Zum Inhalt der Seite

Das Leben danach

Worst-Case-Szenario
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Alles auf Anfang, III.

Diegos Zimmer hatte sich verändert; es wirkte erwachsener. An den Wänden waren keine zerfetzten Poster und Filzstiftkritzeleien mehr, sondern dezente Tapeten, der versiffte Teppich war durch blitzblankes Parkett ersetzt worden, das kleine Bett war nun ein großes, schwarzes Doppelbett, der selbst gezimmerte Schreibtisch aus Sperrholz war zu einem gigantischen Monster aus mattschwarzem Metall mutiert, und der früher allgemein eher leere Raum war nun mit Bücherregalen gefüllt. In einer Ecke entdeckte Xanxus sogar einen verdammten Plattenspieler.

Na ja, war sicherlich besser so. Schlimm genug, dass der Mann mit vierundzwanzig noch bei seiner Mutter lebte, da konnte wenigstens sein Zimmer so aussehen, als sei er halbwegs erwachsen.

Diego saß auf seiner Bettkante, weil Xanxus es sich auf dem großen Bürostuhl aus Leder bequem gemacht hatte, der nun mitten im Zimmer stand. Und er hatte Diego gerade seine Frage beantwortet, woher die hässlichen Narben in seinem Gesicht kamen. Soweit er das sehen konnte, waren bei Diego keine neuen dazugekommen. Die zwei in seinem Gesicht waren schon da gewesen, als sie sich vor neun Jahren das letzte Mal gesehen hatten. Die große, X-förmige auf seiner rechten Wange stammte von Xanxus selbst, die hatte er ihm verpasst, als sie sich zum ersten Mal getroffen hatten und Diego seine Mutter beleidigt hatte. Die lange, die von seiner linken Wange bis zu seiner Kehle ging, kam von irgendeiner Messerstecherei, die Xanxus leider nicht miterlebt hatte. Als Diego die bekommen hatte, war Xanxus schon gut mit der Vongola beschäftigt gewesen, und damit, sich das eigene Leben zu ruinieren.

Diego hatte zunächst mit Unglauben auf seine Geschichte reagiert und zwischendurch mehrmals gefragt, ob Xanxus ihn verarschte. Aber Xanxus verarschte ihn nicht, Xanxus verarschte Menschen generell eher selten, und damit hatte Diego sich irgendwann auch abgefunden. Und nun hatte er das Gefühl, dass es sogar ganz gut war, die Geschichte mal jemandem wie Diego erzählt zu haben. Diego kannte Xanxus, er hatte so ziemlich sein ganzes Leben mitbekommen, bis zur Cradle Affair eben. Und nun kannte er auch den Rest, und es schien sein Bild von Xanxus kein Bisschen zu verändern.

»Tja, schöne Scheiße«, kommentierte er einfach nur, und Xanxus stimmte ihm gedanklich voll und ganz zu. »Jetzt frag ich mich nur noch, wieso er dich rausgeworfen hat, nachdem du aus deinem Eisklotz geschlüpft bist…«

Xanxus zuckte die Achseln und lehnte sich in dem unverschämt bequemen Sessel zurück. »Da der alte Sack keine lebendigen Söhne mehr hat, musste ein anderer Decimo her«, sagte er tonlos. Er schielte kurz zu Diego, der nickte, und Xanxus sah an die Decke. »Hab versucht, ihn umzubringen.«

Einen Augenblick lang war es still. Xanxus hatte wirklich wenig Lust, die ganze Japan-Geschichte auch noch hier auszubreiten, also ging er einfach mal davon aus, dass diese Information seinem alten Freund reichte, um zu verstehen, wieso die Kacke am Dampfen war.

Aber statt des erhofften »Verstehe.« bekam Xanxus ein dumpfes Lachen zu hören. Stirnrunzelnd blickte er wieder zu Diego – der Mann sah seltsam aus, wenn er lachte. Dank der Narben im Gesicht konnte er die Mundwinkel nicht wirklich hochziehen, aber lachen musste er eben trotzdem. Freak.

