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Abgründe

~ wenn du das Ende nicht sehen willst ~
von

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Kapitel 2

Kapitel 2
 

Ludwig grinste siegessicher.

„Komm schon, Ludwig, den schnappst du dir!“ – „Gib dein Bestes, Kleiner!“

Sie feuerten ihn an, weil er gut war, oder?

Weil er … gut war?

Innerlich ironisch auflachend, verneinte er. Das war kein Grund.

Sympathie vielleicht?
 

„Merk dir eins, Ludwig“, sein Trainer stand vor ihm, nahm ihm sein Handtuch ab und legte die großen Hände auf die knochigen Schultern. Ludwig trug immer noch sein Hemd, das seinen vernarbten Körper vor neugierigen Blicken schützte. „Lass dich nicht ablenken.“, flüsterte er, nahe genug an Ludwigs Ohr, dass dieser seinen heißen Atem spüren konnte.

„Ja, Sir“, antwortete Ludwig unbeirrt, obwohl ihm diese plötzliche Nähe unangenehm war.

Er gab es ungern zu, aber Nähe war nicht unbedingt das, was er gerne um sich hatte. Nicht, dass er sich in irgendeiner Weise so etwas aussuchen durfte. Für dergleichen war er viel zu unbedeutend.

Vater hatte ihm das schließlich oft genug bewiesen.
 

A-aber … er liebt mich, nicht wahr?

Vater liebt mich.
 

Ludwig schluckte schnell, unterdrückte das aufkommende Zittern seiner vernarbten Hände.

Glücklicherweise trug er bereits die Boxhandschuhe.

Der Ausbilder ließ von ihm ab. „Gut“, nickte er und klopfte Ludwig noch einmal anerkennend auf die rechte Schulter, ehe er durch die Seile aus dem Ring verschwand.

Ludwig nickte leicht, ehe er sein selbstgefälliges Grinsen aufsetzte.

Er versuchte die Gedanken an Vater zu verdrängen. Er versuchte es wirklich …

Ludwig wusste, er war besessen von dem Gedanken an Vater, von der Liebe, von Gilbert.

Wie konnte man so etwas abschalten?

Wie brachte man diese innere Stimme zum Schweigen?

Er hörte seine Kameraden aus den Zuschauerreihen jubeln. Er hörte, wie sie ihn anfeuerten.
 

Aber … ich habe noch nichts gemacht, oder? Sie haben keinen Grund mir ihre … Zuneigung … zu zeigen, nicht wahr?

B-bestimmt ist es nicht einmal richtige … Zuneigung … Heuchelei …

Warum machen sie das?

W-weil …

Weil sie … mich mehr mögen, als den Anderen?

Sympathie?

Würden sie mich auch anfeuern, wenn sie wüssten, wie schrecklich ich aussehe?

Würden sie mich auch dann mögen, wenn sie wüssten, dass ich nicht liebenswert bin?

Es ist Heuchelei …

Sie kennen mich nicht. … Im Prinzip … haben sie kein Recht, mir zuzujubeln, nicht wahr?

Sie wissen nichts …

Ich habe meinen Gegner noch gar nicht besiegt … ich verdiene es doch gar nicht, nicht wahr?

Ich verdiene nichts. Sie sollten das nicht tun.
 

Der Schiedsrichter winkte ihm gelassen zu, woraufhin Ludwig aufstand und zur Mitte des Ringes schritt.

Gleich würde es los gehen.

Er machte sich meist wenig Gedanken um seine äußere Erscheinung, doch den Anderen schien der Verband, den er noch immer um den Kopf trug, zu verwirren.

Sah er angreifbar aus?

Würde sein Gegner ihn überhaupt für voll nehmen?

Ludwig lachte innerlich trocken auf.
 

Wenn nicht, dann wird er es lernen, nicht wahr, Vater?

Du hast mich auch immer für voll genommen, ganz egal wie schlecht ich aussah.

Egal, wie sehr ich es auch versuche, du wirst mich immer begleiten, Vater …

Wie ein Gespenst und … ich werde immer an dich denken, Vater.

Liebst du mich deswegen nicht so sehr, wie du Gilbert geliebt hast?
 

Vater, du hasst mich, ... oder?
 

