sie durften das nicht tun. Goyle würde sich verbrennen. Er zog die Hand unter dem leblosen Mund heraus und schlug Goyles glimmendes Haar aus.
 

Jetzt, da er sich ein wenig aufgerichtet hatte, sah er eine Person etwas weiter von ihm entfernt stehen. Crabbe, er musste mit Goyle hinter einem Baum gestanden haben, doch die Bäume um ihn herum waren zu Sägespänen und Streichhölzern gesprengt worden. Nur noch Crabbe stand wie ein großes, dickes Denkmal zwischen all dem Feuer und all der Zerstörung. Draco deutete ihm an, sich hinzulegen. Er schrie es, vielleicht, und wedelte mit der Hand um Goyles Kopf herum. Doch Crabbe sah einfach nicht her. Er stand nur still da und starrte ins Nichts und dann, als ein weiterer Fluch durch die Luft zischte, glühte Crabbe auf wie ein vergehender Stern und explodierte letztendlich mit einem lauten Plopp, wie eine übervolle Wasserbombe.
 

Von der Mitte heraus riss es Crabbe auseinander. Ein zweiter Fluch, und Crabbes Kopf explodierte wie eine Wassermelone, die man auf den Boden geschmissen hatte.

Wie in Zeitlupe sah Draco Haut, Finger, Zähne, Därme und Füße gleich einem bluttriefenden Schmetterlingsschwarm durch die Luft schwirren.
 

Schwärze umfing ihn.
 

Draco war wieder wach.
 

Die Flüche waren verstummt. Er sah einige schwarz gekleidete Gestalten auf der Wiese, die aussah, als ob man darauf Leichen gepflanzt hätte, umher huschen.
 

Jemand fiel neben ihm auf die Knie und zog ihn hoch. Draco sah unverwandt in graue Augen, die er keiner Person zuordnen konnte. Er wusste nicht wer das war, der ihn schüttelte, ihm irgendetwas zurief und ihn an sich drückte.
 

Weil er es nicht wusste, wollte er das auch nicht haben. Der Mann sollte weggehen. Er drückte ihn entschieden von sich, angelte nach Goyles Kopf und rappelte sich auf.
 

Um ihn herum lagen so viele zerstörte und zerfetzte Körper. Goyles Körper war hier sicher auch zu finden. Er hob den Kopf mit den schlaffen Augenlidern und der heraushängenden Zunge hoch, sah ihn an und lächelte zuversichtlich. „Mach dir nichts daraus. So kaputt bist du ja gar nicht. Wir suchen einfach deine untere Hälfte und dann klebe ich dich wieder zusammen.“
 

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Dracos Sicht verschwamm, wurde wieder klarer, verschwamm erneut. Ebenso seltsam war es mit seinem Gehör. Er hörte die meiste Zeit nur undeutliches Genuschel in einer Sprache, die seine oder eine ganz andere sein konnte. Vielleicht hatte er ja seine eigene Muttersprache verlernt, weil er Worten, die ihm dunkel bekannt vorkamen, keinen Sinn zuordnen konnte.
 

Vorhin war noch ein dritter Mann im Raum gewesen. Der war aber gegangen, nachdem Draco das mit dem Kopf und dem Körper erklärt hatte. Vielleicht wollte er ja suchen helfen?
 

Draco hielt das für durchaus möglich. Er lehnte sich nach vorne und wiegte seinen Körper, im Takt des in seinen Händen hin und her baumelnden Kopfes, hin und her. Er summte eine Melodie dazu und überlegte, dass er diesen Leuten hier irgendwie begreiflich machen musste, dass die Sache mit einem einfachen „Reparo“ doch sicher erledigt wäre. Wahrscheinlich lag es wirklich daran, dass er die englische Sprache nicht mehr beherrschte. Sonst hätten sie ihn doch verstanden, oder?
 

Ein schwarzhaariger Mann kam zu ihm und hielt ihm ein Glas vors Gesicht. Draco riss seinen gebannten Blick von Goyles baumelndem Kopf los, und sah das Glas unverwandt an. Der Mann sagte etwas, wirkte begierig darauf, dass Draco seinen Anweisungen folgte. Sollte er trinken?

Der Mann stieß ihm mit dem Glas gegen die Stirn, doch Draco fühlte immer noch kein Bedürfnis, aus der sanften Wiegebewegung, in die er verfallen war, herauszukommen.
 

Ein anderer Mann erschien. Kannte er den nicht? Vielleicht, das war im Moment egal. Der andere Mann packte ihn und Draco hätte sich wehren könnten, doch dann hätte er den Kopf ja loslassen müssen und überhaupt schien es im Moment unerträglich mühselig, seinem Körper den Befehl zu erteilen, sich in einer bestimmten, koordinierten Weise zu bewegen. Der eine Mann, Draco konnte sie nicht auseinander halten und es war ihm auch egal, hielt ihn fest. Der andere drückte ihm den Kopf in den Nacken und schüttete ihm den Inhalt des Glases in den Rachen. Draco schluckte gehorsam, da es ihm eigentlich egal war, was er hier trank. Er hatte nur keine Lust gehabt, den Arm zu heben, um das Glas zu nehmen.
 

Die Männer ließen von ihm ab und Draco sackte wieder nach vorne zusammen, um summend Goyles Kopf zu betrachten. Das Brummen in seinen Ohren wurde etwas lauter und vibrierte.

Der dritte Mann kam ins Zimmer. Groß, mit langen, blonden Haaren. Die beiden dunkelhaarigen Männer gingen zu ihm. Einer setzte sich neben ihn, der andere lehnte sich gegen die Wand und alle drei murmelten wichtig klingende Dinge.
 

Vielleicht sprach dieser blonde Mann eine andere Sprache, und die schwarzen Männer passten sich an, denn langsam hatte Draco das Gefühl, ihre Worte besser zu verstehen.
 

Ein Mann sagte: „Sieh ihn dir doch an. Der kriegt doch gar nichts mehr mit. Er hat die letzten Tage kaum geschlafen und die Drogen machen alles nur noch schlimmer. Dem läuft das Zeug doch schon zu den Ohren raus… Und diese ganze Woche und heute… vor allem heute… er ist erledigt, Lucius.“
 

Der Name Lucius erinnerte ihn an etwas, er wusste nur nicht, woran. Der andere Mann, der, der stand, ergriff jetzt das Wort. „Er wollte ihn wieder zusammenkleben. Lucius…wirklich. Er reißt sich um jeden Einsatz, den er kriegen kann. Du selbst warst im letzten Jahr vielleicht gerade mal halb so oft dabei. Keiner von uns hat so viel gekämpft. Wirklich… er hat viel getan und er hat es meist gut gemacht, aber jetzt dreht er durch.“
 

Draco hustete und wischte sich mit der freien Hand übers Gesicht. Irgendetwas klebte an seiner Augenbraue, er wusste nur nicht so recht was. Die Gespräche der Männer wurden lauter und deutlicher. Etwas überrascht stellte er fest, dass er diesen Ort doch kannte. Er war hier schon einmal gewesen. Vor einem der Einsätze… es war nicht das Manor, das wüsste er. Es war…. das Wohltätigkeitszentrum?

