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Access Ghost

von

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-Fünfzehn-

//1

Es war Aya, der sich selbst als erstes aus seiner Erstarrung löste, sich den Schreibtischstuhl heranzog und sich vor den Bildschirm setzte. Damit löste er jedoch nicht die Starre der anderen vier, die regungslos um ihn herumstanden und verwirrt beobachteten, was Aya tat. Er schloss kurz die Augen, atmete tief durch und legte dann seine Hände auf die Tastatur. Seine Handflächen waren eiskalt und seine Finger zitterten leicht. Das leise Klacken, als er schließlich eine Eingabe machte, ließ Schuldig blinzeln und als er Ayas angespanntes Gesicht sah, schien ihm zu dämmern, was das hier gerade zu bedeuten hatte. Aber noch hatte er die Grenze zwischen Vermutung und Glauben nicht überschritten. Aya biss sich beim Tippen auf die Unterlippe, so hin und hergerissen fühlte er sich.
 

Aya tippte <loneliness>, langsam und zögerlich und wartete. Zwei Sekunden später flackerte der Bildschirm und wurde schwarz. Aya keuchte erschrocken und da endlich erwachten auch die anderen aus ihrer Bewegungslosigkeit.

„Was ist das?“, rief Omi und sah hilfesuchend zwischen Ken und Yoji hin und her, doch die schüttelten nur ahnungslos und mit offenen Mündern die Köpfe. Dann sahen alle wieder zum Monitor, der noch immer still und schwarz vor Aya lag, der gerade prüfte, ob sich vielleicht versehentlich ein Kabel gelockert hatte. Doch alles schien in Ordnung.

„Warum ist es weg?“, fragte Omi leise, seine Stimme war kaum mehr, als ein aufgeregtes Flüstern und er hob die Hand, um mit seinem Zeigefinger vorsichtig den Monitor zu berühren.

„Vielleicht krieg ichs wieder hin.“, meinte er dann wispernd, doch im gleichen Augenblick, in dem Omis Zeigefinger den Monitor berührte, flackerte dieser auf und ein mattgrünes Licht erhellte fünf vor Spannung fast zerberstende Gesichter. Omi zuckte zurück und gab einen quiekenden, erschrockenen Laut von sich. Dann rieb er sich seinen Zeigefinger, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen.

„Ich hab was gespürt.“, hauchte er fassungslos und schüttelte dann den Kopf. Gerade wollte er weitersprechen, als sich auf dem mattgrünen Bildschirm schwarze Buchstaben zeigten. Sie erschienen Stück für Stück, langsam, als zögere derjenige, welcher sie eingab zwischendurch, als wäre er sich nicht sicher, was er schreiben sollte.
 

«aya bist du da?»
 

stand schließlich am oberen Bildschirmrand und Aya keuchte atemlos auf. Schuldig lächelte plötzlich. Er hatte es gewusst. Oh verdammt, warum hatte er sich täuschen lassen? Warum hatte er sich täuschen lassen von Leid und Kälte? Und vom Nebel. Omi, Ken und Yoji runzelten gleichermaßen die Stirn, bis Omi plötzlich ebenfalls verstand. Er wirbelte herum, stürmte die paar Schritte zu seinem Bett und packte Nagi an den Schultern.

„Nagi!“, rief er, das Gesicht in Erstaunen, Hoffnung und Hilflosigkeit verzogen. Er war es. Er hatte das auf dem Bildschirm geschrieben. Er war noch da, irgendwo tief drinnen und er sprach mit ihnen. Schuldig trat zu Omi und legte ihm sanft die Hände auf die Schultern. Omi ließ Nagi sofort los und drehte den Kopf, um den Deutschen anzusehen. Schuldig sah die Tränen in Omis Augen glitzern und lächelte sacht.

„Er kann dich nicht hören.“, sagte er leise und zog den Jungen auf die Füße. Omi schüttelte ungläubig den Kopf, den ließ er selbigen hängen. Was sollte das heißen? Schuldig führte Omi zurück zum leuchtenden Bildschirm, stellte sich hinter den Jungen und hielt ihn ein wenig fest. Das Gefühl für Omi war merkwürdig. Aber der Eindruck, den er gehabt hatte, als Aya und Schuldig sich umarmt hatten, hielt an. Und so ließ er sich von Schuldig halten. Omi fühlte, dass seine Knie schwach wurden, als er sah, was Aya inzwischen geschrieben und was in der kurzen Zwischenzeit geantwortet worden war.
 

