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Midsummernight-Princess

Eine Dunkelheit im Herzen
von

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Prolog

“Link … Man sieht sich!"
 

Die Sonne war bereits dabei, unterzugehen, die Nacht kam schon– es war Dämmerung. Zu dieser Tageszeit wurde er manchmal etwas sentimental. Und er dachte immer wieder über ein und dasselbe nach. Mehr oder weniger zumindest.

Über das, was der Wendepunkt seines Lebens hätte sein können. Das, was ihn hätte verändern können. Das, wodurch er hätte zum gelobten Helden mit glorreicher Zukunft werden können. Das, was er selbstverständlich ablehnte.

Link war bewusst, wie schwerwiegend diese Entscheidung sein würde. Auch wenn Zelda ihm angeboten hatte, dass er es sich noch immer anders überlegen konnte. In den Palast einziehen dürfte, wenn er wollte … dass er so viel Geld wie er möchte bekommen würde ... Jede Unterstützung, nach der er verlangte.

Doch jedes Angebot lehnte er dankend lächelnd ab.

Nach all der Zeit der Abwesenheit sehnte er sich nach seinem Zuhause. Nach dem Dorf, in dem er aufgewachsen war; mit den Leuten, die er schon immer gekannt hatte. Mit der Suppe, mit der er aufgewachsen war und die es wahrscheinlich für immer geben würde. Auch wenn er mittlerweile Kürbisse hineinschnitt und sie mit Käse verfeinerte. Wie diese Suppe ... so änderte sich auch das Leben. Es war noch dasselbe ... und doch anders.

Seine Reise fünf Jahre zuvor hatte ihn stärker gemacht. Nicht nur körperlich sondern auch geistig. Noch nie zuvor hatte er solchem seelischen Druck standhalten müssen. An den Tod seiner Eltern erinnerte er sich nicht. Und ansonsten war niemand Wichtiges von ihm weggegangen. Jeder blieb bis dahin bei ihm.

Und dann waren diese Orks gekommen, die seine Freunde mitgenommen hatten. Doch jeder Einzelne von ihnen war wohlbehalten zurückgekehrt.

Nur eine nicht.

Seine neueste und sehr teure Freundin Midna war als Erste nicht wiedergekehrt. Und auch, wenn ihre Worte das Gegenteil heißen sollten, so würde sie es nicht zulassen. Es war schlichter Trost. Eine Lüge.

Sie war eine Herrscherin und sie musste für ihr Volk handeln und durfte nicht für sich oder ihn handeln. Und dies bedeutete auch, dass sie ihr Volk nicht durch Verrückte wie Zanto erneut in Gefahr bringen durfte. Nicht ihr Volk ... und auch nicht andere Völker.

Das hatte sie wohl erkannt.

Und er ebenfalls.

Und er akzeptierte es.

Er hieß es sogar willkommen. Nichts läge ihm ferner, als ganze Volksgruppen nur aufgrund einer Freundschaft auszulöschen. Wäre es Zanto gelungen, seine Pläne zu meistern … seine Macht und die von Ganondorf wäre gestiegen und sie hätten jeden töten können, der ihnen nicht passte.

Jeden …

Midnas Entscheidung war die richtige gewesen. Daran gab es keinen Zweifel. Und auch, wenn dies alles überschattete … so würde die Dämmerung es doch einholen und zu strahlendem Glanz bringen.

Sentimentalität.

Link öffnete die Augen, weil er ein Geräusch neben sich wahrnahm. Müde sah er auf und erkannte einen Menschen neben sich.

„Schade. Ich wollte dich eigentlich erschrecken“, bedauerte seine Freundin Ilya.

„Hallo“, grüßte er und setzte sich auf, da dies der Höflichkeit entsprach. Sie ließ sich neben ihm fallen.

„Wie geht es dir? Hast du hier noch viel zu tun?“, fragte sie.

„Wie immer. Und dir? Nein … Nur noch die letzten Ziegen …“

„Das sieht mir aber nicht wie Ziegenhirten aus. Eher wie … schlafen“, spottete sie freundschaftlich.

„Vermutlich tut es das“, erwiderte er knapp, „Aber die Ziegen verdienen die frische Luft. Du warst wahrscheinlich noch nicht oft im Stall …“

„Seit der Geschichte vom Postboten nicht mehr“, gestand sie ein, „Aber ... eigentlich bin ich hier um ... also ... kann ich dir heute die Arbeit abnehmen? Epona und ich haben in letzter Zeit wenig unternommen. Da würde ich sie gerne reiten.“

Er nickte. „Ich bin hier und melancholisiere ein wenig.“

Sie lächelte ihn an, sprang auf und lief auf ihr Lieblingspferd zu.

Epona, das Ross, durch das die Entführung durch die Orks möglich war – nicht, dass er ihr die Schuld dafür gäbe -, das ihn durch sein Abenteuer begleitet hatte und stets an seiner Seite war. Außer, wenn Ilya es sich auslieh, um eine Runde zu reiten oder sie zu waschen. Seine Freundin kümmerte sich gerne um das Pferd.

Hätte Ilya mehr Geld, so hätte sie sich wahrscheinlich schon längst eines zugelegt.

Link sah seiner Freundin zu, als sie auf den Sattel stieg, das Pferd anfeuerte und auf Ziegenjagd ging. Es wirkte lustig. Und es war es auch. Außer, wenn die Ziegen wütend wurden …

Ilya passte wirklich perfekt auf ein Pferd. Ihr längeres Haar, das sie sich in letzter Zeit wachsen ließ, wehte im Wind und wirkte wie eine Verlängerung von Eponas Mähne.

Es war schön mitanzusehen …

Und da wünschte man ihr ein eigenes Pferd, das sie ganztägig bei sich haben konnte. Jetzt, wo ihr Vater schon seit zwei Jahren nicht mehr da war …

Link schreckte auf. Boro war tot …

… Seit genau zwei Jahren!

Er schlug mit der flachen Hand gegen seine Stirn. Wie hatte er das nur vergessen können? Deshalb war Ilya gekommen … Sie wollte wahrscheinlich fragen, weshalb er noch nicht am Grab war! Aber das war ihr wohl zu unhöflich.

Er seufzte und stand sofort auf.

Ilya hatte noch zwei Ziegen vor sich. Die bockigsten von ihnen. Mit denen hatte auch Link Probleme.

Er staunte nicht schlecht, als sie diese Ziegen beim ersten Versuch in den Stall treiben und dort einsperren konnte. Sie ritt zu Link zurück, wobei er ihr die Hand hinhielt, um ihr herunter zu helfen.

Dankend lächelnd nahm sie an und stand bald neben ihm. Sie sah irgendwie verändert aus, doch Link wusste nicht was, bis ihm ihre Kleidung auffiel. Es war ein schönes – aber ungewohntes – blaues Kleid. Sie hatte Stiefel an.

Das hatte sie sich wohl für den heutigen Tag zusammengespart.

Nach seiner Reise wollte Link ihr und Boro seine übrigen Rubine schenken, doch die beiden lehnten ab. Nachdem Boro von ihnen gegangen war, hatte Link es erneut versucht, allerdings hatte dieses Mädchen die Gene ihres Vaters und wollte alles eigenständig erledigen. Aber weit war sie noch nicht gekommen ...

„Ilya. Es tut mir leid, ich habe vollkommen vergessen, was heute für ein Tag war. Es tut mir Leid“, entschuldigte er sich bei ihr und lächelte gefühlvoll.

Sie winkte ab. „Ich habe gesehen, dass du viel zu tun hast. Das macht doch nichts. Und dir ist es ja doch noch eingefallen. Hättest du Lust …“

„Ilya!“, unterbrach sie eine Mädchenstimme.

Die Angesprochene fuhr herum und Link sah der näher kommenden Gestalt entgegen.

„Betty“, stellte Ilya unbegeistert fest, als diese angekommen war.

„Hi Link“, begrüßte ihn das Mädchen zuckersüß, „Ilya.“

„Was willst du? Sonst kommst du auch nicht hierher mitten in die Ziegenweide“, forderte Ilya zu wissen – sie klang leicht feindselig, versuchte es aber zu unterdrücken.

Es war Link bereits aufgefallen, dass die beiden sich seit ein paar Monaten nicht mehr sehen konnten, ohne beinahe auszuflippen. Wann immer er bei einer der beiden war und die andere kam hinzu, stapfte eine der beiden frustriert davon. Und auch wenn er fragte, was los sei, bekam er nur eine abweisende Antwort.

Sie wollten es ihm einfach nicht beichten. Wahrscheinlich ging es ihn einfach nichts an. Und dafür hatte er vollstes Verständnis. Nicht jeder musste alles wissen. Er hatte sein Abenteuer auch nur oberflächlich erklärt, um nicht näher darauf eingehen zu müssen, was geschehen war. Er wollte niemanden beunruhigen, verunsichern oder auf schlechte Gedanken bringen.

Prinzessin Zelda hatte zwar eine beinahe lückenlose Zusammenfassung erhalten und diese ebenfalls in zensierter Version dem Volk bei einer Versammlung mitgeteilt, doch er selbst wollte es nicht tun. Irgendwie war es ihm unangenehm.

„Also – hoffentlich ruht dein Vater in Frieden. Er war ein sehr guter Mann gewesen“, meinte Betty und schien es ernst zu meinen, „Weil wir uns heute ja zum ersten Mal sehen … Nun.“

Sie stoppte kurz. „Darum bin ich aber eigentlich nicht hierher gekommen. Eher um dir zu sagen, dass Mutter zu Vater muss. Er hat einmal wieder seine berühmte Honig-Milch-Mischung verfeinern wollen und übergibt sich deshalb jetzt. Du bekommst die Stunden bezahlt, die du jetzt im Laden verbringst.“

„Aber … ich habe doch heute schon gearbeitet … und extra frei gekommen …“, entgegnete Ilya kleinlaut.

„Nun, das Leben ist kein Ponyhof. Apropos – nimm gleich das Pferd mit, dann bist du schneller. Mit jeder Minute könnte ein weiterer Kunde verschwinden. Husch!“, befahl Betty.

Und seit einiger Zeit gefiel ihm auch der Ton der Jüngeren nicht mehr. Sie neigte schon immer ein wenig zur Arroganz, da ihre Eltern wohl die reichsten Leute in Ordon waren, beherrschte sich allerdings immer ein wenig. Aber bei Ilya … spielte sie sich auf.

Seine Freundin hatte ihm bereits einmal mitgeteilt, dass sie es sich vornehmen würde, von Ordon nach Hyrule-Stadt zu ziehen, um dort eine andere Arbeit aufnehmen zu können, allerdings war es so weit noch nicht gekommen.

Wegen Betty machte ihr die Arbeit im Laden keinen Spaß mehr. Vor allem, weil die beiden manchmal zusammen Schicht hatten und Ilya nichts gegen Betty sagen durfte, da diese alles ihren Eltern erzählen würde. So hatte er die Beschwerden von ihr erhalten. Aber helfen konnte er auch nicht – wobei er ihr vorgeschlagen hatte, Betty anzuschwärzen. Ilya aber war eine zu gute Person. Sie machte so etwas nicht.

„Na gut“, gab sich Ilya geschlagen, „Link, darf ich …?“

Da bemerkte er, dass er noch immer ihre Hand hielt, da er ihr nach unten geholfen hatte. Er ließ sie los. „Bitte, bediene dich. Vor dem Laden gibt es gutes Gras“, meinte er lächelnd.

„Danke, bis später. Kommst du zum Grab?“

Er nickte schwer entschlossen. „Diesmal werde ich es nicht vergessen.“

Sie lächelte und ritt davon. Sie vollführte mit Epona einen meisterhaften Sprung über den Zaun und sauste schon ins Dorf.

Betty stand noch neben ihm. „Oh, das war dein Pferd“, stellte sie fest, „Jetzt muss ich wohl wieder zurücklaufen. Begleitest du mich?“, fragte sie ihn und zwinkerte ihm dabei zu.

Er schüttelte den Kopf. „Ich muss die Ziegen noch füttern und den Stall abschließen. Aber du kannst mir helfen, dann musst du nicht warten …“

„Ich bin schon weg“, meinte sie abwinkend und ging langsam zurück, „Ich sehe dich dann später?“

Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht?“

„Bye!“, verabschiedete sie sich und schickte ihm einen Kuss mit der Hand. Danach lief sie – sämtlichen Ziegenmist ausweichend – aus dem Gehege, kletterte leicht ungeschickt über den Zaun und marschierte elegant davon.

Und er … sollte sich jetzt an die Arbeit machen.

Schließlich erwartete er nicht noch jemanden, der ihn zu irgendetwas einladen wollte.

Er machte sich auf den Weg in den Stall, gab den Tieren das schleunigst benötigte Heu und das noch dringender benötigte Wasser. Es war viel Arbeit, aber er musste es wohl tun, nachdem der Besitzer der Ziegen sich das Bein gebrochen hatte und deshalb nicht arbeiten konnte. Link übernahm natürlich gerne.

Schließlich lebte er von diesen Aushilfsjobs. Obwohl er noch mehr als genug Rubine im Haus hatte, durch die er nichts arbeiten müsste. Geld war allerdings nicht alles im Leben. Es wäre ihm viel zu langweilig und ungewohnt, einfach nur herumzusitzen und nichts zu tun.

Das Holz für den Winter holen musste er seit zwei Jahren auch alleine.

Denn nach Boro kam Moe.

Ein Glück war er nicht gestorben – nein, viel besser. Er war Bürgermeister. Die kleine Lin durfte stolz auf ihren Vater sein, dass er Bürgermeister war. Wenn sie ebenfalls so begeistert wie Colin reagiert hatte, dann musste es in dem Haus wohl ziemlich laut gewesen sein.

Link wusste es nicht. Am Tag der Wahlen – er hatte erfahren, dass er ebenfalls als Kandidat vorgeschlagen worden war – war er in Hyrule, um einem Kurier zu helfen, der für den Laden neue Ware hatte liefern müssen. Sie hatten den kleinen Laden vergrößert, da mehr Touristen kamen, um »das Haus eines Helden« besuchen zu dürfen.

Er selbst fand es übertrieben und dem Geld nicht wert – vor allem, da sie, solange er lebte, nicht ins Haus durften -, aber alle waren dafür. Und es kamen tatsächlich Menschen, um es sich anzusehen.

Link hatte Moe versprochen und einen Eid geleistet, dass er ihn wählen würde, weshalb seine Stimme bei Moe auch zählte. Außer Moe war noch Ilya aufgestellt worden, da sich einige dachten, es läge in den Genen. Jedoch hatte auch sie abgelehnt und Moe den Vortritt überlassen. Und da stand es Schwertmeister gegen Ziegenhirte gegen Ladenbesitzer.

Und der Meister mit dem Schwert hatte gewonnen: Moe.

Er ließ Ordon eigentlich, wie es war. Er sorgte für Recht und Ordnung und jeder war sehr zufrieden mit ihm.

Doch nicht nur mit Moe waren alle glücklich – auch Link war eben fertig geworden und froh darüber. Er arbeitete zwar mit viel Elan und Enthusiasmus, doch er freute sich auch darüber, fertig zu werden. Denn dies bedeutete, dass ein erfolgreicher Tag erfolgreich abgeschlossen werden konnte.

Und es stand noch ein Treffen mit seiner Freundin bevor – das sollte er nicht versäumen, ansonsten war sie wahrscheinlich wütend. Wobei … heute war sie gar nicht so emotionsvoll wie sonst. Aber … das lag wohl am Tag.

Wie er hatte Ilya ihre Mutter nie kennen gelernt. Er hatte seinen Vater aber ebenso wenig gekannt. Sie jedoch hatte achtzehn Jahre mit ihm verbracht und ihn an ein Fieber verloren. Link kannte den Schmerz eines ewigen Abschiedes nur durch Midna, die allerdings noch lebte – hoffte er zumindest. Er war nicht vertraut mit dem Schmerz des Verlustes durch den Tod.

Er kannte das Gefühl nicht.

Natürlich war Boro ihm sehr wichtig. Doch er war nicht sein Vater. Boro war … vielleicht sein Onkel. Sein Freund. Aber nicht sein Vater.

Wie schlimm es für sie sein musste, den einzigen Verwandten zu verlieren …

Sie tat ihm schrecklich leid. Und er hatte bereits versucht sie darüber hinwegzutrösten. Doch es ging nicht. Sie konnte sich nicht damit trösten, dass er in einer anderen Welt als König weiter lebte und dort in großer Güte und mit herzhaftem Lachen über sein Volk herrschte. Sie konnte sich höchstens damit aufheitern, dass die Göttinnen sich gut um seine Seele sorgten.

„Ach, Ilya“, murmelte er Gedanken versunken.

Dann machte er sich auf den Weg zum Friedhof. Der Friedhof lag hinter der Viehweide – zumindest war es die Abkürzung, die jeder benutzte. Wenn jemand begraben wurde, dann nahm man den langen Weg, da kein Toter es verdient hatte, durch Ziegenmist getragen zu werden.

Auch Link wich jedem Dreck aus, um halbwegs sauber zum Grab zu gelangen, um dort auf Ilya zu warten. Sie konnten dann gemeinsam beten und mit Boro sprechen. Natürlich im übertragenen Sinne.

Einmal verloren, kam wahrscheinlich nichts mehr wieder. Kein Toter. Nichts Verlorenes.

Traf man auf etwas »Verlorenes« erneut, so war es nie »verloren« gewesen. Es war lediglich »verlegt«.

Am Friedhof angekommen, besuchte er erst seine Eltern. Es gab nur noch diese beiden Fotos, die hier am Grabstein befestigt waren. Alle anderen waren beim Brand, bei dem sie ums Leben gekommen waren, zerstört worden. Nur ihr Sohn und einige wenige Habseligkeiten hatten gerettet werden können. Die Feuerstelle war außer Kontrolle geraten … und alles abgebrannt. Seine Eltern. Sein Haus. Seine Vergangenheit bis zum zweiten Lebensjahr.

Danach hatten sich alle Dorfbewohner um ihn gekümmert. All diese Leute waren seine Familie. Und er wollte sie beschützen.

Es war zwar nicht wirklich seine Familie, aber ein enges Band verband sie. Eines, das es unmöglich machte, dass er sie als WAHRE Verwandte sah, aber eines, das sie unabdingbar machte.

Auch wenn er keine Erinnerungen an die beiden Gesichter hatte, die er auf dem Foto sah, so hatte er wenigstens das Foto als Erinnerung. Anders als bei seiner Freundin Midna. Er konnte sie niemals wieder sehen. Aber er hatte Erinnerungen an sie.

Jedoch existierte ein schwerwiegendes Problem in dieser Erinnerung: Sie verschwand.

Nicht, dass er Midna vergessen würde. Ihr keckes Lächeln, ihre – manchmal – boshaften Witze und ihr verdrehter Humor – dies würde er für immer bewahren. Doch nicht ihr Gesicht. Dachte er an »Midna« so sah er ihre verfluchte Gestalt vor sich. Sie war klein, unglücklich, wütend und verunstaltet. So wie sie war, war sie zwar hübsch, aber sie sah dies selbst nicht. In dieser Gestalt war Midna nicht fröhlich. Sie war einfach nur übel gelaunt gewesen.

Allerdings als sie zurückverwandelt wurde … war sie noch schöner. Und sie fühlte sich sehr wohl. Das sah man ihr direkt an. Obwohl man ihr auch die Trennung ansah, die sie vorhatte. Nur Link hatte dies zu spät bemerkt.

Ansonsten … nun … was hätte er gemacht, wenn es nicht so prompt und unerwartet geschehen wäre? Mit ihr mitgegangen? Niemals. Sie umarmt und ihr gesagt, dass er sie für immer im Herzen behalten würde? Nein. Das wusste sie – das wusste er.

Es wäre wohl gleich gewesen … Nur ohne die schreckliche Überraschung und den Schmerz danach.

Aber alles hatte seinen Preis. Würde man alles im Leben geschenkt bekommen, so hätte man nichts geleistet, außer sehr viel auszupacken. Und war es das, was man wirklich tun wollte?

Wohl eher nicht.

Selbst war der Mann.

Selbst war der Mann, der das Gesicht, das WAHRE Gesicht, seiner Freundin vergaß. Peinlich, unverzeihlich – aber wahr. Alles verschwamm vor seinen Augen. Ihre Augen, ihr Mund … Ihr ganzes Gesicht … Ihre ganze Selbst. Nur die kleine, falsche Version war übrig.

Die, mit der er Zeit verbracht hatte. Die, die ihm geholfen hatte.

Es war wohl damit zu vergleichen, dass Midna sein Gesicht vergaß und stattdessen das eines jaulenden Wolfes einfügte.

Erneut seufzte er.

Was dachte er da? Er stellte sich sich selbst als wolfsgesichtigen Menschen vor …

Und dabei war die Dämmerung schon vorüber und die Nacht eingetroffen. Dementsprechend sollte seine Sentimentalität verschwunden sein. Wahrscheinlich wurde langsam der ganze Druck zu viel und er wurde wahnsinnig. Welcher Druck auch immer auf ihm lastete.

„Das sind deine Eltern?“, informierte sich eine Frauenstimme hinter ihm.

Er nickte. „Raito und Kyrie.“

„Sind sie schon lange tot?“

„Neunzehn Jahre“, antwortete er und sah die interessierte Person danach an.

Und erstarrte.

Er fühlte sich, als wäre er in einem Zeitstrudel mitgerissen worden und in der Vergangenheit.

Als er das erste Mal in das schöne Gesicht der unverfluchten …

Er schüttelte energisch den Kopf.

Er … war wohl verrückt geworden.

Die Augen schließend, hoffte er, das Phantom somit zu überwinden. Vielleicht hatte er auch einfach zu wenig lange geschlafen.

Oder … dies war die Wirklichkeit.

Die Lider erneut öffnend, stellte er fest, dass sie noch immer hier war. Mit ihrem feurig orangen Haar, dem schwarzen, fantastisch verzierten Umhang, dem freundlichen Lächeln auf den Lippen, dem anmutigen Gesicht, derselben Haltung …

Es … war ein deja-vu.

„Du wirkst so erstaunt. Hast du etwa einige Todestage vergessen?“, sie wartete kurz, „Oder interessiert sich sonst niemand für dich?“

Er schüttelte den Kopf.

Sie sprach mit ihm.

Es … konnte nicht sein.

Unmöglich. Es war nicht möglich.

Der Spiegel wurde zerstört. Und er war der einzige Weg.

Ansonsten hätte sie ihn doch nicht zerstören müssen, wenn es mehrere von ihnen gab.

… Es hätte auch eine Falle sein können.

„Hat mein Auftauchen dir etwa die Sprache verschlagen?“, fragte sie lächelnd, „Oder bist du immer so schüchtern, wenn dir des Nachts eine Dame am Friedhof begegnet?“

Er atmete tief durch.

Sie hatte diese gräuliche Hautfarbe, sie hatte rote Augen – es war noch hell genug, so etwas zu erkennen, wenn man noch die Sehkraft der Jugend besaß – und sie … war ihr exaktes Ebenbild. Konnte dies wirklich wahr sein?

Sie trug sogar ein Diadem!

„Eigentlich … bin ich erstaunt … hier überhaupt jemanden zu begegnen …“, antwortete er.

Es konnte aber auch eine Falle sein.

Vielleicht ein kindlicher Scherz durch einen Zaubertrick … oder eine gefährlicher Falle eines Feindes. Doch wer war der Feind? Hyrule lebte friedlich mit seinen Nachbarn zusammen. Und nennenswerte Kriminelle kannte er auch keine.

Wer sollte ihm diesen Streich spielen?

Sie wirkte erstaunt, als hätte sie mit etwas anderem gerechnet, doch sie fing sich gleich wieder. „Verstehe … Bist du oft hier?“, wollte sie von ihm wissen.

„Nein“, gab er knapp zurück.

„Ist heute ihr Jahrtag? Ich kann diese Schriftzeichen nämlich nicht lesen – also verzeih die Frage“, bat sie ihn.

„Nein“, antwortete er erneut. Er hoffte inständig, dass es nicht die wirkliche Midna war. Ansonsten dachte sie wohl, er wäre eingeschnappt, weil sie gegangen war. Oder weil sie wiedergekommen war. Es verhielt sich doch ganz anders! Er war überglücklich …

Doch war er auch stutzig. Wie kam es, dass sie zurückkam?

Hatte etwa jemand den Spiegel zusammengebaut? Nein. Das war nicht möglich. Die vier Scherben hatten sich schon weit verteilt. Wie verhielt es sich da mit aber tausenden von ihnen?

Niemand konnte sie in nur fünf Jahren zusammensammeln. Es sei denn, er hätte die genaue Koordination gekannt. Und auch da war es fraglich, dass er jeden kleinen Splitter hatte finden können. Der wahre Herrscher hatte den Spiegel zerstört. Und dies war es, was galt.

Schweigen tat sich zwischen ihnen auf. Tiefes Schweigen.

„Kennst du mich?“, informierte sie sich dann nach einer Weile, in der sie sprachlos vor dem Grab standen und es begutachteten.

Nun stellte sie ihn also auf die Probe. Würde sie denken, er hätte sie vergessen? Glaubte sie, er sei wirklich böse auf sie? Dachte sie, er wollte nichts mehr von ihr wissen?

Doch wenn sich die Falle bewahrheitete? Aber wer würde von solch einer Information profitieren? Niemand. Außer vielleicht Ganondorf oder Zanto, sodass sie erfuhren, dass der Fluch gebrochen war, aber … die beiden waren tot. Verschwunden. Verloren.

Verschwunden … wie er es von Midna dachte.

Und wer stand jetzt hier? Neben ihm?

Midna.

„Warst du bereits bei Zelda?“, wich er der Frage aus.

„Prinzessin Zelda? Nein. Weshalb sollte ich auch zu ihr gehen, wo meine Zeit hier doch begrenzt ist?“, wollte sie wissen.

„Um ihr zu berichten, dass es einen neuen Zugang gibt. Nicht nur ich war schmerzlich davon betroffen, dass der Spiegel sein Ende gefunden hat“, erklärte er ihr.

Ihre Miene verfinsterte sich leicht. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Wie kommst du auf die Idee, dass jemand anderer außer mir den Zugang nutzen kann?“

„Es gibt einen Tunnel durch die Welten allein für dich?“, schloss er daraus. Er sah sie skeptisch an. Es klang so … unwirklich.

Sie hob eine Hand. Sie hatte gräuliche Hände, trug Stulpen und einen Ring am mittleren Finger. Dieser Ring war silber und ein kleiner, roter Rubin glänzte darauf.

„Der Ring eines wahren Herrschers“, erklärte sie, „Ein Ring, der Grenzen überschreiten kann.“

„Es gibt nur dieses eine Exemplar?“, informierte er sich.

„Meiner Information nach schon. Und ich habe es genutzt. Lediglich um dich zu treffen, Link von Hyrule.“

Er wollte zu Worten ansetzen, doch sie hob einen Finger auf seinen Mund und schüttelte den Kopf. „Es ist zwecklos“, beschloss sie, „Ich bekomme dich nicht heran, Link. Du bist … wohl wirklich so schlau, wie sie sagt.“

‚Sie’?

Sie ballte die Hand mit dem Ring zu einer Faust, danach verschränkte sie die Arme erneut und sah beschämt zu Boden. „Ich sagte doch gleich, es sei eine blöde Idee. Du würdest sie bereits zu gut kennen. Ein Held vergisst niemanden, erzählt man sich bei uns. Also brachte es wohl von Anfang an nichts, mich nicht vorzustellen. Du bist nicht darauf hereingefallen.“

Er antwortete nicht, da er ahnte, dass sie nach dieser Verschnaufpause Weiteres aufklären würde.

„Du hast Recht darin getan, dich nicht zu irren. Du hast es vermieden, mich bei ihrem Namen anzusprechen oder auf meine Falle zu antworten. Aber nein wolltest du auch nicht sagen. Das ist es wohl, was man von einem Helden zu erwarten hat.“ Sie machte einige Schritte von ihm fort. „Du sprachst die Wahrheit, indem du nichts sagtest, Held von Hyrule.“

Sie hob die Hand und der Ring strahlte ein Leuchten aus. „Ich bin nicht meine Schwester. Ich bin nur diejenige, die dir Folgendes ausrichtet: Verlasse Hyrule auf der Stelle!“

Und mit diesen Worten verschwand sie in einem gleißenden Lichtblitz.

Verlassen

“Verlasse Hyrule auf der Stelle!“
 


 

Das zarte Zwitschern der Vögel rings um ihn herum beruhigte ihn. Es war schön, sie bis zum Anfang der Nacht zu hören. Danach ruhten sie sich aus, um am nächsten Morgen erneut ihre Stimmen erklingen zu lassen und die ansonsten ruhige Umgebung um Ordon mit ihrer Musik zu bereichern. Ein schöner Klang …

Link saß vor seinem Haus und ließ die Beine an der Leiter herunterbaumeln. Wieder einmal trug er seine Alltagskleidung. Sein Abenteuer war beendet, wodurch es keinen Zweck mehr hatte, das grüne Gewand der Helden zu tragen. Er wollte es den Lichtgeistern zurückgeben, doch diese hatten es nicht angenommen.

Also bewahrte er es in seinem Haus auf. Manchmal säuberte er es, um es für den nächsten Besitzer rein zu halten. Doch er war sich sicher, dass dies umsonst war – sooft wie er sich durch den Dreck gewälzt hatte und so wenig oft die Kleidung dadurch beschmutzt wurde …

Das Einzige, was seiner damaligen Kleidung ähnelte, war die Mütze, die er trug. Er mochte das Gefühl, einen Schutz am Kopf zu haben und hatte die Kopfbedeckung vor einigen Jahren in Hyrule bei einer kleinen Schneiderei anfertigen lassen. Sie passte gut – beinahe gleich wie seine andere Mütze. Und sie war auch grün.

Ebenso wie seine andere, die sicher verstaut beim Gewand eines Helden lag.

Die Sonne ließ ihre letzten Strahlen durch das Tal gleiten und verschwand schnellstmöglich hinter den Bergen in weiter Ferne, um Platz für den Mond zu machen, der sanft die Landschaft beleuchtete und alles in ein schauriges Licht warf.

Er stand auf.

Die Arbeit für den heutigen Tag hatte er erledigt, da er heute einen Zeitdruck verspürt hatte, der ungewohnt für ihn war. Doch er hatte sich ihm gefügt und alles getan, was getan werden musste.

Es war zwar noch früh, aber es konnte am nächsten Tag wieder spät werden. Je mehr er schlief, desto besser würde es ihm in nächster Zeit gehen. Jeder Tag brachte eine neue Wendung mit sich – und einige davon ließen ihn lange wach liegen.

Um seinem Entschluss Nachdruck zu verleihen, gähnte Link ausgiebig. Er begab sich nach oben auf sein Bett, welches mit Decken ausgestattet worden war. Auch wenn er neben dem Fenster schlief, so wurde ihm nicht kalt. Das Fenster sorgte eher für eine milde Luftfeuchtigkeit, die ihn besser schlafen ließ.

Doch seine Höflichkeit ließ es nicht zu, Geschenke wegzuwerfen, sodass er die Decken einfach als Laken benutzte – und er gab zu, dass es bequemer war, als am harten Boden zu schlafen.

Wie einfach er lebte, fiel ihm erst auf, als es ihm besser gehen konnte. Zuvor hätte er nie an Decken am Bett gedacht. Doch die Zeiten änderten sich. Dies war eine unabdingbare Sache. Und jeder war darin verwickelt. Egal, was er geleistet hatte.

Link legte sich hin und schloss die Augen, entfernte dabei noch seine Kappe und war bereit, einzudösen und weg zu schlafen.

Doch ein entnervtes Stöhnen hielt ihn davon ab, seinen Plan in die Tat umzusetzen.

Er setzte sich reflexartig auf und eine Hand sauste zu einem seiner neuen Schwerter, das er immer an die Wand auf seinem Bett gelehnt ließ. Er fühlte sich unwohl ohne ein Schwert an seiner Seite. Vor allem in Momenten der Abwesenheit – wie dem Schlaf.

Er war nicht paranoid. Er wollte lediglich sicher gehen.

„Du musst mich nicht zerstückeln“, meinte diejenige Stimme, die er vor zwei Tagen ebenfalls gehört hatte, beruhigend, doch auch mahnend. Und er vermutete, dass das unzufriedene Geräusch vorhin ebenfalls ihrer Kehle entronnen war.

Ihr Gesicht schaute durch das kleine, runde Fenster. Er wusste nicht, wo oder ob sie sich festhielt. Vielleicht flog oder schwebte sie auch.

Schließlich schien sie ein magisches Wesen zu sein.

„Du schon wieder“, stellte er fest. Doch er ließ das Schwert noch immer in seiner Hand. Letztens hatte er keine Waffe dabei und sie hatte ihn nicht angegriffen. Aber Zeiten änderten sich …

Weshalb misstraute er ihr eigentlich so?

„Ich schon wieder“, bestätigte sie streng, „Und soll ich dir sagen, was mich daran verwirrt?“

Er antwortete nicht.

„Dass du mich hier antriffst.“

„Wolltest du mich ausrauben?“, informierte sich Link. Was sonst sollte sie meinen? Höchstens ihren äußerst merkwürdiger Schlusssatz, den Link im Gedanken zerhackt, dann jedoch verworfen hatte.

Sie lachte. „Soll ich dir etwa die Decken stehlen? Nein. Ich bin eher überrascht, dass du noch nicht weit entfernt von Hyrule bist, so wie ich es dir geraten habe.“

„Weshalb sollte ich das tun?“

„Kluge Personen tun, was man ihnen sagt. Vor allem, wenn es ein gut gemeinter Ratschlag ist“, erklärte sie belehrend, „Denn gut gemeinte Ratschläge wollen befolgt werden.“

„Wer bist du?“, wechselte er das Thema. Wie sollte er jemanden vertrauen, dessen Gesicht er zwar kannte, aber dessen Namen nicht? Gut, wahrscheinlich würde ihn irgendetwas davon abhalten, ihr Vertrauen zu schenken, auch wenn sie ihm ihren vollen Namen preisgeben würde.

„Habe ich mich … Du hast recht“, sie stockte kurz, „Ich halte dir Vorträge und vergesse sogar, mich selbst vorzustellen. Nun, mein Name ist Shan.“

„Du bist … die Schwester von Midna?“, mutmaßte er. Ihr zum Verwechseln ähnliches Aussehen, der Umstand, dass sie sich unter „ich bin nicht meine Schwester“ vorgestellt hatte, ließen ihn dies vermuten.

„Richtig, ich bin die Schwester der Prinzessin.“

„Willst du herein kommen, Shan?“, wollte er von ihr wissen. Er sah sie nicht. Nur ihr Gesicht wurde von der Kerze in der Lampe erleuchtet. Und vielleicht war ihr kalt.

„Vorne ist der Eingang“, bot er ihr an.

Sie nickte.

Im nächsten Moment war sie verschwunden.

Er machte sich auf den Weg nach unten, wobei er die Schwertscheide an seinen Gürtel hängte und das Schwert hineinsteckte. Er zielte auf die Küche zu, da er vermutete, dass Shan vielleicht etwas haben wollte – jedoch blieben Zweifel, ob sie dies wirklich wollte.

Und wenige Augenblicke danach stand schon eine große Gestalt in seiner Tür. Doch diesmal fehlte der Mantel, den sie das letzte Mal getragen hatte. Sie sah etwas verändert aus, doch er erkannte noch immer Midna in ihr. Glaubte er zumindest. Sein Verstand täuschte es ihm zumindest vor, Midna zu sehen. Ob es wohl tatsächlich wahr war?

„Hier ist es aber … nett …“, meinte sie und kam näher. Vor dem Küchentisch blieb sie stehen.

„Ob ich dieses Haus wohl verlassen würde?“, fuhr sie unbeirrt fort, „Vermutlich schon.“

„Weshalb sollte ich …?“, informierte er sich bei ihr. Doch sie schenkte ihm nur ein Lächeln und sah sich weiter in seinem Haus um.

„So hätte ich es mir nicht vorgestellt. Das Haus desjenigen, der gegen Zanto und Ganondorf angekommen ist …“

„Du kanntest ihn vermutlich, also Zanto“, schloss Link aus den Tatsachen, dass sie ihn erwähnte und dass sie aus Midnas Welt kam.

„Er war kein schlechter Kerl, aber man musste ihn nicht um sich haben“, meinte sie schlicht dazu, „Er war schließlich nur Zanto – der Versager mit den großen, verschwendeten Kräften.“

Darauf sagte Link nichts. Eigentlich wusste er nicht, was er darauf sagen sollte.

„Zanto war ein Verbrecher. Er hat alle in großes Unglück gestürzt. Und das … gleich nach der Wahl des Königs. Er hätte Midna wenigstens noch eine Chance geben können, sich zu beweisen“, sprach sie weiter, „Aber das interessiert dich vermutlich nicht. Wo waren wir vorhin?“ Sie stoppte kurz, „Ah. Dass du noch immer hier bist, wo ich dir doch das Gegenteil geraten hatte.“

„Wobei ich mich noch immer frage, weshalb ich den weisen, unbegründeten Rat einer Fremden annehmen sollte, wenn es darum geht, alles hinter mir zu lassen“, führte er ihre Aussage fort.

Sie lächelte. „Ein sehr guter Einwand. Aber mittlerweile kennst du mich.“

„Du bist Shan, ja. Und ‚kennen’ ist etwas zu viel gesagt … Wir sind uns zweimal über den Weg gelaufen.“

Sie winkte ab. „Ich mag dich, Link. Ansonsten hätte ich dir diese Botschaft nicht überbracht.“

„Bist du nicht gekommen, um mir diese Botschaft zu übermitteln?“, informierte er sich, wobei er eine Augenbraue nach oben zog. Irgendwie verwirrte ihn diese Person gewaltig. Doch etwas verhinderte, dass er an einen Trick glaubte. Er war in seinem Haus. Hier hatte er den Vorteil. Sie schien keine Waffe zu haben. Und wenn sie in etwa so viel Erfahrung mit Schwertern hatte wie ihre Schwester … dann war die Magie das Einzige, in dem er ihr nachstand.

Sie schüttelte langsam den Kopf. „Ich … war nur dort, um dich zu sehen. Dabei ist mir aufgefallen, dass du gar nicht so unerträglich bist … und deshalb habe ich dir die Warnung überbracht.“

„Du hast mir den Rat gebracht, den – ich vermute zumindest – du mir passend zu der Warnung hättest geben sollen. Aber die Warnung selbst blieb aus.“

„Ich möchte dich nicht beunruhigen. Ist es nicht schöner, einer Katastrophe zu entgehen, wenn man nichts von ihr weiß?“

Er wurde hellhörig. „Katastrophe?“, wiederholte er fragend und zog ernst die Stirn kraus. Unter »Katastrophe« konnte man sich sehr viel vorstellen. Sämtliche Naturkatastrophen, der Überfall eines anderen Landes, der Größenwahn eines Zauberers …

Sie nickte. „Willst du es wirklich hören? Es wird nicht leicht zu verkraften sein, Link.“

Ein entschlossenes Nicken war seine Antwort.

„Es kursiert die Nachricht in unseren Breiten … dass ein verrückter Taugenichts versucht, irgendetwas damit zu erreichen, dass Ganondorf und Zanto wiedererweckt werden, um erneut über die Welt der Sonne und die Welt der Sola herzufallen und alles in Dunkelheit zu stürzen.“

„Ich habe Ganondorf schon einmal besiegen können“, entgegnete Link verwirrt, „Weshalb …?“

Sie lachte. Leichter Spott floss darin mit. „Weshalb man es dann für besser hält, dich wegzuschicken?“ Sie sah ihn mit tiefem Ernst in den Augen an. „Denkst du wirklich, jemand wie Ganondorf würde zweimal denselben Schlag ausführen? Vor allem, wenn er einmal dabei besiegt worden ist? Niemals“, entgegnete sie mit ruhiger, belehrender Stimme.

„Aber er ist gestorben. Seine Leiche ist geborgen worden“, erklärte Link ein wenig verwirrt, „Er wurde verbrannt. Er kann nicht zurückkommen.“

„Man erzählt sich, dass jene Person, die diese Ziele hat, über Magie verfügt, die von den Menschen von vor Jahrhunderten verwendet worden ist. Verbotene Magie, wenn man so möchte. Totenerweckung.“

„Wo ist derjenige? Man muss ihn aufhalten, bevor es ihm gelingt, …“

Sie unterbrach ihn barsch. „Als ob du ihn finden könntest. Wahrscheinlich suchen unsere Leute nach ihm, seit das Gerücht seinen Umlauf genommen hat.“

„Gerücht? Es muss also nicht wahr sein?“

„Wer weiß? Bis jemand, der dies vorhat, geschnappt wird, bezeichnet man es wohl als simples Gerücht.“

„Deine Leute haben wahrscheinlich nur in euren Breiten gesucht“, schlussfolgerte er, während er einen Schritt auf sie zumachte, „dann werde ich in Hyrule nach ihm suchen.“

Sie lächelte. „Wie soll das Gerücht denn von hier nach dort gelangen? Der Ring ist …“

„Die einzige Möglichkeit. Doch jemand muss diesen Ring doch für dich geschaffen haben, oder?“, informierte sich Link.

Sie machte ein erstauntes Gesicht. „Du meinst, dass der Schmied es auch für andere hätte machen können? Und den Herrscher somit belügen?“

„Also hat Midna diesen Ring beauftragt?“

„Midna könnte alles beauftragen. Wahrscheinlich hätten sie auch den Spiegel erneuern können, wenn sie hätte wollen. Doch sie ist eine weise Herrscherin, die solch törichten Unsinn nicht aufgrund einer Bekanntschaft unter der Sonne in Auftrag gibt. Lediglich um jene Bekanntschaft mir vorzustellen, wurde dieser Ring geschaffen.“

„Aber die Formel dafür liegt beim Schmied?“

Sie nickte. „Ich vermute es.“

„Kann ich mit dem Schmied sprechen?“, informierte sich Link, „Er ist in eurer Welt, oder?“

„Ja, das ist er. Und dieser Ring ist aber nur für eine Seele gemacht. Er kann nur seinen Träger und dessen Hab und Gut transportieren – zumindest durch Welten.“

„Wie funktioniert er denn?“, wollte Link wissen. Er hatte einen Plan: Wenn es einer der gedanklichen Wege war, so hätte sie sich doch auf die unbekannte Person konzentrieren können. Aber dies war wahrscheinlich zu einfach. Versucht hatte sie es wahrscheinlich schon längst.

Sie nahm den Ring vom Finger und begutachtete ihn. „Ich muss mir einen Ort vorstellen. Es funktioniert lediglich auf Orte. Aber die Bestimmung des Ortes ist egal, solange der Ort auffindbar und nennbar ist.“

„Also könntest du dich zur ‚Stätte des Erweckens’ begeben, oder?“

Sie schüttelte langsam den Kopf. „Der Ort benötigt seinen wahren Namen. Wenn er Ganondorf in einer Höhle namens ‚Funkelstein’ erwecken würde, so müsste ich an die Höhle und den dazugehörigen Namen denken. Also … geht es schon alleine deshalb nicht, weil ich mir den Ort nicht vorstellen kann. In diesem Fall würde ich den Namen schließlich wissen.“

„Ist dieser Ring nur für eure Art geschaffen oder könnte auch ein Mensch ihn verwenden?“

„Wahrscheinlich jeder mit Vorstellungskraft“, antwortete sie ihm einfach, „Langsam neigt sich die Nacht zum Ende zu, Link.“

Er nickte. „Dann bricht ein neuer Tag an.“

„Bis zur Morgendämmerung sollte ich verschwunden sein“, meinte sie, „Ich weiß nicht, wie stark sich das Sonnenlicht auf mich auswirkt.“

Er brachte Verständnis entgegen. Schließlich erinnerte er sich noch daran, was beim gleißenden Licht des Lichtgeistes mit Midna geschehen war. Aber so hell strahlte die Sonne auch wieder nicht.

„Ich bin nicht so stark wie Ihre Hoheit, meine Schwester“, erklärte ihm Shan schnell – wahrscheinlich konnte sie sich seine Gedanken vorstellen - , während sie ihren Blick Richtung Decke hielt, „Ich bin sogar ziemlich schwach, verglichen mit ihr.“

„Sie war auch sehr stark“, bekräftigte Link Shans Worte, „Du hast auch Zanto schon als stark bezeichnet. Midna ist besser. In allerlei Hinsicht.“

Shan lächelte. „Sie ist eine gute Herrscherin, eine gute Kämpferin, Magierin, Diplomatin, Freundin und sogar Schwester.“ Sie sah Link schmunzelnd an. „Sie war auch bei den Wahlen des Königs besser, wie du aus dem Titel ‚Prinzessin’ schließen kannst.“

„Sie hat mir nicht allzu viel darüber erzählt“, stellte Link im Vorhinein klar, „Aber ja.“

„König ist, wem das Volk vertraut und dem der König die Krone überreicht – nicht dass du glaubtest, es sei wie bei euch, dass der Titel im Blut liege.“

Er schüttelte den Kopf, um kund zu tun, dass er niemals daran gezweifelt hatte, dass Midna oder Shan mit Zanto verwandt wären.

„Den Rest wirst du wahrscheinlich bereits wissen“, erkannte Shan.

„Wenn es damit beginnt, dass Zanto betrübt über die Niederlage war, dann ja.“

Sie nickte. „Und wenn du deiner Königsfamilie loyal gegenübertrittst und daran glaubst, dass Weisheit, Entschlossenheit und Kraft, sowie Gutmütigkeit im Blut liegt, so bitte ich dich inständig, meinem Rat Folge zu leisten und Hyrule zu verlassen, bevor Ganondorf zu einem Rachestreich an dir vorgeht.“

Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Das kann ich nicht. Ich weiß, wozu dieser Mann fähig ist. Und solange es eine minimale Chance gibt, ihn zu bezwingen, solange möchte ich auch an dieser Chance festhalten, egal, wie klein sie ist. Zu gehen wäre Verrat am Land und an mir selbst.“

„Er könnte deinen Freunden etwas antun. Diesem Dorf. Midna.“, entgegnete Shan besorgt, „Er wird schließlich mächtiger denn je sein.“

„Weshalb bist du dir so sicher?“

„Beim ersten Schlag ist es ihm gelungen, zwei Königreiche in seinen Besitz zu bringen. Was wird dann der zweite auslösen, frage ich mich.“

„Ich möchte es nicht zum zweiten Schlag kommen lassen, Shan.“ Er sah sie mit felshartem Blick an. Er hatte wirklich nicht vor, die Pläne des Unbekannten Wirklichkeit werden zu lassen. Er wollte es verhindern. Er musste es verhindern.

Denn er gab Shan recht: Diesmal wusste Ganondorf, mit wem er es zu tun haben würde. Wahrscheinlich würde er sich die Zeit nehmen, auf Links und Midnas Umfeld einzuschlagen. Dadurch würden all seine Freunde aus dem Dorf in Gefahr geraten.

Und sämtliche Hyrulaner.

Die ganze Welt.

Vielleicht würde dann ein neuer Held geboren, der das Masterschwert nutzen konnte, um gegen das Böse anzutreten, doch wer konnte schon sagen, ob Ganondorf nicht bereits diesen ausforschen könnte?

Er wollte sicher gehen.

„Ganondorfs Erwachen muss fehlschlagen“, erklärte Link mit bitterem Ernst in der Stimme, „Ich werde den Erwecker ausfindig machen und ausschalten.“

Shan verschränkte die Hände und lächelte. „Wieso hört nie jemand auf mich, wenn ich es gut meine?“, murmelte sie hörbar.

„Wirst du jetzt zurückkehren, Shan?“, wollte er von ihr wissen.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich muss doch den Helden meiner Schwester beschützen“, entgegnete sie, „Ansonsten werde ich wohl ein Problem bekommen.“

„Und vor zwei Tagen war dir das noch egal?“

„Ich hätte sagen können, du wärst bereits zuvor gestorben“, entgegnete sie, „Midna … gut, sie hätte vermutlich nach deinem Grab gesehen.“

„Willst du mich also begleiten?“, schlussfolgerte er aus ihren vorherigen Worten.

Sie nickte entschlossen. „Für eine strahlende Zukunft.“

„Und die Sonne?“, informierte sich Link, „Die Sola sind nichts verglichen mit ihr.“

„Falls ich sterbe, so sterbe ich in Ehre“, meinte Shan leichthin, „Mein Ring wird mich schon in den Schatten bringen können. Und es ist nicht bewiesen, dass die Sonne mir körperlich allzu fest schadet …“

„Und du möchtest es wirklich herausfinden?“, wollte Link ein letztes Mal wissen. Als sie es erneut bejahte, stand die Sache für ihn fest: Je schneller er loskam, desto besser würde es werden. Denn desto mehrere Orte konnte er absuchen. Er müsste wohl ungeheures Glück haben, um diesen Platz wirklich ausfindig machen zu können, doch es war ein Gefühl in seinem Inneren, das ihm versicherte, dass er es konnte. Und etwas, das ihn dazu zwang, zu wissen, dass er musste.

Für Hyrule.

Für die Menschen, die er liebte, ehrte, schätzte, kannte und nicht kannte.

„Ich bin bereit für eisige Nächte unter dem klaren Sternenzelt, unter der bedrückenden Hitze der leuchtenden Sonne zu reisen und wahrscheinlich das größte Abenteuer meines vollkommenen Lebens mit einer wahren Berühmtheit zu erleben“, erklärte Shan, „Wann geht es überhaupt los?“

„Morgen früh, wenn es dir nichts ausmacht“, beschloss er, wobei es eher ein Vorschlag war.

Sie nickte bejahend.

„Ruhe dich aus“, riet sie ihm, „Es wird wahrscheinlich länger dauern, bis wir es wieder so nett wie hier haben werden.“

Er nickte. „Schläfst du hier? Willst du das Bett haben?“

Sie winkte schnell ab. „Nein, lieber nicht. Ich bin ein ungebetener Gast und möchte dir nicht zur Last fallen. Tu so, als wäre ich gar nicht hier.“

„Gute Nacht“, verabschiedete er sich und stieg erneut auf sein Bett, um sich dort dem Frieden der Nacht hinzugeben. Er legte sein Schwert ab und stellte es in die gewohnte Position, um einer etwaigen weiteren Störung gewachsen zu sein.

Doch Link konnte lange nicht einschlafen. Er dachte über die Informationen nach, die er in dieser Nacht erhalten hatte. Über die Unbekannte, die Shan hieß. Den Erwecker mit den teuflischen Plänen … die Welt, die in Gefahr war …

Und über sein Abenteuer, das er zu bestreiten hatte. Diesmal hatte er es vollkommen freiwillig gewählt. Er fühlte, dass diese Entscheidung die einzig richtige wahr, doch sicher war er sich dennoch nicht: Was, wenn er versagte?

Wenn Ganondorf wirklich viel stärker werden würde, als er damals schon war? Er hatte sehr viel ausgehalten. Sie beide hatten dies getan. Und schließlich hatte Link es nach langer Zeit geschafft, ihn mit dem heiligen Masterschwert ruhig zu stellen. Und danach war er gestorben.

Sein Genick war gebrochen. Wie durch Geisterhand.

Doch er war unwiderruflich tot. Gestorben. Von ihnen gegangen.

Er sorgte sich darum, dass man diesen Mann nicht einfach töten konnte. Niemals töten können würde. Nicht wie einen normalen Menschen.

Dies würde wohl einen ewigen Kampf bedeuten.

Die Göttinnen gegen den, der sich selbst für einen Gott hielt.

Und dazwischen die vorrückenden Figuren. Die schlachtenden Kämpfer.

In einer grausamen Schlacht zwischen den höchsten Wesen.

Götter.

Er schloss die Augen und erwachte in dieser sternklaren Nacht kein einziges Mal mehr.

Verzögert

Mein Neid existierte schon seit Langem. Zu lange?

War er überhaupt berechtigt?

Der Neid einer Versagerin.

Der Neid, der mich unterdrückte.
 

Als der Morgen graute, erwachte Link. Er rechnete damit, dass Shan bereits auf sein Erwachen wartete und grüßte sie lasch. Seine Müdigkeit wich rapide von ihm, als er sich der Aufgabe bewusst wurde, der er sich nun stellen musste: Seine Pflicht war es, den Ort der Erweckung Ganondorfs ausfindig zu machen und den Vorgang zu beenden.

Und die Zeit rannte ihm davon. Er wusste nicht, wann es so weit sein würde. Und er musste es schaffen, es aufzuhalten, bevor es so weit war.

Also schnellstmöglich.

Er stand auf und stieg die Leitern hinunter, während Shan schweigend seine Tätigkeit verfolgte.

Link nahm sich ein Stück Pergament und eine Feder, die er in vorhandene Tinte tauchte, und schrieb in kurz und knapp eine Nachricht an jene, die ihn suchten.

„Ich bin für eine lange Weile fort. Viel Glück!“, schrieb er in seiner schönsten Schrift und machte sich auf den Weg zur Tür, wo er sich einen Nagel, der herausstand, suchte, um das Stück zu befestigen.

Er hoffte, dass man es genügend sah und auch beachtete.

„Gehen wir?“, informierte er sich.

Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete er das Tor und schritt hindurch, sehr wohl bemerkend, dass Shan sich in Windeseile hinter ihm eingefunden hatte.
 

„Und wo möchtest du mit der Suche beginnen?“, informierte sich Shan ungeduldig, während sie neben ihm her schwebte. Sie durchritten bereits seit einigen Stunden das Feld von Hyrule. Dass die Sonne bereits seit einiger Zeit unter gegangen war und ihnen wahrscheinlich niemand Wichtiges mehr begegnen würde, ließ seine Begleiterin dazu kommen, dass sie nicht weiter in seinem Schatten verweilte – sie hatte es sich mit der Sonne besser überlegt -, sondern neben ihm ihre Wege „ging“.

Sie flog sehr geschickt und hatte in etwa die Geschwindigkeit Eponas. Als er ihr angeboten hatte, dass sie aufsteigen konnte, begründete sie ihre Verneinung mit den Worten, dass sie keine Pferde möge – oder zumindest auf keinem sitzen wolle. Er nahm dies zur Kenntnis und ließ ihr ihre Entscheidung.

Shan war bisher nicht sehr redselig – oder zumindest viel stiller als er sie kennen gelernt hatte – und fragte nur hin und wieder etwas, wenn es sie interessierte. Doch die Frage über die Suche blieb bereits zum dritten Mal unbeantwortet, weshalb sie sie wohl ein viertes Mal in den Raum warf.

Eine Antwort wäre nicht das Problem gewesen, hätte er auch von der Antwort gewusst. Ja, es war ihm selbst nicht bewusst, wo er anzufangen gedachte. Der Ort, an dem Ganondorf erweckt werden würde, könnte überall sein: in den Bergen, in der Wüste, am Meer, außerhalb Hyrules, mitten in der Stadt – ja, sogar in den Wäldern und Feldern rund um Ordon.

Aber wie sollten sie ihn aufspüren?

„Wenn du doch keine Idee hast … wieso verlässt du Hyrule nicht einfach und bringst dich in Sicherheit?“, unterbrach sie seine Gedanken, „Es würde deine Überlebenschancen erhöhen … Ganondorf nimmt das Land vielleicht nicht zu hart dran und … vielleicht findest du Übersee dein Glück. Und wenn Ganondorf auch dich trifft, kommt es unweigerlich zum Kampf.“

Link sah sie an. Sie starrte ihn an. Ihr Blick wirkte neugierig, doch auch flehend. Ob sie wohl Angst hatte, dass dem Schatten oder dem Licht etwas zustieß?

„Dann soll es zu einem Kampf kommen“, beschloss er, „Einem Kampf zwischen ihm und mir.“

Sie lächelte besonnen. „Dir ist klar, mit WEM du kämpfen möchtest? Er hat Zanto auf seine Seite bekommen. Er hat ihn genutzt, sein eigenes Volk zu verraten. Denkst du wirklich, es bliebe bei einem fairen Kampf?“

Link dachte nach. Was sollte er darauf sagen? Dass er Ganondorf soweit vertraute, dass er allein – und zwar wirklich alleine – gegen ihn kämpfte? Das war nämlich nicht wahr.

Er nahm an, dass ihre Worte sich bewahrheiten würden.

Doch deshalb konnte er doch nicht davonlaufen.

„Allein dein Leben könnte zum Grund für eine Kriegslist werden. Mir erscheint dieser Mann sehr rachsüchtig. Ein solcher Mensch kann nur rachsüchtig sein. Er wird vermutlich all deine Freunde attackieren. Jeden Einzelnen von ihnen. Und es wäre deine Schuld.“

Ihre Worte klangen hart. Sie waren hart. Und sie waren wirklich wahr. So wahr, wie die Sonne jeden Morgen aufging. Und doch konnte er sich nicht helfen. Niemand würde Hyrule helfen. Vermutlich würde die Prinzessin sich wehren, ihre Ritter aussenden. Doch hatten gewöhnliche Menschen eine Chance?

Alleine die Tatsache, dass die Göttinnen Ganondorf solche Macht anvertraut hatten, ließ daran zweifeln, dass sie dem einfachen Volk gegen ihn helfen würden.

„Du warst auch verflucht, als Zanto seine eigenen Leute verraten hat“, entgegnete Link und starrte sie hart an, „Und du bist bestimmt auch geblieben, um auf Midna zu warten.“

Sie wandte beschämt den Blick ab. „Ah, deshalb möchtest du bleiben. Aus Loyalität deiner Welt gegenüber. Deinen Freunden, deinem Königreich, deiner Pflicht als ehrlicher Bürger …“

Er nickte. „Es ist wohl einfach so in einem verankert, dass man denjenigen, zu denen man gehört, helfen möchte. Vor allem für die Sicherheit der Freunde, die ich habe, und derer, die ich erst kennen lernen werde, möchte ich kämpfen, bis ich falle.“

„Es klingt sehr heldenhaft“, gestand Shan ein und sah direkt nach vorne. Doch er bezweifelte, dass sie dabei die Berge sah, die sich vor ihnen erstreckten. Sie sah wahrscheinlich in eine andere Welt. Eine Welt, in der er nicht gehörte. „Aber auch dumm.“

„Es mag noch so töricht klingen“, entgegnete er, „Aber ich stehe dazu.“

Nun wandte sie ihren Blick gen Himmel. „Wohin reitest du?“

„Nach Hyrule-Stadt“, entschied er. Es war in der Nähe. Sie würden noch vor Sonnenaufgang dorthin gelangen. Und es war entscheidend, dass niemand damit rechnen würde, dass irgendjemand einen gemeingefährlichen Bösewicht mitten in der belebtesten Stadt in Hyrule wiedererwecken wollte. Was ihn zu der Annahme führte, dass es derjenige genau deshalb getan hatte.

„… Nach Hyrule-Stadt?“, wiederholte sie und sah ihn dabei konfus an, „Ich gebe zu, sehr wenig Ahnung von euren Städten zu haben … aber sind da nicht genug Magiefähige, die die Energie einer Erweckung erspüren könnten?“

Er blickte sie fragend an. „Man kann Magie spüren?“

Sie senkte bestürzt den Kopf. „Wie wenig Ahnung habt ihr Hyrulaner eigentlich von der Welt?“

„Warum kannst du es dann nicht erspüren? Du würdest es doch sofort merken …“

Sie verschränkte beleidigt die Arme. „Nein.“

„Nicht?“

„Nicht alleine. Ich bräuchte jemanden mit einer größeren Menge Magie als ich. Ich bin schwach. Zu schwach für irgendetwas.“

„Oh“, war seine einzige Reaktion darauf.

Was sollte er dazu sagen? Er konnte dazu nichts sagen.

Irgendetwas darauf zu sagen, wäre wahrscheinlich in jedem Fall falsch.

Es verging eine Zeit des Schweigens, bevor Shan diese beendete.

„Reite nicht nach Hyrule“, bat sie ihn, „Dort wird er wahrscheinlich nicht lauern. Es ist vielleicht einer unserer Leute. Deshalb glaube ich, dass er ähnliche Gedankengänge wie ich haben wird.“

Link nickte. „Wohin dann?“

„Irgendwo, wo er alleine ist. Einsam. Unentdeckt …“

„Also könnte er überall sein. Aber wir brauchen erste Anhaltspunkte. Vielleicht wäre es trotzdem gut, wenn wir zur Informationsbeschaffung nach Hyrule- …“, er stockte, als er einen grünen Goblin sah, der einem bepacktem Pferd hinterher rannte.

War schon etwas heller geworden, da konnte er Schemen erkennen. Und das Geräusch von Goblin und Pferd kannte er mittlerweile.

Doch weshalb tat dieser Goblin das.

Als er in die Richtung sah, aus der die beiden kamen, bemerkte er eine humpelnde Gestalt, die den beiden irgendetwas hinterher schrie, dabei aber von einem Monstervogel verfolgt wurde.

„Oh, ich denke, die steckt in Schwierigkeiten“, bemerkte Shan, als sie nach unten sah.

Derweil preschte Link sein Pferd an und ließ Epona auf die Monster zulaufen.

Und während dieses kurzen, schnellen Rittes fragte er sich, wo die Monster herkamen.

Sein Schwert ziehend, stach er auf den Goblin ein, der sofort zu Boden stürzte und – wie Link es erwartete – sich in Dunkelheit auflöste.

Für den Vogel entnahm er seinem Rücken Pfeil und Bogen und zielte haargenau auf ihn. Ein Vogel war eigentlich kein Problem für ihn, solange er dessen Flugroute einschätzen konnte. Und da er genau wusste, dass der Vogel dem Mädchen hinterherhetzte, traf ich ihn an einer tödlichen Stelle.

Auch dieser verwandelte sich auf der Stelle in dunklen Dunst und verschwand.

„Verdammt“, entfuhr ihm ein Fluch.

