Die Menschen, die ich töten will
Die im Raum herrschende Stille wurde durch das Eintreten der Tür unterbrochen. Ein korpulenter, in einem teuer aussehenden Anzug gekleideter Mann trat in das große, spartanisch eingerichtete Zimmer. Er wurde von zwei Leibwächtern flankiert.
„Du hast es nicht geschafft, den Brückenbaumeister auszuschalten?“, fragte der reiche Mann bissig und näherte sich mit sicheren, gezielten Schritten einem teilnahmelosen, im Bett liegenden Mann. Seine Samurai folgten ihm grinsend. „Sind die Ninja aus Kirigakure etwa durch die Bank Versager?“
Ein schwarzhaariger Ninja, der neben dem Bett seines Meisters saß, warf einen misstrauischen Blick auf die unerwünschten Gäste. Im Gegensatz zu dem Mann, an dem die Beleidigungen gerichtet waren: Gleichgültig starrte er die über ihn liegende Decke an.
„Du willst der Dämon aus Kirigakure sein, bist aber nicht einmal besser als dein unfähiges Personal? Wie erbärmlich!“ Die Gleichgültigkeit seines Auftragnehmers löste in ihm eine tobende Wut aus. Er pfiff seine Leibwächter zurück. Ungeduldig hatten sie die Hand auf das Schwertheft gelegt. Gateau ging ungehalten auf das Bett zu, ohne Begleitung, und streckte seine Hand nach ihm aus. „Hey! Hast du nichts zu deiner Verteidigung zu sagen? Ich will eine Entschuldigung hö... Hä?!“
„Fass Meister Zabuza nicht mit deinen dreckigen Pfoten an!“ Bevor Gateau überhaupt in der Lage war, Zabuza anzufassen, ihn mit seinen feisten Fingern zu berühren, hatte der dunkelhaarige, feminin aussehende Knabe sein Handgelenk ergriffen. Ein finsterer Ausdruck lag auf seinem sonst so freundlichen Gesicht. Sein durch Zorn verursachter Griff verstärkte sich. Ein lautes, verdächtiges Knacken war zu hören und versetzte die beiden Samurai in Alarmbereitschaft. Als sie die Schwerter ziehen und ihrem Herren zur Hilfe eilen wollten, spürten sie kaltes Metall, der eisige Stahl ihrer eigenen Waffen, an der Kehle. Der junge Mann hatte sie entwaffnet, blitzschnell.
Die Katana überkreuzt haltend sagte der Schwarzhaarige mit bedrohlicher Stimme: „Ihr solltet gehen. Sonst werde ich böse.“ Sein wütendes Gesicht war auf den apathischen Mann gerichtet, den er mit seinem Leben zu beschützen wusste. Er scherte sich keinen Deut um die Männer und deren Protest, als er ihre Waffen achtlos zur Seite warf.
Gateau forderte teils panisch, teils wütend auf, das aus seiner Tasche finanzierte Versteck zu verlassen. Warnend gab er den beiden Schattenkämpfern zu verstehen: „S-Solltest du noch einmal versagen, Zabuza, dann will ich euch in dieser Gegend nie wiedersehen, kapiert?“ Die Tür wurde laut krachend zugeschlagen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie bei dieser Wucht nicht aus dem Rahmen gefallen war.
Der weiblich wirkende Junge nahm auf einem kleinen Hocker Platz, den er an das Bett heran geschoben hatte. Instinktiv streckte er die Hand zu der Bettdecke aus, die von seinem Meister angehoben wurde.
„Haku... das war nicht nötig.“, sagte Zabuza mit tiefer Stimme und hielt das verborgende Kunai in einer Hand fest.
„Ich weiß... aber es wäre verfrüht gewesen, Gateau jetzt umzubringen. Wenn wir hier Unruhe stiften, werden wir nur wieder verfolgt.“ Haku lächelte ihm aufmunternd zu. „Ihr müsst Euch in Geduld üben.“ Eigentlich war Zabuza derjenige, der angespannt nach Rache dürstete. Aber sein Körper war erschöpft, nicht erholt genug, um wieder in den Kampf ziehen zu können. Außerdem war Gateaus Großauftrag, den Bau der Brücke zu vereiteln, schnell verdientes Geld. Der Tod des Millionärs war bereits geplant, hinterher, nachdem er ein halbes Vermögen in die beiden abtrünnigen Meuchelmörder investiert hatte.