<ich bin hier…nagi>

«dann ist es gut»

<wo bist du?>

«auf dem rückweg»
 

Omi sah zu Aya, der ihm den Rücken zukehrte. Seine Schultern zitterten sichtlich und als Omi sich vorbeugte, um seinen Freund zu drücken, sah er die Tränen, die still über die Wangen des Weiß-Leaders liefen. Welch ein Gefühl musste es sein, fragte Omi sich und nahm Aya in den Arm. Der blieb gerade sitzen, nahm die Hände nicht von der Tastatur, schloss aber für einen kleinen Augenblick dankbar die Augen. Welch ein Gefühl musste das sein, die Worte eines Menschen auf seinem Monitor stehen zu sehen, den man leblos hinter sich auf dem Bett liegen wusste? Dann richtete Omi sich wieder auf, schüttelte ungläubig den Kopf und sah zu Schuldig hinauf. Der Schwarz hatte ein merkwürdiges, ruhiges Lächeln auf den Lippen, als wisse er als einziger schon längst, was hier vor sich ging. Das war allerdings etwas, das Omi nicht gerade sehr unwahrscheinlich erschien. Wer, wenn nicht Schuldig, konnte wohl wissen, was das alles auf sich hatte?
 

„Das glaub ich nicht.“, murmelte Ken neben Omi und rieb sich über das Gesicht. Yoji nickte stumm. Sie beide verstanden nicht im Geringsten, was gerade passierte. Nun, irgendwie und irgendwo verstanden sie es schon. Aber weil es so unwirklich war, so ganz und gaer unmöglich erschien, sickerte die Erkenntnis nicht bis in ihr waches Bewusstsein hinein. Nur tief drinnen, wo Ken und Yoji nicht herankamen, an ihren Geist, da bahnte sich an, was später vielleicht Erkenntnis heißen würde.

„Es ist wahr.“, erklang da Ayas Stimme. Leise und bedacht, die Worte wohl gewählt und mit spürbarer Anstrengung in der Stimme. Es musste ihm schwerfallen, zu sprechen. Omi lächelte. Ja, es war wahr. Aber was hatte es zu bedeuten? Was genau?
 

«ich brauche hilfe»
 

erschien da plötzlich und Aya nickte. Dann schüttelte er den Kopf.
 

<was soll ich tun?>
 

schrieb er zurück und musste nicht lange auf die Antwort warten.
 

«ich brauche schuldig»
 

Aya nickte. Er wandte sich zu dem Deutschen um, der ihm zunickte, als hätte er schon alles begriffen. Aya bezweifelte das nicht.

„Ich helfe ihm. Bleib bei ihm.“, sagte Schuldig und hinterließ ein irritiertes Fragezeichen in Ayas Miene. Wie, bei ihm bleiben? Nagi lag doch auf dem Bett. Doch als Omi ein erstauntes Quieken von sich gab und Aya an der Schulter fasste, Aya sich wieder zum Monitor umdrehte und sah, was darauf erschienen war, verstand er Schuldigs Anweisung. Es war unglaublich.
 

Zuerst liefen lauter schwarze Nullen und Einsen über den grünen Bildschirm. Sie liefen von oben nach unten, als fielen sie vom oberen Bildschirmrand hinunter, um in der Ewigkeit zu verschwinden. Dann plötzlich hielten die Ziffern inne, waberten einen Augenblick wie Pudding hin und her und formten sich schließlich zu einem unverkennbaren Gesicht. Sie rückten zusammen, oder auseinander, bildeten Schatten und Umriss, formten Licht und Mienenspiel und hatten schließlich ihre Positionen gefunden. Das Gesicht hatte die Augen geschlossen und wirkte friedlich. Aya keuchte fassungslos, als das Gesicht langsam, zögerlich, seine Augen öffnete und einmal, dann zweimal blinzelte.

„Nagi?!“, keuchte Omi und sein Griff um Ayas Schulter wurde fester. Er brauchte ganz dringend etwas, woran er sich festahlten konnte. Sein Inneres zitterte und sein Äußeres drohte, dem nachzugeben und einfach auf der Stelle in Ohnmacht zu fallen. Doch Omin hielt sich tapfer.

