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Harmonie

von

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Frohes Fest!

Kapitel 14 : Frohes Fest !
 

Draco stand an der Seite seiner Mutter vor einem Haus, das genau genommen eher als Schloss bezeichnet werden sollte. Er hatte die Schule vor zwei Stunden verlassen und war zu einem Ort appariert, den seine Mutter in ihrem letzten Brief mit „Du weißt schon wo“ bezeichnet hatte. Treffsicher hatte er auf das alte Malfoy Manor getippt. Dort wartete eine nervös wirkende, fremde, ältere Frau, die sich als die vom Vielsafttrank verwandelte Narzissa herausstellte.
 

Sie verbrachten einige Minuten damit, sich mittels Okklumentik und Testfragen ihrer Identität zu versichern, dann packte ihn Mutter am Arm und apparierte zu einem Ort, der vermutlich irgendwo in Wales lag. Oder in Asien, denn die gewaltige rote Backsteinmauer, die lückenlos vor ihnen aufragte, war der chinesischen Mauer in Breite und Länge sicherlich nur knapp unterlegen.
 

Narzissa murmelte einige Bannsprüche, hob ihren Zauberstab und deutete auf ein aus dem Nichts heraus aufleuchtendes Kreuz, das die Stelle in der Mauer markierte, die den Eingang zu dem neuen Manor darstellte.

Hinter der Mauer befand sich ein Park, der Draco an Darstellungen von Versailles erinnerte, die er früher einmal in Bildern gesehen hatte. Breite Flanierwege durchzogen Blumeninseln, auf denen jetzt, im Dezember, nur die Eisblumen blühten.
 

Marmorstatuen von Personen aus der Sagenwelt ragten wie versteinerte Wächter zwischen all den zugeschneiten Beeten auf. Vogeltränken, Springbrunnen aus weißem und schwarzem Marmor standen ebenso wie Pavillons hier und da in einem Park, der Draco vollkommen fremd war. Verschneit und von glitzerndem Raureif überzogen leuchtete der ganze winterliche Garten des Manors wie eine aus Edelsteinen erschaffene Landschaft. Wie im Märchen, so sah es hier aus.
 

„Wundervoll, nicht?“, fragte Narzissa mit einem verträumten Glitzern in den Augen. „Du solltest es im Sommer sehen oder im Frühling. Wir haben die Blumen auf den Rasenflächen so säen lassen, dass sie magische Tierwesen darstellen. Komm nun“, sie hakte sich bei ihm ein, lächelte freundlich und führte ihn zu dem… Schloss. Ein großer Haupttrakt in der Mitte, an den sich links und rechts Nebentrakte anschlossen, die wie Arme aus Stein nach vorne ragten.
 

Dracos Einschätzung nach hatten Lucius und Narzissa tatsächlich versucht, sich ihr eigenes Versailles zu erbauen. Gemeinsam betraten sie eine mit schwerem, weißem Marmor verkleidete Eingangshalle, in der man ohne Problem eine ganze Kathedrale hätte verstauen können.

Draco stoppte, legte den Kopf in den Nacken und versuchte zumindest all die Türen, Treppen, Gänge, Alkoven und Nischen ausfindig zu machen, die hier zu sehen waren. „Wo ist Vater?“, fragte er nach einer Weile.
 

Narzissa lächelte und zog ihn weiter. „Komm, ich zeige dir dein Zimmer. Vater ist beschäftigt.“ Draco blieb stehen und sah wohl so niedergeschlagen aus, dass seine Mutter sich zu einem etwas künstlich wirkenden, beschwichtigenden Schultertätscheln veranlasst sah. „Nein, nein. Nicht was du denkst. Ich sagte doch, der Dunkle Lord weiß ihn wieder mehr zu schätzen. Im Moment ist er mit Bellatrix und Rodolphus weg. Er meinte, es würde nicht lange dauern. Sicher siehst du ihn heute Abend noch. Da lang, Draco. Dort drüben, die Treppe hoch.“
 

Draco ließ sich von seiner Mutter eine knapp vier Meter breite Treppe hochführen und überlegte, ob er, wenn er später aus seinem Zimmer heraus zum Essen gehen würde, vielleicht rote Kreuze oder Pfeile auf den Boden zaubern könnte, um sicher den Weg zu markieren.
 

Nicht, dass er vorgehabt hätte, sein Zimmer sonderlich oft zu verlassen. Falls es dennoch nötig sein sollte, wäre dies ein Weg, seinem vorzeitigen Ableben vorzubeugen, denn sicherlich würde er eher verhungern oder verdursten, als dass er in diesem gewaltigen Bau ein Esszimmer finden würde.
 

Hoffentlich hatte er wieder ein eigenes Badezimmer.
 

Xxx
 

Hermine stellte ihren Koffer in dem Zimmer ab, das sie auch das letzte Mal bewohnt hatte. Sie hatte immer noch keinen Erfolg damit gehabt, Harrys Gedächtnis wiederherzustellen. So wie es aussah, würde sie hier, allein in diesem Raum, viel Zeit haben, um für die im Sommer anstehenden Prüfungen zu lernen. Sie hatte eingewilligt (ein letztes Mal?) hierher zu kommen, da der Orden ihr zu verstehen gegeben hatte, dass man ihre Hilfe bräuchte, um auf den zwei bisher gefundenen Horxkruxen befindliche Banne zu lösen.
 

Sie, ihre Eltern, waren ihr nicht böse gewesen. Sie verstanden, dass Hermine beschäftigt war. Sie verstanden das immer. Ihnen erging es nicht anders. Immerhin hatten sie ihr ein paar Briefe geschrieben, als sie von Rons Tod erfuhren.
 

Mit zitternden Fingern griff sie in ihren Koffer und holte ein gerahmtes Bild heraus, betrachtete es einige Sekunden, doch als die ersten Tränen ihre Wange hinab liefen, drehte sie es um.

Suchend sah sie sich im Zimmer um. Wo könnte sie es hinlegen? Wo war es zwar für sie immer greifbar, doch nicht im Sichtfeld der anderen.
 

Das war alles, was sie sich selbst zu behalten erlaubt hatte. Alles, wirklich alles andere, hatte sie in eine Kiste gepackt und den fassungslosen Weasleys bei ihrer Ankunft am Grimmauldplatz überreicht. Noch ein Grund, warum sie in diesen Ferien sehr oft lernen, recherchieren und London besuchen wollte. Diese Dinge erlaubten ihr, für wenige Minuten nicht an Ron zu denken. Wie eine Betäubungsspritze wirkten ihre Bücher. Sie halfen nicht wirklich gegen die Trauer, doch fühlte sie diese einige Zeit nicht.
 

Ganz anders, wenn sie mit den Weasleys zusammen war, wo allein die Tatsache, dass sie alle Ron ähnlich sahen, schon schlimmer war, als sie überhaupt ertragen konnte.
 

Hermine legte Rons Bild auf den Schreibtisch vor dem Fenster und betrachtete es eine Weile. Der Ron auf dem Bild lachte und schüttelte sich. Es musste Herbst gewesen sein, denn er trug eine dicke Jacke und seine Haare wurden immer wieder von heftigen Windböen aufgewühlt. Hermine legte ihre Hand auf sein Gesicht und strich ihm über die Haare. Sie lächelte und versuchte sich vorzustellen, dass sie ihm eine der hin und her wehenden roten Strähnen aus der Stirn strich, um ihm besser in die Augen sehen zu können.
 

Natürlich klappte es nicht.
 

Sie nahm ihre Hand von seinem Bild und griff nach ihrem Zauberstab. Ein letzter Blick auf Rons lachendes Gesicht, dann tippte sie das Foto an und sah zu, wie sich das Bild zusammenzog und aufrollte, das Schwarz-weiß des Bildes zuerst silbern und dann langsam mehr und mehr platinfarben schimmerte.
 

Die Transfiguration war beendet als ein kleiner Ring aus Platin vor ihr lag. Sie griff an ihren Nacken und löste den Verschluss ihrer Halskette. Den Anhänger, den sie vorher getragen hatte, eine Rune, die für ihr Sternzeichen „Jungfrau“ stand, nahm sie ab. Ein Geschenk ihrer Eltern zu ihrem letzten Geburtstag.
 

Die Rune wurde vom silbernen Band gezogen und achtlos auf den Schreibtisch geworfen. Stattdessen fädelte sie den Ring behutsam auf und legte sich die Kette erneut um den Hals.
 

So konnte sie Ron immer bei sich haben, ohne mit irgendjemandem darüber reden zu müssen.
 

Xxx
 

Man musste Lucius immerhin zugestehen, dass er so intrigant und skrupellos war wie eh und je. Zumindest dachte Draco dies, als er seine Familie vornehm ausstaffiert in ihrem neuen Salon thronen sah.
 

„Oh, Draco, da bist du ja. Komm doch bitte herein, wir haben Besuch.“
 

Draco verfluchte sich innerlich dafür, dass er an einer nur angelehnten Tür gelauscht hatte, verzog sein Gesicht zu einem verkrampften Grinsen und stieß die Tür etwas weiter auf, um in den Salon zu gehen.
 

Dort, im Zimmer, erwarteten ihn freundlich lächelnde Menschen. Zum einen Lucius und Narzissa, die dicht beieinander auf einem großen, kostbar wirkenden Sofa saßen, dessen weißer Damast mit Blumenmustern in Gold und Silber bestickt war.
 

Seitlich von Lucius, allerdings nicht auf dem Sofa, sondern auf einem zu der Sitzgruppe passenden Ohrenbackensessel, saß Severus Snape und machte ein Gesicht, als ob er gerade drei Stunden damit zugebracht hätte, die schlechten Aufsätze entsetzlich dummer Schüler zu korrigieren.
 

Ganz anders die Frau, die auf dem Sessel neben Narzissa saß. Gut aussehend, in einem eleganten weißen, knielangen Tweed-Kleid, das einen wunderbaren Kontrast zu ihrer schokoladenbraunen Haut bildete.

Draco lächelte falsch und trat auf die Vierergruppe zu. Er nickte seinen Eltern sowie Snape zu, Mrs. Zabini, Blaises Mutter, reichte er jedoch mit einem angedeuteten Diener die Hand. Sie neigte den Kopf zur Seite und offenbarte eine Reihe blütenweißer Zähne, als sie ihn begrüßte. „Wie schön, dich zu sehen, Draco.“
 

Er nickte aufgeräumt und warf seiner Mutter einen fragenden Blick zu, die daraufhin den Zauberstab in ihrer Hand hob und aus dem nichts einen weiteren Damast-Sessel beschwor. „Setz dich doch bitte. Ich bin sicher, dass dich unser Gespräch interessieren wird.“
 

Draco biss sich auf die Lippen, doch er nickte und ging so entspannt wie möglich zu dem ihm zugewiesenen Platz. Immerhin hatte er von hier aus alles gut im Blick. Augenkontakt zu seinen Eltern war bei diesen Einladungen immer ratsam, um schnell und möglichst natürlich wirkend auf deren subtile Aufforderungen reagieren zu können.
 

Dies war der dritte Nachmittag in Folge, an dem er miterlebte, wie seine Eltern und Snape (der sicher nicht freiwillig, sondern auf Geheiß Voldemorts hier war) Bekannte einluden, um mit ihnen über wichtige Dinge zu plaudern.
 

Narzissa legte den Zauberstab neben sich auf ein kleines, komplett aus Kristallglas geschliffenes Tischchen, und nahm stattdessen ein Scotchglas in die Hand, mit dem sie Mrs. Zabini affektiert lächelnd zunickte. Diese erwiderte die Geste und nippte an ihrem eigenen Glas.
 

Draco verengte die Augen. Lucius hatte kein Glas. Ebenso wenig wie Snape, doch da Snape allgemein sowieso wenig Alkohol trank - wenn Draco ihm auch durchaus zutraute, den einen oder selbst gebrauten Trank zur eigenen Zerstreuung zu trinken - wunderte ihn das wenig. Aber Lucius… Lucius hatte in den drei Tagen die Draco nun hier war, nicht ein einziges Mal Alkohol getrunken.
 

„Oh“, Mrs. Zabini hob die Hand vor den Mund und warf Draco einen nahezu schockierten Blick zu, den er mit einer fragend erhobenen Augenbraue beantwortete. „Es verletzt dich doch nicht, dass ich hier bin? Ich meine, nachdem Blaise und Pansy…“ Ihre Miene war ein Bild des Mitleides und des schlechten Gewissens.
 

