Zum Inhalt der Seite

Kontakt

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Treffpunkt für Leute ohne Bindungen: Roderich Edelstein

„Ein persönliches Anliegen, sagen Sie?“

„Ganz genau“, sagte Antonio und nickte, obwohl die Dame am anderen Ende der Leitung das nicht sehen konnte. „Könnten Sie mir die Privatnummer von Herrn Edelstein geben?“

„Wir geben keine privaten Daten unserer Musiker weiter“, sagte die Dame etwas spitz. „Und außerdem weiß ich nicht, ob ich Ihnen glauben soll, dass Sie ein alter Bekannter von Herrn Edelstein sind. Bei ihm bezweifle ich manchmal, dass er überhaupt ein Privatleben besitzt.“

Antonio lachte auf. „Das kann ich mir denken. Er hatte schon immer diesen aristokratischen Zug. Als könnte nichts und niemand seinen Ansprüchen genügen, nicht wahr?“

„Sie scheinen ihn tatsächlich zu kennen“, sagte die Dame zögernd.

„Er hat einen Schönheitsfleck links unten am Kinn“, sprudelte Antonio heraus, „er lässt jedes Mal die Küche explodieren, wenn er backt, und wenn er wütend ist, spielt er Chopin!“

„Lassen Sie's gut sein“, seufzte die Dame. „Ich gebe Ihnen die Nummer.“

„Danke! Sie werden es nicht bereuen!“

„Das hoffe ich“, erwiderte sie düster. „Ansonsten wird Herr Edelstein in nächster Zeit nur noch Chopin spielen wollen.“
 

Antonio war in Gedanken versunken, als er die Treppe zu Roderichs Wohnung hinauf stieg. Er hatte bei ihm angerufen, um sich zu einem Besuch anzumelden – bei Roderich, der derart Wert auf Manieren legte, schien ihm das sicherer, als einfach so herein zu platzen. Roderichs Reaktion auf seine Ankündigung hatte ihn allerdings verwirrt.

„Ja, da hört sich doch alles auf! Doch, natürlich bin ich morgen Nachmittag da! Dann komm halt zum Kaffee vorbei, damit ich alles in einem Aufwasch erledigen kann!“

In einem Aufwasch? Was auch immer er damit gemeint hatte... Neugierig blieb Antonio vor einer dunklen Holztür mit eingelassenem Messingschild stehen. Offenbar wurden gute Pianisten in Wien nicht schlecht bezahlt. Hoffentlich hatte Roderich eine weniger dramatische Geschichte davon zu erzählen, was ihm in den letzten Jahrzehnten passiert war.

Er drückte auf die Klingel und wartete. Nach einer kurzen Weile näherten sich polternde Schritte der Tür. Überrascht zog Antonio die Augenbrauen hoch. Das klang aber nicht gerade nach Roderich.

„Du verarschst mich doch, Sissi!“, erklang eine laute, leicht heisere Stimme, die Antonio zusammenzucken ließ. Im nächsten Moment öffnete sich die Tür und jemand, mit dem er hier nicht gerechnet hatte, starrte ihn an. Einen Moment lang standen beide reglos da, bevor ein breites Grinsen das Gesicht des anderen spaltete.

„Toni! Ich glaube es ja nicht!“

„Gilbert?“, fragte Antonio, doch er hatte keine Zeit, weitere Fragen zu stellen. Gilbert fiel ihm um den Hals und drückte ihn so fest an sich, dass Antonio fürchtete, keine Luft mehr zu bekommen.

„Ich bin doch kein Treffpunkt für Leute ohne Bindungen!“, erklang Roderichs ungehaltene Stimme aus dem Hintergrund. „Und ich möchte es auch nicht werden, hört ihr? He! Hört mir doch zu!“

„Ich kann es nicht glauben!“, rief Antonio und drückte Gilbert an sich. „Wieso bist du hier, amigo? Was machst du hier?“

„Könnte ich dich auch fragen, Toni“, erwiderte Gilbert und grinste breit. „Komm doch erst einmal rein. Sissi wohnt hier echt nicht schlecht, und er hat Kuchen gebacken! Den wollen wir nicht verkommen lassen, oder?“

Er zog Antonio in den Flur und schloss die Tür hinter ihm. Roderich lehnte an einem Türrahmen und musterte beide missbilligend über seine Brille hinweg.

„Jahrelang keine Nachricht von irgendjemandem, und jetzt taucht ihr zwei Chaoten gleichzeitig hier auf. Wenn das kein schlechtes Karma ist.“
 

„Wie habt ihr mich aufgespürt?“, fragte Roderich und rührte in seinem Kaffee.

„Ich bitte dich! Ein virtuoser Pianist, der in Wien sein Unwesen treibt? Du hast dir noch nicht einmal die Mühe gemacht, deinen Namen zu ändern! Natürlich wusste ich sofort, dass du es bist.“

„Wenn alle so bei ihren Gewohnheiten geblieben wären wie du, hätte ich alle längst gefunden“, sagte Antonio und grinste, bevor er sich wieder dem Kuchenstück auf seinem Teller zuwandte. Sie saßen in einer Art großem Wohnzimmer. Ein Flügel stand in der hinteren Ecke.