Er hob den Kopf und sah sich verwirrt im Raum um. Ja, sie waren hier in dem Büro des angeblichen Zentrums für Zaubererwohlfahrt. Dort hinten, an den Schreibtisch gelehnt, stand sein kreidebleicher Vater, der ihn mit starrem Blick ansah. Daneben saß Snape und der dritte, Rodolphus, stand mit überkreuzten Armen an der Wand gelehnt.
 

Snape sprach direkt zu Lucius und obwohl er saß und Lucius stand, schien er doch im Moment der Überlegene zu sein, denn Lucius‘ Gesicht wirkte deutlich angespannt. „Er darf ihn nicht so sehen, Lucius. Es wäre nicht gut, wenn er ihn sieht. Du weißt, was sie mit ihm machen würden. Schick' ihn weg. Sag einfach, dass es wegen der Schule ist oder weil Narzissa ihn sehen will. Es ist doch egal, solange es einigermaßen glaubhaft ist. Schaff ihn hier fort, bevor ihn jemand außer uns sieht!“
 

Lucius nickte bedächtig und seufzte. Draco wurde sich gerade darüber klar, dass man wohl über ihn redete, als er auf einmal, wie aus dem Nichts, den direkt vor ihm knienden Lucius sah, der ihm vorsichtig Goyles Kopf aus den Händen wand und zu Boden legte. „Draco?“
 

„Ja?“
 

„Weißt du jetzt wieder, wer ich bin?“
 

Draco zuckte mit den Achseln. „Natürlich, Vater!“
 

Lucius nickte, drehte sich zu den beiden anderen um und verzog das Gesicht. „Natürlich…“ Er seufzte schwer und deutete auf den Kopf vor seinen Knien. „Erlaubst du, dass ich dir das abnehme und nach draußen bringe?“
 

Draco zog die Schultern hoch und umschlang sich selbst. Er wollte seine Hände, die eben noch mit dem Kopf gespielt hatten, nicht mehr sehen. Sie waren beschmutzt und das, was daran klebte, machte ihm Angst. Er nickte zaghaft und setzte sich möglichst gerade hin, um den zu seinen Füßen liegenden Kopf nicht sehen zu müssen.
 

„Nun denn, Draco. Ich denke, du hast hier genug getan. Ich möchte, dass du jetzt gehst und…“
 

„Aber wir sind doch noch nicht fertig und die Ferien…“
 

„Wir sind auch nach den Ferien nicht fertig, Draco!“, würgte Lucius ihn entschieden ab, hob Goyles Kopf hoch und drückte ihn Rodolphus, der auf einmal hinter ihm aufgetaucht war, in die Hand. „Wir werden hier noch einige Wochen weiter… weiter… nun ja… Einsätze durchführen. Du bist noch in der Schule, wir wissen alle darum. Geh‘ nach Hause und lerne für die Prüfungen. Du…“, Lucius schluckte hart und kratzte sich etwas nervös wirkend an der Nase. „Geh jetzt nach Hause und schlaf dich aus. Wenn du wieder fit bist dann… nun ja. Dann... Geh jetzt, nach Hause oder von mir aus auch zurück in die Schule. Aber für dich ist heute Schluss!“
 

Draco atmete tief durch und spähte nervös zu der offen stehenden Tür, durch die Rodolphus gerade verschwunden war. Er würde nicht gehen, wenn der dort mit dem Kopf stand und auf ihn wartete. Aber Rodolphus war weg und mit ihm Goyles Kopf, den er nur wenige Minuten vorher noch als morbides Bau-Set behandelt hatte. Lucius erhob sich ächzend, zog ein für Draco nicht zu entzifferndes Gesicht und tätschelte ihm die Schulter. Draco wich unwillkürlich vor seinem Vater zurück.

Er rutschte auf dem Sofa etwas zur Seite, soweit, dass Lucius ihn nicht mehr anfassen konnte, ohne ebenfalls zu Seite zu gehen. Lucius hatte ohnehin etwas anderes vor. Er ging zu Snape zurück und nun standen beide vor dem Schreibtisch und betrachteten ihn neugierig mit verschränkten Armen.
 

Sie wirkten wie Wissenschaftler, denen ein sehr schwieriges Experiment zwar geglückt war, dessen Ergebnis sich jedoch als fatal herausgestellt hatte. Er ertrug diesen Blick nicht. Er kannte ihn zu gut, denn mittlerweile sah ihn doch jeder mit dem „Draco ist verrückt“ -Blick an.

Ohne weitere Worte erhob er sich und eilte so schnell aus dem Raum, dass man schon von einer Flucht sprechen konnte.
 

Bevor er endgültig ging, stattete er den Toiletten im Keller einen Besuch ab. Neben den Türen waren kistenweise Elfenwein und Feuerwhisky hoch gestapelt. Auch zahlreiche andere Alkoholika und nichtalkoholische Getränke waren hier, vielleicht für irgendwelche weiteren Empfänge oder politische Versammlungen, deponiert. Draco fischte eine Flasche Elfenwein heraus und ging.
 

Er musste sich Mut antrinken für den Ort, den er nun aufsuchen würde. Selbst wenn er für Hermine nur eine Notlösung war, sie war nett zu ihm gewesen und er hatte zumindest nicht das Gefühl, dass sie ihn hasste. Das war immerhin mehr, als er von allen anderen Leuten, zu denen er hätte gehen können, behaupten konnte.
 

Xxx
 

Hermine kam mit ihren Eltern gerade vom Einkaufen zurück. Sie waren gemeinsam in ein großes, teures Bekleidungsgeschäft gefahren. Hermine brauchte zu ihrem größten Bedauern etwas weitere Hosen, wohingegen BH’s und Shirts leider kein Stückchen enger saßen als schon vor drei Jahren.

Nichts, was wirklich weltbewegend gewesen wäre. Auch wenn ihre Mutter mit Mitte vierzig noch in Größe vierunddreißig hineinpasste, hatte Hermine andere Sorgen als drei Kilo mehr oder weniger. Allerdings war nette Kleidung auszusuchen und sie von ihren Eltern bezahlen zu lassen immerhin etwas Ablenkung.
 

Nichts war schlimmer als dieses ewige Herumsitzen und Nichtwissen. Einerseits bereute sie, ihre Ferien nicht doch bei ihren Freunden verbracht zu haben, andererseits war es nach wie vor schmerzhaft dort zu sein, wo sie mit Ron viele glückliche Stunden verbracht hatte. Und nun Charly und die anderen… Es war schon gut so. Aber dennoch war es quälend, nicht an der Quelle der Informationen zu sitzen. Sie eulte täglich mehrmals mit Harry, des Öfteren mit Luna und Neville und auch Lupin hatte sich mit ihr über die aktuellen Geschehnisse ausgetauscht.
 

Geschehnisse, die ihre Eltern zwar ansatzweise durch die Muggelnachrichten erahnen konnten, die Hermine aber dennoch nicht näher erklären und kommentieren wollte. Ihre Eltern würden das sowieso nicht verstehen, sie verstanden doch nie etwas.
 

Hermine schlurfte mit hängendem Kopf vom Auto weg. Mum und Dad standen noch bei einigen Nachbarn, um sich mit denen über diese merkwürdigen Terroranschläge in der letzten Zeit zu unterhalten.
 