Shan kam zu ihm geschwebt. „Monsterplage?“

„Eigentlich nicht. Die Monster haben sich mit Ganondorfs Ableben verzogen – oder von der Dunkelheit befreit. Es hat seit fünf Jahren keinen Fall mehr gegeben, in dem ein Monster jemanden attackiert hat, der es nicht verdient hat.“

„Vielleicht hat sie es ja verdient.“

„Sie haben sich in Dunkelheit aufgelöst. Wer in Finsternis stirbt, war verdorben.“

Sie räusperte sich. „Nicht alles, das der Dunkelheit entspringt, ist schlecht. Siehe Midna.“

Link biss sich verlegen in die Wange. „So war das nicht gemeint“, rettete er sich aus der Situation, „Oder löst ihr euch bei eurem Tod in schwarzen Rauch auf?“

Shan schüttelte den Kopf. „Nein. Wir sterben, indem wir uns einfach nicht mehr bewegen.“

„Es sei denn, ihr seid von Dunkelheit befallen“, fügte Link hinzu.

„Bevor wir noch verdunkeln – sollten wir uns nicht um die Verletzte kümmern?“, schlug Shan vor und verschwand mit der Beendigung ihres Satzes im Schatten.

Die ersten Sonnenstrahlen erreichten die Wiese.

Link stürmte zu dem brüllenden Mädchen, das derweil zu Boden gegangen war.

Epona stand noch hinter ihm und sah ihm hinterher.

Das andere Pferd war nicht mehr in Sichtweite.

„Verdammt, diese verdammten Viecher, ich bringe sie um. Verdammt sollen sie sein, diese verfluchten …“, murmelte das Mädchen vor sich hin, stoppte allerdings, als sie ihn ansah.

„Du hast mir die Arbeit abgenommen? Fühlst du dich jetzt gut?“, fragte sie ihn griesgrämig, „Willst du, dass ich dir danke? Nein, danke! Das hätte ich auch alleine geschafft!“

„Bist du in Ordnung?“, informierte er sich, ihre Worte übergehend.

„Danke, sehr in Ordnung“, behauptete sie und erhob sich ächzend, „Das wird schon wieder. Sind doch nur Kratzer. Kein Problem für mich.“ Sie machte einen Schritt, stieß einen Schmerzenslaut aus und ging erneut zu Boden, „Nur ein Kratzer“, beharrte sie weiterhin.

Link hielt ihr seine linke Hand hin, während er mit der rechten Epona bedeutete, dass sie herkommen sollte.

Das loyale Tier gehorchte sofort und schritt auf ihn zu.

Vor dem Mädchen blieb es stehen.

„Das ist aber ein schönes Pferd“, kommentierte das Mädchen und hörte sich dabei nett und freundlich an, „Hat es einen Namen?“

„Epona heißt sie. Wie heißt du?“, nutzte Link die Gelegenheit für eine Vorstellung.

„Terra“, antwortete sie.

„Ich bin Link. Weißt du, weshalb dich diese Monster angegriffen haben?“

„Seit einigen Tagen geht die Warnung herum, dass sich die Viecher wieder auf Menschen stürzen, aber …“, sie unterbrach sich und stand erneut jauchzend auf. Diesmal blieb sie hart und machte einen Schritt auf sein Pferd zu, welches sie dann sachte streichelte, „… keiner glaubt es den Zurückgekehrten. Denn niemand möchte es wahrhaben. So habe ich es auch für eine Lüge gehalten. Jetzt nicht mehr. Sie greifen einfach aus Lust und Laune an. Wie früher.“

Er nickte. „Danke, das habe ich mir gedacht.“

Sie sah ihn kurz an, konzentrierte sich dann aber wieder auf das Pferd und fragte ihn leise: „Bist du unterwegs nach Hyrule-Stadt? Dann sage es den Leuten bitte. Sag ihnen, dass Terra von den Monstern getötet worden ist und dass sie sich in Acht nehmen sollen.“

Er dachte, er habe sich verhört. Doch ihre Worte hatte unweigerlich vernommen, wie sie waren. „Und … warum?“

Nun schaute sie ihn direkt an. „Ich gehe nicht mehr dorthin zurück. Und es ist für alle, die mich kennen, besser, wenn sie denken, ich sei tot. Also – sag es ihnen, wenn du in die Stadt kommst! Das ist ein Befehl.“

„Warum glaubt, mir Befehle erteilen zu können?“, informierte er sich sachlich.

„Weil es einfach so ist. Und ich werde mir dein Pferd ausleihen“, bestand sie darauf. Um es zu verdeutlichen, wie ernst sie es meinte, hob sie sich auf Eponas Rücken, welche sofort scheute.

Doch das Mädchen hielt sich gut fest.

Link hob seinen Arm, um Eponas Hals zu streicheln, welche sich danach beruhigte.

„Runter von meinem Pferd“, bat Link – leicht unhöflich.

„Nein. Ich leihe es mir ja nur aus. Es kommt heil zurück. Du hast doch gesehen, dass Cavallya entkommen ist. Wie soll ich denn sonst zum Mariner Hafen kommen?“

„Du willst aus dem REICH raus?“, informierte sich Link verdutzt. Er war schon weiter gekommen als viele andere jemals – aber er selbst hatte die Grenzen noch nie überschritten. Und auch keinen getroffen, der es getan hatte – Kumula und Midnas Heimat waren Ausnahmen.

„Natürlich. Hier ist kein Meer weit und breit. Und auf Seen kann man kein Kapitän werden und die Welt erkunden. Denn Seen sind nicht frei.“

Die Sonne kam schon leicht zum Vorschein, als er plötzlich etwas hinter sich spürte.

Er wandte sich um und sah einen Schatten, den er für den eines Baumes hätte halten können, wenn er es nicht besser gewusst hätte.

Shan hatte die Schattenform angenommen – das Mädchen ihm gegenüber würde sie – solange sie sich ruhig verhielt – für einen einfachen Schatten halten.

Doch es kam eine Frage in ihm auf: Was wollte sie?

Sie sagte nichts, was Link vermuten ließ, dass er das Mädchen erst ablenken sollte, um Shans Rat anzuhören.

„Nun, Terra, du möchtest also zum Hafen? In welche Richtung ginge das denn?“

Das Mädchen murmelte Unverständliches und zeigte dann in eine Richtung, wobei sie sich etwas abwandte – jedoch nicht weit genug.

Die Bergkette hinter ihr kam ihm gelegen. „Und an welchen Bergen kommst du da vorbei?“, fragte er.

Bevor sie anfing, ihm die Namen der Giganten aufzulisten, unterbrach er sie: „Kannst du auch auf betreffenden Berg zeigen und eventuell irgendwelche Besonderheiten daran erläutern, die du mir dann zeigst?“

Sie stieß ein gefährliches Knurren aus. „Dafür bekomme ich dein Pferd?“

„Deine Chancen darauf steigen an“, antwortete er leise. Es war eine Lüge. Er mochte es nicht zu lügen. Aber … wie sollte er sie sonst ablenken?

„Biete ihr an, ihr Geleitschutz zu sein“, ertönte ein leises Zischen von Shans Schatten, das lediglich für ihn hörbar war, da er so nah bei ihr stand.

„Was?“, gab er erstaunt zurück.

Terra schien sich angesprochen zu fühlen. „Die Schneeberge“, wiederholte sie ungeduldig und wütend, „haben die Besonderheit, dass dort ewig Schnee liegt!“

„Du kommst damit aus Hyrule raus und hast mehr Freiraum, um nach Ganondorf zu suchen – und dabei hilfst du ihr“, erläuterte Shan, „Tu es!“, fügte sie drängend hinzu, bevor sie sich wieder in seinen Schatten zurückzog und somit vollkommen unsichtbar wurde.

„Und das dort ist …“

„Danke, das war genug“, meinte Link beschwichtigend, „Durch deine sehr gute Naturkenntnis, habe ich mir gedacht, dass du Epona bekommst. Aber – ich möchte mein Pferd nicht bei einer Wildfremden lassen.“

Sie runzelte die Stirn. „Du willst mitkommen?“, schloss sie daraus, „Du?“

Er nickte sicher.

Er wusste nicht, weshalb er Shans Ratschlag überhaupt befolgte. Er wollte zuerst Hyrule absuchen. Aber … sie hatte Recht. So kam er früher nach draußen. Vielleicht erfuhr er dort etwas über Ganondorfs Erweckung. Und er konnte Terra dadurch helfen.

Ja, es war vermutlich die richtige Entscheidung.

Das Mädchen verschränkte ihr Arme und sah ihn nachdenklich, abschätzend und unsicher an.

Dann aber nickte sie.

„Du bist rekrutiert, Junge“, meldete sie und erläuterte: „Du kannst gut kämpfen. Ich bin hier der Navigator und Befehlshaber und du bist meine Schwerthand, verstanden?“

Es gefiel ihm zwar nicht, aber er bejahte doch. Sie wusste vermutlich besser, wo das Meer lag und er hätte sowieso gekämpft. Es blieb sich also gleich.

„Hallo? Bist du etwa so überrascht darüber oder was ist los?“, hakte sie schlecht gelaunt nach, „Willst du oder nicht?“

„Meinetwegen“, entgegnete er und machte sich dazu bereit, auf Epona zu steigen.

Doch Terra hielt ihn mit ihrem Fuß zurück.

„Ich bin der Chef. Ich muss höher sein als meine Untertanen“, erklärte sie und fügte grinsend hinzu, „Du gehst zu Fuß.“
 

Nach einer langen Diskussion hatte Link es geschafft, Terra davon zu überzeugen, dass beide am Pferd Platz hatten und so ritten sie zusammen.

Shan blieb im Schatten.

Er wusste nicht, ob sie sich Terra zeigen würde. Aber im Moment war die Sonne wohl ihr größeres Problem.

„Warum möchtest du nach Marine?“, wollte Link nach einer Weile wissen.

„Um die Welt zu umsegeln“, antwortete sie ihm unfreundlich, „Das habe ich doch schon gesagt.“

Er nickte, um zu zeigen, dass er es zur Kenntnis genommen hatte und ließ wieder Schweigen eintreten.

Nach einer Weile jedoch eröffnete Terra das Gespräch erneut. „Warum wolltest du mich plötzlich begleiten?“, fragte sie herausfordernd, „Ich glaube dir nicht, dass du die Berge nicht kanntest und nur aufgrund meines allumfassenden Wissens, meine Begleitung sein möchtest!“

„Na ja, ich habe außerhalb der Grenzen auch etwas zu tun.“

„Ach ja? Was denn? Ich möchte nämlich nicht, dass mein Weg wegen deinen Arbeiten verzögert wird. Ich warte schließlich schon lange genug!“

Bevor er zu einer Antwort kam, vernahm er gefährliches Flügelschlagen.

Ein Blick nach oben verriet ihm, dass ein Dämonenvogelschwarm über flog und sich zu einem Kampf formatierte.

„Geh mit Epona in Deckung“, riet er ihr, wobei er die Vögel nie aus den Augen ließ.

Seinen Bogen ziehend, zielte er auf ein größeres Exemplar und erschoss es mit dem ersten Pfeil.

Da bemerkte er, dass sein Bogenvorrat erschöpft war – weshalb auch immer.

Aber eine Distanzattacke hätte ihm nichts mehr genutzt.

Die Vögel vernahmen den Tod ihres Kameraden und stürzten sich mit einer höllischen Geschwindigkeit auf Link, der erst seinen Bumerang warf und danach mit dem Schwert eine Angriffshaltung einnahm.

Die Reihe von Frontalangreifern wurde durch das Wurfgeschoss erledigt, während er einen Vogel nach dem anderen köpfte und anderweitig tötete.

Sein Schwert leistete gute Arbeit.

Der Schild in der einen, das Schwert in der anderen Hand haltend, teilte er Hiebe aus, steckte aber kaum etwas ein.

Dämonen waren standhaft. Sie kämpften bis zum letzten Geschöpf.

Als er die Flügel des verbleibenden Monsters abtrennte, sah er zu Terra zurück und bemerkte, dass alle sicher waren.

Er lächelte sie an.

Sie starrte kalt zurück und sagte barsch: „Steig auf! Ich sagte doch, dass ich keine Verzögerungen durch deine Arbeit möchte!“

Schmunzelnd ging er langsam zu ihr zurück und stieg auf.

Er ließ Epona voranpreschen, wobei er darauf achtete, dass weder er noch sie abfielen.
 

Wir verstanden uns gut. Vorzüglich sogar.

Manches erzählten wir uns, anderes verschwiegen wir.

Ist es denn nicht überall so?

Hat nicht jeder seine Geheimnisse?

Verschwunden

Eine besondere Berechtigung fand mein Neid vielleicht, wenn man bedachte, dass es mehr nicht für mich zu besitzen gab.

Nur für sie.

Sie allein bekam immer alles.

Und was bekam ich?
 


 

„Link?“, ertönte eine ruhige, kaum hörbare Stimme neben ihm, „Bist du wach?“

Er sah zum Sprecher, der ihn sanft aufweckte, indem er kurz seine Schulter berührte.

„Shan“, stellte er ebenso still fest, „Verbirgst du dich vor ihr?“, wollte er mit einem kaum merkbaren Kopfnicken Richtung Terra, die noch schlief, erfahren.

Zur Antwort erhielt er ein entschlossenes Nicken. „Unsere Existenz soll weiterhin kaschiert vom einfachen Volk bleiben. Stell dir vor, die Bösen unter euch würden erfahren, dass es noch Wesen gibt, die Magie nutzen. Die Weltordnung wäre in noch größerer Gefahr.“

Er verstand sie. Sie hatte wahrscheinlich Recht, wobei er nicht glaubte, dass sich Terra viel daraus machen würde. Nicht, dass er sie nach einem Tag des Reitens bereits sehr gut einschätzen hätte können … aber er vermutete es. Für sie schien es nur die See zu geben, die es anzustreben wert war.

„Wo sind wir gerade?“, informierte sich Shan, während sie sich neben ihm niederließ und ebenfalls gegen den Baum lehnte, an dem er bis eben gedöst hatte. Sie sah in den klaren Nachthimmel. In wenigen Tagen würde strahlender Vollmond sein.

„An den Außengrenzen des Reichs. Durch Terras Hetzerei sind wir schneller unterwegs, als es eigentlich möglich sein sollte.“

Das Mondlicht zeichnete auf Shans Gesicht ein amüsiertes Lächeln ab. „Wir sind wirklich schon weit“, stimmte sie ihm zu, „Aber unser Weg ist mit ihrem Ziel noch nicht beendet.“

Nun sah er ebenso in den sternenklaren Horizont, der sich weit über sie erstreckte. Irgendwo dort oben warteten die Göttinnen und sahen auf sie herab. Vermutlich war ihnen längst bekannt, wo Ganondorf sich aufhielt und wer den unangenehmen Versuch unternahm, ihn wiederzuerwecken.

Doch sie schritten nicht ein.

Triforceträger waren dafür zuständig.

Das Problem war, dass mindestens einer von denen auf der falschen Seite stand.

Und genau dank diesem hatten sie nun ein Problem.

Er hoffte wirklich, dass der dritte von ihnen Link wohl gesonnen war.

„Du bist bestimmt sehr müde“, läutete Shan ihre Verabschiedung ein, „Ich lasse dich besser schlafen. Vielleicht sehen wir uns morgen. Gute Nacht.“

Er hätte nicht einmal die Zeit dazu gehabt, sie aufzuhalten. Sie verschwand einfach im Schatten.

„Gute Nacht“, flüsterte er zurück.

Doch er konnte lange nicht mehr einschlafen, da seine Gedanken um das Triforce, seine Reise und die seltsamen Gedankengänge der Göttinnen kreisten.
 


 

Er irrte sich nie in uns.

Denn er wusste, wer wir waren.

Er … dass es genau ihn traf …
 


 

Schmerzen in seiner Seite rissen ihn aus dem Schlaf. Die erste Bewegung führte ihn zu seinem Schwert. Doch als er bemerkte, dass keine Gefahr vorhanden war, streckte er sich.

„Auch endlich wach?“, fauchte Terra, die wieder fest auf beiden Beinen stand, forsch, „Muss ich dich jetzt immer wach treten? Die Pause habe ich dir nur Epona wegen gegönnt! Eigentlich solltest du die ganze Nacht über Wache schieben und – dementsprechend – wach bleiben!“

„Wieso bist du eigentlich so schlecht gelaunt?“, entgegnete er, ohne auf ihre Befehle einzugehen, „Der Morgen lacht, die Sonne scheint und die Blumen blühen … ein süßes Mädchen wie du könnte leicht fröhlich lachen.“

Mit dieser Antwort schien sie nicht gerechnet zu haben, womit Link sein Ziel erreichte.

Terra schwieg und starrte ihn lediglich sehr überrascht an.

Doch sie fing sich bald wieder und verschränkte in einer Mischung aus Scham und Wut die Arme vor der Brust und sah finster auf ihn herab. „Du Kielratte“, murmelte sie, „Was glaubst du eigentlich wer du bist?“

Sie zückte ein Fernrohr und schlug Link damit auf den Kopf.

Es tat ihm kaum weh, was wohl bedeutete, dass sie nicht beabsichtigte, ihn zu verletzen. Zumindest nicht ernsthaft.

Danach wurde auf ihren Lippen ein Lächeln sichtbar – erst freundlich, dann amüsiert, danach belustigt … und schlussendlich verzerrte es sich zu einem grausamen Grinsen.

„Du darfst neben mir und Epona herlaufen! Als Strafe für deine Unverschämtheit.“

Sofort erhob er sich.

„Epona ist mein Pferd. Und ich kann euch besser beschützen …“

Er wurde harsch unterbrochen. „… wenn ich schlafe“, beendete sie seinen Satz, wobei der Spott kaum zu überhören war. Danach hallte ihr Lachen wider und sie stieg auf die Stute, „Aber … es gibt natürlich eine Möglichkeit, es wieder gut zu machen. Laufe zum nächsten Wald, sammle Essen und hole Wasser – danach lasse ich dich vielleicht wieder aufsetzen.“

„Wieso bist du so herrisch?“, murmelte Link, in der Hoffnung, dass sie es nicht hörte. Und seine Hoffnung wurde wahr.

Laut antwortete er: „Wenn wir uns die Arbeit teilen, wären wir schneller. Dann kämst du eher nach Marine.“

Sie sah ihn verdutzt an. Dann begann sie nachzugrübeln.

Schlussendlich strich sie sich eine Strähne des langen, braunen Haares aus dem nachdenklichen Gesicht und stimmte zu. „Gut … Aber … ich lasse mir eine andere Strafe für dich einfallen. Eine, die dir jegliche freche Bemerkung verdirbt!“
 


 

„Link!“, rief er, „Link!“

Keine Antwort. Eigentlich antwortete er immer, wenn man nach ihm rief. Wie ein Hund. Vor allem so früh morgens. Als Bauer musste man früh raus.

„Link!“, probierte Taro es zum letzten Mal.

Dann blieb er vor dem Haus des Mannes stehen und sah nach oben.

Niemand kam.

Ob Link schon trainierte?

Plötzlich vernahm er hinter sich eine Bewegung.

Sofort schnellte er herum, realisierte dann aber lediglich Colin, der gedankenverloren an ihm vorbei schlich.

„Hey, Held“, sprach Taro diesen an.

Der Junge zuckte zusammen und sah dann kurz erschrocken zu ihm. Ein Lächeln trat im Nachhinein auf seine Lippen. „Guten Morgen, Taro. Suchst du auch nach Link?“

„Ja, wo hat sich dein Meister denn schon wieder herumgetrieben?“

„Ist er nicht da?“, wunderte sich Colin, „Ich habe bemerkt, dass Phard noch nicht bei der Weide ist. Die Ziegen sind also noch drinnen … Darum dachte ich, Link sei noch hier. Eigentlich wollte ich ihn mit einem Überraschungsangriff auf die Probe stellen.“

Taro lachte schallend. „Als würde Link da hineinfallen.“

Colin sah kurz finster drein, dann wandte er sich ab, sagte aber nichts mehr.

Darüber lächelte Taro.

„Vielleicht ist er ja bei Betty“, brachte Colin dann ein.

Das war wieder ein Schlag gegen Taro. „Wieso sollte er denn bei der sein?“, konterte er.

Colin zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hilft er ja im Laden aus. Bettys Mutter wird ja auch langsam alt …“

Sie waren Konkurrenten. Er und Link konkurrierten in der Liebe um Betty! Jeder wusste, dass Betty Link charmant und anziehend fand. Aber Link blockte. Taro jedoch war an Betty interessiert, die ihn allerdings weitgehend ignorierte.

Colin war immer auf Links Seite, Taro mochte Link nicht, war also auch gegen Colin.

Es war ein verzwicktes Verhältnis, doch er behielt den Überblick.

Taro reagierte auf Colins Stichelei nicht.

„Was willst du eigentlich um diese Zeit von Link?“, fragte der andere Junge und warf ihm einen freundlichen – vermutlich nur gespielt – Blick zu.

„Was soll ich von dem denn wollen?“, wehrte Taro ab und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf, „Link hätte eigentlich nur mein Schwert schleifen sollen – sonst nichts.“

„Oh, soll ich das für dich machen?“

Nun lachte Taro erneut. „Bitte? Dich an mein Schwert lassen? Bist du auf den Kopf gefallen oder so etwas? Hüte lieber das Baby! Dazu bist du besser geschaffen, Versager.“

Nach dieser Aussage schlenderte Taro lässig davon und ließ den verdutzten Colin zurück. Vermutlich würde dieser in Links Haus laufen, um dort nach diesem zu suchen. Tja.

Aber Taro hatte Geduld. Er war ein Krieger. Er konnte auf Link warten, sodass dieser ihm endlich dieses blöde Schwert schliff.

Moe hätte dazu sowieso keine Zeit. Und Colin käme dann bestimmt wieder zu diesem und heulte. Dazu hatte Taro keine Lust. Link war sowieso die bessere Wahl.

Mit dem Schwert, das von einer Berühmtheit geschliffen worden war, kam man bestimmt besser bei Betty an, als mit dem Schwert, das vom Bürgermeister bearbeitet worden war.

„Link ist fort!“, ertönte plötzlich ein verzweifelter Schrei von Colin hinter ihm, „Hier!“

Taro drehte sich um und sah den Jungen mit einem Zettel winken. „Und? Der Kerl ist erwachsen! Ich glaube, auf den muss man nicht aufpassen.“

„Aber …“, Colin, der aus der die Tür hinter sich schloss, sprang zu Taro hinunter und zeigte ihm das Schriftstück, „… wir müssen es jemandem sagen! Ohne Link läuft alles aus der Ordnung!“

Wut stieg in Taro auf.

„Hör mal! Link ist mir egal! Das Dorf kommt auch ohne ihn klar! Link ist nicht so wichtig! Nur weil er berühmt ist, ist er kein besserer Mensch!“

„Das habe ich ja nicht gesagt. Aber … er hilft doch jedem. Und er ist für alle da. Er hat dir dein Schwert gegeben, mir Unterricht und Betty hat er sogar ein Ziel gegeben! Maro hat doch auch etwas bekommen … Was, wenn Hyrule Unheil droht? Es muss doch wichtig sein! Ansonsten hätte er sich persönlich verabschiedet.“

Taro dachte kurz nach. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Schau schnell nach Lin! Vielleicht ist wieder jemand gekommen, der die Kinder entführt! Dann ist es diesmal MEINE Chance!“

„Hätten wir das nicht bemerkt?“, konterte Colin.

„Ach! Soll Link doch gehen, wohin er möchte! Ich hasse ihn! Hoffentlich stirbt er!“

Der gleichaltrige Junge riss die Augen ungläubig auf. „Taro …“, murmelte er entgeistert.

Er jedoch begab sich erst aufstampfend davon.

Doch er wurde immer schneller.

Bevor er sich versah, lief er von Colin weg.

„Immer dieser Link!“, zischte er aufgebracht, „Immer wieder dieser …“

Als er irgendwo dagegen lief, blieb er fluchend stehen.

Er schritt zurück und nuschelte: „Pass gefälligst auf …“

„Hallo, mein Kleiner“, antwortete die Gestalt, „Suchst du etwas Bestimmtes?“

Die Hand der Gestalt berührte seine Stirn.

„Hey, was …“

Er trat weiter zurück.

Plötzlich ereilte ihn ein Schwindelanfall.

Und danach fühlte er sich gut. Sehr gut … Glücklich … Sorglos …

Was tat er hier überhaupt …?
 


 

Eine weitere Schar von Monstern griffen nach einer Weile wieder an. Mit lediglich zwei Kratzern kam Link leicht davon und zerschlug die kleine Gruppe grüner Wichte.

„Es sind dieselben wie damals“, murmelte er vor sich.

„Damals?“, echote sein gewähltes Wort hinter ihm.

Er schreckte auf.

Terra hatte sich hinter ihn geschlichen und kicherte jetzt vergnügt. „Habe ich dich erschreckt?“

Er verdrehte kurz die Augen, antwortete aber nicht weiter auf ihre Frage.

Die Monster wurden hier draußen weniger. In Hyrule-Feld waren es mehr. Es konnte an vielen verschiedenen Dingen liegen, doch sein Gefühl sagte ihm, dass es etwas mit Ganondorfs Aufenthaltsort zu tun hatte, wie viele Monster sich wo aufhielten. Natürlich hätte es auch geographischer Natur sein können, dass auf flachem Land mehrere Dämonen hausten, als im Gebirge, doch …

„Steig endlich auf“, befahl sie, „Wir müssen weiter. Wenn wir morgen Nacht und in Eiltempo durchreiten, dann können wir in zwei Tagen Marine erreichen!“

„Durchreiten?“, wiederholte er und sah sie erstaunt an, „Das kannst du Epona wirklich nicht antun. Sie ist sehr stark, aber sie hat auch ihre Grenzen. Sie durchlebt sowieso die doppelte Anstrengung, weil sie zwei Reiter auf sich tragen muss.“

„Dann gehst du eben zu Fuß. Ich will in zwei Tagen Marine erreicht haben! Das wäre nämlich perfekt.“

„Und warum können es nicht drei oder vier Tage sein?“

„Weil in zwei Tagen mein Schiff ausläuft. In zwei Tagen ist nämlich Vollmond.“

Er antwortete nicht darauf, sondern sah sie nur fragend an.

„Es existiert ein Märchen, das besagt, dass derjenige, der bei Vollmond mit seinem Schiff den Hafen verlässt, unendliches Glück hat. Und ich will eben Glück haben!“

„Kann dein Schiff nicht einfach warten? Glück hin oder her – mit Glück alleine backt man keinen Kuchen.“

„Sie wissen noch nicht, dass ich komme. Es soll eine Überraschung werden“, entgegnete sie – und wirkte dabei gekränkt. Über die Glücksbemerkung verlor sie kein Wort mehr.

Link seufzte.

„Na gut“, stimmte er zu, „Ich werde zu Fuß gehen.“

Das Erstaunen war ihr deutlich anzusehen, doch dann lächelte sie. Sie lächelte ehrlich und von ganzem Herzen. „Wirklich? Danke, Link! Das ist das netteste, was je eine Person für mich getan hat!“
 


 

Wir ignorierten uns eigentlich.

Auch, wenn er mich kannte.

Er war seltsam.

Wahnsinnig.
 


 

Schwer atmend ließ er sich fallen.

Terra war bereits eingeschlafen, als sich Link erschöpft gegen einen Baum lehnte.

Das Feuer knisterte fröhlich und strahlte Wärme aus.

Er hoffte, dass keine Monster durch dieses Licht angelockt wurden.

„Sie zieht ziemlich an“, ertönte Shans leise Stimme neben ihm. Wieder lehnte sie am selben Baum wie er. „Es ist ihr besonders wichtig, rechtzeitig anzukommen … Wieso sie wohl nicht schon früher aufgebrochen ist?“

„Soll ich sie für dich fragen?“, bot Link lächelnd an.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, schon gut. Ich fände es nur besser, wenn du hier nach Ganondorf suchen könntest. Aber mir erscheinst du zu erschöpft. Das müssen wir dann wohl am Rückweg erledigen.“

„Aber dort sollten wir ebenso zügig unterwegs sein“, wandte er ein, „Auch wenn es hoffentlich nicht so schnell geht wie bei Terra – Ganondorf wird bald erwachen. Die Monster sind ein Beweis dafür.“

Sie nickte. „Hier triffst du aber aufgrund der Berge auf weniger. Sie sind einer Umgebung angepasst. Bergmonster dürften die seltensten sein, wobei Wälder diese Kalkulation wieder unnutzbar machen.“

Er legte seinen Kopf auf die angezogenen Knie, da er es für möglich hielt, dass dieser ihm noch abfiel, wenn er nicht gestützt wurde. „Also liegt es doch nicht am Ort des Erwachens“, stellte Link müde fest, „Wäre auch zu schön gewesen.“

Shans durchdringender Blick lag auf ihm.

Kurz schaute er zu ihr auf.

Sie sah zurück in den Himmel. „Der Mond ist wunderschön. Und die Sterne auch. Dann kann die Sonne nicht so schrecklich sein …“

„Nicht alles, was glänzt, ist Gold“, entgegnete Link mit einer alten Weisheit, „Sei lieber vorsichtig.“

Sie strich sich durchs rötliche Haar, das nicht von einer Kapuze verdeckt wurde, dafür aber der Tanzplatz für das Feuer war. „Irgendwann werde ich in die Sonne gehen“, nahm sie sich vor, „Und dann können wir gemeinsam reisen.“

„Irgendwann schaffst du das“, stimmte er ihr zu, „Ich bin mir sicher.“

Sie lächelte ihn freundlich an. Dann stand sie auf. „Ich habe den ganzen Tag nichts zu tun. Ich werde mich nützlich machen“, verkündete sie, „Verlasse dich ruhig auf mich – ich suche hier in der Umgebung nach Ganondorfs Unterschlupf.“

Nun lag es an ihm, dankbar zu lächeln. „Das ist sehr beruhigend. Wenn du etwas Verdächtiges findest, weck mich sofort“, bat er sie.

Sie verschränkte die Arme am Rücken und ging davon.

„Gute Nacht“, wünschte er ihr.

Doch er erhielt keine Antwort mehr.
 


 

Terra erwachte, als sie ein unangebrachtes Geräusch vernahm. Plötzlich ertönten Stimmen.

Eine davon war Links.

Sie öffnete ein Auge und wurde sofort vom Feuer geblendet, neben welchem sie unvorsichtig eingeschlafen war.

Nein … als sie sich zur Ruhe legte, war kein Feuer da.

Link hatte es alleine für sie gemacht! Dass es sie wärmte …

Vielleicht hatte sie ja gezittert und er sorgte sich?

„Ganondorf wird bald erwachen“, vernahm sie Links besorgte Stimme.

Sie unterdrückte ein leises Aufkeuchen. Sie hoffte, sich verhört zu haben.

Ganondorf.

Das einzige Ereignis, das nicht mit dem Meer zusammenhing, das Terra interessierte, war jener ungeheuerliche Mann, der vom mutigen Helden zurückgedrängt worden war, sodass Hyrule nun wieder friedlich leben konnte.

Weshalb sollte er wieder erwachen?

Alle hatten ihr versichert, dass er tot war!

Und mit wem sprach Link überhaupt?

Als sich ihre Augen wieder einigermaßen erholt hatten, konnte sie neben Link jemanden sehen. Die Person – wahrscheinlich eine Frau – saß neben ihm.

Was machte die da?

Wieso war eine Frau bei Link? Wo kam sie her? Verfolgte sie sie?

Das Gespräch der beiden wechselte das Thema.

Der Himmel war sehr interessant für die Fremde – aber auch für Terra. Denn der Himmelkörper Mond beeinflusste Ebbe und Flut. Und für jemanden, der am Meer lebte, war es sehr wichtig, sich damit auszukennen. Auch wenn es für sie noch nicht so weit war, dass sie am Meer lebte …

Sie hatte sehr viel Zeit in ihrem Leben darauf verwendet, des Wissens über den Mond mächtig zu werden. Nun hielt sie sich für eine Art Expertin.

Die Frau stand auf.

Link legte sich dann wohl wieder schlafen.

Er hatte mit dieser Entscheidung auch völlig Recht. Sie hatte ihn heute sehr gefordert. Ihn und Epona. Aber sie mussten es eben schnellstmöglich schaffen. Und Link hatte sich ihr freiwillig angeschlossen.

Irgendwie tat er ihr schon leid …

Was wohl sein Auftrag war, wegen dem er sich entschied, bei ihr zu bleiben?

Sie schreckte auf und schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.

Wie konnte sie nur so blöd sein!?

Unverhofft nahm sie eine Bewegung in den Büschen wahr. Ein leises, unscheinbares Rascheln.

Doch ihre von der Nacht geschärften Sinne vernahmen es. Es hätte der Wind sein können, hätte er geweht. Doch es war windstill. Nicht der kleinste Hauch streifte diese Lichtung.

Sie musste jemanden erschreckt haben, der sich dann schnell versteckt hatte.

Vielleicht die Verfolgerin?

Terra starrte in die Richtung des Geräusches.

Doch nichts regte sich mehr.

Sie blieb aufrecht sitzen.

Links Auftrag war es, Ganondorfs Rückkehr aufzuhalten! Sie hatte es hier nicht mit einem Link zu tun – sondern mit DEM Link. Dem Helden!

Sie scheuchte eine Legende herum, als wäre sie eine lästige Ratte!

Sofort fühlte sie sich schlecht.

Aber sie konnte doch ihre Maske nicht einfach fallen lassen.

Sie war der Kapitän und musste das Schiff schaukeln.

Auch wenn Wellen kamen, die sie nicht vorhersehen konnte – sie musste das Schicksal bestimmen.

Sollte sie sich nun dafür entscheiden, die Welt zu retten, indem sie Link ziehen ließ … oder sollte sie ihre eigene Welt retten, indem sie ihn behielt?

Sie legte sich zurück.

Von der Frau, die bei Link war, ging keine Gefahr aus. Und wenn es doch nicht sie war … konnte es auch ein Tier sein. Sie war hier sicher. Niemand kam an sie heran.

Schließlich war Link ein Held.

„Gute Nacht“, murmelte sie – mehr zu sich, als zu sonst jemanden.

„Gute Nacht“, ertönte eine Antwort aus Links Mund.

Sie erschreckte.

… Er war also doch wach …

Sie lächelte.

Link … eine besondere Person.
 


 

Sich der Welt zu widersetzen konnte tödlich enden.

Ja, es war schauderhaft. Ungemein.

Man musste es nehmen, wie es war.

Und es war nun so: Ich war ein Spiegel im Schatten des sich Spiegelnden.

Unwirklich. Unreal.

Verloren

Wenn jemand einem Wunsch hinterherläuft … und ihn einfach nicht einholt …

… kann man es dann verzeihen, wenn man eine Abkürzung nimmt?

Ist es dann denn verständlich?

Versteht es jemand, der nicht dasselbe Leid durchmacht?

Der so etwas verwerflich findet?
 

Terra erwachte gähnend und stand sofort auf.

Das Feuer war erloschen. Lediglich Asche war übrig, die sich grau über die Feuerstelle gelegt hatte und dort wohl nicht mehr wegwollte.

Ihr nächster Blick galt Link, der an einen Baum gelehnt schlief. Diesmal wirklich. Er atmete ruhig, seine Augen waren geschlossen und er wirkte friedlich. Nicht heldenhaft.

Sie erinnerte sich an die letzte Nacht.

Ob es wohl nicht doch eher ein Traum gewesen war? Das konnte doch unmöglich der Held sein … Schließlich sollte man einen Helden doch an seinem starken, mutigen Äußeren erkennen. Aber Link wirkte … wie ein Hobbyschwertkämpfer, der gerne Schafe hütete und irgendwelchen unbedeuteten Leuten half. Sein Ziel war es wohl, seine Freunde vor Unheil zu bewahren und ein ruhiges Leben zu leben. Er hasste Kriminelle und wollte Weltfrieden.

Wenn Terra jetzt genau darüber nachdachte, waren einige dieser Eigenschaften wohl eines Helden würdig … doch sie gereichten wohl kaum, aus einem Mann einen Helden zu machen.

Das wäre lächerlich.

Sie strich sich durchs Haar und bemerkte, dass es gar nicht durcheinander, dreckig oder sonstig zerstört war.

Das freute sie selbstverständlich. Schließlich wollte nicht jeder die ganze Zeit mit seinen Haaren verschwenden.

Aber sie konnte auch nicht den Rest ihres Lebens über Links Heldentum oder Hyrules Zukunft nachdenken. Sie musste an ihre eigene denken.

Die Zeit lief davon!

Heute Nacht mussten sie durchreiten. Also sollte sie Link Schlaf gewähren, während sie selbst Frühstück und Epona vorbereitete. Sobald er aufwachte, würde sie ihm etwas Zeit zum Essen schenken und danach mussten sie aufbrechen und das arme Pferd antreiben.

Sie sah zu der Stute, die in der Nähe ihres Besitzers erschöpft zu Boden gegangen war. Ihr tat das Tier sehr leid. Doch sie konnte nichts dafür. Cavallya war fort. Ihr Großvater würde ihr das kaum verzeihen …

Aber der dachte womöglich schon, dass sie gestorben war.

Mit einem Blick in den Himmel erkannte Terra, dass der Sonnenaufgang erst im Gange war. Es war demnach sehr früh. Also spät genug!

Sie nahm ihre Tasche, die sie neben sich gelegt hatte, und marschierte durch den Wald. Sie hoffte, dass die Ungeheuer ebenfalls Schlaf benötigten. Denn wenn es anders war, hatte sie Pech.

„Oh ja, Pech“, murmelte sie vor sich hin und sah sich um. In ihrer Kindheit war es ein Privileg ihrerseits, dass sie mit ihrer Mutter in den Wald nach Pilzen, Beeren und Kräutern Ausschau gehalten hatte und diese dann mitnahm und in köstlichen Mahlzeiten als Beilage oder Füllung wieder gefunden hatte. Ihre Mutter war eine begnadete Köchin.

Leider würde sie sie nie wieder sehen.

Ein Strauch mit blutroten Beeren, die sie als sehr nahrhaft wieder erkannte, lenkte sie von ihrer Mutter ab. Sie ging näher heran, um alle Merkmale zu überprüfen, die ihre Mutter sie gelehrt hatte, sodass sie keine giftigen nahm und damit alle gefährdete.

Diese Lehrstunden waren immer sehr interessant für sie. Denn schon in ihrer Kindheit hatte sie damit gerechnet, irgendwann das Meer zu sehen. Und sie wusste damals schon, wie weit es entfernt war. Also war es sehr wichtig für sie, die richtigen Nahrungsmittel zu finden.

Terra lächelte, als sich herausstellte, dass es wirklich jene Beeren waren. Hoffentlich behagten sie Link.

Sie pflückte viele von ihnen und legte sie in ein Tuch, das sie aus ihrer Tasche gezogen hatte. Vorsichtig. Sanft.

Diese Beeren waren sehr empfindlichen und neigten dazu, zu zerplatzen, wenn man mit ihnen zu hart umging. Das war ihr als Kind eine Lehre, die sie nie zu vergessen pflegte.

Sie kicherte leise.

Das Leben als kleines Mädchen war viel einfacher gewesen als es jetzt war.

Das Tuch lag am Boden ausgebreitet und füllte sich langsam. Es waren viele Beeren dort.

Allerdings scheute sie davon zurück, die Hälfte oder gar alle der Beeren zu nehmen. Ihre Mutter hatte ihr immer wieder klargemacht, dass sie nicht die einzigen Leute waren, die diese Beeren aßen. Deshalb gab es ein ungeschriebenes Gesetz der Beerenpflücker: „Nimm nie alle Beeren, die du findest! Irgendwann wirst du es bereuen.“

Sie hatte schon oft darüber nachgedacht, was genau diese Warnung bedeutete. Allerdings war sie nie zu einem guten Ergebnis gekommen, weshalb sie es auch sein ließ, zu viel Zeit mit solchen Gedanken zu verschwenden.

Die See war ihr größtes Ziel. Und die Beeren waren nur eine Hilfe, dieses Ziel zu erreichen.

Als das Tuch ausreichend voll war, ging sie weiter, um andere Beeren und Kräuter zu finden.

Die meisten würde sie aufbehalten, um Link am Tag ihres Abschieds ein Dankesmahl zubereiten zu können. Ihr schwebte schon ein bestimmtes Gericht vor.

Sie lächelte erfreut. Er würde der Erste sein, der ihre Qualitäten als Köchin ausprobieren durfte!

Als sie sich vom Busch entfernte, dachte sie daran, dass sich zu den blutroten Beeren die nachtschwarzen als Geschmacksverstärker eigneten. Allerdings bevorzugten diese zum Wachsen kalte Gebiete. Und hier war es wohl warm, sobald die Sonne schien. Noch war es zu früh. Schließlich war es hier windstill.

Ein kurzer Schmerz am Arm ließ sie zusammenzucken. Dann bemerkte sie, dass ein Insekt dort hockte und sich an ihrem Blut labte.

Sie legte das Tuch mit den Beeren sanft zu Boden und schlug auf das Insekt. Leider flog es davon, kurz bevor sie es getroffen hätte.

Sie zischte ihm einen alten Seemannsfluch hinterher.

Dann transportierte sie die Nahrung weiter – und erstarrte.

Ein paar Fuß weiter erkannte sie einen Busch mit nachtschwarzen Beeren darauf.

„Das …“, murmelte sie, „Das ist …“

Sie schmiss alle Zweifel beiseite und gestand sich ihren Irrtum ein. „Link, du darfst dich auf ein Festmahl freuen!“, trällerte sie fröhlich vor sich hin. In ihrer Freude entwich ihr ein freudiges Summen, worüber sie sich erst erstaunt gab. Danach lächelte sie allerdings und breitete das Tuch aus.

Sie pflückte eine Beere und begutachtete sie. Es war tatsächliche die Beerenart, nach der sie gesucht hatte.

Heute war das Glück wohl auf ihrer Seite!

Terra machte sich daran, das köstliche Gut zu nehmen und zu den roten Beeren zu geben.

Freude überkam sie, dass sie sich für die Hilfe Links revanchieren konnte.

Es war wirklich ein großes, großes Glück für sie.

Sie begann zu grinsen.

Ob Link sie wohl loben würde? Ob er sich froh darüber zeigte?

Sie war jedenfalls froh, etwas tun zu können.

Sie sah auf den Strauch und pflückte eine weitere Beere, als sie bemerkte, dass neben ihr die Beeren alleine ihren Weg in das Tuch fanden.

Beere um Beere löste sich vom Busch und flog in das Tuch, wo sie sanft landeten.

Anstatt sich zu wundern, pflückte sie weiter.

Und hier kam es ihr seltsam vor …

Weshalb … wurde sie nicht langsam misstrauisch?

Fröhlich summend führte sie ihre Tätigkeit fort.

Als eine rabenschwarze Hand aus dem Busch schoss und ihr um den Hals fuhr.

Sie drückte immer fester und fester zusammen.

„Lass … mich los …“, forderte Terra leise und wollte mit ihren Händen nachhelfen – diese pflückten allerdings weiter.

Sie pflückten Beere um Beere um Beere …
 


 

Link erwachte und streckte sich. Er hatte gut geschlafen – und ausgeschlafen.

Als er sich umsah, bemerkte er, dass Terra abwesend war.

Sie hatte ihn heute gar nicht aufgeweckt.

Wahrscheinlich wollte sie, dass er diese Nacht ausgeruht war, um ihr Vorhaben nicht zu gefährden. Doch von ihr fehlte jede Spur.

Sowohl ihre Tasche, als auch die Decke, auf der sie geschlafen hatte, fehlten.

Sofort wechselte sein Blick aufgeregt zu Epona. Doch er konnte sich beruhigen.

Sein Pferd war noch dort, wo es sein sollte.

Also war Terra nicht einfach abgehauen.

Das hätte er ihr mittlerweile auch gar nicht mehr zugetraut.

Link lächelte.

Dann stand er auf und schaute sich um. Er hing sich die Schwertscheide, die er über Nacht neben sich platzierte, wieder auf den Rücken, um sie somit leichter mitnehmen zu können. Am Rücken war sie nicht im Weg. Und er war schnell genug, das Schwert zu zücken, auch wenn es von dort hinten weitaus unsympathischer war.

Allerdings hatte er gelernt, damit zu leben – und es gelang ihm sichtlich gut.

Aber … wenn er jetzt schon wach war … konnten sie auch weiter.

Oder …

Terra war gerade nicht da.

Konnte sie es ihm dann verübeln, wenn er selbst nach Ganondorf suchte?

Shan schien nichts gefunden zu haben.

Ansonsten hätte sie ihn wohl geweckt.

„Shan?“, wollte er auf sich aufmerksam machen, „Bist du da?“

Als er zur Sonne sah, bemerkte er, dass der Himmelskörper erst beim Aufgehen war.

Er verzog sich in den Schatten des Waldes, um seine Begleiterin keiner Gefahr auszusetzen.

„Shan …?“

Sie antwortete nicht und kam nicht heraus.

War sie überhaupt zurückgekehrt?

Er machte sich erneut auf in die Sonne, um nachprüfen zu können, ob er an seinem Schatten eine Veränderung finden konnte. Doch da war nichts.

Er wusste nicht einmal so recht, ob es überhaupt Veränderungen gab, wenn jemand in seinem Schatten hauste. Soweit er sich erinnern konnte, sowieso nicht.

Langsam machte er sich Sorgen.

Weder Shan noch Terra waren hier.

Lediglich Epona und er.

Wo waren die beiden?

Vielleicht war etwas geschehen?

Hätte er es dann nicht bemerkt?

„Epona, halte hier Stellung“, befahl er seinem Pferd, das ihn müde anstarrte.

Er überlegte, was er tun konnte, um den beiden – falls sie kamen – ein Zeichen zu geben, dass ihm nichts passiert war.

Da fiel ihm etwas ein: Link nahm seine Mütze und setzte sie Epona auf.

„Ein Monster würde sich diese Mühe nicht machen“; erklärte er dem Pferd und schritt dann davon.

Er ging in die Richtung, in die Shan ihn gestern verlassen hatte. Auf diesem Weg kam er jedoch alsbald auf eine Wegkreuzung.

Er entschied sich dafür, nach links zu gehen. Das war bisher immer eine relativ gute Richtung gewesen.

Hoffentlich enttäuschte sie ihn diesmal nicht.
 


 

Atemlosigkeit überfiel sie, als sie immer weiterpflückte und sich nicht gegen den Druck wehren konnte, den diese schwarze Hand auf sie ausübte. Ihr Hals wurde immer weiter zusammengedrückt.

Sie konnte sich nichts mehr vormachen: Es war aus mit ihr.

Wenn sie sich doch nicht nur soweit in den Wald gewagt hätte, hätte Link sie retten können. Er war schließlich ihr Beschützer – aber gewiss kein Übermensch, der sie auf diese Entfernung sterben sah und ihr deshalb zur Rettung eilte.

Es war weitaus wahrscheinlicher, dass er sie im Stich ließ und sich aufmachte, um Ganondorf zu suchen. Schließlich hatte dieses Ziel für IHN Priorität, wie ihres für sie solche hatte …

Sie verstand Link.

Und sie konnte ihm nicht böse sein.

Auch dann nicht, als sie in die tiefe Welt der Bewusstlosigkeit eindrang.
 

Hier trafen ihre gleichgültige Schattenseite und ihre gutmütige Menschenseite aufeinander: Sollte sie helfen?

Shan stand bereits seit einer Weile dort und beobachtete das Monster. Sie hätte das Mädchen – Terra – warnen können, keine Beeren von diesem Busch zu nehmen, da es keine Pflanze war, sondern ein Monster.

Es war ein Insekt, das Menschen stach, ihre Wünsche einsah und sich in entsprechende Dinge verwandelte. Außerdem sonderte es etwas ab, das Glück verursachte, sodass Misstrauen gegenüber dem Wunsch beseitigt wurde.

Diese kleinen Biester waren mächtige Waffen.

Eines hatte auch schon an ihr sein Glück versucht, doch Shan hatte es hingerichtet, bevor es ihr zu nahe kam.

Die schattenhafte Hand der Bestie erwürgte die Kleine, als wäre sie das Insekt. Allerdings hatte sie ein gutes Durchhaltevermögen – sie pflückte diese Beeren für Link weiter.

Wahrscheinlich wirkte das Gift des Käfers so, dass sie ihre Arbeiter weiterhin ausführen musste, ohne sich helfen zu können.

Dadurch hatte es das Monster wohl einfacher, seine Beute im Nachhinein zu verzehren.

Shan seufzte.

Sie konnte doch wegen eines einzelnen Menschen nicht riskieren, gesehen zu werden. Wenn allzu viele von ihrer Existenz erfuhren, hatten all ihre Leute Probleme. Und das konnte sie nicht aufs Spiel setzen.

Aber das Mädchen konnte nichts dafür.

Es wollte sich wohl lediglich mit Nahrung versorgen, um nicht zu verhungern. Konnte sie ihr das Übel nehmen? An ihrer Stelle hätte genauso gut ein hungriger Link sein können.

Sie sah zur Seite.

Außerdem wäre Link wohl sehr von ihr enttäuscht, wenn sie Terra nicht half. Und das wollte sie nicht. Link sollte nicht von ihr enttäuscht werden.

„Na gut, kleines Monster“, murmelte Shan, „Adieu!“

Ein schwarzer Blitz zuckte aus ihren Fingerspitzen und trennte die Hand des Monsters vom Arm desjenigen.

Sie sah auf ihre Hände und bemerkte besorgt, dass die Finger rauchten.

„Der war wohl zu heiß“, erkannte sie. Dann allerdings sah sie gen Himmel und bemerkte das wahre übel: Sie Sonne stand am Horizont und beleuchtete zwischen den Schatten der Bäume ihre zischenden, glühenden Hände.

Sofort zog sie diese zurück und berührte die Rubinkette – eine silberne Halskette, an deren Ende ein Rubin hing -, die ihr Stärke gab.

Ihre Hände heilten langsam.

Sie sah auf den Ring, den sie am Finger und trug, und war äußerst erleichtert, dass auch diesem nichts geschehen war.

Sie schloss die Augen und verwandelte sich in Schatten, der von einem Baum zum nächsten hüpfte – wobei die Sonne ihr dadurch schadete, dass sie den unwillkommenen Schatten vertreiben wollte -, bis sie bei Terra angelangt war, welche reglos im Schatten lag.

Sie materialisierte sich wieder und sah auf das Mädchen.

Da weiteren sich ihre Augen, als sich die Hand weiterhin an den Hals ihrer Begleiterin klammerte und zudrückte.

„Du willst also nicht aufgeben“, zischte Shan – leicht wütend – und verformte ihre intakte Hand in eine messerscharfe Kralle, mit welcher sie die Hand durchbohrte. Allerdings legte sie Wert darauf, Terra nicht zu verletzen.

Die Klaue des Monsters löste sich in einen Haufen Dunkelheit auf und verschwand zischelnd.

Shan lächelte, während sie sich zu der Kleinen kniete, um diese wachzurütteln.

Dies gelang ihr allerdings nicht wirklich.

„Hey, ist schon Morgen. Die Sonne lacht, wach auf“, sagte sie zu ihr, während sie weiterhin an ihr rüttelte, „Komm schon. Wenn du nicht aufwachst, kommen wir nicht nach Marine …“

Doch Terra hörte sie nicht.

Sie reagierte nicht.

Shan seufzte entnervt, als ihr klar wurde, was sie sich jetzt für eine Arbeit aufgehalst hatte.

Da hier immer noch Monster hätten sein können, welche es auf den Tod von Menschen abgesehen hatten, konnte sie die Bewusstlose nicht hier lassen, um Link zu Hilfe zu holen.

Also musste sie wohl die Verletzte zu Link bringen.

„Wenn er nicht gerade im Schatten des Waldes unterwegs ist, Kleine, kann ich dir leider auch nicht helfen“, erklärte sie Terra, obwohl ihr bewusst war, dass diese sie nicht hören würde.

Sie platzierte das Mädchen auf ihren Rücken und ging los – schön darauf bedacht, der Sonne auszuweichen und nicht in ihre tödlichen Strahlen zu gelangen.

Vielleicht tat ihr die Sonne gar nicht so viel an, wie sie befürchtete und es war nur die reine Angst, die ihr solche Hirngespinste aufzwang, allerdings hatte sie nicht vor, aufgrund von Übermut oder Dummheit zu sterben. Also wollte sie es gar nicht erst probieren.

Irgendwann würde ihre Zeit kommen – und dann konnte sie das Licht betreten. Aber noch nicht.

„Wie hast du es nur geschafft, so weit in den Wald hinein zu laufen …? Auf der Suche nach diesen Beeren?“, beschwerte sich Shan, obwohl sie weiterhin nicht mit einer Antwort rechnen durfte. Hierbei fiel ihr auf, dass sie die Decke, die mit Beeren belagert war, gar nicht mitgenommen hatte.

Sie konnte sie nächste Nacht holen, wenn das Mädchen Link damit auf die Nerven ging. Schließlich war es Shans Schuld, dass sie sie nicht hatte und Link noch damit nerven konnte.

Vor sich sah Shan die Lichtung, auf der Epona graste, die mit Inbrunst von der Sonne beschienen wurde.

Hätte sie eine Hand zur Verfügung gehabt, sie hätte sich damit gegen die Stirn geschlagen. Hier wäre es allerdings passiert, dass Terra unsanft am Boden gelandet wäre.

Und das war nicht ihre Absicht.

„Dort vorne ist Endstation für uns. Dann musst du wohl auf Link warten“, teilte sie dem Mädchen mit. Als sie die vorhergesehene Stelle erreichte, lehnte sie das Mädchen gegen einen Baumstamm und entschwand im Schatten, blieb jedoch bei Terra, um sie bei Bedarf zu schützen.

Wenigstens war ihr Dasein doch noch geheim.

Schön.
 


 

Er stand vor einem Hang.

Links hatte ihn im Stich gelassen.

Man konnte eben nicht immer auf eine Richtung vertrauen.

Er kehrte um und rannte den rechten Weg. Dort schaute er sich um – zur Sicherheit ließ er sein Schwert in der Hand. Wälder waren Anlaufstellen für Monster aller Art.

Sein Schild war in der anderen Hand, um ihn bei Gefahr zu schützen.

Allerdings war bisher nichts Auffälliges passiert, außer, dass ein paar Insekten von ihm abgelassen hatten, bevor sie ihn gestochen hatten.

Wahrscheinlich hatte er schlechtes Blut.

Aber darüber wollte er sich jetzt keine Gedanken machen. Er musste auf der Hut sein.

Vielleicht bewertete er die Situation aber über – und die beiden waren einfach so nicht da gewesen. Es hätte auch sein können, dass sie einfach in diesem einen Moment nicht anwesend waren. Einfach nur … schicksalhaft.

Jedoch durfte er es nicht riskieren, ihnen bei Gefahr NICHT zu helfen. Schließlich war er der Beschützer von Terra – und Shan konnte er auch nicht im Stich lassen.

Allerdings war er sich sicher, dass sich beide gut wehren konnten. Aber ob es ausreichend gut war, war eine andere Frage …

Es war einfach seine Pflicht, anstatt ihrer zu kämpfen, und er tat es auch.

„Terra!“, rief er, „Terra!“

Er konnte kaum nach Shan rufen, wo diese sich so gut vor Terra verbergen wollte. Irgendwie kam es ihm seltsam vor, nur nach einer zu rufen, wo er doch zwei suchte …

„Terra“, schrie er erneut.

Aber er erhielt keine Antwort.

Wenn sie schon im Lager war, würde er zweifellos großen Ärger bekommen.

Er seufzte.

Ach ja … Entscheidungen zu treffen, war eine notwenige, aber eine ebenso unangenehme Sache. Schließlich konnte man sich nie sicher sein, ob es auch die richtige war.

Man musste einfach nur fest daran glauben, dass es die richtige war. Dann fühlte man sich gleich besser.

Und Terra musste es einfach verstehen, dass er seiner Tätigkeit als Begleitschutz nachgegangen war. Obwohl sie daraufhin wohl sehr viele Gegenargumente haben könnte …

Oh ja …

Plötzlich tauchte vor ihm ein Umriss auf.

Shan.

„Da bist du!“, rief er erfreut aus.

„Komm schnell mit, Link. Terra ist noch eine Weile entfernt, die Monster könnten aber schon dort sein!“, erklärte sie hastig. Dann verschwand sie schon wieder.

„Zum Lager!“, befahl sie, „In diese Richtung weiter.“

Er rannte so schnell er konnte und folgte den Weganweisungen der Person, die in seinem Schatten steckte.

Mit Shans Hilfe erreichte Terra gleich.

Sie lag reglos im Schatten an einen Baum gelehnt.

„Terra …?“, flüsterte er ihren Namen.

Doch er erhielt keine Antwort.

Er stürzte zu ihr und schüttelte sie.

Aber sie gab kein Lebenszeichen von sich.

Allerdings atmete sie noch.

Dann bemerkte er Wunden an ihrem Hals.

„Was …?!“, hauchte er.

Dann nahm er die Bewusstlose in seine Arme und trug sie zu Epona, welche fröhlich graste und das Geschehen um sich gekonnt ignorierte.

„Da … bist du ja endlich …“, ertönte plötzlich eine Stimme.

Er sah zu Terra und bemerkte, dass sie ihn geschwächt ansah.

„Wir müssen weiter, Link …“, erinnerte sie ihn.

Und verlor daraufhin wieder das Bewusstsein.

„Shan … was ist geschehen?“, informierte er sich.

Eine Stimme, die aus seinem Schatten kam, erklärte ihm das Geschehen, während er Epona sattelte und aufsaß.

Er nahm die Zügel in die Hand und klemmte Terra zwischen seine Beine und ließ sie an seine ausgestreckten Arme lehnen, sodass sie nicht nach unten fiel.

Er hatte sie gehört …

Sie wollte weiter.
 


 

Früher haben wir uns oft einen Spaß daraus gemacht.

Doch jetzt war es kein Witz mehr.

Mit dem Alter ändert man sich.

Und damit auch der Humor.

Ist das denn nicht witzig?

Verträumt

Schon immer hatte ich einen Traum: Ich wollte leben.

Ich wollte ein Leben.

Aber ich habe es nie bekommen.

Ich habe ihm immer nur zugesehen …

dem Leben, dem ich so gerne begegnet wäre …
 

Noch immer schwer damit beschäftigt zuzusehen, dass das Mädchen in seinen Armen nicht vom Pferd fiel, konzentrierte er sich auf die Wegangaben. Hier – außerhalb Hyrules, in der Fremde – verfügte er weder über Wissen noch über Karten. Deshalb war er auf die Worte seiner Begleiterin angewiesen, welche durch in die Schatten der am Wegrand platzierten Bäume „sprang“ und sich dadurch einen Weg bahnte. So konnte sie ihm berichten, wie es weiterging.

Er selbst hatte schließlich keine Ahnung davon.

Und seine „Navigatorin“ war leider außer Gefecht.

Durch ein Monster.

Er schluckte schwer.

Versagt.

Er hatte einfach nur … versagt.

Nicht mehr, nicht weniger.

Er sah auf das dunkle Haar seiner Kollegin, welche seit einem Tag nicht mehr erwacht war.

Sie hatte ihn dazu auserkoren, ihr Beschützer zu werden. Er hätte für sie die Monster beseitigen sollen.

Doch anstatt diese Arbeit zu verrichten, hatte er geschlafen und das Mädchen damit einer ungeheuren Gefahr ausgesetzt.

Er wünschte, sie wäre wach. Er hätte sich sofort für diese Unzulänglichkeit entschuldigt.

„In etwa einer Meile kommt eine Wegbiegung. Ich kann die Schilder nicht lesen“, ertönte unerwartet eine Stimme.

Link sah sich um. Er registrierte eine Gestalt im Schatten eines Baumes. „Ah, du bist wieder da … Gut, ich werde mich beeilen. Danke.“

„Die Zahlen besagen beide, dass es noch länger dauert“, erklärte Shan und verschränkte die Arme. Und soweit ich gesehen habe, war kaum Schatten. Leider kann ich die Wege nicht auskundschaften. Aber um die Wege herum haben sich einige Vogelmonster versammelt.“

„Dass die auch außerhalb Hyrules sind …“, begann Link, brach dann aber ab.

Es war auf eine seltsame Weise töricht, zu glauben, Hyrule sei der einzige Ort, an dem Ganondorf zuschlug. Doch … er wollte doch nur Hyrule. Gut, und Midnas Reich.

Na schön, es war nahe liegend, dass seine Vertreter in mehreren Ländern aktiv waren.

„Denkst du, dass Ganondorf überall seine Leute hat? Auf der gesamten Welt?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Es kann sein. Aber … Wahrscheinlich will er die ganze Welt an sich reißen. Es wäre denkbar. Unsere Länder wären nur der Anfang gewesen. Aber du hast seinen Plan vereitelt. Und das möchte jemand rückgängig machen.“

Link nickte. „Hast du auch die Umgebung ausgekundschaftet? Höhlen oder Hütten, in denen etwas vor sich gehen könnte gefunden?“

Sie schüttelte den Kopf, als er an ihr vorbei ritt. Er sah zurück.

„Rein gar nichts. Aber … wie gesagt … es könnte überall sein. Mit deiner Theorie könnte er irgendwo auf dieser ganzen Welt liegen und auf den Tag des Erwachens warten.“

Er wandte sich wieder nach vorne, um den Weg im Auge behalten zu können. „Aber irgendwo müssen wir anfangen. Schließlich ist er nicht auf der ganzen Welt. Er kann überall sein, aber er ist lediglich an einem Ort. Und den müssen wir finden.“

Sie verschmolz mit dem Schatten, bevor sie antwortete. „Wir sollten unser Bestes geben, es schnellstmöglich in die Tat umzusetzen.“

Er nickte - schwer entschlossen, Ganondorf aufzuhalten.
 


 

Sie durchlebte es eintausend Mal. Immer wieder griff diese pechschwarze Hand nach ihr.