Ken schüttelte den Kopf und starrte still weiter auf das, was vor seinen Augen geschah, aber die Tiefen seines Geistes nicht wirklich erreichte. Es war zu verrückt. Yoji jedoch lächelte ein wenig. Ganz plötzlich waren in ihm die Zweifel verschwunden. Mit dem ersten Augenaufschlag hatte ihn die Gewissheit durchdrungen, dass das Nagi war. Und das alles gut werden würde.
 

Das Gesicht auf dem Monitor sah Aya an und ein schwaches Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen. Aya schluchzte auf, schlug die Hände vor die Augen und sank in sich zusammen. Das war zuviel. Das war einfach zuviel. Omi trat zu Aya und hielt den schluchzenden Körper, bis der Weiß sich beruhigt hatte. Als Aya seinen Blick wieder hob und Omi ansah, sah der Blondschopf ein Lächeln auf den Lippen des Anderen, dass er noch nie zuvor gesehen hatte. Weder bei Aya, noch bei sonst jemandem. Es war ein Lächeln, das sagte ‚Ich hatte ihn verloren und ich habe ihn wiedergefunden‘. Es war selig und doch voller Verwirrung. Zutiefst erleichtert und doch voller fehlender Kraft. Es zeugte von dem Schmerz, durch den Aya gegangen war und von der Sanftheit und von dem Trost, der seinem Herzen jetzt Linderung verschaffte.

„Es ist Nagi.“, wisperte Aya und schloss die Augen. Omi nickte lächelnd, drückte Aya noch einmal an sich und ließ ihn dann los. Aya musste bei Nagi sein. Das Gesicht hatte Ayas Zusammenbruch still zugeschaut. Es hatte gelächelt, warm und zart, bis Aya sich ihm wieder zuwandte. Dann schloss das Gesicht die Augen und das Bild erzitterte. Aya keuchte erschrocken, voller Angst, dass er Nagi wieder verlieren würde, das der Bildschirm wieder schwarz und leer wedren würde, doch plötzlich war Schuldigs Stimme in seinem Kopf.

~Er ist auf dem Weg~, sagte sie und Aya schluchzte vor Erleichterung auf. Ken und Yoji verließen ihren Posten hinter Aya und traten gemeinsam an Nagi heran, der auf dem Bett lag, leblos wie eh und je. Sie knieten sich ans Kopfende, während Schuldig ihnen gegenüber sanft, aber stetig, über Nagis Stirn strich und mit geschlossenen Augen etwas murmelte, was niemand verstand. Er sprach mit Nagi, wies ihm den Weg durch den Nebel, rief ihn mit seiner Stimme sowohl lautlos, als auch wahrhaftig zu sich.
 

„Er ist auf dem Weg.“, sagte Aya in die neu entstandene Stille, was ihm solche Erleichterung verschafft hatte, sprach es laut aus, für all die, die Schuldig nicht hatten hören können und legte dann sacht und vorsichtig seine Hand auf den Bildschirm. Er strich zart über Nagis virtuelle Wange und spürte das leichte Knistern, als die statische Aufladung des Monitors sich entlud. Nagis Gesicht auf dem Bildschirm schloss die Augen und lächelte dankbar. Die Einsen und Nullen veränderten ihre Plätze, um dem Gesicht den Ausdruck zu verleihen, den Nagi mitteilen wollte.

Und dann spürte Aya, wie das Gefühl an seinen Fingern sich veränderte. Da war die kalte Scheibe des Monitors, das leichte Prickeln, doch dann fühlte es sich plötzlich warm an und weich. Aya zuckte erschrocken zurück. Er hatte Nagis Wange gefühlt, da war er sich ganz sicher. Da war seine Haut gewesen, lebendig und zart. Aber wie unglaublich und verstörend war dieses Gefühl.

~Er kann dich spüren.~, sprach Schuldig in Ayas Kopf und zauberte ein dankbares Lächeln auf dessen Lippen. Aya schloss die Augen und bemühte sich, ganz für Nagi dazusein. Er wusste nicht wirklich, wie er ihm helfen konnte, seinen Weg zurück zu finden, aber er wollte es nur allzu gern versuchen. Omi sah, wie Nagi auf dem Monitor ebenfalls die Augen schloss und still lächelte. Irgendwie war das Bild der beiden Jungen, die sich auf merkwürdige Weise gegenüber saßen beruhigend und friedlich. Und dann half Schuldig an Nagis Seite dem Jungen, seinen Weg zurück in die Hülle seines leblosen Körpers zu finden.
 