Geistesabwesend betrachtete sie ihre Füße. Ein Fuß vor, dann der nächste, dann wieder ein Fuß. In den Armen hielt sie die beiden Einkaufstüten und in ihrem Inneren tobte der Kampf zwischen dem Nichts, der Gefühlstaubheit , die sie seit den letzten beiden Wochen spürte und der Panik, die sie jedes Mal überkam, wenn eine Eule einen neuen Brief oder eine weitere Zeitung brachte.
 

Nichts wissen und Angst haben. Das waren ihre Ferien.
 

Angst.
 

Angst.
 

Angst.
 

Hermine blieb abrupt stehen und reckte den Kopf in die Luft. Konnte es sein, dass es hier nach Alkohol roch? Hermine drehte sich verwirrt um, sah aber nur ihre Eltern mit den Nachbarn die Straße an deren Gartenzaun diskutieren. Sonst war die Straße leer, auch vor ihr war niemand.
 

Sie stand neben einem der hohen Rosenbüsche, die um den Garten ihrer Eltern herum gepflanzt worden waren. Hermine sog tief den Geruch von Gartenblumen, Autoabgasen, Hunde- und Katzenurin ein, der sich in diesen Gärten, vor allem im Frühjahr und Herbst, immer wieder einschlich.
 

Hermine ging einen Schritt weiter, schnupperte und sah sich erneut verwirrt um. Sie roch es immer noch. Ob irgendwelche Bettler unterwegs waren? Die Gegend, in der ihre Eltern wohnten war kein Ort, wo Bewohner in der Öffentlichkeit größere Mengen Alkohol tranken. Hier ging alles gesittet und geordnet zu. Allerdings zog der bessere Lebensstil, der hier herrschte, vielerlei Gestalten an, die vom großen Wohlstandskuchen den einen oder anderen Krümel abhaben wollten.
 

Wenn man Glück hatte, waren es nur Vertreter von Wohltätigkeitsorganisationen oder Handlungsreisende, manchmal auch Bettler, die Mülltonnen durchwühlten. Wenn man Pech hatte, konnten es aber auch Diebe sein oder andere Verbrecher, wie… Todesser?
 

Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Die Tüten in ihren Armen rutschten ein wenig nach unten, da ihre Arme zitterten und ihre Hände schwitzten. Todesser könnten auf diese Wohngegend einen Anschlag verüben, könnten versuchen Hermine als Informantin zu entführen und schreckliche Dinge mit ihr tun.

Sie beschleunigte ihre Schritte und eilte an den hohen Hecken vorbei zum Eingang des Grangerschen Gartens.
 

Hermines Herz setzte für einen Schlag aus. Auf der Veranda saß tatsächlich eine Person, die in den unverkennbaren, schwarzen Umhang eines Todessers gehüllt war. Hermine stieß einen panischen Schrei aus. Ihr Zauberstab… wo war er? Im Haus? Ihr Zauberstab war im Haus! Wilde Panik überkam sie, denn der Todesser hatte sie gehört. Er trug seine Maske nicht, dennoch konnte sie ihn nicht erkennen, da er sich die Kapuze tief über das Gesicht gezogen hatte. Er hob die Hand und wischte sich die Kapuze vom Kopf.
 

Weißblondes Haar und ein Lächeln, von dem sie gedacht hatte, dass sie es nie wieder sehen würde.
 

Draco!
 

Hermine selbst hatte sich nicht schreien gehört, wohl aber der Rest der Straße. Sie hatte auch nicht registriert, dass sie beide Einkaufstüten von sich geworfen hatte und schon gar nicht darüber nachgedacht, was Nachbarn, deren Besucher oder auch ihre eigenen Eltern denken könnten, als sie sich mit einem erstickten Schrei nach vorne stürzte und Draco um den klebrigen, stinkenden Hals fiel.
 

Sie lachte, weinte, schrie, stöhnte vor Erleichterung, ächzte und kicherte. Alles gleichzeitig, während sie ihn so fest an sich drückte, wie ihre Arme es nur vermochten und sie jeden erreichbaren Zentimeter seines Kopfes mit Küssen überschüttete.
 

Zwei Hände schlossen sich ihr um die Wangen, streichelten sie liebevoll und drückten sie dann sanft einige Zentimeter weit von sich weg, so dass sie in Dracos schmutziges, verschlafen wirkendes Gesicht sehen konnte. „Bin wieder da!“, grinste er. „Die haben mich heimgeschickt!“
 

Merlin, wie sah er denn aus? Das Gesicht war voll blutiger Schrammen. Sein Umhang durchnässt von Substanzen, die für Hermine zwar unangenehm bekannt rochen, die sie aber nicht genauer ergründen wollte. Seine Haare waren feucht und klebrig, rochen angesengt und seine blutunterlaufenen Augen... Er konnte sie ja kaum noch aufhalten.
 

Neben ihm stand eine Flasche mit rotem Elfenwein auf der Treppe, aber Hermine wäre auch ohne dieses klar gewesen, wer hier bis zur Straße hinaus so bestialisch nach Alkohol stank. Draco war total betrunken und trotzdem, trotzdem, Hermine lachte und drückte ihn erneut an sich. Für sie war er im Moment das Schönste, was sie in ihrem Leben je gesehen hatte und selbst wenn sie lange überlegt hätte, wäre ihr kein Moment eingefallen, in dem sie glücklicher gewesen wäre.
 

„Ich wollte zu dir“, nuschelte er lahm und sichtlich bemüht, verständlich und ohne allzu viel Lallen zu sprechen. „Da bin ich!“
 

Hermine wimmerte vor Glück. Tränen liefen ihr über die Wangen, ließen ihre Sicht verschwimmen und perlten von ihren glühenden Wangen. Sie packte sein Gesicht, stieß unverständliche Glückslaute hervor und drückte ihn wieder an sich. „Ja, da bist du wieder!“ Sie lachte, küsste ihn auf den Mund und lächelte ihm in die glasigen, blutunterlaufenen Augen. „Ich hab mir solche Sorgen gemacht!“ Sie schniefte und drückte sich ganz fest an ihn. „Ich hab ständig diese Horrormeldungen gehört und konnte doch niemanden fragen, was mir dir ist.“ Ein weiterer Kuss auf seine Stirn, auf der wer weiß was klebte und immer noch lächelte sie ihn glückselig an. „Hast du mich vermisst?“
 

Dracos Kopf kippte zur Seite und er fast mit. Sie musste ihn auffangen, weil er wohl langsam nicht mehr in der Lage war, ohne fremde Hilfe aufrecht zu sitzen. Er fing sich auf ihr ab, stützte sich auf ihre Schultern und beugte sich langsam vor. Hermine neigte sich zu ihm und konnte sich gerade noch rechtzeitig zurückfallen lassen bevor ein Schwall mit Magensäure versetzten Rotweins über ihr Gesicht geschwappt wäre.
 

„Um Himmels Willen!“ Hermine wirbelte aufgeschreckt durch die Stimmen direkt neben ihr herum und sah in die wachsweißen Gesichter ihrer geschockten Eltern. „Wer ist das denn?“
 

Xxx
 

Hermine saß stocksteif auf der Couch neben Draco und versuchte beharrlich, nicht zu ihren vor Schreck erstarrten Eltern auf der Couch gegenüber zu blicken. Ihre Mutter und ihr Vater saßen händchenhaltend – als suchten sie Schutz - und mit weit aufgerissenen Augen vor ihnen und starrten Draco an, als ob er ein dreiköpfiges, grünes Schleimmonster aus einem Horrorfilm wäre.
 