Sie kam näher.

Und Terra war unfähig, sich zu wehren.

Immer wieder griff sie nach den nachtschwarzen Beeren, die sie für Link sammeln wollte.

Und immer wieder wurde ihr die Luft aus der Lunge gepresst und der Hals zusammengedrückt.

Es fühlte sich an, als müsste sie sterben …

Doch nein … ihr Retter war gekommen …

Sie lebte.

Die Hand hatte von ihr abgelassen …

Link …?

„Du willst also nicht aufgeben?“, ertönte eine Stimme …

„Du willst also nicht aufgeben?“, fragte dieselbe Stimme erneut …

Dann wurde die Stimme zu einem Nuscheln … plötzlich schrie sie denselben Satz erneut …

Daraufhin ertönte eine fremde Stimme, die ebenfalls das gleiche von sich gab …

Sie wollte sich die Ohren zuhalten …

Schreien …

Doch sie konnte es nicht.

Was war los?

Wieso konnte sie sich nicht bewegen?

Sie pflückte eine Beere.

Eine weitere.

Viele, viele Beeren.

Beeren für Link …

Link! Eine Beere für Link!

Dann schnellte eine dunkle Hand aus dem Beerenbusch.

Doch Terra wehrte sich nicht – sie pflückte weiterhin Beeren!

Es wiederholte sich erneut …

Immer …

… und immer …

und immer

wieder.
 


 

„Phard!“, rief er, „Phard!“

Der Mann sah zu ihm. „Taro? Bist du hier, um mir zu helfen?“, informierte er sich.

Er schüttelte abwehrend den Kopf. „Nein. Ich will nur wissen, ob sich Link vielleicht bei dir verabschiedet hat …?“

Der Ziegenhirte dachte kurz nach. Dann schüttelte er den Kopf. „Link kommt schon seit fünf Tagen nicht mehr zur Arbeit. Da er mir nur aus Kulanz hilft, habe ich mir gedacht, er hatte es satt. Ich wollte ihn nicht einmal darauf ansprechen. Also … ist er nicht bei sich zuhause?“

Taro schüttelte den Kopf. „Nein, ist er nicht. Er hat eine Botschaft hinterlassen und … und …“

Er dachte nach. Was hatte er danach getan?

„… dann haben Colin und ich wahrscheinlich nach ihm gesucht. Das ist aber auch schon zwei Tage her. Im Dorf ist er nicht. Er hat aber geschrieben, dass er fort geht. Also … war es nur eine reine Vorsichtsmaßnahme. Colin hat Moe bereits Bescheid gegeben. Aber der denkt, dass sich Link nur eine Auszeit gönnt. Nach dem ganzen Stress …“

Phard nickte. „Mir hat der Bürgermeister noch nichts gesagt. Vielleicht ist es doch ernster …?“ Der Mann rieb sich mit einer Hand das Kinn. Es schien, als würde er mehr mit sich selbst als mit Taro sprechen.

Aber an diese Möglichkeit hatte er noch gar nicht gedacht. Deshalb hatte Moe es so geheim gehalten …!

„Link hat einmal die Welt gerettet – könnte es sein, dass Hyrule ihn erneut braucht?“, informierte sich Taro. Irgendwie kam ihm diese Vermutung bekannt vor … aber wer hatte diese vor kurzer Zeit entgegen gebracht? Und wann genau war das?

Phard sah ihn missmutig an. „Lass uns lieber nicht darüber sprechen. Es ist eine Sache unter Erwachsenen, Taro. Beschütze lieber das Dorf. Und wenn du nichts zu tun hast – meine Ziegen brauchen einen Hirten. Ich muss schnell zu Moe!“

Und damit brach der größere Mann auf. Er rannte zum Dorf zurück.

Taro sah ihm nach.

„Eine Sache unter Erwachsenne“, äffte er nach. Aber konnte sich nicht wirklich darüber aufregen. Vermutlich hatte er Recht. Was konnte er als ein kleines Kind schon groß ausrichten?

„Taro!“, erklang eine Stimme hinter ihm.

Colin.

Er drehte sich um. „Und?“

„Hallo … Phard ist von hier gekommen und hat etwas von dir und Link geredet … dann hat Papa mich nach draußen gebeten … Also bin ich hergekommen. Um was geht es?“

„Sie reden in deinem Haus?“, stellte Taro klar.

Colin nickte – er sah unglücklich darüber aus, dass er seine Frage übergangen hatte.

Das war gut.

„Dann belauschen wir sie!“

Der Junge hob seine Hände erschrocken an den Mund.

„Und aus dir soll jemals ein Held werden? Du benimmst dich wie ein Mädchen! Nimm deine Hände da weg, greif zum Schwert und lass uns lauschen! Ich brauche Unterstützung, wenn ich Link zurückhole und ihm seinen Platz wegnehme!“

„Du bist ja wieder energisch“, erkannte Colin fröhlich lächelnd.

Taro zog die Augenbrauen zusammen. „War ich jemals nicht energisch?“

„Seit ein paar Tagen … seit du völlig aufgelöst … Ach, egal“, Colin lächelte weiter, „Ja, lass uns zur Tat schreiten!“

Beide – sie hatten sich angewohnt, ihre Schwerter bei sich zu lassen, wo immer sie hingingen – liefen bewaffnet zum Haus des Bürgermeisters und stellten sich vor ein Fenster. Sie sahen hinein.

Moe ging nervös auf und ab, während Phard neben Ulina am Sofa saß.

„Wie lange er wohl schon weg ist?“, sinnierte Phard laut.

Die Fenster waren sehr dünn. Man konnte jede Maus fiepen hören, wenn man genau lauschte. Und Taros Ohren waren die eines Goblins – nur nicht so groß. Er konnte Insekten am Geräusch ihrer Flügel erkennen. Seine Ohren waren Superohren.

„Lange genug. Colin hat mir seine Entdeckung schon vor zwei Tagen mitgeteilt.“, antwortete Moe und sah dabei noch besorgter aus.

„Recht gehabt“, murmelte Taro. Allerdings wusste er nicht, womit er Recht hatte. Was sagte er da? War er verrückt geworden …? Colin schien es sowieso überhört zu haben. Zumindest reagierte er nicht.

„Warum hast du das Dorf nicht alarmiert?“

„Ich würde auch nicht alle nachts aufwecken, wenn ich dich nicht finde, Phard“, erklärte Moe, „Ich würde alle wecken, wenn Colin, Lin oder ein anderes Kind verschwunden wären – aber nicht bei einem Erwachsenen. Und Link ist mittlerweile erwachsen. Er kann auf sich selbst aufpassen. Er hat selbstständig ein ganzes Königreich vor dem Untergang bewahrt. WENN jemand auf sich selbst achten kann, dann er.“

Phard nickte zustimmend. „Wir sind wohl zu sehr an ihn gewöhnt … Oder abhängig. Ach ja, wie gerne hätte ich ein eigenes Pferd.“

Moe lächelte. „Brauchst du Link nur wegen Epona?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe auch den Nachmittag über frei, wenn Link Zeit hat.“

„Solche Worte würden Link wohl nicht freuen.“

„Ich mag Link. Er ist ein Freund für mich. Aber ich bin deiner Meinung. Er kann auf sich selbst Acht geben. Es ist nur … ich denke, als Bürgermeister solltest du uns über das Verschwinden wichtiger Personen informieren.“

Moe nickte. „Wenn du verschwindest, werde ich auf der Stelle eine Suchaktion starten“, versprach er scherzend.

Der andere Mann lachte.

„Viele Informationen waren das nicht“, bedauerte Taro und setzte sich unter das Fenster. Er konnte trotzdem hören, was sie sagten, auch wenn er nicht stehen blieb. Colin jedoch spionierte weiter.

„Ja …“, gab der Junge trotzdem zu, „Aber … sie haben schon Recht. Wenn ein Kind verschwindet, muss ein Erwachsener handeln. Aber ein Erwachsener kann gehen, wohin er möchte.“

„Sie übersehen nur eines …“, entgegnete Taro.

Colin nickte, bevor er den Satz beendet hatte.

„Link ist nicht wie sie. Er würde nicht ohne gründliche Verabschiedung verschwinden, wenn es nicht absolut notwendig wäre.“

„Ich glaube, sie wissen es“, sagte Colin und setzte sich neben Taro, „Sie wissen, dass Link auf einer sehr, sehr wichtigen Mission unterwegs ist. Am liebsten würden sie ihn trotzdem suchen. Aber sie denken, sie seien eine Behinderung für ihn.“

„Dein Vater hat ihm das letzte Mal doch auch geholfen, oder?“, konterte Taro, „Diesmal könnten WIR diesen Teil übernehmen!“

Colin sah fragend drein. „Und wie? Wir haben stumpfe Schwerter, wenig Ausbildung und kein Pferd. Außerdem wissen wir nicht, was Link tut. Schließen wir uns Papa an und …“

Die letzten Worte überging Taro einfach. „Ich will nicht mit einem Versager zusammen sitzen! Das ist ja peinlich.“

Colin sah weg. „Ich bin kein Versager … ich will nur vernünftig …“

„Und wenn Link unsere Hilfe braucht? Wenn er sterbend am Boden liegt und gerade so etwas wie »Colin hat mich im Stich gelassen …« sagt, während er seinen letzten Atemzug tut?!“

„Über was redet ihr beiden denn da?“, informierte sich eine mürrische Frauenstimme.

„Betty!“, riefen Colin und er gleichzeitig.

„Wa … Was tust du … denn hier …?“, stotterte Taro verlegen.

„Ich wasche die Wäsche“, erklärte sie und deutete auf den Korb, den sie in der Hand trug, „Und ihr?“

„Wir belauschen meinen Vater und Phard, weil sie über Li- …“, begann Colin, wurde allerdings dadurch unterbrochen, dass Taro ihm sofort eine Hand vor den Mund legte und „Schweig!“ in sein Ohr zischte.

Der Junge gehorchte.

„Wir sitzen im Gras und reden über … Albträume …“, erfand Taro lächelnd, wobei er es nicht anziehend fand, seine Liebste noch öfter zu belügen. Aber Notlügen mussten sein. Ansonsten wäre sie zu besorgt. Wegen Link.

Sie sah skeptisch drein, zuckte dann aber mit den Schultern. „Na schön, Jungs. Ich mache mich an die Arbeit. Gewisse Personen sollen schließlich auf mich achten.“, erklärte sie und schaute sich um.

„Habt ihr Link eigentlich in letzter Zeit gesehen? Er geht nie zur Tür, wenn ich klopfe. Aber ich bin eine Dame. Ich bin höflich. Ich platze nicht einfach herein.“

„Link ist verschwunden“, erklärte Colin freundlich.

Taro seufzte genervt und verdrehte die Augen.

Er war nur von Betty und Idioten umgeben …! Wie konnte der Kleine nur so dämlich sein …?!

„Li … Link ist …?“ Bettys Augen weiteten sich merkbar.

Sie machte einen Schritt zurück.

Und fiel um.

„Betty!“
 


 

„Mariner Hafen“, las Link vor, „Und das wollte sie bis heute schaffen?“, fragte er sich. Er sprach mit sich selbst. Shan würde noch für ein paar Stunden im Schatten bleiben müssen. Terra gab noch kein richtiges Lebenszeichen von sich. Selbstverständlich lebte sie noch. Aber … sie war nicht ganz da …

Er machte sich Sorgen um sie.

Vor allem, da er nicht wusste, wie er Monster abhalten sollte, während er Terra halten musste. Alleine würde sie von Epona fallen.

Aber seit einer langen, langen Weile, seit das mit Terra geschehen war, attackierten keine Monster mehr. Sie sahen nicht einmal welche.

Vielleicht war dieser Ort bereits von ihnen befreit?

Oder noch nie davon befallen worden.

Er ritt weiter.

Allerdings brachte er Epona zum Galoppieren. Terra würde schon sehr böse sein, wenn sie aufwachte und bemerkte, dass sich ihr ganzer Plan in Nichts verwandelt hatte. Er wollte nicht, dass es auch noch dazu kam, dass noch den halben Weg vor sich hatten. Er sollte wenigstens versuchen, ihr einen schönen Tag des Erwachens zu schenken.

Er war mittlerweile dort angelangt, wovon Shan gesprochen hatte. Der Ort ohne Schatten. Es war schon fast Abend, weshalb er Glück hatte. In der Mittagshitze hier vorbeizukommen, war wahrscheinlich tödlich. Hier gab es nicht die geringste Deckung. Keinen Baum, keinen Fels, nicht einmal einen Strauch.

Eigentlich sollte das hier der perfekte Ort für Goblins sein, die auf ihren Wildschweinen durch die Gegend ritten. Doch hier befand sich weit und breit niemand.

Das Schild dort besagte, dass sie am richtigen Weg waren.

Und Marine war – soweit sich Link erinnern konnte – ein belebter Ort mit vielen Besuchern. Wieso trafen sie also auf niemanden?

„Vielleicht gibt es hier ein Durchreiseverbot“, riet Shan.

„Ja, das wäre möglich“, gab er zu.

„Es würde erklären, weshalb wir hier vereinsamen.“

Er nickte und sah sie an.

So deutlich und klar hatte er sie schon lange nicht mehr gesehen. Seit …

Moment!

„Shan?!“, rief er überrascht aus.

„Schockiert darüber, mich zu sehen?“, vermutete sie lächelnd.

„Aber … die Sonne … tut sie dir nichts?“

Die große Frau, die fast so riesig war wie Epona, sah zur Seite und erörterte: „Ich denke, mein Körper gewöhnt sich langsam an das Licht, das hier die ganze Zeit auf uns herabstrahlt. Deshalb werde ich wohl in ein paar Wochen die ganze Zeit draußen sein können. Das gefällt mir.“

„Der Sonnenuntergang ist schön, nicht wahr?“

Sie nickte energisch. „Wundervoll! Vor allem, da ich in seinem Einflussbereich stehe … Die letzten Sonnenstrahlen … Ich würde diesen Anblick vermissen, würde es Ganondorf gelingen, alles in ewige Finsternis zu stürzen. Also halte ihn bitte davon ab.“

Er lächelte. „Natürlich werde ich mein Bestes geben!“

„Wenn du es nicht schaffst, ist dein Bestes nicht gut genug“, ermahnte sie ihn, fügte dann aber gleich hinzu: „Da ich jetzt herumwandern kann, werde ich mich umsehen. Wenn ich eine verdächtige Höhle, Biegung oder Hütte sehe, sage ich dir Bescheid. Wie lange brauchst du noch bis Marine?“

Sie schwebte neben ihm her, um mit Epona Schritt halten zu können.

Er nickte zu ihrem Vorschlag und antwortete: „Das Schild besagt, dass man noch drei Tage zu Fuß braucht. Mit Epona sind wir also morgen oder übermorgen dort.“

„Ich freue mich schon auf das abendliche Marine“, erklärte Shan, „Falls ich nichts Interessantes finde, sehen wir uns dort. Ich werde am Eingang warten.“

„Du willst alleine gehen?“, schloss er daraus.

„Du kannst dann diesen Weg hier absuchen, ich einen zweiten. Ich werde mich näher am Wald aufhalten. Dies ist dann ein Umweg, aber ich kann in Marine sein, wann ich will.“

Der Ring …

Damit hätte sie schon von Anfang an nach Marine kommen können. Aber sie war mit ihnen gekommen. „Ist das nicht Amtsmissbrauch?“

„Meine Aufgabe ist es, dich zu beobachten und mit dir Ganondorf aufzuspüren“, erklärte sie, „Wenn du in Marine bist, muss ich wohl auch nach Marine.“ Sie lächelte ihm zu und schwebte dann davon, „Wir sehen uns morgen!“

Er lehnte Terra bestmöglich gegen seine andere Schulter und Hand, um mit der jetzt freien Hand Shan zu winken.

„Pass auf dich auf!“, rief er ihr nach.

Er bemerkte, dass sie nickte.

Link sah ihr hinterher, bis sie weit genug entfernt war, um sie lediglich noch als Punkt wahrzunehmen.

„So, Terra, …“ Er legte die zweite Hand wieder an die Zügel und trieb Epona schneller voran, „… jetzt kommst du endlich nach Marine …“
 

Shan streckte sich ausgiebig, als sie weiterging. Die Schattengestalt mochte bequem wirken, war es aber ganz und gar nicht. Sie fühlte sich dabei ziemlich eingeengt. Dies machte sie umso glücklicher, dass sie es bereits in die Abendsonne schaffte.

Sie hatte diesen Versuch einfach wagen müssen.

Und es war geglückt.

Dies versetzte sie in Hochstimmung!

Wäre sie bei sich zuhause, sie hätte wahrscheinlich irgendwelche Magiekunststückchen gemacht. Aber bei sich zuhause, wäre dieser Grund zur Freude nicht.

Denn bei ihr gab es keine Sonne.

Die Sonne war immer so unerreichbar fern für sie.

Und jetzt war sie so nah.

Endlich.

Sie schaute sich um.

Weder Monster noch Höhlen waren zu sehen.

Also nichts, worüber Link in Kenntnis gesetzt werden musste.

Eigentlich fand sie das schade.

Sie hätte die Reise nach Marine gerne an Links Seite fortgesetzt. Aber Pflichten hatten Vorrang. Und deshalb musste sie wieder in den Schatten des Waldes zurückkehren.

Hätten sie es nicht eilig gehabt, so hätte sie sich mehr Zeit gelassen, in den Wald zu gelangen. Doch wenn sie eine Höhle finden wollte, so musste sie sich beeilen.

Es war höchste Zeit, endlich etwas Positives für Link zu finden.

Ansonsten hätte er sie noch als unnütz abtun können …

Und das wollte sie ganz bestimmt nicht.

Sie wollte nützlich für ihn sein. Denn sie schuldete Link Dank.

Dank dafür, dass er sie in die Sonne geführt hatte.
 

Jeder hatte Träume, die verwirklicht werden konnten.

Alle hatten diese …

Und wie fühlten sie sich, nachdem ihnen dieser Traum erfüllt worden war?

Sie mussten sich doch gut fühlen.

Schließlich hatten sie ihr Ziel erreicht.

Etwas, das sie schon längst hatten erreichen wollen …

Ob ich mich auch so fühlen werde?

Verschaffen

Allein ... in einer dunklen Welt ...

Oder doch nicht ganz allein?

War da noch jemand?

Ja …
 

Und sie pflückte eine Beere … streckte ihre Hand danach aus …

„Brr …“, ertönte eine Stimme.

Eine schwarze Hand packte sie.

Aber … nicht am Hals …

Sie hielt ihre Hand fest.

„Nicht so stürmisch …“, murmelte jemand.

Terra ergatterte keine Beere mehr.

Jemand hob sie hoch.

Und ließ sie wieder fallen.

Sie sollte besser ihre Augen öffnen …

Es war warm … So warm … Schien die Sonne?

Oder war es dunkel? Hatte vielleicht jemand ein Lagerfeuer entzündet?

„Hilfe, Hilfe“, hätte sie am liebsten geschrien. Doch es gelang ihr nicht. Sie konnte keine Hilfe erflehen. Aber … die Hand zog sich zurück. Sie attackierte sie nicht mehr.

Es war … vorbei …

Der Busch mit Beeren flackerte auf.

Es wurde hell.

Rot.

Leuchtend.

Blendend.

Sie schloss ihre Augen wieder, welche sie für einen kurzen Moment geöffnet hatte.

Der Geruch von Rauch stieg in ihre Nase.

Hatte jemand die Beeren verbrannt?

Erneut startete Terra den Versuch, die Augen zu öffnen. Doch dieses Blenden hielt an. Sie sah einfach in eine andere Richtung.

Sie hatte recht behalten: Es war ein Feuer entzündet worden.

„Du bist wach!“, stellte die freundlich überrascht Stimme fest.

„Scheint so …“, wisperte sie – nicht wirklich hörbar.

„Kannst du dich schon aufsetzen?“

Sie schüttelte langsam und ohne jegliche Hast den Kopf. Er fühlte sich schwer an. Außerdem schmerzte er höllisch. Alles wirkte verschwommen und sie war sich nicht sicher, ob sie nicht doch wieder in einem Traum gelandet war. Es wirkte so fremdartig …

Nicht wie … normal …

„Papa …?“, wollte sie die Stimme ansprechen. War er ihr Vater? Wer sonst? Auf ihrem Anwesen gab es schließlich nur »Papa«. »Mama« war fort. Für immer. Gegangen.

Nein … Cavallya stand im Stall. Und sie wartete darauf, ausgeritten zu werden …

„Nein, nicht wirklich“, antwortete der fremde Mann, „Leg dich lieber wieder schlafen … Morgen wird es dir besser gehen. Wir sind auch fast schon in Marine.“

Marine …

Sie wollte … nach Marine.

Denn dort wartete der Traum, den sich ihre Mutter nie erfüllen konnte.

Marine, die Stadt, in der die Freiheit lebte …

Sie bewegte ihr Hand nach oben und legte diese auf ihrem Gesicht ab. „Mama …“

Sie schloss die Augen.

Etwas berührte sie.

Terra wurde hochgehoben und lehnte an etwas Weichem.

„Bist du … wieder da, Mama?“, flüsterte sie.

Doch sie erhielt keine Antwort darauf.

Stattdessen wurde sie irgendwo dagegen gelehnt und eine Stimme riet ihr leise: „Schlaf jetzt …“

Sie nickte.

Und erklomm erneut den Berg der Träume.

Doch diesmal … schlief sie gut.
 


 

Es war immer wieder witzig.

Wirklich.

Doch jetzt ist es einfach nur traurig ...

Ob das dann nur für mich gilt?

Schließlich fand es früher jeder lustig.
 

Link gähnte, als er erwachte.

Erstaunt stellte er fest, dass Terra noch immer ruhig in seinen Armen lag.

Sie war wohl wirklich erschöpft.

Er schaute in Richtung Sonne und vergewisserte sich, dass es bereits morgens war.

Also Zeit zum Losreiten.

Seine Arme hielten Terra fest, sodass sie nicht umfiel, während sie regenerierte. Sie sollte einen guten Schlaf haben, um frisch und voller Elan nach Marine zu kommen. Schließlich wollte sie so sehr dorthin. Sie verdiente es, dort anzukommen.

Sie an den Knien nehmend, hob er sie hoch und verfrachtete sie auf Epona, welche bereits energisch Gras fraß. Sie blieb ruhig, als er seine Tätigkeit vollbrachte und so konnte er problemlos hinter Terra das Pferd besteigen.

Abermals sicherte er sie, indem er sie gegen seine Schulter lehnte und ihr somit Halt gewährte. Sie konnte weiterschlafen. Für eine baldige Heilung.

Und für schnelles Vorankommen.

Das Schiff, das sie zu erreichen hoffte, war leider schon abgelaufen. Doch Marine hatte wahrscheinlich einen großen Hafen. Es würde mehrere Schiffe geben, die ein zielorientiertes Mädchen wie Terra betreten – und vermutlich sogar lenken – konnte. Um Kapitän zu werden, hatte sie vermutlich auch genug Temperament.

Höchstwahrscheinlich fehlte es ihr lediglich an Erfahrung.

Doch Link war sich dabei sicher, dass sie diese in wenigen Jahren haben würde und er von »Käpt’n Terra« bald hören würde.

Bei dieser Vorstellung geriet ein Lächeln auf seine Lippen. Er hielt mehr von Terra, als er vor sich selbst zugegeben hatte. Ja, er mochte das kleine Mädchen sogar. Ein wenig zumindest. … Aber … Kapitänin?

Die Sonne schien auf sie herab.

Und sie mussten durchreiten. Es gab kaum Schatten auf dieser Wiese.

Weit und breit nicht.

Link sah sich links und rechts nach Höhlen oder anderen Auffälligkeiten um. Doch es gab nichts.

Keine einzige Anomalität tauchte auf. Nicht, dass er das Böse herbeigesehnt hätte, doch es hätte Abwechslung gebracht. Seinetwegen hätte es natürlich auch ein Frosch oder sonst etwas sein können. Irgendetwas, das hier nicht natürlich war zumindest.

Ein leises Seufzen entkam ihm.

„Hör auf zu jammern, Matrose …“, ertönte es von Terra.

Er zuckte zusammen.

Dann betrachtete er das Mädchen. Sie schlief.

Sie hatte wohl verdammt gute Ohren …

Seine Augen durchsuchten weiterhin die Umgebung, entdeckten aber nichts Unnatürliches. Doch er blieb wachsam. Monster konnten überall sein. Konnten. Mussten nicht.

So weit waren sie vielleicht gar nicht durchgedrungen.

„Oder ihnen ist es zu langweilig geworden“, fügte er murmelnd hinzu.

Diesmal sagte seine schlafende Begleiterin nichts dazu.

Na gut … dann eben nicht …

Er durchforstete seine Gedanken, nach irgendetwas, womit er sich weitgehend ablenken, aber nicht unachtsam werden konnte. Etwas, worüber er sich den Kopf zerbrach …

Wie es wohl den anderen ging?

Colin, Moe, Taro, Phard, Betty, Maro … Ob sie alle gut zurechtkamen? Nicht, dass sie von ihm abhängig waren … Aber er machte sich dennoch sorgen, ob sie alles schafften. Phard beispielsweise hatte nun kein Ross mehr zur Verfügung, was ihm seine Arbeit wohl unnötig erschwerte. Colin und Taro durften ihr Training nicht außer Acht lassen.

Und die anderen könnten auch irgendwelche Schwierigkeiten haben, die den Handgriff eines Schwertkämpfers gebrauchen konnten.

Doch er war nicht da.

Er suchte nach jemanden, der auf der ganzen Welt zu finden sein konnte.

Wahrscheinlich wäre es doch klüger gewesen, erst den Palast zu alarmieren, sodass Soldaten sich auf die Suche nach Ganondorfs Versteck begeben konnten. Und nicht nur zwei Eingeweihte.

Terra hatte ihm zwar einen Grund verschafft, hierher zu kommen, um auf dieser Linie nach seinem Feind zu suchen … doch von Anfang an war es ihn schleierhaft gewesen, weshalb Ganondorf genau auf dieser Strecke hätte sein sollen. Ihn hier zu finden, wäre Zufall gewesen. Und diese ganze Suche erwies als eine klassische »Nadel im Heuhaufen«-Angelegenheit.

Aber auf diese Weise hatte er die Möglichkeit, eine Stadt zu besichtigen, die sich vermutlich vollkommen von seinem Bekanntheitsbereich entfernte, was Kultur und Bau anging, sowie die Gelegenheit, Fremde dazu aufzufordern, aufzupassen und Hinweise zu sammeln.

Vielleicht erschloss sich der Radius der Gefahr, die von Ganondorf ausging, auch bis nach Marine. Und sie würden ihn dadurch zumindest nicht für verrückt halten.

Sich von der Seite abwendend, sah er nach vorne.

Und hielt Epona erstaunt an.

Er blickte hinunter auf eine Stadt, die die doppelte Größe Hyrule-Stadts erreichte und leuchtete und glänzte wie Wasser im Sonnenschein: Marine.
 


 

Hin und wieder war sie schon aufgewacht. Doch immer wieder zurückgekehrt, um zu träumen und sich auszuruhen. Und immer war diese Gestalt bei ihr, die sie beschützte.

Sie bewegte sich von alleine. Ohne Anstrengung lag sie irgendwo, lehnte sich gegen etwas und wartete darauf, das Ziel zu erreichen.

Das Ziel …

Sie würde das Ziel erreichen.
 

Sie sang wieder. »Das Lied der Seemöwe« ertönte erneut, um sie schlafen zu schicken. Denn durch dieses Lied schlief sie immer gut. Das wusste ihre Mutter, weshalb sie es immer wieder sang. Die kleine Seemöwe, die durch den Himmel flog und das Meer unter sich glitzern sah, ritt den ganzen Tag im Wind und durchquerte die Lüfte, bis sie müde wurde und sich zurück zu ihrer Familie begab. Eine Seemöwe, die ihre Freiheit aufgab, um bei ihrer Familie zu sein.

„Seemöwe, Seemöwe, kehr’ nach Haus geschwind,

ansonsten, ansonsten holt dich der kalte, kalte Wind …“

„Das ist ein Schlaflied von zuhause …“
 

Der Ritt dauerte an. War es Cavallya, auf der sie ritt? Doch wer war es, der bei ihr saß? Der, der das Pferd lenkte? Alleine wusste sie nicht, wohin. Oder …? Hatte der Traum ihrer Mutter auch deren Pferd erreicht, sodass es Richtung Meer trabte, um dort die Freiheit des Wassers genießen zu können? Ihre Mutter hätte sich bestimmt darüber gefreut, endlich dort zu sein.

Aber das war nicht möglich.

Denn ihre Mutter war vor vielen Wochen gestorben.

An das Bett gefesselt, hatte sie wohl über ihr Leben nachgedacht und vielleicht bedauert, bei ihrer Familie geblieben zu sein. Aber vielleicht war dem auch nicht so. Ihr Vater hatte Terra darauf auch keine Antwort geben können, ob seine Frau fröhlich war oder nicht.

Er hatte ihr schließlich verboten, das Meer zu bereisen.

Doch ihre Mutter hatte es immer wollen. Die Liebe zu ihrem Mann allerdings hatte sie abgehalten, sich gegen ihn zu entscheiden. Sie blieb bei ihm. In ihrem zuhause.

In Hyrule.

Zusammen lebten sie auf dem Anwesen. Zu dritt. Oft kamen auch noch ihre Großeltern zu Besuch, welche ebenfalls strikt gegen einen Ausflug zum Meer waren. Schließlich waren es die Eltern ihres Vaters. Die ihrer Mutter hatte Terra niemals kennen gelernt.

Ob diese wohl noch am Meer lebten und warteten?

Hätten die anderen dort gelebt … – sie war sich sicher, sie hätten ihre Mutter ziehen lassen.

Als Kind hatte »Mama« am Meer gelebt. Ihre Mutter musste allerdings nach Hyrule, weil der Vater dort bei einem Händler eingestellt wurde, der nur Arbeiter in Hyrule-Stadt benötigte. Sie vermisste das Meer ihr Leben lang.
 

„Terra, willst du noch einmal zum See?“, fragte ihr Vater sie, wobei er bereits am Packen war, um den Tagesausflug zu beginnen.

Doch sie schüttelte unverfroren den Kopf. „Der See hat nicht geglitzert, wie Mama es gesagt hat! Nicht wahr, Mama? Der See ist kein Meer!“

Ihre Mutter lachte.

„Siehst du, sie redet genau wie du. Hör auf, ihren Kopf mit diesem Blödsinn zu füllen. Sie braucht kein Meer. Wir haben hier alles, was wir brauchen. Wir sind glücklich. Auch ohne Meer. Dort unten bei Marine müssten wir ein ganz neues Leben anfangen.“

„Es wäre ja nur ein kleiner Ausflug über mehrere Tage …“, entgegnete ihre Mutter, „Nur, dass unsere kleine …“

„Sie soll den von Unwettern heimgesuchten Riesensee einfach nicht sehen! Sie wird doch nur enttäuscht sein. So wie du ihr vom großen Wasser erzählst, muss sie es ja für einen Gott halten!“

Sie stand verwirrt zwischen ihren Eltern. Sie stritten schon wieder.

Wegen dem Meer …

War das denn, das Unwetter, von dem ihr Vater ständig sprach? Am Meer selbst gab es nämlich keine. Dort existierten nur Sonne und Lachen. Das hatte ihre Mutter ihr versprochen. Denn am Meer war es wundervoll …
 

Andauernd schwärmte ihre Mutter von dem großen Gewässer. Und immer mehr wurde der Wunsch ihrer Mutter ihr eigener. Sie wusste nicht, ob sie es sich von tiefstem Herzen wünschte, das Meer um ihretwillen oder aber um den ihrer Mutter zu sehen. Vielleicht war es eine Mischung aus beiden.

Seit dem Tod ihrer Mutter war dieses Verlangen viel schlimmer geworden. Und ihr Vater unerträglicher.

Sie musste einfach gehen. Sie bestieg das Pferd ihrer Mutter und ritt davon. Nur einen Zettel hinterließ sie ihrem Vater: „Jetzt bin ich frei“, stand darauf geschrieben.

Er dachte sich wahrscheinlich schon, dass sie nach Marine unterwegs war.

Aber er würde ihr nicht folgen.

Dessen war sie sich bewusst. Nicht er.
 

Sie kniete im Garten und las, wie sie es oft tat, wenn die Sonne so prachtvoll schien.

“Was liest du denn da, Terra?“, fragte er sie und riss ihr das Buch aus der Hand, „Die azurblaue Piratenflagge“, las er vor, „Ein Piratenbuch.“

„Ja, es ist sehr interessant. Kann ich es bitte zurückhaben?“, schnauzte sie ihn an.

Er stieß einen abwertenden Laut aus. „Du bist genauso verträumt wie sie“, stellte er erneut fest. Dies tat er oft. Immer und immer wieder.

„Wenn du dich so an unserer Art störst – weshalb lässt du uns dann nicht frei?“, fauchte sie.

Er wich zurück und schmiss ihr das Buch vor die Knie.

„Du musst nicht hier bleiben – und deine Mutter auch nicht! Aber ihr tut es. Und dann … Verschwindet doch einfach! Haut ab – hier braucht keiner solche Träumer wie euch!“

Er knirschte wütend mit den Zähnen, machte am Absatz kehrt und zog sich ins Haus zurück.

Terra griff nach der Lektüre und vertiefte sich wieder darin. Er hatte unrecht. Sie konnten nicht einfach so gehen.
 

Zwei Wochen später wurde ihre Mutter krank … und drei Wochen darauf … starb sie. Ihr Vater entschuldigte sich aufrichtig bei dieser, dass er nie mit ihr ans Meer gegangen war. Und er versprach ihr, dass alles gut würde … dass er und Terra auskommen und schön weiterleben würden … sie ehren … lieben … und schätzen würden. Niemals vergessen würden sie sie …

Drei Monate lang hatte Terra versucht mit ihren Großeltern, welche eine Zeit lang dort gewohnt hatten, um sich um die Pflichten ihrer »verschwundenen« Mutter zu kümmern, und ihrem Vater auszukommen. Doch dann …

… wurden aus den vielen kleinen Streits ein großer.

Einer, der Terra dermaßen wütend gemacht hatte, dass ihr klar wurde, dass es nie wieder wie früher sein konnte. Entweder sie ging … oder sie verzweifelte.

Auf Cavallya ritt sie davon …

… und wurde von Monstern angegriffen.

„Monster …“, murmelte sie noch im Halbschlaf. Sie wollte ihre Augen nicht öffnen, weil sie Angst davor hatte, dass diese sie wieder sehen konnten. Doch es war seltsam. Die Monster kamen nicht auf sie zu.

Sie … wurden getötet. Jemand hatte diese Monster getötet!

Eine nach dem anderen – die Monster waren tot!

Aber wer …?
 


 

„Vor drei Tagen wurde sie von einem Monster attackiert. Seitdem ist sie in einem Zustand, der zwischen Bewusstlosigkeit, Schlaf und Wachsein wechselt. Außerdem dürfte sie noch Erinnerungslücken aufweisen“, erklärte Link dem Mann, der sich als Doktor vorstellte.

Er befand sich in der Empfangshalle des Arztes, der eine Tasse Tee zu sich nahm und gelassen alles notierte, was Link ihm schilderte.

Shan hatte er nirgendwo auflesen können, weshalb er sofort hierher geritten war. Dank Terras Erscheinungsbild hatten ihm die Leute bereitwillig den Weg erklärt und er hatte ohne Verzögerung zum Ärztehaus gefunden.

„Ein Monster also … Gut, wir werden sie behandeln. Sie können gehen. Die Rechnung bezahlen Sie, nachdem das Überleben der Patientin gesichert ist. Wo kann ich Sie erreichen?“

„Kennen Sie eine Raststätte oder einen Gasthof, in dem ich bleiben könnte?“, entgegnete Link.

„Die Gaststätte eine Straße weiter ist relativ gut, teuer und gesichert. Außerdem nahe. Perfekt für sie.“, erklärte der schwarzhaarige Mann monoton.

Link nickte. „Vielen Dank für Ihre Auskunft. Ich werde eine Nachricht erwarten. Wenn etwas mit Terra ist …“

„Machen Sie sich keine Sorgen um sie. Hier ist sie in besten Händen“, erklärte er ohne Umschweife.

Link nickte und ging nach draußen.

Eine Dame, die dort arbeitete, geleitete Link zur Tür und verabschiedete ihn höflich.

Nun stand er da.

„Moment …“, bat er die Frau erneut.

Sie drehte sich lächelnd zu ihm um. „Bitte?“

„Wo ist die Gaststätte eine Straße weiter?“

„Sie können fast nur Levi’s Heim meinen“, stellte sie fest, „Einfach die Straße dort hinunter in das größte Haus, das sie dort sehen können. Am Eingang ist ein schmuckloses Schild platziert, das Ihnen den Weg deutet. Darauf steht ‚Levi‘ geschrieben.“

„Herzlichen Dank. Gute Nacht.“, sagte er und folgte dem Weg, woraufhin er auch fand, was er suchte.

Gerade rechtzeitig, weil es zu regnen begann.

Es wurde kalt und der Wind wehte durch die Gassen, die sich langsam leerten.

Bis auf einige wenige dubiose Gestalten war er alleine.

Epona hatte er im Stall beim Ärztehaus gelassen, da sie dort sicher war. Außerdem verlangte der Arzt nur ein paar Rubine pro Tag.

Gerade als Link losschreiten wollte, um die Treppen zu Levi’s zu betreten, ertönte Hufgeklapper hinter ihm.

Sofort schoss ihm Epona in den Kopf.

Doch sie war es nicht.

Ein Reiter in einem Umhang saß ungeschickt auf seinem Ross mit flammend rotem Haar, das sogar im Dunkeln und im Regen zu lodern schien.

Es wieherte unaufhörlich und der Reiter schien es nicht kontrollieren zu können.

Link warf schnell sein Schild und Schwert ab und stellte sich dem Pferd in den Weg.

Scheinbar wollte es ihn überrennen, denn es machte keine Anstalten, stehen zu bleiben.

Kurz bevor es auf Link traf, kam es dennoch zum Stillstand. Entweder hatte der Reiter etwas getan, oder es war zur Vernunft gekommen. Es hatte Sattel und Zaumzeug um, was bedeutete, dass es kein Wildpferd war und der Reiter nur ein müder Reisender.

Link fasste das Pferd leicht am Hals an. Als es sich nicht wehrte, begann er es zu streicheln, um es zu beruhigen.

„Verdammtes Vieh …“, murmelte der vermummte Reiter, „Es gehorcht einfach nicht … Danke fürs Aufhalten, …“

„Gern geschehen.“

„… Link.“

Er trat einen Schritt zurück und besah sich den auffällig großen Reiter erneut. Oranges Haar, das fast so feurig wirkte, wie das des Pferdes, lugte aus dem schwarzen Mantel hervor.

„Shan …?“, vermutete er.

„Genau.“

Sie stieg graziös vom Pferd ab. Fast, als … schwebte sie.

Vermutlich tat sie genau das.

Er sah sich um. Die wenigen Gestalten, die ebenso eingewickelt herumstanden, beobachteten die Szene, verloren aber allmählich das Interesse und gingen ihren ehemaligen Tätigkeiten erneut nach.

„Ich dachte, wir vereinbarten »Eingang«“, schalt sie ihn, „Und nicht »Stadtmitte«!“

„Tut mir leid. Ich habe dich nur nicht gesehen … und Terra ging es so schlecht …“

„Also hast du sie in die Raststätte Levi gebracht …?“, schlussfolgerte sie.

„Du kannst das lesen?“, wunderte sich Link.

„Selbstverständlich nicht! Aber irgendeiner hat mir nachgerufen, dass Levi mir weniger zu trinken geben solle, wenn ich dann SO reite“, erklärte sie. Dann deutete sie auf das Schild. „Und das da wirkt wie ein Bett.“

Er lächelte. „Du hast wirklich einen gefährlichen Reitstil. Aber das mit dem Umhang ist eine gute Idee. Sonnenschutz?“

„Ja. Und Gesichtsschutz, sodass ich mit dir durch die Stadt gehen kann, um Terra zu verabschieden.“

… Terra verabschieden …

Auf wiedersehen zu sagen … Lebe wohl …

Irgendwie störte dieser Gedanke Link …

Er mochte sie wirklich …

Auch wenn es nur vier Tage waren und sie drei davon bewusstlos war …

Irgendwelche Gefühle für das Mädchen regten sich in ihm …

Eine Art …

Beschützerinstinkt.

„Lass uns reingehen. Ich bekomme Bescheid, wenn sich Neuigkeiten über Terra ergeben.“

„Sie ist also nicht hier?“

„Nein, im Krankenhaus.“

Shan zuckte mit den Schultern. „Gut, dann spricht wohl nichts dagegen – und dieser Regen auch nicht dafür.“

Link lächelte.

Und gemeinsam schritten sie durch das Tor in das Innere des Gebäudes.
 

Er zeigte sich mir gegenüber offen ...

Anders als jedem anderen.

Vermutlich lag es wirklich nur an der neuen Situation ...

Schließlich ... war ich nur ich.

Verstehen

Die Welt ist kein ungerechter Ort.

Nur das Leben, das darauf stattfindet, kann ungerecht sein.

Ein Leben, das meinem gleicht, ist bestimmt nicht gerecht.

Denn es ist kein Leben.

Aber auch kein Tod.

Ich lebe, um zu sterben und dem Leben nachzutrauern.

Einem Leben, das ich nie hatte.
 

Jetzt war es der dritte Tag, den sie in Marine verbrachten, nachdem sie Levi, dem Besitzer der Raststätte für hungrige, müde und faule Gäste, Cavallya gegeben hatten, um diese bei der Gaststätte behalten zu können, sodass sie – nun, Link zumindest – zu Terra reiten konnten, womit sie schließlich um einiges schneller waren, als zu Fuß. Aber mittlerweile hatte er den Standplatz der Pferde vertauscht, sodass er wie gewohnt auf Epona reiten konnte.

Shan hielt sich nun noch weiter vom Pferd fern. „In eine solche Lage“ wollte sie nicht mehr gebracht werden, weshalb sie ihre Schattenwege oder den normalen Fußweg bevorzugte.

Marine war ein Vorteil für sie.

Die eng bebaute Stadt, deren Fußgängerstraßen eher Gassen waren, warf zu jeder Tageszeit genug Schatten, sodass Shan problemlos alles durchlaufen konnte. Den Umhang ließ sie allerdings aufgrund ihres auffälligen Aussehens an. Link verstand es vollkommen, obwohl jede Menge seltsamer Gestalten durch diese Stadt marschierten.

„Gut, dass es ihr wieder besser geht“, frohlockte Shan, „Dann können wir weiter nach Ganondorf suchen.“

Sie saßen zusammen auf einer Bank und sahen auf das Meer. Es erinnerte Link stark an den Hylia-See – nur, dass es niemals endete und riesig war. Auch die Wellen, die es warf, waren unermesslich und die des Sees waren ein Witz dagegen.

Er verstand, weshalb Terra unbedingt hierher wollte.

Obwohl die Matrosen trotzdem noch einschüchternd wirkten.

„Ich möchte wenigstens einmal mit ihr ans Meer“, gestand Link, „Wir haben den ganzen Weg zusammen mit ihr hinter uns gelegt – wir sollten uns über ihr strahlendes Gesicht freuen, wenn sie diese Wellen sieht.“

Eigentlich wollte er noch hinzufügen, dass er hoffte, dass sie bei diesem Anblick eine etwaige Strafe für das zu späte Eintreffen vergaß, doch er bezweifelte, dass Shan dies groß interessierte.

„Dann werden wir morgen wohl abreisen“, entgegnete sie.

Er sah sie überrascht an.

Sie lächelte ihm schelmisch zu.

„Woher …?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Wenn ich schon die Einzige von uns beiden bin, die bei der Sache ist, dann rede ich auch mit den Ärzten, die unsere Kranke betreuen.“

„Ich bin bei der Sache“, murmelte er, sagte dann aber deutlich, „Mir haben sie heute Morgen noch nichts Sicheres sagen können.“

Ihr Blick heftete sich viel sagend auf ihn. „Du benutzt die falschen Mittel.“

Er schaute sie fragend an, erhielt aber nur ein Schmunzeln als Antwort, wonach sich Shan wieder dem großen Nass zuwandte.

„Hier ist es ziemlich windig …“, stellte sie fest und zog ihre Kapuze, die deutlichen Schatten auf ihr Gesicht warf, um dieses somit zu verbergen, weiter nach unten.

„Siehst du überhaupt noch etwas?“, wollte er daraufhin wissen.

„Mehr als genug“, versicherte sie ihn, „Und es zieht weniger.“

Er lachte leise.

„Kommt es dir nicht auch dunkel vor? Es ist doch erst Mittag. Und Leute sind auch kaum welche hier.“

„Ob ein Sturm aufkommt?“, fragte er sich. Daraufhin schaute er über das Meer, um die weißen Vögel zu beobachten, die er als »Möwen« kennen gelernt hatte. „Wenn es stimmt, was der Mann vorhin gesagt hatte, dann sagen die Möwen, dass einer aufkommt.“

„Ein Grund, zurück zu gehen?“

„Besuchen wir noch einmal Terra“, legte Link fest und stand auf, um seine Entscheidung dingfest zu machen.

Shan folgte seinem Beispiel wortlos. „Hoffentlich haben wir morgen ebenfalls Regen, wenn wir die Stadt verlassen.“

„Dann kannst du mir besser …“, er unterbrach sich selbst, als sie ihn unter seiner Kapuze mit ihren gefährlich roten Augen noch um einiges gefährlicher anstarrte.

„Bitte?“

„Ja, das wäre toll“, entgegnete er zuckersüß lächelnd und ging um die Bank herum.

Sie lachte herzhaft und folgte ihm, wobei sie ihre Kapuze wieder zurückzog.

Regen setzte ein.

„Ach ja, wenn man schnell nach Hause möchte, hat man kein Pferd dabei.“

„Ha, so kann es gehen“, meinte sie selbstgefällig.

Er nickte nur abwesend.

Es regnete stärker.

„Warum, glaubt du, war Cavallya dort?“, fragte er sie.

Sie legte den Kopf schief, was wohl eine Ausweichgeste für einen fragenden Blick darstellte.

„Im Wald, so kurz vor Marine. Denkst du, es ist wirklich Zufall, dass das Pferd von Terra, die so dringend in diese Stadt möchte, diesen langen Ritt zurücklegt?“

„Was glaubst du denn? Dass die Göttinnen es bestiegen haben, um es mir vor die Füße zu stellen?“, entgegnete sie spöttisch, „Ich denke, das Pferd kannte den Weg einfach instinktiv und hat dort auf seinen rechtmäßigen Reiter gewartet.“

„Wie hast du es eigentlich von dort aus zur Stadt gebracht? Tut mir leid, aber … Ich glaube nicht, dass du es mit dem Stil, den bis zu mir angewandt hast, überlebt hättest.“

„Vielleicht hat es mich einfach erkannt oder so. Ich weiß es nicht. Oder es war sehr nett und hatte sich dann nur vor dir erschreckt … Woher soll ich das denn wissen? Sehe ich aus wie ein Pferd?“

„Dieselbe Mähne wie Cavallya hast du jedenfalls“, überlegte er, „Und du bist groß und dein Hals …“

Sie unterbrach ihn mit einem Räuspern.

Er schaute sie an.

„Das wollte ich eigentlich nicht hören“, teilte sie ihm mit belegter Stimme mit, „Und nein, ich bin kein Pferd, so wie du keine fliegende Fee oder ein Frosch bist.“

„Wie kommst du auf die Idee, dass Feen grün sind …?“

Sie blieb überrascht stehen.

Dann schüttelte sie behände den Kopf und ging schleunigst weiter. „Vergiss es einfach.“

Er folgte ihr.

Bis zum Arzt verlief ihr Weg schweigend.

„Los, frag nach ihr. Ich bin kein Besucher, der ihr behagen wird“, erklärte Shan, „Ich bleibe wieder hier in der Halle und … bleibe einfach hier.“

„Wenn sie zufällig wach ist, werde ich dich holen. Sie soll ihre Retterin …“

Mit einem „Nein“, das keinen Widerspruch duldete, unterbrach sie ihn barsch. „Du hast sie einfach gerettet. Mich gibt es nicht.“

Damit trat sie ein und setzte sich eilig und ohne Zögern auf einen der Stühle.

Sie verschränkte die Arme und blieb stur sitzen, während sie nach unten sah.

„Oh, Sie schon wieder. Terra ist wach“, erklärte die Frau am Eingang, „Sie ist – denke ich – bereit, Besuch zu empfangen. Sie hat sowieso schon nach Ihnen gefragt, Link. Aber Sie waren bei Levi nicht erreichbar ...“

Er nickte höflich und bedankte sich aufrichtig, wobei er auch erklärte, dass er einen Spaziergang gemacht habe.

Danach ging er zum Zimmer, das Terra zugeteilt worden war, in dem er bereits einige Male zugegen war. Allerdings hatte sie bei seinen Besuchen immer geschlafen, weshalb er ihr nur kurz beigewohnt hatte, um nicht zu stören – dazu hatte ihm der Arzt geraten.

Er klopfte leise an der Tür.

Ein genervtes „Herein“ erklang.

Er öffnete die Tür.

Ein überraschtes „Link!“ ertönte.

Er schritt durch die Tür.

Eine Terra strahlte ihn an.

„Link! Komm her!“

Er folgte ihrem Befehl.

Scheinbar war sie nicht böse auf ihn.

Oder es war eine Falle.

„Hey, Terra“, begrüßte er sie, während er zum Stuhl neben ihrem Bett ging. Eigentlich war es kein richtiges Bett, sondern mehr eine Liege, in der wohl niemand länger als nötig bleiben wollte … und sollte.

Etwas Stroh war von einer Decke bedeckt und lag auf einem kalten Stein, der die Form eines Bettes hatte. Über dem Patienten waren dickere Decken und er hatte sogar einen Polster, um bequemer zu liegen.

Der Stuhl war aus Holz und eher ein Schemel. Beides füllte den Raum fast ganz aus. Ein Tisch zierte den Raum ebenso, denn mehr hatte gar keinen Platz. Für einen Patienten waren vielleicht nur zwei Besucher erwünscht, weshalb sie den Raum wohl so eingeschränkt hatten.

„Wie geht es dir?“, wollte er lächelnd von ihr wissen. Er war sehr froh, dass sie wach war und sogar relativ gesund aussah.

„Mir geht es prächtig. Wir sind in Marine, habe ich gehört! Und, ist es schön? Gefällt es euch?“, fragte sie aufgeregt.

„Das ist sehr schön“, beteuerte er ihr, „Und ja, Marine ist wundervoll. Es unterscheidet sich von Hyrule-Stadt vollkommen. Und das Meer finden wir … Wir?“ Er zog eine Augenbraue nach oben. Wen meinte sie mit „euch“? Dass sie ihn mit Königsplural ansprach, war ihm neu.

Sie sah verlegen weg. „Ach, ja, also … Die Frau … und du. Die Frau ist doch auch da, oder?“

Also doch aufgeflogen – um es mit ihren Worten auszudrücken: Ha, so kann es gehen.

„Frau?“, fragte er – natürlich stellte er sich unwissend. Es konnte schließlich auch sein, dass sie Hirngespinste hatte und gar nicht Shan meinte.

„Diese groß gewachsene, die ständig versucht hat, mir aus dem Weg zu gehen. Mit ihr hast du nachts einmal geredet …“

Er wollte Terra nicht belügen. Und Offensichtlich war es auch …

Aber er sollte sich wohl zuerst mit Shan besprechen. Wobei – Terra sahen sie womöglich lange nicht mehr. Und sie schien nicht erkannt zu haben, dass Shan keine Hyrulanerin war. Weshalb sollte er ihre Existenz geheim halten? Wo Terra sie doch gesehen hatte.

Er nickte. „Ihr Name ist Shan. Sie ist aber ein wenig schüchtern, weshalb sie sich nicht traut, zu dir zu kommen. Aber ihr gefällt Marine auch. Und sie hofft, dass es dir gut geht. Sie kommt jedes Mal mit hierher, um dich zu besuchen.“

Terra blickte ungläubig drein, lächelte aber dann. „Dann will ich mich bei ihr bedanken. Ach ja! Und bei dir auch! Herzlichen Dank für meine Rettung. Ohne dich wäre ich wohl …“

Er unterbrach sie mit einer abwehrenden Handbewegung. „Nein, nein, es war Shan, die dich gerettet hat. Ich habe in dieser Sache wohl versagt.“

Das Mädchen legte den Kopf schief und sah bestürzt drein. „Oh.“ Nach einer kurzen Pause fragte sie: „Hat sie sich dabei auch nicht verletzt?“

Er schüttelte den Kopf. „Sie kann auf sich aufpassen. Nein, ihr geht es gut.“

„Ich will mich persönlich bei ihr bedanken.“

Link spielte mit dem Gedanken, erneut abzulehnen. Allerdings hätte Shan ja ihre Meinung ändern können … Und sie hatte ja ihren Umhang. Und wenn sie wollte, konnte Link ihr auch seine Handschuhe leihen, die keine Haut zeigten.

„Warte, ich rede mit ihr“, versprach er.

Er stand auf und ging zum Warteraum, wo Shan noch in derselben Pose saß.

„Schläft sie schon wieder?“, fragte sie.

„Nein, aber du sollst mitkommen.“

Sofort sah sie auf und funkelte ihn zornig an. „Hast du …?“

Er schüttelte ablehnend den Kopf. „Sie hat dich einmal gesehen, als du mit mir gesprochen hast. Sie will sich für die Rettung bedanken.“

Shan seufzte und zeigte ihm ihre Hände.

Sofort zog er seine Winterhandschuhe aus der Tasche.

Erneut entrann ihr ein Seufzen, doch sie nahm an. „Bitte“, sagte sie tonlos, während sie sie anzog. „Aber sie braucht mich gar nicht anzuschauen.“

Er lächelte.

Vor der Tür ließ er ihr den Vortritt.
 


 

Terra wartete gespannt, bis die Tür aufflog und die große Frau in einen Umhang gehüllt auf sie zukam. Von ihrem Gesicht war keine Spur zu sehen, da die Kapuze so tief hineingezogen war. Als wollte sie nicht, dass man sie erkennt …

Ihr ganzer Körper war in diesen Mantel gehüllt. Sie war wohl wirklich sehr schüchtern.

„Hallo! Shan, habe ich gehört? Ich bin Terra! Ich danke dir vielmals, dass du mich gerettet hast, ohne dich wäre ich …“

Sie wurde unterbrochen. „Kein Problem.“

Und sie wollte schon wieder umdrehen, doch Link ließ sie nicht durch.

Die Frau seufzte.

„Was willst du?“, fragte sie erneut an Terra gewandt.

Sie lächelte.

„Außerdem danke ich dir, dass du dich um mein Wohlergehen sorgst.“

„Gerne doch.“

„Woher kommst du?“

Diese Frage ließ die Frau verstummen – nicht, dass sie viel gesprochen hätte …

Doch es gab keine Antwort, sondern sie sah sich nur – nervös? – um.

„Du hast so einen … Akzent. Kaum merkbar. Aber anders als Link. Er hat nur einen Dialekt. Keine Sorge, dich versteht man besser als ihn.“

„Dein Schiff ist vorbei“, erklärte sie, anstatt zu antworten.

Link sah erschrocken drein.

Die Frau strahlte irgendwie eine zufriedene Aura aus.

Und Terra selbst …

… ihr war es egal!

Hauptsache sie lebte noch – und außerdem war sie in Marine!

Dann konnte sie eben nicht mit dem Handelsschiff fahren und Kapitän werden – aber sie lebte noch! Es würde sich ein anderes Schiff zu einem anderen Vollmond finden lassen. Kein Problem.

„Ich danke euch, dass ihr mich hierher gebracht habt. Morgen werde ich entlassen, hat der Arzt gesagt. Dann … werden sich hier unsere Wege wohl trennen?“

Sie lächelte.

Link schaute bestürzt drein, dann schüttelte er langsam den Kopf. „Wir bleiben bis morgen. Dann können wir zusammen ans Meer gehen.“

Terras Augen weiteten sich. „Ihr wollt …?“

Sie war glücklich. Überglücklich. Sie lächelte aus tiefsten Herzen.

„Link, danke, aber …“

Sie wollte unbedingt mit ihm ans Meer, doch sie wusste, dass es nicht ging. Auch wenn er es vorschlug.

„Ich weiß von eurer Aufgabe. Und es war sehr egoistisch von mir, euch meinetwegen aufzuhalten und nicht nach ihm suchen zu lassen. Es tut mir wirklich leid! Es ist sogar schon … hassenswert, dass ihr meinetwegen tagelang Krankenwache geschoben habt, anstatt die Welt zu retten. Geht jetzt, schnell. Oder ich mach euch Feuer unterm Hintern, wenn ich davon höre, dass Ganondorf es schafft!“ Sie lachte.

Links Miene änderte sich von „verdutzt“ auf „liebevoll lächelnd“. „Ob wir einen Tag länger brauchen oder nicht – wir haben hier in der Stadt Arbeit geleistet. Wir haben Leute danach gefragt, ob Seltsames vorgefallen ist … ob sie uns Bescheid sagen können, wenn sie etwas aufschnappen. Dank dir haben wir hierher können. Denkst du, ohne dich wären wir jemals nach Marine gekommen? Nein, wären wir nicht. Es war wohl Schicksals Fügung, dass wir uns getroffen haben. Und das hat uns einen neuen Freund und Hilfe beschert.“

Sie wandte sich ab. „Ich glaube nicht, dass er hier irgendwo sein wird … Er wird doch eher in Hyrule bleiben, wo er Rache an dir nehmen kann.“

„Meine Worte“, stimmte Shan ihr zu.

Er blickte sie verwirrt an. „Aber du hast doch …“

„… gesagt, dass du das Land verlassen sollst, weil er Rache an dir nehmen wird“, beendete sie den Satz, „Nur dass du nicht auf mich hörst.“

Terra lächelte. „Ich bin mir sicher, ihr beide könnt ihn aufhalten.“

„Ja, aber erst, nachdem wir zusammen am Meer waren“, erklärte Link.

Terra seufzte. „Danke.“

Er lächelte.

„Gut, jetzt wo wir das erledigt haben, können wir ja wieder gehen.“

„Du hast es aber eilig. Es stürmt draußen eh …“

„Ein Sturm?“, informierte sich Terra, „Geht es den Schiffen denn gut?“

„Ich kenne mich nicht so recht mit ihnen aus“, erklärte Link entschuldigend, „Tut mir leid, dazu kann ich nichts sagen.“

Terra schaute bestürzt auf ihre Decke. „Die Matrosen werden schon klar kommen.“

„Irgendwie passt du gar nicht zu den Matrosen“, bekannte Link.

„Matrosen? Habe ich jemals …“ Abermals lachte Terra. „Ich will doch kein Matrose werden, Link! Ich werde Kapitän Terra!“, klärte sie ihren Freund und Leibwächter auf.

„… Das hätte ich wirklich nicht ernsthaft erwartet“, bekannte Link bestürzt.

„Ich werde langsam müde …“, erklärte Terra ihnen entschuldigend.

Sie gähnte absichtlich laut und deutlich. „Geht ruhig und amüsiert euch.“

„Wir kommen morgen vorbei und holen dich ab“, versprach er ihr.

Sie lächelte. „Danke sehr. Gute Nacht!“

„Es ist erst Mittag“, warf Shan ein.

„Egal“, meinte Link abwinkend, „Gute Besserung!“

„Es geht mir schon bestens“, entgegnete sie, lächelte aber und sagte: „Danke.“

Sie legte sich hin und deckte sich zu, als die beiden die Tür schlossen und ihre Stimmen draußen verhallten.

Terra fand es sehr schade, dass sie das Schiff verpasst hatte, doch sie reagierte vollkommen anders, als sie es noch vor ein paar Tagen getan hätte.

Dieses Monster … hatte sie irgendwie verändert …

Vielleicht blieb es nicht so. Vielleicht war es auch nicht das Monster alleine.

Link hatte bestimmt auch eine Menge dazu beizutragen.

Sie war zufrieden.

Sie war glücklich zu leben und in Marine zu sein.

„Mama, bist du jetzt auch glücklich?“, fragte sie leise.

Sie schloss wirklich ihre Augen, um zu schlafen.

Das Gesicht ihrer Mutter tauchte von ihren Augen auf und wünschte ihre eine gute Nacht.

Eine Träne rann ihre Wange hinab.

„Danke …“
 


 

Manchmal hatte ich einfach das Gefühl, meinen Tränen freien Lauf lassen zu müssen.

Es hatte doch keiner bemerkt. Aber es gab Ausnahmen.

Und wenn eine solche eingetroffen war, dann hatte sich diejenige Person um mich gekümmert.

Bis diese bemerkte, um WAS sie sich kümmerte.

Lediglich um eine Illusion.
 


 

Link schlug die Augen auf und wurde geblendet. Sonnenstrahlen trafen ihn ins Gesicht. Die Morgensonne war da. Er hatte ein Zimmer im höchsten Stock, wo die Sonne noch Zugriff auf die Stadt hatte. Shans Zimmer lag ein Stockwerk weiter unten.

Er streckte sich ausgiebig und gähnte. Er hatte gut geschlafen. Er würde ein solch bequemes Bett vermissen, wenn er wieder im Gras schlafen musste. Doch dagegen hatte er auch nichts. Das Bett war eben komfortabler – egal, wie abgehärtet er war.

Er schwang aus dem Bett und kleidete sich an.

Den Gürtel anschnallend, befestigte er das Schwert kampfbereit auf seinem Rücken und band das Schild daran fest. Die Leute starrten ihn aufgrund seiner kriegerischen Ausrüstung zwar hin und wieder belustigt an, aber das machte ihm nichts aus. Lieber war er angestarrt und lebendig, als durchschnittlich und tot.