//2

Das erste, was Nagis Rückkehr zeigte, war das leichte Heben und Senken seines Brustkorbs. Es schlich sich so langsam ein, dass Ken und Yoji es erst bemerkten, als der Körper vor ihnen plötzlich einen tiefen Seufzer tat. Beide Jungen rissen die Augen auf und keuchten erschrocken. Schuldig lächelte und öffnete die Augen.

„Er atmet.“, stellte er knapp fest und setzte sich neben Nagi auf das Bett. Er zog den Körper zu sich, bettete Nagis Kopf in seinem Schoß und legte ihm die Hände auf, wie er es schon einmal getan hatte, in der Kälte der Nacht. Doch da war es vergebens gewesen. Dieses Mal würde es klappen, er wusste es einfach.
 

Von Schuldigs Ausruf aus den Gedanken gerissen, fuhren Omi und Aya gleichzeitig zu der kleinen Gestalt auf dem Bett herum und stürzten dann hinüber. Aya ergriff Nagis Hand und kniete sich neben Schuldig auf den Boden. Er wollte Nagi ganz nahe sein, wollte ihn spüren und ihn wiederum spüren lassen, dass er nicht allein war.

„Ich bin hier.“, flüsterte Aya leise und Omi kniete sich lächelnd neben Ken und Yoji, die noch immer ungläubig auf Nagis Brustkorb starrten. Er hob und senkte sich gleichmäßig, ruhig und entspannt. Als hätte er nie etwas anderes getan. Als hätte er nicht fast zwei Stunden lang reglos verharrt. Als wäre all das nie geschehen, sondern nicht mehr, als ein böser Traum.

„Ich hole ihn jetzt.“, sagte Schuldig in die erneut aufgestiegene Stille und verfiel dann in Schweigen. Gebannt, voller drängender Erwartungen, starrten vier Gesichter auf Nagis Augen. Schuldig konzentrierte seine gesamte geistige Kraft darauf, Nagi zu finden, ihm die Hand zu reichen und ihn zurückzubringen. Dann plötzlich, ohne Vorwarnung, einfach so, als sei es das Leichteste der Welt, öffnete Nagi die Augen und sah Aya an.
 

Der Weiß-Leader schüttelte fassungslos den Kopf. Dann nahm er Nagi aus Schuldigs Händen, zog ihn zu sich hinab und drückte ihn fest an sich. Er weinte. Aber er spürte es kaum. Er spürte nur die Wärme, die in Nagis Körper zurückkehrte. Das sanfte Heben und Senken des Brustkorbes, der atmete. Den sachten Hauch von Nagis Atem auf seiner Wange, als er ihm tief in die Augen sah. Und dann diesen Blick. Nagi sah Aya an, sein Gesicht blieb reglos, schien geschafft und matt, doch seine Augen waren voller Leben. Und voller Dankbarkeit. Aya versank in diesen Augen, ließ sich von ihnen halten und tragen, auf seinem eigenen Weg zurück ins Licht, aus der Dunkelheit, die er erst jetzt, wo sie schwand, als das wahrnahm, was sie gewesen war. Schmerz.

Minutenlang sahen die beiden Jungen sich an, niemand sagte ein Wort, niemand bewegte sich auch nur. Dann blinzelte Nagi und der Zauber war verflogen. Aya lachte erstickt auf, dann schluchzte er haltlos. Er drückte Nagi an sich, verzweifelt und Nagi hob langsam die Arme und legte sie um Aya. Dann weinte Aya und Nagi hielt ihn. Dann weinte Omi und Ken hielt ihn. Dann weinte Yoji und riss sich gleich wieder zusammen. Und Schuldig saß auf dem Bett, erschöpft aber glücklich und betrachtete die Szenerie, die sich ihm bot. Herrlich.
 

„Du hast uns allen den Schock unseres Lebens verpasst, Kleiner.“, sagte Schuldig nach einer Weile in die Stille, die nur von gelegentlichem Schluchzen durchbrochen wurde. Nagi, noch immer an Ayas Brust gedrückt, öffnete die Augen und lächelte leicht.

