Fragezeichen
Sesshoumaru brauchte eine volle Sekunde um seine Selbstbeherrschung soweit wieder zu finden, dass er ruhig wiederholte: „Lady Mailin war ein Mann.“
Der Heiler verneigte sich nur.
Das wurde ja immer schlimmer. War dann am Ende Lord Lian gar kein Mann sondern die Frau, die Lady Mailin war? Hatten die Geschwister die Rollen getauscht? Das könnte die Anbiederung durch Lian erklären...Er hatte sich ja schon über dessen Benehmen gewundert. Leider war das der Sohn des Herrn der Füchse vom Festland, oder auch die Tochter, und er konnte schlecht eine Leibesvisitation befehlen, ohne einen Krieg mindestens unter den Füchsen heraufzubeschwören. Nein. Es musste irgendeine Logik hinter der ganzen Sache stecken. Er musste nur in Ruhe nachdenken. Und dann das leider irgendwie seinem Gastgeber erklären.
„Du kannst gehen, Heiler. Und – schweige einstweilen darüber. Ich werde den mächtigen Kitsune no Kyuu selbst davon in Kenntnis setzen.“
Odayaka verneigte sich noch einmal und erhob sich. Ihm war klar, dass seine Entdeckung etwas war, das einem Vulkanausbruch an Wirkung gleichkäme. Und auch, dass der Herr der Füchse kaum begeistert davon wäre, dass man seinem Sohn einen Mann als Heiratskandidaten untergeschoben hatte. Das konnte nur zu leicht Krieg geben. Hoffentlich wusste dieser junge Hund das, war er seit den Welpentagen, als er selbst im Schloss des Inu no Taishou lernte, erwachsen geworden. Nun, das hoffte der füchsische Heiler schwer. Immerhin genoss der Junge als Ermittler einen gewissen Ruf, sonst hätte ihn der Herr nie hergeholt.
Sakura sah dagegen ein wenig neugierig auf, soweit sie es wagte. Ein Mann unter den Heiratskandidatinnen...das erklärte viel, auch die Aussagen, sie habe sich so eigen benommen, was alle auf ihre fremdländische Herkunft geschoben hatten. Und natürlich die Übernachtungen bei ihrem, nein, seinem Bruder. Sicher hatten sie nicht das Risiko eingehen wollen, dass einer Frau etwas auffiel. Und was jetzt?
Das fragte sich auch Sesshoumaru. War das Ganze ein übler Scherz? Füchse galten als ausgesprochene Scherzkekse, natürlich immer auf anderer Leute Kosten. Wer sagte ihm denn, dass diese beiden falschen Füchse wirklich vom Festland gekommen waren und sich nicht der Kitsune no Kyuu mit ihm einen bösen Witz machte? Das könnte diese seltsamen Avancen Lians erklären. Würde er da um des lieben Friedens Willen zustimmen, wäre sein Ansehen, sein Ruf und der seines Vaters unter allen Dämonen Japans am Boden. Er konnte sich das Gerede nur zu gut vorstellen. Eine entsetzliche Vorstellung. Zum Glück hatte er nichts getan, was man gegen ihn verwenden könnte. Bevor er so beschämt zu seinem verehrten Vater zurückkehrte...oh nein. Lieber sterben.
Ruhig bleiben, ermahnte er sich. Sachlich denken.
Der Kitsune no Kyuu war immerhin zu Vater gekommen und hatte um seine Entsendung gebeten – es war unlogisch anzunehmen, dass sich ein Fürst freiwillig vor einem Gleichrangigen als unfähig darstellte, selbst, wenn es um einen bösen Scherz gehen sollte und es sich um einen Fuchs handelte. Nein. Es lagen ein Mord und ein Rätsel vor und beides war zu lösen.
Er wandte sich zum Fenster um, als ihm zumindest schon eine Idee kam:
„Sakura, finde heraus, ob Lord Lian Mann oder Frau ist. Und, ob er in Wahrheit vom Festland stammt.“
Wie sollte sie DAS bitte anstellen? Aber sie vermutete schwer, dass er in nicht wirklich guter Laune wäre und verneigte sich nur, ehe sie ging. Erst draußen atmete sie tief durch, als ihr klar wurde, dass das Seine Eisigkeit anscheinend auch nicht wusste. Nun gut, wie war sie nur auf den Gedanken verfallen, er könne Interesse an einer anderen Person zeigen.