Er nahm seinen Beutel mit der Ausrüstung, den er sich lässig über die Schulter schwang und verließ das Zimmer. Hinter sich schloss er artig die Tür, wobei er zwei Leute höflich begrüßte, die an ihm vorbeischlichen.

Danach schritt er munter zu Shan.

Vor ihrer Tür blieb er stehen und wartete eine Weile. Sie wollten sich zum Morgen hin treffen, sodass sie beim Einsetzen des Abends bereits weg sein konnten.

Dann konnten sie noch einen halben Tag mit Terra verbringen.

Er lächelte bei dem Gedanken daran.

Doch allmählich wurde er des Lächelns müde, als Shan weiterhin keinen Laut von sich gab. Er klopfte.

Keine Antwort.

War sie schon weg?

Er entfernte sich von der – im Erdgeschoss des Hauses liegenden – Tür und wanderte zum Empfangstisch, an dem eine gelangweilt aussehende junge Dame saß.

„Entschuldigen Sie, ist die Frau schon aus ihrem Zimmer gekommen?“, erkundigte er sich mit einem Deuten auf Shans Gemach.

Die Dame schüttelte den Kopf und gähnte. „Ich habe sie nicht gesehen.“

„Danke“, murmelte er und machte sich wieder davon.

Er klopfte erneut an.

Als sie wieder nicht öffnete, warnte er sie: „Shan, ich komme jetzt rein.“

Er wartete kurz, ließ noch ein Klopfen ertönen und schwang dann die Tür auf, trat ein und schloss sie hinter sich wieder.

Zu seiner Erleichterung war sie noch da.

Nur dass sie in ihrem Bett lag und schlief.

Er schmunzelte.

Sie hatte verschlafen.

Mit einem Blick durchs Zimmer bemerkte er, dass sie gar kein Fenster im Raum besaß. Jetzt wusste er auch, weshalb sie nichts von der Tageszeit wusste.

Es wunderte ihn, dass sie sonst immer wach war, wenn die richtige Zeit dazu da war. Er selbst wurde schließlich auch nur von der Sonne geweckt. Sonst hatte er sich nie Gedanken darüber gemacht, da sie nie zu spät gekommen war.

Er zog es vor, sie aufzuwecken, obwohl er nicht wusste, wie sie darauf reagieren würde. Entweder sie war wütend, weil er sie nicht ausschlafen ließ, oder sie war froh, weil sie dadurch nicht den Tag verschlief.

Link würde es herausfinden.

Er ging zu ihr und schüttelte sie ganz leicht.

Sofort schlug sie die Augen auf und starrte ihn durchdringend – schockiert und überrascht – an. Aber sie beruhigte sich glücklicherweise sofort und sagte: „Guten Morgen, Link.“

„Schönen Tag, Shan. Du hast wohl ein Weilchen verschlafen.“

Sie lächelte. „Ich kann es mir denken. Ansonsten wärst du wohl kaum hier.“

Er nickte. „Machst du dich fertig?“, fragte er.

Sie stand allerdings sofort auf. Er bemerkte, dass sie bereits in ihren Umhang gewickelt war.

„Schon erledigt. Ich war zu früh wach und habe mich dann noch einmal hingelegt – für einen Moment natürlich. Aber das war offensichtlich ein Moment zu viel.“

„So kann es gehen“, meinte er gespielt mitfühlend.

Sie warf ihm einen kalten Blick zu, wandte sich dann aber einem kleinen Schränkchen zu, das das Zimmer dekorierte. Sie nahm etwas davon und hängte es sich um den Kopf.

„Du trägst das Diadem immer noch?“

Sie starrte ihn ungläubig an. „Du bemerkst das erst jetzt?“ Doch bevor er antworten konnte, fügte sie hinzu: „Ja, es erinnert mich an meine Pflichten. Ich neige zur Vergesslichkeit.“ Sie kicherte.

„Ja. Aber denkst du nicht, dass du es zurückgeben solltest? Diadems gehören irgendwie zu Herrschern und …“

„… Ich habe es mir ausgeborgt“, unterbrach sie ihn, „Um wie eine Herrscherin zu wirken. Dass ich mit dir hier bin, hat nicht zum ursprünglichen Plan gehört. Wie soll ich da bitte die Gelegenheit haben, es zurückzugeben?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Außerdem finde ich es bequem. Und sehen kann es unter dem Umhang auch niemand, weshalb das Prachtstück auch sicher ist.“

„Wie du meinst. Aber wenn Midna es zurückhaben möchte, solltest du es ihr schon geben.“

„Keine Sorge, sie vermisst es nicht. Sie hat ja noch hundert. Für jeden Tag eines.“

„Wir sind deiner Meinung nach also noch hundert Tage unterwegs?“, informierte sich Link schief lächelnd.

Sie nickte, während sie das Diadem vor dem Spiegel beäugte. Sie schwieg.

Dann durchbrach sie die kurz anhaltende Stille wieder: „Es ist mein Lieblingsdiadem. Ich mag seine Aufmachung.“

„Ja, es sieht ganz nett aus“, stimmte Link ihr zu.

„Meine favorisierte Farbe ist Gold“, gestand sie ihm, „Deine?“

„Ich denke grün. Auch wenn ich mir darüber noch keine richtigen Gedanken gemacht habe.“

„Das solltest du aber. Je mehr du über dich weißt, desto besser kannst du bestimmen, was andere über dich wissen.“

Er legte den Kopf schief.

„Komm, jemand wartet auf uns“, meinte sie und verließ eiligst den Raum, während sie ihre Kapuze tief ins Gesicht zog, „Du bezahlst übrigens.“

Er hastete lächelnd hinter ihr her.
 

War da etwas zwischen ihnen?

Mehr als da sein sollte?

Oder wollte ich einfach nur etwas sehen,

um mich ausgegrenzt zu fühlen?

Wie jämmerlich.

Verabschieden

Doch ich hasste niemanden mehr als sie.

Ihr alleine galt der Grundstein für meinen unsäglichen Hass.

Es war kein Hass, für dessen Stillung ich morden würde.

Ich mordete prinzipiell nicht.

Es war nur ein Hass, der in meiner Seele verankert war und nicht entkommen konnte.
 


 

Link ritt mit Epona zum Krankenhaus, während Shan ihm hinterher ging. Sie gingen eher langsam, da es noch morgens war und einige Leute von Eponas Hufgetrampel wach hätten werden können. Obwohl es eigentlich eh schon relativ geschäftig zuging. Diese Leute waren eindeutig Frühaufsteher.

Sie kamen am Krankenhaus an und er stellte Epona bei Cavallya im Stall ab. Die beiden Pferde begrüßten sich.

Er verließ den Stall wieder und betrat gemeinsam mit Shan das Krankenhaus. Die Empfangsdame grinste, als sie die beiden sah und wünschte daraufhin einen schönen, guten Morgen.

Sie antworteten höflich und freundlich darauf und klopften dann bei Terra.

„Kommt herein!“, bat sie sie laut und deutlich.

Als Link die Tür öffnete, stellte er überrascht fest, dass das Mädchen bereits neben einem abgezogenen Bett stand und gehbereit wartete.

„Da seid ihr ja endlich!“, freute sie sich und ging auf sie zu. Sofort schob sie sie wieder zur Tür hinaus. „Lasst uns bitte endlich gehen!“

Link lächelte. „Natürlich, lasst uns gehen.“

Beim Empfang verabschiedete er sich von der Frau, da er diese vermutlich nicht mehr sehen würde, und ging mit den anderen nach draußen. „Willst du reiten, Terra? Bist du dazu schon kräftig genug?“

Sie nickte. „Reiten wir wieder zusammen auf Epona?“

Er zuckte mit den Schultern.

Sie betraten gemeinsam den Stall.

Und schon in der Tür blieb Terra abrupt stehen.

Er drehte sich lächelnd zu ihr um. „Überraschung!“

Sie kreischte erfreut auf und rannte sofort zu Cavallya.

„Feuerrote Mähne, wunderschön – du kannst doch nur Cavallya sein!“, rief Terra überglücklich aus. Sie umarmte ihr Tier und streichelte es stürmisch, aber sanft und liebevoll.

Sie sah zu Link und er erkannte Freudentränen in ihren Augen. „Wie …?“

„Shan hat sie gefunden und hergebracht. Bedanke dich bei ihr.“

„Oh, jetzt hast du mir mein Leben nicht nur gerettet, sondern auch noch versüßt! Ich bin ein begeisterter Anhänger von dir, Shan!“

Die Angesprochene wank ab und sagte gelassen: „Ach, das war nichts …“

Link kicherte daraufhin.

„Was kicherst du denn?“

„Kein Problem hattest du mit Cavallya?“, informierte sich Link.

Shan grummelte und murmelte etwas in sich hinein.

„War das jetzt ein Fluch?“

„Wer weiß?“, antwortete Shan beleidigt und sah zur Seite.

Terra lachte. „Danke, wirklich. Cavallya kann schon sehr stur sein. Ich hoffe, sie hat dir nicht allzu viele Probleme bereitet …“

„Nein, es war in Ordnung.“

„Danke, wirklich. Es bedeutet mir sehr, sehr viel, sie wieder zu haben. Sie ist das Pferd meines Großvaters. Und nach ihm hatte es meine Mutter. Beide mögen es wirklich sehr. Und ich auch. Sie ist meine Freundin und – bis auf ein paar Ausnahmezustände - ständige Begleiterin …“

„Es ist schön, dass du so von deinem Pferd denkst“, fand Link, „Mir ist Epona ebenfalls sehr wichtig. Ich habe sie als Geschenk eines Dorfbewohners erhalten. Ich durfte sie großziehen. Sie kennt mich schon, seit sie ein kleines Fohlen war. Ich habe es immer sehr genossen, mit ihr zu spielen. Und jetzt arbeite ich gerne mit ihr.“

„Mein Großvater hat Cavallya als Fohlen gekauft“, sagte Terra daraufhin, „Hattet ihr viele Kinder im Dorf, die mit Epona spielen konnten? Oder andere Pferde?“

Link schüttelte verneinend den Kopf und bewegte sich dann auf Epona zu. Er strich ihr durch die Mähne. „Nein. Ich bin das älteste Kind im Dorf gewesen. Die anderen sind erst eine Zeit nach mir geboren worden. Und der Mann, ein Ziegenhirte, hat sie auch nur gekauft, um sie zum Ziegenfangen zu benutzen. Er hätte sich nur nicht gedacht, dass Fohlen ungeeignet sind. Er hat sie mir mit der Bitte gegeben, sie in späteren Jahren für sich arbeiten zu lassen. Ich habe eingewilligt. Und Epona tut die Bewegung gut. Kann Cavallya in der Stadt gut herumgehen? Bei euch waren bestimmt viele Kinder.“

„Sie hat auf unserem Grund ihren eignen Stall und einen großen Garten. Aber ich denke, hier draußen findet sie es schöner. Ist es nicht so, Cavallya?“

Das Pferd wieherte.

„Und du hast recht. Es gibt viele Stadtkinder die mit Pferden spielen. Ja … sie hatte eine sehr aufregende … Kindheit.“

„Ah …“

Schweigen breitete sich aus.

Doch Terra durchbrach es recht schnell. „Link … Wie jener Ziegenhirte habe ich ebenfalls eine Bitte an dich.“

„Und die wäre?“, informierte er sich.

„Als wir uns begegneten, habe ich doch darum gebeten, meiner Familie von meinem Tod zu berichten. Tu es … bitte …“

„Ich kann doch deine Familie nicht anlügen“, entgegnete er mit hochgezogenen Augenbrauen.

Sie schüttelte den Kopf. „Du verstehst nicht … sie würden nicht nach mir suchen, auch wenn sie dachten, ich lebte noch. Sie hätten Angst davor, nach draußen zu gehen. Aber sie könnten jemanden schicken, um nach mir zu suchen. Unbeteiligte. Du verstehst? Sie würden sich meinetwegen den Monstern entgegenstellen müssen. Aber nicht jeder kämpft so gut wie du.“

Er nickte. „Ja … aber … kann ich ihnen nicht einfach ausrichten, dass du wohlbehalten in Marine bist?“

Sie wehrte sofort mit den Händen ab. „Bist du verrückt? Sie würden jemanden ausschicken, der mich zurückschleift! Es käme auf dasselbe hinaus! Nur mein Tod und mein gefressener Leichnam kann Leben schützen.“

„… Du bist dir sicher?“

„Du tust es?“, fragte sie und faltete die Hände, als würde sie beten.

Er drehte sich Hilfe suchend zu Shan um.

„Willst du nach Hyrule-Stadt? Wirklich?“, fragte diese.

Er nickte. „Ich habe mich dazu entschlossen, mit der Prinzessin zu sprechen.“

Sie seufzte. „Muss das sein?“

„Ja. Wir brauchen Soldaten als Verbündete. Alleine schaffen wir es nicht. Das musste ich einsehen. Wir werden nach Hyrule gehen.“

„Dann tu es meinetwegen. Du lügst schließlich, nicht ich.“

„Was, wenn es ihre Herzen zerreißt?“, fragte Link wieder an Terra gewandt, „Wenn sie so betrübt sind, dass …“

Er brach ab, als Terra ihn energisch und ohne Zögern anstarrte. „Ich will, dass sie Gewissheit über meinen Tod haben. Sie sollen mich nicht suchen oder Angst um mich haben. Erzähle ihnen bitte, dass du gesehen hättest, dass ich ein Stück weit von Hyrule entfernt von einem Vogelmonster gepackt worden und mit einem schmerzlosen Hieb und ohne Schrei gestorben wäre.“

„Das ist aber eine wilde Geschichte …“, bedachte Link.

„Was soll ich sonst sagen? Dass ich mich an einer Spindel gestochen habe und deshalb für tausend Jahre schlafe?“, gab sie sich trocken zurück.

Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht?“

„Nein. Und … sag ihnen bitte, dass du es nur aus der Ferne beobachten konntest. Cavallya … nun, sie ist weggelaufen. Nach ihr werden sie schon nicht suchen, egal wie viel sie Großvater bedeutet. Du konntest die Monster von mir wegtreiben, gerietst dabei in eine Falle und ehe du dich versahst, war mein Körper gefressen worden.“

Sie riss an ihrem Ärmel herum. Und löste ein Stück Stoff.

„Was …?“, fragte Link und konnte sich keinen Reim aus ihrem Tun machen.

„Das ist alles, was du von mir retten konntest.“

„Und das soll ich ihnen geben.“, schlussfolgerte er.

„Besser als nichts, oder?“, entgegnete sie schnippisch, „Danke, dass du das für mich tust. Es bedeutet mir sehr viel …“

Er lächelte sie an. „Keine Sorge … ich tue es. Wenn auch ungern …“

„Danke.“
 


 

Eine kühle Brise wehte ihr ins Gesicht. Ihr Haar flog wild im Wind herum. Kein Sturm war in Sicht. Der Himmel war klar. Wolkenlos. Man konnte bis zum Ende sehen.

Nein … Nein, das konnte man doch nicht.

Denn es gab kein Ende.

Wellen bewegten sich unaufhörlich im Wasser umher. Ein klarer Rhythmus der Natur ließ erkennen, dass es lebendig war. Ja, das Wasser war lebendig.

Das Meer war lebendig.

Alles war lebendig.

Die gleißende, leuchtende, gelbe Sonne schien auf das blaue Nass hinab und verlieh ihm einen goldenen, majestätischen Schimmer. Sie verzierte das Wasser, wie sie Welt verzierte. Doch die Sonne passte hierher. Sie passte … es … es war unglaublich …

Hinter ihr wanderten ein paar Leute vorbei, die sich über den prächtigen Tag unterhielten. Irgendwie stieg Wut in ihr auf. Ein Kloß steckte plötzlich in ihrem Hals. Wieso würdigten diese Leute das Meer nicht? Warum ignorierten sie es, wo es doch hier war? Vor ihnen … so wunderschön … so …

„Alles in Ordnung?“, erklang eine andere, ihr bekannte Stimme. Sie schreckte auf und sah in Links strahlendes, aber auch besorgtes Gesicht, „Du siehst nicht sonderlich glücklich aus … Ist es nicht so, wie du es dir vorgestellt hast?“

Terra sah ihn an.

Sie antwortete: „Nein.“

Dazu schüttelte sie den Kopf und blickte zu Boden. „Nein …“

Mit einem plötzlichen Ruck sah sie erneut zu Link und lächelte ihn breit an. „Es ist noch viel besser! Es ist wirklich, wirklich wundervoll! Ich …“ Sie verstummte.

Link sah sie fragend an.

„Ich … sollte nur nicht mit euch hier sein …“ Sofort hob sie abwehrend die Arme, ohne dass jemand etwas gesagt hatte. „Nicht, dass mir eure Anwesenheit missfällt. Ich genieße sie sogar sehr. Nur …“

Ihr Blick wanderte erneut hinaus auf das Meer. Ein paar Möwen hatten sich erhoben und schwebten elegant durch die Lüfte. Es waren weiße Vögel, mit schwarzen Flügelspitzen. Ihre orangen Schnäbel schnappten Fische, wenn sie hinab tauchten, was man mehrmals beobachten konnte. In Büchern wurden Möwen immer als nervig und Last bezeichnet … Doch Terra empfand das anders. Für sie waren diese Vögel ein Zeichen. Das Zeichen, dort zu sein, wo sie hingehörte. Hierher. An diese Stelle. „…Weißt du, hier sollte ich eigentlich mit meiner Mutter sein. Es war ihr Traum, hier zu sein … Sie hat mir ihren Traum weitergereicht und nun habe ich ihn hier ausgeführt. Aber … ich vermisse ihre Anwesenheit.“

Sie sah zu Link. Dann bemerkte sie aber, dass Tränen in ihre Augen gekommen waren und schaute hastig zur Seite. Sie wischte sich die nassen Tropfen langsam vom Gesicht. „Sie wollte ans Meer … Sie wollte es unbedingt … Aber mein Vater hatte sie nie gelassen. Sie musste in Hyrule bleiben … bei ihm, bei mir, bei meinen Großeltern … in der Stadt … in der Enge …“

Link hörte nur zu und sah sie dabei mitfühlend an.

Sie war froh, dass er nichts Tröstendes sagte. Danach wäre sie vermutlich weinend und schluchzend zusammengebrochen.

„Sie war eingesperrt. Ich hatte ihren Traum übernommen. Und ich hatte Angst. Ich fürchtete, ebenfalls wie sie in Hyrule bleiben zu müssen. Und dort zu sterben, ohne jemals einen Blick auf das Meer geworfen zu haben. Meine Mutter stammt von hier. Und sie wollte zurück. Aber es ging nicht …“

Terra sah zu Shan, die in einiger Entfernung auf der Mauer saß, die die Wellen von der Stadt abhalten sollen. Etwa zwei Meter über dem Meer standen sie. „Vor ein paar Monaten ist meine Mutter gestorben. Sie kam nie wieder an das Meer.“

Sie wandte sich wieder Link zu, der sie weiterhin schweigend beobachtete. Sie drehte sich zu ihm. „Darum habe ich Cavallya genommen und bin weggelaufen. Ich wollte einfach nur weg.“

Als hätte sie ihren Namen verstanden, wieherte Cavallya kurz. Epona antwortete ihr. Die beiden Pferde standen etwas abseits und grasten in der Sonne.

„Du hast mir sehr geholfen, Link. Du hast meinen Traum erfüllt. Dieses Kapitel meines Lebens ist nun abgeschlossen. Ich bin bereit für ein neues. Auch wenn ich nicht mit dem Schiff die Welt besegeln konnte, mit dem ich wollte, bin ich zuversichtlich, auf eines zu treffen, das mich mit sich nimmt“, erklärte sie ihm. Sie faltete ihre Hände vor der Brust.

„Und … Link … ich habe ein neues Ziel gefunden …“, berichtete sie ihm. Deutlich sagte sie: „Mein neuer Wunsch ist, dass du Ganondorf wieder aufhältst und niederstreckt. Erfülle mir bitte auch diesen. Ich weiß … es ist viel und gemein von mir, was ich von dir verlange, obwohl ich dir nichts als Gegenleistung geben kann …“, meinte sie entschuldigend, aber deutlich, „Doch …“

Link lächelte sie freundlich an und entgegnete fröhlich und aufmunternd: „Du irrst dich. Du kannst sehr wohl etwas für mich tun.“

Sie sah ihn überrascht an. „Ach ja? Was denn?“

„Bitte bleibe meine Freundin und vergiss mich nicht“, bat er sie, „Und dafür werde ich mein Bestes für deinen Wunsch geben.“

Sie lächelte und hielt nur noch eine Hand an ihren Körper gedrückt, während die andere schlaff nach unten hing. „Ich bin dir so dankbar, Link … Danke, dass du mir geholfen hast. Ich … danke dir wirklich sehr …“

Er lächelte weiterhin und … und plötzlich begann Terras Herz heftiger zu schlagen. Ihr wurde etwas bewusst.

Dies war der Moment des Abschieds. Sie würde Link nie wieder sehen. Sie hatte ihre Entscheidung gefällt. Eine andere als ihre Mutter. Sie wollte beim Meer bleiben und mit dem Meer leben. Sie wollte sich nicht für Link entscheiden … Aber …

Terra machte zwei Schritte vor und ehe sie sich versah berührten ihre Lippen Links für einen Moment.

Sofort zog sie sich wieder zurück.

Link schaute sie überrascht an.

„Lebe wohl, Link …“, verabschiedete sie sich.

Sie wandte sich kurz dem Meer zu, danach Shan, deren Gesicht weiterhin unter ihrer Kapuze verhüllt blieb. Ihr Mund stand aber ein wenig offen.

„Gute Reise, lebe wohl, Shan. Auch dir danke ich …“, meinte Terra.

Sie machte am Absatz kehrt und rannte zu Cavallya. Sie bestieg ihr Ross in Windeseile und ritt davon.

„Te … Terra!“, rief Link ihr hinterher.

Sie sah kurz zurück, lächelte ihn an und hob zum Abschied die Hand.

„Pass auf dich auf!“, ertönte seine Stimme noch leise hinter ihr.

Und sie brach in Tränen aus.
 


 

„Damit ist unsere Zeit in Marine wohl beendet“, stellte Link leise fest.

Shan erhob sich schweigend und ging mit ihm zu Epona. Er stieg auf und ließ das Pferd langsam neben Shan her schreiten. Proviant hatte er gestern bereits besorgt, sodass sie auch länger nach Hause brauchen konnten. Sie konnten dadurch einen anderen Weg auskundschaften und alle Hinweise danach der Prinzessin überbringen.

Sie durchquerten die Stadt mit ihren engen Gassen. Langsam. Schweigend.

Link konnte seine niedergeschlagene Aura förmlich spüren.

Er vermisste Terra jetzt schon.

Dabei kannte er sie kaum zehn Tage und davon war sie die meiste Zeit bewusstlos.

Außerdem würde er wieder „alleine“ reisen müssen, da Shan in ihre Schattengestalt gezwungen wurde. Zumindest bis zum Abend. Dass sie jetzt länger nach draußen konnte, fand er zwar schön, aber …

Sie erreichten das Ende der Stadt. Er sah den Hügel vor sich, über den sie gekommen waren. Zwei Wege gab es von hier aus.

Vom ersten waren sie gekommen, über den zweiten würden sie verschwinden.

Er sah noch einmal zurück zu den engen Mauern und zum ersten Mal wurde ihm klar, dass er diese Stadt mochte. Sie gefiel ihm. Er fühlte sich hier wohl.

Er blieb stehen, um sich den Anblick einzuverleiben. Er mochte sie. Und dieses Mal würde nicht vergessen, was er gerne hatte. Dieses Mal würde er sich lange an das Bild erinnern, das er von ihr hatte.

Unwillkürlich wanderte sein Blick zu Shan …

„Wow! Ist das ein Riesenexemplar! Wie viel ich dafür wohl bekomme?“, ertönte eine laute, kräftige Stimme eines Mannes in Links Nähe, die ihn aus seinen Gedanken riss.

Links Blick schwang nach oben und er sah den Vogel, den derjenige wohl meinte.

Er war wirklich groß.

Aus dem Blickwinkel bemerkte er, dass sogar Shan dem Tier zusah.

„Hey …“, machte Link sie auf sich aufmerksam, „Das ist doch keine Möwe, oder?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist weiß, es fliegt … Es ist nur etwas größer und hat einen langen Hals.“

„Das könntest ja fast du sein“, scherzte er. Doch es fühlte sich falsch an. Das lag wohl an seiner Stimmung.

„Ich schieße es ab!“, stellte der fremde Mann vor ihnen fest, „Das wird mir sicher ein Vermögen einbringen! Hey, Knilch, kennst du mich? Hol mir bitte meinen Speer!“

Kurz wurde es still.

„Hey! Was soll dieses Kopfschütteln? Ich bin hier der Hafenmeister! Du hast …“

Eine kindliche Stimme unterbrach den schreienden Mann. „Tut mir leid! Ich muss zwei Reisende einholen, die die Stadt verlassen! Einer am … oh!“

Link drehte sich um und sah das Kind auf sich zulaufen.

Vor ihnen blieb es stehen.

Der kleine Junge atmete heftig. „Seid ihr Link und Shan?“, fragte er.

„Ja, warum?“

„Ich soll euch von einem Mädchen ausrichten, dass sie etwas gehört hat, das ihr Sorgen macht. Sie hätte es euch selbst gesagt, hätte sie ihren Abschied nicht als so gelungen betrachtet. Sie wollte die Situation nicht zerstören, indem sie noch einmal aufkreuzt.“

Link musste über diese Begründung schmunzeln.

Aber dann wandte er sich den wesentlichen Dingen zu. „Was hat sie denn entdeckt?“

„Sie war am Meer und hat in den Himmel gesehen, als ein Mädchen gesagt hat, dass dort eine Riesenmöwe war. Die da oben, wenn es mich nicht täuscht“, erklärte er, wobei er auf das Riesenexemplar zeigte, das davonflog, „Dann ist eine alte, einbeinige Frau mit einem Stock an ihr vorbeigekommen, die immer etwas wie »Erschreckendes, Erschreckendes, was hab ich da gesehen? Unsere Welt wird wohl schon zugrunde gehen …« gemurmelt hat. Erst hat sie es für Blödsinn gehalten, aber dann hat die Frau weiter gesprochen und etwas von einer »Bedrohung für die Welt« und einem »Omen, das erst strahlt, dann fliegt, dann fällt« gesprochen … und noch etwas mit Schwan. Und für diese Nachricht habe ich viele Rubine bekommen!“

Link dachte kurz darüber nach.

„Hey, Junge … Du kennst doch Futura, oder?“, mischte sich der Hafenmeister ein.

Der kleine nickte.

Der Mann wandte sich Link zu. „Ich habe das Gespräch zufällig mitgehört. Ich denke, dass diese einbeinige Frau die Assistentin von Futura ist. Das Gebrabbel hört sich zumindest nach der an.“

„Wer ist Futura?“, fragte Link.

„Sie ist die Wahrsagerin von Marine. Du siehst aus wie ein stolzer Hyrulaner, vielleicht kennt ihr dann ihre Mutter. Die sagt Dinge auf menschlicher Ebene voraus. Über Liebe und so Zeug. Sie arbeitet in Hyrule-Stadt, wenn meine Informationen noch aktuell sind.“

„Ja, die kenne ich“, meinte Link, „Und ihre Tochter …?“

„Die ist anders. Sie sagt weitaus Mystischeres. Sie hat sich auf Omen spezialisiert und kann uns dadurch immer vor Überschwemmungen und Stürme warnen, die plötzlich aufkommen. Ihr solltet mit ihr darüber sprechen. Sie wohnt nur zwei Straßen von hier entfernt.“ Er deutete in eine Richtung. „Es steht beschrieben.“

„Oh, danke sehr, mein Herr“, sagte Link lächelnd. Dann wandte er sich an das Kind. „Und dir bin ich ebenfalls dankbar. Und es wäre nett von dir, wenn du diesem Mädchen, falls du sie jemals wieder siehst, schöne Grüße von mir bestellen würdest und ihr für die Informationen danken könntest.“

Er nickte. „Ja, natürlich tue ich das, Onkel!“, sagte er aufgeregt und lief davon.

„Ach ja …“, murrte der Hafenmeister, „Dann gibt es wohl doch keine Riesenbelohnung für die Riesenmöwe. Oder den Schwan … Hm. Seltsam, dass einer hier rüber fliegt. Eigentlich gibt es hier ja keine Schwäne. … Kein Wunder, dass die Alte sofort ein Omen daraus gesponnen hat.“ Der Mann lachte und ging dann davon.

„Shan? Es ist eindeutig, oder?“, fragte Link.

Sie nickte kräftig. „Da müssen wir wohl durch.“

Sie kehrten um und gingen den Weg, der ihnen vorgeschrieben wurde.

Vor der Tür stand bereits eine gutaussehende, junge Frau mit kurzem, roten Haar.

„Link und Shan“, stellte sie fest, „Ich habe erwartet, dass ihr kommt.“

Link stoppte Epona und blieb auf dieser unbewegt sitzen.

Irgendwie … war das unheimlich …

„Die Welt ist in sehr großer Gefahr. Eine dunkle Wolke zieht auf und bedeckt den ganzen Globus. Niemand wird vor der Macht geschützt sein und viele werden ihr verfallen. Alles nimmt seinen schicksalhaften Lauf … Dieser Vogel, der Schwan, der weiße Schwan … er war ein eindeutiger Vorbote. Folgt ihm. Nehmt keine anderen Wege als dieses eine Tier. Findet ihn und helft ihm. Er ist verletzt, obwohl ihr keine Wunde werdet finden können. Es braucht eure Hilfe. Dieses Tier wird von euch gefunden und gerettet werden. Und danach … wird sich der Kampf um das Schicksal einleiten. Link, Shan!“

Sie machte eine eindrucksvoll lange Pause.

„Ihr seid hiermit auserwählt, zu kämpfen und die Schlacht für euch zu entscheiden!“

Sie drehte sich um und ging abschiedslos wieder.

„Das war seltsam“, stellte Shan fest.

„Du hast gehört, was sie gesagt hat?“

Die vermummte Frau nickte.

„Gut, dann musst du aber aufsteigen oder in den Schatten verschwinden.“

„Ich hasse das Reiten“, meinte Shan und stieg widerwillig auf Eponas Rücken.
 

Er entwickelte wohl Hass gegen sie.

Doch sie nahm das leicht hin.

Eine Person, die sie hasste.

Warum sollte ihr das etwas ausmachen.

Und es war doch nur er.

Bereit

Als bloßer Schatten wanderte ich durch die Welt.

Ein Schatten, der dem Licht nicht standhalten konnte.

So gerne wollte ich die Sonne sehen.

Es gab so viele Erzählungen …

Die Sonne … ihr Leuchten ist so wundervoll …
 


 

Dieser … Schwan … war einen seltsamen Weg geflogen. Durch Eponas schnellen Ritt - und die so genannte „Verwundung“ des Schwans - hatten sie es geschafft, ihm auf den Fersen zu bleiben. Der Vogel flog bislang zwölf Tage durchgehend, was für Epona extreme Anstrengung bedeutete, da auch sie sehr lange Schritt halten musste. Sie konnten sich zwar durch den Umstand, dass der Vogel am Himmel weit zu sehen war, manchmal Pausen gönnen, aber diese waren nicht genug, wenn man fast zwei Wochen ritt.

„Hey!“, machte ihn Shan aufmerksam.

Es dämmerte, weshalb sie schon draußen war und hinter ihm auf Epona saß. Sie zeigte in den Himmel.

Link stutzte. Der Vogel ging in Sinkflug.

„Tut mir leid, Epona, aber da müssen wir durch!“, entschuldigte er sich bei seinem getreuen Reittier, bevor er ihm die Sporen gab und es voranpreschen ließ.

Das Pferd eilte den Weg entlang.

„Wir müssen schneller reiten, sonst entkommt er uns“, erinnerte Shan ihn, „Sobald er den Wald erreicht, haben wir wohl kaum noch eine Chance.“

Link verzog mürrisch den Mund. „Ja, so sieht es wohl oder übel aus“, gab er ihr recht.

Er hielt die Zügel stramm, um nicht zu fallen und Halt zu bewahren.

Shan musste sehr gutes Gleichgewicht haben, da sie keinem Sturzflug vom Pferd zum Opfer fiel.

Außerdem fand er es angenehm, dass sie ihre Pferdescheu überwunden hatte und jetzt bei ihm saß. In diesen langen Tagen war es eine schöne Abwechslung mit einer realen Person zu sprechen. Während des Ritts musste er sich aber hart konzentrieren, weshalb es nur kurze Gespräche mit eher leeren, bedeutungslosen Inhalten waren. Aber sie waren besser als gar nichts – oder mit jemanden, den man nicht bemerkt. So konnte er sagen, dass sie hinter ihm saß.

Wenn sie im Schatten versank, war das nicht möglich. Dann wusste er nicht, ob sie wirklich da war.

Auch dass er Eponas Tempo nicht drosseln musste, um ihrer Schwebe kein Hindernis zu sein, war erleichternd und positiv. Nun konnten sie in der schnellstmöglichen Geschwindigkeit davoneilen und dem Vogel nachfliegen, da sie keine Energie verbrauchte – im Gegenteil: War Eponas Vorrat erschöpft, so konnte sie den ihren Nutzen, um dem Vogel zu folgen, bis Link ihr mit dem Pferd hinterherkam. Dies hatte ihnen oft den Hintern gerettet. Doch dadurch verloren sie vielmals die Nähe zum Zielobjekt.

Manchmal waren sie nah genug, um seinen graziös geschwungenen Hals zu erkennen. Und die Erschöpfung, mit der er flog. Vor zwei Tagen hatte Shan vermutet, dass das Tier bald schlapp machen musste.

Anfangs hatte Link sich gefragt, ob es wirklich ein solches Zeichen sein konnte, oder ob es nur die Hirngespinste einer Wahrsagerin waren.

Dass der Vogel in zwölf Tagen nicht einmal angehalten hatte, um zu fressen, zu trinken oder zu schlafen sprach für sich.

Es war ein besonderes Tier.

Doch was war das Besondere daran? Was brachte er ihnen?

Wieso verfolgten sie ihn?

Sie mussten es herausfinden.

Diese Fragen waren der Hauptgesprächsstoff zwischen Shan und ihm. Doch keine Diskussion brachte sie zu einem Ergebnis.

Sie selbst hatten während des Ritts gegessen. Der Proviant ging allmählich zur Neige. Aber für ein paar Tage hielt er sich noch.

Er hatte eine ungefähre Ahnung, wo sie sich befanden. Den Hyrule-Feldern nahe. Das war die Hauptsache.

Der prachtvolle, weiße Vogel ging immer weiter in die Tiefe.

Link hetzte sein Pferd.

Immer weiter.

Beides.

Sie kamen dem Tier näher.

Es näherte sich den Baumkronen.

Und verschwand darin.

Link bremste Epona ab.

Das Pferd streckte die Zunge heraus und atmete erschöpft.

Er stieg ab.

Shan tat es ihm gleich.

Sie sah wütend aus.

Er selbst fühlte sich enttäuscht.

„Diese kurze Strecke …“, murrte sie.

Sie standen direkt vor dem Wald, von dem Shan gesprochen hatte. Sie hatten ihn schon von Weitem gesehen. Der Vogel scheinbar auch. Vielleicht hatte er bemerkt, dass er Verfolger hatte.

„Auf dieser Seite war ich zwar noch nie“, gab Link zu, „Aber in diese Richtung liegt Ordon“, erklärte er. „Wenn wir hier weiter reiten, sollten wir irgendwann zur Quelle von Phirone gelangen.“

„Ich bin leider nicht auf dem neuesten Stand“, meinte Shan trocken, „Was heißt das für uns?“

„Nach Hyrule-Feld brauchen wir noch zwei Tage.“

„Und der Vogel?“, informierte sie sich, während sie ihre Hände verschränkte und stur in den Himmel starrte.

„Dieser Wald ist sehr groß. Es ist wie mit Ganondorf: Würden wir ihm begegnen, so wäre es großer Zufall.“

„Was gedenkst du nun zu tun?“

„Ich glaube, das Beste wäre Folgendes: Wir reiten durch den Wald. Du schaust dabei immer in den Himmel, soweit das möglich ist, und überprüfst, ob der Schwan zu sehen ist. Ich werde mich nach Geräuschen und Federn am Boden umhören und umsehen. Finden wir ihn, so werden wir tun, was auch immer wir tun müssen. Geschieht das nicht, reiten wir nach Hyrule-Stadt.“

„In Ordnung.“, stimmte sie nickend zu und wandte sich wieder Links Gesicht zu, wobei sie nach unten sehen musste. Zu dieser Zeit war es in dieser Gegend immer recht warm, weshalb Shan ihren Umhang in eine Satteltasche gesteckt hatte. Wenn die Sonne schien, holte sie ihn immer wieder heraus, um Link auf kurzen Strecken begleiten zu können. Wenn sie den Wald durchquerten, würde sie das nicht mehr brauchen. „Und jetzt? Es ist bald Nacht. Der Vogel ist wahrscheinlich aus Erschöpfung gelandet. Wir könnten höchstens abwechselnd Wache schieben, sodass der andere sich ausruhen kann. Wir brauchen beide eine Pause. Epona braucht sie sogar noch dringender. Wie wäre es, wenn wir hier ein Lager aufschlagen würden? Dein Hintern muss ja wehtun. Du bist tagelang kaum abgestiegen.“

Link errötete – hoffentlich kaum merkbar - bei letzterer Erwähnung, nickte allerdings zustimmend, was die anderen Dinge betraf.

„Ja, die erste Lichtung werden wir als Lagerstätte nehmen“, schlug er vor.

Sie suchten sich eine. Link nahm Epona an den Zügeln und ging zu Fuß neben ihr her.

Sein Hintern brannte wirklich. Und sein Rücken schmerzte.

Ja, er brauchte eine Pause.

Aber er hielt sich gerade.

Er wollte vor Shan sein Gesicht nicht verlieren.

Ihr schien das Ganze nämlich auch nichts auszumachen.

Und ein wenig Ehrgeiz und Stolz musste man ihm doch gönnen, oder?

Kurz darauf wurden sie fündig.

Eine kleine Lichtung, umrundet von Baumriesen, beleuchtet vom Mondschein, befand sich direkt beim Weg. Sie gingen auf die samtige Grasfläche zu.

„Hier bleiben wir“, beschloss Link. Epona beglaubigte seine Entscheidung, indem sie ihren Kopf erschöpft dem Gras entgegen hängen ließ.

Link entlastete das Pferd, welches sich daraufhin sofort hinlegte – was sehr untypisch für sie war. Er strich ihr durch die Mähne. Er sollte wirklich nicht so grob mit ihr umgehen. Er musste das Pferd schonen. Das war wirklich unfair von ihm …

„Sie ist ein starkes Pferd“, erkannte Shan, die drei Satteltaschen von Epona entfernte.

Zwei stellte sie an einen Baum, aus der dritten holte sie ihren Umhang, den sie dann an einem anderen Baum ausbreitete und sich darauf mit einem Ächzen fallen ließ. Die leere Tasche schleuderte sie blindlings in Richtung der anderen. Sie traf sogar ziemlich genau.

Dann klopfte sie mit einer Hand neben sich und sagte. „Komm her. Du verdienst dir auch eine Pause.“

Gegessen hatten sie bereits bei Dämmerung auf Epona, da sie nicht so schnell mit einer solchen Erholungskur gerechnet hatten.

Diese Pause war zum Sitzen und Schlafen gedacht.

Er gähnte und kam zu Shan.

Langsam setzte er sich – er plumpste nicht so wie sie – und lehnte gegen den Baum. Das war eine große Erleichterung für ihn.

„Und ja, das ist sie“, gab er ihr noch auf ihr vorheriges Kommentar Recht, „Das ist sie wirklich …“

Shans Lächeln zeichnete sich im Mondschein ab.

Er schloss die Augen und ließ sich schlaff liegen.

Eponas Atem beruhigte sich allmählich. Man konnte ihn nicht mehr bis hierhin hören … Das war schön. Und ein gutes Zeichen.

„Es ist in Ordnung, dass wir auf deinem Umhang sitzen?“, informierte sich Link leise.

„Schwer in Ordnung“, bestätigte sie lächelnd, „Und schlaf jetzt. Ich schiebe Wache.“
 


 

Shan besah sich ihrer Nägel, die noch immer perfekt passten. Sie hatte sie auch nicht missbraucht, um irgendwelche Gegner zu kratzen. Deshalb waren sie wohl noch ganz.

Sie legte ihre Arme auf den Knien ab und ließ sie hängen. Ihren Kopf platzierte sie ebenfalls kurz auf den Knien.

Sie schaute zur Seite.

Link schlief neben ihr. Er atmete leise. Er wirkte sehr entspannt und ausgeruht. Er hatte wohl einen guten Schlaf. Das freute sie. Er verdiente ihn sich.

Daraufhin wandte sie sich dem Pferd zu. Es döste ebenfalls. Es gab die lautesten Geräusche der Nacht von sich.

Ein Wunder, dass noch keine Monster aufgetaucht waren.

Wobei … seit sie Hyrules Grenze überschritten hatten – falls das überhaupt schon geschehen war – waren keine mehr hier. Und auch außerhalb Hyrules nicht mehr.

Ob sich alle auf Hyrule-Feld gesammelt hatten? Dann brauchten sie wohl lange, um mit ihnen klarzukommen. Wenn nicht schon alle ausradiert waren.

Ihr Blick wanderte in den Himmel.

Keine Spur vom Vogel.

Und sie musste es wissen. Ihre Augen waren besser als die einfacher Menschen. Sie sah in der Nacht genauso gut wie am Abend. Na ja … In ihrer Welt gab es auch nur Nacht.

Es wäre wohl ziemlich blöd, könnte sie dort nicht so gut sehen. Ein Jammer wäre das …

Neben ihr regte sich etwas.

Sie sah schnell zu Link. Er öffnete verschlafen die Augen.

„Ich denke, du bist jetzt dran“, murmelte er.

Shan kicherte. „Ich denke, du würdest den Schwan nicht einmal bemerken, wenn er vor dir stände.“

Er gähnte. „Nein, ich bin wach.“

„Ich auch. Schlaf ruhig weiter. Ich kann bei Sonnenaufgang schlafen.“

„Du musst dann aber den Himmel im Auge behalten“, ermahnte er sie.

„Stimmt …“, gab sie zu, „Dann schlafe ich, wenn wir in Hyrule angekommen sind. Wir suchen uns wieder eine nette Herberge. Mit weichem Bett.“

„Bist du dir sicher?“

Sie nickte entschlossen. „Natürlich bin ich mir sicher. Und tu jetzt das, was du unweigerlich tun würdest: Schlafe!“

Er schloss die Augen. Und schien sofort wieder einzuschlafen.

… Und er wollte Wache halten.

Am liebsten hätte sie laut losgelacht.

Aber sie unterdrückte diesen Drang gekonnt und besah sich die Sterne.

Auch wenn bei ihnen zuhause ewige Nacht herrschte, erschien bei ihnen kein funkelnder Stern. Hier waren sie so zahlreich, dass sie doch welche abgeben konnten.

Sie lehnte sich wieder vollends gegen den Baum und streckte ihren Körper.

Dann versetzte sie sich in Schwebe und stand auf.

Sitzen war anstrengend, wenn man nichts zu tun hatte.

Aber was hatte sie noch zu tun?

Nach Höhlen zu suchen, konnte sie sich jetzt sparen, wo ihr neues Ziel der Vogel war.

Und den zu suchen … Es war dasselbe in Grün und ohne Höhlen.

Sinnlos.

Sie sah den schlafenden Helden neben sich an.

Und er wollte unbedingt nach Hyrule-Stadt.

Dort musste sie sich wieder in diesen einengenden, alles verdeckenden Umhang zwängen, um bei ihm zu sein.

Sie seufzte lautlos.

Was tat sie hier eigentlich?

Sie könnte auch ganz wo anders sein …

Aber hier war die Arbeit weitaus amüsanter.

Shan lächelte zufrieden.

Sehr amüsant sogar.
 


 

Wenn man in den Spiegel sah, konnte man sich selbst sehen.

Und konnte man dann sagen, dass das Spiegelbild schön war?

Hätte man damit das Spiegelbild oder sich selbst gemeint?

Man sagte es zum anderen, doch der Spiegel reflektiert sich selbst.

War man nun selbst schön oder lediglich der Spiegel?
 


 

Link erwachte kurz vor Morgengrauen. Er gähnte. Epona ruhte sich noch immer aus. Er ließ sie schlafen.

Dann schaute er sich nach Shan um. Eigentlich war es noch dunkel genug, dass sie da war. Und in einem Wald befanden sie sich auch. Wo sie wohl war?

„Shan?“, rief er möglichst leise, um Epona in ihrem Schlaf nicht zu stören, „Wo bist du?“

Er stand auf, um einen besseren Überblick zu erhalten.

„Hier!“

Link zuckte zusammen und drehte sich sofort um. Die Frau stand dort und hielt etwas in der Hand.

„Morgen … Was ist das?“, informierte er sich.

„Das sind Beeren“, erklärte sie. Sie öffnete das Ding in ihrer Hand, und Link erkannte, dass es sich dabei um ein Tuch handelte. Es waren wirklich Beeren darin. Blutrote. Und sie sahen nahrhaft aus.

„Ist das unser Frühstück?“, fragte er hoffnungsvoll, nachdem er bemerkte, dass sein Magen sich meldete, „Dann können wir uns den Rest des Proviants aufsparen.“

„Nein, das ist unser letztes Abendmahl“, antwortete sie in ihrem gewohnt trockenen Ton. Sie drückte ihm das Tuch in die Hand, „Dein Frühstück. Ich habe bereits vorgekostet und sie als nicht-giftig identifiziert.“

„… Ist das nicht gefährlich?“

„Ist es nicht gefährlich durch einen Wald und eine Welt voller Monster zu laufen, um das größte Monster von allen zu finden und zu bekämpfen? Und dazu noch zu einer launischen Prinzessin zu laufen …“

„Na gut, aber Gift kann unmittelbar zum Tod führen.“

„Ein Schwerthieb oder eine Laune einer Herrscherin nicht?“

„Also schön. Danke für das Frühstück. Willst du wirklich nichts davon?“

Sie winkte ab. „Nein, danke. Ich habe genug. Guten Appetit.“

Er setzte sich wieder auf den Umhang und begann zu essen. „Mh. Das ist gut“, meldete er, „Du hast ein gutes Händchen dafür.“

„Ach, du schmeichelst mir“, antwortete sie lächelnd, „Hast du gut geschlafen?“

Er nickte. „Ja, danke. Hast du etwas Auffälliges bemerkt?“

„Könntest du dann so beruhigt frühstücken?“

„Du hast Recht. Dumme Frage.“

„Wann hast du vor aufzubrechen?“, wollte sie wissen. Sie starrte in den Himmel.

Er folgte ihrem Blick. „Wenn Epona aufwacht oder wir den Vogel sehen.“

„Was, wenn er am Boden liegt und stirbt?“

„Glaubst du, dass ein Zeichen einfach so sterben kann, wenn es so lange ohne Nahrung und Schlaf ausgekommen ist?“

„Vielleicht hätten wir seinem letzten Moment beiwohnen sollen, um irgendein Geheimnis zu erfahren …“

„Ich weiß nicht … das wäre zu … schrecklich.“

„Wir sind hier nicht in einer Bilderbuchgeschichte“, ermahnte sie ihn, „Schreckliche Dinge passieren eben. Sonst wäre ich nicht hier.“

„So schrecklich bist du auch wieder nicht“, antwortete er ernst. Dann schoss ihm, dass sie nicht sich damit meinte, „Ah, tut mir leid.“

Er aß eine weitere Handvoll Beeren. „Aber … ich kann so etwas einfach nur nicht glauben.“

„Du hast wirklich Mut, so etwas mit solch ernster Miene zu behaupten.“

„Danke“, sagte er lächelnd eine Beere essend. Die nächste hielt er in der Hand und begutachtete sie, wie sie zwischen zwei seiner Finger eingeklemmt war. In der Nähe von Ordon gab es solche auch. Er hatte sie aber noch nie probiert. Sie kamen ihm nur so bekannt vor. Vom Sehen.

Eine Schweigepause herrschte, in der beide ihren Gedanken nachhingen, während Link seine Beeren verzehrte.

„Ich weiß, es ist ein bisschen spät dafür … aber …“, Link brach kurz ab. Er hatte sich es doch anders überlegt. Auch wenn er Shan bereits seit ein paar Wochen kannte, wusste er nicht, wie er auf Fragen von ihm über sich und ihre Vergangenheit reagierte. Sie hatte ihm schließlich auch noch keine gestellt. Es war nicht so, dass ihm der Mut fehlte, er hatte nur die Befürchtung, irgendetwas falsch zu machen, wenn er sie einfach so fragte.

„Was ist los? So schüchtern kenne ich dich ja gar nicht“, neckte sie ihn. Neugierde blitzte in ihren Augen auf. Sie wollte es wissen.

Er fragte sich schon länger, wie es Midna ging. Was sie getan hatte … Aber es fühlte sich falsch an, ihre Schwester damit zu löchern. Schließlich … sprach er mit ihrer Schwester. Nicht mit ihr selbst. Auch wenn er sich nicht sicher war, ob er den Unterschied zwischen den beiden erkennen würde.

Bevor er Shan kennen lernte, dachte er an Midna. Ihr Gesicht war verschwommen. Sie war kaum noch zu erkennen. Aus seinen Augen und seinem Geist erloschen. Er erkannte sie nicht mehr.

Aber als Shan auftauchte, wusste er sofort, dass dies Midnas Gesicht war. Alles war zurück. Doch er sah Shan vor sich. Nicht Midna. Wer existierte nun in seinen Gedanken? Oder bildete er sich das alles nur ein, weil sie verwandt waren?

„Du … bist doch Midnas Schwester.“

Sie lachte kurz. „Ach wirklich?“

Er sah zur Seite. „Ja, bist du. Und … wie viel Zeit liegt zwischen euch?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Nicht viel. Wir sind beinahe zugleich geboren. Zwillinge.“

„Ihr seht euch ziemlich ähnlich, was?“

„Kaum auseinander haltbar. Du hast es aber trotzdem geschafft.“

„Ja … Habe ich wohl“, gab er zu.

„Wieso fragst du das aus heiterem Himmel?“

„Hatte ich schon länger vor“, antwortete er wahrheitsgetreu.

„Zu feige zum Fragen?“ Sie sah ihn ernst an.

„Du redest kaum über dich. Ich wusste nicht, ob ich mir das erlauben kann …“

„Du darfst mich fragen, was du möchtest. Na ja, nur ob du eine Antwort erhältst, ist eine andere Sache. Aber du brauchst keine Angst zu haben. Ich bringe dich deswegen nicht gleich um.“

Er bemerkte, dass er sich entspannte. Erleichterung erfüllte ihn.

Wann hatte er sich so angespannt? Warum?

„Du hast bestimmt noch andere Fragen auf Lager“, vermutete Shan.

Er nickte. „Wie ging es Midna, als du losgegangen bist?“

„Ziemlich gut. Wieso sollte es einer Herrscherin auch schlecht gehen? Etwas gestresst, aber sonst recht gut.“

Er lächelte. „Das ist schön. Ich würde sie gerne wieder sehen.“

„Im Moment wirst du dich aber mit mir begnügen müssen.“

„Ja, das ist auch in Ordnung?“

„In Ordnung?“, wiederholte sie überrascht, „Danke, dass ich »in Ordnung« bin.“

„Das war doch nichts Schlechtes.“

„Schon klar. Ist »in Ordnung«. Nächste Frage.“

Was hatte sie denn? An »in Ordnung« war doch nichts auszusetzen … Oder doch?

Er dachte kurz darüber nach, entschied aber, dass er es sowieso nicht schaffen würde, sich über ihr Verhalten Klarheit zu verschaffen. Also folgte seine nächste Frage.

„Was hat Midna getan, nachdem wir uns trennten und bevor du gekommen bist?“

„Sie hat ihren rechtmäßigen Platz als Königin angenommen und das Volk regiert. Sie ist es wirklich wert, über unser Volk zu herrschen. Ausgezeichnet macht sie das. Unserem alten König steht sie in nichts nach. Es war wohl die richtige Entscheidung, sie zu nehmen.“

„Hast du daran gezweifelt?“

„Nicht im Geringsten. Und auch sonst keiner. Aber … wer würde schon Zanto wählen, wenn es Midna gab?“

„Ja … wer würde das. Kanntest du Zanto schon lange?“

„Wir sind zusammen aufgewachsen. Aber nicht als Freunde. Bekannt waren wir. Aber er wollte von mir nichts, ich von ihm nichts und so lebten wir glücklich dahin. Gut … »glücklich« war er vielleicht nicht … Du verstehst, oder?“

Link nickte. „Einfach nebeneinander her gelebt.“

Sie bejahte. „Einfach nebeneinander her gelebt … Das trifft es wohl.“

„Und was tust du als Schwester der Herrscherin immer?“

„Du weißt vielleicht, dass es bei uns kein königliches Blut gibt? Dann kannst du dir ja denken, dass ich am Hof nichts tue, außer das Mittagessen für Ihre Majestät vorbeizubringen oder eben jenes wegzustellen. Ich bin nicht einmal in der Mittelklasse auf der Stärkeliste. Ich bin weit davon entfernt, etwas Wichtiges zu werden. Wir brauchen starke Leute in unserem Rat. Und keine … schwachen Möchtegernmagier.“

„Du hast beim Schweben langes Durchhaltevermögen, kannst dich schnell in Schatten verwandeln … so schlecht kannst du nicht sein“, munterte er sie auf.

Sie sah zur Seite. „Das sind Grundlagen.“

Er stierte zu Boden. „Oh.“

Ein Wiehern ließ beide zu Epona sehen.

Link hatte sein Frühstück beendet.

Sie waren bereit, erneut aufzubrechen.

„Diesmal lautet unsere Mission … »finde den Schwan«“, erklärte Shan, während sie aufstand, „Lassen wir Epona noch essen. Dann geht es los.“
 

War da etwas zwischen ihnen?

Mehr als da sein sollte?

Oder wollte ich einfach nur etwas sehen,

um mich ausgegrenzt zu fühlen?

Wie jämmerlich

Beschuss

Ich habe einen Traum …

Ich habe einen Traum …

Dafür muss ich nach vorne schauen.

Als ob das so einfach wäre …
 


 

Er seufzte gelangweilt.

Als Außenposten sollte er doch eigentlich etwas Besseres abbekommen. Jetzt hatte er sich extra für diese „gefährliche“ Aufgabe gemeldet und dann …? Seit vier Tagen kein Monster mehr. Alle an den anderen Posten. Aber jemand musste ja im Süden Wache schieben. Im verdammten Süden, den sowieso kaum eines dieser Viecher aufsuchen wollte!

Er verschwendete hier seine Zeit.

Er. Und seine Leidkumpane auch. Sie sollten ihn endlich abrufen und anderswo sinnvoll einsetzen. Seine Stärke war schier grenzenlos, seine Zielsicherheit … war gut und Angst hatte er auch keine. Er war nämlich ein Ritter Hyrules!

Hyrule … Ach ja … Der Bote berichtete nichts Gutes … Ihre Hoheit war schwer beschäftigt und draußen tobte ein Kampf gegen die Monster. In letzter Zeit hatten sie sich vermehrt am Nordtor eingefunden, um dort alles zu zerstören. Die anderen Tore waren auch betroffen. Alle, bis auf das Südtor. Hier war ein schlechter Zugang für sie. Manchmal kamen zwar welche direkt zum Tor … aber die wurden gleich vernichtet. Und hier am Posten kam keines vorbei.

Aber es kam einfach keine Erlösung vom Palast …

„Hey, Claude …“, ertönte eine Stimme hinter ihm.

Er drehte sich jetzt nicht um. Er starrte stur auf das Feld, das nur noch von wenigen Lichtstrahlen beleuchtet wurde. Es war bereits später Abend.

„Claude Mouchoir!“, rief derjenige, „Hey, Mouchoir! Außenposten! Bist du eingeschlafen? Hallo!“

„Ja?“, gab er doch genervt von sich.

Sein Plan, sich taub zu stellen, um Bleyd aus dem Weg zu gehen, war qualvoll gescheitert. Ihm musste wirklich langweilig sein, wenn er sich von Ignoranz nicht abschütteln ließ. Denn üblicherweise hatte der Kerl einfach keine Geduld für einen zweiten Versuch.

„Schon was entdeckt?“, fragte Bleyd nach.

„Eher nicht“, wimmelte Claude den anderen Ritter ab, „Und nerv mich jetzt nicht! Sonst übersehe ich noch eines!“

„Du müsstest blind sein, in dieser Leere etwas solch Großes wie ein Monster zu übersehen.“

„Wir sind hier wirklich umsonst“, stimmte Claude dem anderen ausnahmsweise zu. Eigentlich war das nie der Fall. Sagte Claude A, entgegnete Bleyd B.

Das musste etwas bedeuten.

Vielleicht Glück?! Oder aber Pech …

Er entschied sich für Glück.

Schließlich wandte er sich doch Bleyd zu. Der Mann überragte ihn ein kleines Stück. Sein rostbraunes Haar war strubblig und zeigte in großen Teilen gen Himmel. Darüber wollte der Mann nicht sprechen. Aber Claude vermutete, dass das nicht die natürliche Form seiner Haare war.

In seiner Rüstung sah er eindrucksvoll aus. Vor allem, da um beide seiner grünen Augen prächtige Narben prangten. Er behauptete, er hätte eine Frau vor einem Vogelmonster gerettet, als dieses versuchte, ihm die Augen auszukratzen, hätte er es erstochen.

Die Narben wären der Beweis dafür.

Claude glaubte das nicht. Er wusste nämlich genau, dass so etwas nicht möglich war. Zur Sicherheit und eigentlich aus reiner Gewohnheit fuhr er sich durch sein schulterlanges, schwarzes Haar. Es verdeckte eine Hälfte seines Gesichts.

Er wandte sich wieder zurück.

Und konnte kaum glauben was er da sah!

Einen Oger!

Der war aber seltsam … Aber dennoch ein Oger!

„Hey, Bleyd! Schau doch! Das ist doch ein Oger, oder?“

Der Mann stürmte weiter nach vorne. „Ja! Noch ein kleiner! Aber trotzdem schon gefährlich!“

Er sprang hastig zurück und zückte seinen Bogen. „Aber noch nicht gut gegen Pfeile gehärtet.“

Claude sah ihm zu. Seine eigene Zielsicherheit ließ auf die Ferne nach, war in der Nähe aber fantastisch. Deshalb übernahm Bleyd das Schießen bei fernen Gegnern, Claude das Kämpfen bei nahen. Beide hatten das Vergnügen, ganze zwei Mal gegen Goblins zu kämpfen.

Wow.

Aber endlich war da ein Oger!

Eigentlich kein Grund sich zu freuen, das war ihm klar. Aber endlich eine Ablenkung!

Und Anerkennung! Er hatte ihn schließlich entdeckt. Er! Trotz seiner Verletzung!

Und da sagte noch einer, er sei blind, bloß weil ihm ein Auge fehlte.

Er besah sich das Opfer genauer. Es war ziemlich schnell. Was hatte es da? Ein Schwein? Nein … Ein Pferd? War ihnen schon wieder ein Ungehorsamer zum Opfer gefallen? Ach ja …

„Eins …“, hörte er seinen Kollegen murmeln, „Zwei … DREI!“

Ein Pfeil schoss blitzschnell davon.

Geradewegs auf das Ziel zu.
 


 

Einen Tag lang hatten sie den Wald durchsucht, bevor Shan bemerkte, dass der Vogel bereits wieder losgestartet war. Sie verfolgten ihn einen weiteren Tag. Wieder verlangte er Epona viel ab. Doch es lohnte sich hoffentlich.

Sie kamen an die Stelle, an der Coro, der Ölverkäufer, fröhlich auf seinem Stein saß und vor sich hin träumte.

Er grüßte ihn freundlich, wobei Shan eiligst wegsah.

„Dich kenne ich doch, junger Mann! Bist du nicht aus Ordon?“

Link nickte.

„Der Bürgermeister war hier und hat nach dir gefragt. Ich habe ihm gesagt, du seiest nicht vorbeigekommen. Bei Gelegenheit solltest du vielleicht einmal zurückkommen. Der Mann hat ziemlich besorgt gewirkt.“

„Danke“, sagte Link, „Ich werde es versuchen. Ich muss aber weiter.“

Er gab Epona erneut die Sporen. Sie sprintete los. Er musste den Vogel einholen!

Dieses Mal durfte er ihnen nicht wieder entkommen!

„Er fliegt viel tiefer“, erklärte Shan, „Vielleicht ist er seinem Ziel näher. Oder aber seine Flügel tragen ihn nicht mehr lange. Wir sollten uns beeilen.“

„Hyrule-Feld ist etwas hügelig … Es gibt also einige Punkte, die höher sind als andere. Vielleicht können wir das irgendwie ausnutzen.“

„Oder es ergibt sich ein Problem wie das im Wald“, murmelte Shan hinter ihm.

„Seid vorsichtig! In Hyrule-Feld lauern Monster!“, warnte Coro sie noch.

Link hob zum Abschied die Hand.

Und als er sich das nächste umdrehte, war nichts mehr von der Hütte zu sehen.

Sie hatten es erreicht.

Hyrule-Feld.

Bald waren sie in Hyrule. Nicht mehr lange und er konnte die Stadtwache und die Prinzessin benachrichtigen. Sie würden ihm bestimmt helfen.

Es ging auch um ihr Land. Und es war nicht einmal für ihn möglich, ein ganzes Land zu bereisen, in allen Ritzen nach einem Toten zu suchen und dabei denjenigen zu finden, der den Toten wecken wollte. Nicht allein.