Draco grinste affektiert und schüttelte den Kopf. Eine wegwerfende Bewegung mit der Hand und ein beschwichtigendes Lächeln zu seinen einen Moment lang überrascht wirkenden Eltern, dann antwortete er mit samtweicher Stimme: „Nicht im Mindesten, Mrs. Zabini. Pansy ist ein wirkliches nettes Mädchen, aber, nun, Sie verstehen… wenn man erwachsen wird, dann zerbrechen leider viele Jugendlieben.“ Er neigte den Kopf leicht zur Seite und fügte zuckersüß hinzu: „Das ist ganz normal. Machen sie sich darüber keine Gedanken.“
 

Mrs. Zabini nickte dankbar und erwiderte, leicht schalkhaft, zu seinen die Haltung wahrenden Eltern: „Nun ja, er wird nicht lange alleine bleiben.“ Sie lächelte Draco kokett an, nippte an ihrem Glas und prostete ihm zu. „So ein hübscher Junge. Wirklich, es ist eine Schande, dass Sie nur ein Kind haben.“ Sie kicherte und ließ ihre Stimme nett, doch etwas tadelnd klingen. „Wie kommt es nur, dass ein so attraktives Paar, das einen so gut aussehenden Sohn zustande gebracht hat, es bei einem Kind belassen konnte. Welch eine Verschwendung.“
 

Lucius lächelte, legte den Kopf ebenso schief wie Mrs. Zabini und antworte n seinem wohl geübten, öligen Tonfall: „Nun diese Rüge könnte ich an Sie weitergeben. Wieso hat eine so schöne Frau nur ein einziges Kind?“
 

„Lucius!“ Narzissa kicherte und legte ihrem Mann mahnend die Hand aufs Knie. „Also wirklich, du flirtest doch nicht mit anderen Frauen?“
 

„Nur ein wenig“, lachte Lucius und legte seine fein manikürte Hand auf Narzissas.
 

Draco verdrehte die Augen und verschränkte die Arme. Sein Blick fiel auf Snape, der ihm genau gegenüber saß und wirkte, als ob er sich jeden Moment übergeben müsste. Draco suchte seinen Blick, doch Snape starrte weiterhin genervt an ihm vorbei zur Tür. Höchstwahrscheinlich der Ort, nach dem es ihn verlangte. Hinaus. Weit weg von diesem Theaterspiel.
 

„Nun ja“, Mrs. Zabini nahm einen weiteren Schluck Scotch und seufzte. „Meine Ehen waren alle miteinander etwas kurz. Es hing wohl damit zusammen, doch Sie haben recht. Eigentlich ist es schade. Nun, was ist Ihre Ausrede?“
 

„Wir brauchen keine“, verteidigte sich Narzissa, lehnte sich leicht an ihren Lucius und erklärte weiter: „Wir haben das, was wir unserem Sohn geben konnten, sinnvoll verteilt. Gutes Aussehen, Stolz und Intelligenz unser beider Familien vereinigen sich in Draco.“
 

Während sie so erzählte, dachte Draco darüber nach, dass seine Mutter selbst auch zwei Schwestern hatte und ihre Einzelkindanpreisung, so gesehen, etwas seltsam klang. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob es eigentlich geplant gewesen war, dass er weder Bruder noch Schwester hatte.
 

Sie lehnte sich etwas vor, um Draco, der auf seinem Sessel mehr und mehr in sich zusammensank, freundlich, doch mit toten Augen, anlächeln zu können. Draco erwiderte ihr Lächeln, starrte dann wieder geradeaus und diesmal war er sicher, dass Snape absichtlich seinen Blick mied.
 

„Denken Sie doch nur einmal an die Weasleys“, führte Lucius den von Narzissa begonnenen Gedanken weiter aus. „Diese Familie hat sieben Kinder.“ Er lachte leise. „Sehen Sie sich diese Leute doch nur an, im Grunde genommen haben Aussehen und Intelligenz noch nicht einmal für eine Person gereicht. Und dann haben sie dieses Nichts auch noch auf sieben Kinder verteilt.“
 

Snape schnaubte in einer Art, die sowohl Zustimmung wie auch Belustigung ausdrücken mochte, wohingegen Anouk in schallendes Gelächter ausbrach. „Aber Lucius“, sie hob den tadelnd den Finger, legte den Kopf schief und setzte eine allzu offensichtlich falsch mitleidige Miene auf. „Wir sollten über die Weasleys nicht spotten. Wo sie doch nicht nur diesen Schuppen, den Fuchsbau, sondern auch noch einen Sohn verloren haben. Hach…“, sie hielt sich die Hand vor den Mund, als sei ihr eben ein schockierender Gedanke gekommen, „und wurde Arthur nicht im Ministerium gekündigt?“
 

Narzissa nahm einen weiteren Schluck Scotch und bestätigte: „All die Jahre über hat er uns mit seinen Muggelartefakten gefährdet. Diese Gerüchte über Experimente, die er gemacht haben soll… Nun ist wenigsten einmal deutlich klargestellt worden, wie gefährlich das alles ist.“
 

„Vor einigen Jahren hat einer seiner Söhne, ich glaube Ron, eines seiner präparierten Autos gestohlen und ist damit nach Hogwarts geflogen. Selbstverständlich nicht, ohne bei seiner“, Snapes Mund kräuselte sich zu einem höhnischen Grinsen, „Landung das Schloss und seinen Zauberstab zu beschädigen.“ Er schüttelte den Kopf und legte die Beine übereinander, verschränkte die Arme und kommentierte missbilligend. „Nicht nur, dass er Gegenstände aus dem Ministerium, gefährliche wohlgemerkt, entwendet hat. Er hat auch selbst daran herumexperimentiert und diese gefährlichen Gegenstände nicht vor seinen Kindern gesichert.“ Er holte tief Luft, warf einen nachdenklichen Blick auf Draco und beendete seine Ansprache: „Nun, leider wissen wir, was seine Vorliebe für Muggel gekostet hat.“
 

Lucius und Narzissa wandten sich zu Draco um und lächelten ihn mit einem so rührseligen „Es-hätte-auch-unseren-Sohn-treffen-können“-Lächeln an, dass Draco langsam übel wurde. Er verzog das Gesicht und beugte sich nach vorne, um sein Gesicht vor Anouk Zabinis Blicken zu schützen, als ein kratzendes Geräusch seine Aufmerksamkeit beanspruchte.
 

Snape saß in einer gekünstelt wirkenden, übertrieben aufrechten Position in seinem Sessel, räusperte sich – das war also das kratzende Geräusch - und hob entschuldigend die Hände. „Verzeihung.“ Er hustete und schlug sich auf die Brust. „Der Beruf des Zaubertrankbrauers geht auf die Lungen.“ Erneut hielt er sich die Hand vor das Gesicht und Draco meinte, als Lucius, Anouk und Narzissa schon wieder wegsahen, ein krampfhaft unterdrücktes Grinsen in dem fahlen Gesicht zu erkennen.
 

Anouk schüttelte den Kopf und wischte sich die Augen, als wolle sie eine verräterische Träne daraus entfernen. „Ja“, sie seufzte und sah kurz zu Draco, dann wieder zu Lucius und Narzissa. „Ich will es mir gar nicht vorstellen, ich will mir gar nicht vorstellen was passiert wäre, wenn mein Sohn dort gewesen wäre. Diese Muggel… wie ich sie doch hasse. Diese… diese…Unmenschen.“ Sie schluckte schwer und für eine kurzen Moment fühlte Draco sich, als könne er jeden Moment in Ohnmacht fallen, denn Anouk sah wirklich so aus, als hätte sie Angst um Blaise gehabt und, noch schlimmer, als würde sie die Weasleys in diesem einem Punkt aufrichtig bedauern.
 

Doch dann schüttelte sie den Kopf und alle Sorgen und Ängste schienen von ihr abzufallen. Viel freier wirkte ihre Körperhaltung wieder. „Ich freue mich jedenfalls, Lucius, dass Sie ihren Einfluss im Schulelternbeirat zurückerlangt haben. McGonagalls Kopf sollte nicht der letzte sein, der rollen wird. Nicht?“
 

Lucius nickte nachdrücklich. „Selbstverständlich! Ich möchte meinen Sohn in dieser Schule sicher und nicht in Gefahr wissen.“
 

„Es ist so gut zu wissen, dass Askaban Ihnen nichts anhaben konnte, Lucius!“ Sie lächelte dankbar, eine Spur anzüglich, und prostete ihm mit ihrem Glas zu.
 

Bei der Erwähnung von „Askaban“ zuckte Lucius' rechte Hand, was Dracos Aufmerksamkeit zurück zu seinem Vater lenkte. Kaum merklich, niemandem würde es auffallen, blickte Lucius immer wieder für Sekundenbruchteile auf das Scotchglas seiner Frau.
 

Er lächelte nonchalant und nickte zur Bekräftigung ihrer Worte. „Ich will nicht leugnen, dass die Zeit in Askaban schwer war, doch wissen Sie… Ich wusste, dass man meine Verurteilung revidieren würde, sobald sich herausstellte, dass die Anschuldigungen von damals falsch waren.“
 

Aha! Das wusste Draco noch nicht. So groß war Voldemorts Einfluss also schon, dass er Urteile des Zauberergamotts revidieren konnte. Wie hatte er das getan? Imperiusfluch? Todesser im Ministerium? Eventuell manche wirklich überzeugt, dass sie damals alles falsch verstanden hatten? Alles möglich.

Draco lächelte und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Immerhin, sein Vater war kein verurteilter Verbrecher mehr. Gut so.
 

Draco legte die Beine übereinander und nickte betroffen, als sein Vater unter den mitfühlenden Blicken seiner Mutter gestand, dass Askaban für ihn eine schwere Zeit gewesen sei, doch sein Wissen um die Ungerechtigkeit, die dahinter stand, hätte ihm geholfen.
 

Draco sah seine Hände zucken.
 

Während er redete, immer wieder für einen kurzen Moment zuckten, zitterten Lucius Hände.
 

Narzissa schien es bemerkt zu haben, dann sie legte ihre zarte, kleine Hand auf seine große.
 

Anouk Zabini bemerkte es nicht, neugierig legte sie den Kopf schief, warf ihm fragende Blicke zu und kaute während Lucius Bericht auf ihrer Unterlippe. „Dann ist es also nicht wahr, Sie sind kein Todesser, Lucius?“, fragte sie begierig.
 

Draco sah Schweißperlen auf dem blassen Gesicht seines Vaters.
 

„Das habe ich nicht gesagt“, antwortete Lucius, lächelte ebenso kokett wie Anouk und zog die Augenbrauen hoch. „Die Darstellung, die Sie vermutlich im Tagespropheten gelesen haben, war unzutreffend. Doch natürlich war ich dort, allerdings waren meine Absichten andere als allgemein vermutet.“
 

Lucius‘ Hände zitterten jetzt ganz deutlich.
 

Draco legte sich im Sessel zurück, achtete nicht mehr auf den die Augen rollenden Snape ihm gegenüber, sondern nur noch auf die Hände seines Vaters.
 

„Wie Sie sicher wissen, war dieser Potterjunge ebenfalls mit einigen Freunden dort“, machte Narzissa in sachlichem Ton weiter. „Ich frage Sie, Anouk, warum verrät uns der Tagesprophet nicht, was diese Jugendlichen dort gemacht haben? Noch dazu, da Potter in dem betreffenden Jahr eine Organisation gegründet hat, die sich „Dumbledores Armee“ nennt. Doch Dumbledore wurde nicht befragt. Wie auch. Er arbeitete gegen die Ministeriumsangestellte Umbridge, tauchte unter und ja…“, sie seufzte, hob die Augenbrauen und sah Lucius in das von einem dünnen Schweißfilm bedeckte Gesicht, der ihr jedoch vollkommen ruhig, überzeugend wirkend, zunickte, „… er hat diese Kinder losgeschickt, in das Ministerium für ihn einzubrechen. Kinder, Anouk.“
 

Narzissa drehte sich zu Draco um, schluckte und blickte ihn herzerweichend liebevoll an. „Jünger als unsere Söhne. Das Weasley-Mädchen und die Tochter des verrückten Lovegood waren gerade mal vierzehn. Dumbledore lässt Vierzehnjährige für sich im Ministerium einbrechen.“
 

Mrs. Zabinis Mund klappt auf, sie schlug ihre Hand voll ungläubigem Entsetzen davor, riss die Augen auf und wisperte: „Mir war Dumbledore ja schon immer suspekt. Ist es denn wahr, wollte er das Ministerium übernehmen?“
 

„So weit ich in Erfahrungen bringen konnte, ja!“, antworte Snape knapp. Er rutschte auf seinem Sessel herum, bis er in einer aufrechten Position am Rand saß und warf der schwarzen Hexe einen kalten, ungerührten Blick zu. „Glücklicherweise ist Potter dumm. Nun ja, vielleicht auch nur naiv, doch fehlt es ihm an Weitsicht. Er hat sich in der Nacht verraten, als er in Dumbledores Auftrag in das Ministerium einbrechen wollte, um… Dinge zu stehlen. Ich habe Lucius um Hilfe gebeten.“ Er drehte sich zu Lucius (der nun seine Arme um seine Bauch geschlungen hatte, so dass die zitternden Hände nicht mehr zu sehen waren) um, wartete einen, wie Draco wusste, einstudierten Moment, um die Dramatik zu erhöhen und wartete darauf, dass Lucius seinen Blick erwiderte und ihm mit einem Nicken erlaubte, weiterzusprechen.

Snape holte tief Luft, wie zu einem Geständnis und nickte zu sich selbst, bevor er die Augen schloss. „Wir sind Todesser. Ich muss es gestehen, diese Geheimnistuerei war all diese Jahre so belastend.“
 

Anouks Hände fielen wie tot herab, so dass man nun ihren offen stehenden Mund unverdeckt sehen konnte.
 

„Ihr entschuldigt mich einen Moment?“, Lucius stand, leicht auf Narzissa Schulter gestützt, auf, lächelte in die Runde und ging, mit einem kameradschaftlichen Klaps auf Dracos Rücken, an der Sitzgruppe vorbei aus dem Salon hinaus.
 