Diego gluckste nur noch kurz, und was er Xanxus dann schenkte, wäre ohne die Verletzungen auf den Wangen wohl ein Grinsen gewesen. »Und das hast du auch nicht gepackt?«, fragte er.

Xanxus‘ Blick verdunkelte sich. »Nein«, antwortete er, nun mit unüberhörbarer Gefahr in der Stimme. »Der Hosenscheißer hat überlebt und wird demnächst als Boss eingeweiht. Und wegen der zweiten Revolte in acht Jahren wurden wir jetzt eben gefeuert… Aus Sicherheitsgründen.«

»Verstehe«, meinte Diego endlich. Er wirkte immer noch so verdammt amüsiert, dass Xanxus ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte. Wahrscheinlich hätte er das auch getan, wären sie nicht in diesem Haus. In Mama Rapinos Haus schlug man niemanden. Er hielt sich an Mamas Regeln.

Xanxus seufzte hörbar. Er und Diego waren mal richtig gute Freunde gewesen; in einer Zeit, in der sie beide noch nicht ganz so emotional verkrüppelt gewesen waren wie heute. Sowas wie Freunde konnten sie jetzt wahrscheinlich gar nicht mehr haben, aber sympathisch war Diego ihm immer noch irgendwo. Er und seine Familie waren eben das einzig Gute, was es für ihn je in diesem Viertel gegeben hatte. Eines von vielen Dingen, die sich nie ändern würden, schätzte er.

»Erklärst du mir jetzt im Gegenzug, was zur Hölle du genau arbeitest, dass du dir hier die Sonne aus dem Arsch scheinen lässt?«

Diego zog die Augenbrauen hoch. »Ich handle«, sagte er schlicht. »Erinnerst du dich an die vielen leeren Garagen, hinten am Viertelende?«

»Die, in denen Peppos Bande immer ihre Feinde hingerichtet hat?«

»Genau die. Die gehören jetzt alle mir. Peppo hat sich vor gut sieben Jahren den goldenen Schuss gegeben, danach sind seine Hurensöhne fast alle abgehauen. Hab das Blut aus den Garagen geschrubbt und mich da breitgemacht. Die Leute bringen mir Zeug, das sie loswerden wollen. Meistens irgendwelche Beweisstücke oder geklaute Waffen. Ich horte sie und verkauf sie weiter… Meistens von Mafiosi an Mafiosi, oder Leute, die es werden wollen. Gibt einen Haufen Kohle, wie du siehst.«

Xanxus schwieg einen Moment und dachte darüber nach. Diego wirkte zufrieden. Das war irritierend. »Du handelst mit Müll?«, hakte er nach.

»So ziemlich«, sagte Diego unverblümt. »Würdest dich wundern, was die Leute alles kaufen wollen… Und es ist eine Marktlücke. Ich bin so ziemlich der einzige Idiot, der das macht. Ich mische mich kaum in den Waffenhandel ein und lass die Finger von Drogen und Menschen. Macht mir mit niemandem Stress, die Bullen halten sich nach wie vor von hier fern. Die letzten paar Jahre hat es hervorragend geklappt.«

»Hmh«, machte Xanxus nur. Diego war immer ein Loser gewesen. So wie jeder hier. Er hatte eine große Klappe gehabt, aber das war alles gewesen. Ein Junge, der am Rockzipfel seiner Mutter hing, traumatisiert und sozial völlig unfähig war und sogar in den meisten Prügeleien den Kürzeren zog. Er hatte das Leben hier gehasst, immer. Xanxus war sich sicher gewesen, dass er nie eine Perspektive bekommen und sich einfach umbringen würde, sobald seine Mutter gestorben war. Es war verdammt ungewohnt, ihn so zu sehen.