Sie hatte ihn ohne weitere Erklärungen mit „das ist Draco“ vorgestellt, die verwirrte Frage „Ist das nicht der, der dich immer tyrannisiert hat?“ ignoriert und sich stattdessen seinen Arm über die Schulter gelegt, um ihn samt Weinflasche an ihren sprachlosen Eltern vorbei ins Wohnzimmer zu bugsieren.

Einmal auf der Couch angekommen, kramte er ein kleines Lederbeutelchen aus seinem Umhang, fischte ungeschickt darin herum, bis er eine lila Pille von der Größe einer trockenen Erbse herauszog, sie in den Mund stopfte und mit einem tiefen Schluck Wein hinunterspülte.

Die Müdigkeit ließ daraufhin recht schnell nach, dafür war er nun entsetzlich überdreht und heiter.
 

Hermine presste die Lippen zusammen und wagte es, Draco einen scheuen Seitenblick zuzuwerfen. Sobald sie auch nur eine Strähne blonden Haares sah, drehte sie sich sofort wieder um und schlang ihre Arme um sich, um ihre Hände zu fixieren. Wären ihre Hände nämlich frei und nicht zwischen ihren Armen eingeklemmt gewesen, hätte sie sofort entweder nach ihrem Zauberstab oder einem Putzlappen gegriffen, um die Couch von Dracos Schmutz zu befreien.

Wenn sie nicht hinsah und so tat, als würde sie ihn nicht sehen – oder riechen - musste sie danach vielleicht keine peinlichen Fragen ihrer Eltern beantworten, weil sie dann behaupten könnte, dass sie nichts bemerkt hatte.
 

Vorhin war es ihr egal gewesen. Vorhin war sie das glücklichste Mädchen der Welt gewesen, ihn überhaupt wiederzubekommen. Egal wie. Aber nun, im Wohnzimmer ihrer Eltern… da war sie zwar immer noch glücklich, dass er nicht tot war, aber sie war wieder gefasst genug, um aufrichtig entsetzt über seine Erscheinung zu sein.
 

Sie konnte nicht anders, sie musste hinsehen. Draco hatte laut gerülpst und sich seine Nase in seinem Todesserumhang geputzt. Ein so ekelerregendes Geräusch, dass sie einfach hinsehen musste. Er war dreckig. Über und über mit Schlamm, Gras und Blut besudelt. Nicht sein eigenes Blut. Zumindest größtenteils nicht. Da war sie sicher. Einige Krusten auf seiner Haut könnten jedoch eigenen, langsam verheilenden Wunden entstammen. Seine blonden Haare klebten wirr an seinem Kopf. Er stank nach Alkohol, Erbrochenem und sonstigem Schmutz, der Hermine dunkel an Krankenhausbesuche bei ihrer sterbenden Großmutter erinnerte.
 

Die schwarze Robe war zerfetzt. Er musste wirklich mitten aus der Schlacht zu ihr gekommen sein. Er hatte sich ja nicht mal Zeit genommen, die größten Löcher in der Robe zu schließen. Geschweige denn, sich überhaupt umzuziehen oder gar zu duschen.
 

Das Schlachtfeld war noch immer mit ihm. Sie wusste nicht, wie er dort an die Flasche Elfenwein gekommen war, die er gerade in tiefen Zügen austrank, aber vielleicht wurden diese Dinge standardmäßig an jeden Todesser verteilt. Ebenso wie die Drogen. Bei dunklen Augen hätte man es vielleicht nicht so deutlich gesehen, doch dass Hellgrau ließ ihm keine Chance, die riesigen Pupillen, die in wässrigen, rotgeränderten Augen schwammen, zu verbergen.
 

Draco hustete Schleim auf seine Hand, wischte die schwarz-glibberige Masse an der Designercouch ihrer Mutter ab und schrie Hermine an. „Tut mir leid, dass ich so laut bin! Wir wurden gerade angegriffen. Ich glaube, ich habe einen Gehörsturz von den Explosionen dort gekriegt!“ Er lachte schallend laut und wirkte dabei so verrückt wie kaum jemals zuvor.
 

Hermine atmete tief durch und schloss ihre Augen. Sie versuchte ihre Hand nicht vor Ekel wegzuziehen, als er seine klebrigen, rotzigen Finger auf ihr Knie legte. „Findest du, dass ich irgendwie komisch bin?“, feixte er. „Kann nix dagegen machen! Ich bin seit Wochen nicht mehr nüchtern gewesen! Snape hat mir eimerweise Pillen reingeschüttet. Aber die Flasche hier“, er hob die Weinflache über seinen Kopf, schwenkte sie durch die Luft und ignoriere, dass er dabei immer wieder Spritzer der roten Flüssigkeit auf der teuren weißen Couch, Hermine und sich selbst verteilte, „die hab ich Vater geklaut und mit ’nem Nachfüllzauber belegt!“ Er schlug sich auf die Knie und brüllte vor Lachen. Er schüttelte sich, schüttete wieder einen Schluck in sich hinein, knallte die Flasche auf den Tisch, der zwischen ihm und den Grangers stand und grölte aus vollem Hals. „Der merkt das nicht! Der ist doch eh zu besoffen, um nachzählen zu können!“ Er brüllte laut auf, als hätte er gerade den lustigsten Witz seines Lebens erzählt.
 

Hermines Wangen brannten. Sie wagte immer noch nicht, ihre Eltern anzusehen, denn dies hier war viel zu peinlich, um auch nur ansatzweise darüber nachzudenken. Sie widerstand dem Drang, ihre Hand vorher mit einem Taschentuch zu umwickeln, als sie Draco den Rücken tätschelte. „Es… es tut mir leid“, murmelte sie in Richtung ihrer Füße, obwohl sie ihre Eltern ansprach. „Normalerweise ist er nicht so. Ich habe euch doch von dem Krieg erzählt… Er, ich glaube, er hat ein paar ziemlich fiese Tage hinter…“
 

„Ich hab zwei Wochen lang MuggeI und Schlammblüter wie euch gejagt!“, krakeelte er fröhlich aus vollem Hals. Er musste sich am Tisch festhalten, da er knapp davor gewesen war, mit dem Gesicht auf die Glasplatte zu knallen, als er die Flasche zurückgeholt hatte. Wein spritzte in Hermines Gesicht. Draco kicherte albern und ließ sich breitbeinig nach hinten sinken. „Die sind alle Schweine und ich komme gerade von der Treibjagd. Hey, nein…“ Er lachte laut auf, rülpste und stieß Hermine in die Seite, um ihr zu zeigen, dass nun etwas besonders Lustiges kommen würde. „Nein, Ungeziefer… Und ich bin der Kammerjäger. Hahahahaha!“ Hermine verbarg das Gesicht hinter ihren Händen und stöhnte. Sie musste sich konzentrieren. Tief durchatmen, sie würde jetzt nicht weinen und sie würde ihn nicht schlagen. Hoffentlich.
 

Sie atmete tief durch und setzte sich wieder gerade hin. Nun musste sie doch zu ihren Eltern sehen. Mutter und Vater hielten sich immer noch an den Händen, starrten Draco an und waren leichenblass.
 