„Ihr habt ja förmlich danach geschrien.“, sagte er leise und seufzte dann tief. Schuldig lachte leise. Aya hob den Blick und sah erst Schuldig, dann Nagi fragend an. Seine Tränen versiegten, als der Sinn dessen, was er gerade gehört hatte, in sein Bewusstsein drang. Sollte das etwa heißen…aber nein, das war nicht möglich. Oder doch?

„Nagi?“, sagte er tonlos und schüttelte ungläubig den Kopf. Das konnte niemand. Niemand war dazu in der Lage.

~Er schon.~, drang Schuldigs Stimme in Ayas Kopf und als er den Deutschen dann ansah, hatte sich wieder das altbekannte, freche Grinsen auf dessen Lippen gestohlen. Aya runzelte die Stirn. Er konnte es nicht glauben.

„Es ist wahr.“, sagte da plötzlich Nagi und strich Aya sacht über die vom Weinen und der Anstrengung gerötete Wange. Es ist wahr?, wiederholte Aya in Gedanken und Nagi lächelte. Aya senkte den Blick. Und die Erkenntnis, die ihn dann traf, traf so tief, dass er minutenlang kein Wort mehr sagte. Bis Omi ihn aus seinen Gedanken riss.

„Was ist wahr?“, fragte der Blondschopf, der zugleich erleichtert, aber auch verwirrt zu Nagi gekrabbelt war, um auch ein wenig von seinem wiedererwachten Freund zu haben. Er nahm Nagis Hand und lächelte. Nagi sah Omi an und dann wieder Aya. Dann setzte er sich auf, wobei Aya ihm sofort behilflich war, sah in die Runde und senkte den Blick.

„Ich werde es euch erklären.“, begann er dann eine unglaubliche Geschichte, die allen – außer Schuldig, der wie immer schon Bescheid wusste – die Münder offen stehen ließ.
 

//3

Nagi hatte sich im zweiten Stock des leerstehenden Hauses vergraben und wollte nichts, als allein sein. Er saß auf dem Flur, der Treppe direkt gegenüber und sah Aya bereits entgegen, als dieser die letzten Stufen erklomm. Er lächelte schwach, als Aya sich vor ihn hockte und ihm ein warmes Lächeln schenkte.

„Hey…“, sagte Aya leise und Nagi lächelte still. Er wollte, das Aya verschwand. Er wollte ihm nicht wehtun. Doch der Rotschopf setzte sich und sah Nagi fragend in die Augen. Nagi wich Ayas Blick aus.

„Ich will das nicht.“, stellte er knapp fest und Aya sah zu Boden. Das war die Wahrheit. Noch nie hatte er jemandem so klar ins Gesicht gesagt, was er dachte.

„Ich will mich nicht zwischen euch entscheiden.“, sagte Nagi und sah, dass Aya hörte, dass seine Stimme zitterte. Vielleicht würde er weinen. Doch als Aya seinen Blick wieder hob und Nagi ansah, verbannte dieser seine Tränen und ließ dem freie Bahn, was ihn ihm brodelte und kochte. Wut. Nagi ballte seine Rechte zur Faust und schlug mit ganzer Kraft auf den Boden. Er sah, wie Aya zusammenzuckte und stellte erschrocken fest, dass ihn das zufrieden machte.

„Ich will das nicht!“, sagte Nagi dann lauter und sah Aya fest an. Seine Augenbraue zuckte und die offenstehende Tür neben ihnen flog mit einem ohrenbetäubenden Knall zu. Da war es, das Gefühl. Wut. Stärke. Aya sah das Holz splittern. Er griff nach Nagis Hand, doch der zog seine weg und schlug erneut auf den Boden. Er ließ sich nicht berühren. Nicht äußerlich und innerlich schon gar nicht. Nein, jetzt war er an der Reihe. Schluss mit Gefühlsduseleien, Schluss mit Rücksichtnahme. Endlich einmal musste gesagt werden, was zu sagen war, damit endlich alle verstanden.

„Und ich werde es nicht!“, rief Nagi dann, starrte Aya fest in die Augen und ließ mit einem weiteren Schlag seiner Hand sämtliche Türen auf dem Flur zuknallen. Ja, da war sie, die alte Kraft. Sie strömte durch seine Adern wie süßer Honig. Nagi sah Aya erneut zusammenzucken. Er hob schützend seine Arme über seinen Kopf, als einige Holzsplitter um ihn herum stoben.