Er verlor sich fast in seinen Gedanken.

Es war eine seiner größten Schwächen, dass er immerzu den Fokus verlor, wenn seine Gedanken wanderten. Sein Trainer sagte immer, er wäre zu unaufmerksam.

Sein Trainer hasste es, wenn er unaufmerksam war und … manchmal … manchmal holte er aus und …
 

Kurz schüttelte Ludwig den blonden Schopf, konzentrierte sich wieder auf die wesentlichen Dinge.

Sein Gegner sah nervös aus. Schlank, fast schon mager, aber dennoch war sein Körperbau muskulös, ein schmales eckiges Kinn, verschwitzte Schläfen. Das dunkelbraune Haar fiel ihm in Strähnen in die smaragdgrünen Augen, doch trotzdem erkannte Ludwig in dessen Iriden die selbe Entschlossenheit, die auch Ludwig spürte.

Er wollte hier und gleich gewinnen. Für Vater, für sich selbst und für dieses Stipendium.

Er wollte auf diese Schule, die man ihm immer vorenthalten hatte. Er wollte dorthin und Gilbert wieder sehen. Er wollte seinen Vater stolz machen.

Endlich geliebt werden.
 

Heute Abend wirst du stolz auf mich sein, Vater.

Vielleicht … vielleicht l-liebst du … mich dann?

Ich bin nichts wert … Vater, nicht wahr? Und trotzdem … und trotzdem existiere ich … neben dir.
 

„Kämpft!“
 

Als Ludwig zu einer starken Rechten ansetzte, verschwand seine sonstige Zurückhaltung gegenüber körperlicher Gewalt.

Es gab etwas in ihm, dass seine schüchterne, zurückhaltende Seite verdrängen konnte …

Und gerade, als der Ringrichter das Signal gegeben hatte, da legte sich der Schalter in seinem Kopf um.

Vielleicht, nur vielleicht, war das hier sein wahres Zuhause.

Wo er … ausnahmsweise die Macht hatte, die Kraft, etwas zu verändern … andere Menschen stolz zu machen …

Seine zusammengepressten Lippen verzogen sich zu einem fast schon wahnsinnigen Grinsen.

Und er spürte die Furcht seines Gegenübers. Die plötzliche Furcht vor einer Niederlage. Die plötzliche Furcht vor dem eigenen Versagen.

Natürlich traf er sein Ziel. Er boxte, schlug den Jungen gegen die Brust, traf den Halsbereich, blockte alles, was der Andere zu bieten hatte und er verschwendete nicht einen Gedanken an den Jungen, den er gnadenlos in die Ecke drängte.

Der Brünette vor ihm lächelte nicht, sondern biss fast schon schmerzhaft die Zähne aufeinander. Ludwig bemitleidete ihn nicht. Es tat gut, auf der anderen Seite zu stehen. Es tat gut, Macht zu haben.
 

Vater wird stolz auf mich sein.

Vater wird mich lieb haben.
 

Ludwigs Blick fixierte die Fäuste des anderen Jungen. Er hatte bisher noch kein einziges Mal die Chance gehabt, einen Treffer zu erzielen.

Ludwig grinste weiter, bis sein Gegenüber plötzlich und völlig unerwartet mit der Linken ausholte und ihn fast an der Schläfe getroffen hätte, wären Ludwigs Reaktion und Fäuste nicht so schnell zur Abwehr übergegangen.

Der Andere war also Linkshänder?

Warum war ihm das noch nicht aufgefallen?

Eine Finte also … die sein Gegenüber wohl oder übel zu nutzen wusste, wie es aussah.

Er hatte Ludwig zappeln lassen, ihn zuschlagen lassen, bis sich eine geeignete Gelegenheit bot, ihn mit der linken Faust völlig aus dem Konzept zu bringen …

Sein Trainer würde ihn für diese Unachtsamkeit schlagen … Ludwig spürte die fassungslosen Blicke der Anderen auf seinem vor Schamesröte brennenden Gesicht.

Der Junge mit den smaragdgrünen Augen fixierte ihn immer wieder, ehe seine linke Faust so schnell niedersauste, dass Ludwig es beinahe nicht mehr mitkam. Seine Abwehr würde bröckeln, wenn er weiter zurück gedrängt wurde.
 