Draco, der Kammerjäger, zielte mit dem Zauberstab auf sie und plärrte aus vollem Hals. „Ich bin echt von Voldemort selbst gelobt worden, weil ich so viele Muggel erwischt habe! Ist das nicht geiI?“ Er stieß Hermine erneut hart in die Seite und schlug ihr seine schmutzige Hand auf das Knie. „Er hat gemeint, dass aus mir nochmal echt was wird! Ich bin echt gut, weißt du? Besonders mit dem Messer! Aber vorhin haben sie mich weggeschickt, weil ich mit Goyles Kopf geredet hab!“
 

Er brüllte vor Lachen und kippte in Hermines Schoß, trommelte gackernd auf ihre Knie und schaffte es dann doch, sich schwankend wieder aufzusetzen. „Der Witz ist, dass sein Körper nicht mehr dran war. Ich bin mit dem Kopf in der Hand rumgerannt und hab ihm gesagt, dass wir jetzt nur noch seinen Bauch und seinen Arsch brauchen!“
 

Hermine rührte sich nicht, als er erneut vor Lachen auf ihr zusammenbrach. Goyle tot? Draco, der mit Goyles Kopf in der Hand über das Schlachtfeld rannte, um ihn wieder zusammenzusetzen? Sie schluckte schwer und dieses Mal musste sich nicht dazu zwingen, ihm die Hand auf die Schultern zu legen. „Es tut mir so leid…“
 

Er fuhr wieder hoch, grinste irre und schrie aus vollem Hals. „Das ist doch nicht so schlimm. Der wurde nur in zwei Teile getrennt! Crabbe wurde von einer Bombe in Fetzen gerissen!“ Er schlug begeistert wie ein kleines Kind die Hände zusammen und brüllte: „Bumm! Ein Knall und ich hab überall Ohren, Finger und Zehen herumfliegen sehen!“ Er lachte und trommelte sich johlend auf die eigenen Oberschenkel. Er holte aus und patschte Hermine mit voller Wucht auf den Rücken. „Kuck mal hier!“ Er deutete auf den roten Brei, mit dem sein ganzer Umhang gesprenkelt war „Das ist Gehirn! Ich glaub, das ist Crabbes Gehirn! Hättest du jemals gedacht, dass da so viel Gehirn in dem ist? Selbst in mein Gesicht hat das gespritzt!“ Er gackerte lauter und irrer als es selbst Peeves möglich gewesen wäre und johlte fröhlich „Ich habe keine Ahnung, ob das wirklich alles von ihm ist! Da sind bestimmt dreißig Leute zerrissen worden. Da ist sicher noch Hirn von anderen dabei. Soviel Hirn hat Crabbe doch nie gehabt!“ Er lachte schallend und deutete auf die Grangers. „Das sah aus, als ob dort tote Leute wie Tulpen aus dem Boden wachsen! So geil! Ich könnt‘ mich immer noch schief lachen!“
 

Jetzt endlich kam Bewegung in die Grangers. Zumindest in Hermines Mutter. Sie hob zitternd ihre Hand und deutete auf etwas rotes, breiiges, dass an Dracos Bein klebte. „Sie haben da was. Da klebt etwas Rotes an Ihrer…“
 

„Das ist Crabbes Finger!“ Draco brüllte vor Begeisterung so laut, als hätte er beim Quidditch gewonnen. „Ist das nicht witzig? Ich renne immer noch mit Fetzen von Crabbe an mir rum.“ Irre kichernd pflückte er einen menschlichen Finger von seinem Umhang – Hermines Eltern sahen aus, als müssten sie sich jeden Moment übergeben - und warf ihn fröhlich giggelnd in die Luft.
 

Hermine hielt sich die Hand vor den Mund, um den Würgereiz zurückzudrängen. Der Finger flog hoch, überschlug sich mehrmals selbst und - sie sah Draco mit seinem Zauberstab darauf zielen - wie ein Propeller durchs Zimmer schwirrte, bis er mit einem ekelhaften Platschen in der Teetasse ihrer Mutter landete und wie ein besonders hässliches, skurriles Besteckteil, das man vielleicht bei Borgin und Burkes kaufen konnte, aus dem Tee herausragte. Draco stieß Hermine in die Seite, deutete darauf und lachte schallend auf. Hermine verbarg ihr Gesicht hinter ihren Händen, so dass sie zu spät bemerkte, dass Draco den Zauberstab abermals hob und nun auf die Tasse zielte, die vom Fluch getroffen, mit einem lauten Knall explodierte.
 

Hermines Mutter sprang schreiend auf und versuchte sich den heißen Tee aus den Augen zu reiben. Hermines Vater kratzte sich winzige Porzellanstücke aus dem Gesicht. Draco lachte schallend, zielte wieder und hätte Hermine seinen Arm nicht nach oben gerissen, hätte er auch die Tasse ihres Vaters mit einem Fluch zerschmettert. Statt der Tasse traf er die Zimmerdecke, woraufhin weißer Putz auf die Grangers herunter schneite.
 

Hermines Vater war ein ruhiger, bedächtiger Mann, doch das war eindeutig zu viel. Er sprang auf, packte Draco am Kragen und zog ihn nach oben. „Raus! Sofort! Hermine, schaff den Kerl sofort hier raus!“
 

„Aber… Aber...“ Hermine sprang ebenfalls auf, zog Draco zur Seite, der daraufhin ungelenk nach hinten auf die Couch fiel und schob sich zwischen ihn und ihren Vater. „Dad… es tut mir leid, ich passe auf ihn auf, aber... Sieh ihn dir doch an.“ Sie deutete hinter sich auf Draco, der gerade versucht hatte aufzustehen, das Gleichgewicht verlor und dann scheppernd auf das beschädigte Wohnzimmertischchen fiel. „Er ist doch total fertig. Ich nehm ihn mit hoch und…“
 

„Auf keinen Fall!“ Hermines Mutter hatte sich hinter dem umgestürzten Sessel heraus gekämpft, ihre Augen ausgewischt und platzierte sich heftig atmend neben ihren Vater. „Der da“, sie deutete mit ihrem Finger auf Draco. „Raus mit ihm. Sofort… Ich will solche Leute nicht in unserem Haus haben!“
 

„Aber, Mum“, jammerte Hermine und hob flehend die Hände. „So… so ist er doch normalerweise nicht. Hast du das nicht mitbekommen? Er wurde angegriffen… seine Freunde wurden getötet… er… was weiß ich… Er hat dann was getrunken, aber… bitte… ich bringe ihn hoch und dann soll er sich ausschlafen. Wir können ihn doch nicht so rausschicken!“
 

„Dann schaff‘ ihn in ein Krankenhaus oder in eine Ausnüchterungszelle, aber ich will hier keinen betrunkenen, irren Zauberer haben, der unser Haus in die Luft jagt und mit abgehackten Fingern um sich wirft!“
 

„Dad!“ Hermine klammerte sich an den Arm ihres Vaters und flehte ihn mit riesengroßen Augen an: „Bitte! Wir können ihn nicht… du siehst doch… er… er weiß doch gar nicht was er tut… Und… er wurde angegriffen! Er muss wo bleiben, wo er sicher ist!“
 