Lord Lian...wer konnte ihr darüber nur Auskunft geben? Sicher war ihm ein Diener zugeteilt worden, da er und seine Schwester ohne angereist waren – seine Schwester oder eher sein Bruder. Du liebe Zeit, war das verwirrend. Sie würde am besten in die Küche gehen. Nach ihrer Erfahrung wusste man dort im Zweifel immer Bescheid – nicht nur in Menschenschlössern. Und sie hatte ja den Vorwand – den durchaus gerechtfertigten – als armes, schwaches Menschlein Nahrung zu benötigen.
So stellte sie sich höflich dem Herrn der Schlossküche, Izuka-san, vor und bat um etwas zu essen und zu trinken. Da sich der Fuchsdämon zu hochrangig dafür fühlte, aber die Dienerin des Hausgastes auch nicht hungern lassen wollte, wies er einen Jungen, kaum Halbwüchsigen, namens Aoki an, sie in die Küche zu begleiten und sie etwas suchen zu lassen, das ein Mensch essen konnte. Schließlich hatte er keine Ahnung davon. Zu Sakuras Erleichterung war der junge Fuchs neugierig und wollte einiges über den Westen und Menschen wissen.
Sie erzählte etwas, ehe sie fragte: „Dich interessieren fremde Länder sehr,? Ich habe auch noch nie jemanden vom Festland gesehen. Lord Lian ist der Erste.“
„Oh, und Lady Mailin, nicht wahr? Ach nein, da war sie ja schon verstorben...“
„Ja, ich hörte schon, sie sollen ganz andere Sitten haben, die Lady sogar bei ihrem Bruder geschlafen haben statt im Frauentrakt.“
„Oh, nicht nur das!“ Aoki zwinkerte verschwörerisch. Da Sakura ihm den Gefallen tat, ihn neugierig anzustarren, flüsterte er. „Sie haben sogar zusammen gebadet! Ganz allein!“
„Nun, das tun Menschen auch...Moment. Nicht alle Dämonen zusammen, sondern nur die beiden?“
„Ja. - Was, baden bei Menschen auch alle zusammen?“
„Ja, das ganze Dorf. Wenn man keine heiße Quelle hat, ist das Heizen doch teuer.... Und es ist ja in allen Ehren, da alle alles sehen.“
„Ach so, ja, natürlich. Das ist ja etwas anderes. Hier baden die Geschlechter getrennt, also, unter uns Füchsen in der heißen Quelle. Dann wäre dir das wohl gar nicht aufgefallen?“
„Doch natürlich. Nur zu zweit ist ja doch etwas anderes als ein ganzes Dorf,“ beteuerte Sakura eilig: „Aber sie waren doch Geschwister.“
„Ja, das schon. Also, ich weiß zufällig, dass Lord Lian wirklich ein Mann ist, da wir mal zusammen...na, du weißt schon waren. Und Lady Mailin, na, das war ja klar. Kein Mann würde sich doch so auftakeln...ich meine, schminken.“
Offenbar doch, dachte Sakura prompt. Um abzulenken erzählte sie noch einiges über das Essen, das Menschen zu sich nahmen, und der junge Fuchs hörte gebannt zu.
Sesshoumaru hatte beschlossen den Fuchs bei seinen neun Schwänzen zu packen. Ihm fehlte noch ein wichtiger Part um das Vorgefallene verstehen zu können, und der Herr der Füchse war der Einzige, der ihm offen und ehrlich Auskunft geben durfte. Ob er es wollte... Nun ja, das hing nicht zuletzt von dessen Absichten ab.