Snape sah ihm kurz nach, schien abgelenkt von seinem einstudierten Vortrag, doch dann schüttelte er sich, als wolle er sich selbst aus der Erstarrung wecken. „Es wurden viele Lügen erzählt. Sehr viele. Dumbledore war ein sehr einflussreicher Mann, müssen Sie wissen. Und nun, da er tot ist…“ Er schloss für einen Moment die Augen und schüttelte den Kopf. Dabei setzte er eine Miene auf, die man bei einem anderen Menschen trübsinnig genannt hätte und knetete nervös seine Hände. „Ich mochte ihn. Ich wollte ihn retten.“ Er schluckte schwer und Draco spürte, wie seine Beine ebenso unruhig zitterten und bebten wie die Hände seines Vaters zuvor. „… aber Albus war unerreichbar. Er war von dem, was er glaubte und wollte immer so überzeugt… Er hat sich so oft als verständnisvoll und tolerant hingestellt, aber in Wirklichkeit galt diese Toleranz nur für Gleichdenkende. Er hat in all den Jahren noch nicht einmal versucht, mit den Todessern Kontakt aufzunehmen, um die Differenzen zu klären. Für ihn gab es diesbezüglich leider keine Kompromisse.“ Snape seufzte und seine Augen wurden leer. Draco war sich ziemlich sicher, dass diese bitteren Gedanken, die er aussprach, nicht gänzlich dem Drehbuch entsprangen, das er, Lucius und eventuell auch Voldemort selbst für dieses Treffen angefertigt hatten. „Ich musste mich jahrelang immer nur entschuldigen. Für alles was ich war. Er hat gesagt, er verzeiht mir meine Vergangenheit. Das klingt großmütig, aber man verzeiht doch nur Dinge, die man falsch gemacht hat. Nicht? Er hat mir meine Verbrechen verziehen, so sah er es. Er hat nie versucht, darüber nachzudenken, warum ich zu Voldemort ging und ob es dort etwas zu finden gab, das er nicht kannte und das er den Menschen nicht geben konnte.“ Er schüttelte seinen Kopf und lehnte sich nach vorne. Die Arme auf den Knien abgestützt war sein Gesicht nun vollkommen von einem Vorhang schwarzen, fettigen Haares verdeckt.

„Er hatte große Pläne, in der Tat. Der Dunkle Lord, meine ich.“ Er nickte, und fügte mit vielsagendem Blick hinzu: „Das Dunkle Mal steht für Freiheit! Für die Freiheit des Geistes und die Freiheit der Magie. Das war Dumbledore immer suspekt. Zu sehr wollte er uns alle gleich machen. Unsere Interesse denen der Muggel, die er zeitlebens immer unterschätzt hat, unterordnen. Nun ja…“ Er seufzte schwer. „Ich kann nicht zu viel dazu sagen, nur, dass jetzt, wo Dumbledore tot ist, wieder Pressefreiheit herrscht. All die Dinge, die so feige den Todessern vorgeworfen wurden, jetzt erfährt die Öffentlichkeit, die wahren Hintergründe.“
 

„Aber wollen Sie etwa sagen, dass es nie Morde oder Anschläge von Todessern gegeben hat?“, fragte Anouk atemlos.
 

Narzissa hob eine Augenbraue und lächelte charmant. „Er sagt, dass die Intentionen der Todesser bisher immer falsch dargestellt wurden. Vieles wurde in den vergangenen Jahren vertuscht oder falsch dargestellt. Die wachsende Gefahr wurde ignoriert und verleugnet, nur, damit Männer wie Dumbledore ihre Position sichern konnten. Nun denken Sie nur, womöglich hat Dumbledore selbst mit den Muggeln kooperiert?“
 

Snape nickte, kräuselte den Mund und stimmte zu. „Durchaus. Immer und immer wieder.“ Er schüttelte den Kopf und setzte eine enttäuschte Miene auf. „Und ich habe so lange nicht verstanden, wie er die deutlichen Anzeichen ignorieren konnten…. Doch das ist jetzt vorbei.“ Er hob den Kopf und spähte an Draco vorbei. „Magst du…?“
 

„Sicher.“ Lucius schritt selbstsicher an Draco vorbei, einen zwar schwachen, doch unverkennbaren Geruch nach Whisky mit sich bringend, und setzte sich wieder neben Narzissa. Er schwitzte nicht mehr, er zitterte nicht mehr und war wieder so charmant und gelassen wie man ihn kannte, während er Anouk erklärte, dass die wahren Interessen der Todesser darin bestünden, drohende Gefahren abzuwenden. Sicher, sie wären Kämpfer. Aber manchmal war dies unvermeidlich. Und dann erzählte er, dass es jemanden gab, der all dies als einziger sehr früh erkannt hatte. Er machte es geschickt, er sagte weder zu viel noch zu wenig, ohne falsches Pathos, ohne Verherrlichungen, doch am Ende zeigten er und Snape, nach Aufforderung auch Draco – woraufhin Anouk sich vor Schreck an die üppige Brust fasste - die Schlangenköpfe auf den Unterarmen und erklärten, dass man manche Dinge besser kennen müsse, um sie verurteilen zu können. Und würde er, Lucius, jemals etwas gut heißen, was seinen eigenen Sohn in Gefahr oder Konflikt bringen könnte?
 

Ihn, den Namenlosen, würde kaum jemand kennen, da er wusste, dass es zu viel Lügen gab, um offen auf die magische Gemeinschaft zugehen zu können.

„Doch genau aus diesem Grund“, erklärte Lucius mit einem Augenzwinkern, „laden wir gerne so nette Gäste wie Sie heute Abend ein, da wir wissen, dass Sie die Wahrheit nicht leugnen werden. Das Sie die Augen nicht vor der Gefahr verschließen, die nur ein Mann vor langer Zeit schon erkannt hat.“
 

Anouk nickte voller Begeisterung.
 

Der Abend hatte sein Ziel erreicht. Nicht der erste Abend. Laut Narzissa und Snape luden sich seine Eltern schon eine ganze Weile immer wieder Bekannte ins Haus ein, um „Wahrheiten“aufzudecken.
 

Voldemort mochte von Lucius enttäuscht sein, doch zweifellos, so verriet Snape Draco, schätzte er dessen Reichtum und gesellschaftlichen Einfluss. Jemand wie Lucius, ein gut aussehender, angesehener, reicher Bürger, konnte an solch einem Abend mehr Progagandaarbeit leisten, als es jedem anderen in einem Jahr möglich gewesen wäre.
 

Anouk würde mit ihren Freunden reden. Würde eventuell mit ihrem Sohn reden. Würde aufklären wollen. Würde dem Tagespropheten glauben. Würde vor allem aber auch zu glauben beginnen, dass man sie all die Jahre über, dass Dumbledore sie betrogen hatte.
 

Draco sah seine Eltern in ihrer besten Rolle. Das gut aussehende, harmonische High-Society-Ehepaar.
 

Ein Ehepaar, das diesen Nachmittag deinen alten Mann aus einem Krankenhaus hat entführen lassen, um ihn in den Kerker im Keller zu werfen. Warum? Als Inferius? Für Vielsafttrank? Wegen Informationen? Als Geisel? Alles möglich.

Und da saßen sie und erzählten ohne rot zu werden, dass man sie all die Jahre hindurch immer falsch verstanden hatte.
 

Draco holte tief Luft und schloss die Augen, als er erneut den scharfen, von Lucius ausgehenden Whiskygeruch wahrnehmen konnte.
 

Also doch.
 

Er hatte ihn nicht trinken sehen, seit er hier angekommen war. Keinen einzigen Schluck. Sie hatten nichts dazu gesagt, nichts abgestritten oder auch nur kommentiert, doch Lucius trank zu den Mahlzeiten Mineralwasser und arbeitete sehr hart an den abendlichen Vorträgen sowie an gefälschten Zeitungsberichten, die er immer mal wieder diversen Presseangehörigen zusandte.
 

Draco lag die meiste Zeit im Bett, kam, wenn überhaupt, nur zu den Mahlzeiten aus seinem neuen, fremden Zimmer heraus und suchte sich spätesten nach dem Abendessen durch das fremde Haus zurück in den fremden, unpersönlichen Raum, mit dem er rein gar nichts verbinden konnte.
 

Dennoch.
 

Zittern. Schwitzen. Motorische Unruhe. Hinausgehend. Hereinkommen. Nach Whisky riechen. Kein Zittern mehr.
 

Anouk verabschiedete sich freundlich. Bedankte sich, für all die Wahrheiten und wimmerte ängstlich, in welcher Gefahr Blaise doch all die Jahre über geschwebt hätte, ohne dass man davon gewusst hatte. Dann ließ sie sich von Narzissa zur Tür hinaus geleiten, dicht gefolgt von Severus Snape, der sein Gastspiel für diesen Abend beendet hatte.
 

Lucius glitt elegant aus seinem Sessel, strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und kam mit einem wohlwollenden, freundlichen Lächeln auf Draco zu, der sich gerade ein Glas Scotch eingeschenkt hatte.
 

„Wieso hast du uns nicht geschrieben, dass mit Pansy Schluss ist?“
 

Draco zuckte die Achseln, nahm einen Schluck Scotch und ließ sich langsam nach vorne sinken. Nachdenklich betrachtete er das Glas in seinen Händen, drehte es hin und her und betrachtete wie die rotgoldene Flüssigkeit leicht, viel fließender als Wasser, in seinem Glas hin und her floss.
 

„Ich weiß nicht“, antwortete er schließlich, nahm einen weiteren, kleinen Schluck und lehnte sich im Sessel zurück, um seinem Vater in die grauen Augen sehen zu können. „Ich dachte nicht, dass es wichtig wäre.“
 

„Nun ja, wenn es dich dazu bringt, Scotch zu trinken, dann ist es wohl doch wichtig.“ Er lächelte freundlich und nickte mit einem bedeutungsvollen Blick zu dem Glas in Dracos Händen.
 

„Ich habe doch schon gesagt, Vater, dass mich die Trennung nicht weiter belastet“, erklärte Draco leicht genervt. „Wir haben uns auseinanderentwickelt. Das kommt eben vor.“
 

Ein weiterer Schluck, das Glas war leer. Er wischte sich das Kinn mit der Hand ab und wollte schon wieder zur Flasche greifen, wurde jedoch von Lucius aufgehalten, der seine ausgestreckte Hand festhielt und ihm das leere Glas mit sanftem Zwang aus der anderen Hand wand. „Das sollte genügen, Draco. Ich verstehe ja, dass dein Leben im Moment etwas... nun sagen wir… schwierig ist… doch wird dir das keine Hilfe sein.“
 

„Ach, nein?“ Draco lachte trocken auf, sank in seinem Sessel etwas weiter nach hinten und verschränkte trotzig die Arme. „Und das sagst ausgerechnet du mir?“
 

Lucius lächelte freundlich und unschuldig, doch flackerte in seinen Augen ein Hauch von Unsicherheit. „Ja, sicher. Wieso nicht?“
 

„Ach, verarsch mich nicht, Lucius“, schnarrte Draco barsch, sprang auf und platzierte sich vor seinem einige Zentimeter zurückweichenden Vater. Er verzog angeekelt das Gesicht, reckte die Nase in die Luft und schnüffelte. „Ich kann es riechen. Ich habe deine Fahne schon gerochen, als du ins Zimmer gekommen bist.“
 

Lucius eben noch freundliche Miene gefror zu Eis. Die eben noch warme, fast sorgenvolle Stimme klang jetzt kalt und abweisend, als er Draco von sich wegstieß und schnarrte: „Ich muss mich vor dir nicht rechtfertigen, Draco!“
 

„Und ich muss mich von dir nicht anlügen lassen, Lucius! Denkt ihr, ich bin blöd? Denkt ihr, ich merke das alles nicht?“ Er trat einen Schritt näher und bohrte seinen Zeigefinger in die Brust seines Vaters. „Wenn du es schon nicht lassen kannst, dann mach es doch gleich hier. Ihr könnt in diesem Haus doch überhaupt treiben, was ihr wollt. Hört endlich mit diesem Heile-Welt-Getue auf, mir wird ganz schlecht davon. Ich kenne dich, Vater. Ich weiß, was du bist.“

Lucius Malfoy reckte stolz sein Kinn in die Luft, schnaubte und atmete die eben aufwallende Wut aus sich heraus. Zurück blieb der kühle Mann, dessen verachtender Blick und strenge Stimme für Draco in seiner Kindheit einschüchternder waren, als es angedrohte Prügel je hätten sein können. „So, du kennst mich? Gut, gut.. dann solltest du allerdings wissen, dass ich Wichtigeres zu tun habe als mir dein kindisches Gejammer anzuhören.“
 

Er lächelte blasiert, goss sich Dracos Glas in seinen Händen randvoll mit Scotch, prostete ihm zu und leerte das Getränk in einem einzigen Zug. Seine Mundwinkel zogen sich leicht nach oben, voller Spott betrachtete er seinen Sohn, der sich wieder wie ein ausgescholtenes Kleinkind fühlte.
 

Ohne weitere Worte angelte Lucius den an der Chaiselongue angelehnten Gehstock, schob Draco mit dessen Spitze unsanft zur Seite und stolzierte mit hoch erhobenem Kopf aus dem Raum hinaus.
 