„Ja... du hast Recht.“ Zabuza schaute seinen Schüler aus dem Augenwinkel heraus an. Haku hatte maßlos übertrieben, mal wieder. Er dachte an eine Situation zurück, die sich vor nicht allzu langer Zeit zugetragen hatte: Eine schlecht geschminkte Prostituierte hatte sich ihm an den Hals werfen wollen. Ehe sie die dürren Glieder um ihn schließen konnte, hatte Haku ihr den Arm verdreht und mit düsterer Stimme gemeint, dass etwas so Dreckiges wie sie nicht gut genug wäre, um Zabuza zu berühren. Ob er dies aus Eifersucht oder aus überspitzer Fürsorge getan hatte, war fraglich. Aber möglicherweise verdankte sie Haku ihr trostloses Leben. Er selbst war noch nicht dazu gekommen, sich zu fragen, wie er bei ihrer eventuellen Umarmung reagiert hätte: Negativ, soviel war sicher. Anderseits hatte er sich über die hässliche, dank Haku verstörte Fratze amüsiert. Es war ein guter Vorgeschmack auf das gewesen, was Gateau in Zukunft erwarten sollte: Den Tod.
„Leg dich ins Bett, Haku. Ich brauche keinen Aufpasser.“ Es war nicht so, als wenn er die Anwesendheit Hakus, und die damit verbundene Sicherheit, nicht zu genießen wusste. Aber er schätzte die Situation gut genug ein, um zu wissen, dass sie sich gegenseitig anschweigen würden. Haku, weil er seinem Meister bedingungslose Ruhe einräumen wollte und er, weil er ohnehin kein sehr gesprächiger Mann war.
Der Junge mit den feinen Gesichtszügen lächelte liebreizend. „Das habt Ihr vor einer Stunde auch gesagt, nicht wahr, Zabuza-san?“
Das hasste und liebte der Nebeldämon aus Kirigakure an Haku: Seine ehrliche, aber trotzdem zurechtweisende Art. „Und wenn schon. Ich möchte in Ruhe schlafen.“ Er warf dem dunkelhaarigen Shinobi einen ernsten Blick zu. „Ich fühle mich von dir beobachtet.“
„Und einen so schönen Mann wie Euch kann ich den ganzen Abend beobachten.“ In seinem Gesicht zeigte sich eine leichte Röte, an die sich Zabuza mittlerweile gewöhnt hatte, sowie an seine ständigen Komplimente. Dieser Bursche sah ihn mit ganz anderen Augen, er wurde von ihm regelrecht vergöttert.
„Meinetwegen.“ Er seufzte genervt. „Aber in einer Stunde legst du dich schlafen. Ein übermüdeter Ninja an meiner Seite hilft mir recht wenig, wenn mir wirklich Gefahr drohen sollte.“ Und das war keine Anspielung auf Gateaus Männer gewesen, die waren ihm nicht einmal dann gewachsen, wenn er sich in einem komaähnlichen Zustand befinden würde. Zabuza meinte die Oi-Nin, Jagdninja, die ihn seit seinem gescheiterten Putschversuch verfolgten. Haku konnte mit ihnen mithalten, selbst mit einer Überzahl. Einst hatte er einen von ihnen getötet, dem Oi-Nin nicht nur die weiß-rote Maske, sondern auch die komplette Identität geraubt. Seitdem gab sich der Jüngling als Jagdninja aus, meisterte mit dieser Lüge jede noch so gefährliche Situation, die Zabuza das Leben kosten könnte. Einen Scheintod wie der bei Kakashi und seinem Versagerteam von Möchtergern-Ninja hatten sie nicht zum ersten Mal vorgetäuscht. Diese raffinierte und äußerst nützliche Idee war von Haku gekommen, für die er den Burschen bis heute noch bewunderte.
„In Ordnung.“, sagte der junge Shinobi zufrieden.
Hakus Meister war noch während seines Daseins eingeschlafen. Erst, nachdem die vereinbarte Stunde vergangen war, hatte sich der junge Mann leise in das für ihn zugewiesene Zimmer geschlichen. Er zog die Vorhänge auf und schaute vom Versteck aus in die tiefe Finsternis des Waldes. „Zabuza-san...“
Er hatte den leicht lädierten Rücken des anderen gesehen und war zu dem Entschluss gekommen, in der Frühe Heilkräuter im Wald zu pflücken. Aber jetzt löste er sein Versprechen ein und begab sich in das weiche, frisch bezogene Bett.
Er schreckte aus einem schlaflosen Traum auf. Nein, etwas hatte ihn geweckt. Ein leises, kaum hörbares Klingeln. Jemand näherte sich dem Versteck und Haku musste sich trotz der wenigen Stunden Schlaf vergewissern.
Der junge Shinobi war in seinen Klamotten eingeschlafen, das hochgesteckte Haar löste sich bei der kleinsten Bewegung. „So kann ich nicht rausgehen...“, zischte Haku mit einem Hauch von Unzufriedenheit. Vielleicht würden seine schlimmsten Befürchtungen Realität werden... dann war Meister Zabuza in Gefahr!