Dummerweise klang seine Geschichte relativ glaubwürdig, und dieses Haus war wohl das beste Beweisstück. Also musste Xanxus ihm wohl oder übel glauben, und vielleicht konnte er ihm dieses Glück ja sogar irgendwann gönnen… Vielleicht. Wahrscheinlich eher nicht.

»Was ist aus Tessa geworden?«, fragte Xanxus schließlich. Früher oder später fragte er immer nach Tessa.

Diego gluckste erneut. »Ein pubertäres Gör«, sagte er. Xanxus rechnete nach, sie musste jetzt vierzehn oder fünfzehn sein, und Diego schielte zur Wanduhr. »Sie wird bald wiederkommen. Nach der Schule geht sie immer erstmal mit Käpt’n Gassi.«

Käpt’n war Diegos einäugiger Schäferhund. Xanxus war zuerst überrascht, dass der Köter noch lebte, aber dann zog etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich. »Sie geht zur Schule?«, fragte er ungläubig. Soweit er wusste, war Diego nie zur Schule gegangen. Auch Xanxus hatte seine ersten Erfahrungen damit erst gemacht, als die Vongola ihm Privatlehrer angedreht hatte, die er allesamt furchtbar gefoltert hatte. Hier im Viertel gab es gar keine Schule.

»Ja, ich hab sie auf eine Schule in der Stadt geschickt«, sagte Diego mit einem ernsten Nicken. »Sie soll es später einfacher haben als ich. Und sie schlägt sich sogar ganz gut.«

»Wow«, sagte Xanxus sarkastisch. Hatte er sich schon gedacht, dass aus Tessa ein schlaues Mädchen werden würde. Sie kam nach ihrer Mutter. »Vielleicht kann sie dir dann ja auch irgendwann Lesen und Schreiben beibringen.«

»Ach, halt’s Maul«, sagte Diego ohne einen Anflug von Aggression. »Ich kann’s mittlerweile… Wie du siehst.«

»Wie ich sehe? Die Bücher hier sind doch eindeutig bloß Heuchelei. Oder willst du damit angeben?«

»Na ja, ich muss zugeben, dass ich mit meinen Büchern wohl nicht ganz so gut angeben kann wie du mit deiner Sammlung toter Vögel am Hals…«

»Wie schlagfertig«, sagte Xanxus unbeeindruckt.

»Ja…«, machte Diego langsam, dann ließ er sich rücklings auf sein Bett sinken. »Wo wohnst du jetzt eigentlich? Ich hoffe, du bist nicht hergekommen, um nach Asyl zu fragen.«

»Nein, ich bin wegen der Pizza hergekommen«, antwortete Xanxus.

»Wahrscheinlich sollte ich etwas anderes sagen, aber irgendwie hast du dich nicht verändert. Bis auf diese Kotspur in deinem Gesicht.«

»Noch ein paar Witze über meine Narben und du hast bald noch weniger Augen als Käpt’n.« Xanxus sah aus dem Fenster. »Erinnerst du dich an die Villa, in der wir uns früher alle getroffen haben?«

»Ja. Aber damit haben wir bald wieder aufgehört, weil sie schon damals total verfallen war. Erzähl mir nicht…«

»Ich renovier sie.«

»Weil du als gelernter Auftragsmörder so ein hervorragender Innenarchitekt bist?«

»Weil ich sonst nichts zu tun habe.«

»Achso.«

Sie verbrachten noch einige Minuten damit, sich gegenseitig anzupöbeln, bis von unten das Geräusch der sich öffnenden und wieder schließenden Haustür ertönte. Sie hörten undeutlich Mamas Stimme, darauf folgten leise Schritte auf den Treppen und das Kratzen von Krallen auf dem Parkett. Als sich dann die Tür zu Diegos Zimmer öffnete, stürmte der große Schäferhund herein und wollte sich gerade auf sein Herrchen werfen, als ihm Xanxus auffiel. Sein einzelnes Auge blinzelte ihn einige Momente lang treudoof an, dann tapste er auf ihn zu, beschnupperte seine Beine und begann dann ohne Umschweife, seine Hände abzulecken.