Xxx
 

Hermine achtete darauf, sich so leise wie möglich zu bewegen. Weniger wegen des Bildnisses von Mrs. Black. Tatsächlich konnte sie sich sogar damit rühmen, als eine der wenigen – wenn nicht als einzige - in der Lage zu sein, ein Gemälde mit einem Silencio-Bann zu belegen. Moody hatte das hochachtungsvoll als höhere Magie bezeichnet, Hermine nannte es Selbstverteidigung. Ihr Bestreben leise zu sein, war viel eher darauf zurückzuführen, dass ihr die Menschen dort unten, die gerade das Weihnachtsessen vorbereiteten, unangenehm waren. Vielleicht auch unheimlich. Hermine war sich nicht ganz sicher, welches der Worte passender für das Gefühl waren, das sie in ihrer Mitte immer überkam.
 

Die Treppe unter ihr knarzte bei jeder weiteren Stufe, die sie höher stieg. Immerhin würde man sie nicht sehen. Hier oben waren die Petroleumlampen nicht angezündet worden. Vielleicht weil es sich die anderen Bewohner des Hauses nicht vorstellen konnten, dass jemand freiwillig hier herauf kam. Vielleicht aber auch, weil sie sich selbst gelegentlich gerne versteckten.

War sie eben, bei der neuen Treppe, noch im letzten Licht der unteren Stockwerke recht sicher gegangen, musste sie sich nun, am oberen Ende, etwas unbeholfen durch die Dunkelheit den Flur entlang tasten. Ihre Hände glitten über vergilbte, abgeblätterte Tapeten, die den typisch muffigen Geruch eines Hauses ausströmten, in dem eigentlich niemand mehr wohnen sollte.
 

Eigenartig, die Weasleys wohnten seit der Hochzeit hier und würden das noch einige Zeit weiter tun, da Arthur nun zu allem anderen Elend nun auch noch arbeitslos war. Dennoch schien niemand dieses letzte, oberste Stockwerk betreten zu haben. Als würde es nicht existieren, oder als wolle man es vergessen.
 

Immer wieder glitten ihre Hände über Bilderrahmen und die darin befestigten Ölgemälde längst verstorbener Familienmitglieder, die wohl schon so lange in ihren Rahmen dahinvegetierten, das sie jetzt, als die kleine Hand unvorhergesehen über sie streifte, nichts mehr als ein unwilliges Knurren von sich gaben.

Sie wusste, dass es die Menschen in den Bildern waren. Dennoch, die Gänsehaut, die sie überzog, das Frösteln und Schaudern, sie konnte es nicht vermeiden bei dem Gedanken daran, hier im Dunkeln von etwas Unbekanntem angeknurrt zu werden.
 

Fetzen angerissener Tapete hingen von der Wand. Möglicherweise das Werk Seidenschnabels, der in seinem Übermut in den Gängen herumgetobt hatte. Vielleicht war es aber auch Sirius gewesen, der entweder betrunken oder einsam genug gewesen war, um keine andere Freizeitbeschäftigung als Tapetenreißen zu kennen. Ihre Hände berührten Holz, den Rahmen der Tür und versanken Sekunden später in der Vertiefung des Türrahmens. Sie hatte das Zimmer gefunden, hier würde sie alleine sein.
 

Hermine hatte ein eigenartige Gefühl, als sie den Raum betrat. Nicht nur, dass sie das Gefühl nicht abschütteln konnte, etwas Verbotenes zu tun. Sie fühlte auch eine gewisse Präsenz in diesem Zimmer.
 

Sie ging hinüber zu dem altmodischen Doppelfenster. Die Fensterflügel knarrten, als Hermine zuerst die erste, etwas klemmende, dann die zweite, äußere Flügeltür öffnete.

Kühle Luft wehte ins Zimmer und strich wie der eisige Atem der Nacht über ihre Haut und zauste ihr die Haare. Sie spürte, wie ihre Locken angehoben wurden und leicht kitzelnd über ihre Haut strichen, als die nächste Brise hereingeweht wurde.
 

Eine Weile blieb sie so stehen. Die Arme ausgebreitet, die Hände auf den aufgeklappten Fensterflügeln und genoss das Gefühl, das jede neue Brise verursachte, die über ihre Haut, in ihr Haar oder unter den Stoff ihrer Kleidung fuhr.
 

Frische Luft, kühler Sauerstoff strömte in ihren Körper und über ihre Adern hinein in ihr Gehirn, das nach der betäubten Lahmheit der letzten Tage endlich wieder in Schwung zu kommen schien, als sie den Kopf in den Nacken legte und tief durchatmete.
 

Hermine überlegte, ob Sirius in der Zeit, in der er hier hatte leben müssen, die selbe Enge, Begrenztheit und auch, so paradox es klingen mochte, vertraute Fremdheit verspürte, die auch ihr das Atmen schwer machte. Es war vertraut, das Gefühl, nicht wirklich hierher zu gehören war ihr mittlerweile recht vertraut. Eigentlich nirgendwohin zu gehören und irgendwie auch gar nicht wirklich hier zu sein.
 

Wenn sie die Augen schloss, wie jetzt, dann schien das Andere nur einen Wimpernschlag entfernt zu sein. Es schien gar nicht schwierig. Nur einen Schritt weiter, ganz nah, wenn sie die Arme ausstreckte, wie jetzt, als sie die Fenstertür losließ, dann konnte sie das Andere beinahe greifen.
 

Es hatte etwas Anheimelndes, den Raum aufzusuchen, in dem schon jemand anderes vor ihr einsam gewesen war, um alleine zu sein. Sirius. Vielleicht auch Seidenschnabel.

Ob sich der Hippogreif einsam gefühlt hatte, als er von seiner Herde, Hagrid, seiner Heimat und dem Wald herausgeführt worden war und stattdessen in einem engen, für ihn engen, Zimmer dahinvegetieren musste?
 

Keine andere Gesellschaft als Sirius, der, auch wenn Harry das nie hatte sehen wollen, manisch-depressive Züge aufwies und zudem ein Alkoholproblem hatte. Die Phasen schwankten. Phasen voller Ideen und Tatendrang, die durch die bleierne Last seiner unsichtbaren Ketten, die ihn an dieses Haus banden, jedes Mal in die tiefsten Tiefen seines Gemütes hinabzogen. Er war oft unleidlich, verschlossen und teilweise auch bösartig, vor allem gegenüber Kreacher, gewesen.
 

Vielleicht hatte er ja sterben wollen? Vielleicht gab es gar keinen Grund, wütend auf Bellatrix zu sein? Sie hatte ihm in gewisser Weise einen Gefallen getan. Ob man Seidenschnabel auch die Wahl hätte lassen sollen? Aber er war freigekommen… er hatte gehen können.
 

Hermine atmete tief ein und überlegte, dass sie auch die Wahl hatte. Auch sie konnte gehen, wenn ihr alles zu eng und trostlos wurde. Auf die eine oder andere Weise.
 

Sie zuckte zusammen, als sie die lauten Schläge der magischen Uhr hörte, die Kingsley im Eingangsbereich hatte anbringen lassen. Groß, sehr groß. Aus Bronze mit fast zwei Metern Durchmesser war sie gegenüber des Esszimmers angebracht worden. Nun hatten die Weasleys doch endlich eine Uhr, die auch die Zeit anzeigte. Auch, sicher hatte sie noch mehr Fähigkeiten. Die kannte Hermine aber noch nicht. Dazu hätte sie ja fragen müssen und eine Unterhaltung mit den Weasleys war das letzte was sie wollte.
 

In jedem Raum, in jeder Ecke und jedem Schrank des Raumes waren die magischen Schläge der Zeit zu hören. Einmal, zweimal, dreimal… siebenmal. Abendessen.
 

Hermine seufzte und klappte das Fenster wieder zu. Sie würde gehen können, wenn auch nicht jetzt, dann kannte sie doch ein Datum, das ihr dazu passend erschien. Wie auch immer, jetzt musste sie aus der dunklen Versenkung wieder auftauchen. Mrs. Weasley hatte einen Braten im Ofen gehabt, der die Größe eines jungen Drachen hatte. Wenn Hermine so darüber nachdachte, dann würde sie es nicht ausschließen, dass es nicht nur die Größe war, die das Fleisch mit einem Drachen verband. Etwas morbide, da Charly immerhin beruflich mit den Tieren arbeitete, dennoch denkbar.
 

Kurz vor der Tür trat sie auf etwas Kleines. Sie hörte etwas Winziges zersplittern. Unsicher bückte sie sich, suchte mit den Fingern über den schwarzen Boden bis sie schließlich fand, was sie eigentlich nicht zu finden gehofft hatte.

Sie sah es nicht. Dennoch. Klein, aus Holz und in einem Haus wie diesem vollkommen überflüssig. Ein Streichholz.
 

Xxx
 

Am Weihnachtsabend saß die ganze Familie versammelt im großen Esszimmer. Mutter hatte etwas auf dem Flügel vorgespielt. Draco hatte sie danach begleitet und dann ebenfalls ein Stück alleine gespielt.
 

Kerzen brannten an den Wänden. Alles war in prachtvollem Gold, Grün und Silber geschmückt. Selbst die Hauselfen waren zur Feier des Tages mit Bändern geschmückt und der Raum duftete angenehm nach Weihnachten, da freischwebende Mistelzweige von ebenso freischwebenden Kerzen angekokelt wurden, was einen herrlich sinnlichen Duft erzeugte.
 

Selbst Bellatrix war nicht ganz so verrückt wie sonst, sondern aß friedlich Braten an der Seite ihres schweigsamen, doch nicht unfreundlich wirkenden Mannes. Draco starrte auf seinen Teller, aß alle paar Minuten einen Bissen und hing in Gedanken dem Gefangenen im Keller nach, den man unter seine Obhut gestellt hatte. Es war ja nicht schlimm, was man von ihm verlangte. Er brachte ihm einmal am Tag ein karges Essen und Wasser. Der Toiletteneimer wurde mit der Magie der Elfen einmal täglich geleert. Geleert wohlgemerkt - nicht gereinigt. Das Essen durften die Elfen dem gebrechlich wirkenden Mittsiebziger jedoch nicht bringen. Wegen der Drogen, die Draco ihm geben musste. Die mussten frisch untergemischt werden. Vielleicht war es auch etwas anderes als Drogen, irgendein Präparat aber auf alle Fälle. Der Körper des Alten war zu irgendetwas bestimmt, das er seinerseits eigentlich ignorieren wollte.
 

Trotzdem. Diesen Mann in seiner Angst, Verzweiflung und Unsicherheit auszuhalten… war schwer.
 

Sein Vater war nicht bei ihnen, da er zu einer Besprechung mit Voldemort selbst gerufen worden war. Er hatte seiner Familie ein frohes Fest gewünscht und gesagt, dass man bitte ohne ihn beginnen möge. Er würde im Laufe des Abends zurückkommen.
 

Vielleicht war es gut so. Jetzt, da Vater wieder etwas höher in der Todesserhackordnung stand, gingen die alten Machtkämpfe mit Bellatrix wieder los. Nicht mit Rodolphus. Der diente Voldemort, freute sich heimlich über jede Demütigung, die anderen zuteil wurde, doch versuchte er immerhin nicht, innerhalb dieses Hauses Zwietracht zu säen.
 

Außerdem hatte Lucius wohl beschlossen, dass Schamgefühle wegen seines Alkoholkonsums überflüssig waren, wenn Draco doch eh alles wusste. Die letzten beiden Tage waren für Draco recht anstrengend gewesen. Eigentlich war er ganz froh, dass Lucius nicht da war.
 

Bellatrix nahm einen tiefen Schluck Wein, stellte den Kelch wieder ab und fuhr, zu Draco gewandt, mit ihren Vermutungen fort, die sie ihm schon den ganzen Abend über ausführte: „Wir wissen immer noch nicht, wer uns im Herbst verraten hat. Sicher, es könnte mit den Kollegen von Lucius zu tun haben, die getötet wurden. Aber wir sollten nicht vergessen, dass in diesem Haus Kreaturen ihr Unwesen treiben, denen man nicht trauen kann.“
 

Sie warf Rodolphus einen vorwurfsvollen Blick zu, woraufhin er augenblicklich den Kopf schüttelte. Als wolle er sich gegen den Vorwurf wehren, dass er eine der Kreaturen sei.
 

„Du sollst es erklären!“, zischte Bellatrix wütend und spießte ein weiteres Stück Hippogreifenbraten auf ihrer Gabel auf. Sie wollte nun essen, deshalb war ihrem Mann Redeerlaubnis erteilt worden.
 

„Ach, so, ja.“ Er räusperte sich, kratzte seinen dichten Bart und zog nachdenklich die Augenbrauen hoch. „Oh, ach ja. Nun, Draco, uns, Bellatrix und mir, ist zu Ohren gekommen, dass euch schon einmal ein Hauself hintergangen hat. Dieser Elf, den Potter euch gestohlen hat…“ Er warf Narzissa einen mahnenden Blick zu, die diesen mit ungerührter Miene erwiderte.
 