Er formte ein bestimmtes Zeichen mit einer Hand und wechselte in Sekundenschnelle das Zimmer. Haku seufzte erleichtert auf, als er Zabuza schlafend in seinem Bett sah. Scheinbar war derjenige, der die kleine, leicht zu übersehende Falle aktiviert hatte, noch nicht so weit vorgedrungen. Diese Chance sollte er nutzen, nachschauen, mit wem er es zutun hatte. Und um kein Risiko einzugehen, richtete er sich das Haar und setzte die Maske der Oi-Nin auf.
Das Herz schlug ihm bis zum Halse, als er draußen angekommen zwei kräftig gebaute, in dunkle Umhänge eingehüllte Oi-Nin erblickte. Ob sie das wilde Klopfen in seiner Brust hören konnten? Bei ihrem Anblick war er wirklich froh gewesen, sich die Zeit zum Vorbereiten genommen zu haben. Er fasste sich ein Herz und fragte selbstbewusst: „Warum seid ihr hier? Diese Route wurde mir zugewiesen.“ So unsicher wie jetzt hatte sich Haku schon lange nicht mehr gefühlt. Diese beiden älteren Oi-Nin schauten in seine Richtung... und wegen ihrer Masken konnte er ihre Gesichter nicht deuten.
Das Schweigen der beiden machte die Situation unerträglich. Möglicherweise war seine Tarnung aufgeflogen. Es war auch das erste Mal gewesen, dass er mit dieser Masche zwei Jagdninja zu täuschen versuchte. Bei Kakashi und den anderen hatte es wundervoll geklappt, aber diese Männer kannten sich untereinander... zumindest glaubte Haku das. Aus einem Impuls heraus tastete er nach seinen Wurfnadeln. Es war seine Pflicht, sie zu besiegen, jene Männer, die Zabuza gefährlich werden konnten. Ohne mit der Wimper zu zucken würden sie ihn töten, enthaupten... nicht, wenn er das verhindern konnte!
Er spürte seine Waffe, die kleinen Nadellanzetten, aber bevor er sie ziehen, werfen und damit seine Feinde töten konnte, sagte einer dieser Oi-Nin:
„Das wussten wir nicht. Zabuza Momochi wurde gesichtet und wir wollten diesem Hinweis nachgehen. Wir werden ihn woanders suchen.“ Er nickte seinem Partner zu und dieser erwiderte es mit der gleichen Geste.
Haku sog die Luft scharf ein, seine Haltung wurde lockerer. Mit dieser Wende hatte er gar nicht gerechnet. Es wäre ihm ohnehin schwer gefallen, ein ganzer Ninja zu sein und ihnen mit einem Schlag das Leben zu nehmen. Anderseits...
Sie deuteten eine kleine Verbeugung an. „Wir müssen Zabuza so schnell wie möglich finden.“
„Das müssen wir.“ Haku hatte sich mittlerweile beruhigt. Die zwei Jagdninja kehrten ihm den Rücken zu und verschwanden aus seiner Sichtweise. Es wäre naiv gewesen, sich in Sicherheit zu wiegen... vielleicht hatten sie die Lunte gerochen und warteten in naher Umgebung darauf, dass der schwarzhaarige Schönling sie persönlich zu Zabuza Momochi führte.
Der Shinobi schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Es war ein gewagtes Risiko, sich auf seine Menschenkenntnis zu verlassen: Mit hoher Wahrscheinlichkeit nahmen sie die Verfolgung auf, er hoffte es. Leichte Besorgnis keimte in ihm auf, allein der Gedanke, dass sie über das im tiefen Wald liegende Versteck stolpern könnten, trieb ihn schier in den Wahnsinn. Er suchte ein großes, freies Feld auf, das zu einem tödlichen Kampf geeignet war. Eisige Kälte umfing ihn, die Temperatur sank rasendschnell.
Haku horchte auf, seine Feinde hielten sich in einer Baumkrone versteckt. Ich muss es tun, war sein einziger Gedanke und er formte ein kompliziertes Fingerzeichen. „Eisspiegel-Dämon.“, flüsterte er leise und festgefrorenes Wasser manifestierte sich, nach und nach wurden Spiegel aus Eis geschaffen, die um Haku einen Kreis bildeten. Im Inneren malte er sich die verwirrten Gesichter seiner Feinde aus.
„Heh-heh, habt ihr tatsächlich gedacht, ich würde euch zu Meister Zabuza bringen?“ Ein süffisantes, verführerisches Lächeln zeigte sich unter der Maske, nachdem er sie ohne zu zögern abgelegt hatte. Seine hochnäsige, freche Art diente zur Provokation und erzielte sekundenschnell die gewünschte Wirkung: Ein Senbon kam auf Haku zugeschossen, ein seitlicher Schritt seinerseits ließ diesen ins Leere gehen. Er trat an einen der Spiegel heran und sein schlaksiger Körper verschmolz mit diesem.