Nicht allein mit Shan. Zu zweit hatten sie keine Chance.

„Link?“, riss Shan ihn aus seinen Gedanken?

Er sah sie aus den Augenwinkeln heraus an. „Ja?“

Sie gähnte. „Langsam werde sogar ich müde … Entschuldige“

Sie hatte zwei Tage nicht geschlafen, weil sie den Schwan beobachtet hatte.

„Ich denke, ich kann ihm folgen. Wir sind ziemlich nahe dran … Das wird schon. Wenn ich Hilfe brauche, hole ich dich.“

„Danke“, sagte sie. Die letzte Silbe ging in ein Gähnen über.

Sie verschwand im Schatten.

Es war schade, da es gerade am Dunkelwerden war. Das wäre ihre Zeit gewesen.

Aber sie hatte ihre wertvolle Zeit für sein Land geopfert.

Dankbarkeit durchströmte ihn.

Ja, er war ihr sehr dankbar.

Seine Gedanken wechselten nach Ordon. Der Lampenverkäufer sagte, Moe hätte nach ihm gesucht. Hatten sie die Nachricht nicht erhalten? Na gut, sie war spärlich ausgedrückt … Aber konnten sie sich nicht denken, dass er alleine zurechtkam?

Am liebsten hätte er jetzt gelacht.

Er kam alleine nicht zurecht. Deshalb holte er sich jetzt Hilfe. Aber nicht ihre. Er wollte sie beschützen. Alle in Ordon.

Seine Freunde … Seine Familie.

Und wieder einmal fragte er sich, wie es ihnen ging.

Sehnsüchtig sah er zurück.

Dort lag Ordon.

So nah bei ihm. Und doch so fern. Er entfernte sich davon. Mit jedem von Eponas Schritten.

„Wie geht es euch wohl?“ , fragte er sich gedankenverloren.

„LINK!“

Epona bäumte sich auf.

Etwas krachte in ihn hinein.

Er konnte sich kaum am Pferd halten.

Doch er fing das Auf-sich-Zukommende auf.

Und besah es.

Shan …?!

Er musterte sie.

Und entdeckte ein Pfeilende in ihrem Bauch.

„Wa …!? Shan?! SHAN! Was ist …! Shan!“

Die Verzweiflung packte ihn! Was sollte er tun?

Was war geschehen?

„Shan!“

Er hielt Epona dazu an, zu stoppen.

Sofort stieg er vom Pferd ab.

Er legte Shan sanft seitlich auf den Boden, um den Pfeil nicht zu bewegen – was bei ihrem Fall auf ihn aber wahrscheinlich passiert war. Sein Blick wanderte für einen Moment zu Epona. Die Pfeilspitze hatte ihr nichts getan.

Langsam fühlte er, wie sich das Blut in seine Kleidung zog. Er musste voller roter Flecken sein.

„WER IST DA?!“, brüllte Link.

Es konnten keine Goblins sein. Diese würde man sofort sehen, hören und riechen.

Er schaute sich um.

Im Halbdunkeln nahm er sich bewegende Schatten wahr.

Er bückte sich zu Shan.

Sie sah ihn an.

„Shan, geht es?“

„Mach dir keine Sorgen …“, beruhigte sie ihn, „Das ist gleich wieder weg …“

Sie zeigte in eine Richtung. „Menschen …“

„Was? Menschen?!“, wiederholte er leise.

Verwirrt erhob er sich wieder.

Warum schossen sie auf Shan?

Da wurde ihm etwas klar.

Sie hatten nicht auf sie schießen können.

Er kniete sich sofort wieder zu ihr.

„Du hast mich gerettet! Du …“

Doch ihre Augen waren bereits wieder geschlossen.

„Verdammt …“
 


 

„Hey … Der Oger ist noch da! Hast du verfehlt?“, informierte sich Claude, „Und das Pferd … das rennt auch nicht weg. Ha. Niedlich.“

„Hörst du das?“

Claude horchte genau hin.

„Das … klingt wie … Worte …“, murmelte Bleyd, „Die Viecher können doch gar nicht reden.“

„Und die sehen in der Nacht“, stimmte Claude zu, „Die müssen nicht fragen, wer da ist. Das heißt es …“

Er spürte eine Ohrfeige.

„Du Idiot! Das war kein Oger!“, keifte Bleyd ihn an.

Er war schockiert über die Reaktion.

Doch dann verstand er.

Ohne weiter mit seinem Kollegen zu streiten, stürmte Claude los.

In seiner Rüstung rannte er klappernd nach unten.

Es war anstrengend, doch sein Körper war daran gewohnt. Er hielt durch.

„Hey!“, rief er aus einiger Entfernung, „Hey!“

Vor dem „Oger“ blieb er stehen.

Er sah seinen Fehler.

Eine Frau lag verletzt am Boden. Bleyds Pfeil steckte in ihrem Körper.

„Oh nein …“, fluchte er.

Dann sah er ihre Begleitung. Der Mann starrte ihn unendlich wütend an. Am liebsten hätte er ihn wohl sofort zerfetzt.

„Es tut mir leid! In der Dunkelheit hielten wir Euch für einen Oger! Wir hatten keine Ahnung …“

Er wurde barsch unterbrochen. „Spar dir die Reden! Hilf mir lieber!“

Er nickte und beugte sich zu ihnen.

Der Begleiter der Frau nahm sie an den Schultern hoch.

„Zieh den Pfeil fest, aber bestmöglich schmerzlos, heraus“, befahl er ihm.

Claude befolgte.

Der Körper der Frau zuckte zusammen. Sie wachte davon aber nicht auf.

Der andere Mann wickelte einen Verband um die Wunde. Claude bemerkte, dass es Stoff war. Stücke von seiner Kleidung?

Ja, damit hatte er recht.

Hufgetrampel und Rädergeräusche ließen Claude kehrt wenden. Er sah auf die Kutsche. Bleyd saß als Kutscher darauf.

„Ist jemand verletzt?“, fragte er.

„Ja, die Frau da“, erklärte Claude.

„Wir bringen sie nach Hyrule“, versprach Bleyd, „In Hyrule-Stadt werden wir sie den besten Ärzten übergeben … Sollen wir Euch ebenso mitnehmen?“

Der Mann schien zu überlegen.

„Beeilt euch gefälligst!“, rief dieser dann. Er hob die Frau hoch und legte sie ohne weitere Fragen in das Innere der Kutsche. Dort war bereits ein Bett, wie Claude feststellte, als er hinter ihm eintrat. „Wollt Ihr bei ihr bleiben?“, informierte er sich bei dem Mann.

Dieser nickte stur. „Kann einer von euch beiden mein Pferd nachbringen?“, fragte er.

Claude ging nach vorne. „Bleyd, nimm du sein Pferd. Ich fahre die Kutsche.“

„Beeil dich aber! Und wehe du baust einen Unfall, du blinder Ochse!“

Diesmal entgegnete er nichts darauf.

Der Kopf des Mannes schaute bei der Kutsche hinaus, als Claude auf die Kutscherbank stieg und die Zügel in die Hände nahm.

„Reite das Pferd langsam. Es ist erschöpft. Bring es nach Hyrule-Stadt und sei vorsichtig! Lass ihr Zeit.“

Bleyd nickte und stieg auf das Pferd, das zuerst scheute, dann aber gehorchte.

Der Mann hatte es einfach mit Tieren …

Claude gab den beiden Pferden den Befehl zum Losfahren. Sie fuhren im Höchsttempo.
 


 

„Link …?“, murmelte Shan leise.

Er beugte sich über sie. „Sprich jetzt nicht … Du bist schwer verwundet! Wir sind bald da …“

„Der Schwan …“, sagte sie.

„Du bist wichtiger!“, entgegnete Link entschlossen.

Obwohl er zugeben musste, dass er bereits mit dem Gedanken gespielt hatte, sie im Stich zu lassen … für dieses Zeichen … Für die Welt.

„Nein …“, widersprach sie, „Finde den weißen Vogel …“

„Erst sorge ich für deine Sicherheit.“

Sie antwortete nicht mehr. Ihre Augen waren geschlossen.

„Shan …“, wisperte er.

Er bewegte sich leise von ihrem behelfsmäßigen Bett fort und setzte sich auf einen Schemel. Durch das Fenster – eigentlich nur eine kleine Luke - konnte er den Kutscher sehen.

Link stand auf und kletterte aus dem Fenster.

„Wie lange noch?“

„Nicht mehr lange. Hält sie durch?“

„Ich hoffe es.“

„Es tut uns wirklich leid! Wir haben …“

„Schon gut, solange ihr das nächste Mal besser hinseht und Shan überlebt.“

„Sie sieht nicht gut aus.“ Der Kutscher warf einen Blick durch das Fenster. Link ebenfalls. Eine kleine Lampe brannte über Shan. Er fragte sich, ob ihr das nicht schadete … „So grau …“

„Ja.“

„Mein Name ist Claude. Und Shans Freund heißt?“, wollte der Mann wissen.

Es brachte nichts, sich jetzt über den Mann zu ärgern. Link sah in den Himmel. Er konnte den Schwan nicht mehr sehen.

„Link. Hast du einen weißen …“

„Link?!“, stieß der Mann hervor, „Doch nicht … Grüne Kappe … Schwert … Pferd … DER LINK?! Der Held, der Hyrule gerettet und die Monster ausgelöscht hat! Du hier … und wir haben deine Freundin abgeschossen … Oh mein … Das ist … Schande …“

„Hast du einen weißen Vogel gesehen?“, fragte Link, die Unterbrechung ignorierend.

Er schüttelte den Kopf. „Leider, nein. Was ist das?“

„Ein Schwan, der uns zu …“

Er brach ab. Sollte er dem Mann von Ganondorf erzählen, bevor er sich mit der Prinzessin abgesprochen hatte?

„Zu …?“, hakte der Mann nach.

„Er führt uns vielleicht zu unserem Ziel. Und das ist wichtig. Deshalb müssen wir es der Prinzessin mitteilen.“

„Der Prinzessin?“, wiederholte der Mann, „Seid ihr deshalb hier hergekommen?“

Link nickte.

„Dann … solltet Ihr eines wissen, Link …“, begann Claude leise, „Die Prinzessin wird Euch nicht empfangen.“

Link riss die Augen auf. „Was?!“

„Sie empfängt niemanden. Sie hat zu tun. Sie hat nicht einmal die Zeit, den Kampf gegen die Monster zu bewachen.“

„Kämpfe gegen Monster? Mit was hat sie zu tun?“

„Vor einer Woche sind Monsterhorden hierher gekommen und seither greifen sie Hyrule-Stadt an. Wir wissen nicht weshalb, oder was sie wollen … Warum sie überhaupt wieder hier sind, nachdem Ihr gesiegt habt … Wir bekämpfen sie. Das ist auch der Grund, weshalb mein Kollege und ich dort Wache gehalten und Euch mit einem Oger verwechselt haben. Nicht, dass ihr wie einer aussehet …“

„Was? So schlimm ist es?“

Link wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Diese Nachricht … Was war nur los?

„Wir haben jeweils Posten entfernt der Tore. Das Nordtor jedoch ist bereits so belagert, dass man ziemlich direkt beim Tor kämpft. Die anderen sind noch nicht gefährdet. Wir halten noch hier draußen Stellung. Die meisten Mann kämpfen bei der Stadt.“

„Ganondorf …“, murmelte Link, „Sein Erwachen muss nah sein …“

„Was? DER Ganondorf? Der, den Ihr besiegtet?“

„Er wird wiedererweckt. Deshalb müssen wir zur Prinzessin.“ Jetzt hatte er es doch verraten. Doch es hing vermutlich direkt mit dem Schicksal der Kämpfer zusammen… Wieso … Warum erweckte jemanden diesen Ganondorf wieder? Wo er doch so viel Leid zu ihnen brachte. Wo er doch … so böse war …

Der junge Kutscher ließ die Pferde schneller voraneilen. „Sie wird euch nicht empfangen. Ihr könntet ihr sogar vom Weltuntergang berichten. Das Volk steht im Vordergrund. Sie vertraut uns Soldaten zu sehr. Sie denkt, wir könnten alles schaffen … Aber sie hat nicht einmal einen obersten Befehlshaber! Keine Ordnung, kein Gar Nichts …“

„Das ist schlecht“, stimmte Link ihm zu, fügte dann aber noch hinzu: „Sie muss mich empfangen! Wir brauchen Hyrules Soldaten und wachsame Augen.“

„Leider, wir sind vollkommen unterbesetzt. Wir können keinen Mann erübrigen. Die Kämpfe … Na gut, von unserem Posten könnten wir zwei nehmen. Aber ich glaube nicht, dass das genügend sind.“

„Besser als nichts. Aber trotzdem zu wenig. Ich muss zu ihr!“

Der Mann verfiel in Schweigen.

Link sah zu Shan.

Hoffentlich ging es ihr gut … Hoffentlich konnte sie geheilt werden …

„Nichtige Gründe halten die Prinzessin von ihren Gründen ab!“, stieß Claude hervor, „Als ob … als ob jemand nicht wollte, dass sie uns zuhört! Das Mittsommernachtsfest plant sie! Schon seit einer Woche …“

Link glaubte, sich verhört zu haben.

„Die Prinzessin lässt ihre Krieger alleine, lässt das Chaos herrschen … weil sie eine Feier plant?“, wiederholte Link.

„Sie lässt keinen durch“, bestätigte er, „Sie ist vollauf mit der Planung beschäftigt. Wir haben alles versucht. Wir sind sogar beim Tanz zu ihr gegangen und … seitdem ist Chrys im Kerker. Ein wertvoller Mann weniger.“

„Tanz? Fest? …“ Link konnte nicht glauben, was ihm da erzählt wurde. Das konnte doch unmöglich die Herrscherin von Hyrule tun!

Midna … Er wollte, dass Midna ihm half …

Ihre Schwester lag verletzt in einer Kutsche, seine Prinzessin versagte kläglich und Ganondorfs Macht war wieder zu spüren … Männer starben … weil er sich nicht beeilte … Der Schwan war außer Sichtweite.

Was konnte er tun? Midna wüsste, was er nun tun sollte … Midna … wäre direkt …

„Was für ein Tanz?“

„Das Volk ist ihr so wichtig, dass sie sich alle paar Tage zu einer kleineren Feier in die Stadt begibt. Dort wird getanzt und musiziert, um den Schlachtlärm zu übertönen. Zuvor hat es die Tänze zwar auch schon gegeben … Aber die werden nicht abgebrochen. Sie nimmt jedes Mal teil.“

„Wann ist der nächste?“

„Ich weiß es nicht. Der letzte war vorgestern – hat zumindest ein Bote gesagt.“

Die Stadt und das hünenhafte Schloss in ihrem ganzen Glanz tauchten vor ihnen auf.

„Du kannst dich hier informieren. Wenn ich etwas aufschnappe, sage ich es dir aber sofort“, versprach Claude. Er beeilte sich noch mehr.

Link hörte den Kampflärm. Er sah einige Monster. Er sah Soldaten.

Doch es waren nur wenige. Dies war der Süden. Der wahre Kampf tobte am anderen Ende.

Er musste sich taub stellen, um nicht sofort loszulaufen, um mitzuhelfen. Denn es würde nichts bringen. Seine Aufgabe … lag anderswo.

Es war bereits Mitternacht.

„Auch wenn sie Chrys weggesperrt hat … Dir wird sie vielleicht zuhören. Du bist ein berühmter Held. Wenn man so darüber nachdenkt, hast du sogar eine alles verändernde Nachricht. Vielleicht hört sie auf dich. Vielleicht …“

„Ich hoffe es“, flüsterte Link.

„Wir alle hoffen es … Bringe sie zur Vernunft“, bat Claude ihn, während er den Wachposten ein Zeichen gab, das Tor zu öffnen, sodass der Wagen durch passte.

Sie fuhren blitzschnell hindurch. Hinter ihnen wurde das Tor sofort wieder geschlossen.

Er fuhr eine Straße weiter.

Auf dem Haus stand „Hospital“.

„Ist das neu hier?“, fragte Link.

Es war ein neueres Haus. Blumen blühten auf den Fensterbänken und es machte einen insgesamt freundlichen Eindruck.

Claude stoppte.

Er sprang von seinem Platz und stürmte um die Kutsche herum.

Link tat es ihm nach.

Zusammen trugen sie Shan in das Krankenhaus.

„Notfall! Doktor! Wir brauchen sofortige Hilfe!“, rief Claude laut.

Eine Schwester lief heran und besah sich Shan. „Folgt mir“, bat sie sie kleinlaut. Sie gingen in ein Zimmer.

Claude und Link mussten nach draußen gehen. Die Schwester behandelte Shan im Raum.

„Der Doktor ist vermutlich draußen und hilft den Verwundeten“, sinnierte Claude, „Daran hätte ich auch denken können …“

Link stimmte ihm zu. „Sie … wird es doch gut machen …“, versicherte er sich.

„Ich glaube schon. Sie ist ziemlich geübt. Und Shan ist ja nicht die einzige Patientin. Es gibt ja mehrere Schwestern …“

Link nickte und lehnte sich schweigend gegen eine Wand.

„Ich warte hier“, bat Claude sich an, „Geht zu einer Herberge und ruht Euch aus. Ihr seht mitgenommen aus. Ich benachrichtige Euch sofort, wenn etwas passiert.“

„Nein … das …“

„Ihr habt einen schweren Weg vor Euch! Und dies ist meine Schuld! Ihr sollt nicht meinetwegen noch mehr leiden. Ich bitte Euch … geht.“

Link zeigte sich einverstanden. „Thelma …“, murmelte er, „Ich gehe zu Thelma …“

„Thelma? Gut … Thelma …“

Link trat nach draußen. Er machte sich auf den Weg zu Thelmas Gaststätte …
 


 

Ich will nicht in Selbstmitleid zerfließen.

Ich habe kein Mitleid und brauche auch keines.

Es ist einfach so, wie es ist. Und man sollte es so lassen.

Was spräche auch dagegen?

Jemand, der wie ich ist, der hat es wohl nicht anders verdient.

Der Stärkere gewinnt eben immer.

Begegnung

Wie anmaßend bin ich, zu behaupten, das Richtige zu tun?

Ich könnte auch alles andere tun und es als richtig darstellen.

Aber ist es deshalb auch wirklich richtig?

Solange ich daran glaube, schon.

Aber was, wenn mir jemand das Gegenteil beweist?
 

Link schritt bedacht langsam davon. Er beeilte sich keineswegs. Weshalb auch? Warum sollte er sich bitte beeilen? Was brachte es ihm jetzt noch?

Seine dumpfen Schritte hallten am kalten Boden wider. Irgendwo wurde ein Donnergrollen hörbar. Oder war es der Schlachtenlärm? Ohne Eile sah er zum Himmel. Über ihm kreisten Vögel. Vielleicht auch feindliche Drachen. Die Wolken waren grau. Bald würde es regnen. Das kühle Nass würde eine Abwechslung an Geräuschen bieten.

Hier draußen war niemand.

Wahrscheinlich waren alle in ihre Häuser geflüchtet, um dem Kampf zu entgehen, es sei denn, sie wären bereits am Kampf beteiligt.

Link fasste entschlossen und seltsam schnell zu seiner Schwertscheide. Am liebsten … Am liebsten hätte er es gezogen und wäre den anderen zu Hilfe geeilt. Aber er tat es nicht.

Etwas hielt ihn davon ab.

Irgendetwas … Ein Gefühl.

Eines, das ihm verriet, dass es zwecklos war. Die Monster würden von überall her strömen. Für jedes tote würden zwei neue erscheinen … Und dadurch käme er in einen endlosen Teufelskreis. Und das durfte nicht passieren.

Auch wenn er sich am liebsten in die lärmende Schlacht gestürzt hätte … hier drin erwartete ihn eine Aufgabe.

Er musste zur Prinzessin.

Unwillkürlich wanderte sein Blick zum großen Schloss, das in seiner Nähe zum Vorschein trat. Es war riesig. Und wunderschön. Es strahlte etwas aus. Schutz. Mut.

Aber war das denn nicht nur eine Farce?

Die Kämpfe interessierten das Schloss nicht. Die Herrscherin war nicht dazu entschlossen, ihren Männern beizustehen!

Und er? Er konnte ihnen nicht beistehen. Wie gern er den tapferen Leuten dort draußen doch zur Seite gestanden hätte … Aber er … er musste darauf gefasst sein, das Tanzbein zu schwingen, um damit zu der störrischen Herrin durchzudringen …

Link biss die Zähne zusammen und starrte wieder zu Boden.

Er ging eiliger weiter. Warum beeilte er sich plötzlich?

Nur weil er sich selbst anspornte, hieß das nicht, dass die Prinzessin schneller eines ihrer Tänzchen veranstaltete …

Das war …

Irgendetwas prallte gegen ihn.

Er sah zu ihr.

Ein Mädchen stürzte zu Boden, wo sie nun lag. Die Wucht des Aufpralls hatte sie umgehauen.

Sie kniff die Augen zusammen, sagte aber nichts.

„Es tut mir sehr leid!“, entschuldigte er sich hastig und hielt ihr die Hand hin.

Sie streckte ihm ihre Hand leichtfertig entgegen und ließ sich von ihm aufhelfen. Das Mädchen, das ihn etwas überragte, sah ihn mit tiefblauen Augen an und lächelte.

„Nein, es war mein Fehler. Ich hätte hinsehen müssen. Verzeiht mir.“

„Ach was, ich war wohl ebenso blind“, entgegnete er abwehrend.

Sie lächelte freudig.

Er bückte sich, als er bemerkte, dass sie eine Tasche fallen gelassen hatte. Sofort hob er diese für sie auf und drückte sie ihr in die Hand. „Ich hoffe, es ist nichts kaputt gegangen.“

Sie schmunzelte. „Keinesfalls. Leinen halten viel aus. Aber ich muss nun wieder los. Ich entschuldige mich erneut“, verabschiedete sie sich von ihm und hastete an ihm vorbei.

Er sah ihr nach. Irgendetwas störte ihn an ihr. Langes braunes Haar … Augen, in denen mehr steckte, als man von außen wahrnehmen mochte …

„Terra …“, murmelte er geistesabwesend.

Er schaute sich um. Das Mädchen war verschwunden. Er war wieder alleine auf der Straße.

Ob ihm bei Thelma jemand sagen konnte, wo er zu Terras Familie kam? Er würde einfach nur den nächstbesten nehmen …

Jetzt ging er mit offeneren Augen umher.

Wie hatte er nur vergessen können, was er der Kleinen versprochen hatte? Es war wirklich nicht nett von ihm … Schließlich war es ein Versprechen.

Er erinnerte sich an ihren Abschiedskuss zurück … Na gut, für einen Kuss war es … kurz … und irgendwie lieblos … Wollte er es wirklich als Kuss bezeichnen? Und was sollte dieser bedeuten? Meinte sie etwa damit, dass …? Nein … wieso sollte Terra sich in ihn verliebt haben?

Das war irgendwie nicht wirklich denkbar.

Und ihre letzten „Worte“ von einem gelungenen Abschied … Sollte das etwa nur eine Deckung sein, um nicht über den Kuss befragt zu werden?

Er seufzte. Was dachte er jetzt noch darüber nach?

Wenn die Königin ihnen nicht bald half, würde er sich nie wieder um Terra oder ihren Kuss Gedanken machen müssen.

Link realisierte, dass er vor einer Treppe stand, die nach unten führte. Die Stiege zu Thelmas Kneipe. Er hörte bereits Geräusche, die eine Schlägerei andeuteten.

Er zuckte kurz zusammen, als die Tür aufflog und ein Glas die Wand auf der anderen Seite traf. Ein Mann konnte knapp ausweichen. Dieser grinste und taumelte davon.

Er musterte den Betrunkenen und stellte fest, dass er keine einzige Verletzung hatte. Dieser Mann drückte sich vor dem Kampf, um sich zu betrinken! Er half nicht seiner Familie, er verschwendete Geld und …

Zwei Männer flogen nach draußen. Sie beschwerten sich übel.

„Dieses Mannsweib …“, murmelte einer, als er sich erhob und an Link vorbeiging.

Link sah ihnen nach. Er ging selbst hinunter.

Hoffentlich verstand Thelma seine Situation und hatte irgendwelche hilfreichen Ratschläge für ihn. Egal welcher Art.

Als er zur Tür Schritt, flog noch einer hinaus. Link wich ihm aus. Ebenfalls unverletzt.

Er bemerkte, dass im Gebäude selbst Ruhe eingekehrt war. Ob nur diese vier die Rabauken waren? Thelma hatte dann auf jeden Fall richtig gehandelt, indem sie diese auf den kalten Boden geworfen hatte …

Er trat ein und fühlte sich an damals erinnert. Noch dieselbe Ausstattung stand vor ihm. Alles an seinen Platz. Die Theke, die Tische, die Stühle und eine Katze mit schneeweißem Fell.

Hinter der Theke stand die Frau mit rotem Haar.

Hatte sie abgenommen? Sie wirkte viel zierlicher …

„Hallo“, begrüßte er sie.

Da drehte sich die Frau um.

Link erschrak bei dem Anblick.

Es war Thelma! Nur einige Jahre … jünger … und nicht mehr so korpulent und ziemlich mies drauf … und irgendwie fuchsteufelswild … und …

Das war nicht Thelma.

Zumindest nicht die, die er kannte.

„Ach, noch so einer!“, brüllte sie ihn an und stemmte die Arme in die Hüften. Sie beugte sich gefährlich vor. Irgendwie wirkte sie wie eine Katze kurz vor dem Absprung.

„Vertrödelst hier deine Zeit, anstatt deine Stadt zu verteidigen, du Tollpatsch! Und, was kann ich dir anbieten? Eine mit der Faust oder zwei Tritte?“

„Danke, keines von beiden …“, lehnte Link ab.

Sein Instinkt verriet ihm, sich wieder zur Tür zu begeben, und alles zu vergessen, was hier drin geschehen war.

„Gut, was für ein Getränk willst du?“, fragte die Frau … das Mädchen … genervt. Sie stöhnte dazu noch angewidert.

„Danke, keines … Ich … möchte nur etwas wissen …“, erklärte Link.

Irgendwie fühlte er sich ihr schutzlos ausgeliefert. Außer ihr und der Katze war sonst kein sichtbares Lebewesen im Raum. Sie schien vor Wut zu kochen und kurz davor zu sein, ihn anzuspringen.

Das Mädchen tat einen Schritt vor. Dann sprang sie leichtfüßig – vielleicht etwas angeberisch – über die Theke und sprintete auf ihn zu. Zentimeter vor seinem Gesicht platzierte sie das ihre. Ihre Augen funkelten ihn böse an.

„Du kommst zu solch später Stunde in dieses verrottete Ding und nimmst dir nicht einmal ein Getränk?!“, fauchte sie, „Während andere kämpfen, vergnügst du dich in einer leeren Kneipe und dann … dann trinkst du nicht einmal etwas, um der Kellnerin einen Gefallen zu tun?! IST DAS SO?!“

Je länger ihre Rede wurde, desto lauter wurde sie.

Link wich sicherheitshalber zurück. Er hatte im Gefühl, dass es gefährlich werden konnte.

Sie seufzte.

Stille trat ein.

Dann sah sie ihn an, als wäre sie eine freundliche, zuvorkommende, höfliche Dame und fragte ruhig – zu ruhig: „Was ist?“

„Du … bist nicht Thelma … oder?“, fragte er in der Hoffnung, nichts falsch zu machen.

Irrtum.

Schlagartig wurde ihre Stimmung düster. Link hätte schwören können, dass sich der Raum verdunkelt hatte. Sie starrte ihn missmutig und mit weit aufgerissenen Augen an.

Sie machte kleine, langsame Schritte auf ihn zu und überbrückte so den Abstand, den er zuvor zwischen sie gebrachte hatte. Ihre Schritte verursachten keinen Laut.

Er konnte es nicht vermeiden, sofort an einen Attentäter zu denken.

„Ich …“, begann sie leise. Doch Link ahnte, dass ihre Stimme pro Wort lauter werden würde, womit er auch völlig recht hatte. „Ich. Soll. THELMA. SEIN!?“

Seine Hände schossen abwehrend nach oben. „Nein, nein, so war das nicht gemeint … Es … es ist nur … Es ist ja Thelmas Bar … und … und … Mir war klar, dass du nicht Thelma bist! Das sieht man ja sofort … Aber … da es ja ihr gehört … Und du da bist … Bist du ihre Tochter?“

Auch wenn sie wirkte, als würde sie ihn gleich ermorden, blinzelte sie überrascht. „Ich … soll Thelmas Tochter sein?“, fragte sie überrumpelt, „HEIßT DAS, ICH SOLL AUSSEHEN WIE THELMA?!“

„Es gibt … eine gewisse … Ähnlichkeit …“, erklärte er zögerlich.

Anstatt auf ihn loszuspringen, fuhr sie sich zufrieden durchs Haar. „Ach, sieht man das?“

Er nickte.

„Na gut, was brauchst du von … Thelma?“ Das letzte Wort spuckte sie geradezu aus.

„Ich … wollte eigentlich nur hier übernachten … und mich nach dem nächsten Tanzauftritt Ihrer Hoheit erkundigen …“

„Bei beidem kann ich dir weiterhelfen.“

Seine Miene hellte sich auf. „Ach ja?“

„Ja.“

„Und?“

„Wer bist du überhaupt?“, fragte sie dann bezugslos.

„Nenn mich einfach Link.“

„Link? Link wie … Link?“

„Genau, Link.“

„Held von Hyrule, Bezwinger von Ganondorf, Retter von Prinz Ralis?“

Link lächelte sie an. Er nickte zum Beweis.

„Dann kann ich dir wohl doch nicht weiterhelfen!“, entschied sie und ihre frühere Wut kehrte zurück.

„Ach ja … und … warum nicht?“

Sie verschränkte die Arme und sah stur zur Seite. „Weil ich jemanden wie DIR mit Sicherheit nicht helfe.“

Er wurde aus ihrer Aussage nicht schlau. Was meinte sie damit?

Er sah sie lediglich fragend an.

„Link, der große Held“, begann sie. Sie brach dann ab, um loszugehen und ihn gefährlich zu umrunden. Eine Löwin, die ihr Opfer umzingelte … Jeden Moment gefasst, ihm ins Genick zu fallen …

Er drehte sich instinktiv ständig in ihre Richtung.

Sie ging unaufhaltsam weiter. Im Kreis. Schritt für Schritt. Gefährlich langsam. Sie musterte ihn …

„Link, der so viele Heldentaten vollbracht hat“, führte sie in fast spöttischem Tonfall fort, „Link, der weiß-ich-was geleistet hat! Link, der Thelma in seinen Bann gezogen hat!“

Er blinzelte verwirrt. „Was?“

„Richtig gehört! Du mit deiner verfluchten Reise, um diesen verdammten Knilch von Ganondorf zu besiegen, hast meiner Tante eingeredet, sie müsse selbst reisen!“

Er legte den Kopf schief. „Tante?“

„Genau, Thelma ist meine Tante! Und sie hat sich in den Kopf gesetzt, zu reisen und die Welt zu erkunden, weil »irgendwo ihr Traummann warte«! So ein Schwachsinn!“

Das Mädchen blieb stehen und stampfte wütend auf.

„Und was ist so schlimm daran?“

Sie deutete auf sich selbst. „Ich habe eine Küchenschürze um! Ich poliere Gläser! Ich bin hier seit MONATEN gefangen!“

„Gefangen …?“, wiederholte Link und besah sich der Tür, die weiterhin sperrangelweit offen stand.

„Ja, gefangen! Meine Tante hat meiner Familie einen Brief geschickt, dass sie ihre liebe Nichte, also mich, endlich wieder sehen möchte! Ich bin ihrer Einladung sofort nachgegangen und dann … dann kam ich hier her! In dieses stinkende Loch voller besoffener Hirnloser! Auf der Theke lag ein einfacher Zettel … Auf ihm stand »Hallo, Schatz! Ich bin auf Reisen gegangen! Nachdem ich meinen Traummann gefunden habe, kehre ich hierher zurück! Pass gut auf den Laden auf. In Liebe, Thelma«“. Ich dachte mir, dass es sicher gut für sie sein würde! Also habe ich zwei Wochen lang ruhig den Laden gehütet und war die Nettigkeit in Person! Aber jetzt … nach drei ganzen, verdammten, verfluchten, verflixten, dämlichen Monaten habe ich einfach keine Lust mehr darauf, den Laden zu schmeißen! Soll sie doch zurückkommen und ihn …“ Sie brach jäh und unerwartet ab. Sie atmete tief durch. Dann sah sie Link an. „Ich hätte ihn zurückgelassen, wäre er nicht ein traditionsreiches Gasthaus, das seit Generationen in unserer Familie liegt … So etwas kann ich nicht wegwerfen!“

„Das … tut mir leid für dich …“, sagte Link ehrlich, „Ich wünschte, ich könnte dir helfen …“

„Du bist ein Held, also kannst du mir nicht helfen! Oder willst du dich in eine solche Schürze schmeißen und dich mit faulen Heinis anlegen? Nein. Also ist deine Hilfe nicht nötig! Du könntest höchstens meine Tante zurückschleifen.“

„Ich werde sehen … was ich tun kann …“

„Aber es geht hier ja nicht um mich.“ Sie schien sich beruhigt zu haben. Ein gutes Zeichen. „Also … was wolltest du gleich?“

„Ich muss unbedingt wissen, wann der nächste Tanzfesttag der Prinzessin stattfindet!“, erklärte Link, „Weißt du das zufällig?“

„Warum das? Willst du dich also damit vergnügen, anstatt hier einen auszugeben? Na egal. In drei Tagen.“

„Danke, das hilft mir sehr! Und sie kommt dann wirklich zum Vorschein?“

„Ja. Wenn du mit ihr tanzen möchtest, musst du nur gut aussehen und ihr zuzwinkern. Dann hast du sie in der Tasche. Sagt man zumindest.“

„… Äh … danke.“

„War da nicht noch eine zweite Sache?“

„Darf ich hier bleiben, bis meine kranke Freundin gesund ist und die drei Tage um sind?“

„Drei Tage? Gut! Dann kannst du mich entschädigen! Du wirst die Einkäufe in diesen Tagen erledigen! Alle! Dafür brauchst du auch nichts zu bezahlen.“

Link seufzte. „Na gut. Einverstanden.“

Sie lächelte. „Endlich diesen blöden Job los …“, murmelte sie zufrieden, „Du bist doch nur halb so schlimm, wie ich dachte!“, lobte sie ihn dann.

Sie lief zum Tresen und holte dort etwas, das klirrte. Vermutlich ein Schlüssel.

Sie deutete ihm, ihr zu folgen. „Ich bringe dich auf dein Zimmer. Du musst aber still sein und Essen gibt es nur, wenn ich es dir sage. Morgen gehst du kurz vor Sonnenaufgang los, um die morgendlichen Erledigungen zu machen. Der Zettel mit den Dingen, die du brauchst, wird dann unten an der Theke liegen. Gute Nacht.“, sagte sie ihm ohne Pause, bis er sein Zimmer betreten hatte.

Es war ein geräumiger Raum. Ein Bett war darin platziert, auf der anderen Seite ein Schrank und ein Tisch. Es war nicht sehr viel Platz und nur ein kleines Zimmer, aber mehr als genug für ihn.

Das Mädchen wollte gerade die Tür schließen, als Link es aufhielt. „Warte!“

„Ja, was ist noch?“, fragte sie nun wieder genervt.

„Wie heißt du eigentlich?“

Sie lächelte schelmisch. „Mein Name ist Polyethelenterephthalat.“

Link starrte sie fassungslos an.

Sie zuckte unwissend mit den Schultern. „Meiner Mutter gefällt er. Aber nenn mich einfach Feconi oder Meisterin wenn du etwas willst. Gute Nacht.“

Sie schlug erbarmungslos die Tür zu und ihre Schritte, die plötzlich Geräusche von sich gaben, verhallten nach weniger Zeit.

Gut, jetzt hatte er eine Unterkunft.

Aber … er wusste weder wie es Shan ging, noch wo er zu Terras Eltern kam. Morgen würde er beides aufklären. Und natürlich würde er seine neue Arbeit erfüllen.

Er schmunzelte.

Schon wieder Hilfskraft.
 

Ich fühle große Zuneigung …

Ja, sogar Bewunderung …

Wie wohl jeder andere.

Bei mir sollte es aber etwas anderes sein.

Schließlich bin ich anders.
 

Die Sonne schien durch das glaslose Fenster und weckte Link. Er war noch müde, doch er kämpfte dagegen an und zwang sich aus dem Bett. Es gab weichere Betten, doch es war ebenso bequem gewesen.

Er zog sich seine Sachen an und schwang sein Schwert um. Danach ging er nach unten. Kleiner Hunger nagte an ihm, doch er ignorierte diesen. Essen gab es wenn Poly … Feconi es ihm sagte. Und damit würde er leben müssen.

Link ging zum besagten Ort und fand den Zettel mit Erledigungen. Es waren Zutaten für Essen und Getränke.

Also ging er wohl am besten zum Markt.

Vielleicht waren heute die Leute eher draußen. Schließlich war es diesmal Tag.

Als er durch die Tür ging, ertönte der Schlachtlärm von Neuem. Er erweckte in Link wieder dieses Gefühl, dorthin zu müssen. Und ihm fiel auf, wie schnell er sich an diese Hintergrundgeräusche gewöhnte und diese danach wie Alltägliches ignorierte!

Was war mit ihm los? Es handelte sich hier um Kämpfe, die Menschenleben forderten! Wie konnte er sie so … hinten lassen? Sie ab tun? Von ihnen wegsehen?

Erneut biss er die Zähne zusammen und brachte sich dazu, sich auf den Einkauf zu konzentrieren. Er musste dieses Treffen mit der Prinzessin schnell arrangieren. Sonst … wurde er noch verrückt!

Eine Frau mittleren Alters ging an ihm vorbei. Sie hatte braunes Haar, das zerzaust von ihrem Kopf abstand und einen Ausdruck im Gesicht, der große Sorge ausdrückte. Link entschied, diese nicht anzusprechen. Stattdessen nahm er sich die nächste vor.

Doch bevor er zu Wort kam, übernahm sie dieses.

Die Frau mit ihrem langen, blonden Haar und den freundlichen, grünen Augen fragte: „Link, sind Sie das?“

Er musterte sie genauer. Sie trug weiße Kleidung und sah sehr gesund aus. Nein, er kannte sie nicht.

„Ja, ich bin Link aus Ordon“, bestätigte er, „Und Sie sind?“

„Oh, tut mir leid. Ich bin nur eine Arzthelferin aus dem Krankenhaus. Claude hat mir Sie beschrieben. Und da ich Sie gerade gesehen habe, musste ich Sie einfach ansprechen …“, erklärte sie lächelnd.

„Was für ein Zufall, ich hatte nämlich dasselbe vor.“

Sie lachte herzlich. „Ach ja … Und was wollten Sie von mir?“

„Nein, sprechen Sie nur zuerst“, bot er ihr an.

Sie nickte dankbar. „Ich wollte Ihnen nur berichten, dass Ihre Freundin sehr gute Fortschritte macht. Sie ist bereits sehr gesund, trotz ihrer äußerst schweren und komplizierten Verletzung. Kaum zu glauben! Sie könnten sie sogar heute schon besuchen, wenn das Ihr Wunsch ist!“

Er strahlte über das ganze Gesicht. „Danke, diese Nachricht bedeutet mir sehr viel! Vielen, vielen Dank!“

Sie winkte ab. „Kein Problem, das beinhaltet meine Arbeit.“

Link war wirklich sehr erleichtert über diese Nachricht …

Auch wenn er es vermieden hat, über Shans Zustand nachzudenken, gab es doch die ganze Zeit über einen Hintergedanken, der um ihr Überleben betete.

„Und was wollten Sie von mir?“

„Kennen Sie eine adlige Familie, deren Tochter vor zwei Wochen verschwunden ist? Sie hatte braunes Haar, grüne Augen, war recht jung und ansehnlich ... Und das Geschäft der Familie ist Handel.“

„Oh, da müssen Sie wohl die Familie Kumulus meinen“, schlussfolgerte die Arzthelferin, „Sie haben ein Appell herausgegeben, nach Fräulein Terra zu suchen. Diese meinen Sie doch, oder?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, wie sie hieß …“

„Oh, … nun … wie Sie sprechen, Link … Heißt das …?“

Er nickte bedauernd. „Leider. Ich wünschte, ich hätte ihren Tod verhindern können.“

Die Helferin schlug geschockt die Hände auf den Mund. Ihre Augen hatten sich sichtbar geweitet.

Link fühlte sich wegen dieser Lüge schrecklich. Die arme Frau litt bestimmt darunter. Vielleicht hatte sie Terra sogar persönlich gekannt. „Es tut mir sehr leid“, erklärte er dann, „Aber ich muss zu dieser Familie. Wo finde ich sie?“

Die Frau sagte ihm zitternd den Weg an.

Er folgte ihm und ließ sie alleine zurück.

„Tut mir leid …“, murmelte er ihr noch zu, als er sich entfernte. Doch er bezweifelte, dass sie es hörte.
 

Er zeigte kaum Interesse an mir selbst.

An meinen Fähigkeiten, ja.

Aber nicht an mir.

Habe ich mir etwas anderes erwartet?

Beruhigung

Ich bin glücklich, endlich etwas gefunden zu haben.

Etwas, das mir viel bedeutet. Ich will es um jeden Preis behalten.

Und deshalb darf ich nicht versagen!

Was es mich auch kostet …
 

Das Anwesen war einfach zu finden. Es war ein riesiges Haus, das von einem grünen Garten umgeben war, in dem Blumen blühten und Bäume wuchsen. Es machte einen noblen Eindruck und wirkte sehr einladend. Ein weißer Zaun grenzte das Grundstück ein.

Ehrfürchtig öffnete Link das Gatter und schloss es hinter sich wieder, als er eintrat. Der Weg war mit Steinen gepflastert und führte direkt zur detailliert bearbeiteten Tür. Er folgte ihm und stellte sich vor das verzierte Holztor.

Gerade als er klopfen wollte, ertönte eine Stimme im Inneren.

„Wirklich? Das bieten Sie mir an?!“, wunderte sich eine Männerstimme aufgeregt.

Link konnte keine Antwort vernehmen.

„Ja, natürlich nehme ich das Angebot an!“, rief dieselbe Stimme, „Wie viel?“

Der andere schien sehr leise zu sprechen.

„Natürlich kann ich das erübrigen. Das ist gut. Wieso?“

Eine längere Pause folgte.

„Piraten?“, informierte sich der Mann. Die Stimme wurde lauter, weshalb Link annahm, dass er sich zur Tür begab, „Gehen sie auf die Handelsschiffe los?“

Sofort sprach der Mann weiter: „Na ja, dann nehme ich noch Geleitschutz für die Waren und die Piraten können einpacken. Abgemacht. Ich will, dass meine erste Ladung in drei Tagen ausläuft! Und dieser Kapitän Retro kann das Schiff attackieren, wie er will! Ich nehme eines aus dem härtesten Holz mit den besten Kanonen! Das Beste einfach! Verstanden?“

Die Türklinke wurde nach unten gedrückt und ein Mann, der Link seltsam bekannt vorkam, trat hinaus.

„Guten Tag“, begrüßte ihn dieser. Er wirkte wie ein … wie ein Hafenmeister.

„Hafenmeister?“, wunderte sich Link, „Von Marine?“

Der Mann lachte. „Hach, das ist nur mein Zwillingsbruder! Und, hat er sich wieder irgendwelche Riesengeldmengen durch die Lappen gehen lassen?“

„Vielleicht … Sie kommen also von Marine?“

Der Bruder des Hafenmeisters, den Link getroffen hatte, nickte. „Genau. Ich bin dort Handelsschiffvertreter und mache Verträge mit bekannten Handelsfirmen. Dir gehört nicht zufällig eine gute?“

Link schüttelte heftig den Kopf.

„Schade. Na ja, aber ein gutes Geschäft habe ich heute ja schon! Ach, Hyrule ist immer wieder mein Lieblingsort!“, sagte der Mann, wandte sich dann aber dem anderen Mann, der laut gesprochen hatte, zu. „Danke sehr, Herr Kumulus, es freut mich immer wieder, mit Ihnen Geschäfte zu machen! Leben Sie wohl!“

Zum Abschied nickte er Link noch einmal zu. Dann machte er sich am Weg entlang davon.

„Und du?“, ertönte die Stimme von Herrn Kumulus.

Link wandte sich ihm zu. Im ersten Moment erschrak er, weil der Mann Terra ziemlich ähnlich sah. Nur war er nicht so mädchenhaft. Und älter. Er hatte dasselbe braune Haar wie sie. Er wirkte, als hätte er länger nicht mehr geschlafen. Ein Gähnen bestätigte diese Vermutung. Er sah erschöpft zu Link herüber und wartete wohl auf eine Bemerkung.

„Sind Sie … Herr Kumulus? Der derzeitige Besitzer dieses Anwesens?“

Der Mann nickte schlaff.

„Warum?“, fragte er und lehnte sich gegen den Holzpfosten der Tür. Der Mann wirkte viel, viel älter, als er vermutlich war. Und Link sollte diesen Mann belügen. Aber was sollte er sonst sagen? Er habe sich im Haus geirrt und deshalb nach ihm gefragt?

Außerdem machte er sich bestimmt Sorgen um Terra! Deshalb sah er vielleicht so fertig aus … Aber würde eine „Todesnachricht“ in diesem Fall wirklich helfen?“

Link antwortete nicht.

Der Mann musterte ihn. Plötzlich riss er die Augen auf. „Du! Du bist doch … Du bist doch ein Reisender, nicht wahr?“

„Nun …ja … Genau …“, antwortete Link.

Er lächelte. „Hast du vielleicht etwas von meiner Tochter Terra gehört? Sie ist vor ein paar Wochen spurlos verschwunden! Hast du sie auf einer deiner Reisen getroffen?“

„Ich … schätze schon …“, bestätigte Link. Jetzt kam es hart auf hart. Was sollte er tun?

Der Mann sah plötzlich viel besser, entspannter und lebendiger aus. Die Müdigkeit schien verschwunden zu sein.

„Maunten, wer ist denn an der Tür?“, erklang eine älter wirkende Damenstimme von innen, „Ist Terra zurück?“

„Nein, Mutter, aber jemand, der sie gesehen hat!“, rief Maunten erfreut ins Haus.

Sofort standen eine alte Dame und ein noch älterer Herr neben Terras Vater und funkelten Link neugierig an.

„Ich bin Tearra, Terras Großmutter“, stellte sich die alte Frau vor, „Und du hast mir jetzt zu sagen, wo sich meine geliebte Enkelin befindet!“, verlangte sie.

„Ich bin Risen, Terras Großvater“, erklärte der alte Mann, „Und ich gebe meiner Frau Recht!“

„Ich bin Link, ein Reisender“, schloss sich Link ihnen an, „Und … ich … habe sehr schlechte … Neuigkeiten … für Sie …“

Alle drei hielten den Atem an und starrten Link angespannt und verkrampft an.

Konnte er sie wirklich anlügen? Es waren drei Menschen, die sich um ihre Verwandte sorgten … Sie wollten wissen, wo Terra blieb … Auch wenn er es Terra versprochen hatte … Wollte er wirklich drei ehrliche Bürger so stark belügen?

„Was?“, fragte Terras Vater leise, „Ist etwas mit Terra?“

„Ja, sag schon, ist etwas mit ihr, hm?!“, drängte Tearra. Sie packte Link unsanft an den Schultern und schüttelte ihn kräftig durch, „Red‘ schon, Jungchen! Rede!“

Der Großvater starrte ihn still an.

„Terra … Terra ist …“ Er biss sich auf die Lippen. Sollte er?

„Was ist Terra, Link?“, fragte der Vater. Seine Augen waren vor Schreck weit aufgerissen. Er rechnete mit dem Schlimmsten. Er rechnete mit Terras Tod! Link brauchte es doch nur zu bestätigten!

Er wollte es sagen, doch die Worte kamen einfach nicht über seine Lippen. Er durfte sie doch nicht anlügen … Nicht in so einem Fall … Aber … sonst schickten sie womöglich wirklich jemanden los, um sie zu finden …

Link befreite sich vom Griff der Großmutter und trat einige Schritte zurück. Er nahm die Kappe vom Kopf und verbeugte sich tief. „Ihre Tochter ist am Leben“, sagte er, „Aber sie hat mir aufgetragen, Ihnen auszurichten, dass sie dort bleiben möchte, wo sie ist, weshalb ich Ihnen auch nichts von ihrem Aufenthaltsort erzählen darf. Sie ist sicher und glücklich.“

„Also ist sie am Meer?“, frage Maunten, „Sie ist am Leben?“

Link nickte. Er fühlte sich seltsam befreit. Als wäre eine große Last von ihm genommen worden. Er lächelte die Familie an. „Und dort will sie bleiben.“

Die Großmutter stampfte auf. „Maunten, wir werden sofort Welly losschicken, um nach ihr zu suchen!“, bestimmte sie.

Doch der Vater schüttelte den Kopf. „Nein, Mutter. Das ist nicht nötig. Der junge Mann sagt, sie sei sicher. Warum sollten wir sie in Unsicherheit bringen? Es würde kaum ein Bote überleben, durch diese Monster zu stürzen. Und dass er dann Terra durch dieselbe Schar unverletzt zurückbringt … Es ist sehr unwahrscheinlich. Wir lassen sie, wo sie ist.“

„Ich bin sicher, sie wird irgendwann zurückkommen und Ihnen danken“, meinte Link vertrauensvoll.

Er richtete sich wieder auf und setzte die Mütze auf seinen Kopf. Sich sehr bewusst, dass er der Familie falsche Hoffnungen machte. Terra dachte, sie würde als tot gelten. Sie würde nicht wiederkehren.

„Oh! Jetzt weiß ich!“, rief Risen, der Großvater, plötzlich, „Sie sind es! Sie sind Link, der große Held von Hyrule!“

Link lächelte. „Ja, der bin ich.“

„Und Terra ist mit Ihnen … gegangen!?“, fragte der Vater überrascht.

Ein Nicken war die Antwort.

„Ich bin mir sicher, sie ist unverletzt geblieben.“

Links Lächeln erstarb. „… Na ja … Fast …“

„Was?! Du stümperhafter Held hast meine Enkelin nicht schützen können?!“, fuhr ihn die Großmutter barsch an, „Ich könnte dich …!“

„Geht es ihr gut?“, unterbrach Maunten seine Mutter forsch.

„Ja, mittlerweile wieder. Sie hat das Meer gesehen und dürfte sehr glücklich sein.“

„Dann ist sie also wirklich auf ein Schiff gestiegen und durchquert die Welt?“, wollte der Vater wissen.

Link nickte. „Ich vermute schon. Als ich sie verlassen habe, hat sie ihr Traumschiff verpasst. Aber ich denke, dass sie eines findet.“

Der Vater lächelte glücklich. „Herzlichen Dank, dass Sie uns besucht haben! Wir haben uns sehr über diese Nachricht gefreut! Falls Sie Terra jemals wieder sehen sollten, möchte ich Sie bitten, ihr auszurichten, dass ich sehr stolz auf sie bin.“

Link hob die Hand. „Ich werde es nicht vergessen!“

Und damit ging er.

Das Anwesen lag in der Nähe der Einkaufsstraße, weswegen er gleich die Erledigungen machte, für die er aufgebrochen war.

Er war froh, es endlich hinter sich zu haben. Link kaufte sich von seinem eigenen Geld einen Apfel. Den Rest bezahlte er mit Feconis Geld, das sie neben die Liste gelegt hatte.

Nach dem Einkauf eilte er zurück und legte alles ab. Er bemerkte, dass seine Gastgeberin noch nicht da war.

Er hoffte, dass sie nicht von ihm verlangte, zu kochen. Darin war er nämlich kein Naturtalent.

Als er alles sichtbar hingelegt hatte, verließ er den Laden erneut und realisierte, dass das Geschäft wohl erst zu Mittag loslegte. Also gab es für Feconi keinen Grund, so früh aufzustehen.

Diesmal musste er zum Krankenhaus.

Vielleicht war Epona auch schon da.

Und hoffentlich ging es Shan wirklich gut … Er musste ihr unbedingt berichten, was er herausgefunden hatte. Das mit den Kämpfen und dem Tanz. Die einzige Möglichkeit, mit der Prinzessin zu sprechen. Vielleicht hatte sie eine Idee, wie er sich versichern konnte, dass die Herrscherin mit ihm sprach.

Sie trat ein. Einige Schwestern liefen hastig herum und suchten an den verschiedensten Ecken irgendetwas. Da stach ihm die eine Schwester ins Auge, die mit ihm gesprochen hatte.

Er ging auf sie zu.

„Oh, Link“, begrüßte sie ihn. Er hatte ihr erzählt, dass Terra tot war … Aber sie schien noch nicht bei Terras Familie gewesen zu sein. „Und, wie haben sie es aufgenommen? Ich bin mir sicher, Maunten war sehr traurig …“

„Nun … also …“, stotterte er. Er sollte seinen Namen ins Reine bringen. Auch wenn er dieser Frau schon Schmerzen bereitet hatte …

Er erzählte ihr die ganze Geschichte. Dass Terra ihn gebeten hatte, zu lügen, dass er es aber bei der Familie nicht mehr geschafft hatte.

Die Frau mit ihrem blonden Haar sah ihn überrascht an. „Von Ihnen hätte ich niemals eine Lüge erwartet …“, sagte sie daraufhin. Dann sah sie ihn aber sanftmütig an, „Aber ich verzeihe Ihnen. Wenn Fräulein Terra Ihnen ein solches Versprechen aufbürdet …“

„Vielen Dank. Ich bin sehr froh …“, erklärte er, „Aber … darf ich wissen, wie es Shan geht?“

„Ihrer Begleiterin geht es wirklich außerordentlich gut. Sie können sie gerne besuchen“, erlaubte die Arzthelferin ihm, wonach sie ihn sofort zu Shans Zimmer brachte.

Es war ein großer Raum, mit riesigem Fenster. Außerdem gab es Vorhänge. Ein kleiner Schrank und ein Tisch mit drei Stühlen zierten den Raum. Ansonsten stand nur noch das große, weich wirkende Bett im Zimmer, auf dem eine Shan lag und ihn ansah. Sie hatte ihre Arme verschränkt. Eine Augenbraue war nach oben gezogen.

„Ich lasse Sie nun alleine“, schlug die Arzthelferin vor, „Wenn Sie oder Shan etwas brauchen sollten, brauchen Sie es nur zu sagen.“ Mit diesen Worten schloss die Frau die Tür und verschwand.

Link starrte Shan an, dann ging er neben sie auf das Bett. Sofort zog er sich einen Stuhl zu ihr.

„Shan! Du hast mich gerettet … Wenn du nicht gewesen wärst, hätte es mich getroffen!“, erklärte er, „Geht es dir gut?“

Die Liegende setzte sich auf und deutete auf einen Verband, der ihren Bauch zierte. „Würden sie ihn nicht ständig erneuern, hätte ich ihn schon längst abgerissen. Würden sie mich nicht ständig abhalten, wären wir schon längst wieder unterwegs“, erklärte sie seufzend, „Ja, mir geht es bestens. Es war doch nur ein Kratzer. Ich bräuchte gar nicht hier zu sein! Es ist nur Bettenverschwendung.“

Link sah sie an. „Bist du dir sicher?“

„Ich war mir noch nie sicherer“, bestätigte sie.

„Warum hast du mich beschützt?“, wollte Link – das Thema wechselnd - wissen, „Du hättest dich doch eigentlich ausruhen sollen!“

„Na ja, ich brauche dich eben noch. Du musst doch Ganondorfs Erwachen verhindern“, erklärte sie und sah zur Seite, „Da kann ich es nicht zulassen, dass du wochenlang im Krankenhaus liegst.“

„Jetzt liegst du dort“, erwiderte Link.

„Aber ich bin vollständig geheilt. Bei mir geht es eben etwas schneller als bei euch“, murrte sie.

„Na ja … Aber …“

„Nichts aber“, unterbrach Shan ihn, „Du wirst mich jetzt einfach mit dir nehmen. Sag das deiner Arztfreundin.“

„Warte, wir müssen reden!“

Sie sah ihn ungeduldig an.

„Draußen tobt ein riesiger Kampf gegen Monster! Ich denke, dass wir deshalb keinem begegnet sind. Alle sind vor Hyrule und bekriegen sich dort.“

„Oh.“

„Und ich habe herausgefunden, dass die Prinzessin keine Audienzen annimmt.“

„Siehst du, wir sind umsonst hier. Wir hätten weitersuchen sollen“, meinte Shan.

„Hör mir zu“, bat er, „Aber die Prinzessin veranstaltet alle paar Tage Feste. In drei Tagen ist wieder eines. Sie wird dort erscheinen. Man muss sie zum Tanz auffordern. Währenddessen kann man mit ihr sprechen!“

„Gut, dann schwing das Tanzbein“, feuerte Shan ihn an.

„Einer hat das versucht, wurde dann aber in den Kerker geworfen.“

„Dann hole ich dich danach wieder raus“, bot Shan an.

„Na ja, sie hört dann aber nicht auf mich.“

„Siehst du, es ist umsonst, dass wir hier sind.“

„Versuchen wir das mit dem Tanz?“, fragte Link, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen.

Sie zuckte mit den Schultern. „Klar, wenn du tanzen kannst.“

„Kommst du mit?“, fragte er, „Vielleicht als Botin von deinem Land? Als Plan B? Eine … Ausländerin, die mit friedlicher Absicht kommt, kann sie doch gar nicht abwimmeln.“

„Ausländerin?“, wiederholte Shan und legte den Kopf schief, „Hast du vergessen, dass wir »Ausländer« geheim bleiben wollen?“

„Nein, natürlich nicht. Aber sonst …“, er brach betrübt ab.

Sie seufzte genervt. „Na gut, Link“, gab sie nach, „Aber nur, wenn du dafür sorgst, dass mich nicht sofort jeder als solche erkennt.“

„Wie soll ich das machen?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Denk dir etwas aus. Und nein, ich kann nicht einfach solange ein Schatten sein, bis dein Plan schief geht. Ich denke, das würde Skepsis hervorrufen.“

„Gehen wir gemeinsam hin?“, schlug Link vor.

„Ich tanze doch nicht mit einer Prinzessin“, entgegnete Shan und schüttelte erbarmungslos mit dem Kopf, „Nie. Mals.“

Was sollte er dann tun? Sie in ein Hyrulanerkleid werfen, ihr Handschuhe und Stiefel geben und das Gesicht einpudern?

… Ja, das konnte er machen!

Er wiederholte seine Idee, was Shan ein fröhliches Lachen entlockte. „Ich denke nicht, dass du Wunder vollbringen kannst.“

„Warum? Das mit dem Kleid wird kein Problem. Es gibt hier eine tolle, schnelle Schneiderei. Handschuhe kannst du meine haben und Stiefel bekommt man auch überall.“

„Und der Schrumpfkasten?“, fragte Shan.

„Schrumpfkasten?“

„Was ich bis jetzt gesehen habe, sind Hyrulanerinnen klein. Sehr klein. Sogar kleiner als du.“

„Na ja, mindestens eine Ausnahme gibt es“, erklärte Link, wobei er an das Mädchen dachte, in das er heute Morgen gerannt war.

„Wow“, sagte Shan unbeeindruckt.

„Irgendwie muss sie dich ja als Ausländerin erkennen.“

Shan seufzte. „Gut. Okay. Besorg mir die Sachen und ich gehe mit.“

„Nur so … nebenbei.“

„Ja?“

„Die Schwestern haben dich doch auch gesehen.“

„Ich bin eine arme, arme Shan, die in den Dreck gefallen ist, weil sie sich für ihren stümperhaften, unaufmerksamen Helden vor einen Pfeil geworfen hat, wodurch sie getroffen worden ist und deshalb sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht gewichen ist.“

Er lächelte. „Danke noch einmal.“

Sie winkte ab. „Kein Problem, immer wieder gern.“

„Wirklich?“

„Nein. Das nächste Mal bist du dran“, erwiderte sie mürrisch, „Oder gar niemand. Das wäre das Beste.“

„Wo haben sie eigentlich deine Ausrüstung?“

Link bemerkte, dass sie ihren Ring nicht trug, das Diadem nicht da war und ihre Rubinkette, die sie sonst auch immer bei sich hatte, ebenfalls verschwunden war.

„Dinge, die mich verletzten könnten, haben sie mir abgenommen. Diese Volltrottel … Als würde ich mich durch einen Ring, eine Kette oder eine Krone verletzen … Ich bin doch kein Hyrulaner.“

„Sie müssen eben auch auf Nummer sicher gehen.“

Shan zuckte mit den Schultern. „Sie sind alle im Schrank. Sobald ich sie heraushole, werden sie mir wieder abgenommen. Ich habe es aufgegeben. Und mit dem Ring zu fliehen, würde auch nur Fragen und Schwierigkeiten bescheren.“

„Du bist doch erst seit ein paar Stunden hier.“

„Ja, und nicht einmal eine Stunde davon hat sich gelohnt.“

„Du hättest ausschlafen können“, meinte Link.

„Danke, Mutter, für den Tipp.“

„Ich meinte es doch nur gut. Du hast wirklich sehr schlecht ausgesehen.“

„Du hättest auch früher kommen können. Dann hättest du gesehen, wie gut es mir gegangen ist. Du hättest mich nicht alleine lassen brauchen.“ Sie starrte ihn missmutig an.

„Tut mir Leid …“

Stille trat ein.

„Ach was, was vorbei ist, ist vorbei. In drei Tagen hast du gesagt?“

„Mittlerweile nur noch zwei, fällt mir gerade auf. Gestern waren es drei“, verbesserte er sich selbst.

„Na gut. Dann werde ich diese zwei Tage hier bleiben und »kurieren«.“, erklärte sich Shan einverstanden, „Obwohl es wirklich Platzverschwendung ist, wenn draußen wirklich so eine Schlacht tobt.“

Link zuckte mit den Schultern.

