Sie haben drei neue Nachrichten
„Bastard?“
Feliciano hob den Kopf und lächelte, als er Romano in der Tür stehen sah. „Oh. Du bist schon auf, fratellino?“
Romano gähnte herzhaft und kratzte sich am Kopf. „Ich dachte, ich hätte etwas gehört.“
„Was denn gehört?“
„Die Tür. Als ob jemand gegangen wäre.“
„Wie seltsam“, sagte Feliciano sorglos. „Möchtest du biscotti zu deinem Kaffee?“
Misstrauisch runzelte Romano die Stirn. „Wo steckt eigentlich dieser Bastard?“, murmelte er.
„Also keine biscotti?“
„Ich habe gerade anderes im Kopf als Kekse, stronzo!“, fauchte Romano. „Wo ist Antonio? Schläft er etwa noch?“
Feliciano wandte das Gesicht ab, tunkte gemächlich einen Keks in seinen Kaffee und biss hinein. „Nein“, antwortete er, nachdem er geschluckt hatte. „Er ist früh aufgestanden und gegangen.“
„Wohin denn?“, fragte Romano missmutig. „Nicht, dass ich nicht froh wäre, ihn wieder los zu sein, aber...“
„Zum Flughafen.“
Romano starrte ihn fassungslos an. „Er ist was?“
„Er wird die anderen suchen“, antwortete Feliciano freundlich. „Er hat gesagt, du sollst dich nicht darüber aufregen. Und jetzt setz dich und nimm dir einen Keks.“
Nachdenklich legte Antonio den Kopf in den Nacken und betrachtete die große Anzeigetafel, die hoch über den Köpfen der Menschen hing. Die Nummern der Flugzeuge, die Namen der Fluggesellschaften und die Abflugszeiten flackerten immer wieder nervös eine Zeile nach oben, sobald ein Flugzeug abgehoben war. Viel wichtiger als diese Informationen war Antonio aber die Spalte, in der die Zielorte der Flüge standen. London, Paris, Berlin, Washington D.C.... es gab so viele Möglichkeiten, so viele Orte, an denen er mit seiner Suche beginnen könnte. Die Welt war so groß.
Leicht entmutigt zog er den Zettel aus seiner Tasche, den Feliciano ihm geschrieben hatte. Inghilterra. Francia. Austria. Russia. Bei den meisten Ländern standen Adressen, manchmal mit Fragezeichen versehen oder durchgestrichen und verbessert. Hinter Francia war eine Lücke gelassen, was Antonio die Stirn runzeln ließ. Offenbar hatte Feliciano keinen blassen Schimmer, wo Francis stecken könnte. Ludwig und Gilbert hatte er bei seiner Aufzählung komplett vergessen. Vergessen oder weggelassen, dachte Antonio und erinnerte sich an die Szene am vergangenen Abend beim Essen.
Nach dem, was der mangia-patate ihm angetan hat.
Antonio wünschte sich, er hätte näher nachgefragt, was geschehen war. Aber selbst wenn er es gewusst hätte, hätte das nichts daran geändert, dass er keine Spur von Gilbert hatte. Von Francis offensichtlich auch nicht.
„Qué pena“, sagte Antonio zu sich selbst, schüttelte den Kopf und sah wieder nach oben zur Anzeigetafel. Es wäre zu schön gewesen, wenn er seine alten Kumpels als erste wiedergefunden hätte. Aber so musste er sich für etwas anderes entscheiden. Vielleicht sollte er einfach den nächsten Flug nehmen, der ging, und sehen, wohin es ihn führte.
Ganz oben stand ein Flug nach London, bis zu dessen Abflug es noch eine Stunde hin war. Gleich danach startete ein anderes Flugzeug nach Moskau. Antonio warf einen forschenden Blick auf den Zettel. Sowohl für Arthur als auch für Ivan waren Adressen angegeben. Wofür sollte er sich entscheiden?
Er überlegte nicht lange. Seine Beziehung zu Arthur war kompliziert, nachdem dieser seine Armada versenkt hatte und nach allen anderen kleinen Streitigkeiten, die sie auf hoher See gehabt hatten. Wenn er in Moskau mit seiner Suche anfing, konnte er sich von dort aus wieder zurück nach Italien vor arbeiten und sehen, wen er auf dem Weg alles aufspüren konnte. Um Arthur konnte er sich immer noch kümmern, dachte er.
„Also dann“, sagte er zu sich selbst, packte die Tasche mit seinen Kleidern fester und ging hinüber zum Flugschalter. „Auf nach Russland.“
Die Sonne ging schon unter, doch noch immer war es drückend warm. Sein Hemd klebte verschwitzt an seinem Rücken. Er seufzte tief, ging hinüber zum Kühlschrank, nahm eine Flasche Wasser heraus und trank mit tiefen Schlucken.
Am Anrufbeantworter blinkte ein kleines Lämpchen. Im Vorbeigehen auf dem Weg zum Fernseher drückte er auf einen Knopf.
„Sie haben drei neue Nachrichten“, sagte eine mechanische Frauenstimme. Er schnaubte und ließ sich auf das Sofa plumpsen.
„Erste Nachricht.“
Die Stimme war eindeutig zu erkennen. Sie klang fröhlich, energisch, fordernd. „Hey, Ludwig! Ich habe ewig nichts mehr von dir gehört. Geht es dir gut? Ich denke mal, du verkriechst dich wie üblich in deiner Arbeit, oder? Du solltest mal wieder ausspannen. Wie wäre es, wenn wir mal wieder was unternehmen? Einfach ein bisschen an den Strand oder so, bei diesem herrlichen Wetter! Was sagst du? Ruf mich zurück. Ich weiß, dass du meine Nummer hast!“
Es piepste. Ludwig auf dem Sofa verzog keine Miene.
„Zweite Nachricht.“
Dieselbe Stimme wie beim ersten Anruf. „Ludwig! Was ist los bei dir? Ich habe vor drei Tagen angerufen, und du hast dich noch nicht gemeldet! So viel Arbeit kannst du ja wohl gar nicht haben! Ist irgendetwas nicht in Ordnung bei dir? Ich kann dir helfen, was immer es ist! Ich bin ein Held, vergiss das nicht! Also, stell dich nicht so an. Ruf mich zurück, okay? Und zwar schnell.“
Erneut piepste es. Ludwig schüttelte leicht den Kopf, stellte die Flasche auf dem Tisch ab und begann, nach der Fernbedienung zu suchen.
„Dritte Nachricht.“
„Ich finde das nicht lustig, Ludwig. Du kannst dich nicht verkriechen, hörst du? Nächsten Samstag habe ich Zeit, dann komme ich vorbei. Stell genug Cola kalt, in Ordnung? Ich komme vorbei, und ich komme auch rein, egal, wie sehr du dich verschanzt! Ich komme vorbei. Du brauchst dich nicht vor mir zu verstecken. Ich will dir helfen, okay? Also, bis Samstag.“
Ein kurzes Schweigen folgte diesen Worten, als habe der andere überlegt, ob er noch etwas hinzuzufügen hatte. Dann piepste es leise.
„Keine weiteren Nachrichten“, sagte die mechanische Frauenstimme und Ludwig schaltete den Fernseher ein.