Vater wird mich hassen … er wird mich nicht lieb haben, wenn ich nicht gewinne.

Er hat mich nie geliebt, oder?

D-doch! Er hat sich um mich gekümmert! Er … er kann es nur nicht so offen zeigen, das ist alles; und ich bin sowieso nicht gut genug, um sein Sohn zu sein, deswegen verdiene ich alles, nicht wahr?

Er hat immer nur Gilbert gesehen … nicht wahr?

Gilbert, der so fantastisch boxen konnte. Gilbert, sein liebster Sohn. Gilbert, mein großer Bruder, der immer auf mich aufgepasst hat … und jetzt hat Vater nur noch mich …

Kein Wunder, dass er enttäuscht ist.
 

Innerlich lachte Ludwig kalt, wusste genau, dass alles, was ihm durch den Kopf schoss, stimmte.

Das Blatt hatte sich anscheinend gewendet, denn sein Gegenüber boxte nun ohne Zurückhaltung auf den schmächtigen Körper des Deutschen ein.

Ludwig spürte jede Narbe, jede Verletzung, jeden Bluterguss und jeden Knochenbruch von früher … in den kurzen Sekunden der Verschnaufpause wischte er sich das Blut von der Lippe, spürte nicht, wie sich das zerschlissene, ehemals weiße Sporthemd mit dem eigenen Blut vollsog.
 

Er wird mich dafür hassen, dass ich das Hemd wieder dreckig gemacht habe …

Aber wenn ich gewinne, dann kann ich es wieder gut machen, oder?

Sicher, oder?

Er wird mich lieben, wenn ich gewinne, nicht wahr? Es wird ihn begeistern und … er wird mich umarmen und … und ... endlich aufhören, mich zu schlagen …, nicht wahr?
 

Ludwigs Rechte schnellte wieder nach vorne. Es war ihm egal, dass er damit seine Deckung fallen ließ. Seine Linke folgte der starken Rechten und schlug dem anderen, unwesentlich kleineren Jungen unters Kinn, gefolgt von der Rechten, die die Schulter des Jungen striff und danach ihr Ziel – die rechte Schläfe – traf.

Ludwig setzte meistens auf einen Treffer an der Schläfe.

Ludwig setzte immer auf die kurze Verwirrung seiner Gegner, die er mit einem Angriff auf besagte Stelle erreichen konnte.

Ludwig liebte die irritierten Blicke.

Und gerade jetzt, als der andere junge Mann, vielleicht ein paar Jahre älter als er selbst, die Augen in blankem Entsetzen und purer Verwirrung weitete, ihn irritiert anblickte … - da spürte Ludwig die Macht, die ihm gegeben wurde.

Sein einziges Problem war die Tatsache, dass er nicht mehr den Jungen vor Augen hatte, den er besiegen musste.

Er hatte Ähnlichkeit mit ihm selbst, vielleicht wegen der vor Angst und Furcht geweiteten Augen oder dem halboffenen Mund, fassungslos und erstaunt darüber, dass es nicht er war, der gewann …

Vor seinem inneren Auge verwandelte sich der braunhaarige, grünäugige Junge in ein blondes, kleines Balg … kaum einen Meter groß …

Hatte er eine dermaßen kranke Seele, dass er nicht einmal mehr die Realität sah?

Wieso konnte er nicht zuschlagen?

Wieso zögerte er?

War er … so schwach geworden?
 

I-ich kann nicht …

Ich bin zu schwach … Vater wird mich hassen. Nur mich.

D-das ist nur meine Schuld …
 

Sein Verstand, irritiert von der ganzen Situation, verstand nicht, dass dies alles nur in seinem Kopf stattfand.

Die eiskalten, blauen Iriden im Schock geweitet, zerbrach die Hoffnung in den Augen. War es nicht Ironie, dass er den einzigen Erfolg mit der gleichen Brutalität, wie sein Vater sie an ihm ausübte, erreichen wollte?

War es nicht Ironie, dass er dafür kleine Jungen schlagen musste, kaum größer als er damals?

Doch Ludwig sah nicht, dass es keinen kleinen Jungen gab. Er sah nicht, dass der einzig wahre Gegner immer noch der schlanke junge Mann war, dem er zu viel Zeit gegeben hatte.