„Danke, dass du mich besucht hast.“

„Soll ich gehen?“

„Oh, ich dachte, es würde ein Abschied sein“, gab Shan zu.

Er stand auf. „Wenn du schlafen möchtest, kann …“ Er stockte.

Sie sah ihn neugierig an.

„Das Fenster ist offen. Es ist Vormittag. Die Sonne scheint herein. Direkt auf dich … Wieso …?“

„Scheinbar haben sich meine Abwehrkräfte verstärkt. Meine Sonnenlichtresistenz ist wohl angestiegen. Es ist wirklich schön, so sehr von ihr angestrahlt zu werden.“

„Ich wollte dich zu dem Tanz einladen, ohne an deine Sonnenprobleme zu denken …“, wurde ihm plötzlich klar.

„Also findet er tagsüber statt?“, fragte Shan und legte ihre Hände hinter dem Kopf.

„Darüber habe ich mich noch gar nicht informiert“, fiel Link auf, „Sollte ich noch tun.“

„Solltest du“, gab Shan ihm recht und lächelte, „Wenn ich die Mittagssonne überlebe, dann kann dieser Tanz stattfinden, wann immer er möchte.“

Link lächelte. „Dann schau zu, dass du nicht stirbst.“

„Ich tue mein Bestes“, versprach sie zwinkernd.
 

Als der Abend näher rückte, verließ Link das Krankenhaus. Er hatte dort etwas zu essen bekommen und war bis dorthin bei Shan geblieben. Ihr ging es glücklicherweise wirklich wieder gut. Sie hatten über Alltägliches gesprochen.

Der Schlachtlärm tobte wieder. Er nahm ihn wieder wahr … und wieder wollte er sich in den Kampf stürzen …

„Hey!“, rief jemand. Es war der Wachmann Claude, der nur sein halbes Gesicht zeigte. Jetzt verspürte Link gar keine Wut mehr auf die beiden.

Der Mann lief zu Link. „Bleyd, also mein Kollege, ist mit deinem Pferd angekommen. Wir haben es in die Ställe hier in der Nähe gebracht. Dort ruht es sich aus. Das arme Ding … Es ist völlig erschöpft.“

„Dankesehr“, sagte Link lächelnd.

Der Mann sah zum Krankenhaus. „Geht es deiner Freundin wieder etwas besser?“

Link nickte. „Ja, ihr geht es gut. Sie wird mich wieder begleiten können.“

„Wenn ich wieder zurück bin, werde ich besser aufpassen. Auch nachts.“

„Danke, das ist gut.“

Der Mann lächelte. „Nun ja, dann lasse ich dich wieder alleine. … Ist Thelma eigentlich wieder da?“

Link schüttelte den Kopf. „Nein … du wusstest also von … ihr?“

„Seit Feconi da ist, geh ich nicht mehr hinüber … Das Mädchen jagt mir schreckliche Angst ein … Alpträume …“ Als ob er es demonstrieren wollte, schauderte Claude, „Sie ist echt gruselig. Aber Thelma wird schon zurückkommen.“

Links Schultern zuckten.

„Na gut, schönen Abend noch! Die Ställe sind gerade hinter dem Krankenhaus. Du wirst es riechen.“ Der Mann winkte und verschwand.

Zuerst sah er in den Ställen nach Epona. Nachdem er sich versichert hatte, dass es ihr gut ging, lief er zurück zu seinem Gasthaus. Feconi erwartete ihn bereits.

Es waren einige Gäste hier. Abends. Um diese Zeit war wohl ziemlich etwas los.

Sie stemmte die Hände in die Hüfte und bäumte sich bedrohlich vor ihm auf. „Wo warst du?“

„Bei meiner Freundin im Krankenhaus“, erklärte Link kleinlaut.

„Und wer hat dir erlaubt, dorthin zu gehen?“

„Du warst nicht da … Und … hey, ich bin nicht dein Leibeigener!“, wehrte sich Link.

Sie sah weg. „Na gut. Dann brauchst du gar nicht mehr wieder zu kommen.“

Link seufzte. „Ich habe doch eingekauft …“

„Erstens hat etwas gefehlt und zweitens war das noch nicht alles, was du zu tun hast. Du bist hier mein Erledigungen-Erlediger. Also bleib gefälligst in der Nähe! Oder sag mir zumindest, wenn du deine kranke Freundin besuchst, dass ich nach dir schicken kann.“

„Na gut“, stimmte Link zu, „Morgen werde ich bei Shan sein.“

Feconi lachte. „Shan? Das ist aber ein seltsamer Name!“

„Sagst gerade du …“, murmelte Link.

„Was? Hast du etwas gesagt?“, fragte Feconi mit bedrohlichem Unterton.

Er schüttelte den Kopf. „Gibt es noch etwas zu essen?“

„Ja, die Reste der Gäste“, erklärte sie eiskalt.

Er sah sie verzweifelt an.

„Das war ein Scherz“, meinte sie, „Ich habe etwas in der Küche stehen. Du hast Glück, dass ich eine sehr liebenswürdige Person bin. Das ist deine Erlaubnis, zu essen.“

„Ja, das habe ich“, stimmte Link zu, „Dankesehr!“

Sie zuckte mit den Schultern, „Keine Ursache.“

Er stürmte in die Küche und verzehrte das leckere Essen.

Feconi war eine wirklich gute Köchin.
 

Diese Sache erledigen wir gemeinsam.

Ob sich unsere Wege dann trennen?

Berieseln

Es sind Träume, Ziele, Wünsche, die das Leben erst lebenswert machen.

Was macht jemand, der so etwas nicht hat?

Lebt er?
 

„Blöd, dass du den Schwan nicht verfolgt hast“, meinte Shan, „Aber man kann nichts machen. Es ist eben so.“

„Bist du enttäuscht?“

Sie schüttelte langsam den Kopf. „Nein. Nein, bin ich nicht“, beteuerte sie leicht verwundert, „ Aber der Umstand an sich ist enttäuschend.“

Link antwortete darauf nicht. Er saß an Shans Bett. Sie lehnte neben ihm an der Wand. Die Verbände waren immer noch um. Scheinbar wollten die Schwestern einfach nicht glauben, dass Shan wieder gesund war.

Oder sie spielte Link nur etwas vor, um ihm weniger Sorgen zu bereiten.

„Starr mich nicht so an. Mir geht es wirklich gut“, versicherte sie ihm, „Das Fest morgen wird gar kein Problem sein, wenn du dich endlich um die nötige Ausrüstung kümmerst.“

Er ließ sich Zeit mit Antworten. „Na gut … Dann gehe ich jetzt besser.“

Ein Blick durch das große Fenster genügte, um festzustellen, dass es bereits Nachmittag war. Also höchste Zeit, um loszugehen. Er stellte sich schon darauf ein, wieder die Geräusche der Schlacht zu hören. Die zwei Tage, die er bisher hier verbracht hatte, hatte sich der Lärm kein bisschen verändert. Er war noch immer zerschmettert und von Todesschreien und –qualen durchsetzt. Am liebsten wäre Link zu ihnen gesprungen und hätte diese Kämpfe beendet! Warum hatte er das letzte Fest nur so knapp verpasst? Er hatte herausgefunden, dass am Tag seiner Ankunft eines stattgefunden hatte. Nur waren sie zu spät dran gewesen.

Und jetzt musste er seine Zeit mit Warten verschwenden. Darauf warten, dass die Prinzessin eine wichtige Botschaft vernahm!

Sein Blick fiel auf Schloss Hyrule, welches von Shans Fenster aus sehr gut zu sehen war. Und sein zweites Ziel wäre die Prinzessin gewesen. Er hätte ihr am liebsten Verstand eingeklopft …

„Über was denkst du nach? Du wirkst ziemlich wütend“, riss Shans Stimme ihn aus seinen Gedanken. Sie sah belustigt drein.

Er bemerkte, dass er seine Miene unbewusst zu einem wutverzerrten Zähneknirschen verändert hatte.

Er versuchte, sich zu beruhigen, was ihm auch bestens gelang.

„Nur über die Fehler Ihrer Hoheit und den Kampflärm“, flüsterte er.

Darauf sagte Shan nichts. Sie hatte es noch nicht gehört. Hier war sie sicher vor dem Geräusch des Todes. Er wünschte ihr, nicht nach draußen gehen zu müssen. Doch morgen war es soweit. Er brachte sie dazu, es sich anhören zu müssen …

„Ich denke, eure Männer werden sich gut schlagen“, munterte sie ihn auf, „Die Monster haben keine Chance. Die folgen nur niedrigen Instinkten, während ihr euch Strategien überlegen könnt. Das wird schon.“

„Danke. Hoffentlich hast du recht.“

Er rutschte über das weiche Bett und stieg auf den Boden. Am Stuhl hing seine Mütze, welche er sich wieder aufsetzte. Er hatte sie abgenommen, weil es im Zimmer warm war. Aber jetzt fühlte er sich gleich wieder besser, weil er seinen Kopfschutz trug.

Er hängte sich sein Schwert wieder um, welches er ebenfalls abgelegt hatte, und marschierte festen Schrittes zur Tür. Er griff mit einer Hand zu Klinke, während er die andere zum Abschied hob. „Ich denke, ich sollte noch eine Schwester holen.“

„Für was?“, fragte Shan misstrauisch, „Ich bin kerngesund.“

„Na ja … Lauf einfach nicht weg.“

„Als könnte ich das!“, nörgelte sie und verschränkte mürrisch die Arme.

Er ging den Flur entlang. Die Schwester, die er Terra wegen angelogen hatte, kam ihm sofort entgegen. Sie wirkte besorgt. „Ist etwas mit Ihrer Begleiterin?“

„Nein, ihr geht es bestens. Aber ich hätte eine Bitte an Sie.“

„Eine Bitte?“

„Ja, würden Sie bitte von Shan Maß nehmen? Ich muss zur Schneiderei. Sie haben vielleicht bemerkt, dass ihre Kleidung nicht mehr für die Öffentlichkeit geeignet ist.“

Die Arztschwester lächelte wissend und hastete einmal die Runde, welche danach in Shans Zimmer endete.

Link wartete geduldig.

Nach kurzer Zeit kam sie wieder.

„Sie ist wirklich groß“, staunte diese einen Zettel anstarrend. Auf dem Stück Pergament waren die Daten festgehalten.

„Ja“, gab er ihr Recht, „Ich glaube, das liegt in der Familie. Und danke dafür.“

„Ach, so etwas tue ich doch gerne.“

„Bis die Tage“, verabschiedete sich Link und schritt hinaus in die Stadt.

Wie erwartet brach der Lärm über ihn hinein. Noch schienen sich die Männer gut halten zu können. Und auch die Vorräte für die Bewohner wurden noch nicht knapp. Aber alle rechneten mit einer Belagerung, weshalb sie schon anfingen, ihre Waren aufzubewahren.

Link fragte sich, ob viele Leute zu den kleinen Festen der Prinzessin kamen. Schließlich waren es Volksfeste. Aber in solchen Zeiten Spaß haben? Man musste nicht depressiv sein … doch wenigstens gedanklich sollte man die Verteidiger unterstützen … Vielleicht taten sie das ja auch dort. Zusammen. Bei einer Prinzessin, die sich nicht um die Kämpfe kümmerte … Unwahrscheinlich.

Da er genau wusste, wo die Schneider waren, war es ein Leichtes für ihn, zu ihnen zu finden. Das Haus sah immer noch gleich klein und niedlich aus, wie vor ein paar Jahren. Es wirkte, als müsse man es beschützen. Seine Größe passte nicht wirklich zu den umstehenden Villen des Adels. Aber hier hatten sie wenigstens gute Kundschaft. Und auf ihre Arbeiten konnten die Schneider stolz sein. Außerdem kostete es nicht allzu viel. Also war hier alles in Ordnung.

Er klopfte an die braune Holztür und trat danach ein. Hinter ihm fiel die Tür wieder ins Schloss und er war umzingelt von Stoff, Kleidung und Modellpuppen. Instinktiv wich er zurück. Das hier war nicht sein Gebiet.

„Oh, ein Kunde!“, rief die rundliche Besitzerin des Hauses. Arithmeta war ihr Name. Wie immer trug sie einen schicken Hut mit einer Feder auf ihrem grauen Haar, das fein säuberlich zusammengesteckt war. Trotz ihres Alters hatte die ältere Dame noch ein ansehnliches Gesicht. Ihre etwas mollige Figur wollte dazu nicht wirklich passen, aber das Kleid passte sich farblich gut zum Hut. Beides hatte eine bläuliche Farbe …

Ein bläuliches Kleid … Hatte er nicht einmal irgendwo ein schönes gesehen? Diese Farbe war recht selten …

Er sah sich um. Hier stand keines.

Aber egal. Er war nicht hier, um über Kleider nachzudenken, die er einmal gesehen hatte, sondern um eines anzuschaffen.

„Mydia, geh du zu ihm!“, befahl Arithmeta, „Bring ihn dann zu Miralle, wenn du nicht weiterkommst.“

Erst jetzt bemerkte Link, dass ein Kunde Arithmeta beschäftigte. Er wirkte adlig. Irgendwie … wie ein Bote. Jemand, der etwas Wichtiges mitzuteilen hatte.

Hinter einem Kleid kam ein Mädchen hervor. Sie hatte langes braunes Haar und tiefblaue Augen, hinter denen …

Moment! Er sah sie sich genauer an. Sie kannte er doch … Das war … das Mädchen, mit dem er zusammengestoßen war. Leinen … hier hatte sie also die Leinen hingebracht.

Sie war wohl eine neue Angestellte. Miralle und Arithmeta kannte er noch vom letzten Mal.

„Oh“, machte das Mädchen, wonach sie sich wieder beherrschte. Sie war eindeutig älter als Link, weshalb „Mädchen“ wohl der falsche Ausdruck war. Aber sie wirkte irgendwie verloren wie ein Kind, das man alleine ließ. Jetzt erkannte er, was in ihren Augen steckte. Es war Einsamkeit. Und dort waren Zweifel … Ob sie sich wirklich verloren fühlte?

„Guten Tag“, grüßte sie lächelnd, „Wie kann ich Ihnen helfen?“

Erst jetzt bemerkte Link, dass sie mit ihm sprach. „Oh … Guten Tag.“ Er kramte den Zettel aus seiner Tasche, um entfaltete ihn ordentlich. Dann reichte er ihr diesen. „Ich bräuchte bis morgen zum Fest ein Kleid.“

Sie sah ihn entsetzt an. „Morgen? Das wird aber sehr knapp werden …“ Dann las sie den Zettel. „Ein Kleid in dieser Größe?“, murmelte sie danach. Sie schaute ihn direkt an. „Gibt es denn irgendwelche Wünsche?“

Er zuckte mit den Schultern. „Es sollte hübsch … und sein Geld wert sein.“

„Und Farbenwünsche?“

„Es sollte sich nicht mit Grau oder Rot stechen. Und es soll ein langes Kleid werden. Sehr lang, wie Sie sehen …“

„Nun gut … Bitte entschuldigen Sie mich kurz“, meinte sie und eilte davon. Nach weniger Zeit kam sie mit einem blonden Mädchen, dessen langes Haar sein Gesicht zierten, zurück. Miralle war jünger als Link, sah aber weitaus älter aus als Mydia. Auch sie trug ein schönes Kleid, welches sie vermutlich sogar selbst geschneidert und entworfen hatte. Neben Miralle verblasste Mydia förmlich. Hätte Link sie nicht schon zuvor als Ansprechpartnerin gehabt – er hätte sie glatt übersehen.

„Oh, Link!“, sagte Miralle, „Sie sind es! Wir haben Sie hier aber lange nicht mehr gesehen. Und, passt Ihnen Ihre Mütze?“

Er nickte. „Ja, perfekt. Die haben Sie gut geschneidert.“

„Ach was, das ist meine Arbeit. Und Mydia, was ist jetzt los?“, fragte sie freundlich.

Mydia sah ihn seltsam an. Dann schüttelte sie kaum merklich den Kopf.

Was das wohl sollte?

„Nun … hier …“, sie gab ihrer Mitarbeiterin den Zettel, „Du hast doch gerade so eines in Arbeit … Und das hat noch diese Länge, weil du es noch nicht geschnitten hast … und es ist silber-schwarz, sticht sich also weder mit Rot noch mit Grau.“

„Na ja, das ist aber für eine Kundin.“

„Er bräuchte es aber bis morgen.“

„Oh, Link, warum sind Sie denn nicht früher gekommen?“, wollte Miralle die Augen rollend wissen, „Aber Ihnen können wir verzeihen. Die Kundin braucht es erst nächste Woche, also wird das gut gehen. Dann fange ich eben von vorne an. Aber wir müssen Ihnen dann leider einen Aufpreis berechnen.“

„Wer erzählt hier etwas von Aufpreisen, ohne meine nicht ganz so bescheidene Meinung?“, ertönte eine Stimme hinter den beiden Schneiderinnen. Nur der Federhut der Frau hinter den beiden Mitarbeiterinnen war zu sehen.

„Ach, Link, Sie sind es! Ich habe Sie gar nicht erkannt!“, begrüßte Arithmeta ihn, „Groß sind Sie geworden. Aber die Kappe passt noch. Schön. Also, was brauchen Sie?“

Miralle erklärte ihrer Chefin, was sie soeben besprochen hatten.

„Oh, aber für unseren Retter gibt es keine Aufpreise! Sogar einen Rabatt!“

„Apropos Retter, Link. Kämpfen Sie nicht draußen mit?“, fragte Miralle.

Arithmeta stieß ihr unsanft in die Hüfte und befahl ihr, still zu sein.

„Nein, sie hat Recht, ich sollte mitkämpfen. Aber ich darf mein Leben leider noch nicht dafür riskieren. Mir steht bedauerlicherweise Größeres bevor. Und dafür brauche ich dieses Kleid.“

Die drei Frauen warfen sich gegenseitig einen seltsamen Blick zu.

Sofort schüttelte er den Kopf. „Nicht für mich!“

Miralle und Arithmeta atmeten erleichtert auf, sahen ihn dann aber neugierig an.

„Für meine Begleiterin. Wir müssen morgen bei dem Fest mit der Prinzessin sprechen. Um unser aller Überleben zu sichern.“

„Was … ist denn los?“, fragte Mydia.

„Ich hoffe, dass ihr das nie erfahren müsst.“

„So schlimm?“, informierte sich Miralle und bedeckte ihren Mund mit ihren Händen.

„Dann bekommen Sie das Kleid selbstverständlich um die Hälfte! Von etwas müssen wir schließlich auch leben.“

„Nein, nein! Das kann ich nicht annehmen. Ich zahle den ganzen Preis.“

„Sind Sie sicher?“

Er nickte. „Sonst hätte ich ein schlechtes Gewissen.“

„Nun, ich müsste es nur noch säumen, dann wäre es fertig. Morgen können Sie es bereits morgens abholen“, erklärte Miralle, „Ich mache mich dann an die Arbeit, bis Morgen!“

Das blonde Mädchen ging seines Weges und verschwand hinter den ausgestellten Kleidungsstücken und Stoffen.

Durch die Tür kam ein weiterer Kunde, dem Link natürlich aus dem Weg ging. Arithmeta schickte Mydia stillschweigend durch ein Kopfnicken zu diesem. Sie gehorchte und ging.

Die ältere Frau blieb vor Link stehen und sah ihn mitfühlend an. Mydia verschwand mit dem Besucher um eine der vielen Ecken.

Sie seufzte. „Die Welt ist wirklich zu einem schlechten Ort geworden.“

Link nickte zustimmend.

„Dort draußen toben Monsterscharen und metzeln unsere Männer nieder … Sie sind einer noch größeren Aufgabe, die unser aller Leben bedroht, entgegengestellt … und jeder hier hat noch seine eigenen Schwierigkeiten dazu.“

„Ja … Es sind harte Zeiten in Hyrule.“

„Wieder“, stimmte sie ihm zu.

„Wer ist Mydia?“, wollte Link wissen, als das Mädchen kurz wieder zum Vorschein kam, weil sie etwas Stoff geholt hatte.

„Das wüsste sie wohl selbst gerne“, meinte Arithmeta, „Vor ein paar Wochen habe ich sie bei den Bettlern sitzen sehen … Sie wollte meiner Meinung nach einfach nicht richtig zu ihnen passen. Sie wirkte wirklich fehl am Platz. Da habe ich sie angesprochen. Sie war völlig ängstlich und verwirrt. Sie erzählte mir, sie habe keine Erinnerungen mehr, wüsste nicht einmal, wie sie hieß! Ach, das arme, arme Ding … Vielleicht wurde sie ja von Monstern angefallen und hat sich in die Stadt gerettet. Ich lasse sie hier arbeiten, auch wenn sie nicht sonderlich gut nähen kann, sodass sie wenigstens ein sicheres Zuhause hat, bis sie ihr altes wieder findet. Wenigstens scheint sie gut mit Menschen umgehen zu können.“

Link lächelte gerührt. Arithmeta war wirklich eine gutherzige Frau. Sie hatte für jeden Mitgefühl und erkannte sofort, mit welcher Art Mensch sie zu tun hatte. Eine weise Frau.

„Das ist wirklich aufopferungsvoll von Ihnen“, lobte Link sie, „Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn mehr Leute wie Sie wären.“

„Oh, Sie schmeicheln mir“, entgegnete die Frau verlegen, fand dann aber sofort wieder zu ihrem vorherigen Ernst, „Wenn Sie irgendwelche Andeutungen auf die Herkunft des Mädchens finden, lassen Sie es mich bitte wissen.“

„Selbstverständlich“, schwor Link.

„Danke sehr“, sagte sie, dann drehte sie sich um, „Wir sehen uns dann morgen wieder. Ich muss jetzt wieder an das Kleid Ihrer Hoheit!“

„Sie nähen die Kleider der Prinzessin?“, wunderte sich Link.

Arithmeta nickte sichtlich stolz, als sie sich wieder Link zuwandte. „Selbstredend! Wir sind die einzige Schneiderei hier, die das könnte. Andere haben nicht genug Zeit, für jedes Fest ein neues zu nähen und wochenlang an dem für das Mittsommernachtsfest zu sitzen!“

„Dieses Mittsommernachtsfest … Oh, ich will sie nicht aufhalten. Tut mir leid“, unterbrach Link sich selbst.

„Nein, nein, reden Sie ruhig. Es dauert ja noch, bis es soweit ist. Und ihr morgiges Kleid haben wir vorhin schon beim Boten abgegeben. Und das nächste Fest ist erst wieder in fünf Tagen. Also …“

„Danke“, erwiderte Link erleichtert.

Arithmeta trat wieder einen Schritt auf ihn zu. „Nun?“

„Dieses Mittsommernachtsfest … was ist das genau?“

„Das ist ein Fest für die höhere Bevölkerung und diejenigen, die direkt im Dienst der Prinzessin stehen. Es findet in ein paar Wochen im Schloss statt. Ich bin mir sicher, Sie dürfen auch kommen. Ihre Hoheit schuldet Ihnen ihr Leben und nicht nur ihre Kleidung. Die gesammelten Rubine werden öffentlichen Arbeiten zugutekommen.“

„Und warum plant sie solange daran?“

Die Frau schüttelte verzweifelt den Kopf. „Da ist sich niemand so sicher. Vielleicht aus Dankbarkeit, vielleicht aus Eitelkeit, vielleicht, weil alles perfekt ablaufen sollte, vielleicht, um sich selbst abzulenken … Niemand traut sich mehr, sie auf den Festen anzusprechen, aus Angst, ebenfalls das Falsche zu sagen, so wie einer der Wachmänner.“

„Glauben Sie, sie wird morgen auf mich hören?“, wollte Link von ihr wissen.

Erneut schüttelte sie den Kopf. „Das müssen Sie probieren, Link. Auf diese Frage wird Ihnen nur Ihre Hoheit persönlich antworten können.“

„Um welche Zeit findet es statt und wann taucht die Prinzessin immer auf?“

„Es ist gegen Abend und sie kommt eigentlich immer kurz nach dem Beginn und bleibt bis zum Schluss. Sie tanzt recht oft mit und lacht gerne über die Witze. Und sie ignoriert die Kämpfe. Seit diese begonnen haben, gibt es sogar noch öfter solche Feste.“

„Oder es liegt daran, dass zum Mittsommernachtsfest nicht alle eingeladen sind und das Volk ihr so wichtig ist, dass sie bei diesem sein möchte.“

„Ach, sich darüber Gedanken zu machen, bereitet nur Kopfschmerzen und ist sinnlos. Auf jeden Fall hoffen alle, dass sie zur Vernunft kommt und sich um den Stopp der Kämpfe kümmert, sodass es weniger Opfer gibt.“

„Ja, das wäre wichtig …“

„Wir mögen die Prinzessin sehr. Sie ist eine sehr offene und freundliche Person. Sie macht alles uns, dem Volk, zuliebe und ertränkt uns beinahe in Gutherzigkeit. Sie sorgt sich um uns und weiht uns in das meiste ein. Ihr einziger Fehler besteht seit Langem in dieser Geschichte! Dass sie die Kämpfe nicht beaufsichtigt und den Kämpfern keinen Mut zuspricht …“ Arithmeta seufzte, „Dabei brauchen sie doch Motivation vom Anführer …“

„Auf dass sie sich beruhigt“, meinte Link, „Und nun lasse ich Sie weiterarbeiten. Bis morgen.“

Sie verbeugte sich. „Bis morgen, Link.“

Er trat aus dem Geschäft heraus und atmete die Luft ein. Es sah aus, als würde es bald regnen.

Er ging wohl besser wieder zu Feconi, um dort die abendliche Einkaufsliste zu besorgen.

Link machte sich auf den Weg.
 


 

Moe und Taros Vater hatten ihn und Colin davon abgehalten, nach Link zu suchen. Seit sie einen Versuch unternommen hatten, Link zu folgen, wurden die Ausgänge bewacht. Er fühlte sich wie im Gefängnis!

Er saß beim Fluss und starrte das Wasserrad trotzig an. Er würde doch ein Held werden! Da konnte er doch früher anfangen als Link. Ein Jahr hatte er dazu noch. Warum verstanden das sein alter Herr und der Bürgermeister nicht? War es denn so … seltsam?

„Und, eine Spur von Link?“, ertönte Bettys zarte Stimme hinter ihm.

Er schüttelte schweigend den Kopf.

Sie setzte sich neben ihn. Ihr langes Haar reichte bis zum Boden. Sie stützte den Kopf auf die Knie und sah melancholisch ins Wasser. Trauer umgab sie.

„Er wird schon wiederkommen“, beruhigte Taro sie, „Wenn nicht für uns, dann …“

„Wenigstens für mich“, beendete sie den Satz unbeeindruckt.

Alle im Dorf spekulierten darauf, dass Betty und Link eines Tages verheiratet waren –sie war schließlich die Einzige, die in Ordon in Frage kam - , weshalb jeder Betty mit demselben Satz aufmunterte. Taro brachte ihn aber nie ganz über die Lippen. Er würde Betty nicht aufgeben! Egal, dass sie zwei Jahre älter war als er.

„Moe hat mir doch schon versprochen, dass Link und ich dann das leer stehende Haus dort bekommen! Was spräche auch dagegen? Es ist sogar schon eingerichtet …“

„Hast du dich nicht auch schon oft gefragt, wem dieses Haus gehören könnte?“, lenkte Taro vom Thema Betty-heiratet-Link ab, „Ist doch seltsam, dass ein vollkommen leeres Haus noch so gut eingerichtet ist … Egal, dass alle sagen, dass es schon seit Ewigkeiten leer steht! Das geht nicht.“

„Wir haben dort doch früher immer gespielt“, meinte Betty, „Darum ist es wohl noch so schön.“

„Hast du etwa die Betten schön überzogen und den Tisch säuberlich abgeräumt, um das ganze Geschirr zu verstauen? Hast du die Blumen in die Vase gesteckt und das Wasser nachgefüllt?“

Sie schwieg.

„Ich glaube, hier geht etwas Seltsames vor“, erklärte Taro, „Ich weiß nur nicht, was.“

„Ich glaube, du spinnst! Siehst du denn nicht, wie ich leide? Rede mir lieber gut zu, als über Vasen zu sprechen!“, befahl sie.

„Tut mir Leid …“

„Dein Beileid und Mitleid nützt mir nichts. Sag mir, dass mein Link zurückkehren wird.“

„Ja, das wird er schon …“, stimmte Taro ihr kleinlaut zu. Hoffentlich nicht. Taro selbst hatte noch die besten Chancen, dass er nach Link auf Bettys Favoritenliste gehörte. Aber Betty litt und trauerte wirklich unter Links Verschwinden. Es fiel ihm immer noch schwer, ihr zuzugestehen, dass Link wiederkehrte und sie zur Frau nahm. Das war schließlich Taros eigene Bestimmung! Es war wohl egoistisch von ihm, zu hoffen, dass Link fernblieb und irgendwo eine andere fand … Obwohl er wohl kaum eine bessere als Betty finden konnte.

„Weißt du, was dich ablenken wird?“, fragte Taro und stand auf. Er zerrte Betty auf. Sie wehrte sich nicht.

„Was?“

„Ich hole Colin und wir ringen eine Runde! Dann kannst du meinen feschen Oberkörper anstarren und Link vergessen!“

Sofort setzte sich Betty wieder und vergrub ihr Gesicht in den Händen.

„Link hatte einen tollen Oberkörper …“

… Verdammt. Das war ein Fehlschlag.

„Aber du kannst dann auf mich setzen und ich mache Colin für dich fertig! Und danach … danach können wir ja zu Phard gehen und den Ziegen zusehen.“

„Warum soll ich Ziegen zusehen wollen?“, fragte sie skeptisch und sah ihn ebenso an. Natürlich war Taro klar, dass Betty keine Ziegen mochte …

„Ach, vielleicht widerfährt dir dann etwas Gutes. Erst siehst du mich gegen Colin, der ja älter ist als ich selbst, gewinnen und dann werde ich ein paar Ziegen für dich fangen! Und zum Anschluss kaufen wir uns noch eine frische Milch und trinken sie gemeinsam.“

Sie stand auf. „Na gut, weil du dich so anstrengst, mich aufzumuntern, sage ich ja.“ Sie strich sich ihr Haar aus dem Gesicht. Erst jetzt bemerkte Taro, dass ein hübscher Haarreif diese zierte.

„Du siehst heute echt toll aus“, schmeichelte er ihr, wodurch sie verlegen kicherte.

Sie liefen gemeinsam zu Moes Haus, in welchem sich Colin befand.

Sie klopften. Lin öffnete.

„Oh, Betty und Taro! Colin! Ich glaube, sie sind für dich da!“, rief das kleine Mädchen, das einen stark an Colin in seiner Kindheit erinnerte.

Der Junge kam und winkte ihnen zu. „Hey. Was ist los?“

„Betty möchte, dass ich gegen dich ringe, um sie aufzumuntern.“

„Oh, wenn das so ist, mache ich es doch gerne!“, meinte Colin, „Und keine Sorge, Betty, Link wird sicher zurückkommen! Wenn nicht für uns, dann wenigstens für dich! Er kommt also bestimmt.“

Sie lächelte dankbar. „Oh, Colin, du bist so süß. Aber gehen wir, sonst wird es noch dunkel. Und ich habe keine Lust, im Gespensterhaus im Dunkeln zu sein.“

Die drei lachten. In diesem Haus war es immer dunkel.

Sie gingen zum allein stehenden Haus und traten ein, ohne zu klopfen. Erst kamen sie durch eine gemütlich wirkende Küche, dahinter gab es einen Raum mit einem Ring. Einem richtigen Kampfring! Spannend …! Im oberen Stockwerk waren langweiligere Schlafzimmer. In einem davon wohnte vielleicht irgendwann einmal ein Mädchen. Es wirkte auf jeden Fall so, weil Blümchen neben dem Bett angerichtet waren.

Colin und er betraten den roten Ring und entblößten ihre muskulösen Oberkörper, was Betty ein aufgeregtes Kichern bescherte.

Gut, hoffentlich bestarrte sie ihn!

„Na gut, Colin! Zeig keine Gnade!“, befahl Taro, „Und fang an!“
 

Ich mag ihn. Sehr sogar.

Aber ich weiß, dass in seinem Leben

kein Platz für jemanden wie mich ist.

Belehrung

i Überraschungen gehören zum Leben.

Das habe ich gelernt. Leider auf eine unerfreuliche Weise.

Denn jeder war überrascht, mich zu sehen. Mich zu bemerken. /i
 


 

Link sprintete mit den eingekauften Waren zurück zu Thelmas Kneipe. Dort legte er alles eilig, aber schön säuberlich, auf den Tresen ab und verstaute die Restrubine in einer geheimen Lade an der Theke.

Er sah sich schnell um. Sofort erhaschte sein Auge das, wonach er Ausschau gehalten hatte. Ein kleines Stück Pergament und eine Feder mitsamt Tinte befanden sich daraufhin in seiner Gewalt. In seiner schönsten Schrift hinterließ er Feconi die Nachricht, dass heute der Tag des Festes sei, weshalb er voraussichtlich bis zum Abend nicht zurückkehre.

Den Zettel legte er zu den Einkäufen.

Dann verließ er das Gebäude und erklomm die Stiegen.

Just in diesem Moment bemerkte er, dass er sein Schwert trug. Zweifel beschlichen ihn. Sollte er wirklich mit einer Waffe vor die Prinzessin treten? Schließlich … hätte das als Einschüchterung gelten können. Doch sie war ein Zeichen, dass er es ernst meinte. Er würde es einfach auf die Seite legen, sobald er Ihre Hoheit zum Tanz aufforderte. Dann … würde es hoffentlich nicht stören.

Er hastete zur Schneiderei.

Es war zwar noch Morgen, doch es erschien Link wichtig, möglichst früh dort zu sein. Um nichts zu verpassen.

Er beeilte sich noch mehr.

Da erkannte er den Grund für seine Eile.

Nervosität.

Er hätte gar nicht langsamer gehen können. Er war nervös … Nervös wie noch nie! So nervös war er nicht einmal, als er Ganondorf zum Schwertkampf gegenüber stand – da war er eher wütend. Damals hatte er keine Zeit, nervös zu sein. Aber jetzt …?

Eigentlich hätte er es auch nicht sein dürfen. Schließlich sprach er nur mit einer gutherzigen Prinzessin, die seine eher miserablen Tanzkünste miterleben durfte. Aber darum ging es doch nicht! Er musste sowieso mit ihr sprechen. Hoffentlich war der Tanz ganz schnell vorbei. Oder fing gar nicht erst an und er konnte schon zuvor mit ihr reden …

Während des Rennens sah Link an sich herab. Seine Kleidung war gestern Abend frisch gewaschen worden – Feconi musste nämlich die Wäsche und die Gläser waschen, da hatte sie ihm angeboten, sein Zeug gleich mitzunehmen, wenn er dafür half, das Geschirr zu tragen.

Wenigstens machte er so keinen schmutzigen Eindruck.

Aber hoffentlich senkte das nicht seine Glaubwürdigkeit …

Er seufzte.

Dann erreichte er die Schneiderei.

Er klopfte kurz an, dann trat er ein.

„Link! Wir haben Sie erwartet“, begrüßte Arithmeta ihn, „Guten Morgen.“

„Guten Morgen“, antwortete er höflich. Dann sah er sich um. „Ist …?“

Die dickliche Frau nickte lächelnd. „Selbstverständlich. Miralle hat die Nacht damit verbracht, es noch zu säumen und zu veredeln. Wenn es für Sie ist, scheuen wir selbstverständlich keine Arbeit!“

Link sah bestürzt drein. „Danke, das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen.“

„Dafür hat die Arme heute aber frei“, beruhigte die Schneiderin ihn, danach rief sie: „Mydia! Bring Links Kleid!“

Nach weniger Zeit konnte er die Mitarbeiterin sehen. Sie trug das Kleid sanft und vorsichtig zu ihm, ständig darauf achtend, es nicht den Boden berühren zu lassen, oder unnötige Falten zu verursachen.

Mydia, die auch Arithmeta überragte, stellte sich auf einen kleinen Hocker und zeigte ihm das schwarze Kleid in seiner vollen Länge.

Silberne Stickereien zierten es und ließen adelig wirken.

„Wow …“, staunte er. Ihm blieben die Worte weg.

„Gefällt es Ihnen? Wir können es auch noch umschneidern, falls etwas nicht passt“, bot die ältere Frau an.

Er schüttelte eilends den Kopf. „Nein, nein, das wird nicht nötig sein! Es ist wundervoll!“, lobte er dann und strahlte den beiden Frauen entgegen, „Bitte richten sie Miralle meinen besten Dank aus!“

Arithmeta nickte. „Selbstredend.“

Mydia nahm das Kleid vorsichtig in beide Hände und bedeckte diese damit. Danach stieg sie vom Stuhl und reichte es Link. „200 Rubine, wenn es recht ist“, bat sie ihn freundlich.

Er händigte sie ihr aus und nahm das Kleid an sich.

Er bemerkte, dass es lediglich kurze Ärmel hatte.

„Stimmt etwas nicht?“, informierte sich Arithmeta besorgt dreinschauend.

„Na ja … Meine Begleiterin will ihre Arme nicht herzeigen … Also habe ich ihr meine Handschuhe angeboten. Ich hatte völlig vergessen, das mit den langen Ärmeln zu erwähnen …“

„Oh, dann gibt es gratis Handschuhe dazu“, sagte die Verkäuferin sofort und lief durch das Geschäft. Mydia starrte Link nachdenklich an.

„Ist etwas …?“, fragte er zögerlich.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Alles in Ordnung. Verzeiht mir.“

„Hier haben wir sie. Schwarz-silberne Handschuhe für eine feine Dame. Ich denke, sie dürften ihr passen, wenn ihre Arme nicht absonderlich lang für ihren Körper sind oder geradezu dick. Oben wären noch Schnüre, falls letzteres der Fall wäre. So dürfte man ihre Arme kaum noch sehen.“

Er nahm sie lächelnd entgegen. „Danke sehr.“ Dann holte er hundert Rubine aus seiner Tasche und drückte sie Arithmeta in die Hand. „Keine Widerrede“, ermahnte er sie freundlich und schritt zur Tür. Da fiel ihm ein, dass er auch noch keine Stiefel für sie hatte.

Arithmeta starrte verwundert auf den Rubin.

„Brauchen Sie noch etwas?“, wollte Mydia anstatt ihrer Vorgesetzten wissen.

„Stiefel … haben Sie nicht zufällig?“

„Selbstverständlich besitzen wir Stiefel!“, begehrte die ältere Frau auf. Sie schritt erneut zielstrebig durch den Raum und holte dann drei Paare heraus. „Eines sollte passen, wenn sie nicht übermenschlich dicke oder große Füße hat.“

Sofort wich die Frau zurück. „Nein, ich will keine Bezahlung dafür!“

Link nahm noch einmal hundert Rubine und reichte sie Mydia, die ihre Hände vor sich gefalten hatte. Sie sah sie überrascht an.

„Als kleine Belohnung“, meinte er.

Dankbar nahm sie sie entgegen. „Aber … kann ich das wirklich annehmen?“, fragte sie.

„Natürlich“, meinte Link.

Die rundliche Frau verschränkte die Arme vor der Brust und sah beleidigt zur Seite. „Nun gehen Sie schon, Link! Sonst verpassen Sie Ihre Hoheit noch!“

Sofort machte er kehrt. „Danke sehr!“

Er nahm alles in die Hände und lief schneller denn je los.
 

Link wartete vor ihrem Zimmer. Sie sagte, sie würde alles anprobieren. Irgendwie sah sie glücklich aus, als sie es gesehen hatte. Es schien also, als würde es ihr sehr gut gefallen. Das freute ihn. Er war auch genug gelaufen, um wenigstens das zu verdienen.

Er lächelte. Sie sah bestimmt hübsch darin aus.

Die Tür wurde geöffnet und Shan stand darin. Das schwarze Kleid passend an ihrem Körper. Das entlockte Link ein Staunen. Er erwartete zwar, dass sie hübsch darin aussah, aber dieses Kleid war wohl für sie geschaffen. Und die Handschuhe bedeckten beinahe den ganzen Arm. Das Kleid bedeckte ihre Beine beinahe komplett. Unten konnte man noch die Spitzen der weißen Stiefel erkennen. Es schien zu passen. Shan sah umwerfend aus …

Aber dann sah er in ihr Gesicht. Sie trug wieder ihr Diadem. Dabei fiel ihm auf, dass auch die Rubinkette wieder um ihren Hals geschwungen war und der Ring ihren Finger zierte.

Sie strich sich durch ihre beiden Strähnen, die unbefestigt an ihren Schultern herunterhingen, während ihre langen hinteren Haare, schön nach oben gesteckt waren. Das Diadem half dabei, diese zu halten.

„Deinem Blick nach zu urteilen, sehe ich toll aus“, meinte sie tonlos, „Und deinem zweiten nach, glaube ich, dass dir mein Gesicht aufgefallen ist.“

Erst jetzt überkam ihn der Gedanke, dass es immer noch keine gesunde Hyrulanerfarbe hatte.

„Ja, du siehst wundervoll aus“, schmeichelte er ihr. Zu Letzterem sagte er besser nichts.

Sie machte kehrt und kramte in ihrer Tasche herum, um den Umhang herauszuholen.

„Aber … der …“, widersprach Link.

Sie zog ihn sich nicht an, sondern klemmte ihn unter ihren Arm.

„Du hast Glück, dass ich das Kleid mag“, entgegnete sie, „Deshalb darfst du jetzt mit mir zu dieser Schneiderei gehen und ihnen sagen, sie sollen mir eine Kapuze annähen.“

Er lächelte. „Denkst du nicht, dass das deine Tanzpartner abschrecken würde?“

„Mehr als diese Farbe?“, fragte sie trocken nach.

Er zuckte mit den Schultern. „In Marine haben wir auch viele seltsame Gestalten gesehen.“

Sie seufzte. „Hoffentlich kann ich im Schatten stehen bleiben“, murmelte sie.

Dann schritt sie – den Umhang noch immer dabei – an Link vorbei. „Für Notfälle“, erklärte sie, „Und jetzt kannst du meine Tasche holen. Ich habe nicht vor, dieses Zimmer noch einmal zu betreten.“

Er tat wie befohlen und nahm den Beutel mit etwas Essen mit.

Bei den Schwestern verabschiedeten sie sich und bedankten sich aufrichtig.

„Sie sehen aber immer noch etwas blass aus“, entgegnete die Schwester, mit der Link den besten Kontakt hatte.

„Das ist normal“, meinte Shan, „Die Sonne mag mich nicht.“

„Na gut … Aber wenn Sie Nachwirkungen spüren, kehren Sie unverzüglich zurück … Es ist nämlich schon fragwürdig genug, dass sie nach nur zwei Tagen wieder entlassen werden können.“

„Meine Abwehrkräfte sind stark“, beschwichtigte Shan sie, „Also denke ich nicht, dass wir uns wieder sehen werden. Link, bezahle bitte.“

„Nein, Sie brauchen nicht zu bezahlen“, meinte die Ärztin, „Der Wachmann, Claude, hat bereits alles auf sich genommen, da er ja die Schuld für Ihre Verletzungen hatte.“

Link legte den Kopf schief. „Wirklich?“

Die Ärztin nickte. „Ja. Und er sagte, er wolle keinen Versuch sehen, Geld zu bekommen, falls Sie das überhaupt vorhätten. Das lindert seine Gewissensbisse.“

Link lächelte. „Dann richten Sie ihm bitte unsere tiefste Dankbarkeit aus.“

Sie schenkte ihm ebenfalls ein Lächeln. „Sehr gerne. Auf wiedersehen und viel Glück.“

Link nickte.

Sie gingen zum Hauptplatz von Hyrule.

Den Ort, an dem alle Feste stattfanden.
 

Shan setzte sich an den Rand des Brunnens – direkt in die Mittagssonne. Sie schadete ihr überhaupt nicht mehr. Als … als hätte sie eine Rüstung angelegt, die sie beschützte.

Link stellte sich vor sie und bemerkte, dass es einer der wenigen Momente war, in dem er größer als sie war. Dies fand er belustigend, sagte aber nichts dazu.

Der Brunnen plätscherte fröhlich vor sich hin, während einige Kinder im Wasser spielten und deren Mütter lächelnd zusahen. Die Väter waren wohl dort draußen …

„Dieser Schlachtlärm ist wirklich nervig“, meinte Shan, „Sie hätte sich einen anderen Ort aussuchen sollen, wo er leiser ist. Die Kämpfe toben doch hinter dem Schloss, oder? Dann hört man es hier wohl am besten. In der Stadt.“

Link nickte. „Ja … Vielleicht möchte sie doch der Krieger gedenken?“

Shan gab einen belustigten Laut von sich. „Ach ja? Und dann wird sie alle Monster in Blumen verwandeln, ich bin mir sicher“, sagte sie spöttisch.

Er antwortete nicht, weil die Musikanten begannen, laut zu spielen. Link staunte, als sie es schafften, das Schwerterklirren und die Schreie zu übertönen. Man sah den Männern und Frauen allerdings an, dass es schwer für sie war. Link war sich nur nicht sicher, WAS daran auf sie zutraf. Den Lärm ihrer Retter zu übertönen oder so laut zu spielen, dass sie es übertönen konnten?

„Das klingt gut“, wandte Shan überrascht ein, „Es klingt richtig … fröhlich …“

„Was für Musik spielt man denn bei euch?“, wollte Link wissen. Er musste allerdings sehr laut sprechen, um sicher zu gehen, dass Shan es über die Musik hören konnte.

„Traurige“, antwortete sie ebenfalls laut.

Link nickte zum Zeichen, dass er es verstanden hatte.

Einige Leute standen auf und begannen zu tanzen.

Es war bemerkenswert, dass einige Männer zugegen waren. Da erkannte Link, dass die meisten irgendwo Narben oder Wunden hatte und mit Verbänden zugepflastert waren. Oder ihnen Teile ihres Körpers fehlten …

Ihm wurde klar, weshalb die Prinzessin die Feste seit dem Kampfbeginn öfter stattfinden ließ. Diejenigen, die nicht kämpfen konnten, sollten abgelenkt werden, um nicht zu verzweifeln. Das musste ihr Grund sein!

Die Leute begannen, herum zu schwingen und sich im Takt zu drehen. Viele trugen schöne Kleider. Männer Anzüge und Frauen ausladende Kleider. Entweder Arithmeta hatte einen guten Tag und allen ärmeren einen besonderen Rabatt zukommen lassen, oder es gab irgendwo einen Kleiderverkauf für arme Leute. Kaum einer dieser Menschen wirkte ansatzweise adelig und trotzdem trugen sie solch prächtige Gewänder.

Link lächelte. Jetzt trug er wohl das schäbigste von allen.

Shan erhob sich und hielt ihm die Hand hin. „Ich will auch …“, sagte sie leise genug, um schüchtern zu wirken, aber laut genug, dass er es hören konnte. Er nahm ihre Hand an und bemerkte dabei, dass ihre Wangen leicht rötlich waren.

Dies brachte ihn dazu, leise zu kichern.

Dafür fing er einen bösen Blick ein.

„Ich kann keine hyrulanischen Tänze“, warnte sie ihn dann.

„Ich auch nicht“; beruhigte er sie.

Sie gesellten sich zu den anderen Paaren und drehten sich ungeschickt herum.

Es machte Spaß. Link fühlte sich richtig gut dabei, mit ihr zu tanzen.

Sie drehten sich und lösten sich hin und wieder voneinander, um mit anderen dasselbe zu tun.

Die Zeit verging wie im Flug.

Link war wirklich überrascht, als alle stehen blieben, weil die Musik aufhörte zu spielen.

Er sah sich um und erkannte den Grund dafür.

Von den Treppen stieg eine Gestalt.

Die Sonne fiel direkt auf sie. Sie trug ein weißes Kleid, welches blendete und das Licht reflektierte. Es wirkte, als würde sie strahlen. Als wäre sie … ein Engel, der vom Himmel herabstieg.

Neben ihr ertönte das Klirren von Rüstungen. Zwei Wachmänner begleiteten sie.

An den Seiten der Treppen kam eine Gruppe von Wächtern zum Stand. Eine Frau neben ihm, die ein kleines Kind an der Hand hielt, flüsterte diesem zu, dass diese Männer die einzigen wären, die die Innenstadt noch behüteten. Die anderen kämpften draußen, wie der Vater des Kleinen. Oder standen verletzt herum.

Eine einzige Gruppe … Und die sollte zur rechten Zeit am rechten Ort sein?

Die Prinzessin kam zum Stehen und streckte eine Hand, die in einem schneeweißen Handschuh steckte, aus, um der Gruppe ein Fortgehen zu befehlen. Die Männer hasteten an den Treppen vorbei und verschwanden um die nächste Ecke, woraufhin die Prinzessin ihren Weg fortsetzte.

„Und wann kommen sie wieder?“, fragte der Junge.

„Das ist nicht so genau zu erahnen“, erklärte die Mutter leise, „Sie müssen eine Runde durch die komplette Stadt gehen, bevor sie einen Ort ein zweites Mal aufsuchen. Und du weißt ja, wie groß sie ist. Außerdem tragen sie noch Rüstungen …“

Die beiden Sprechenden, waren das einzige Geräusch, das Link im Vordergrund wahrnahm. Der Kampflärm war bereits in die Umgebung eingeflossen und Link daran gewohnt.

„Das sind aber wenige Kämpfer“, ertönte hinter ihm eine Stimme.

Er wandte sich überrumpelt um. Shan stand hinter ihm. „Und sie sollen eine ganze Stadt beschützen? Es ist wirklich nicht zu glauben, wie wenige Männer ihr habt.“

„Die anderen kämpfen draußen oder sind verletzt oder erschöpft.“

„Und deshalb tanzen sie hier?“, entgegnete Shan und sah ihn – eine Augenbraue nach oben gezogen – an.

Er blieb still und wandte sich wieder Ihrer Hoheit zu.

Sie hatte das Ende der Treppen erreicht und stand nun vor der ganzen Gruppe.

Link und Shan waren eher am Ende der Menge. Die Bevölkerung stand in einem Halbkreis um ihre Prinzessin.

Diese stand auf der dritten Stufe, um von mehreren gesehen zu werden. Sie hob die Hände in die Höhe. „Mein Volk!“, begann sie, „Ich finde es wieder wundervoll von euch, mir heute beizuwohnen! Es erfüllt mich bei jedem Mal mit noch mehr Freude, zu sehen, dass es euch gut genug geht, hierher zu kommen und bei ein wenig Musik eure tänzerischen Künste unter Beweis zu stellen. Es … ist wirklich ein wünschenswertes Geschenk für mich … euch alle hier zu sehen. So glücklich … war ich schon seit drei Tagen nicht mehr.“ Sie lächelte ihnen allen zu.

Ihr hellbraunes Haar, das hinten – ähnlich wie bei Shan – zusammengesteckt war, funkelte dank des Lichtes. Ihre Krone, die ebenfalls ein Diadem war, glänzte golden im Sonnenlicht. Ihre grünen Augen hingen gebannt am Publikum.

Sie sprach weiterhin ihre Dankesrede.

Link wandte sich ab und schaute Shan an, welche ihn ebenfalls ansah.

„Wie soll ich vorgehen?“, fragte er sie im Flüsterton.

„Warte nicht, bis sie zum Tanz aufgefordert hat. Sonst müsstest du sie anschreien. Und das mögen Herrscher prinzipiell nicht. Also musst du sie als erster zum Tanzen auffordern und das noch, bevor die Musik zu laut ist. Viel Spaß.“

Sie wandte sich von ihm ab, drehte sich dann aber noch einmal um und deutete auf sein Schwert. „Sehr einschüchternd.“

Er lächelte verlegen und schnallte die Scheide ab. Er reichte sie ihr. „Ich hoffe, du passt gut darauf auf.“

„Selbstverständlich“, sagte sie. Dann ging sie zum Brunnenrand und verstaute es unter ihrem Umhang und neben der Tasche. Sie setzte sich hin. Dann wank sie ihm zu und lächelte ihn an. Es hieß wohl so etwas wie „Viel Glück“.

Sich bei jedem entschuldigend, drängelte er sich durch die Reihen, um dann in der ersten ohne Behinderungen auf die Prinzessin sehen zu können.

Und er erstarrte.

Sie war eine junge, hübsche Frau, etwas jünger als er selbst. In einem gleißend weißen Kleid gekleidet, stand sie engelsgleich vor ihm. Sie verdrängte alles in den Hintergrund und sein Blick blieb auf ihr haften. Er konnte nicht von ihr loslassen.

Er wollte sie berühren … diesen Engel …

Er ging einen Schritt vor, weshalb sie ihn ansah. Sie lächelte ihm freundlich zu.

Dieses Lächeln …war wunderschön … freundlich … liebenswert …

Beinahe hätte er vergessen, was er tun sollte. Doch als sie „Nun lasst uns gemeinsam das Fest feiern und genießen!“, rief, erinnerte er sich schlagartig daran.

Er ging ehrerbietig auf sie zu.

Sie sah ihn an.

Er spürte Blicke im Rücken, ignorierte diese allerdings.

Er kniete sich vor die Prinzessin.

„Hoheit, darf ich Euch zum Tanz auffordern?“, fragte er, den Kopf gesenkt.

Sie schmunzelte, als er ihr danach ins Gesicht sah.

Ihre großen grünen Augen sahen bezaubernd aus und wirkten auch so auf ihn. Er fühlte sich von ihnen gefangen … Diese grünen Augen …

Ein Bild tauchte in seinem Kopf auf.

Ein blaues Kleid.

Hatte er nicht erst gestern an ein solches gedacht?

Er schaute auf die Prinzessin und stellte schockiert fest, dass sie ihm die Hand entgegenstreckte und mit einer zarten Stimme „Gerne“ sagte.

Schleunigst erhob er sich und nahm die Hand Ihrer Hoheit entgegen.

Sie ging galant die letzten Treppen hinunter und sie und Link näherten sich dem Publikum, weiterhin die Hand in die Höhe haltend.

Link drehte sich – am gefühlt i richtigen /i Ort – um und sah ihr tief in die Augen. Sie war kleiner als er. Shan hatte Recht. Hyrulanerinnen waren meistens klein.

Die Musik begann leise zu spielen. Vielleicht konnten sie es nicht mehr lauter … oder … vielleicht wollten sie die Herrscherin damit nicht aus dem Konzept bringen … Was auch immer … Es war egal.

Sie schwangen einige Runden herum, wobei ihr Kleid immer wieder seine ganze Größe entfaltete. Es wirkte wie eine weiße, friedliche Wolke, die ihn mitnehmen wollte …

„Darf ich deinen Namen erfahren?“, bat ihn die Prinzessin leise.

„Link“, antwortete er automatisch, „Link aus Ordon …“

Ordon … ein Ort, den er schon lange nicht mehr besucht hatte … Dort musste er wieder hin … Ordon …

Vor ihm tauchte das Bild des kleinen Dorfes auf. Die Häuser, wie sie einfach in irgendeiner Reihenfolge aufgebaut waren. Die Ziegen, die er gehütet hatte … und ein Friedhof, in dem seine Eltern begraben lagen.

„Ordon?“, fragte sie überrascht nach, „Dann bist du wohl weit gereist, hierher zu kommen“, stellte sie fest. Scheinbar sagte ihr sein Name nichts. Na ja, sie war die Prinzessin …

„Ich war auf der Durchreise“, erklärte er ihr, „Wisst Ihr, Hoheit …“

„Sprich“, erlaubte sie ihm und starrte ihn an.

„Schlimmes geschieht auf dieser Welt. Und wir brauchen dringend Eure Unterstützung.“

„Ordon?“, fragte sie verwundert nach, „Wir liefern euch doch ständig Lebensmittel und dergleichen.“

Er schüttelte langsam den Kopf. „Nein, die Welt braucht Eure Hilfe, Hoheit. Ganondorf kehrt zurück. Er wird von den Toten erweckt und eine Wahrsagerin sagte uns, ein Schwan könnte uns helfen. Doch wir finden weder den Schwan, noch Ganondorfs Ort der Erweckung. Wir …“

Ihr schallendes Lachen unterbrach ihn. „Oh, du beliebst zu scherzen, mein Junge“, tat sie seine Worte ab.

„Hoheit … Ihr …“

„Nein, Link aus Ordon, ich verstehe sehr wohl. Du willst, dass ich Männer abziehe, um Ordon zu beschützen“, sagte sie, „Das würde ich gerne tun. Aber vielleicht hast du bemerkt, dass wir selbst unterbesetzt sind, weshalb das nicht geht. Höchstens Männer von Ordon könnten uns unterstützen.“

Er ließ sie los. „Nein, so ist es nicht!“, widersprach er ihr.

Sie sah ihn missbilligend an.

„Es tut mir Leid, Eure Hoheit“, entschuldigte er sich hastig, „Aber ich spreche die Wahrheit! Die reine Wahrheit! Die Welt könnte dem Untergang geweiht sein, wenn Ihr nicht handelt! Ganondorf kehrt zurück!“

Ein Staunen und Raunen ging durch die Reihen der Zuschauer.

Link hatte gar nicht bemerkt, dass die Musik verstummt war. Alle konnten seinen letzten Satz hören.

Die Prinzessin zeigte auf die beiden in volle Rüstung gelegten Wachen, die noch an der Treppe standen. „Ich habe Wachmänner. Hör auf, mein armes Volk in solche Panik zu versetzen! Sie verdienen das nicht! Schweig still, oder ich werde dich gefangen nehmen!“, drohte sie.

Er schwieg und sah zu Boden.

Plötzlich fühlte er, dass eine Hand seine berührte.

Er sah zurück und sah, dass Shan etwas hinter ihm stand.

„Lauf schnell weg …“, flüsterte sie ihm zu.

Sie schaute feindselig zur Prinzessin.

Diese starrte wiederum Shan an – allerdings fragend.

„Prinzessin Ilya, sollen wir ihn gefangen nehmen?“, wollte einer der Männer wissen und richtete das Schwert auf Link.
 

block Ich hatte immer schon wenige Freunde.

Ja, gar keine.

Bis auf eine.

Eine war immer meine Freundin.

Und sie würde es auch immer sein.

Egal, was ich tat. Sie verzieh mir alles. /block

Beschluss

Hass … aus Zuneigung

Neid … aus Bewunderung.

Das trifft es wohl.
 


 

Links Blick wechselte zur Prinzessin. Überrascht. Verwundert.

„Prinzessin … Ilya?“, wiederholte er leise.

Sie sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „Das brauchst du nicht zu erwähnen. Jeder hier ist sich darüber im Klaren“, meinte sie herrisch.

Dann wandte sie sich dem Wachmann zu.

„Ilya!“, rief er – einem Impuls folgend legte er seine Hand an ihre, „Ich bin es, Ilya. Ich!“

Was sagte er denn da? Wer war das?

Sein Kopf begann zu pulsieren.

Er ließ sie los und wich zurück.

Die Prinzessin besah sich ihrer Hand und dann Link.

Er bemerkte einen Ruck. Shan zog ihn weiter weg.

„Komm, Link“, flüsterte sie, „Sofort!“

Metallische Geräusche erklangen. Der Boden bebte leicht.

Link folgte dem Klirren – und erkannte schockiert, dass die Wachmänner, die vor weniger Zeit hier waren, erneut an der Treppe standen und ihre Herrin ansahen.

Diese schaute – ebenfalls überrascht – zu ihnen. Dann widmete sie sich wieder Link.

Sie schenkte ihm ein überlegenes Lächeln.

„Egal, wer du bist“, meinte sie höflich, „Du darfst die Prinzessin nicht berühren, wenn sie es dir nicht ausdrücklich befiehlt. Gesetz Nummer drei.“

„Sollen wir ihn in den Kerker werfen?“, informierte sich der Mann, der das Schwert immer noch Richtung Link hielt.

Link achtete nicht wirklich auf die Umgebung. Irgendetwas in seinem Kopf regte sich. Er konnte nicht erkennen, was es war. In seinem Gedächtnis fand er etwas, das er wahrnahm, aber nicht sehen konnte. Er konnte nicht daran denken …

Erneut sah er der Prinzessin, die wohl ein wenig verstört war, weil er schwieg, in die Augen. Diese grünen Augen, die glänzten wie ein Smaragd, die derzeit wütend waren … Wütend …

War er etwa zu grob mit ihr umgesprungen?

„Pah!“, stieß er aus.

Sein Kopf schmerzte.

Er wich zurück. Shan ließ ihn an sich vorbei.

„Wer bist du eigentlich?“, hörte er die Stimme der Prinzessin.

„Ich bin nur sein Geleitschutz. Und ich habe wohl versagt. Heute ist er nicht ganz … zurechnungsfähig!“, erklang Shans Stimme.

Er drehte ihnen den Rücken zu und kämpfte sich durch die Menschenmenge. Er fühlte sich ohnmächtig. Doch er war es nicht. Sein Bewusstsein war durcheinander. Sehr durcheinander. Er konnte sich einfach nicht erinnern! Er konnte sich nicht einmal ausmalen, an was er sich nicht erinnerte. Es war zum Durchdrehen.

„Wenn er noch einmal unter meine Augen tritt, so will er den Kerker von innen betrachten. Wird er mich noch einmal berühren, so wird er die Schwerter meiner Männer dort spüren, wo er sie nicht spüren möchte“, erklärte die Prinzessin laut. Sie schien zu wollen, dass auch das Volk es hört, „Liebes Volk! Aufgrund dieses Irren kann ich mich heute leider nicht freuen und auch nicht bei euch entspannen! Verzeiht mir! Ich will dieses heutige Fest morgen fortsetzen! Dieser Verrückte wird unser Beisammensein dann nicht mehr stören. Es tut mir wirklich schrecklich Leid!“

Er spürte Shans Hand an seinem Rücken. Sie schob ihn vorwärts. Er beeilte sich.