„Jedenfalls“, Rodolphus räusperte sich verhalten, nahm einen kleinen Schluck Wein und fuhr mit vor dem Gesicht gefalteten Händen fort, „…Hauselfen sind nicht so zuverlässig und sicher wie allgemein angenommen. Durchaus denkbar, dass irgendeiner diesen Leuten zur Hilfe kam. Wir mussten dafür sorgen, dass das nicht wieder vorkommt und so haben wir uns zehn aus den Reihen der neu gekauften herausgenommen, und sie geköpft.“ Er schnalzte mit der Zunge, griff wieder nach seiner Gabel und fuhr in rationalem Ton fort: „Es ist nur vernünftig, das zu tun. Man kann ihnen nicht früh genug ihre Grenzen zeigen“
 

„Ihr hättet uns davon in Kenntnis setzen sollen.“ Narzissa ließ ihren missmutig gekräuselten Mund hinter einer elfenbeinfarbenen Serviette verschwinden, mit der sie sich mit spitzen Fingern den Mund abtupfte. „Wir haben diese Elfen eigens nach unseren Bedürfnissen ausgewählt.“ Die Serviette wurde sorgsam zusammengefaltet und wieder neben den Teller gelegt, dann hob sie ihr Kinn und funkelte ihre Schwester zornig an. „Dieser Aufwand… bis wir wieder neue Elfen besorgt hatten, die diesen Anforderungen entsprachen. Ihr“, ein noch viel kälterer Blick wanderte von Bellatrix zu Rodolphus und dann wieder zurück, „habt euch damit ja keine Arbeit gemacht.“
 

Bellatrix zuckte gleichgültig die Achseln. „Zumindest ich war mit wichtigeren Dingen beschäftigt. Du solltest wirklich wissen, dass ich unserem Herren zu nahe stehe, um meine Zeit mit ihm, äh, mit seinen Angelegenheiten… um diese Zeit unterbrechen zu können…“
 

Draco verdrehte die Augen und zwang sich, zu einem weiteren Bissen Fleisch, den er kaum schlucken konnte, da etwas wie ein innerer Würgegriff seine Atmung erschwerte. Einige Sekunden, während das Fleisch ihn zum Husten brachte, gönnte er sich, um an das Schlammblut zu denken. Was würde sie wohl zu dieser Diskussion sagen?

Ach ja, - das Fleisch war unten, doch seine raue Kehle schmerzte - sie hatte ihre Meinung dazu ja schon gesagt. Seine Familie war der allerletzte Dreck und er selbst in ihren Augen verachtenswerter Abschaum. Draco griff nach seinem Kelch, nahm einen tiefen Zug und versuchte, auch diesen hinunterzuschlucken.
 

Jemand klopfte schwach gegen die Tür und nachdem Bellatrix und Narzissa gleichzeitig zuerst „Herein“ riefen, und sich dann missmutig mit Blicken durchbohrten (da wohl jede sich als einzige Berechtigte ansah, Besucher einzulassen) trat zaghaft eine kleine Elfe ins Zimmer. „Master Malfoy und Mister Snape sind da. Sie erwarten sie.“
 

„Ah, ja“, Narzissa strich sich eine Strähne, die sich aus einem strengen Haarknoten gelöst hatte, hinter ihr Ohr, und erhob sich. „Geh! Ich werde gleich kommen.“ Die Elfe verneigte sich so tief, dass ihre Nase fast ihre Knie berührte.

Ein Lächeln schlich sich auf Dracos Lippen, als er erkannte, dass dies die Elfe gewesen sein musste, deren Fußnägel in dem Vielsafttrank gewesen waren, mit dem er Granger verwandelt hatte…
 

Draco folgte Narzissa in den Flur, als ein schriller Schrei, der nach sehr viel Angst klang, ihn aus seinen Tagträumen riss.
 

Im Flur, zwischen zwei antiken Ziertischen mit Einlegearbeit und unterhalb eines goldenen, in der Wand eingelassenen Kerzenhalters, kauerte sein Vater. Die Beine dicht an den Körper angewinkelt und den Kopf auf die Knie gebettet. Er stöhnte, als er Narzissas Schrei hörte, als habe er schlimme Schmerzen. „Nar…Nar…Narzissa…!“
 

„Um Merlins Willen, Severus. Was ist mit ihm, ist er verletzt? Ist er mit einem Ordensmitglied zusammengestoßen?“
 

Snape schüttelte den Kopf und lehnte sich locker gegen die Wand. „Bedauerlicherweise nicht, Narzissa.“ Er verzog das Gesicht und zuckte gelassen mit den Schultern. „Stattdessen ist er mit Ogdens zusammengestoßen.“
 

Narzissa riss die Augen auf, atmete laut aus und als Draco klar wurde, was Snape gemeint hatte, schlug auch Narzissa die Hände vors Gesicht. „Oh, nein, Lucius, das kannst du uns doch heute nicht antun.“ Sie knickte ein, sank neben ihrem Mann auf die Knie und umfasste mit ihren Händen sein Gesicht. „Konntest du es nicht wenigstens einmal sein lassen?“
 

Snape wackelte mit dem Kopf und lächelte auf eine sehr eigenartige, schmale Weise, die seinen Mund aussehen ließ, als ob er sich ein Lineal zwischen die Lippen gesteckt hätte. „Es tut mir leid, Narzissa. Als er zu mir kam, war er wegen irgendetwas aufgeregt. Ich musste mich noch kurz um einen Trank kümmern und als ich damit fertig war, war er mit Odgeons fertig.“
 

Ein saurer Geruch ging von Lucius aus. Ein saurer Geruch, den Draco nur zu gut kannte und der wohl auch erklärte, warum Snape eben, als er herausgekommen war, noch den Zauberstab in den Händen gehalten hatte. Schneller als Narzissa seinen Vater loslassen konnte, floss auch schon der nächste Schwall bitterer Magensäure über ihre zarten Hände.
 

Sie sagte nichts, gar nichts. Stattdessen stand sie auf, wandte sich zu Snape um und streckte ihm anklagend die beschmutzten Hände entgegen, ohne ihn anzusehen. Ohne ein weiteres Wort reinigte er ihre Hände und den Boden, machte dabei aber ein Gesicht, als hätte er nur zu gerne eine ganze Menge gesagt.
 

„Draco, hilf…“
 

„Nein!“
 

Narzissa straffte sich und sah Snape überrascht an. „Aber er muss doch, ich kann doch nicht…“ Sie wich einen Schritt vor Snape zurück, das Kinn stets nach oben gereckt, um auch keinen zufälligen Blick auf ihren Mann zu erhaschen, und verschränkte die Arme.
 

Snape zog eine Augenbraue hoch und fuhr sie streng an: „Und deswegen schickst du mal wieder deinen Sohn vor, weil du nicht „kannst“?“ Die Bemerkung hing schwer im Raum, schien nicht zu verhallen und wirkte wie das Echo endloser Diskussionen, die er schon zuvor mit Narzissa geführt hatte, vor Draco jedoch nicht vertiefen wollte.

Er schenkte ihr einen Blick der vieles bedeuten mochte, wovon sicherlich nicht eines wohlwollend war. Ein Kopfschütteln, dann schob er sich an Narzissa vorbei und streckte seinen Kopf in das Esszimmer. „Rodolphus, komm mal kurz raus.“
 

Ohne eine Antwort abzuwarten schloss er die Tür und drehte sich stattdessen zu Draco um. „Geh in den Keller und sieh nach dem Gefangenen. Er sah heute Mittag schlecht aus. Vielleicht braucht er mehr Wasser.“
 

Draco warf seiner Mutter, die sich gegen die Wand gelehnt immer weiter von seinem Vater wegschob und ihn gar nicht beachtete, einen scheuen Blick zu.
 

„Das musst du nicht machen.“ Snape ruckte mit dem Kopf in Richtung Lucius. „Geh runter und tu‘ etwas Sinnvolles.“
 

Xxx
 

Draco atmete heftig, er schwitzte, obwohl es im Keller so bitterkalt war wie es in einer Winternacht nur möglich war, tropften ihm Schweißperlen vom Gesicht. Hier unten roch es muffig und die beiden Fackeln, die man dem Gefangenen gelassen hatte, verbrannten auch das letzte bisschen Sauerstoff, ließen nichts als Ruß und Hustenreiz zurück.
 

Am Ende der Zelle lag ein alter, dünner Mann auf einer Pritsche. Die Gelbsucht hatte seine Haut deutlich verfärbt, die Wangen waren eingefallen und der schwere, qualvolle Husten klang nach einer Lungenentzündung.
 

Er war schwach. Kein Wunder, er war ja schon krank gewesen, als er hierher gekommen war. Obwohl er sicherlich nicht so krank gewesen war wie jetzt.
 

Missmutig kickte Draco den ausnahmsweise leeren Toiletteneimer vor seinen Füßen weg und baute sich vor der langsam erwachenden, zitternden Gestalt auf. „Aufstehen!“
 

Der Mann schlug die Augen auf, zuckte zusammen, als er Draco sah und flinker als erwartet setzte er sich auf, drückte sich mit dem Rücken in die Zimmerecke und schlang die Arme um seine Knie.
 

Es dauerte wohl etwas, bis er begriff, dass dies „nur“ Draco und nicht einer der anderen Bewohner dieses Hauses war. Vielleicht hätte Draco öfter nach ihm sehen sollen. Seine Lippen waren rissig, die Augen lagen in tiefen Höhlen und die Haut wirkte wie aus Pergament.

Selbst seine Stimme klang so schwach unmenschlich, wie knisterndes Papier, als er die eben noch schützend vor sich gehaltenen Arme senkte und Draco mit all der Energie, die er noch hatte, anflehte: „Ich habe Durst, Junge. Bitte!“ Er streckte seinen dünnen, aufgeschürften, zitternden Arm aus, um nach Draco zu greifen. „Hast du etwas zu trinken dabei? Bitte!“
 

Eine Lücke.
 

Draco beobachtete die Szene wie aus weiter Ferne. Mittelmäßig interessiert beobachtete er eine Szene, die ebenso aus einem langweiligen Theaterstück, noch dazu in fremder Sprache, hätte stammen können. Es verstand es nicht und es berührte ihn nicht.
 

Er sah einen dünnen, blonden Mann, der mit einem Eimer in der Hand auf eine wimmernde, zerlumpte Gestalt eindrosch. Das Bild wurde etwas unscharf und entfernte sich. Nein, er entfernte sich. Er sah den Mann von weiter weg, also musste er zurückgewichen sein.

Nur undeutlich sah er, dass der Mann den Eimer bereits zerstört hatte. Der Henkel war angerissen und wurde nun wie eine Peitsche benutzt, um damit das Gesicht des Mannes zu zerkratzen.
 

Der Junge hatte keine Kraft mehr in den Armen. Er konnte aber schreien, doch Draco hörte ihn nicht, wenngleich er auch fühlte, dass seine Worte voller Hass, Frust und Wut sein mussten.
 

Den alten Mann sah er gar nicht. Er hörte ihn auch nicht. Als wäre eine weitere Person da, die eine milchige Glasscheibe vor den Alten hielt. Nur schemenhaft erkannte er die Umrisse der schwachen Gestalt, die mit Fußtritten zur Wand hingetrieben wurde. Dort zusammengekauert, hatte das Opfer keine Möglichkeit mehr, den Fußtritten auszuweichen, die seinen Kopf unablässig gegen die Wand hinter ihm donnerten und auch dann nicht an Kraft verloren, als das Genick mit einem hässlichen Knacken brach.
 

Eine Lücke.
 

Das nächste, was er sah, war, dass der junge Mann neben dem Alten zusammengesunken war und sich wimmernd über ihn beugte. Er hielt ihn zärtlich im Arm und wiegte ihn wie ein Baby, sprach sanfte Worte zu ihm, streichelte ihn, sprach Zauber, um ihn zu heilen und weinte verzweifelt, weil der Gefangene so beharrlich tot blieb.
 

Eine Lücke.
 

Draco fand sich selbst vor Snape wieder. Ein Ausdruck, der in diesem Fall überaus zutreffend war, denn er hatte tatsächlich nicht mehr gewusst wo oder wer er war. Milde überrascht stellte er fest, dass er dennoch fähig war, mit Snape, der ihn mit undurchdringlicher Miene musterte und dann und wann nickte, eine Unterhaltung zu führen.
 

Es dauerte eine Weile, dann hörte er sich auch wieder selbst: „Vielleicht ist er verdurstet, vielleicht war er krank. Ich weiß nicht. Er lag jedenfalls da, und ich konnte nichts tun.“
 

Immer noch stand er etwas neben sich, so dass er Snapes Stimme nur gedämpft, wie durch Ohrenschützer hindurch vielleicht, hören konnte. „Gut, ich werde ihn mir ansehen. Er war eh nicht sonderlich gesund, das war vorauszusehen.“
 

Ein schwarzer Umhang rauschte an ihm vorbei und erst, als er seinen Vater auf einer Chaiselongue neben dem Kamin sitzen sah, wurde ihm klar, dass Snape den Raum verlassen hatte.
 

Der Raum drehte sich um ihn, doch wurde er allmählich langsamer. Er hatte das ungute Gefühl, dass er irgendetwas vergessen hatte.

Er runzelte die Stirn und dachte angestrengt darüber nach, ob ihm irgendetwas entfallen war, was seit der Ankunft seines Vaters geschehen war. Seit… wie kam der eigentlich da hinten hin? Snape und Rodolphus mussten ihn ja praktisch ins Zimmer hineinappariert haben, so schnell wie sie den am Boden kauernden Lucius nicht nur ins Zimmer, sondern auch noch aufrecht sitzend auf das Sofa geschafft hatten.
 