„Hör auf damit, Nagi!“, bat er eindringlich und sah den Jungen entgeistert an. Doch Nagi schnaubte nur wütend und stand schwankend auf. Hör auf damit, Nagi? Nein, niemand sagte ihm, was er zu tun und zu lassen hatte. Das hier war sein Spiel. Seine Regeln. Sein Herz. Er hob eine Hand, drehte die Handfläche nach oben und das Holz, das sich von den Türen gelöst hatte, erhob sich in die Luft.

„Nagi…“, hörte Nagi Aya gerade noch flüstern, als der ehemalige Schwarz seine Hand mit einer raschen Drehung umdrehte und die Holzsplitter an ihm und Aya vorbei und mit einem reißenden Knallen gegen die Wand geschleudert wurden. Aya keuchte auf. Nagis Blick ging durch ihn hindurch. Er starrte zu dem Fenster, durch das kaum Licht drang. Es kochte in ihm und er gab sich dem hin.

„Niemand…“, sagte er und spürte selbst, wie mühsam die Worte über seine Lippen kamen.

„Niemand hat das Recht…“, begann er nochmal und atmete schwer. Er spürte, dass seine Haare sich bewegten, als ob ein leichter Wind durch den Flur strich. Doch Nagi wusste von allen Menschen auf dieser Erde am betsen, das es hier drinnen windstill war.

„NIEMAND HAT DAS RECHT, VON MIR SOWAS ZU VERLANGEN!!!“, schrie Nagi dann, außer sich vor Zorn und stieß seine Hand vor, in Richtung des Fensters. Das Holz zerbarst mit einem Knirschen und Krachen und Aya wich keuchend zwei Schritte zurück. Befriedigung und heiße Genugtuung durchströmten Nagis Herz. Er ballte die Hände wieder zu Fäusten, dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort von Aya ab, rannte den Flur entlang und sprang mit einem weiten Satz aus dem Fenster.
 

Er drehte sich nicht um, er lauschte nicht zurück, kümmerte scih nicht um Aya, der zurückblieb, fassungslos und voller Sorge. Nein, Nagi lief nur, rannte, bis seine Lungen schmerzten, sein Herz hammerhart gegen seine Rippen schlug, seine Knie weich wurden und er einfach nicht mehr konnte. Da bog er in eine schmale Gasse, ließ sich auf die Stufe eines Hauseingangs sinken und schloss die Augen. Der Schnee fiel auf seine Haare und er war es, der Nagis unendliche Wut kühlte, sie letztendlich verdampfen ließ, wie heiße Lave, die auf den kühlen Ozean trifft. Nagi öffnete die Augen wieder, als er den Schnee bewusst wahrnahm. Er reckte das Gesicht gen Nachthimmel und nahm die kalten Flocken dankbar entgegen, ließ sich von ihnen beruhigen und lächelte schließlich.

Jetzt wussten sie es alle. Jetzt bestand kein Zweifel mehr daran, wie Nagi über Aya und Schuldig dachte. Er hatte seinen Standpunkt klar gemacht. Aber was nützte das schon? Sie würden ihn finden, sie würden sich vielleicht sogar bei ihm entschuldigen, aber ändern würde das rein gar nichts. Sie würden ihn beide ansehen und dieselbe Entscheidung von ihm erwarten, die sie bereits jetzt von ihm wollten. Nagi biss sich auf die Lippe, als er darüber nachdachte, wie er es anstellen konnte, dass da mit ein für allemal Schluss war. Wie er es anstellen konnte, dass Aya und Schuldig sich vergaßen, nur noch daran dachten, was Nagi für sie bedeutete, die Waffen streckten und sich aufgaben, um nur noch das zu sein, was sie beide für Nagi waren – Freunde.
 

Es dauerte nicht lang, bis Nagi den Weg, der ihn in die Tiefen, in die Weiten und schließlich, so Gott will, zurück in die Wärme tragen würde, vor sich zu sehen. Und es dauerte nicht lange, bis er sich entschied, ihn zu gehen. Er wusste, dass er es konnte, wenn alles glatt ging. Und das geringe Risiko, den Weg zurück nicht mehr zu finden, war er sofort bereit zu tragen. Weil er wusste, dass es keine andere Möglichkeit gab, den ewigen Krieg zu beenden und endlich Frieden zu schaffen.