Ludwig hatte zu lange gezögert … und Antonio wusste dies genau auszunutzen.

Mit seiner starken, linken Faust schlug Antonio gegen Ludwig’s Schläfe, beobachtete den gebrochenen Ausdruck in den Augen des anderen, als der Blonde nach hinten fiel und die eisblauen Iriden schloss.

Mit dem Arm wischte er kurz über seine Nase, musterte das Blut an seinem Arm, bevor er den Blick wieder zu Ludwig und dessen reglosen Körper gleiten ließ.

Er fragte sich nicht, was im Kopf des anderen vorgegangen war und weswegen er gezögert hatte. Er fragte sich, weiß Gott, nicht einmal, warum der Andere so ein zerschlissenes weißes Hemd anhatte … aber es tat ihm Leid.

Egal wie gut der Kleine auch geboxt hatte, am Schluss hatte er nicht den Mut gehabt, zuzuschlagen; verloren - und das nur, weil er gezögert hatte …
 

Das letzte, was Ludwig tatsächlich dachte, bevor alles, was er sich je erträumt hatte, schwarz wurde, waren die Worte, die ihm Vater immer wieder an den Kopf geworden hatte …
 

Kleiner Idiot, was? Dachtest, du könntest gewinnen, aber ich wusste ja, du bist ein Versager!
 

~~~
 

Vielleicht gab es Dinge, die Ludwig nie hatte sehen wollen, genauso, wie es Dinge gab, die er einfach übersah.

Ludwig war kein Kind, kein Junge, kein Teenager, der das Offensichtliche als solches wahrnahm.

Er hatte verlernt, nicht nur sich selbst zu sehen.

Er hatte verlernt, wie es war, sich um andere Menschen zu sorgen.

Er war … schlicht und ergreifend vielleicht sogar eine Art Autist, dem man das eigene Gewissen genommen hatte.
 

„Ein Gewissen wird nur überbewertet, Kleiner. Hör auf mich und du wirst schon wissen, was richtig und was falsch ist!“
 


 

Autorenbla:
 

Hey~ :3
 

Es tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat, aber ich hatte wiedermal eine meiner kreativen Tief-Phasen …

Zum Ende hin muss ich noch sagen, dass ich etwas geändert habe :3

-> Für alle, die sich darüber vielleicht sogar gefreut hatten, wann die FF spielt: Leider kam ich mit dem 3. Reich in mehreren Punkten nicht weiter, was mir Leid tut … und keine Sorge, irgendwann MUSS ich etwas über die ganzen Plotbunnys schreiben, die mir dazu noch im Kopf rumschwirren, aber jetzt spielt diese FF in unserer Zeit.
 

Zum Schluss nochmal einen riesengroßen Dank, nicht nur an meine Beta Powwel sondern auch an all die vielen, wunderbaren Rückmeldungen … damit hatte ich ganz ehrlich, gar nicht gerechnet, erst recht nicht bei SO einer FF ö/////////ö

Ich war wirklich total überrascht <3 ;u;
 

Ich wünsche morgen allen einen frohen Nikolaustag und dass ihr keine Kohle in euren Schuhen findet <‘3

[Armes Lutz … ich wette, er hat nie … Nikolausgeschenke bekommen ;A; *das jetzt noch sagen musste*] … und nein, ich bin keine ewig-schlimme Sadistin, ich will nur das dazu aufschreiben, was ich gerne sagen möchte .////. <3
 

Ciao ~ :3 <3



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Nate_River
2011-12-23T13:31:02+00:00 23.12.2011 14:31
*erstmal tief Luft hol*
°___°
Woah... puuuh... *seufz*

Das Kapitel war mal wieder dermaßen ergreifend, dass ich sogar fast vergessen habe, zu atmen! Ich mag diesen Parallelismus zwischen dem äußeren Boxkampf und dem inneren Seelenkampf. Die Grenzen zwischen ihnen verwischen mit der Zeit und man ist total drin. Und ich hatte so gehofft, dass Ludwig gewinnt T__T Jetzt will ich gar nicht wissen, was mit ihm passiert, wenn sein Vater von der Niederlange erfährt Q_Q



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