»Äh… Hallo.«

Xanxus versuchte noch, seine Hände in Käpt’ns Fell abzuwischen und gleichzeitig seinen Kopf aus seiner Schrittregion zu drücken, als er den Blick hob und die Person entdeckte, zu der die etwas schüchterne Stimme gerade gehört hatte.

Tessa war bildhübsch. Ihre früher glatten Haare fielen ihr in Wellen über die Schultern, die großen braunen Augen betrachteten ihn aufmerksam und während andere Teenager mit pickeligen Nasen und Stirnen zu kämpfen hatten, war das einzige Anzeichen ihrer Pubertät die Tatsache, dass sie begann, wie eine Frau auszusehen. Wie eine verdammt schöne Frau.

Sie und Diego waren sich ja nie besonders ähnlich gewesen…

»Hey, Tessa. Erinnerst du dich an Xanxus?«, fragte Diego, der seinen Hund nun mit einem Schmunzeln zu sich dirigierte und ihm mit seinen großen Händen das Fell durcheinanderbrachte.

Tessas Augen verengten sich ein wenig, der Name zumindest schien ihr etwas zu sagen, und sie wandte ihren Blick nicht von Xanxus ab. »Du hast von ihm erzählt«, sagte sie langsam.

»Nur Schlechtes, schätze ich«, sagte Xanxus.

Tessa grinste. »Nicht direkt«, meinte sie.

Diego räusperte sich und machte wegwerfende Handbewegungen. »Du hast ihn das letzte Mal gesehen, als du fünf warst«, sagte er, ein kleines bisschen lauter als nötig. »Da hatte er bloß die Narben noch nicht… Und das komische Zeug in seinem Nacken.«

Tessa kratzte sich zwischen ihren dicken Locken am Kopf und zuckte mit den Schultern. Ihre anfängliche Schüchternheit schien ziemlich schnell verflogen zu sein, seitdem sie wusste, dass sie es mit einem alten Freund ihres Bruders zu tun hatte. »Kann sein«, sagte sie. »Ich soll nachfragen, ob ihr noch Pizza wollt… Und ob wir ein zusätzliches Bett aufbauen sollen.«

»Nicht nötig«, sagte Xanxus und erhob sich langsam. »Pizza hatte ich wirklich genug… Und wahrscheinlich sollte ich sowieso langsam zurück ins Hotel.«

»Xanxus, du hättest dich schon vor Ewigkeiten verpissen sollen«, sagte Diego und stand ebenfalls auf. »Ich bring dich zur Tür…«
 

Der hochgewachsene Diego stand zwischen den beiden Damen in der Tür und sah dabei zu, wie Xanxus‘ schwarze Rückseite um die Ecke verschwand.

»Schade, dass er so schnell gehen musste«, sagte Tessa. »Er sieht gut aus.«

»Er ist viel zu alt für dich«, sagte Diego prompt. »Und noch dazu ein Arschloch.«

»Du doch auch«, sagte Tessa.

»Kinder…«, mahnte Mama und schloss langsam die Tür. Sie blickte hoch zu Diego und lächelte. »Er wird jetzt doch wieder öfter vorbeikommen, oder?«

»Das wird er wohl«, sagte Diego und schielte glucksend zu seiner Schwester. »Kannst dich also sicherlich noch an ihm sattsehen. Der wird hier jetzt ständig reinplatzen… Wie es aussieht, schmeißen wir die Geschäfte in diesem Loch hier jetzt zu zweit.«



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  dumm
2011-06-29T17:01:46+00:00 29.06.2011 19:01
<3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3 <3

NAKNAKNAK.

Diego & Xanxus = Traumpaar.


Zurück