Hermines Mutter schüttelte den Kopf. „Er muss weg, damit zumindest wir sicher sind. Und zwar vor ihm und seinen explodierenden Freunden… Du schaffst ihn sofort von hier weg. Wer auch immer ihn angegriffen hat, es wird nicht grundlos gewesen sein und ich habe keine Lust, diesen Kampf in unserem Haus weiter austragen zu lassen, wenn sie ihn finden…“
 

„Aber, Mum!“ Hermine wich zurück, ging neben Draco, der auf der Couch zusammengesackt war und auf einmal sehr intensiv nach Urin roch. „Ich… ich bring ihn ja weg. Aber die Schule geht doch eh in ein paar Tagen wieder los!“
 

„In ein paar Tagen? Nein, Hermine. Sofort!“ Ihr Vater zog sie am Arm hoch und keuchte entsetzt. Er hatte es auch gerochen. „Hat er auf die Couch gepinkelt?“
 

Draco sackte mit dem Kopf nach hinten und grinste. Mr. Granger war für einen Moment unfähig Worte zu finden, dann zischte er leise und bedrohlich. „Bring - ihn - hier - raus!“
 

„Dad! Nur über Nacht… bitte. Bis er wieder nüchtern ist… ich… ich kann ihn doch so wie er ist nicht rausschmeissen. Das ist… unterlassene Hilfeleistung!“
 

Hermines Mutter kam mit einem schnurlosen Telefon in der Hand ins Zimmer zurück. „Ich rufe jetzt einen Krankenwagen. Wenn…“
 

„Nein!“ Hermine zog ihren eigenen Zauberstab und riss ihrer Mutter mit einem gekonnten Fluch das Telefon aus den Händen. „Er kann doch in kein Muggelkrankenhaus… nicht so. Und im Zaubererkrankenhaus, da… die bringen ihn womöglich um!“
 

Sie flehte, bettelte, wimmerte, argumentierte. Doch es half alles nichts. Hermines Eltern nahmen ihre Sorgen einfach nicht ernst. Sie wollten keinen Todesser, genau genommen, keinen betrunkenen Teenager, der auf die Couch pinkelte und abgehackte Körperteile an sich kleben hatte. Sie glaubten ihr einfach nicht, dass er in einem Krankenhaus in weit größerer Gefahr sein könnte.
 

Sofort! Er sollte sofort das Haus verlassen!
 

Sie verstanden es nicht, waren so dumm, so naiv, so uneinsichtig. Wie Muggel!
 

„Wenn er geht, gehe ich auch“, beharrte Hermine trotzig, setzte sich neben Draco und schlang die Arme um ihn.
 

„Ich werde mein Kind nie hinauswerfen!“, entgegnete ihr Vater ruhig. „Aber er muss gehen!“
 

Wenn Draco gehen musste, dann ging sie auch. Ihre Eltern schienen den scharfen Ton zu bereuen, sie baten Hermine zu bleiben. Man sollte Draco in ein Krankenhaus bringen, da würde er hingehören. Hermine sollte doch einsehen, dass dieser Verrückte eine Gefahr für alle in seiner Nähe darstellte.
 

Doch egal was sie sagten, Hermine hörte nicht zu. Sie rannte in ihr Zimmer, kramte schnell ein paar Sachen zum Anziehen zusammen, steckte etwas Geld und ihre Geldkarte ein, nahm ein paar Sachen zu Essen und zu Trinken mit und schickte ihre bereits fertig verstauten Hogwarts Koffer los, zur Schule.
 

Ein paar Bücher hatte sie in der Umhängetasche dabei… Hygieneartikel und andere Dinge, die dringend notwendig schienen und an die sie in den vielleicht fünf Minuten, die sie packte, denken konnte.
 

Sicher hatte sie viel vergessen. Hoffentlich kamen ihre Koffer auch wirklich in der Schule an… aber jetzt wollte auch sie nur so schnell wie möglich aus diesem Haus hinaus, in dem man rein gar nichts von Hermines Leben verstand.
 

Xxx
 

Hermine überlegte später, ob es vielleicht ein Fehler gewesen war, wirklich zu gehen. Es nicht einfach auf einen Rausschmiss abkommen zu lassen. Das hätten ihre Eltern doch sicher nicht getan, nicht? Sie hätten Draco in diesem Zustand doch nicht wirklich hinausgeworfen, oder?
 

Dennoch ging Hermine.
 

Wenn sie ehrlich war, dann wäre jede andere Reaktion als dieser Eklat unmöglich gewesen. Ja, wahrscheinlich wäre sogar sie selbst, wenn sie an der Stelle von Mum und Dad gewesen wäre, ebenso entsetzt über Dracos Antrittsbesuch gewesen.
 

Ein lauter, dreckiger, betrunkener, unter Drogen stehender junger Mann, komplett überdreht in blutiger Kleidung - Leichenteile kleben am Umhang -, sitzt im gepflegten, friedlichen Wohnzimmer der Familie Granger und lallt und brüllt, dass er gerade eine Pause vom Muggeltöten eingelegt hat, während seine Familie aber noch kräftig weitermacht.
 

Nein, sie verstand ihre Eltern. Sie hätte Draco wahrscheinlich auch rausgeschmissen. Wenn man ihn nicht kannte, wenn man nicht wusste, unter wie viel Druck er stand, dann musste man ihn hassen. Wobei kluge Menschen ihn wohl auch dann mieden, wenn sie seine Probleme kannten. Gerade Hermine wusste ja besser als jeder andere, wie explosiv und gefährlich ein irrer Draco werden konnte.
 

Sie ließ ihn aber trotzdem nicht alleine und sie versuchte auch gar nicht erst, ihre Eltern umzustimmen.
 

Mangels besserer Alternativen, apparierte sie Draco und sich, Seite an Seite, zur Heulenden Hütte. Er selbst wäre dazu wohl nicht mehr in der Lage gewesen. Da ihre Eltern es ablehnten, ihn auch nur über Nacht auf der Couch nüchtern schlafen zu lassen, mussten sie schnell eine neue Unterkunft finden.

In seinem Zustand, dreckig, irre und high, wäre der einzige Ort, wo man ihnen ein Zimmer gegeben hätte, wohl ein Krankenhaus gewesen. Sie zog es ernsthaft in Erwägung. Eigentlich verwarf sie den Gedanken nur deswegen, weil die Familie Malfoy in der Zaubererwelt sehr bekannt war und man sofort seine Eltern benachrichtigt hätte, wenn sie ihn ins St. Mungo gebracht hätte.
 

In ein Muggelkrankenhaus wollte sie ihn allerdings noch weniger bringen, da sie lieber nicht mal ansatzweise daran denken wollte, für was für Unruhen er dort sorgen könnte. Also doch die Heulende Hütte. Sie lag außerhalb der Schule und wurde, zumindest so viel sie wusste, in den Ferien nicht überwacht.
 

Als sie vor der Hütte ankamen, hörte er auch endlich auf wie ein Wahnsinniger zu lachen. Das Apparieren war ihm auf den Magen geschlagen. Hermine zauberte schnell einen Eimer. Draco war schneller.
 

Mit viel Mühe, Drohungen und körperlichem Kraftaufwand, schaffte sie es dann sogar ihn auszuziehen und ihn dazu zu bewegen, vor dem anstehenden Tiefschlaf noch einmal auf die Toilette zu gehen, von der sie den kurz darauf eingeschlafenen Draco dann herunterhieven musste und ihn, da der Schwebezauber nicht so wirkte wie er sollte, hinüber ins Bett schleifte.
 