Irgendetwas war ihm verloren gegangen. Vielleicht ein paar Gesprächsfetzen, denn er stellte befremdet fest, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, worüber Lucius und Rodolphus, der neben ihm saß, lachten.
 

Irritiert stellte er außerdem fest, dass seine Mutter an ihrem Flügel saß und mit verträumter Miene ein Wiegenlied spielte. Sie waren also nicht mehr im Esszimmer – Draco drehte sich überrascht um und bemerkte erst jetzt, dass in diesem Zimmer die Wände weiß statt grün waren und der Raum insgesamt mehr Möbel enthielt - sondern im großen Salon.
 

Wann waren sie denn dorthin gegangen?
 

„Ich setze euch davon in Kenntnis, dass ich soeben gerufen worden bin.“ Alle Köpfe drehten sich zur Tür, wo Bellatrix bereits in einen langen Reiseumhang gehüllt, stand, und pikiert ihren Mann fixierte. Sie schnaubte, warf schwungvoll ihre Haare nach hinten und fügte kühl hinzu. „Besser, ihr wartet nicht auf mich. Es gibt wichtige Dinge zu besprechen.“ Sie zog die Augenbrauen hoch und betrachtete missbilligend, wie Rodolphus zuerst sich und dann Lucius ein Glas mit einer grünlichen Flüssigkeit einschenkte. „Ich sollte nicht zu viel sagen. Ihr“, sie lachte gekünstelt, „nun ja…viel Spaß noch.“
 

Lucius kicherte, strich sich eine Strähne aus dem verschwitzten Gesicht, salutierte mit ernster Miene und hob die Hand zum Gruß. „Dir auch. Viel Erfolg.“ Das dreckige Lachen, das darauf folgte, war eindeutig.

Rodolphus spuckte den Schluck Absinth aus, den er eben getrunken hatte und lachte schallend. Er knuffte Lucius mit dem Ellenbogen vertraulich in die Seite und grinste böse. „Weißt du“, raunte er in vertraulichem Ton und warf zuerst sich, danach Lucius, einen Zuckerwürfel ins Glas, „dass sie zu seinen Audienzen nie Unterwäsche anzieht?“
 

Lucius drehte ihm etwas unbeholfen den Kopf zu, grinste selig und kicherte. „Allzeit bereit, nicht?“
 

Bellatrix‘ Gesichtsfarbe verdunkelte sich zunehmend. „Das ist der Neid“, fauchte sie bedrohlich, „weil ich ihn nie enttäuscht habe und deswegen sein vollstes Vertrauen genieße.“
 

„I..i…immerhin etwas.“ Lucius giggelte und Rodolphus fügte nach einem weiteren Schluck sprudelnden Absinths hinzu: „Das andere kommt auch noch.“ Er hob einen Daumen und grinste. „Bleib dran.“
 

„Lacht ihr nur… aber wenn er hört, wie ihr hier spottet…“ Sie hob eine Augenbraue und nickte vielsagend.
 

„Mach, was du für richtig hältst.“ Rodolphus Stimme wurde zunehmendes schleppender, dafür seine sonst so finsterer Laune mit jedem weiteren Schluck sonniger. „Ich bin sicher, es wird ihn brennend interessieren, wie eifrig du dich auf eure Treffen vorbereitest.“
 

Lucius kippte zur Seite, da er sich vor Lachen nicht mehr halten konnte. „Wenn…wenn… wenn“, er wischte sich über das Gesicht und rutschte ein wenig weiter nach hinten in die Kissen, „vielleicht darfst du's ihm dann ja auch s…s…seigen.“
 

Draco verdrehte die Augen und zog die Schultern hoch.
 

Das war peinlich. In diesem Moment wollte er seinen Vater am liebsten totschlagen.
 

Sein Blick fiel zum Flügel. Narzissa war bereits gegangen und Draco beschloss, es ihr gleich zu tun. Ein letzter Blick hinüber zur Chaiselongue, dann schob er sich an Bellatrix vorbei zur Tür hinaus.
 

Xxx
 

Hermine erschrak und zuckte zusammen, als sich neben ihr eine Tür öffnete und Remus, eine verrauschende Spülung hinter sich lassend, aus einem großen, altmodischen Schrank stieg. In der Hand hielt er die aktuelle Ausgabe des Klitterers.

Wie zur Salzsäule erstarrte blieb sie stehen und musste ihn so entsetzt ansehen, dass er in mildes Gelächter ausbrach, als er sie bemerkte. „Die Gästetoilette!“ Er lächelte und deutete mit der Zeitung hinter sich in Richtung Schrank.
 

Hermines Augen wurden noch einige Millimeter größer, ihre Haut klamm und sie verzog den Mund.
 

„Nein… sieh doch.“ Remus lachte laut auf, packte Hermine am Handgelenk und öffnete die Schranktür erneut.
 

Statt eines winzigen Innenfaches, in dem man einen Eimer mit Spülung untergebracht hatte, machte Hermine einen etwa fünf Quadratmeter großen, komplett gekachelten Raum aus, an dessen hinterer Wand eine nahezu antik wirkende Toilette stand.
 

„Wow. Die Blacks legten nicht viel Wert auf Besuch, oder?“ Hermine schüttelte verdutzt den Kopf, während Remus grinsend die Tür schloss. „Vielleicht war dies die Toilette für den Besuch, den sie nicht leiden konnten.“
 

Er lächelte freundlich, machte einen angedeuteten Diener und wies hinüber zur Esszimmertür. „Wollen wir? Es ist gleich Abendessenszeit.“
 

Hermine nickte, hakte sich bei ihm ein und ließ sich zur Tür geleiten. „Wieso kennen sie sich hier eigentlich so gut aus, Sir? Sind sie so oft hier?“
 

„Weißt du das nicht?“ Er drehte sich um und sah ihr direkt in die Augen. „Ich wohne ebenfalls hier. Seit…nun seit Dora…“ Er holte tief Luft, schüttelte den Kopf und senkte den Blick. „Ich konnte nicht mehr in dieser Wohnung bleiben, wo mich jedes Staubkorn, jeder Zentimeter und jeder Geruch an sie erinnert.“
 

Hermine nickte, sie sagte nichts, sondern berührte nur für eine Sekunde lang seinen Oberarm. Sie verstand nur zu gut.
 

„Tja“, er hob das Kinn und schenkte ihr ein schiefes Grinsen. „Wer hätte das vor einem halben Jahr gedacht, dass wir an Weihnachten beide so dastehen würden, nicht?“ Er wandte das Gesicht von ihr ab und nun zog er sie eher, als dass er sie führte, in Richtung Tür. „Molly und Arthur, nun vor allem natürlich Harry, waren sehr nett, mich hier wohnen zu lassen und für mich da zu sein. Und als die Sache dann mit Ron passierte…“ Er brach ab, schluckte und fügte in nachdenklichem Ton hinzu: „Wir müssen zusammenhalten und uns gegenseitig helfen.“
 

Hermine nickte und wollte schon etwas erwidern, doch Remus war noch nicht fertig. „Und wir werden dafür sorgen, dass sie dafür bezahlen müssen. Was mich angeht, ich werde nie wieder dastehen und zusehen, wenn diese Leute ihre Gräueltaten verüben.“
 

Hermine kaute nervös auf ihrer Unterlippe, während in ihrer Hosentasche herumfischte, bis sie „Es“ fand. Ohne ein Wort zu sagen zog sie das Streichhölzchen heraus und hob es Remus vor die Nase.
 

Er sah sie an, dann das Streichhölzchen und dann wieder Hermine. „Und?“
 

Hermine zuckte die Achseln. „Ich habe es oben in dem Raum gefunden, in dem Sirius Seidenschnabel versteckt hatte.“
 

Remus Gesicht blieb unbewegt, doch seine Stimme nahm einen etwas ungeduldigen Ton an: „Noch mal. Und weiter? Was willst du mir damit sagen?“
 

Ja, was denn eigentlich? Jetzt, wo er sie so selbstsicher und offen ansah, fiel es ihr schwer, das unangenehme Gefühl in Worte zu fassen, das sie befallen hatte, als sie das Streichholz in ihren Händen fühlte.
 

„Wer, Sir?“
 

„Wurmschwanz.“ Remus hob das Kinn und musterte sie prüfend.“ Oder wolltest du wissen, wer das Streichholz gezogen hat?“
 

War es schon immer so kalt und dunkel in diesem Flur gewesen? Wobei düster vielleicht die passendere Beschreibung wäre, dachte Hermine, da düster zusätzlich zu dem fehlenden Licht, auch die bedrückende Atmosphäre umschrieb. „Beides“, antwortete sie mit tonloser Stimme.
 

Remus' Blick verfinsterte sich. „Hör mal, Hermine. Ich merke, dass dir diese Sache Probleme bereitet, wenn ich ehrlich gesagt auch nicht weiß, warum. Verbleiben wir einfach so, Wurmschwanz war in einer Kneipe, in die er nicht hätte hineingehen sollen. Wir haben ihn mitgenommen und sehr interessante Dinge von ihm erfahren.“ Sein Mund kräuselte sich zu einem gezwungenen Lächeln. Er tätschelte ihr beschwichtigend die Schulter und bot ihr erneut seinen Arm an. „Denk nicht drüber nach. Jeder geht mit dem Verlust eines geliebten Menschen anders um. Du bist im Moment sehr emotional, das verstehe ich. Aber“, er hakte sich bei ihr ein, als sie seiner Aufforderung nicht folgte und zog Hermine mit sich, in Richtung Esszimmer. Sie folgte wie eine Schlafwandlerin, ergab sich seiner Führung und hörte kaum mehr zu, als er hinzufügte: „Verschwende dein großes Herz nicht an diese Ratte. Wir haben von ihm vieles erfahren, das uns nützen kann. Moody und Kingsley sind optimistisch, dass wir gewinnen können. Es wird bald alles vorbei sein und dann wird es uns allen wieder besser gehen. Aber jetzt“, er stoppte und öffnete ihr die Tür, „Lass uns essen. Es ist Weihnachten.“
 

Xxx
 

Staubpartikel tanzten im gelblichen Schein der Petroleumlampe. Ein Geruch ging von ihr aus, der ihn auf merkwürdige Weise an Zuhause erinnerte. Nicht an den Raum hier, in dem er sich nun befand. Sicher, man könnte diesen Raum in diesem Haus auch als Zuhause bezeichnen, doch das, was Draco bei dem Geruch der Lampe empfand, war mehr als nur die Fremdheit des Ortes, sondern auch die Fremdheit dieses Lebens. Es gehörte nicht zu ihm. Vermutlich lebte es irgendjemand anders und er war nur eine Figur, die eine Hauptrolle in einem sehr gruseligen Albtraum entsprang.
 

Zuhause war etwas anderes. Zuhause war dort, wo er sein altes Leben zurückgelassen hatte.
 

Draco hob die Hände vor seinen Mund, formte einen Trichter und blies eine wärmende Wolken kondensierenden Atems auf seine klammen Finger. Einmal, zweimal und noch ein drittes Mal, dann fanden seine Finger zurück zu der Seite des Jahrbuches, die sie eben umgeblättert hatten.
 

Er rutschte etwas weiter nach vorne, zog seine Beine ganz eng an die Brust und lehnte seinen Rücken gegen die Bettkante hinter ihm.
 

Es war kalt hier drinnen, sonst würde er seinen Atem nicht sehen können. Ein Kamin war da, er müsste nur laut den Namen einer Hauselfe rufen, und schon würden sie ihm einheizen. Vielleicht würden sie vorher das Fenster schließen. Sicher, es machte ja wenig Sinn, behagliche Wärme durch ein Feuer erzeugen zu wollen, solange man drei große Fenster mitten im Dezember sperrangelweit offen stehen hatte und der hereinwehende Schnee nass und kühl auf der Haut schmolz. Kälte und frische Luft waren Draco im Moment jedoch willkommen. Er hatte Kopfschmerzen und ihm war ein wenig schwindelig. Etwas benommen fühlte er sich auch. So wie öfter in der letzten Zeit.
 

Es klopfte an seiner Tür.
 

Bevor Draco „Herein“ oder „Geht weg“ rufen konnte, wurde die Tür geöffnet und eine schwarz gekleidete Gestalt betrat den Raum. Im Flur waren keine Kerzen entzündet und so verschmolz der schwarze Schatten mit dem Dunkel, aus dem er kam. Erst auf den zweiten Blick erkannte er Snape, der mit gekreuzten Armen auf ihn herabsah.
 

„Ich war im Keller und habe den Gefangenen“, er schürzte die Lippen, „beseitigt. So wie es aussieht, war er wohl krank.“ Er hob eine Augenbraue und musterte Draco mit einem Blick, den dieser nicht verstand.
 

„Warum beseitigt? Ist er denn tot?“
 

Snapes Fassung schien ihm einen Moment zu entgleiten. Seine Augen weiteten sich und für einige Sekunden entglitt ihm die wohlgeübte Totengräbermiene. Er sah sogar leicht dümmlich aus, wie er so da stand, die Arme plump herunterhängen ließ und Draco mit offenem Mund anstarrte.
 

Draco zuckte die Achseln. „Naja, er hat nicht gut ausgesehen, als ich heute Morgen unten war. Was soll‘s.“
 

Die Kopfschmerzen wurden stärker. Wie heiße Nadeln stach der Schmerz in seine Schläfe. Snape machte den Mund wieder zu und trat einen Schritt zurück, als sei Draco ein Rätselbild, das man erst aus einiger Entfernung in seiner Gänze entschlüsseln konnte.
 