„Du siehst das Ganze als ein Spiel, gell?“, fragte Roderich und rümpfte die Nase. „Aber das hier ist kein Spiel. Es ist nicht irgendein Abenteuer, in dem es darum geht, alle deine verschollenen Freunde wieder aufzuspüren.“

„Wie bei Pokemon!“, schlug Gilbert gut gelaunt vor. „Komm und schnapp' sie dir alle!“

„Das ist nicht witzig!“, zischte Roderich, als Antonio und Gilbert in Gelächter ausbrachen. „Wir hatten alle gute Gründe dafür, uns zu trennen.“

„Dir scheint es seitdem ganz gut ergangen zu sein“, stellte Antonio fest und musterte das feine Porzellan auf dem Tisch.

„Ich hatte Glück“, sagte Roderich trocken. „Und ein Talent, mit dem sich Geld machen ließ.“

„Und du?“, fragte Antonio Gilbert und schob sich eine weitere Gabel voll Kuchen in den Mund.

„Ich?“ Gilbert zuckte die Achseln. „Habe das getan, was ich am Besten kann. Mich rumgetrieben.“

„Du bist nicht tot.“

„Toni, du alter Blitzmerker!“

„Nein, so meinte ich das nicht“, sagte Antonio hastig. „Ich dachte nur, da es ja Preußen nicht mehr gibt... ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“

Gilbert zuckte die Achseln. „Ich mir auch“, sagte er trocken. „Aber es ist nichts passiert. Ich lebe noch, weil niemand es bisher geschafft hat, mich umzubringen. Vielleicht...“ Er zuckte die Achseln. „Vielleicht, wenn ich morgen versehentlich gegen einen LKW laufe... wer weiß, ob ich dann wieder zurückkomme. Aber noch bin ich vor keinen LKW gelaufen.“

„Dann tu es besser auch weiterhin nicht“, sagte Antonio unsicher.

„Nee, keine Sorge. Habe ich nicht vor.“

Antonio stocherte in seinem Kuchen. „Warum bist du hier?“, wechselte er das Thema. „Ich bin auf der Suche nach allen anderen Nationen. Du auch?“

„Nach allen anderen?“, wiederholte Gilbert und zog die Augenbrauen hoch. „Da hast du dir aber ordentlich was vorgenommen, Toni. Wie weit bist du?“

„Bis jetzt habe ich... fünf.“

„Was, im Ernst? Ich bin schon seit dem Mauerfall auf der Suche nach West und habe ihn immer noch nicht gefunden.“

„Ludwig?“, fragte Antonio überrascht. „Bist du nicht mit ihm zusammengeblieben?“

„Warum hätte ich das tun sollen?“

„Ich dachte... Feliciano und Romano zum Beispiel haben auch zusammengehalten.“

„Zusammengehalten!“, schnaubte Gilbert. „Ich und Lutz! Nie im Leben.“

„Aber warum denn nicht? Was ist...“

„Anfangs wollte ich nicht einmal wissen, was mit ihm los war“, unterbrach Gilbert ihn. „Später wollte ich es schon wissen, aber da stand leider die Mauer schon. Sobald sie aus dem Weg war, bin ich sofort rüber, um nach ihm zu sehen, aber es war keine Spur mehr von ihm zu finden. Überhaupt nichts! Als ob er sich Mühe gegeben hätte, seine Fährte zu verwischen. Ich habe trotzdem angefangen, nach ihm zu forschen, aber keine richtigen Ergebnisse zu Stande gebracht. Und irgendwann ist es mir dann eingefallen, Sissi um Rat zu fragen.“

„Etwas so Vernünftiges hatte ich dir gar nicht zugetraut“, sagte Roderich trocken.

„Wie habe ich das denn zu verstehen?“

„Das heißt, du weißt, wo er ist?“, mischte Antonio sich ein.

Roderich sah ihn über seine Brille hinweg an, seufzte dann und stellte seine Kaffeetasse hin. „Nein“, erwiderte er ruhig.

„Na großartig“, sagte Gilbert. Er versuchte, genervt auszusehen, aber Antonio sah, dass Roderichs Antwort ihn entmutigte.

„Aber er hat mir einen Brief geschrieben“, sagte Roderich, ohne Gilbert anzusehen.

„Was? Einen Brief? Wann denn? In letzter Zeit?“

„Ach, geh! Es ist Jahre her. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.“

„Darf ich ihn lesen?“, fragte Gilbert. Er bemerkte es vermutlich nicht, aber Antonio konnte sich nicht erinnern, dass Gilbert jemals für irgendetwas um Erlaubnis gebeten hatte, schon gar nicht Roderich. Er schien wirklich wild darauf zu sein, Ludwig zu finden.