Statt zu ihm ins Bett zu kriechen, kauerte sie sich in einen Sessel neben dem leidlich reparierten Fenster und sah ihn an. Eine Mischung aus Freude und Sorge hielt sie trotz bleierner Müdigkeit wach.

Sie hatte ihn für tot gehalten. Jetzt erst, als er hier vor ihr lag und zur Kugel zusammengerollt schnarchte, konnte sie sich eingestehen, dass sie nicht erwartet hatte, ihn wiederzusehen. Sie lächelte dünn und schickte tausend Stoßgebete zu jedem Ort, der dieses Wunder gewirkt haben könnte. Sie hatte ihn zurückbekommen.

Sie war nicht für die dummen Dinge, die sie beim Abschied zu ihm gesagt hatte bestraft worden, Rons trauriges Schicksal hatte sich nicht wiederholt. Darüber war sie aufrichtig glücklich und dankbar.
 

Doch es war keine reine Freude. Er war dreckig und zugedröhnt mit Alkohol und Drogen. Aber das war nicht so schlimm. Er würde sich ausschlafen und dann irgendwann verkatert, aber immerhin relativ nüchtern, wieder aufwachen. Dann konnte er sich waschen. Es war ja nicht das erste Mal, dass sie Zeit in dieser Bruchbude verbrachten.

Nein, der Grund ihrer Sorge war das Gefühl, dass etwas geschehen war, was ihn so tief hatte fallen lassen, dass er niemals wieder aufstehen konnte.
 

Hermines Finger spielten mit ihren Haaren. Strähne um Strähne zupfte sie heraus, um einen Zopf nach dem anderen zu flechten. Sie musste ihre Finger irgendwie beschäftigen, dann konnte sie besser nachdenken.

Nun gut. Draco lebte und war wieder da. Und nun? Sie war nämlich nicht mehr da, wo sie sein wollte. Zumindest, wo sie gerne noch etwas länger geblieben wäre. Es war nicht so, dass sie ein enges, inniges Verhältnis zu ihren Eltern gehabt hätte. Teilweise wirkten die beiden so fremd und erhaben, dass sie sie in ihren inneren Monologen schon selbst als Mr. und Mrs. Granger bezeichnet hatte. Dennoch waren es ihre Eltern, die sie heute Mittag aus dem Haus geworfen hatten. Nein, so korrigierte sie sich. Nicht mich, sondern Draco.
 

Hermine stand auf und wagte es, sich zu ihm auf das Bett zu setzen. Sie strich ihm eine Strähne blonden Haares aus der Stirn. So vorsichtig und behutsam, wie man etwas sehr Zerbrechliches, doch gleichzeitig auch unendlich Wertvolles anfassen würde. Ein sanftes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.

Sie hatte es gesehen. Was auch immer er nach seinem Weggang über sie gedacht haben mochte, er hatte an sie gedacht. Dort, um seinen weißen, dünnen und leider immer noch recht schmutzigen Hals, hing eine dünne Silberkette, auf die er Hermines Glücksring aufgefädelt hatte.
 

Hermine beugte sich über ihn und küsste ihren schlafenden Freund auf die Stirn.
 

Xxx
 

Draco saß auf dem Fensterbrett und starrte mit leerem Blick auf die blühenden Obstbäume vor der Hütte. Der Wind zerzauste sein Haar und brachte den frischen Duft des Grases in das dunkle Zimmer. Eigentlich war es hier drinnen weder kalt noch abstoßend. Nicht, wie bei ihrem ersten gemeinsamen Besuch in jener Silvesternacht.

Hermine hatte Wärmezauber auf die Zimmer gelegt, die Räume teilweise mit Magie, teilweise von Hand, gereinigt und, während Draco schlief, zusätzlich dafür gesorgt, dass die Legionen von Ungeziefer, die hier vor ihnen hausten, zumindest unten im Erdgeschoß und noch tiefer, im Keller blieben.
 

Er hatte in der ganzen Zeit, während sie geschuftet hatte, entweder im Bett gelegen oder sich auf den von ihr gerichteten Sessel zusammengekauert, die Arme um die Knie geschlungen und hatte die Wand angestarrt. Nutzlos und zu nichts zu gebrauchen, das war er. Er hatte sie die ganze Arbeit machen lassen, hatte sich ab und zu dazu bequemt etwas zu essen und sich zu waschen. Danach war er wieder in dumpfes Brüten versunken und hatte sich selbst mit einem regelrecht masochistischen Eifer dazu gezwungen, sich wieder und wieder Crabbes Gesicht vor Augen zu rufen, als er vor ihm zerfetzt wurde. Als Goyle neben ihm in Stücke gerissen wurde und er nichts tat, als platt auf dem Boden zu liegen und zu hoffen, dass man ihn nicht treffen würde.
 

Er hätte ihm helfen können. Er hätte aufstehen können und Crabbe beiseite ziehen sollen. Hinter einen Baum, hinter eine Mauer… stattdessen hatte er nur da gelegen und zugesehen. Er hatte nicht mal seinen Mörder getötet, oder?
 

Die Kopfschmerzen waren schlimm, dieser Tage. So vieles, was er dort erlebt hatte, war unscharf. Er hörte eine Frau schreien. Er erinnerte sich an die brennenden Körper dieser Ordensmitglieder. Er hörte die Todesschreie der Menschen und sah Bellatrix, die zwischen diesen lebenden Fackeln herumwirbelte und sang.

Er hatte schon seit längerem keine Flashbacks mehr. War stark geworden. Hatte solche albernen Zeichen von Schwäche hinter sich gelassen. Aber wenn er schlief, träumte er manchmal von weinenden Kindern.

Er wusste nicht, wer diese Kinder waren oder was mit ihnen geschehen war. Nur, dass sein Herz so heftig pochte, dass es in der Brust weh tat, dass sein Kopf sich anfühlte als wolle er jeden Moment platzen und sein Magen sich auf die Größe und Dichte eines Kieselsteines zusammenzog, wenn er die Kinder in seinem Kopf hörte. Dann wachte er auf.
 

Seltsam, dass Hermine bei alldem so nahe bei ihm sein konnte und trotzdem weiter von ihm entfernt war als jemals zuvor. In einer anderen Welt, zu der er nicht mehr gehörte.
 

Sie hatte zwar seine Tabletten weggeschmissen, den Beutel jedoch nicht. Sie musste sehr müde gewesen sein, als sie das getan hatte, denn sie hatte den Zauber, der darauf lag, nicht erkannt. Ein Auffüllzauber. Schlicht, einfach und effektiv, so dass Draco seine Tage damit verbrachte, komplett zugedröhnt vor sich hinzudämmern. Den Beutel hatte er versteckt.
 

Hermine mochte viel über Magie wissen, doch von Drogen verstand sie gar nichts. So glaubte sie, dass er krank oder todunglücklich wäre. Wie unzutreffend, denn Draco fühlte die meiste Zeit schlicht gar nichts.
 