„Wir sollten lieber aus der Stadt hinaus“, bedachte Shan, „Für heute zumindest. Suchen wir den Schwan und Ganondorf alleine. Das wird einfacher, als diese Frau zu überreden.“ Sie sprach leise, sodass nur Link sie hörte, „Das war dann wohl ein ziemlicher Fehlschlag.“

Er lauschte ihr nur halbherzig. Seine Gedanken mussten sich erst sammeln. Er war wirklich verwirrt. Link konnte sich kaum konzentrieren. Immer wieder wich sein Geist zu dieser Erinnerung, die er nicht aufzurufen vermochte. Sie musste eine wichtige sein.

Doch welche?

Was fehlte ihm?

Was geschah hier?
 

„Link!“, rief sie, „Link!“

Er hörte sie nicht.

Was war mit ihm los?

Seine Begleiterin, die das Kleid trug, das sie eigenhändig genäht hatte, sah zu ihr und warf ihr einen fragenden und skeptischen Blick zu.

„Ich bin eine Bekannte von ihm! Kommt mit …“, lud sie sie ein.

Die Frau seufzte und kam zu ihr hinüber. Sie schob Link vor sich hin.

Er wirkte irgendwie verstört und abwesend.

„Ist alles … in Ordnung mit ihm?“, fragte Miralle.

Die große, riesige Frau mit dem feuerfarbenen Haar zuckte unwissend mit der Schulter. „Er ist auf jeden Fall … nicht so wie sonst.“

Miralle nickte. „Das sehe ich.“

Dann wandte sie sich ab. „Kommt, wir haben einen Platz für euch, bis es Link besser geht.“

„Danke sehr“, meinte die Frau und lächelte, als Miralle ihr kurz einen Blick schenkte.

Sie ging mit ihnen zur Schneiderei, wo sie beim Mitarbeiterinneneingang eintrat.

„Oh, du bist schon wieder da?“, wunderte sich Arithmeta, ihre Chefin. Dann machte sie ein überraschtes Gesicht, als sie Link erblickte.

„Was hat er?“, fragte die rundliche Frau und ging zu ihm hinüber. Sie berührte ihn an der Stirn. „Fieber ist es nicht …“, murmelte sie.

„Er ist so geworden, als die Prinzessin angefangen hat, ihm mit dem Kerker zu drohen“, erklärte Miralle und lenkte Link zu einem Sofa, wo sie ihn dann auch zum Hinsetzen brachte. Seine Begleiterin blieb an der Tür stehen.

„Wer sind Sie eigentlich?“, fragte Arithmeta dann seinen „Geleitschutz“.

„Ich bin Shan“, antwortete diese dann, „Und ich sollte noch etwas erledigen. Also entschuldigen Sie mich bitte. Kann ich Link Ihrer Obhut überlassen?“

Die Meisterschneiderin nickte energisch. „Selbstverständlich.“

Shan lächelte. „Danke sehr.“ Und mit diesen Worten ging sie wieder.

Mydia steckte ihren Kopf in die Tür. „Ist etwas passiert?“

Miralle zeigte auf Link. „Er ist … nicht ganz da.“

Mydia ging zu ihm und kniete vor ihm hin. Dann sah sie ihn an. Ihr Blick wanderte dann zu ihrer Vorgesetzten. „Kann ich einen Eimer mit Wasser haben?“, fragte sie.

Arithmeta eilte los, ihn zu holen, ohne eine Frage zu stellen.

Miralle ging neben Mydia in die Hocke und starrte ebenfalls Link an.

„Weißt du, was er hat?“

„Ich vermute etwas …“, erklärte sie zögernd, „Irgendwie … erinnert er mich an mich selbst.“

Miralle dachte kurz daran zurück. Vor ein paar Wochen war Arithmeta ohne Vorwarnung mit der jungen Frau hereingeplatzt. Sie sagte angestrengt, sie hätte ihre Erinnerung verloren. Sie hatten sie auf einen Stuhl gesetzt und ihr Zeit gelassen, nachzudenken. Aber es war nichts gekommen. Bis heute noch nicht.

Sie seufzte. „Hat Link etwa auch …?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht … Es sei denn, die Prinzessin hätte ihn verhext …“

„Ich denke nicht, dass sie so etwas kann“, entgegnete Miralle und griff auf Link Kopf, um ihm die Mütze abzunehmen, „Ah, ich denke, Shan holt sein Schwert. Das hatte er sonst immer dabei, wenn er gekommen war.“

„Schwert? … Ach ja … Das letzte Mal auch …“, flüsterte Mydia, „Ist er ein Krieger?“

Miralle lächelte. „Stimmt, du kannst dich ja nicht erinnern … Er ist ein Held. Er hat ganz Hyrule vor Ganondorf gerettet. Vor fünf Jahren.“ Ihr Lächeln verblasste. „Heute hat er gesagt, Ganondorf würde zurückkehren …“

„Warst du beim Fest?“, fragte Mydia sie dann und stand auf, um die Mütze, die sie von Miralle entgegen nahm, auf einen Stuhl zu hängen.

Sie nickte. „Ja. Ich wollte sehen, was Link dort zu sagen hat. Und wie Shan mein Kleid steht.“

Mydia lächelte nur, antwortete aber nicht.

„Für was brauchst du das Wasser?“, fragte Miralle.

„Ich werde es über Link schütten“, erklärte sie.

Dafür erntete sie einen seltsamen Blick seitens Miralle. „Ach ja …?“

„Dadurch kommt man zu sich. Das ist meine erste Erinnerung …“, erklärte Mydia. Sie schaute Gedanken versunken drein. „Ich war zwar wach, aber noch nicht ganz da. Plötzlich war mir eiskalt. Als ich dadurch vollkommen zu mir kam, war ich durchnässt und eine Frau mit einem Eimer stand vor mir und sagte, ich solle verschwinden.“

Mydia kam wieder zu ihr und setzte sich neben Link. „Darum glaube ich, dass wir ihn durch so etwas wieder herbekommen.“

Sie lächelte. „Hoffentlich.“

Als wäre dies ihr Stichwort, kam Arithmeta mit einem Eimer durch die Tür. Hinter ihr war Shan, die ebenfalls einen trug. Beide stellten sie vor Mydia ab.

„Was willst du damit tun?“, fragte ihre Chefin dann.

Mydia nahm den ersten Kübel, der voll mit Wasser gefüllt war, weshalb er ziemlich schwer aussah, und schüttete ihn über Link.

Das Wasser plätscherte über den Mann, dann auf das Sofa und letztendlich auf den Boden. Es spritzte alle Umstehenden an, aber landete auf der Wand.

„Mydia …!“, rief Arithmeta entrüstet.

Doch sie war still, als Link sich dadurch schüttelte und die Arme verschränkte.

„Kalt …“, murmelte er.

„Link!“, riefen Shan, Miralle und Arithmeta gemeinsam.

Er sah auf. „Wo… sind wir …?“, fragte er.

„Im Arbeiterzimmer meiner Schneiderei“, erklärte die Besitzerin stolz, „Schön, dass Sie wieder wach sind.“

Er hielt sich dann den Kopf und begann, ihn leicht zu schütteln. „Es ist seltsam.“

Shan beugte sich zu Link. „Hör auf, darüber nachzudenken“, fuhr sie ihn an, „Lass es einfach sein. Denk meinetwegen an … an … Midna. Stelle sie dir vor, wie sie auf ihrem Thron sitzt und Trübsal bläst, weil ihr langweilig ist. Deshalb schuppst sie einige Untergebene umher, sodass sie wenigstens etwas zu tun hat. Stell es dir ganz lange vor. Was Midna sagt, wie sie es macht …“

Shan sah zu Mydia und gab ein Zeichen, dass sie den zweiten Eimer auch noch benutzen sollte.

Sie wich zurück, während die Schneiderin dem Befehl wortlos folgte.

„Lasst es endlich! Ich bin wach!“, rief Link aus, als sich der zweite Schwall über ihn ergoss.

Miralle schritt zur Tat und holte eine Decke, die sie Link gab, sodass er sich aufwärmen konnte.

„Ich hole Ihnen ein neues Gewand“, bot sich Arithmeta an und ging los.

„Und, weißt du, was Midna gesagt hat?“, fragte Shan ihn.

„Dass er brav sein soll und tun, was sie sagt … Dafür bekommt er früher Schluss …“, murmelte Link.

Shan nickte. „Gut. Dann denk weiter an sie.“ Sie lächelte Link freundlich an und tätschelte ihm danach den nassen Kopf. „Und vergiss ja nicht, dass Midna das Einzige ist, woran du jetzt denken sollst. Midna in ihrem Palast. Den kennst du ja.“

„Wer ist Midna?“, ertönte Mydias Frage.

Miralle antwortete mit Schweigen. Sie hatte keine Ahnung.

Mydia wartete nicht lange. Sie trug die beiden Eimer wieder nach draußen. Sie wirkte nachdenklicher als sonst.

„Es geht nicht …“, hörte sie Links Antwort, „Ich kann nicht an Midna denken …“

„Ach komm schon. So schwer ist das nicht. Lass sie einfach irgendetwas Überlegenes sagen und du hast sie. Dann soll sie noch einen Zauber abfeuern und meinetwegen gegen … Zanto kämpfen.“

Er schüttelte den Kopf. „Nicht ihr Verhalten … Sie … Ich weiß nicht, ob ich an sie denke …“

Shan lachte. „Wirklich, das ist einfach. Stelle dir einfach mich mit spitzer Zunge vor.“

„Das ist das Problem“, murmelte er. Er lächelte betrübt.

Miralle wusste nicht, ob sie hier fehl am Platz war. Und ob sie dieses Gespräch mithören sollte. Und ob sie wirklich wissen wollte, über was sie hier sprachen. Zanto … Das war der Name desjenigen, der Ganondorf geholfen hatte.

„Ach ja? Schau mich einfach an und du hast es.“

„Dann sehe ich doch dich. Und nicht Midna.“

„Wir sehen uns … ziemlich ähnlich“, sagte sie, „Wir sehen haargenau gleich aus.“

„Das macht mir Ärger … Ich will, wenn ich an Midna denke, an sie denken. Nicht an dich.“

„Heißt das, du hast vergessen … wie Midna aussieht, weil du mich kennst und deshalb nicht einsehen möchtest, dass du dadurch auch an sie denkst?“, Shan klang verwirrt.

Miralle blieb an ihrem Platz stehen und tat so, als würde sie die Wand betrachten.

„Nein … ich habe schon vor Jahren vergessen, wie Midna aussieht … Und als ich dich gesehen habe, wusste ich, dass ich das Gesicht kenne, aber nicht, ob es wirklich Midnas war …“

„Das ist mir zu hoch. Tu einfach so, als würdest du Midna sehen und denke nicht darüber nach …“

„Weißt du, weshalb ich am Friedhof war, als wir uns zum ersten Mal getroffen haben?“

Sie schwieg.

„Ich weiß es nämlich auch nicht mehr. Ich stand vor dem Grab meiner Eltern. Aber wegen ihnen bin ich bestimmt nicht gekommen … Es muss etwas anderes gegeben haben, weshalb ich dort war …“

„Dazu kann ich nichts sagen. Ich wollte ja nur, dass du Hyrule verlässt.“

Die beiden schienen sie nicht zu bemerken.

Sollte sie also doch lieber gehen?

„Ich habe Kopfschmerzen … weil in mir irgendetwas ist, das hinaus will … Es wird irgendwie in meinem Gedächtnis festgehalten und kommt nicht heraus. Ich fühle, dass es anwesend ist, aber weiß nicht, was es ist. Ich glaube, es hat etwas mit der Prinzessin zu tun.“

„Link …“, sagte Shan mitleidvoll.

„Du hast mir gesagt, ich soll weglaufen, bevor etwas passiert ist. Bevor das alles angefangen hat … Sogar noch bevor die Wachen ihre Waffen gegen mich richteten …“

„Ja. Weißt du, die Prinzessin hat besondere Fähigkeiten, gegen die du nicht ankommst, wenn du ihr Gegner bist. Und du wurdest durch dein Verhalten zu einem solchen.“

Er sah sie an.

„Was meinst du?“

Mydia kam durch die Tür zurück, wodurch Shan und Link aufsahen. Just im selben Moment trat auch Arithmeta ein.

„Link, ich habe neue Kleidung für Sie! Kostenlos!“
 

Alle außer ihm hatten den Raum verlassen. Er zog seine nasse Kleidung aus und trocknete sich mit einem Tuch, das er erhalten hatte, ab.

Danach zog er sich wieder an.

Seit seiner „kalten Dusche“ waren seine Gedanken viel klarer geworden. Auch Shans Therapie hatte ein wenig geholfen und Ablenkung verschafft. Er durfte nur nicht zu sehr auf die eingeschlossene Erinnerung reagieren, dann war alles in Ordnung.

Sie pochte in seinem Hinterkopf und wollte nach draußen, aber Link hielt sie davon ab, zu ihm durchzudringen, indem er im rechten Moment Erinnerungen an sein Abenteuer aussandte, um sie abzublocken.

Er fühlte, dass es der falsche Weg war. Aber er wusste, dass er aus Hyrule hinaus musste, um seine Ziele zu erreichen. Ganondorf hatte drei Tage Aufschub bekommen. Drei sinnlose Tage hatten sie verschwendet, weil er unbedingt meinte, zur Prinzessin zu müssen.

Diese warf sowieso viele Fragen auf.

Sobald sie die Schneiderei verlassen hatten, würde Link Shan um die noch fehlende Erklärung bitten.

„Link, passt sie?“, ertönte Arithmetas besorgte Stimme.

Er knöpfte das grüne Hemd zu und stellte erleichtert fest, dass es genau seine Größe hatte.

Und farblich zu seiner – trockenen – Kappe passte.

Er setzte sie wieder auf.

Dann schaute er zur Tür, wo auch sein Schwert lagerte. Er schnallte es sich wieder um. Und er fühlte sich dadurch erneut beschützt.

„Ja, sie passt perfekt!“, rief er. Danach ging er zur Tür und öffnete diese.

Mydia und Miralle arbeiteten bereits wieder.

„Und, alles klar zur Abreise?“, fragte Shan, die auf einem Stuhl saß und ein Brot aß.

„Wollen Sie auch eines?“, fragte Arithmeta und bot Link ein Weizenbrot an.

Er nahm es dankend an und aß es.

„Shan, wir müssen uns noch bei Feconi verabschieden und ihr danken …“

„Link, Miralle hat mir erzählt, was sich am Fest zugetragen hat“, erklärte Arithmeta, „Bitte verlasst sofort die Stadt. Die Wachen können manchmal sehr heimtückisch sein und Euch in eine Falle locken. Sie würden Euch vor die Prinzessin tragen, sodass ihr Wort in Kraft tritt. Also … werden wir uns um Feconi sorgen. Sie kommt sowieso manchmal hierher. Und sonst können wir morgen sofort zu ihr …“

„Danke, das wäre sehr freundlich … Ich schulde euch meinen Dank …“

Sie schüttelte den Kopf. „Die einzige Belohnung, die wir wollen, ist, dass Ihr Ganondorf für immer aus dem Verkehr zieht.“

Er nickte. „Ich tue mein Bestes.“

„Danke sehr“, meinte die ältere Frau und lächelte, „Na dann … Es ist Abend. Ihr könnt euch hinaus schleichen.“

Link und Shan nahmen ihre Sachen und gingen. „Lebt wohl!“, rief er, als er den Laden verließ.

Metallisches Klirren ertönte und einige Soldaten bogen um die Ecke.

Shan zog Link schnell hinter einen Stein, der im Garten eines Adelshauses lag, um ihn zu verstecken.

„Link“, sagte sie und nahm seine Hand. Sie steckte ihm ihren kostbaren Ring an den Finger. „Ich werde Epona holen“, bot Shan sich an, „Warte vor dem Tor.“

„Aber- …“, wollte er widersprechen.

Und plötzlich befand er sich vor dem Südtür, durch das sie gekommen waren.
 

Shan kauerte weiterhin hinter dem Stein, bis die Soldaten fort waren. Es konnte schließlich sein, dass sie mit Link in Verbindung gebracht wurde. Es passte ihr zwar nicht, ihren Ring wegzugeben, doch es musste sein. Für Links Sicherheit.

Sie ging hinter dem Stein hervor und hastete mit kleinen Schritten zum nächsten Haus. Dort blieb sie stehen und lugte um eine Ecke. Sie wusste, wo sich das Krankenhaus befand und dass Epona in den Ställen, die dahinter waren, stand.

„Halt, wer ist da?“, fragte plötzlich jemand. Sie drehte sich ertappt um.

Einer der Soldaten, der in die andere Richtung als der Rest gegangen war, stand hinter ihr.

„Du … du bist doch“, meinte dieser dann und entledigte sich seines Helmes.

Es war der Soldat, der ihr den Pfeil aus dem Körper gezogen hatte.

„Ja, ich bin es“, meinte sie herrisch, „Bring mich sicher zu Links Pferd.“

Der Mann sah sich um. „Ich bin leider im Dienst. Wir müssen sehen, ob Link da ist … Ist er noch in der Stadt?“

„Warum sollte ich es jemanden sagen, der gegen ihn arbeitet?“

„Ich würde ihn herausbringen“, bot er sich an, „Dafür, dass er sich um Ganondorf kümmert. Die anderen Soldaten glauben, er wäre verrückt geworden, weil er so einen Unsinn erzählt. Aber ich glaube ihm.“

Sie nickte. „Das tust du zu recht, Soldat.“

„Claude.“

„Na gut. Claude. Mein Befehl steht noch.“ Sie zeigte auf ihren Bauch. „Weißt du noch?“

Er sah beschämt weg. „Für Euch doch immer …“, murmelte er.

Er zeigte ihr den Weg. An allen Kompanien – Shan glaubte, dass sich die Zahl der eingesetzten Männer verdreifacht hatte -, die sie sahen, schmuggelte er sie vorsichtig vorbei.

Keiner nahm Notiz von ihr.

Dass sie sich den Ställen näherten, roch Shan schon bei Weitem.

Sie fächerte sich frische Luft zu. „Wer hält das aus …?“, nörgelte sie leise.

Der Soldat lachte. „Daran gewöhnt man sich. Kommt Ihr alleine zu den Toren, oder soll ich Euch ebenfalls dorthin begleiten?“

Sie dachte kurz über das Angebot nach. Dann nickte sie. „Ja, begleite mich.“

Er machte einen enttäuschten Gesichtsausdruck. Scheinbar hatte er mit einer anderen Antwort gerechnet.

Aber dann nickte er und ging in den Stall.

Shan entdeckte Links Pferd sofort. Es stand etwas abgesondert von den anderen Pferden dort und fraß.

Claude ging zu Epona und nahm sie mit. Erst streikte sie, doch dann schien sie ihn zu erkennen.

Er nahm einen Apfel und belohnte das Tier damit.

„Bitte, reite du“, bot Shan ihm an.

Nie wieder würde sie alleine auf einem Pferd reiten.

Zumindest, wenn es sich vermeiden ließ.

Er lächelte und stieg auf, ohne nachzufragen, ob sie sich dessen sicher war.

Das gefiel Shan.

Er ging im Schritt los, Shan wanderte neben ihm her.

Auch das Tor erreichten sie ohne Komplikationen.

„Seid Ihr wieder völlig genesen?“, informierte sich Claude, nachdem er den Befehl zum Öffnen des Tores gab.

„Ja, völlig. Danke sehr.“

Als es offen war, nahm Shan die Zügel in die Hand und Claude stieg ab.

„Dann trennen sich hier unsere Wege?“, informierte er sich.

„Vermutlich“, antwortete sie sicher und ging los, „Leb wohl, Claude.“

„Lebt wohl, meine Dame.“

„Shan.“

„Lebt wohl, Shan …“

Sie schritt davon. Sie wusste genau, wo Link gelandet war. Schließlich hatte sie dem Ring den Befehl zugespielt. Er hatte sie allerdings nicht mittransportiert, weil er nur stark genug für eine lebendige Person war.

Sie drehte sich kurz um und bemerkte, dass Claude noch immer im Tor stand und ihr nachsah.

Epona schritt brav hinter ihr her. Sie hielt nur die Zügel.

Zum Glück war das Pferd gut genug trainiert.

An der Stelle, an der sie ihn erwartete, saß Link im Gras. Er schaute sie an, als sie kam.

„Shan! Epona!“, rief er erfreut aus und rannte zu seinem Pferd, welches wieherte, als es ihn erblickte. Er streichelte es.

Einige Minuten des Schweigens vergingen, bevor Link das Wort ergriff: „Shan. Ich habe eine Entscheidung getroffen, während ich hier war.“

„Und die wäre?“, fragte sie mit einem spitzbübischen Grinsen.

„Wir werden nach Ordon gehen. Ich muss … dort etwas nachprüfen“, erklärte er.

„Der Grund, weshalb du am Grab standest?“, mutmaßte sie.

„Unter anderem.“

„Ich schlage dir vor, die Erinnerung zu vergessen“, meinte sie, „Das bereitet weniger Kopfschmerzen. Und bisher hast du auch ohne sie überlebt.“

„Ich glaube, sie ist der Schlüssel zu irgendetwas“, erklärte er, „Ich werde es herausfinden.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Tu dir keinen Zwang an, solange du Ganondorf nicht vergisst …“

Er schüttelte den Kopf. Dann fragte er: „Was wolltest du mir eigentlich erzählen? Wegen der Prinzessin?“

Ach ja. Sie war ja unterbrochen worden.

Sie seufzte. „Das mache ich lieber irgendwo, wo wir ungestört sind. Wie wäre es denn mit Ordon? In deinem Haus sind wir bestimmt alleine, sodass es niemand mit anhört. Hier draußen … Gräser haben Ohren.“

„Gräser …?“, wiederholte er.

„Auf nach Ordon“, meinte sie enthusiastisch.

Link stieg auf Eponas Rücken und Shan hinter ihn.

„Na dann los“, murmelte er.
 


 

Es gab etwas, das mich noch mehr schmerzte,

als mein vorheriges Leben.

Ihn unglücklich zu sehen.

Ungebeten

Sie schmiedeten immer mehr Pläne.

Pläne für die Deckung.

Pläne für Hinterhalte.

Pläne, falls etwas schief ging.

Pläne, falls der Plan nicht funktionierte.
 

Mitternacht war schon längst vorbei …

Shan saß hinter ihm am Pferd. Er ritt zielstrebig Richtung Ordon. Über Hyrule-Feld.

Das grüne Gras wehte sanft im Wind, kaum eine Blume blühte und man konnte große Abdrückte von Kreaturen erkennen, die keine Menschen waren – und das tat man vor allem, wenn Epona in so eine Vertiefung trat.

Die Sterne bedeckten den Himmel. Doch irgendwie erschien die Nacht dunkler als sonst. Anders … böse …

Es war nicht so dunkel wie in der Welt, in der Shan und Midna lebten. Aber es war bereits so dunkel, dass es schon fast auffällig war.

Dunkel, wie das, an das er sich nicht zu erinnern vermochte.

Bei der Erinnerung an jene Erinnerung, traten die Kopfschmerzen wieder ein. Er musste sich ablenken. Womit?

„Shan?“, wollte er ihre Aufmerksamkeit erhaschen.

„Hm?“, antwortete sie ihm überrascht.

„Was haben du und Midna getan, seit … wir uns getrennt haben?“

Sie schwieg für einen Moment. Dann sagte sie: „Midna hat eine richtige Krönung empfangen. Natürlich hat sie nach dieser spektakulären Rettung und dem Sieg gegenüber dem einzigen anderen Thronanwärter und Ganondorf jeder als Herrscher akzeptiert, aber so ist es eben Tradition. Sie hat das Zepter erhalten und sitzt seither auf ihrem Thron fest.“

„Hat sie schon etwas geändert?“

„Die Diener haben mehr zu tun“, gestand Shan, „Und irgendwie ist es jetzt viel fröhlicher. Der alte König … er war sehr lange krank. So etwas stimmt das Volk traurig. Am Ende war er kaum mehr fähig, sich zu bewegen … Aber dafür hatte er reichlich Zeit, sich einen neuen Thronfolger zu suchen.“

„Zanto und Midna waren die einzigen, oder?“, unterbrach er sie, „Thronanwärter, meine ich.“

„Ja. Und Zanto hat fest mit seinem Sieg gerechnet. Er war nämlich selbstbewusster, als er es hätte sein sollen. Aber jedem war klar, dass er nicht gewinnen konnte. Schließlich war Midna seine Gegnerin.“

„Warum … Zanto?“, fragte sich Link, „Er war doch … ungeeignet, ein Volk zu lenken.“

„Link, wusstest du, dass unser König der stärkste Kämpfer ist? Er hat die mächtigste Magie und kann sie auch noch am besten lenken. Darum ist es meistens sehr einfach, einen guten König zu finden. Bei uns ist es nicht wie bei euch, bei denen der Thron vererbt wird. Jeder muss für seinen Platz kämpfen. Oder einfach nur gutes Erbgut haben. Wie man es nimmt.“

„Ah. Aber in dieser Generation waren zwei starke Magier.“

„Du hast es erfasst. Und somit musste es eine Volksabstimmung geben. Könige machen eigentlich immer Volkswahlen, um sich ihre Beliebtheit zu sichern, oder weil sie wissen, dass sie nicht verlieren. Hier wurde es aber zwingend, da die beiden gleich stark waren.“

„Und weil Zanto ungeeignet war, hat er verloren“, fasste Link zusammen.

„Erraten. Oder Midna war übergeeignet, wenn man so will. Alle sind froh, dass es Midna gibt.“

„Ich kann sie verstehen.“

Er spürte einen fragenden Blick von Shan in seinem Rücken, weshalb er zurück schaute. Ihre Augen sahen verwirrt drein, ihre Lippen umspielten allerdings ein schelmisches Lächeln, das sich im kargen Mondlicht abzeichnete.

„Wer wollte schon Zanto als König haben?“, fügte er hinzu, „Du etwa?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich denke, er wäre nicht ganz so schlecht, wie du denkst. Er hatte seine Vorzüge. Zanto war zielstrebig, selbstsicher, genau, konzentriert, stark … Nur nicht für Gruppenarbeiten geeignet.“

„Jemand muss ihn wohl verteidigen“, schloss Link aus ihrer Aussage.

Sie lächelte freundlich. „Wahrscheinlich. Man soll nicht schlecht von Toten sprechen. Das verdienen sie nicht. Auch er nicht.“

„Vielleicht würde man anders von ihm sprechen, wenn er netter gewesen wäre.“

„Man kann die Vergangenheit nicht ändern, Link“, erinnerte sie ihn scharf daran.

„Tut mir leid“, entschuldigte er sich schleunigst, „Aber … etwas lässt mich ihm nicht verzeihen. Er hat viele Fehler gemacht, die er vermeiden hätte müssen. Er hätte sich Ganondorf niemals anschließen dürfen.“

„Midna hat erwähnt, dass Zanto sogar ihr ein solches Angebot gemacht hat“, warf Shan ein, „Aber sie hat es nicht angenommen.“

„Ja, das ist so … Aber … Ich verstehe, dass nicht jeder so stark sein kann, der endgültigen Erfüllung seiner Träume und Wünsche standhalten zu können … Als Königsanwärter … sollte man dazu aber schon in der Lage sein, nicht wahr? Wenn er sich so leicht manipulieren lässt, macht es ihn noch ungeeigneter.“

„Ja. Aber er hat es als Weg gesehen, sich den Thron zurückzuerobern. Vergiss nicht, seine Niederlage stand bereits fest, als er diesen Weg eingeschlagen hat. Als er … die Abkürzung zu seinen Träumen genommen hat, anstatt den ganzen Berg zu erklimmen.“

„Aber wer danach stolz sein darf und wer nicht, ist in diesem Fall klar.“, konterte Link.

„Vielleicht ist es schon ein kleiner Erfolg, überhaupt eine Verkürzung des Weges gefunden zu haben?“, erwiderte Shan.

„Vielleicht“, gab Link ihr Recht, „Aber es ist dennoch nicht der richtige Weg.“

Sie schwieg.

Midna war also die Königin. Und sie sorgte für Fröhlichkeit und Glück. Und er durfte sie jetzt nicht mit der Königin von Hyrule vergleichen, ansonsten bekam er wieder diese elendigen Kopfschmerzen und es half trotzdem nichts.

Er sah sich um.

Noch alles wie vorher.

Finster.

Und sie waren wohl die Einzigen, die um diese Zeit noch am Weg waren.

Plötzlich bemerkte er etwas.

Es war nur ganz kurz, aber es hatte sich eindeutig bewegt, befand sich aber in einiger Entfernung.

Einem Impuls folgend, ritt er sofort darauf zu.

„Link … Ich bin ja nicht ortskundig, aber ich denke, das ist der falsche Weg.“

„Siehst du das?“, erwiderte er und zeigte nach vorne, „Es bewegt sich hin und wieder …“

VERSCHWINDET

„Hast du etwas gesagt?“, fragte Link.

„Nein, aber etwas gehört …“, murmelte sie, „Lass uns lieber umkehren. Das sieht … nicht sehr einladend aus.“

Er hörte nicht auf sie.

Als er näher kam, erkannte er eine Gestalt.

Sie war weiß wie der Schnee in den Schneebergen. Sowohl gekleidet in einem schimmernden Weiß, als auch Haar und Haut glänzend vor Helligkeit. Das Mondlicht verstärkte dieses Leuchten, aber er war sich sicher, dass nur ein kleiner Teil dem Licht des Mondes zuzuschreiben war. Die Gestalt i leuchtete /i.

Kurz vor ihr hielt er an.

Sie sah sie an.

In ihren Augen las man Müdigkeit und Erschöpfung, doch ihr Gesicht war eine reine Maske des Zorns und der Wut.

Sie begab sich in Kampfstellung.

HAUT AB , ertönte die Stimme erneut.

Sie verschreckte sogar die eingekerkerte Erinnerung in ihm.

Mit großer Intensität jagte sie ihnen weitere Worte in den Kopf, ohne dabei den Mund zu bewegen.

Bei jedem neuen Schrei, fühlte er sich machtlos und gelähmt.

„Wir … kommen in friedlicher Absicht …“, tröstete er sie zwischen ihren Schreien hindurch, was zu kurzer Stille führte.

Sie starrte ihn an.

Hilfe …

„Hilfe? Was brauchst du für Hilfe?“, fragte er und brachte Epona zum Stehen. Sie hörte es scheinbar nicht. Als Link abstieg, bemerkte er, dass Shans Hand in seine Richtung zuckte, vermutlich, um ihn abzuhalten.

Doch er ging nicht darauf ein. Stattdessen machte er einige Schritte auf die weiße Frau zu.

Er sah sie fragend an.

Sie blieb still. Sowohl äußerlich, als auch gedanklich.

Sie musterte ihn.

Dann riss sie die Augen überrascht auf.

Verschwinden!

„Aber … wieso?“, brachte er heraus.

Es war schwierig, etwas zu sagen, wenn sie seine Gedanken durch ihre Schreie lähmte. Aber er musste es schaffen, zu ihr durchzudringen. Schnell!

Er spürte, dass etwas von ihr ausging, das er brauchte. Er wusste nicht, was es war, aber ihm war klar, dass es etwas war, das unbedingt nötig war. Aber für was?

Sie starrte ihn feindselig an, schwieg aber erneut.

„Wer bist du?“, fragte er.

Hilfe …

„Sag schon, wer bist du?“, wollte er wissen, „Wir werden dir helfen … Vertraue- …“

Eine plötzliche Druckwelle unterbrach ihn.

Sie schleuderte ihn zurück.

Er spürte, dass er gegen irgendetwas flog, danach folgte Dunkelheit.
 


 

Eine weiße Feder flog vom Himmel. Sie landete am Boden. Weit ausgestreckte Flügel bedeckten die Sicht. Mehr konnte man nicht sehen. Doch dann ereilte sie ein kräftiger Windstoß. Die Flügel wurden angespannt, Haar wehte an ihnen vorbei.

Und ihr Blick traf ihn. Mit ihren hellen, klaren Augen sah sie ihn leidend an. Dann schüttelte sie den Kopf.

Sie stieß sich vom Boden ab und erhob sich anmutig in den Himmel.

Er folgte ihrem Blick.

Ein schwarzes Gegenstück flog ihr entgegen. Ebenfalls mit Federschwingen – schwarze Schwingen – ausgerüstet, stürzte sie auf ihn herab. Sie lächelte ihn fröhlich an. Ihre dunklen Augen musterten ihn skeptisch, doch das Lächeln blieb.

Die Weiße landete erneut.

Erst jetzt fiel ihm auf, wie verschieden die beiden waren.

Die schwarze war groß und eher dick, während die weiße Fee dünn und kleiner war. Langes Haar umströmte das Gesicht der weißen, während kurzes, zusammengebundenes schwarzes Haar, der Schwarzen gehörte.

Sie sahen vollkommen verschieden aus, doch wusste Link instinktiv, dass sie Schwestern desselben Alters waren. Und dass sie für immer dazu bestimmt waren, zusammenzugehören.

Die Bilder verschwommen … Seine Sicht wurde unklar …

„Mirai …“, sagte die eine – immer leiser werdend - , während die andere sich kaum verständlich unter „Yurai“ vorstellte.
 


 

Er nahm Bewegung war, wusste allerdings, dass er sich nicht bewegte.

Link versteifte sich und ächzte, als er die Augen öffnete.

Sein Blick wurde durch weißes, feines Haar verschleiert. Er strich ihr über den langen Hals und schloss die Augen erneut. „Danke …“, murmelte er unwillkürlich.

„Ah, du bist wach!“, ertönte eine Stimme neben ihm.

Shan sah ihn besorgt von der Seite an. Sie ging neben Epona, auf der er lag, her und hielt die Zügel fest – und das tat sie mit einem Seitenabstand.

Sie hielt ihm die Hand entgegengestreckt, die die Zügel hielten.

Er nahm sie langsam entgegen.

„Was … ist geschehen?“, fragte er leise. Sein Kopf fühlte sich betäubt an.

„Du bist zu ihr hingegangen, hast versucht, vernünftig mit ihr zu reden, sie hat die Hand ausgestreckt und eine Druckwelle hat dich gegen einen Baum geschleudert“, erklärte sie monoton, „Aber wer hat gesagt, du sollst nicht hingehen? Na, wer war es? Und, wer hatte recht?“

Er setzte sich aufrecht hin.

Epona war ein gut trainiertes Pferd, das gehorchte und dem Willen seines Herrn folgte. Darum war sie wohl mit Shan mitgelaufen, ohne dass er sie stark lenken musste.

Er strich ihr noch einmal durchs Fell.

Sie wieherte.

Dann schüttelte er langsam den Kopf und starrte geradeaus.

„Nein. Es war richtig. Es ist zwar etwas aus dem Ruder gelaufen, aber … jetzt weiß ich, wie wir ihr helfen können.“

„Ach ja? Aber wie wäre es, wenn wir zuerst uns selbst helfen würden?“

„Hm? Wie meinst du …“, er stockte, als er bemerkte, dass er nicht mehr auf Hyrule Feld war.

„Ich glaube, du hast es bemerkt“, erwiderte sie trocken.

Bäume umgaben sie. Viele, viele Bäume.

Und nur Bäume.

„Wo … sind wir?“

„Ich bin ortsunkundig.“

„Wie sind wir hierher gekommen?“

„Die Druckwelle, die dich gegen den nächsten Baum geschleudert hat, hat uns hierher gebracht, um dich gegen einen Baum zu schleudern. Wo wir waren, gab es nämlich keine Bäume.“

„Du glaubst, es gibt Magie, die einen gegen Bäume schleudert …?“, fragte er skeptisch und sah sie ebenso an.

Sie zuckte mit den Schultern. „Es gibt ja sogar Magie, mit der man durch den Raum reisen kann.“ Sie deutete auf ihren Ring, „Mit Midna dürftest du auch die Portale benutzt haben. Es ist ungefähr die gleiche Machart … nur dass das Ziel kein Portal, sondern simpel irgendein Baum ist.“

„Und … was für ein Baum?“

„Sehe ich aus wie ein Gärtner? Ich kenne mich nicht so gut damit aus.“ Sie sah sich um. „Aber … sie hat genau diesen Baum ausgesucht. Vermutlich ist er ihr früher einmal ins Auge gestochen. Und sie musste daran denken …“

Plötzlich ergab etwas Sinn, das er vorhin nicht beachtet hatte.

„Shan …“, murmelte er, „Wir … haben den Schwan gefunden“, erklärte er ihr.

Sie musterte ihn wieder besorgt. „Lege dich lieber hin, Link, ich denke, der Baum hat dir nicht so gut getan …“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, Shan, der Baum! Ich weiß, wo wir sind.“

„… In einem Wald? Voller Bäume?“

„Im Wald von Phirone! Hier ist in etwa der Ort, an dem wir den Schwan verloren haben!“

Er stoppte Epona.

Shan blieb kurz vor ihnen stehen.

„Ach ja? Und woran erkennst du das? An den Bäumen?“

„Ja. Es ist doch einfach nur logisch! Sie denkt, wir haben sie aus boshaften Gründen verfolgt, weshalb sie hier in Deckung gegangen ist. Und dann … dann haben wir sie verloren! Genau am Hyrule-Feld, wo wir sie jetzt wieder aufgespürt …“

Shan unterbrach ihn: „Und wieder verloren.“

„… haben. Sie hat uns fortgeschickt, weil sie noch immer an unseren Absichten zweifelt!“

„Link. Weißt du … nur weil in meiner Welt die Hälfte der Einwohner rotes Haar hat, sind wir noch lange keine Geschwister. Und nur weil eine Frau mit weißem Haar uns fort schickt, ist sie noch lange kein verzauberter Vogel.“

„Sie ist in Wahrheit eine Fee. Und sie hat eine Schwester.“

Shan sah ihn überrascht an. „Und das weißt du woher?“

„Gerade eben in meiner Bewusstlosigkeit habe ich das gesehen“, erklärte er ihr, „Ich glaube, sie hat es mir versehentlich mit ihrer Druckwelle geschickt. Vermutlich musste sie gerade an ihre Schwester denken, weil sie … nun, keine Ahnung warum, aber wann denkt man schon nicht an seine Verwandten?“

„Ich muss zugeben, ich habe eine Schwester … aber während ich einem Feind gegenübertrete, denke ich nicht an sie. Da habe ich noch andere Sorgen.“

„Ich bin mir sicher. Mein Herz sagt mir, dass es stimmen muss“, gestand er.

„Na gut, nehmen wir an, deine Geschichte stimmt“, erklärte sich Shan bereit, „Was bringt es uns?“

„Wir wissen, dass wir in Phirone sind.“

„Es könnte auch jeder andere Wald sein, den sie in den zwei Wochen gesehen hat.“

„Vermutlich hat sie sich gedacht, dass sie uns hier losgeworden ist“, entgegnete er, „Also wird sie uns wieder hierhin geschickt haben. So wie ihre Erinnerung versehentlich an mich gesendet wurde, hat sie uns vielleicht aus Verwirrung hierher entsandt.“

„Link. Ich glaube dir“, meinte Shan.

„Was tun wir jetzt? Wir wissen, wo sich der Schwan aufhält. Suchen wir sie erneut auf?“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Tu, was du für richtig hältst.“

Er dachte darüber nach. Er hatte zwei Möglichkeiten, die am nahe lagen.

Entweder er ging nach Ordon, um dort seiner Erinnerung auf die Spur zu kommen und etwas über die „Schicksalskinder“ zu erfahren, oder er ging zurück zum Schwan und riskierte, erneut weggestoßen zu werden.

Die Entscheidung war relativ einfach.

„Wir gehen zuerst nach Ordon“, bestimmte er, „Es bringt nichts, wenn ich ständig meine Gedanken unterdrücken muss. Ich finde heraus, was es mit dieser Erinnerung auf sich hat. Und dann werde ich es wieder mit dem Schwan aufnehmen. Ich muss sie überzeugen, dass wir auf ihrer Seite sind und dass sie vermutlich etwas zu Ganondorfs Niederlage beitragen kann.“

Shan nickte. „Wie du meinst.“

Er sah sie von oben herab an.

Sie schaute zu ihm auf. „Wirklich. Ich bin einverstanden.“

Na gut.

Er wusste in etwa, in welche Richtung er gehen musste, um nach Ordon zu kommen, wenn er in Phirone war. Er konnte nicht versprechen, am richtigen Ausgang zu landen, aber irgendwo würde er hinauskommen. Von dort aus würde er nach Ordon gehen, um zu erforschen, was los war und danach … Er würde sehen, was ihm seine Erinnerung offenbarte.

Und er würde noch etwas Zeit haben, um darüber nachzugrübeln.

„Steigst du wieder auf?“

„Wenn du nicht wieder wegdämmerst“, meinte sie und saß im nächsten Moment schon wieder hinter ihm.

„Na gut, nach Ordon …“
 


 

Schelmisch lächelnd zeigte sie mir immer wieder, wie überlegen sie war.

Doch sie meinte es nicht böse.

Ich fasste es lediglich so auf.

Schließlich konnte ich nichts dagegen bringen.
 


 

Er warf einen Stein in Latoans Quelle. Er sprang viermal. Damit war er der beste Steinewerfer Ordons. Colin schaffte nur drei Sprünge. Was Link konnte, wusste er nicht.

Doch Taro war sich sicher, dass er ihn ebenfalls locker schlagen konnte.

Link konnte nicht überall Weltklasse sein.

Er schaute vom Wasser zurück.

Moe und Ulina standen – sich leise miteinander unterhaltend – am Eingang zur Quelle. Sie wirkten beide angespannt.

Lin planschte im Wasser. Colin passte auf seine kleine Schwester auf.

So ein Kindskopf!

Wieder schaute er zurück zum Bürgermeisterpaar. Sie hatten Lin nur mitgebracht, um einen Grund für Aufpasser zu haben. In Wahrheit wollten sie nur auf ihn, auf Taro, aufpassen. sie dachten, er würde jede Sekunde der Unachtsamkeit ausnutzen, um Link zu übertreffen – tja, das würde er wohl.

Aber es machte ihn wütend, dass es einfach nicht ging!

Maro durfte schließlich auch alles Mögliche tun! Aber er, der große Bruder, wurde eingeschränkt. Er fand die Welt einfach ungerecht. Das Leben war total gemein zu ihm und total … na ja … eben seltsam.

Warum durfte er nicht beweisen, was für ein toller Hecht er war?

Er schaute auf seine linke Hand. Und das nur, weil auf seiner Hand kein doofes Zeichen zu sehen war. Doch tief in seinem Herzen war dieses zu sehen. Er war sich sicher.

Wieso sollte es denn auch nicht so sein?

Er schaute hinauf in den Mittagshimmel.

Es war heiß. Aber er wollte sich im Wasser nicht abkühlen. Er konnte solche Hitze aushalten.

Er war nämlich ein Held.

Und die konnten das ja bekanntlich auch! Wieso sollte er es dann nicht können? Das wäre ja gelacht, ha!

Er stand ruckartig auf und ging zur Felswand, als er neben Ulina eine Bewegung wahrnahm.

Betty drängte sich leicht bekleidet an Ulina vorbei und lief anmutig an ihm vorbei. Sie zwinkerte ihm zu und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Sie strebte das Wasser an.

Als sie bereits mit einem Fuß darin war, folgte er ihr.

Doch Taro blieb im Trockenen.

„Betty!“, rief er, „Ist dir heiß?“

„Ja“, antwortete sie, „Dir nicht?“

Er zuckte mit den Schultern. „So etwas kann ich ertragen!“ Er machte eine abwertende Handbewegung, „Ich bin schließlich ein Mann.“

Sie kicherte. „Du bist manchmal echt süß, Kleiner“, sagte sie und setzte sich an einer tieferen Stelle ins Wasser, „Ah! Ist das schön! Viel besser als im langweiligen See im Dorf! Hier heilt es sogar die tiefsten Wunden …“ Sie schwieg.

Er warf seine Schuhe zur Seite und krempelte sich die Hose hoch. Danach folgte er ihr.

Vor ihr setzte er sich – ungeachtet seiner Kleidung – ins Wasser.

„Außer die tief in einem drinnen“, fügte sie leise hinzu. Sie wirkte betrübt.

„Aber ich bin doch da, Betty! Versteh doch … du brauchst Link nicht! Du … du kannst doch auch mich- …“

Als sie ihn tieftraurig ansah, schwieg er. Eine Wasserspur lief aus ihren Augen.

Er vermochte nicht zu sagen, ob es eine Träne war, oder aber nur das Wasser der Quelle, das hoch gespritzt war.

„Er ist doch viel zu alt … und schwach … und …“, er brach ab, als sie wegsah.

Ihre Trauer deprimierte ihn. Und sie fachte seine Wut an!

Was fiel diesem Idioten von Link ein, Betty so traurig zu machen?! Er … er verdiente ihre aufrichtige Liebe nicht! Taro! Taro – er verdiente diese Blicke, die sie Link zuwarf … er!

Nicht. Link!

„Gib endlich auf!“, schrie er Betty an.

Sie starrte ihn überrascht und schockiert an.

„Gib diesen Link endlich auf! Er wird NIEMALS zu dir zurückkommen! Er wird- …“

Ein lautes „WAS?!“ unterbrach Taro bei seinem Ausbruch.

Alle Blicke wandten sich zu Moe, dem Sprecher.

Seine Finger deuteten zitternd auf den Weg.

Taro hetzte los.

Seine Kleidung war vom Wasser viel schwerer geworden, trotzdem kämpfte er sich schnell nach vorne.

Er stürmte an Moe vorbei und starrte geradeaus.

Und erkannte, dass seine Befürchtungen wahr geworden waren:

Link kehrte zurück.
 


 

Es war fast wie ein Kochbuch.

Genau beschrieben, was zu tun war …

Jede Zutat einzeln aufgezählt.
 

Ungestüm

Und ich war immer damit einverstanden.

Mit jedem Einzelnen.

Keiner erschien mir widerspenstig –

denn ich genoss es, an ihrer Seite zu sein.
 

„Sie haben dich gesehen“, murmelte Shan, „Das heißt dann wohl Adieu.“

Und noch ehe er etwas erwidern konnte, verschwand Shan in den Schatten.

Er seufzte.

Moe winkte ihm breit lächelnd zu. Und eine Ansammlung von Dorfbewohnern gesellte sich neben diesen. Sie warteten auf ihn.

Er setzte ein Lächeln auf und begann, ihnen herzhaft zu winken.

Als er den Weg mit Epona zurückgelegt hatte, stieg er vor seinen Freunden ab und begrüßte jeden einzeln.

Moe, Ulina, Lin, Colin, Taro … sie alle waren hier.

„Link!“, rief Lin aufgeregt, „Du bist wieder da!“ Sie grinste.

„Ja“, gab er ihr Recht, „Das bin ich wohl …“

„Ist alles in Ordnung, Link?“, fragte Ulina besorgt und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

Er lächelte aufmunternd.

„Lass uns wieder alles in einem Haus besprechen“, schlug Moe vor. Sein Blick fiel auf Taro, der neben ihm stand und missmutig dreinschaute, „Colin, geh und trainiere mit Taro … Du weißt, was du zu tun hast, nicht wahr?“

Der blonde Junge nickte und zog seinen in etwa gleich großen Freund davon.

Widerwillig ließ Taro es mit sich geschehen. Die beiden entfernten sich.

Ulina nahm Lin auf den Arm und wandte sich der Quelle zu. „Betty! Link ist da!“, rief sie.

Sie warteten.

Link schritt weiter vor, um einen guten Blick auf die ihm bekannte Quelle zu haben.

Hier hatte sein Abenteuer das letzte Mal begonnen …

Die Erinnerung pochte erneut.

Er hielt sich den Kopf. Sofort schloss er die Augen.

Er atmete tief durch. Sie sollte zurückgehen … Bald würde er ihr eine Lösung verschaffen …

Als er seine Augen wieder öffnete, stand Betty vor ihm.

Sie war nass und die Wassertropfen glänzten in der Sonne. Ein Lichtspiel wurde durchgeführt und ließ Betty heller leuchten.

Sie zwinkerte ihm zu.

„Link …“, sagte sie leise.

Dann fiel sie ihm um den Hals.

„Ich hatte mir solche Sorgen gemacht!“, schrie sie, obwohl sie direkt neben ihm war.

Er ließ sie gewähren.

„Du darfst doch nicht einfach so abhauen! Ich wusste nicht, wie es dir ging! Was geschehen war! Du warst jetzt einen Monat weg! Was alles hätte passieren können …!“

Sie schritt zurück und befreite ihn aus der Umarmung.

Er bemerkte, dass ihre Augen feucht waren.

War das vom Wasser? Oder … weinte sie?

Ein Schluchzen erübrigte weitere Fragen. Sie begann bitterlich zu weinen.

Moe drehte sich weg und kümmerte sich um Epona.

Ulina und Lin knieten sich zu Betty und tätschelten ihr die Schulter.

„Es ist wieder gut …“, flüsterte Ulina fürsorglich, „Betty … Link ist wieder da … Er ist in Ordnung …“

Sie schluchzte unverständliche Worte.

Link konnte nicht anders, als Betty anzustarren.

Er hatte ja keine Ahnung … wie sehr er sie damit verletzte und ihr zusetzte.

Er schaute Moe Hilfe suchend an, doch dieser widmete sich dem Pferd.

Sein Blick fiel auf Eponas Schatten. Shan beobachtete das Schauspiel wohl belustigt. Er löste ihn wieder vom Boden und streckte eine Hand nach Bettys Gesicht aus.

Er strich ihr zärtlich über die Wange.

„Keine Sorge“, wisperte er, „Mir passiert nichts … Ich passe auf mich auf. Und ich werde Hyrule retten, um auch dich zu beschützen.“ Er lächelte sie vielsagend an.

Mit bereits rot angelaufenen Augen schaute sie in seine. Sie wischte sich die Tränen weg. Ulina und Lin wichen ein wenig zurück, um Betty Platz zum Aufstehen zu machen.

„Link … ich …“, sie stockte und schüttelte den Kopf, „Es war … dumm von mir …“, gab sie zu, während sie verlegen zur Seite schaute, „Wie konnte ich nur erwarten … dass …“

Sie drehte sich um und ging davon, ohne nur ein weiteres Wort zu sagen.

Ulina folgte ihr, Lin an der Hand haltend, in einiger Entfernung. Vermutlich, um sie danach aufmuntern zu können.

Moe räusperte sich. „Mädchen … Ach ja, ich erinnere mich …“

Link schaute erneut zum Schatten. Aber wie immer regte sich nichts.

Obwohl er ein herzhaftes Lachen erwartet hätte, kam keines. Sie wartete also, bis er alleine war.

„Willst du zu mir kommen und mir erzählen, was los ist? Du bist einfach so verschwunden …“

Link nickte. „Natürlich.“
 

Er führte Epona vor sein Haus, wo er sie an der gewohnten Stelle stehen ließ, sodass sie sich mit frischem Gras stärken konnte. Sein Blick haftete weiterhin am Schatten. Ob Shan bereits in seinen übergegangen war? Ob sie noch da war? Wollte sie überhaupt mitkommen …?

Moe ging voraus, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

Die Anspannung, die von ihm ausging, ließ vermuten, dass er bereits das Schlimmste erwartete. Und damit hatte er wohl oder übel Recht. Ihn erwartete Schlimmes.

Aber vielleicht konnte er auch für eine schnelle Lösung von Links Erinnerungsproblem sorgen. Das wäre natürlich schön.

Er sah sich im Dorf um, als er es betrat. Als erstes fiel sein Blick auf Betty, die neben Ulina saß und in den Dorfsee starrte. Ihr ging es schlecht … Und das nur wegen ihm … Er konnte es nicht ertragen.

Er widmete sich dem Rest des Dorfes.

Der Häuserordnung.

Hier war der Markt … drüben die Mühle und dort … dort war das Geisterhaus …

Link schaute das Haus an.

Und die Erinnerung kam plötzlich wieder hervor.

Aus irgendeinem völlig absurden Grund dachte er diesmal nicht an Midna, wie Shan es ihm geraten hatte, sondern ein Gorone kreiste durch seine Gedanken. Ein Gorone … hatte seine verlorene Erinnerung etwas mit Goronen zu tun? Er war schon am Goronenberg. Dort hatte er eigentlich keine Probleme … und er fand keine Gedächtnislücken. Was konnte das nur bedeuten …?

„Alles in Ordnung?“, riss Moe ihn aus seinen Gedanken.

Link nickte. „Lebte hier einst ein Gorone?“

Moe lachte. „Link, das war ein guter Witz! Es weiß doch jeder, dass Goronen kaum in andere Dörfer gehen … Und Ordon liegt am weitesten von ihnen entfernt. Hierher würde sich keiner verirren, nicht für alle Rubine der Welt. Die sind meist in Kakariko tätig. Und mittlerweile wieder in Hyrule-Stadt. Aber hier draußen?“ Er schüttelte entschlossen den Kopf. „Kein Gorone.“

„Danke“, flüsterte Link und schaute weiterhin auf dieses Haus.

Hierauf reagierte die Erinnerung.

Dieses Haus sollte er sich später unter die Lupe nehmen. Das „Geisterhaus“ von Ordon …

Früher hatte er hier oft gespielt. Drinnen gab es sogar einen Ring. Leider durfte er nie gegen Taro oder Colin antreten, da er viel älter als die beiden war und dies deshalb unfair war. Aber manchmal hatte er den beiden Jungs dabei zugeschaut, wie sie sich bekämpften.

Ach ja … Und neben ihm saß die kleine Betty, die Angst davor hatte, dass sie sich verletzen hätten können.

Er lächelte. Schön, dass er diese Erinnerung besaß.

„Wie kommst du auf Goronen?“

Link nickte in die Richtung von Moes Haus. „Ich erzähle es dir gleich.“

Sie eilten zu besagtem Gebäude und traten ein.

Lin war nicht zuhause. Vermutlich spielte sie irgendwo in der Umgebung. Also war es still.

Sie konnten sich unterhalten.

„Link, was ist vorgefallen?“, fragte Moe ihn direkt, nachdem er ihm einen Stuhl angeboten hatte.

Er erzählte die Geschichte, wobei er unwichtige Einzelheiten wie Shan außer Acht ließ.

„Du warst in Marine …?“, wiederholte Moe überrascht.

Er nickte. „Ich konnte es selbst kaum glauben.“

„Du kommst ja weiter als alle Menschen, die ich kenne!“

„Na ja, es hat aber auch viel gebracht.“

„Das Mädchen muss ziemlich süß gewesen sein, wenn du für sie soweit gehst.“

Er sah zur Seite. „Ach was, ich helfe jedem. Ich wäre auch für eine alte Frau oder einen gebrechlichen oder jungen Mann soweit gegangen. Es wäre unhöflich, sie den Monstern zu überlassen.“

Die heikle Verabschiedung ließ er weg, ansonsten spann er sich noch mehr Geschichten zusammen. Er erzählte vom Schwan, den er danach verfolgt hatte und durch den er nach Hyrule kam – hier ignorierte er Shans Verletzung.

Außerdem schilderte er die Situation in und um Hyrule-Stadt.

Moe riss die Augen auf. „Was? Aber … man erzählt sich, dass Prinzessin Ilya äußerst gütig zum Volk ist … und ich kann mir wirklich nicht denken …“ Er brach ab und schüttelte den Kopf. „Was dies wohl bedeutet?“

„Ich weiß es nicht“, gab Link zu, „Jedenfalls darf ich ihr nicht mehr unter die Augen kommen. Sie hat mich sozusagen verbannt.“

Moe blinzelte ungläubig. „Verbannt. Dich.“ Dies ließ ihn den Kopf heftiger schütteln. „Was ist nur falsch mit dieser Welt …?“

„Sie plant das so genannte ‚Mittsommernachtsfest’“, klärte Link auf, „Es ist ihr wichtiger als die Kämpfe – und vielleicht sogar wichtiger als ihre Volksfeste, die etwa alle drei Tage stattfinden.“

Der Bürgermeister erhob sich. „Ich werde zu ihr gehen und ihr sagen …“

„Nein“, unterbrach ihn Link widersprechend, „Das wirst du nicht überleben. Einer ihrer Hauptmänner hat ebenfalls versucht, mit ihr über die heikle Lage und ihr fehlerhaftes Verhalten zu sprechen …“

Sein Gegenüber schluckte hörbar. „Oh.“

Link nickte. „Aber als ich ihr gegenüberstand … kam eine Erinnerung zum Vorschein.“

„Eine Erinnerung?“

„Ich weiß nicht, wovon sie handelt oder von wann … oder was sie mir sagen möchte … Ich weiß nur, dass sie da ist. Und bei einigen Orten oder wenn ich an etwas denke, möchte sie ausbrechen. Doch sie kann nicht. Und davon bekomme ich Kopfschmerzen. Ich will herausfinden, was sie mir sagen möchte. Es könnte wichtig sein. Vielleicht führt es irgendwie zu einer Lösung Ganondorf betreffend.“

„Ah, und das ‚Geisterhaus’ hat sie wieder in dir wachgerufen?“

Link nickte. „War es etwa so offensichtig?“

Moe lächelte. „Keiner im Dorf glaubt wirklich daran, dass es leer steht. Jeder fühlt, dass er nur alles in diesem Zusammenhang vergessen hat. Nur weiß keiner, was. Es ist eine gähnende Leere, die wir alle ignorieren. Und das schon seit unserer Geburt, will sie uns weiß machen.“

„Weißt du, wie ich mir Hilfe anschaffen kann?“

„Das menschliche Gedächtnis kann man leicht beeinflussen, Link“, erklärte Moe, „Wenn dich ab heute jeder Moe nennt, wirst du bald glauben, dass du wirklich Moe heißt.“

„Du meinst also, jemand manipuliert unsere Gedanken?“

Er nickte. „Ja, und ich will, dass ich nur reine, originale Erinnerungen besitze. Darum, Link, will ich, dass du für meine Erinnerung die Welt rettest.“

Link erhob sich. „Sobald sich diese ‚Leere’ in dir wieder meldet, rufe mich. Vielleicht weiß meine Erinnerung etwas dazu.“

Moe stand ebenfalls auf. „Ich danke für das Gespräch. Wenn jemand im Dorf etwas für dich tun kann, dann sage es nur. Wir wollen dich alle unterstützen. Wir wollen alle in Frieden leben. Darum ist es sehr wichtig, dass du dich anstrengst und uns alle beschützt.“

Link nickte. „Natürlich gebe ich mein Bestes.“
 


 

Auf dem Rückweg versuchte Link schnellstmöglich Betty zu passieren, sodass sie ihn kaum bemerkte. Er mochte es nicht, wenn Mädchen traurig waren. Und schon gar nicht, wenn sie weinten. Und schon gar nicht, wegen ihm.

Auch beachtete er das leer stehende Haus nicht. Mehr würde seine Erinnerung nicht bringen, als Kopfschmerzen zu verursachen. Und die brauchte er gerade nicht.

Er musste Shan sprechen.

„Link!“, ertönte plötzlich hinter ihm eine Stimme, als er den Durchgang zwischen den Felsen zu seinem Haus passierte.

Er drehte sich um. „Taro, guten Tag. Schön, dich wohlauf zu sehen.“

Der Junge schaute ihn wütend an. „Du hast Betty zum Weinen gebracht!“

Link antwortete nicht.

„Und du findest es nicht einmal angemessen, sie zu trösten!“

Schweigen.

„Und das finde ICH alles andere als in Ordnung! Betty verdient so ein Verhalten nicht!“

„Ich hatte keine Ahnung, dass Betty …“

„Keine Ahnung? Mann, bist du blind? Sie hängt dir jetzt schon seit Jahren nach! Sie – seit Jahren – einem Mann! Das ist … das ist … Du bist so ein Idiot!“, begehrte der Junge auf und schritt auf ihn zu.

Link wich nicht zurück. Auch dann nicht, als Taro direkt vor ihm stand. „Betty soll mir gehören, wenn du sie nicht würdigst! Also mache ich gefälligst klar, dass du sie nicht willst!“

Daran, dass Taro Betty mehr mochte als ein bloßer Freund, hatte Link auch schon gedacht. Aber dass er der Grund war, weshalb die beiden noch nicht zusammen waren, hatte er noch nie bemerkt.

Peinlich.

„Aber … ich kann doch nicht einfach zu ihr hingehen …“

„Du MUSST ihr klarmachen, dass du sie nicht willst! Sonst wird sie dir auch in dreißig Jahren noch nachhängen und als einsame Jungfer sterben müssen. Nur weil du dich nie klar vor ihr ausgedrückt hast.“ Taro stockte. „Oder … machst du es nicht klar, weil es da nichts zum Klarmachen gibt?“ Nun schaute er feindselig drein. „Kann es sein, dass du ihr gegenüber nicht so abgeneigt bist, wie du tust? Kann es sein, dass du dasselbe fühlst wie sie?“

Bevor Link auch nur zu einer negativen Erwiderung ansetzen konnte, brüllte Taro, „Du bist so ein Schwein! Du weißt doch schon EWIG, dass ich sie mag! Wie kannst du mir das nur antun, du Idiot?! Fühlst dich wohl toll, nur weil du die Welt gerettet hast?! Dass du jetzt alle Mädchen für dich beanspruchen kannst? Oh Mann, du bist …“ Er atmete tief durch, „Du bist echt verabscheuungswürdig! Hau ab aus unserem Dorf! Lass dich hier nie wieder blicken! Wenn du mir je wieder unter die Augen kommst, werde ich dir deine eigenhändig ausstechen!“, drohte der kleinere Junge, „Betty gehört MIR!“

Taro drehte sich um und rannte davon.

Link schaute ihm verdutzt nach.

„Das war ja ein Monolog“, stellte jemand hinter ihm fest.

Er schaute zurück.

Shan tauchte vor ihm auf.