Kopfschmerzen. Schlimme Kopfschmerzen. Draco presste seine Hände an die Stirn und vor die Augen und stöhnte. Snape blieb stehen, verschränkte die Arme und starrte ihn an.

Warum ging er nicht? War er jetzt nur hier her gekommen, um ihm zu sagen dass dieser alte Mann tot war? Das ging ihn doch gar nichts an.
 

„Hören Sie, Sir“, begann er gereizt, nahm die Hände vor den Augen weg und erwiderte Snapes starren Blick. „Ich war heute Morgen unten, da ging es ihm noch gut. Ich sehe nicht ein, warum ich mich hier alleine um alles kümmern muss. Nerven Sie einen anderen.“
 

„Draco, du warst vorhin doch im Keller“, kommentierte Snape sachlich, als sei dies eine Tatsache.
 

Die Kopfschmerzen wurden schlimmer.
 

„Wie kommen Sie denn auf die Idee?“ Draco rümpfte die Nase und rieb sich erneut die Schläfen.
 

„Weil ich dich vorhin zu ihm hinunter geschickt habe, als… als dein Vater heimkam.“
 

Draco wurde schwindelig. Er hielt sich mit beiden Händen den Kopf, da er sich fühlte, als sei er sehr lange in einem Karussell im Kreis gefahren. Langsam wurde ihm übel. „Haben Sie nicht.“

Er schluckte und versuchte, die aufkommende Übelkeit zu überwinden. „Sir, Sie sind selbst runter und ich bin hierher gegangen.“
 

Was sollte das? Snape näherte sich mit undurchdringlicher Miene und kniete sich mit einem Bein vor ihm, versenkte seine schwarzen Augen in seinem Kopf und Sekunden später spürte er wie Snapes Geist sich wie eine Hand vorsichtig in seinen Kopf schob und seine Gedanken zu durchwühlen begann.
 

Es war anstrengend, doch er konnte ihn zurückdrängen.
 

„Lassen Sie das!“
 

Er hatte erwartet, dass Snape den mentalen Angriff irgendwie kommentieren würde. Stattdessen hörte er ihn seufzen, sah ihn nachdenklich die Stirn runzeln und den nach vorne geneigten Kopf wieder zurückziehen.
 

Irgendetwas stimmte nicht mit Snape. Vielleicht war er nicht der einzige Verrückte in diesem Zimmer, wenn Snape sich schon einbildete, ihn in den Keller geschickt zu haben.
 

Doch das Thema schien beendet. „Kommst du herunter? Man vermisst dich.“
 

Draco verzog den Mund und schüttelte den Kopf. „Wozu? Um mir dämliche Witze über Bellatrix‘ Unterwäsche anzuhören?“ Ein weiterer Stich in seiner Schläfe und eine Frage in seinem Kopf. Wann genau hatte Lucius etwas über Bellatrix‘ Unterwäsche gesagt? Als Rodolphus kam und… wieso erinnerte er sich nicht daran, mit Rodolphus zusammen Lucius ins Wohnzimmer gebracht zu haben? Hatte er seinen Vater wirklich geführt? Unwichtig. Er schüttelte den Kopf und der Gedanke war weg. Es war peinlich und eklig gewesen, besser nicht zu genau darüber nachdenken.
 

Snape seufzte und fuhr sich mit einer Hand über sein Gesicht. Zuerst schien es, als würden seine Züge weicher, doch dann erschien eine steile Falte erschien auf seiner Stirn. „Du jammerst wie ein Kleinkind. Was erwartest du, was ich darauf antworten soll?“, fuhr er ihn barsch an. Seine Mundwinkel verzogen sich nach unten und seine Stimme wurde mit jedem weiteren Wort kälter. „Du bist immer noch ein verwöhntes, undankbares Kind. Denkst du, dass du der Einzige bist, der ein Recht darauf hat, Probleme zu haben?“
 

„Nein, das denke ich nicht. Aber es kotzt mich einfach an.“ Er schüttelte missbilligend den Kopf, überlegte einen Moment, ob er den nächsten Gedanken aussprechen sollte und tat es dann doch, da es beweisen würde, dass er im Recht war. „Die ganze Zeit wird hier heile Welt gespielt, aber er stinkt den ganzen Tag danach. Ich bin doch nicht dumm, denken die, ich würde das nicht merken? Und dann sitzt er „so“ hier rum. Das ist… das ist einfach widerlich.“
 

Widerlich. Wirklich. Und dabei wusste er selbst nicht einmal, ob er seinen betrunkenen Vater, die Heimlichkeiten oder alles zusammen gemeint hatte.
 

„Urteile nicht zu hart über ihn“, entgegnete Snape leise, fast sanft. „Er würde für euch alles tun, aber besser kann er es im Moment einfach nicht.“
 

Dracos Gesicht verzog sich zu einer angeekelten Miene bei dem Gedanken an das, was Snapes Meinung nach das Bestmögliche war.
 

Snape zog eine Augenbraue und einen Mundwinkel hoch. Er schien kurz über etwas nachzudenken, dann nickte er, mehr zu sich selbst als zu Draco. „Gut, hör mal zu. Er will nicht, dass ich dir das sage und bitte erwähne deiner Mutter gegenüber nichts. Nun, er war heute beim Dunklen Lord und… es gab wohl Probleme.“ Er schüttelte abwehrend den Kopf und hob beschwichtigend die Hände. „Nichts Bedeutendes. Wirklich, sonst wäre er jetzt nicht hier. Vielleicht war er nur zur falschen Zeit mit ihm im Zimmer. Dennoch, Lucius weiß sehr gut, dass die Gefahr noch nicht vorbei ist.“
 

„Aber er…“ Draco setzte sich etwas gerader zurecht und fuhr sich mit der Hand durch sein Haar. „Aber dieses ganze Theater hier.“ Er hob die Hände und deutet unbestimmt in die Luft, um zu zeigen, dass er alles, einfach alles hier, für Teil dieses Schauspiels hielt. „Diese Informationsabende, die er veranstaltet und…“
 

„Ja, ja!“ Snape winkte ungeduldig ab. „Ja, dein Vater ist ihm wieder nützlich. Seine gesellschaftliche Position und sein Einfluss sind dem Dunklen Lord willkommen. Es geht besser, das heißt aber nicht, dass ihm alles vergeben worden ist. Irgendetwas ist heute vorgefallen. Entweder wurde er bedroht oder gefoltert. Ich weiß es nicht. Danach war er jedenfalls etwas wacklig auf den Beinen und ich habe ihn mit zu mir nach Hause genommen, um euch nicht zu beunruhigen.“
 

Er seufzte und grinste schief, da ihm die Ironie seines Hilfeversuchs allzu bewusst ins Gesicht geschrieben stand. „Glaub mir, Draco, er schämt sich. Wahrscheinlich viel mehr als du. Aber… deine Eltern. Oh, ja!“ Mit einer Geste hieß Snape Draco zu schweigen, da er gesehen hatte, wie dieser Luft holte, um für seine Mutter zu sprechen. „Ja, beide, auch deine Mutter. Es ist nicht nur er. Jedenfalls, so leid es mir auch für dich tut, im Moment sind sie beide viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie dir helfen könnten.“ Er lächelte Draco auf eine Art an, die man bei anderen Menschen als mitfühlend bezeichnet hätte.
 

„Wie auch immer, ich bin nicht hier, um mit dir über deinen Vater zu reden.“ Er verschränkte die Arme und sah Draco von oben herab durchdringend an. Erst jetzt wurde er sich des Jahrbuchs bewusst, das immer noch aufgeschlagen neben ihm auf den Boden lag. Er drehte sich um, klappte es leicht verschämt zu und schob es unter sein Bett.
 

Als er sich wieder zurückdrehte war Snape, lautlos wie ein Schatten, noch näher zu ihm getreten. „Ich habe etwas für dich“ sagte er leise.
 

Er steckte eine Hand in seinen Umhang, kramte mit unbewegter Miene darin herum und zog schließlich ein kleines, silbernes Döschen daraus hervor. „Heute ist doch Weihnachten, das ist mein Geschenk an dich. Mach es auf!“
 

Draco hob die Hand, doch musterte er Snape erst einen Moment voller Verwirrung und Misstrauen, bis er es doch wagte, den Arm auszustrecken und die pflaumengroße Dose aus dessen Händen in Empfang zu nehmen.
 

Snape streckte schon seinen Arm aus, doch dann hielt er inne und verengte seine Augen. Er holte tief Luft und zog das Döschen wieder zurück. Nicht, um es einzustecken. Er öffnete es und hielt Draco das Innere des Behälters vor die Augen. Vier kleine, schwarze Pillen lagen darin.
 

„Ich bin auf sie während meiner jüngsten Arbeit für den Dunklen Lord gestoßen. Ein Forschungsprojekt sozusagen“, erklärte er kühl. Mit spitzen Fingern fischte er eine der Pillen heraus, nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger und erklärte: „Das ist eine Zyankalikapsel. Verschluckt wirkt sie innerhalb weniger Minuten. Beißt man allerdings darauf, stirbt man binnen einer Sekunde. Zu schnell, um Schmerzen zu empfinden und zu schnell, um den Tod auf irgendeine Art noch aufhalten zu können. Diese Pillen sind sehr, sehr, sehr“, Snape hielt die Pillen dichter vor Dracos Gesicht und wippte bei jedem „sehr“ verdeutlichend mit der Hand auf und ab, „giftig. Todsicher, sozusagen.“ Er lächelte auf eine beunruhigende, humorlose Art, die sein Gesicht nur umso verhärmter aussehen ließ und warf die Kapsel zurück in das Döschen, das er daraufhin zuklappte und es Draco mit einem knappen Nicken überreichte. „Nimm es als Weihnachtsgeschenk von mir an dich.“
 

Draco leckte sich nervös über die Lippen, hielt die Dose hoch als könne er dadurch besser verstehen, was eben gesagt worden war und schüttelte ungläubig den Kopf. „Warum….“, er schluckte, „warum schenken Sie mir das, Sir? Soll ich diese Kapseln jemandem geben? Jemandem in Hogwarts?“
 

Snape presste seine Hände auf sein Knie, als er sich wieder erhob. „Das könntest du natürlich tun“, kommentierte er gleichmütig.
 

Verwirrt, er war zutiefst verwirrt. Draco öffnete den Mund um weitere Fragen zu stellen, doch Snape schüttelte energisch den Kopf. „Ich verbiete dir, Fragen zu stellen“, schnitt er ihm barsch das Wort ab.
 

Er drehte sich um und schritt mit hinter ihm wehenden, schwarzen Umhang zur Tür. Doch statt zu gehen, obwohl seine Hand schon auf der Klinke lag, um diese hinunterzudrücken, drehte er sich noch einmal zu Draco um. „Du musst dich nicht um deine Eltern kümmern, Draco. Sie sind alt genug, um selbst für ihre Taten die Verantwortung zu übernehmen.“

Er brach ab und musterte Draco mit undurchdringlicher Miene. „Du bist eigentlich auch alt genug, um mit den Tatsachen des Lebens konfrontiert zu werden. Tatsache ist, dass die Dinge sich meistens nicht zum Guten wenden. Sie werden hingegen immer schlimmer und es gibt nichts, was man dagegen tun kann. Das Leben ist weder fair noch schön. Es ist bitter und ungerecht. Du hast keine anderen Möglichkeiten, als den Weg des kleinsten Übels zu wählen.“ Er neigte den Kopf leicht zur Seite und fuhr mit sanfterer Stimme fort. „Ich selbst habe auch ein paar Kapseln bei mir. Ich möchte nicht bis zum bitteren Ende warten müssen. Schon gar nicht unter diesen Umständen die, glaube mir, nicht mehr besser werden, nur schlimmer.“
 

Immer noch war seine Miene wie aus Stein gemeißelt. Immer noch war seine Stimme ohne jede Emotion und immer noch hatte er nicht deutlich gesagt, wozu diese Kapseln gedacht waren. Doch Draco hatte ihn auch so verstanden. Ein dankbares Lächeln huschte über sein blasses Gesicht. Er nickte und umschloss die Dose mit seiner Hand. „Danke.“
 

Sie hatten sich verstanden.
 

„Sprich nicht mit deinen Eltern darüber, ja? Wenn dein Vater erfährt, dass ich dir diese Kapseln gegeben habe, dann bringt er mich um.“ Die finstere Miene wurde für Sekunden von einem ironischen Grinsen durchbrochen, doch gefror sie sofort wieder zu Eis. „Und sag auch nichts deiner Mutter. Ich möchte nicht ihr Gesicht sehen, wenn sie davon erfährt. Nicht, nachdem ich ihr schwören musste, dich zu beschützen. Doch eigentlich“, er seufzte, „tue ich doch genau das.“
 

Er nickte und deutete eine Verbeugung an. „Frohe Weihnachten, Draco. Denke daran, dass alles irgendwann ein Ende haben kann.“
 

Draco saß noch eine ganze Weile weiter an dem Platz, hielt die Dose fest umschlossen und starrte mit leerem Blick in Richtung Tür. Doch schließlich, vielleicht als eine Windböe an seinem Fenster rüttelte oder als er merkte, dass es Zeit war, die Toilette aufzusuchen, erwachte er aus der Benommenheit. Mit eingeschlafenen Gliedern stand er ungelenk auf, legte die Dose auf seinem Nachttisch ab und ging in sein Badezimmer.