Er hatte gar nichts gesagt. Seit vier Tagen war er verstummt. Vielleicht fuhr Hermine, die hinten im Zimmer auf dem Sessel saß und las, deswegen erschrocken zusammen, als er sich nach vier Tagen des Schweigens und Starrens zu ihr umdrehte und sagte: „Crabbe und Goyle waren die einzigen Freunde, die ich jemals hatte.“ Er seufzte und rieb sich seinen kratzenden Hals, der die unvermutete Anstrengung, sprechen zu müssen, nur teilweise bewältigte. „Ich hätte es ihnen vielleicht mal sagen sollen, nicht?“
 

Hermine klappte das Buch zu, hob den Kopf und sah ihn so verwundert an, als wäre nicht er, sondern die Standuhr neben zum Leben erwacht.
 

Er atmete tief durch und wieder zum Fenster hinaus. „Denkst du, dass sich das mit deinen Eltern wieder klärt?“
 

Sie antwortete nicht sofort. Vielleicht lag es am sanften Wind um seine Ohren, am Zwitschern der Vögel oder vielleicht war er ja wirklich so schnell in Gedanken schon wieder aus dem Zimmer hinaus geglitten, jedoch erschrak er, als sie auf einmal neben ihm stand und ihn ansprach. „Ich weiß nicht.“ Sie setzte sich neben ihm auf die Fensterbank. Sie hielt ihren Kopf gesenkt und starrte auf ihre Hände, die mit einem bunten, perlenverzierten Haarband spielten. Ihre Haare fielen ihr offen über ihre Schultern, so dass er ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte und nur die farblose Stimme verriet, wie bedrückt sie sein musste: „Ich glaube nicht. Unser Verhältnis ist seit langem ziemlich distanziert. Sie verstehen so wenig von mir… und dich, dich verstehen sie überhaupt nicht.“ Sie seufzte schwer, biss sich auf die Lippen und betrachtete das Haarband zwischen ihren Fingern. Sie knüllte es ganz klein zusammen, holte aus und warf es im hohen Bogen zurück auf den Sessel.

Weg damit.

„Als Ron starb… sie haben mir ein paar nette Briefe geschickt, weißt du? Wirklich nett… aber sag mal, sollten Eltern nicht in so einem Fall herkommen, mich irgendwie… mitnehmen. Auch nur für eine kurze Zeit und… Zeit mit mir verbringen?“
 

Draco zuckte die Achseln. „Eigentlich schon.“
 

„Eigentlich schon“, wiederholte Hermine bedächtig und nickte langsam mit dem Kopf. „Tja… es ist nicht der Streit, den wir hatten. Mach dir keine Vorwürfe. Sie haben ihr Leben und ich meines. Das habe ich nun ganz deutlich eingesehen… Wir passen nicht mehr zueinander. Schon früher haben sie sich da nie so viel Mühe gegeben, aber jetzt haben wir gar nichts mehr gemeinsam. Ich will mich nicht bei ihnen melden und ihnen stundenlang mein Leben erklären müssen… und dann würden sie es immer noch nicht verstehen. Nein… dann eben nicht.“ Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie ihre eigenen naiven Kindheitsvorstellungen einer glücklichen Familie daraus vertreiben und rutschte etwas näher an ihn heran, um sich an seine Schulter anlehnen zu können. „Wir brauchen sie nicht. Hörst du? Wir brauchen niemanden von diesen Leute, die sollen uns einfach in Ruhe lassen.“
 

Draco schloss die Augen und hätte er sich nicht augenblicklich festgehalten, wäre er vielleicht rückwärts zum geöffneten Fenster hinausgefallen. Er presste die Lippen zusammen und nickte. Eine Brise wehte ihm einige ihrer Locken ins Gesicht und er roch herrlich duftendes Pfirsichshampoo. Draco legte den Arm um sie, zog sie an sich heran und strich ihr sanft über das Gesicht.
 

Wir, sie hatte „wir“ gesagt. Es gab keine Worte um zu beschreiben, welche Emotionen dieses eine Wort in ihm ausgelöst hatte.

Sie machte ihm keine Vorwürfe, obwohl ihr doch ebenso klar wie ihm sein musste, dass er mit seinem Auftritt ihre Familie zerstört und ihre Kindheit wie mit einem scharfen Messer von ihrem Leben abgeschnitten hatte. Dort, wo ihre Wurzeln lagen, ihre Herkunft, war nun nur noch eine offene, klaffende Wunde. Er wusste es, sie wusste es, doch sie warf es ihm nicht vor.

Mehr noch… sie hatte „wir“ gesagt.
 

Wir. Wir. Wir. Wir. Wir. Wir. Wir. Wir…
 

Und diesmal meinte sie mit „wir“ nicht ihre Freunde, ihr Haus... und auch nicht Ron. Nur sie und ihn. Sie beide waren „wir“ und dieses wir hatte sie auf die Zukunft und ihr Leben bezogen. Zu ihrem Leben gehörte „wir“.
 

„Du, Draco!“
 

„Ja?“
 

„Was ist passiert? Was hast du dort nur gemacht?“
 

Das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Das Gefühl, in einem Karussell zu sitzen. Das Gefühl, in einem Raum zu sein, in dem jemand vor einer Sekunde das Licht ausgeschaltet hat.
 

Er schloss die Augen und schluckte: „Das kann ich dir nicht sagen. Frag nicht.“
 

Ein sanfter Kuss auf die Stirn und zartes Streicheln der Schulter. Mehr konnte er ihr nicht als Dank sagen, auch wenn seine Gefühle so viel weiter, so viel tiefer gingen.

Draco zog sie enger an sich und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Zumindest einmal noch wollte er sie riechen und dann… würde ein neuer Tag beginnen, in dem es kein „wir“ mehr gab. Weil es nicht weitergehen durfte, weil es nicht weitergehen konnte.
 

Hier war er, Draco, der Todesser, und hielt ein Mädchen im Arm, das er vielleicht schon morgen töten sollte. Oder zusehen musste, wie es ein anderer tat. Und wenn es schon nicht sie war, dann eben ihre Familie, ihre Freunde, Menschen, die ihr wichtig waren… und deswegen musste jetzt Schluss sein.
 

Er hatte seinen Platz im Leben gefunden, wo er hingehörte und wenn Hermine klug war, würde sie beizeiten sehr weit weg gehen, und sich einen eigenen Platz suchen. Hoffentlich einen Ort, an dem sie glücklich sein konnte.
 

Ganz egal, ob er sie bei sich haben wollte oder nicht, es ging nicht mehr.
 

A.N.2: Im nächsten Kapitel erfahren wir, was Draco als offizieller Schul-Todesser so alles treibt, welche Spuren der Krieg in Hogwarts gezeichnet hat und wieso es seit Ende der Osterferien, einen fünften Schülertisch in der großen Halle gibt.
 

A.N. 3: Wer mag, kann sich hier ein Bild zum aktuellen Kapitel ansehen.
 

http://wizard003.magix.net/
 

„John Xisor“ hat es gemacht. Wenn es Euch ebenso gut gefällt wie mir, dürft ihr uns das gerne mitteilen.
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Omama63
2012-07-03T12:05:13+00:00 03.07.2012 14:05
Ein super Kapitel.
Hermine braucht größere Kleidung um den Bauch? Ist sie etwa schwanger?
Draco ist total durchgeknallt. Das ist aber auch kein Wunder, bei dem was er alles gesehen hat.
Bin schon gespannt, ob er sich wirklich von ihr trennen kann und ob Hermine schwanger ist.


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