Wortlos stand Roderich auf, ging zu einem alten Sekretär in einer Ecke des Raumes und öffnete ihn. Er kramte eine Weile lang in einer Schublade, bevor er ein gefaltetes Blatt Papier hervor zog und wieder zum Tisch zurückkehrte. „Da“, sagte er und legte Gilbert den Brief hin. „Ich weiß nicht, ob ich ihn dir wirklich geben sollte. Er ist privat. Aber unter diesen Umständen...“

Gilbert nickte leicht und entfaltete das Papier. Antonio erhaschte einen Blick auf dem Briefkopf, auf dem das Datum angegeben war. Der Brief war fast dreißig Jahre alt, stellte er verblüfft fest. Im nächsten Moment räusperte Roderich sich und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Sagte ich nicht, er ist privat?“

Lo siento“, murmelte Antonio und beschränkte sich darauf, Gilbert anzusehen. Seine roten Augen huschten hastig über die Zeilen. Manchmal zuckte sein Gesicht leicht, aber er schaffte es, keine Miene zu verziehen. Vor jemandem, der ihn so lange kannte wie Antonio, konnte er trotzdem nicht verbergen, dass ihm der Inhalt des Briefes nahe ging. Antonio hätte einiges gegeben, um zu wissen, was darin stand.

Auch nachdem Gilbert mit Lesen fertig war, starrte er noch eine Weile auf den Brief, ohne sich zu rühren. „Amerika?“, flüsterte er dann und ließ das Papier sinken.

„Für jemanden, der es in seiner alten Heimat nicht mehr aushält, war nach Amerika auswandern schon immer eine beliebte Alternative.“

„Ludwig ist nach Amerika gegangen?“, fragte Antonio, der sich ausgeschlossen vorkam.

„Er schreibt jedenfalls, dass er das vorhat, ja.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass er es tut“, sagte Roderich und schüttelte leicht den Kopf. „Dass er hinfährt, in Ordnung. Aber dass er allen Ernstes dort bleibt? Ich hätte gedacht, er würde wieder nach Hause kommen, sobald er sich ein wenig an das Leben dort drüben gewöhnt hat. Er würde schnell einsehen, dass es dort auch nicht besser ist als hier. Und dass er... dass er hierher gehört und nirgendwo anders hin. Ob ihm das nun gefällt oder nicht.“

Gilbert betrachtete den Brief und faltete ihn dann sorgfältig wieder zusammen. „Danke, Sissi“, sagte er und schob ihn Roderich hin. „Hast was gut bei mir.“ Er versuchte, lässig zu klingen, aber er wirkte noch immer mitgenommen. Antonio sah ihn besorgt an.

„Willst du mir den Brief zurückgeben?“, fragte Roderich und zog die Augenbrauen hoch.

„Klar. Es ist nicht meiner.“

„Du kannst ihn behalten, wenn du möchtest. Wenn du mich fragst, geht er sowieso eher an dich als an mich. Unterschwellig, sozusagen.“

Gilbert blinzelte einmal, nahm den Brief dann und schob ihn in seine Hosentasche. Er bedankte sich nicht. Einmal war schon mehr als genug.

„Saupreiß“, seufzte Roderich und stand auf. „Ich koche mehr Kaffee. Will noch jemand welchen?“

„Nicht nötig“, sagte Gilbert und richtete sich ebenfalls auf. „Toni?“

„Ja?“

„Du hast doch gesagt, du suchst die anderen.“

“, erwiderte Antonio überrascht.

„Ich mache mit.“

„Was... wirklich?“ Verblüfft sah Antonio ihn an.

„Klar. Zusammen sind wir dreimal so awesome, wie du allein wärst.“

„Das ist großartig!“, rief Antonio, stand auf und umarmte ihn spontan.

Roderich schüttelte den Kopf und schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Ihr seid mir zwei rechte Chaoten. Das kann etwas geben, wenn ihr euch zusammen tut.“

„Du weißt nicht zufällig, wo Alfred steckt?“, fragte Gilbert und ignorierte ihn.

„Nein“, antwortete Antonio und lachte. „Ich habe mich noch nicht mit ihm befasst. Aber ich denke, es wird nicht schwierig sein, ihn zu finden – so, wie er sich immer in den Mittelpunkt drängt.“

„Und West“, sagte Gilbert und hielt kurz inne. „Wir suchen West, ja, Toni?“

„Natürlich. Und wir finden ihn auch, Gilbert. Zusammen finden wir ihn.“

Gilbert grinste breit, sein altes, arrogantes Grinsen, das sein Gesicht scheinbar vom einen Ohr zum anderen spaltete. „Dann ist ja gut.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Puste_Blume
2012-11-25T14:47:41+00:00 25.11.2012 15:47
OK. Dieses Kapitel ist mein absoluter Favorit!!
Ich mag deinen Schreibstil. Großes Kompliment!
"Zusammen sind wir dreimal so Awesome!" YEAH!!! XD
Machst du gut! :)

lg MsHobbyMangaka

PS: magst du das pairing Gilbert-Roderich?


Zurück