Und so schloss Nagi unter dem schwarzen Nachthimmel und im kühlen Schnee des eisigen Dezembertages die Augen und konzentrierte sich. Er legte sich zurück, lehnte den Kopf gegen die harte Haustür hinter sich und fühlte nach seinem Herzen. Er lächelte still. Dann legte er seine innere Kraft wie ein Band um sein Herz und zwang es, langsamer zu schlagen. Er beruhigte es, zwang es von 90 auf 80 auf 60 Schläge. Dann, als er ganz ruhig war, richtete er seine ganze Konzentration auf die Muskeln, die das Blut durch seinen Körper trieben und befahl ihnen, inne zu halten.
 

So hielt Nagi seinen Herzschlag an, verließ sein Geist seinen Körper und harrte darauf, in der kälter werdenen Stille, in der bedrohlicher werdenden Einsamkeit, dass Schuldig und Aya ihre Feindschaft aufgaben. Und darauf, rechtzeitig zurückkehren zu können, bevor das hauchdünne Band zwischen Nagis Geist und seinem nun leblosen Körper endgültig und unwiederruflich zerriss.
 

//4

Als Nagi geendet hatte, waren vier Augenpaare auf ihn gerichtet und Schweigen umhüllte ihn, wie eine warme Decke. Er lächelte und nickte leicht. Dann sah er Aya an, der fassungslos auf ihn herabsah und immer wieder den Kopf schüttelte. Nagi hatte es getan. Er selbst. Er hatte sich getötet, um ihn und Schuldig zur Raison zu bringen. Aya konnte es nicht fassen.

„Es ist mir egal, was ihr darüber denkt. Ihr wisst genauso gut, wie ich, dass ich keine andere Wahl hatte, als euch Idioten die Wahrheit vor den Kopf zu knallen.“, sagte Nagi ruhig, löste sich aus Ayas Armen und stand, ein wenig schwankend noch, aber dann sicher, auf. Nagi verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und lächelte tapfer. Ihm war nicht wohl bei der ganzen Sache. Die Blicke, die auf ihm ruhten beunruhigten ihn. Aber er wusste genauso gut, dass er keine Wahl hatte. Er hatte sich für den schweren Weg entschieden und er würde ihn bis zuletzt gehen. Und wenn er nicht auf das Verständnis traf, das er sich erhoffte, dann sollte es eben so sein.

„Nicht ich hatte eine Entscheidung zu treffen, sondern ihr.“, sagte Nagi dann und sah Schuldig an, der seinen Blick unangenehm berührt beiseite wandte.

„Ihr habt euch gegen euch selbst und für mich entschieden, dafür bin ich euch dankbar.“, sagte Nagi dann lächelnd und Omi vernahm den sanften Klang in seiner Stimme. Er war zutiefst beeindruckt. Davon, wie weit Nagis Fähigkeiten gingen. Und davon, wieviel er bereit gewesen war, einzusetzen, damit das, was ihn so quälte endlich ein Ende hatte. Und er war froh, dass nicht er der Grund für Nagis drastischen Schritt gewesen war. Welche Vorwürfe würde er sich dann machen!

„Und jetzt sagt was, verdammt!“, rief Nagi dann, als ihm das Schweigen zuviel wurde. Er grinste, aber Omi wusste sofort, dass sein Grinsen bloß ein stiller Ruf nach einer Reaktion war. Aya sah Nagi an und hörte auf, den Kopf zu schütteln. Schuldig sah weiterhin stur an Nagi vorbei und sagte keinen Ton. Ken und Yoji knieten noch immer an derselben Stelle, die Münder offen und die Augen star auf Nagi gerichtet. Omi sah in die Runde und seufzte dann tief.

„Leute, es kann nicht angehen, dass die Kleinsten sich am erwachsensten benehmen.“, sagte er dann, stand auf und tapste zu Nagi, um ihn in die Arme zu nehmen. Nagi grinste, nun ehrlich und erwiderte Omis Umarmung dankbar.
 