„Er ist verschwunden?“, fragte der Oi-Nin, der die Nadel geworfen hatte.
„Nein. Ich kann sein Chakra spüren.“ Er wartete einen Moment, schweigend. Was war das für ein Jutsu? Und wozu diente es? „Wir müssen ihn erledigen, bevor er entkommt.“ Handlanger hin oder her, dieser Bursche trug die Maske der Oi-Nin zu Unrecht. Viele Jagdninja aus Kirigakure waren wie vom Erdboden verschwunden, mit großer Wahrscheinlichkeit waren sie diesem jungen Shinobi zum Opfer gefallen.
Der mutige Jagdninja ließ sich geschmeidig auf den weichen, mit Unkraut besetzten Boden fallen, der andere folgte seinem Beispiel.
„Das ist ein Trick!“ Sie waren wegen dieser ihnen unbekannten Technik ratlos. Das war möglicherweise der Grund gewesen, warum sie untereinander, und das gegen ihre Gewohnheit, zu kommunizieren begonnen hatten. „Da!“
Auf einem der Spiegel tauchte Haku auf. Aus einem Impuls heraus warf der Oi-Nin das Senbon, das zu seiner Enttäuschung am Eis abprallte.
Der schwarzhaarige Jüngling kicherte vergnügt. „Seid ihr wirklich so naiv zu glauben, eine Waffe wie das Senbon könnte Eis durchdringen? Von der Logik her ist das mit Benzin als Feuerlöscher zu vergleichen.“
Feuer! Der Hochstapler hatte den ungeduldigen Oi-Nin auf eine Idee gebracht! Rasendschnell formte er mit beiden Händen ein Katon-Jutsu.
„Nicht!“ Der zweite, führende Ninja wollte ihn davon abhalten, in diese, seiner Meinung nach offensichtliche Falle zu treten.
„Feuerversteck: Jutsu der flammenden Feuerkugel!“ Ein riesiger, brennender Ball schnellte auf Hakus Spiegelbild zu. Das Eis fing Feuer, aber es begann nicht zu schmelzen. „Wie kann das...?“ Etwas Spitzes traf die Rückseite seines Körpers, eine empfindliche, tödliche Stelle am Nacken. Der Jadgninja fiel leblos zu Boden.
Hektisch und verwirrt zugleich fuhr der andere herum. Ein einziger Eisspiegel hatte sich abseits gebildet, einen, den sie nicht bemerkt hatten. Und jetzt war es zu spät, sein Partner war bereits tot.
„Habe ich eure Gedanken etwa vernebelt?“, fragte Haku vergnügt, obwohl ihm das Töten keinen sonderlichen Spaß zu machen schien. Aber er tat es für Zabuza, und nur für ihn. „Du weißt dir nicht zu helfen?“ Nach und nach spiegelte sich Hakus Ebenbild in jedem Glas wider. „Versuch doch eine Spezialfähigkeit. Aber von hier aus bewegt sich alles für mich in Zeitlupe.“ Er wollte dieses Spielchen nicht in die Länge ziehen, rasch tötete er ihn mit einem gezielten Wurf.
Er seufzte schwer und seine Eisspiegel lösten sich in Wasser auf. Haku trat an die Leiche des zweiten Ninja heran. „Das war zu einfach...“ Mit seinem Fuß stupste er den leblosen Körper an, ein kleiner Lederbeutel glitt aus der Tasche des Umhangs. Das Klimpern von Geldmünzen war zu hören. „Hm?“
Ein böser Verdacht machte sich in ihm breit und der schwarzhaarige Shinobi entfernte die Masken seiner verstorbenen Gegner. Abtrünnige... das Symbol auf den Stirnbändern war durchgestrichen. „Ich habe mich schon gewundert, warum sie so wahnsinnig schlecht waren.“, sagte Haku teils erleichtert, teils genervt. Gateau wusste genau, von wem sie verfolgt wurden. Und welch Zufall, dass Haku ihm ausgerechnet heute den Arm gebrochen hatte. Vielleicht war das eine kleine Racheaktion oder eine Warnung des Millionärs gewesen, eine Erinnerung, was sie ihm alles zu verdanken hatten: Den Schutz vor echten Oi-Nin. „Dieser Mistkerl denkt wohl, mit Geld kann man alles kaufen...“
Seufzend betrachtete Haku die abtrünnigen Meuchelmörder, die für ein paar Almosen ihr Leben lassen mussten.