Der Kitsune no Kyuu empfing ihn unverzüglich. Während sich der Hundeprinz höfisch verneigte – nicht zuviel, um seinen eigenen Rang zu bestätigen – sagte er: „Kommt nur, mein junger Freund, kommt. Ist es Euch schon gelungen, einen Täter zu finden?“
Sollte er hexen? Aber bedauerlicherweise war der Herr aller Füchse niemand, dem er seine Meinung per Giftklaue deutlich machen konnte: „Bedauerlicherweise nein. Ich benötige noch einige Auskünfte, mächtiger Kitsune no Kyuu.“
„Ich gab Anweisung an alle, Eure Fragen zu beantworten. Aber, setzt Euch doch.“ Wirklich, der junge Hund war sehr höflich, gut erzogen, das hatte er so kaum erwartet. Der gute alte Inu no Taishou hatte zumindest in seinen jüngeren Jahren dazu geneigt erst dreinzuschlagen und später zu fragen. Anscheinend hatte er sich bemüht, dass sein Erbe diesen Fehler nicht begehen würde. „Nun, was wollt Ihr wissen?“
Höflich bleiben und davon ausgehen, dass der Fuchsherr nicht sonderlich glücklich über eine tote Heiratskandidatin war, ermahnte sich Sesshoumaru: „Nun, mein Herr und Vater hat weniger mit dem Festland zu tun, schon gar mit den Füchsen dort. Wärt Ihr so freundlich mir zu erklären, wie Euer Verhältnis dorthin ist und warum die beiden Kinder des dortigen Herrn der Füchse sogar zu Heiratsverhandlungen anreisten?“
„Ich verstehe, warum Ihr damit zu mir kamt. - Nun ja. Wir sind Füchse, verwandt und mit ähnlichen Absichten. Er schickte mir ein paar Spione, die prüfen sollten, ob es sich lohne hier Beute zu machen. Die Füchse des Festlandes verwandeln sich gern in Menschen und holen sich da....Dinge.“ Er räusperte sich: „Nun, ich schickte ihm jedenfalls seine Spione lebendig zurück. Und meinerseits einen Boten. Es ist nie ganz unnütz zu wissen, wer einem auf die Nerven geht.“
„Wie recht Ihr doch habt, mächtiger Herr der Füchse.“ Ob der wusste, dass er bei ihm da momentan an erster Stelle stände? „Was brachte Euer Bote zurück?“
„Es handelte sich um zwei Männer, denen ich absolutes Vertrauen schenken durfte. Odayaka, meinen Heiler und Kosame, meinen Haushofmeister. Wie Ihr Euch sicher denken könnt...“
Sesshoumaru presste unwillkürlich die Zähne zusammen. Das bedeutete, dass er es nicht wusste....Aber er musste dazu schweigen.
„Ist die Sendung eines nach allen Regeln unbewaffneten Heilers ein Vertrauensangebot. Da ich allerdings nicht so genau wusste, wie die Sachlage auf dem Festland nun war - die Spione hatten da womöglich auch täuschen können – schickte ich Osame mit. Er hat schon einige, sehr spezielle, Angelegenheiten für mich erledigt und ich konnte mich darauf verlassen, dass es ihm gelingen würde, da heil wieder herauszukommen. Tatsächlich war der Herr der Füchse dort anscheinend recht amüsiert, dass seine Männer aufgeflogen waren, und sandte mir Lord Lian und Lady Mailin, da ihm Odayaka erzählt hatte, dass mein Sohn auf Frauensuche ist.“
Hm. Sesshoumaru dachte kurz nach, ehe er zugab: „Ich bin ein wenig verwundert, dass nach dem doch recht....unangenehmen Spionagebesuch gleich die Tochter geschickt wird.“
Der Kitsune no Kyuu lachte, dass seine neun Schwänze nur so wackelten, ehe er meinte: „Kluger Junge, wirklich. Ich bin sehr erfreut. - Das kam mir zuerst auch eigen vor, aber Odayaka und Osame bestätigten mir, dass Töchter auf dem Festland...nun, sagen wir, nicht die gleiche Wertschätzung wie die unseren besitzen. Das war eher so, als ob er mir eine überflüssige Esserin aufhalsen wollte. Natürlich war da das Gerede von Verschwägerung der Füchse aller Länder und so weiter, aber er plante keine Mitgift.“
„Und verlangte auch keinen Brautpreis.“
„Ahja, das ist bei Euch Hunden ja so üblich. Nein. Weder noch.“
Kein Wunder, wenn zumindest der vorgebliche Vater und sicher auch Lord Lian wussten, dass es sich um gar keine Frau sondern einen Mann handelte. Womöglich ein weiterer, weitergehender Spionageakt? Der Versuch, den Kitsune no Kyuu und dessen Sohn zum Gespött aller Dämonen zu machen? Füchse unter sich....Er dachte erneut nach. Nun, erst musste er wissen, was Sakura herausgebracht hatte, ehe er noch einmal alles in Ruhe überlegen sollte. So neigte er höflich den Kopf. Sich selbst zu verabschieden wäre mehr als unpassend – das hier war ein Fürst in Vaters Klasse.
„Geht nur. Und ich hoffe, Ihr bringt mir rasch den Erfolg.“
„Eure Hoffnung ist die meine, Herr der Füchse.“ Diese Antwort des Hundeprinzen war höfisch, höflich – und entsprach in der Tat seinem sehnlichsten Bitten. Er wollte nur noch weg von diesem kalten Schloss, diesen verrückten Füchsen und diesem eigenartigen Mord. Natürlich erfolgreich.
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Das nächste Kapitel bringt die Auflösung – und Seine Lordschaft in die Klemme.