Aya fuhr sich mit einem Aufseufzen durch die Haare und erhob sich dann ebenfalls. Doch anstatt zu Nagi zu gehen und es Omi gleichzutun, ließ er seinen inneren Schweinehund am langen Arm verhungern und streckte Schuldig seine Hand hin. Dann wandten sich vier Augenpaare dem ungleichen Paar zu, als der Deutsche den Kopf zu Aya drehte und ihn mit hochgezogener Augenbraue anstarrte. Aya schnaubte und stieß seine Hand knapp in Schuldigs Richtung.

„Nimm sie schon, Schwarz.“, zischte er leise und Schuldig zauberte sein geliebtes breites Grinsen auf seine Lippen. Er blieb lässig sitzen, nahm jedoch nach einigen Augenblicken, die er Aya genüsslich zappeln ließ, Ayas Hand und schüttelte sie knapp.

„Glaub ja nicht, dass ich gleich bei euch einziehe, Weiß.“, zischte Schuldig zurück, sah Aya fest in die Augen und ließ seine Hand dann wieder los. Aya zog die seine zurück, nickte knapp und verschränkte die Arme vor der Brust. Er ignorierte Schuldigs freches Verhalten.

„Vielleicht nächste Woche?“, fragte er und ließ das Grinsen von Schuldigs Lippen auf die seinen wandern. Schuldig zog die Stirn kraus und schaute so irritiert, dass Aya sich das Grinsen nicht mehr verkneifen konnte.

„Komm schon, es ist sinnlos, es noch länger zu verbergen.“, meinte Aya und hob die Hände. Schuldig schnaubte, dann stand er auf. Dann grinste er ebenfalls und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper, wie Aya es zuvor getan hatte.

~Ich werde nicht sagen, dass ich euch mag, Weiß.~, schnaubte es ihn Ayas Kopf und der Weiß-Leader schickte Schuldig ein stilles Grinsen. Das war etwas anderes, als ‚Ich mag euch nicht‘, nicht wahr? Omi und Nagi, Ken und Yoji sahen zu Schuldig und Aya und irgendetwas sagte ihnen allen in diesem Moment, dass ihre Welt sich veränderte. In diesem Augenblick. Und zwar ganz gewaltig. Nagi lächelte, als er den verschmitzten Blick in Ayas Augen sah und denselben Blick in Schuldigs Augen wiederfand. Etwas geschah. Und es war etwas Gutes, das spürte er ganz genau.
 

~Sag es ihm.~

Was?!

~Sag es ihm!~

…das werde ich schon. Irgendwann.

~Sofort, verdammt!~
 

Da trat Aya zu Nagi und nahm ihn ohne ein Wort in die Arme. Nagi quiekte erstaunt und warf einen verwirrten Blick zu Omi, der nur ahnungslos die Schultern zuckte. Dann sah Aya Nagi fest in die Augen, neigte den Kopf, brachte seine Lippen ganz dicht an Nagis Ohr und flüsterte mit konzentriert gerunzelter Stirn und geröteten Wangen etwas hinein.
 

Und Nagi schloss die Augen und lächelte still. Es störte ihn nicht, dass niemand es hörte. Es war nur für sie bestimmt. Für den, der es sagte. Und für den, der es hörte. Und für niemanden sonst. Und sogar Schuldig zog sich respektvoll aus Ayas Kopf zurück und behielt seine neugierigen, geistigen Finger bei sich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Battosai
2008-07-09T13:48:20+00:00 09.07.2008 15:48
hihihi *quitsch*
das ist wirklcih tooooooll *nick nick*
*rumhüpf*
so soll es sein *lach*
und nicht anderst xDDDDD und ich denke ich weiß ganz genau was Aya zu Nagi gesagt hat *lach*
schu ist einfach süzz auch wie er da ihn so drängt es ihn zu sagen *lach*
Von:  Azazel_Il_Teatrino
2008-04-21T16:12:56+00:00 21.04.2008 18:12
wahhhhhh...*_*
du hast ihn zurück gebracht!!! *vor freude rumhüpf*
ich hatte zwar irgendwie vermutet das das mit dem computer was mit nagi zu tun haben soll, aber ich konnte mir einfach nich vorstellen, was...xDD
das ehrlich eine geniale wende...*lol*
ich glaub da wär keiner drauf gekommen..^^
und ich sowieso nich...*lach*
klasse finale und super FF! ganz ehrlich...*grins*

grüße
mei^^


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