Als er kurz darauf zurück kam, spürte er, wie müde er doch eigentlich war. Müde von diesem Abend, diesem Gespräch und eigentlich auch von seinem Leben.
 

Erschöpft legte er sich in sein Bett, ließ sich in die Kissen sinken und angelte nach dem Döschen, das immer noch auf dem Nachttisch stand. Es war dunkel hier drinnen, doch im matten Licht des Vollmondes konnte er es recht gut erkennen. Er wiegte es vor seinem Gesicht hin und her, betrachtete es mit ausdrucksloser Miene von allen Seiten. Seine Finger glitten über den kalten, glatten Gegenstand, als würden sie nach etwas suchen. Oder als würden sie wortwörtlich begreifen wollen, was für ein Geschenk Snape an diesem Abend gemacht hatte.
 

Draco seufzte und drehte sich auf den Bauch. Er sah das Jahrbuch unter seinem Bett liegen, angelte danach und blätterte weiter, bis er zu dem Bild von Theodor Nott gekommen war. Er schluckte, sah von Theodor zu dem Döschen in seiner Hand, dann zurück zu Theodor und blätterte um.
 

Einige Seiten weiter. Er sah Zacharias Smith, Colin Creevey,
 

Er blätterte weiter nach vorne, bis er alle Seiten durchblättert hatte. Immer noch hielt er das Döschen in seinen Händen, umklammerte es umso fester, Halt suchend, als er zu sich selbst nickte und zu den Gryffindors zurück blätterte.
 

Er verweilte nicht lange dabei, einen rothaarigen, breit grinsenden Jungen anzusehen, sondern griff in seine Hosentasche und legte ein Taschentuch über dessen Bild. Er rutschte etwas weiter die Matratze hinauf, bis sein Kopf auf den Kissen lag.
 

Immer noch umklammerte seine rechte Hand das Döschen, doch mit der linken Hand strich er nachdenklich über das Bild eines Mädchens mit braunem, buschigem Haar. Angst, Unsicherheit und Sorge wallten in ihm auf, als er seinen Zeigefinger wieder und wieder über ihr Gesicht streichen ließ.
 

Ein seltsames Gefühl, unangenehm und quälend. Schmerzhaft, anders als das Gefühl, das er bei dem Anblick von Weasley, Creevey oder sogar Nott fühlte. Es war ihr freundliches Gesicht auf dem Bild und die Erinnerung daran, was dieses freundliche Mädchen über ihn dachte.
 

Dass es ihm Spaß machte. Dass er freiwillig mitmachte. Dass er eine Wahl hatte.
 

Aber vielleicht hatte sie ja doch recht.
 

Vielleicht war er wirklich Abschaum.
 

Xxx
 

Das Mondlicht warf lange Schatten an die Zimmerdecke. Die Nacht war wolkenverhangen und windig, so dass die Lichtflecken über ihr an der Decke zu tanzen schienen. Hermine legte einen Arm hinter ihren Kopf und lauschte dem Heulen des Windes, wie er gegen die Fensterscheiben peitschte, an den Rollläden rüttelte und Straßenschilder hin und her schwanken ließ.
 

Sie lag schon seit über zwei Stunden hier und betrachtete dieses Schauspiel, ohne es wirklich wahrzunehmen. Auch das Streichholz, das sie noch immer in ihrer Hand hielt und zwischen ihren Fingern hin und her rollte, war einfach nur da, ohne dass sie es wirklich beachtete.

Nur äußerlich, denn innerlich beschäftigte sie sich mit nichts anderem als dem Stück Holz zwischen ihren Fingern.
 

Das Problem war, dass Remus recht hatte. Sie hatte nichts Neues, Schockierendes erfahren. Sie war hinter kein Geheimnis gekommen und hatte auch keine verborgene Intrige aufgedeckt.
 

Sie hatte es gewusst. Sie hatte es doch die ganze Zeit gewusst. Es hatte sich nichts geändert.
 

Wurmschwanz war tot, war das ein Verlust?
 

Wurmschwanz hatte den Verrat an seinen Freunden, seiner Umgebung und am Orden letztendlich mit dem Leben bezahlen müssen.

So wie Remus es während des Essens dargestellt hatte, hatte es etwas von ausgleichender Gerechtigkeit.
 

Auch Augusta Longbottom, die man gemeinsam mit Neville eingeladen hatte, sah das ebenso. Mehr noch, sie hoffte, dass man ihr, oder viel eher Neville, die Chance geben würde, es bei den verbleibenden Lestranges gleich zu tun.

Molly hatte geweint und Arthur hatte sie getröstet, sie hatten an diesem Abend nichts zu diesem Thema gesagt und so hatte man bald das Thema gewechselt, doch Hermine war nicht taub. Genau wie Fred und George durch das eine oder andere Glas Wein auch nicht ganz leise waren. Sie hatten ihren Eltern den Arm um die Schulter gelegt und gesagt, dass „die“ (womit sie vermutlich die Todesser meinten) auch noch an Ron denken würden…
 

So wie Hermine jetzt an Ron dachte, als sie das Streichholz auf ihrer Brust ablegte und stattdessen den Ring an ihrer Kette befühlte.

Wäre Ron imstande gewesen, irgendjemanden oder irgendetwas zu rächen? Hatte er es vielleicht getan? Greyback… das war Moody gewesen. Dennoch war sie sicher, dass Ron den Namen auf die Liste hatte setzen lassen. Genau wie er sicherlich auch auf Malfoys Namen bestanden hatte. Malfoy… Draco, genauer gesagt, der behauptet hatte, dass Ron versucht hätte, ihn gefangen zu nehmen.
 

Hermine erschauderte bei dem, was Draco ihr über Wurmschwanz gesagt hatte. Diese Dinge, von wegen Wurmschwanz gefangen, gefoltert, verhört und grausam getötet. Das konnte einfach nicht stimmen.

Ron konnte nicht geplant haben, so etwas mit Draco zu machen. Genau wie Wurmschwanz sicher schnell und schmerzlos gestorben war… Auch wenn man ihn hierher gebracht hatte, statt ihn an Ort und Stelle zu töten.

Auch wenn Remus seine Gefangennahme als „hilfreich“ bezeichnet hatte. Er musste das irgendwie anders gemeint haben.
 

Nein, unmöglich. Sie würde jetzt doch nicht schlafen können. Ein kurzer Blick auf die Uhr neben ihrem Bett, dann erhob sie sich und schwang die Beine über die Bettkante. Es war kurz nach Mitternacht, sicher waren die anderen noch auf.

Hermine spekulierte darauf, dass die Weasleys und der eine oder andere ihrer Gäste mittlerweile genug Eierpunsch getrunken haben würden, um etwas gesprächiger zu werden.
 

Sie waren so anders zu ihr. Sicher, sie war auch anders für sie. Alles, was vorher vertraut gewesen war, war nun fremd und distanziert. Unsicher, wie man in Zukunft miteinander umgehen sollte. Nie war das Gefühl, nicht hierher zu gehören, nirgendwo hinzugehören und gar nicht mehr wirklich hier zu sein, so intensiv wie während des gemeinsamen Abendessens.
 

Hermine hatte brav ihren Teller leer gegessen. Vor allem, weil sie während des Kauens nicht reden musste. Remus hatte über Wurmschwanz geredet, bis McGonagall ihn gestoppt hatte. Kingsley war da gewesen und hatte mit McGonagall über den weiteren Verlauf in der Schule geredet. Bis auf Weiteres würde Kingsley der neue Direktor werden und Lupin würde ebenfalls wieder in den Schuldienst zurückkehren, um Kinsgley zu unterstützen.
 

Arthur, nun arbeitslos, Bill, Charly und einige andere machten sich daran, Horkruxe dort zu suchen, wo Hermine, Harry und…nicht Ron, nicht mehr, sondern Neville und Ginny mögliche Verstecke vermuteten. Weiterhin wurde darüber diskutiert, wieso nur Harry diese zerstören konnte. Immerhin hatte man das soweit herausgefunden, wenn man auch den Grund dafür nicht kannte.
 

Harry selbst war an diesem Abend in seinem eigenen Haus ebenfalls eher wie ein Besucher, ein Gast erschienen. Unbehaglich rutschte er auf seinem Stuhl herum, tauschte nachdenkliche Blicke mit Neville und Hermine, unterhielt sich auffällig wenig mit Ginny und nickte brav, als Moody ihm befahl, die DA wieder aufleben zu lassen.
 

Hermine verabschiedete sich, als Moody nach einem Bericht über Draco Malfoy feststellte, dass der Junge ein tollwütiges Tier sei und man das Problem mit den adäquaten Mitteln lösen sollte. Während die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, meinte sie zu hören, dass McGonagall irgendeinen Einwand gegen Moodys Einschläferungspläne vorbrachte, aber so ganz sicher war sie nicht.
 

Auch jetzt, während sie die Treppe zum Esszimmer hinabstieg, hörte sie wieder McGonagalls Stimme. Zuerst war es nur ihre Stimme. Aufgeregt, fast schrill, durch ein lautes Rauschen, das vom Gemurmel zahlreicher anderer Personen stammte.
 

Dann, als sie einige Stufen weiter nach unten gegangen war und bereits den gelben Streifen in der Tür erkennen konnte, den das Licht aus dem Zimmer hinaus warf, verstand sie auch Worte.
 

„…machen sie nicht mich für alles verantwortlich, Moody. Wissen Sie, wie viele Briefe ich seit Schulbeginn von Severus Snape bekommen habe? Angebliche Briefe?“
 

Eine tiefe, dunkle Stimme antwortete. Vermutlich Kingsley, doch da er so ruhig sprach, konnte sie nicht verstehen, was er sagte. Ohnehin wurde er schon wieder von McGonagall übertönt. „…die Hälfte dieser angeblichen Briefe von Snape waren pornografisch und beleidigend. Würden Sie das ernst nehmen?“
 

Wieder wurde etwas gemurmelt, die Stimme klang etwas schleppend und langsam, als sei der Sprecher betrunken. Remus? Bill? Möglich… und schon wieder die ehemalige Direktorin.
 

„Ich sagte doch, ich bekam jede Woche drei Drohbriefe! Wieso hätte dieser eine Brief kein Scherz sein sollen? Glauben sie denn im Ernst, dass der Mann, der Dumbledore getötet hat, uns helfen wollte? Seien sie doch nicht so naiv!“
 

Zustimmendes Gemurmel, eindeutig von Moody.
 

Hermine umklammerte das Geländer neben ihr, da ihre Beine langsam nachgaben, und ließ sich so langsam wie möglich nach unten sinken, bis sie auf den Treppenstufen saß.
 

Eine andere, lautere Stimme. Hell, doch stark und energisch. Ginny. „Harry hat ihn doch dort gesehen, nicht? Er würde uns doch nicht warnen, wenn er selbst dort war.“
 

Harry murmelte etwas, das Hermine nicht hören musste, um es zu verstehen. Er war nicht sicher. Immer noch war er nicht sicher, was er dort genau gesehen hatte.
 

Hermine beschloss, dass ihre Knie bereits wacklig genug waren und sie nicht weiter zuhören wollte. Ein Griff nach dem Ring an ihrer Halskette, zur Sicherheit, zur Beruhigung, dann zog sie sich nach oben und ging zurück, die Treppe hinauf, in ihr Zimmer.
 

Tausend Fragen und nicht eine einzige Antwort in ihrem Kopf.
 

Am nächsten Tag fuhr sie zurück nach Hogwarts. Um zu recherchieren, wie sie behauptete.
 

Xxx
 

Draco sah seinen Vater am nächsten Tag nicht. Er hörte ihn, wie er seine Mutter anbrüllte und behauptete, dass sie irgendein Katermittel weggekippt hätte. Draco überlegte ob er hineingehen sollte, um zu sagen, dass er das gewesen war. Gestern Abend. Aus Rache.
 

Aber andererseits, lieber doch nicht. Ein brüllender Lucius war ihm unheimlich.
 

Außerdem hatte er ihnen ja einen Brief geschrieben. „Pure“, sein Uhu, würde ihn bald überbringen, bevor er Draco nach Hogwarts folgen würde.
 

Weg von hier.
 


 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Omama63
2012-06-23T19:54:54+00:00 23.06.2012 21:54
Wieder ein super Kapitel.
Das kann ich gut nachvollziehen, dass Draco die Nase voll hat, von dem ganzen Theater.
Hoffentlich nimmt Draco die schwarzen Pillen nicht selbst. Die sollte eine treue Hauselfe in Voldis Essen rein mischen, dann wären die größten Probleme beseitigt, da Wurmschwanz ihn nicht mehr zurückholen könnte und Andere bestimmt nicht scharf darauf wären ihn wieder zu haben, außer vielleicht Belladrix.
Hermine hat auch die Nase voll und will zurück in die Schule.
Bin schon gespannt, ob sich die Beiden über den weg laufen.
Danke für deine ENS. Hab mich sehr gefreut, dass du zu jedem Kommi etwas geschrieben hast, und zu deiner Frage; Ja ich kann Pansy verstehen. Sie hat bestimmt angst vor Draco und peinlich ist ihr das bestimmt auch, dass er immer so ausrastet.

Lg Omama63


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