Sie lachte. „Erst beleidigst du das Mädchen, dann noch ihren Schatz …“ Sie schüttelte belustigt den Kopf. „Wirklich, wirklich, Link. Du solltest dich schämen.“

„Das WAR ein Monolog“, gab er ihr Recht, „Wie hätte ich etwas einwenden sollen?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Du hättest ihm nachlaufen können. Da du das nicht getan hast, wirst du das nächste Mal wohl gegen ihn kämpfen müssen, falls du je zurückkehren möchtest.“

„Es wird wohl einige Zeit vergehen, bis ich wieder hierher kann.“

„Also war der Weg umsonst?“

Er schüttelte den Kopf. „Die Erinnerung hat auf eines der Häuser reagiert. Wenn ich noch etwas länger hier bleibe, könnte ich vielleicht etwas herausfinden. Außerdem war ich noch nicht am Friedhof. Und es könnte etwas mit Goronen zu tun haben.“

„Aber … wie … Na gut, wenn wir noch ein paar Stunden warten, können wir das Haus und den Friedhof betrachten. Der aufdringliche Junge wird schon nicht Wache stehen, wenn es Nacht ist.“

Link ging an Shan vorbei. „Gehen wir zu mir nach Hause. Du musst mir noch etwas über die Prinzessin erzählen. Erinnerst du dich?“

„Natürlich tu ich das. Ich bin ja nicht du“, antwortete sie spöttisch.

Er eilte weiter, bis er die Leiter, die zu der oberen Etage, auf der sein Haus stand, erreichte.

Er kletterte hinauf, während Shan frech an ihm vorbeischwebte.

Sie blieb allerdings höflicherweise vor der Tür stehen und wartete, dass Link sie hinein bat.

„Ach ja, ist schon wieder einige Zeit her, dass ich hier war“, sinnierte Shan, „Und bei dir auch.“

„Ja …“, gab er ihr leise Recht. Er öffnete die Tür und trat ein.

Shan folgte ihm in einigem Abstand.

„Ach ja, trautes Heim“, sagte sie laut und lächelte.

„Hast du Hunger? Ich kann Suppe kochen“, bot er ihr an.

„Wenn die Suppe genießbar ist, dann ja. Sonst nein“, erklärte Shan und setzte sich auf einen Stuhl.

Link machte sich daran, die Zutaten zusammenzusuchen. Er hob sie alle nachhaltig auf, sodass sie nicht verdorrten und verdarben, weshalb er immer sehr lange mit seinen Sachen auskam.

„Also … die Prinzessin … sie ist eines der so genannten ‚Schicksalskinder’“, begann Shan.

Er sah sie fragend an. „Und … das sind?“

Sie lächelte. „’Kinder des Schicksals’. Das Schicksal ist das, was eintreffen muss. Es ist eine Vorherbestimmung, die uns alle tun lässt, was wir tun.“

„Und weiter?“

„Aber wie Eltern so sind, lassen sie ihren Kindern Dinge durchgehen, bei denen sie anderen am liebsten den Hals umdrehen würden. Kinder genießen immer Vorzüge bei ihren Eltern.“

„Ich denke, das hast du Recht“, meinte Link, als er Karotten aufschnitt und in den Kochtopf warf.

„Ebenso ist es bei diesen ‚Kindern’. Natürlich haben sie auch ganz normale Eltern, aber sie sind ebenso vom Schicksal gesegnet. Das Schicksal ist auf ihrer Seite.“

„Das heißt also, ihnen widerfährt nur Gutes?“

„Du meinst also, von dir fertig gemacht zu werden, ist etwas Gutes?“

Er zuckte mit den Schultern. „Kann ich nicht beurteilen.“ Er warf Zwiebel dazu.

Dann verstand er ihre Aussage. Er drehte sich unsicher zu ihr um. „Ich … habe der Prinzessin Schaden zugefügt?“

Shan kicherte. „Nein, es gab außer ihr noch ein weiteres Schicksalskind in unserer Zeit. Extrem selten, dass zwei zur selben Zeit existieren, aber möglich.“

„Ganondorf war also auch eines?“, schloss er daraus, „Ja, das wäre logisch … Er hat nämlich ungeheuer viel Glück …“

Shan unterbrach ihn barsch. „Falsch. Zanto war es.“

Dies ließ Link schweigen.

„Zanto“, wiederholte Shan eindringlich, „War ein Begnadigter des Schicksals. Aber später mehr dazu. Erst einmal muss ich dich wohl über Einzelheiten zu solchen Leuten aufklären, sodass du mehr davon verstehst.“

Link nickte. „… Aber … wenn er ein Schicksalskind war … wie konnte ich ihn dann …?“

Sie unterbrach ihn erneut. „Nein. Ich erzähle dir jetzt darüber. Und zwar, dass du solche unnötigen Fragen nicht mehr stellen brauchst.“

„Na gut.“

„Schicksalskinder sind also Menschen, denen das Schicksal gut gesinnt ist. Aber sie sind zugleich auch Menschen, die zuerst einen schweren Schicksalsschock erlitten hatten. Niemand kann ein Geschenk vom Schicksal erhalten, ohne davor etwas für es durchgemacht zu haben. Und bei Zanto war es wohl der Moment, in dem er gegen Midna verlor. Immer konnte er sich aus eigener Kraft gut gegen sie halten – aber bei der Königswahl … stellte sich jeder gegen ihn. Alle, außer dem Schicksal, das von ihm geweckt wurde. Sein tiefster Traum war zerplatzt, seine Hoffnungen gestorben und seine Ideale auseinander genommen. Er war sehr verletzt. Und deshalb schenkte das Schicksal ihm die Kraft, alles zum Besseren zu wenden.“

„Und dadurch rief er Ganondorf“, kombinierte Link anschließend, „Ich verstehe.“

Sie nickte.

„Und warum kann dann nicht jeder, der sein Ziel verfehlt, Ganondorf rufen?“

„Gut, dass du fragst, das war nämlich mein nächster Punkt“, erwiderte sie trocken.

Er lächelte entschuldigend, während er weitere Zutaten aufschnitt und der äußerst gesunden und nahrhaften Suppe hinzufügte.

„Aber man muss von Geburt an gesegnet sein, um ein solches Kind zu werden. Nicht jeder Versager kann zu einem vom Schicksal ausgewählten Kind werden, nur weil er eben das tut, was er am besten kann: versagen. Es ist wie dein Triforce: Einer hat es, einer nicht. Nur, dass das Schicksalskindsein sehr selten ist. Manchmal gibt es Generationen lang kein einziges. Deshalb ist es eine höchste Seltenheit, dass es gleich zwei in einem Jahrhundert gibt. Zur selben Zeit. Selten. Und gefährlich. Denn von ihnen gibt es zwei Gruppen – positive und negative Kinder.“

„Also … man kann sagen, dass es ein Kind gibt, das immer artig ist und tut, was man sagt und eines, das zickig, bockig und ungehorsam ist?“

Sie nickte. „So in etwa. Aber doppelt so gefährlich. Denn wer beide besitzt, der kann das ganze Schicksal kontrollieren.“

„Aber die Prinzessin will doch nur Gutes. Warum greifen die Monster sie an?“

„Vielleicht sind wir zu spät und wer-auch-immer hat sie bereits in seiner Gewalt.“

Link schaute fragend drein. Das verstand er nicht ganz.

„Zanto hat durch seine Gabe als Schicksalskind eine besondere Ausstrahlung. Einem Magier wie Ganondorf fällt dies natürlich sofort auf. Und er hat es für sich genutzt. Er hat Zanto etwas angeboten, das positiv für diesen war, und ihn dadurch an seiner Seite gehalten. Geschickt. Und so konnte er Monster auf die Welt hetzen, ohne dass ihn jemand ausfindig machen konnte. Er konnte ein ganzes Königreich übernehmen, ohne dass ihn jemand aufhalten konnte. Aber dann kamst du. Und du hattest vermutlich den Wunsch des zweiten Schicksalskindes auf deiner Seite, denn sonst wärst du nie gegen Ganondorf angekommen.

Und vielleicht auch, weil er nicht mit gegenteiliger Wirkung gerechnet hatte. Wer ein solches Kind besitzt, ist unbesiegbar. Es war also dein Glück, das Glück der Welt, dass Prinzessin Ilya zu dem Zeitpunkt ihre Gabe bereits erhalten hatte. Stell dir vor, was geschehen wäre, wenn es nicht so gewesen wäre? Zanto hätte dich getötet, bevor du auch nur von Ganondorf erfahren hättest.“

„Es ist … kompliziert.“

„Du musst dich ja nicht so genau auskennen“, beruhigte sie ihn, „Merke dir einfach nur das Wichtigste: Ganondorf hat Prinzessin Ilya in seiner Hand. Diese ist ein Schicksalskind. Also haben alle, die ihn bekämpfen, ein Problem.“

„Gut. Wenn … wenn ich irgendwelche Rückfragen diesbezüglich habe, kann ich mich an dich wenden?“, informierte er sich vorsichtig.

„Selbstredend!“

„Danke“, meinte er und servierte die Suppe, „Ich hoffe, sie schmeckt.

Shan kostete. Sie verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. „Annehmbar“, kommentierte sie und aß weiter.

Schicksalskinder … damit hatte er also zu tun …

Das hörte sich verdammt schlecht an.
 

Doch sie selbst waren schwer zu erhalten. Tage vergingen, bevor ich die erste fand. Tage des Suchens, des Informierens, ... Bis ich sie fand. Die erste Zutat.

Und als ich sei pflückte, wurde mir klar, dass ich es wollte.
 

Unumgänglich

Mein Verstand brachte mich immer wieder dazu, zu glauben, es sei falsch. Doch mein Herz nicht. Es fühlte sich hingezogen.

Hingezogen zu ihnen.

Zu ihrer Gegenwart.

Zu meinem Leben.
 


 

Der Mond schien. Doch irgendwie wirkte die Nacht dunkler als sonst. Es konnte aber auch etwas mit seiner Laune zu tun haben, dass die Welt finsterer und grausamer erschien.

Taro saß auf einem Hügel, von dem aus der das ganze Dorf überblicken konnte. Gedankenverloren rupfte er Gras aus, bis die Stellen kahl waren.

Er knirschte mit den Zähnen.

Er WAR wütend.

Wütend auf Link. Und er war es schon vor einer Weile. Wie hatte er das nur vergessen können? Kurz nachdem Links Verschwinden bemerkt wurde, war er ebenfalls sehr wütend auf ihn. Aber … irgendetwas unterdrückte die Wut. Bis jetzt. Bis zum heutigen Tag.

Er sah hinab auf das Haus, in dem Betty vermutlich gerade schlief.

Er seufzte. Die ärmste Betty …

Wie konnte Link ihr das nur antun? Wie? Betty war solch ein wundervolles Geschöpf! Er konnte sie doch nicht so mit Füßen treten!

Ehe er sich versah, erhob sich Taro.

„Und was habe ich jetzt vor?“, murmelte er grimmig in sich hinein, „Will ich Link endlich herausfordern?“

Er lachte schrill.

Er würde doch verlieren! Als hätte er gegen Link eine Chance!

Hoffentlich nahm Link die Herausforderung erst in einigen Jahren an, wenn Taro wirklich stärker war als er. Mit diesem Gedanken überraschte er sich selbst. Was war nur los mit ihm? Er gestand einen seiner Fehler ein …? Er musste ja noch schlimmere Laune haben, als er gedacht hatte!

Er schaute zum Mond. Leider war es kein Vollmond.

Vor einigen Tagen erschien unvermittelt ein Kurier in Ordon. Er hatte mit Moe über irgendwelche Lieferungen gesprochen, die nicht rechtzeitig ankommen würden. Und er sagte irgendetwas von wegen Vollmond bringe Glück.

Ob er damit Recht hatte?

Würde Taro Link durch die Macht des Vollmonds besiegen können?

Er bemerkte, dass sich irgendwo etwas regte.

Sofort duckte er sich, um nicht gesehen zu werden.

Dann erkannte er zwei Gestalten, die Ordon betraten.

Eine davon schoss ihm sofort ins Auge. Link.

Er widmete sich der anderen. Es war eine große Person … viel größer als Link.

Dies entlockte ihm ein leises Kichern. „Also bist du wohl doch nicht der Größte, was?!“, flüsterte er schadenfroh.

Dann erinnerte er sich an seine Drohung.

Wenn er jetzt so tat, als hätte er Link übersehen, wäre er feige, weil er die Herausforderung ablehnte. Aber wenn er sie annahm …

Er hätte seine Worte bedachter wählen sollen – beziehungsweise seine Tat ganz überdenken! Oder überhaupt nachdenken! Aber er war so wütend auf diesen Kerl gewesen, dass sein Verstand vollkommen ausgesetzt hatte.

Und jetzt hatte er den Schlamassel.

Er runzelte die Stirn, als die beiden näher kamen.

Irgendwie jagte ihm Links Begleiter einen Schrecken ein.

Er legte sich nun flach ins Gras, in der Hoffnung, unsichtbar zu werden.

Die beiden passierten ihn. Er wartete.

Wo sie wohl hinwollten?

Er würde es herausfinden!

Nachdem er sich sicher war, dass er ungesehen bleiben würde, schlich er den Hügel lautlos hinab. Danach sprang er leichtfertig über den Zaun und verfolgte Link mit einigem Sicherheitsabstand.

Taro hatte zur Sicherheit sein Schwert dabei. Es war dafür vorgesehen, Betty zu bewachen. Doch jetzt konnte er es als finalen Schlag gegen Link nutzen. Falls er diesen Schlag auch tun konnte. Na ja – seine Worte waren nicht mehr rückgängig zu machen! Also musste er sich wohl oder übel selbst überwinden und die Drohung bewahrheiten!

„Über die Weide …“, ertönte Links Stimme vor ihm.

Dies war ein Zeichen, dass Taro zu schnell näher kam.

Er duckte sich, um aus der Ferne wie ein Stein zu wirken. Dabei behielt er aber Link und die andere Person im Blick. Link befand sich bereits im Zaun für die Ziegen, während sein Begleiter davor stand und lachte.

Dann erhob sich dieser und sprang einfach über den Zaun. Dazu musste er nicht einmal die Beine anwinkeln. In voller Größe hüpfte er über den Zaun … und ging langsam tiefer.

Als … als würde er … schweben!

Taro sog erschrocken die Luft ein.

Was bedeutete das?

Hatte Link etwa mit den Dämonen einen Pakt geschlossen? Konnte Link etwa selbst Magie wirken?!

Das war … nicht normal!

Aber … auch wenn Link einen Dämonen dabei hatte – dieser Dämon konnte eine Gefahr sein! Eine Gefährdung Ordons und Bettys! Und das hatte Taro zu verhindern. Er würde keine weichen Knie kriegen, nur weil ein Zwei-Meter-Dämon schwebend vor ihm seine kalten, schrecklichen Hände ausfuhr und … und was? Er würde es einfach nicht so weit kommen lassen, dass der Dämon dazu kam.

Und wenn Taro ein waschechtes Monster besiegte … vielleicht … vielleicht war Betty dann ihm gegenüber etwas angetan …? Vielleicht käme sie über Link hinweg!

Er musste das dämonische Paar verfolgen!

Er erhob sich und wartete vor dem Zaun, bis die beiden die Wiese wieder verlassen hatten. Er vermutete, dass sie wohl zum Friedhof gingen. Schließlich war einer davon ein Dämon … und in dieser Richtung lag sonst nichts Nennenswertes.

Als die Luft rein war, sprang Taro über die Abgrenzung und rannte den beiden nach.

Sie hatten ihn wahrscheinlich noch nicht einmal bemerkt – gut.

„Gut, wir sind also beim Friedhof“, meinte der Begleiter.

Und plötzlich dämmerte Taro etwas: Das war kein Mann! Dieser Riese – dieser … Dämon … es war eine Frau! Hatte sie Link etwa verführt und deshalb schloss er sich mit so etwas Abnormalen zusammen? Oder … oder war Link böse? Wollte er Betty etwas antun!?

Er traute sich näher heran und erkannte dabei, dass der Begleiter sogar langes Haar hatte – in einer seltsam roten Farbe. Abartig …! Das … das war kein Mensch! Wirklich nicht …!

In Ordon gab es diese Farbe nämlich gar nicht.

Und wer war sie überhaupt? … Taro wollte wissen, was Link mit ihr am Hut hatte. War er wirklich den Dämonen beigetreten?

„Schon irgendwelche … Anzeichen?“

Link schüttelte den Kopf. „Ich sehe mich ein wenig um.“

Anzeichen? Was meinte sie damit? Wollte er sich etwa in einen vollwertigen Dämon verwandeln?

… Fast hätte Taro darüber laut losgelacht. Okay, vielleicht übertrieb er. Seine Fantasie ging mit ihm durch. Wobei … es war Nacht. Er war auf einem Friedhof. Und vor ihm war sein Erzfeind zusammen mit einem Zwei-Meter-Monster von Frau. Durfte er da nicht ein klein wenig übertrieben reagieren?

„Mach das. Wenn du weißt, wonach du suchst, helfe ich dir dabei“, erklärte sie freundlich.

Link nickte und entfernte sich von ihr. Er ging an den Grabreihen entlang, blieb vor einigen Gräbern stehen …

Was er dort wohl suchte?

Die Begleiterin drehte sich dann unvermittelt um und schaute in seine Richtung. Sie lächelte.

Es kam ihm vor, als würde sie ihn direkt anstarren …

Ein Schauder lief über seinen Rücken. Was war das für ein Wesen … was für ein Dämon?

Es musste aus tiefster Dunkelheit, aus dem reinsten Schatten stammen!

Er wich ein wenig zurück.

Sie schüttelte amüsiert den Kopf und wandte sich dann wieder von ihm ab.

Würde sie Link etwas dazu sagen?

Dazu, dass Taro sich vor seiner eigenen Kampfansage zurückzog?

Und … warum war sie überhaupt in Links Begleitung?

Sie war doch eine Frau! Aber Link … Link war doch in Betty verliebt, oder? Stimmte seine Verführungstheorie also? Oder …

… Dieser Idiot – er konnte sich also wirklich jede Frau an den Nagel reißen – sogar Dämonen! Wieso aber nahm er eine Dämonin, wo er doch Betty haben konnte …?

Plötzlich ging Link zu Boden.

Taro blieb schweigend zurück, während die Frau langsam zu Link schritt.
 


 

Shan starrte auf den Grabstein. „Was steht denn da?“

Link kniete vor dem Grabstein und hielt sich mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht den Kopf. Er wirkte, als müsste er platzen. Irgendetwas wollte aus ihm heraus. Irgendetwas … Wichtiges! Doch es konnte nicht! Es war weggesperrt. Aber er konnte ihm nicht helfen … Es war dort drinnen … Argh … Es pulsierte.

Sein Kopf wurde schwer. Schmerz gewann die Oberhand.

Er presste die Augen zusammen und biss die Zähne aufeinander.

„Bo … Boro …“, erklärte Link angestrengt.

„Sagt dir der Name etwas?“

Er schüttelte den Kopf.

„Versuche es gar nicht“, meinte sie, „Lass die Erinnerung dort, wo sie hingehört. Bedecke sie, wie sonst auch immer. Midna hat dir bestimmt einmal irgendetwas Lustiges gesagt. Denke daran und lache darüber.“

Midna … Das verschwommene Bild ihrer wahren Gestalt tauchte wieder vor ihm auf … und wurde sofort von einer Erinnerung an Shans Gesicht ersetzt. Was hatte Midna denn ihrer Zeit gesagt? Was …?

„Man … sieht sich …“, wiederholte Link laut – unbeabsichtigt.

„Ja, man sieht sich … Typisch“, kommentierte Shan lächelnd, „Aber das ist wohl weniger lustig. Sonst hättest du gelacht.“

Er durchforstete unwillkürlich seinen Kopf nach Erinnerungen mit Midna.

Und es kamen mehr und mehr zusammen.

Unvermittelt stoppte sein Kopfschmerz.

„Danke“, meinte er und richtete sich gleich wieder auf.

„Bitte, keine Ursache. Ich kann mir vorstellen, dass so etwas wirklich schmerzt. Zum Glück würde ich es nicht bemerken, wenn mir etwas fehlen würde. Doch das ist hoffentlich nicht der Fall.“

„Du kannst von Glück reden …“, erwiderte Link und schüttelte den Kopf – in der Hoffnung, es würde sämtliche Gedanken an diese Anfälle aus seinem Gedächtnis blasen.

„Bist du bereit, diese Kopfschmerzen noch einmal herauszufordern?“, fragte Shan danach ernst. Ihr Blick blieb am Grabstein haften.

Irgendetwas in Link – vermutlich gesunder Menschenverstand – wollte sich dagegen weigern, noch einmal diesen Schmerz zu erleiden. Doch sein Pflichtgefühl, Gewissen und seine natürliche Neugierde überwogen. „Ja.“

„Wer ist Boro?“

Wie erwartet, kehrte der Schmerz beim Nennen dieses Namens zurück.

Doch er versuchte, ihn mit Reden zu überschatten. „Vermutlich ein Toter …“

„Hahaha“, machte Shan unbeeindruckt, „Gibt es noch mehr dazu? Ein Bild … ein … Stichwort? Wie Gorone zum Beispiel. Das war ja im Dorf. Vielleicht hängt es zusammen? Ist schließlich beides in Ordon …“

Er schüttelte den Kopf. „Leider nichts … Nur Schatten … und Kopfweh.“

„Gibt es eigentlich einen anderen Weg vom Friedhof ins Dorf?“, wollte Shan wissen.

Link sah sie verwirrt an. Warum der Themenwechsel? „Ja.“

„Dann nehmen wir jetzt diesen“, schlug sie vor, „Und gehen zu diesem Haus.“

„Ach ja?“

„Und vor diesem Haus wirst du den Namen ‚Boro’ laut und deutlich aussprechen.“

Er nickte. „Und warum?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Wir werden sehen, was es bringt.“

Link lächelte.
 


 

Taro sah dem Spektakel zu. Allerdings hörte er kaum etwas von dem Gespräch, das die beiden führten. Aber das war auch nebensächlich. Er musste wissen, was dort war. Was Link so erschreckt hatte!

Link und die andere brachen auf. Aber in eine andere Richtung. Zum anderen Ausgang des Friedhofs. Warum?

Er musste sich beeilen und ihnen nachhechten!

Nachdem er sich versichert hatte, dass die beiden das Tor zum Friedhof passiert hatten, schlich er sich zu diesem Stein. Der Grabstein war mit ein paar Kerzen geschmückt. Die waren aber alle erloschen und halb verbraucht. Als hätte sie jemand ein paar Mal angezündet und danach vergessen.

Aber …

Taro sah sich am Friedhof um.

Sonst standen nirgendwo Kerzen.

Als er genauer hinsah, erkannte er Blumen, die halb verwelkt waren. Auf anderen Gräbern waren schon lange keine Blumen mehr.

Nicht einmal auf den Gräbern von Links Eltern. Aber auf dem …

Er las den sauber eingravierten Namen.

„Boro …“, murmelte er vor sich hin.

Und plötzlich erkannte er etwas.

„Wer … wer ist das …?!“, fragte er sich laut und erschrocken.

Sollte er um diese Zeit wirklich Moe noch wecken?

Oder Link nachlaufen und ihre Fehde für kurze Zeit vergessen?

Taro erkannte diese Handschrift.

Es war die Moes. Er kannte die Schrift des Bürgermeisters. Und er wusste, dass dieser Stein und Holz gut bearbeiten konnte …

„Boro“ konnte also noch gar nicht so alt sein …!

Aber Taro kannte ihn nicht. Und er war bereits fünfzehn Jahre alt.

Was konnte dies bedeuten?

Er entschied sich.

Link würde diese Information wahrscheinlich gut gebrauchen können!

Er rannte los.

Dann fiel ihm die Dämonin wieder ein.

Erneut ging es ihm kalt den Rücken hinunter. Er durfte keine Angst zeigen!

Auch nicht vor einer Frau, die doppelt so groß wie er selbst war!

Na gut, nur fast so groß.

Er lief weiter – und bemerkte, dass er die Verschwörungstheorie beiseitegelegt hatte.
 


 

Shan seufzte.

„Wir hätten uns den längeren Weg sparen können“, murrte sie.

„Du wolltest ihn nehmen“, erinnerte Link sie feixend.

„Ich weiß. Ich dachte, es brächte sich etwas. Scheinbar habe ich mich geirrt.“

Es schaute konfus. „… Was sollte sich das bringen?“

„Ein Spaziergang im Mondlicht“, antwortete sie trocken, „Nein, wir haben wieder unseren Verfolger am Hals … Und ich dachte, mein strahlendes Lächeln würde ihn heulend zurück ins Bett schicken. So kann man sich irren.“

Link schaute zurück. Er sah nichts. Er hörte nichts. „Verfolger?“

„Der kleine Kerl, der dich umbringen möchte, läuft uns nach. Er versteckt sich gerade hinter dem Stein da drüben. Ich glaube, er hat doch Angst vor mir … oder irgendetwas mit Angst-vor-Ehrverletzung. Eines von beiden. Du könntest rüber gehen und ihn fragen. Ich warte derweil hier.“

Meinte sie etwa Taro?

Was sollte Taro hier wollen? Hatte er wirklich auf ihn gelauert?

War es Taro wirklich ernst mit dem Kampf?

Warum forderte er ihn dann nicht ein? Was trieb ihn dazu, ihm nachzuspionieren?

„Taro, bist du da?“, wollte er wissen.

Keine Antwort.

„Kann es sein, dass du dir das nur eingebildet …“, hinter ihm ertönten Schritte.

Der Junge stand dort und funkelte ihn fest und entschieden an.

Trotz der Dunkelheit konnte Link den entschlossenen Blick Taros erkennen.

„Link!“, rief er, „Für das Wohl unserer Welt, die Betty beinhaltet, werde ich dir vorschlagen unsere Fehde bis zum vorübergegangen Informationsaustausch unbeachtet zu lassen! Wenn du dich danach nicht fort begibst, bleibt mir nur noch, dich zu töten.“

„Was für Informationen?“, fragte Link – er ignorierte den Rest gekonnt.

„Boro! Das Grab, vor dem du gestanden hast …!“, begann er.

Wie lange hatte Taro ihn schon beobachtet? Seit er das Dorf betreten hatte …?

„… Dieses Grab wurde von Moe gemacht! Diese Handschrift gehört ihm. Er hat diesen Stein gemacht.“

„Und?“

„Es kann noch gar nicht allzu lange her sein! Der Stein war nicht sehr abgenutzt, er war sogar noch richtig sauber und ordentlich geschliffen! Es war, als hätte sich jemand lange gut um ihn gekümmert! Es kann noch keine zehn Jahre her sein, dass dieser Boro begraben worden ist. Also müssten wir ihn beide noch kennen.“

Link erinnerte sich an den gut erhaltenen Stein zurück. Er hatte recht … Boro hätte noch während Links Lebzeiten da sein müssen … Aber … er konnte sich an keinen Mann mit diesem Namen erinnern …

Da pochte seine Erinnerung erneut gegen seinen Kopf und markierte so ihre immerwährende Anwesenheit.

„Ich werde dir helfen. Ich forsche darüber nach, wer Boro ist. Du gehst und rettest die Welt!“, befahl Taro, „Und in ein paar Wochen wirst du zurückkehren, unsere Fehde wird erneut aufgehoben, ich werde dir alles darüber erzählen, was ich herausgefunden habe!“

„Warum? Warum hilfst du mir plötzlich?“

„Weil ich Betty nicht verlieren möchte!“, antwortete er, „Und weil es mich ebenso interessiert und angeht, dass unsere Welt der Zerstörung nahe ist.“

Link lächelte den Jungen an. „Danke.“

„Link, hast du überhaupt schon ein Ziel?“, fragte Shan.

„Ich werde deinem Plan folgen und zurück zum leer stehenden Haus gehen.“

„Das leer stehende Haus?“, wiederholte Taro, „Was willst du dort? Es ist leer.“

„Ja, aber wieso?“

„Na, weil es ein Geisterhaus ist!“

„Oder Boro hat dort gelebt … bis von vor zehn Jahren … und jemand hat immer hinter ihm aufgeräumt …“, murmelte Link, „Wir müssen herausfinden, wer es war …“

Shan nickte.

„Schön, kleiner Junge, dann geh jetzt zurück in dein Bett. Und richte bitte allen aus, dass Link wieder abgereist ist und … bitte vergiss, dass ich dabei gewesen bin.“

„Ich hatte nie vor, das Dorf damit zu beunruhigen, dass Link Pakte mit Dämonen schließt! Aber wenn ich bemerke, dass er durchdreht, werde ich euch beide auslöschen! Nicht nur ihn.“

Shan lachte schallend. „Wie süß.“

„Gut, Taro, aber sie hat recht … Geh zurück. Deine Eltern sorgen sich bestimmt schon.“

Er bemerkte, dass Taro sich wegdrehte. „Ich werde über Boro Nachforschungen anstellen. Also wehe du kommst nicht zurück. Verstanden?“

Link lächelte erneut. „Danke, Taro, wirklich.“

Er hob die Hand zum Abschied. „Passt auf euch auf. Ich werde derjenige sein, der das Leben aus dir herausschneidet, also verliere ja nicht gegen irgendwelche Monster!“

Darauf antwortete Link nicht mehr.

Er ging weiter.

Den langen Weg bis zum Haus, das noch immer nicht bewohnt war.
 


 

„Folgt er uns?“, wollte Link, unauffällig nach hinten schauend, von Shan wissen.

Sie schüttelte den Kopf und unterstrich die Geste mit einem sicheren „Nein“.

Sie erreichten das bequem wirkende Haus. Link schaute es an.

Der Schmerz in seinem Kopf sang laut auf, als er auf das Haus starrte.

Es war, als würde irgendetwas gegen Eisgitter schlagen, die seinen Kopf dadurch lähmten.

Diese Geräusche klirrten laut.

Doch er war der Einzige, der sie hören konnte.

Zumindest machte Shan keine Andeutungen, dass sie dieses unsägliche Klirren störte.

„Boro …“, sagte Link.

Nichts geschah.

Weder kehrte die Erinnerung zurück, noch hörte dieses Geklopfe auf, noch kam irgendein Geist hervor und half ihm.

„Und?“

Nun musste er den Kopf schütteln. „Nichts …“

„Hat wohl doch nicht funktioniert“, murrte sie, „Na schön, alles umsonst …“

Er fasste sich an seinen Kopf. „Na gut … sie reagiert ziemlich auf dieses Haus … als würde sie unbedingt dort hinein wollen …“

„Gehen wir rein?“, fragte sich Shan und schritt auf die Tür zu.

Link folgte ihr in einigem Abstand.

„… Ziemlich geräumig“, kommentierte sie, „Ihr seid euch sicher, dass hier keiner wohnt?“

„Theoretisch, ja. Praktisch … nicht alle.“

Sie nickte verstehend. „Na ja … es wirkt irgendwie nicht leer …“

Da erinnerte sich Link an eine Treppe, die nach oben führte. Als er sich umsah, erklomm er sie. Er kam in einem Schlafzimmer an.

Plötzlich schien sein Kopf zu explodieren.

Ein lauter Knall ließ ihn zurückzucken.

Er schritt verzweifelt zurück, ohne sich umzudrehen. Er bemerkte, dass er gegen etwas gelaufen war.

Shan hielt ihn fest. „Hey … alles klar bei dir?“, fragte sie besorgt.

Er lehnte sich an sie und hielt sich instinktiv an ihren Arme fest.

Vielleicht drückte er zu fest zu, vielleicht auch nicht.

Es war ihm nicht mehr möglich, dies einzuschätzen.

Seine Augen drückte er vor Schmerzen zu. Er biss die Zähne zusammen. Er musste stark sein.

Stark.

So starke Qualen … aber die Torturen … sie brachten etwas …

Die Erinnerung …

Da stand jemand … jemand in weiter Entfernung …

Link saß auf Epona.

Und dort … dort stand …

Dunkelheit.
 


 

Zu finden und zu nehmen.

Zu nehmen und zu benutzen.

Zu benutzen und zu bewirken.

Die Hoffnung, dass es wirkt, lag ganz bei mir.
 

Unterbrechung

Konnte eine Blume im Schatten erblühen?

Es kam doch ganz auf den Schatten an.

Eine Blume, die im Schatten einer anderen stand …

diese Blume würde zum Schatten selbst werden müssen,

um jemals Licht zu empfangen.

Doch gab es im Licht Schatten?
 

„Retro!“, ertönte eine Stimme hinter ihr.

Sie seufzte.

Das Schiff wippte auf den Wellen hin und her, weshalb sie ein wenig taumelte, als sie auf den Sprecher zuging.

Nach weniger als zwanzig Tagen war eben nicht einmal sie schon in der Lage, sich auf einem solch klapprigen, alten Schiff einwandfrei zu bewegen!

Aber das würde schon noch kommen.

Hoffentlich.

„Was ist los, Matrose?“, wollte sie wissen, als sie vor ihm zum Stillstand gekommen war.

Der Mann, mit dem sie sprach, hörte auf den Namen Orient. Er war um einiges größer als sie, ziemlich muskulöser und konnte nur halb so gut sehen, weil ihm klischeehaft ein Auge fehlte, was er mit einer Augenklappe kaschierte, deren Halterung über sein Gesicht gebunden war.

Darüber hatte sie schon gelesen. Auch die Leute in Marine hatten darüber geredet.

Und darüber, dass Piraten oft ein Fuß fehlte.

Das war auf der Vollmond aber nicht der Fall. Hier waren nur Zweibeiner.

Und eine Ziege, sowie ein Pferd. Richtig, Cavallya war auch hier. Der Ziegenwart kümmerte sich auch um sie.

Es war wirklich freundlich, dass sie sie aufgenommen haben ... Wo sie doch versprechen mussten, sie nicht zu essen. Aber soweit sie mitbekommen hatte, war die Ziege auch "Mitglied". Aber sie hatte noch keinen Namen.

„Okay, Retro, wir haben alles getan, was du verlangt hast.“

„Ihr habt also die Handelskette überfallen?“, stellte sie sicher.

Er nickte. „Wie du gesagt hast – die komplette Ladung versenkt, aber kein Mann verletzt.“

„Seht ihr, was habe ich euch gesagt? Es geht auch ohne Körperverletzung!“

„Nach fünfzehn Tagen mit dir als Pläneschmied sind wir erfolgreicher als nach zwei Jahren Klassik“, stellte der Mann fest.

„Achtung, Totgesagte leben länger. Ich bin mir sicher, er war nicht so schlecht …“, warnte sie ihn, „Und hör bitte endlich auf, mich Retro …“

„Jeder hier hat seinen Namen, Kleine. Das ist bei uns eben so. Und du wolltest hier mit, also hast du dich an unsere Regeln zu halten“, tadelte er sie forsch, „Nur weil du uns deinen Verstand leihst, brauchst du dir nicht einzubilden, etwas Besseres zu sein.“

Er hob seinen Arm und spannte ihn an. Seine Muskeln stachen beeindruckend – aber auch beängstigend – hervor.

Sie hob beschwichtigend die Hände. „Keine Sorge, Orient! Ich meinte ja nur …! Retro … klingt einfach schrecklich! Terra …“

„Sei froh, dass dir der Käpt’n so einen guten Namen gegeben hat. Ich heiße schließlich Orient!“

„Ich bin aber ein Mädchen!“

„Na ja, aber es ist bereits in aller Munde, dass die Vollmond jetzt endlich Erfolge erzielt! Und ich habe sogar einmal gehört, sie geben ‚Käpt’n Retro’ die Schuld daran! Du bist berühmt, Kleine!“

„… Wie bitte?!“

Sie starrte ihn ungläubig an.

Die Leute … die Leute redeten über sie? Sie sprachen über ihre genialen Raubzüge, die sie auf verschiedene Handelsketten ausübten, und … und sie betitelten sie sogar mit Käpt’n? Und das, obwohl sie nur ein einfacher Pirat war?

„Ja, haha! Kannst dir vorstellen, dass es dem richtigen Käpt’n nicht ganz so in den Kram passt, hm? Na ja. Darum bin ich hier. Er will mit dir über deinen Gewinn reden.“

Sie schaute den Mann schockiert an.

Dann ließ sie den Blick durch ihre Kajüte wandern. Das Schiff war groß genug, dass jeder seinen eigenen Raum erhielt. Man musste ihn nur mit der Beute teilen. Und die war in letzter Zeit ja groß genug.

Die Männer waren jetzt wieder gut organisiert und konnten ihre Raubzüge vollbringen.

… Nicht, dass Terra das von Anfang an geplant hätte.

Ja … es war sogar reichlich schief gegangen. Alles, was sie geplant hatte.

Sie seufzte.

Der Kapitän würde sehr wütend auf sie sein. Schließlich war es sein Schiff.

Er sollte für die Erfolge verantwortlich gemacht werden – nicht sie, der Neuzugang, der den Boden schrubben müsste.

Ach ja, ihre große Klappe …

„Bleibst du auch drin?“, fragte sie ihn hoffnungsvoll. Sie wollte dem Kapitän nicht alleine gegenüber treten …

Orient zuckte mit den Schultern. „Wenn ich darf, bleibe ich“, rang er sich dann ab.

Sie lächelte ihn dankbar an.

Er machte auf der Stelle kehrt und verließ den Raum.

Sehnsüchtig schaute sie auf ihren Schreibtisch, an dem sie gearbeitet hatte, bevor der Matrose hereinkam. Sie hatte einige Karten studiert, um einen neuen Raub zu planen. Beziehungsweise … Schiff-Versenken zu spielen.

Sie ging dem Mann nach.

Draußen sahen sie einige andere Arbeiter an. Sie putzten gerade das Deck. Wenige von ihnen schenkten ihr missbilligende Blicke, weil sie sich vor der „richtigen Arbeit“ wie Schrubben drückte, andere bemitleidende, weil sie ein Gespräch mit dem Kapitän hatte … und dritte wiederum ignorierten sie ganz einfach und arbeiteten stur weiter.

Aber … es war doch nicht ihr Fehler, dass sie einfach viel klüger als dieser Haufen war, oder?

Orient ging eine Treppe nach oben, sie folgte ihm brav. Die erste Tür danach war das Gemach des Kapitäns.

Der Mann klopfte an.

Terra erschauderte, als er daraufhin die Tür öffnete.

Er gewährte ihr den Vortritt.

Sie war dem Herrn des Schiffes bisher zweimal begegnet.

Das erste Mal, als sie angeheuert worden war.

Das zweite Mal hatte sie seine Hand gesehen, als er den Matrosen Klassik aus dem Fenster in der Kajüte des Käpt’ns geworfen hatte. Keiner hatte den Mann offiziell gerettet.

Später hatte sie erfahren, dass Herzchen, das einzige andere weibliche Mitglied der Gruppe, ein Fass, gefüllt mit kostbaren Wein, hinterher geworfen hatte. Mit dem Fass konnte er durch das warme Meer treiben. Und an einer Insel konnte er den Wein trinken. Dem Chef war nicht aufgefallen, dass ein Fass fehlte.

Dies war vor zwei Tagen. Offiziell galt er als tot.

Der Mann wurde herausgeschmissen, weil er bei einem Raubzug unnütz war, so berichtete man ihr. Er war der zweithöchste an Bord gewesen und machte trotzdem bei den Überfällen mit. Er gab die Befehle. Scheinbar schlechte Befehle.

Sie hatte wohl Glück, nicht direkt bei den Handgreiflichkeiten mitmachen zu müssen, sondern sich ganz einfach zurücklehnen und zusehen konnte.

Sie hoffte, falls sie Klassik folgen musste, würde auch jemand Mitleid haben und ihr etwas zum Trinken oder Essen nachwerfen. Oder sie einfach retten.

„Tritt ein“, riet Orient ihr, als sie sich noch immer keinen Schritt in die Kabine bewegt hatte.

Sie gehorchte ihm und fühlte die Anspannung. Ihr Körper war steif, und hätte sie jetzt etwas erschreckt, wäre sie losgelaufen und vermutlich erst in Hyrule wieder zum Stillstand gekommen. Ja, sie war ziemlich nervös.

Erst einmal hatte sie mit Kapitän Azur gesprochen. Und damals hatte sie nichts von seiner Stellung gewusst. Ihr war nur klar, dass er ein Schiff mit dem Namen „Vollmond“ hatte. Und dass es die einzige Möglichkeit für sie war, ein Schiff zu bekommen, ohne dafür einen Monat warten zu müssen.

Wer hätte diese Chance nicht ergriffen?

Leider hatte sie zu spät bemerkt, dass sie vor einer Schneiderei stand und der Kapitän gerade die Piratenflagge aus der Reparatur holte. Warum auch immer das der Kapitän persönlich tat …

Bis sie das überrissen hatte, war sie bereits Mitglied. Mitglied Retro.

Ihr hätte bereits auffallen müssen, dass etwas Seltsames vor sich ging, als sie den Namen erhalten hatte. Sie stellte sich unter „Terra“ vor und als Antwort … bekam sie „Dann bist du von nun an Retro.“

Erst als sie die Leute damit angesprochen hatten, verstand sie, dass das ein Name sein sollte.

Ein ziemlich seltsamer Name.

Sie hörte, dass die Tür hinter ihr zu fiel.

Orient blieb draußen.

… Feigling.

Sie bemerkte, dass ihr Körper zu beben anfing. Sie war alleine in der Kajüte des Kapitäns. Und das mit eben diesem. Weil er sie herbestellt hatte. Weil er vermutlich furchtbar wütend auf sie war.

Sie richtete ihren Blick auf den Boden.

… Wenigstens würde sie ihre Mutter wieder sehen.

„Du hast wirklich ausgesprochen gute Arbeit geleistet, Retro. Fünfzehn Tage an Bord, die meisten vertrauen dir und du entwickelst relativ geschickte Strategien.“

„Tja. Ich habe Euch doch gesagt, dass ich die Tochter eines Händlers bin …“

„Genau, das hast du“, gab er ihr Recht, „Aber den Namen …“

„… werde ich weiterhin nicht preisgeben“, beendete sie den Satz für ihn.

Dafür hätte sie sich ohrfeigen können.

Sie strich sich unbehaglich das Haar hinters Ohr.

„Wie du vielleicht bemerkt hast, war Klassik unzureichend für dieses Schiff.“

„Ihr habt ihn hinausgeworfen. Wortwörtlich.“

„Ja, das habe ich wohl“, stimmte er ihr zu, „Aber … ich habe auch über einen Nachfolger sinniert. Und da du sowieso schon überall als der große Kapitän der Vollmond angesehen wirst … entscheide ich mich kurzerhand für dich.“

Dies ließ sie aufhorchen und aufsehen.

Überrascht starrte sie den jungen Mann in seinem zerrissenen, blauen Mantel an. Seine meerblauen Augen trafen ihre. Er rang sich ein beglückwünschendes Lächeln ab. Seinen Kopf stützte er nachdenklich – oder gelangweilt? - auf eine Hand.

„Das … das …“, stotterte sie. Das kam überraschend.

Sehr überraschend.

Erst verschonte sie sich vor Körperarbeit. Dann feilte sie einfache Pläne aus. Jetzt wurde sie befördert? … Und das alles in fünfzehn Tagen? Sie hatte wohl ein … Talent für die Piraterie.

Nein, das war überhaupt nicht beruhigend und auch nichts, was sie sich irgendwie erträumte.

Sie wollte nur mit den Möwen über das Meer segeln, den Wind und den Wellengang genießen und der Freiheit nahe sein … und ein eigenes Schiff.

Eine große Welle schien das Schiff zu treffen, da es stark auf eine Seite wippte.

Sie versuchte, die Veränderung auszugleichen, doch ihr Schock und ihre Nervosität verhinderten dies gekonnt. Sie tänzelte auf die Seite, auf die das Schiff fiel und stolperte schlussendlich.

Das entlockte dem Mann mit dem rabenschwarzen, strubbeligen Haar ein leises, heiteres Lachen.

Sie errötete.

„Sollte ich nicht zuerst auf eigenen Beinen zu stehen versuchen?“, fragte sie, um wenigstens etwas aus der Situation zu machen. Danach erhob sie sich wieder und versuchte, ruhig zu atmen – was ihr ausgesprochen gut gelang. Der Sturz brachte etwas mit sich!

„Ich sehe dir gerne beim Lernen zu“, gestand er schmunzelnd.

Überraschenderweise erhob er sich.

Eine große Landkarte befand sich hinter seinem Platz an der Wand. Er wandte sich dieser zu.

Schweigend studierte er sie.

„Wir segeln derzeit Richtung Zorasien“, erklärte er ihr, „Das liegt ziemlich nahe am Land Hyrule.“

… Ach tat es das?

„Ihr kennt Hyrule?“, wunderte sie sich stattdessen.

Er nickte. „Ja.“

… Eigentlich hatte sie eine Erklärung erwartet. Sie hatte sich in diesen fünfzehn Tagen Zeit genommen, die Mannschaft oberflächlich kennen zu lernen. Decknamen, Geburtsstädte, … Eben oberflächliche Daten, die einem nichts sagten. Sie wollte schließlich nicht zu sehr nachstochern, da ihr gesunder Menschenverstand sie anfangs gewarnt hatte, dass sie mit Piraten zu tun hatte und sich ihnen nicht nähern sollte. Aber nach zwei Tagen der Einsamkeit hatte sie beschlossen, ein klein wenig weltoffener zu werden. Darum hatte sie angefangen, mit Herzchen zu reden. Diese stellte sich als ziemlich nett heraus. Die beiden begannen miteinander zu quatschen … und dabei fiel auch Hyrule als Thema an. Herzchen stammte von einem anderen Ende der Welt, weshalb ihr dieses Land nichts sagte. Auch Orient und Klassik kannten es nicht. Am ganzen Schiff waren eigentlich nur Terra selbst und Robo die beiden, die mit dem Ort etwas anfangen konnten.

Und scheinbar auch Kapitän Azur.

„Was sind hier für Händler unterwegs?“, fragte er sie, womit er sie auch aus ihren Gedanken riss.

Sie überwand sich und trat an seine Seite. Sie schaute die Karte an.

Und vor ihrem geistigen Auge erschien eine der Handelskarten, die ihr Vater ihr sooft gezeigt hatte. Und die sie sooft gesehen und verstanden hatte.

Hier waren auch Schiffe ihres Vaters unterwegs.

An diesen lotste sie die Piraten immer vorbei.

Gut, sie war nicht sehr begeistert von ihrer Familie, aber sie war trotzdem noch ein Teil davon. Auch war sie seit zwei Wochen Teil dieser Piraten, was aber kein Anlass dazu war, das eigene Blut zu verraten.

Sie half ihrer Familie, indem sie Konkurrenz ausschaltete und ihnen somit freie Bahn bot.

„Hier handeln überwiegend Lebensmittelhändler und Leute, die Zoraprodukte kaufen“, erklärte sie, „Zu dieser Jahreszeit sind hier …“

Sie dachte kurz nach. Die Flagge der Händler erschien vor ihr, doch sie konnte sich einfach nicht an den Namen erinnern.

„Lass dir Zeit“, gestattete er ihr, „Wir sind länger am Weg. Du hast Zeit zum Nachdenken, Retro.“

„Danke …“, murmelte sie.

„Solange du dir keine Fehlschläge wie Klassik leistest, hast du alle Zeit der Welt.“

„Was … was genau … war sein Fehlverhalten?“

„… Keine Gerüchte im Umlauf?“

„Er hat sich zu wenig angestrengt. Aber … er war doch ein guter Assistent und ein freundlicher Mann. Deshalb wirft man ihn doch nicht aus dem Fenster.“

Azur sah sie interessiert an.

… Und plötzlich wurde ihr etwas klar: Er hatte keine meerblauen Augen, sondern azurblaue.

… Ihr stellte sich wie schon sooft in diesen Tagen die Frage, wie er auf die seltsamen Namen kam. Sie als schlaues Mädchen war natürlich bereits auf die Idee gekommen, dass es Anagramme sein konnten – oder zumindest ähnliches. Retro und Terra waren sich nämlich erstaunlich ähnlich.

Aber … sie konnte es nicht bestätigen, da sich alle weigerten, ihr ihre richtigen Namen zu verraten.

„Bemerkenswert. Du bist wahrlich die Tochter eines gerissenen Mannes. So leicht lässt du dir keinen Unfug aufbinden. Und dennoch trittst du einer Gruppe Piraten bei?“

„Tja … scheinbar bin ich doch nicht so schlau, wie Ihr denkt.“

Ein belustigtes „Hm“ entrann seiner Kehle. „Wir werden sehen, ob du es verdienst, schlau genannt zu werden“, prophezeite er, „Du darfst jetzt gehen, Retro. Es wartet Arbeit auf dich.“

„Danke, Käpt’n!“ Sie verbeugte sich hastig und verließ die Kabine.

Als sie die Tür öffnete, starrten sie vielen Augenpaaren entgegen. Und alle waren verdächtig nahe an der Tür. Und verhielten sich auch sehr auffällig.

„Gelauscht?“, vermutete sie.

Einige wandten beschämt den Blick ab, während andere sich verärgert murmelnd wegdrehten.

Sie lächelte.

Dann ging sie wieder zu ihrem Raum. Hinter sich hörte sie die hallenden Schritte von Schuhen mit hohem Absatz. Als sie sich umdrehte, stand die blonde Herzchen dort und sah sie bedrückt an.

„Du ersetzt jetzt Klassik?“, stellte sie unsicher fest.

Sie nickte.

„Dann bist du jetzt also höherrangiger als alle hier …“

„Das führt eine Beförderung mit sich“, meinte Terra, „Aber … ihr könnt mich trotzdem weiterhin nicht beachten oder eben beachten. Wie gehabt. Ich fresse euch nicht. Und meine Arbeit hat sich nicht geändert.“

„Na gut, Retro“, meinte die Frau.

Sie war groß, schlank und schön. Auch wenn sie zerzaustes Haar hatte und Dreck im Gesicht, strahlte sie eine gewisse Anmut aus und dies erwies sich als ziemlich praktisch für sie. Manchmal nahm ihr einer die Arbeit ab.

Außerdem war sie nett und freundlich. Für jeden da.

Einfach perfekt.

Link hätte sie sicher gern gehabt …

Link …

Seit sie in See gestochen war, hatte sie Gedanken über ihn verdrängt, abgebrochen, ignoriert …

Sie bemerkte, dass ihre Wangen zu glühen anfingen.

… Ihr Abschied war so peinlich gewesen.

Sie klatschte sich die Hand gegen die Stirn. Wie konnte sie nur …?

Es gab für ihn doch gar keinen Grund, ihre Gefühle zu erwidern. Wieso hatte sie sie ihm dann offenbart? Es war doch … einfach lächerlich. Einfältig. Töricht.

Ein Seufzen entrann ihrer Kehle.

Sie sollte wirklich nicht über Link nachdenken.

Das brachte nur Kopfschmerzen.

Unnötige Kopfschmerzen, verbunden mit einem Gefühl der Sehnsucht und dem Verlangen, an Land zurückzukehren, Link zu suchen, ihn zu umarmen und … und …

Und was?

Wollte sie etwa, dass er die Umarmung erwiderte?

Was hätte Link von einer kleinen, verwöhnten Möchte-gern-Kapitänin gewollt?

Gar nichts. Er hatte doch … Shan …

Es war gut so, wie es sich ergeben hatte. Sie war weit weg von ihm.

Konnte ihn so vergessen. Würde ihn vermutlich nie wieder sehen.

Konnte sich neu verlieben, ein neues Glück finden, weit weg von Hyrule und seinen Gefahren …

Gefahren, mit denen sie Link alleine gelassen hatte.

Diese Monster … die Bedrohung durch Ganondorf …

Aber wie hätte sie Link beistehen können?

Sie war nur eine Last.

Jetzt, weit entfernt von ihm, war sie kein Klotz am Bein mehr. Jetzt konnte sie jemanden helfen, Link konnte die Welt retten – alle konnten zufrieden sein.

Außer Terras kleines, gebrochenes Herz.

„Retro?“, riss Herzchen sie aus den Gedanken.

Sie schaute erschrocken auf.

„Alles in Ordnung? Du bist plötzlich so rot und … Moment! Du hast doch nicht etwa ein Auge auf Kä- …?!“

„Ach was!“, unterbrach sie die Frau schrill, schnell und laut, „Was redest du denn da?! Es ist …! Es ist nur …! Also!“, stotterte sie.

Die andere kicherte. „Ach, Mädchen, du bist noch so jung“, säuselte Herzchen und grinste bis über beide Ohren.

„Als wärst du viel älter als ich. Und … Es stimmt nicht. Mein Herz hat bereits ein anderer erobert.“

Nun schaute sie überrascht drein, aber zugleich auch neugierig. Die etwas größere Frau ging ein wenig in die Knie, um ungefähr gleich auf mit Terra zu sein. „Jetzt bin ich aber interessiert. Ich liebe solche Geschichten. Wieso bist du dann hier bei uns unterwegs, wenn es jemanden für dich gibt?“

„Weil es mein Traum ist. Und … und er mag mich nicht so wie ich ihn. Ich hätte unsere Beziehung ruiniert, wäre ich bei ihm geblieben. Also – zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zwei Schiffe mit einer Kugel versenkt. Wie auch immer.“

Das Gesicht der Blondine nahm einen betroffnen, mitfühlenden Zug an. „Wie schrecklich … Und dann stürzt du dich gleich auf eine Horde stinkender Meuterer?“

„… ‚Stürzen’?“, wiederholte Terra missgelaunt.

Sie wusste nicht, weshalb sie plötzlich ein Stimmungstief hatte. Lag vermutlich an ihrer Erkenntnis, dass die Lage, in der sie sich befand, nicht schlecht war. … Ein ziemlich seltsamer Grund, schlecht gelaunt zu sein. Ironisch.

„… Na gut, ‚anschließen’ trifft es vermutlich besser. Tut mir leid …“, entschuldigte sie sich und sah betreten zur Seite, „Aber deine Geschichte … sie berührt mich. Sie erinnert mich an ein Buch, das ich einst einmal gelesen habe …“

„Du kannst lesen?“, wunderte sich Terra. Auf diesem Schiff konnte bestimmt kaum einer lesen. Es waren schließlich Piraten. Also ungebildete Leute, die kriminelle Dinge taten.

… Na gut, sie war auch ein Pirat. … Konnte es etwa sein, dass die Leute hier gar nicht so dumm waren, wie sie gedacht hatte? … Darüber hätte sie sich in den zwei Wochen auch informieren können. Anstatt nur auf Vorurteile zu hören …

Wer war jetzt die Dumme?

„… Natürlich. Denkst du etwa, ich sei eine arme Schnorrerin, die sich aufgrund von Unwissen und zu wenig Bildung einfach nur der erstbesten Bande angeschlossen hat, die sie gefunden hat?“

„… Ehrlich gesagt … ja …“, gab Terra leise zu und starrte betreten zu Boden. Wie dämlich …

Sie hatte sich in diesen zwei Wochen nie die Mühe gemacht, herauszufinden, was die Lebensgeschichte ihrer Kameraden war. Sie war eben zu beschäftigt damit, Routen zu planen. Ideen zu entwickeln. Ihre Aufgabe zu erfüllen.

Und sich über sich selbst Gedanken zu machen und sich die seltsamen Decknamen der Leute hier zu merken.

Außerdem hatte sie analysiert, wer sie denn jetzt leiden konnte und wer nicht. Man wollte sich schließlich nicht mit den falschen Leuten abgeben.

Herzchen lachte. „Blond, Frau und Pirat – gleichbedeutend mit Dummheit, was?“ Sie schaute amüsiert drein. „Wirklich, wirklich. Was am Festland so erzählt wird …“

„… Eigentlich nur Letzteres“, besserte sich Terra aus.

Die andere zog eine Augenbraue nach oben. „Und du bist?“

„Pirat“, gab Terra betreten zu, „Ja, ja, ich weiß, dämlich …“

Die Frau nickte.

Dies brachte Terra zum Lächeln.

„… Du solltest übrigens nicht zu laut sagen, dass du dich für klüger gehalten hast. Du hättest dich in diesen zwei Wochen aufmerksamer verhalten sollen. Dann wäre dir dieser Fehler nicht passiert, Kleine“, wies Herzchen sie barsch hin. Und mit diesen Worten ging sie ihres Weges.

Terra blieb stehen und schaute ihr nach.

… Sollte das etwa heißen, dass hier keiner so dumm war, wie sie gedacht hatte?

Dass sie von einem Haufen Gelehrten umgeben war und nichts bemerkt hatte?

Wieso waren sie dann Piraten geworden, wenn sie doch klug waren …

Sie hätten doch viel besser auf ein Schiff der Guten gepasst.

Kluge Leute wurden nämlich nicht böse.

… Es sei denn, sie waren verzweifelt oder ungeduldig.

Sie schritt weiter, bis sie ihre Kajüte erreichte.

Dabei ließ sie sich noch einmal Herzchens Worte durch den Kopf gehen.

War das Tadel? Eine Drohung? … Eine Warnung?

Oder einfach nur Worte?

Sie wusste es nicht.
 


 

Es dauert lange, alles zu finden.

Es würde wohl ein großes Fest geben,

wenn alles beisammen war.

Schließlich musste man große Mahlzeiten feiern.

Und große Mahlzeiten setzten viele Zutaten voraus.
 

Ungestellt


 

Zuletzt kommt es immer am gefährlichsten.

Dem Ende nahend, erkennt man, was man geleistet hat.

Und was man noch bis zum letztlichen Schluss leisten muss.
 


 

Link blinzelte als er erwachte.

Er blickte genau in die Sonne, weshalb er die Augen wieder kurz schloss.

Sein Kopf hämmerte wie wild und die Erinnerung meldete ihre Anwesenheit noch immer.

Doch es war aushaltbar.

Er versuchte, sich daran zu erinnern, wie er in sein Bett gekommen war … und was er zuvor getan hatte. Doch er schaffte es nicht. Seine Gedanken waren wirr, er musste sie erst ordnen …

Diese Erinnerung brachte alles durcheinander.

Er seufzte leise, richtete sich auf und stützte seinen Kopf mit einer Hand. Dann schüttelte er diesen - noch immer der Meinung, dass dies irgendetwas nützen würde.

Aber es erfüllte seinen Zweck einfach nicht.

Die Schmerzen blieben …

An Midna denken.

Das musste er jetzt.

Sie half ihm immer wieder gegen diese Pein.

Dafür musste er sich irgendwann bei ihr bedanken … Vermutlich würde sie deshalb verwirrt sein, schließlich wusste nicht, was sie für ihn tat, einfach indem sie ihm Erinnerungen bereitet hatte …

Ein weiteres Seufzen entfuhr ihm. Er fragte sich, ob diese Erinnerung, die nicht erreichbar war, auch mit Midna zu tun hatte …

„Bist du irgendwie deprimiert? Traurig? Verzweifelt?“, ertönte eine Stimme neben seinem Ruheort.

Er wandte Shan den Kopf zu.

„Guten Morgen, Sonnenschein!“, begrüßte sie ihn, „Was soll das lange Gesicht? Machst du jetzt schon Epona nach?“

Er lächelte. „Nein, keine Sorge“, antwortete er. Er ließ seinen Kopf los.

Shan drehte sich von ihm weg und ging zu einem Stuhl. Dort hob sie etwas auf, was sie gleich zu ihm brachte.

Eine Flasche Wasser.

„Oh“, machte er überrascht und nahm das Wasser entgegen. Er öffnete das Gefäß und legte den Deckel neben sich. Er nahm einen Schluck daraus. Er hatte wirklich Durst …

Das kühle Nass rann seine Kehle hinab und schenkte ihm ein wenig Kraft. „Vielen Dank …“

„Keine Ursache, Siebenschläfer“, gab Shan zurück.

Link entledigte sich der Flasche, indem er sie neben sich stellte, und sah Shan interessiert an. „Siebenschläfer? Wie lange …?“

„Sorge dich nicht, Link“, beruhigte sie ihn, „Es war nur … ein halber Tag … In etwa.“

„Was ist passiert …? Ich kann mich an kaum etwas erinnern … Es ist … dunkel …“

Sie deutete zum Fenster, durch welches man die Sonne noch immer fröhlich scheinen sehen hatte können. „Plötzlich erblindet? … Nein, keine Sorge, ich verstehe, was du meinst“, erklärte sie, „Also … wir waren in Ordon und dort war dieser kleine Junge, der sich mit dir um seine Freundin streiten will.“

Daraufhin blinzelte Link verwirrt. „Ach ja? Welcher- …“ Ein Bild zuckte vor seinen Augen auf. Taro. Plötzlich kehrte ein Schwall von Erlebnissen zurück. Taro, der Link eine Kampfansage machte, diese aber alsbald zurückzog, um … Um was?

Ein Grabstein.

„Genau, wir waren am Friedhof!“, erkannte er, „Und Taro hilft uns, herauszufinden, wer … wer Boro ist. Und … dann?“

„Dann sind wir in das ‚Geisterhaus’ gegangen. Und dort bist du umgekippt. Ich habe dich hergebracht. Seither hast du geschlafen. Eigentlich entspricht das nicht der Abmachung Taro gegenüber.“

„Stimmt, ich hätte das Dorf verlassen sollen …“, stellte Link nachdenklich fest.

„Dazu haben wir jetzt noch Zeit“, wies Shan ihn hin, „Hast du … eigentlich irgendetwas über dieses Haus herausgefunden? Über Boro? Oder die Goronen?“

Link dachte kurz nach.

Er starrte an die Decke. Hatte er etwas herausgefunden? War eine Erinnerung hochgekommen?

War in dieser Bewusstlosigkeit etwas passiert …?

Wenn ja … dann konnte er sich nicht entsinnen.

„Nicht, dass ich wüsste …“

„… Also ist unser einziger Anhaltspunkt der Gorone?“, stellte Shan fest.

Link nickte. „Dann sollte unser nächstes Ziel wohl Kakariko sein. Also fast den ganzen Weg zurück.“

Shan seufzte. „Meine Güte, hättest du dich nicht früher erinnern können?“, beschwerte sie sich lächelnd.

Er lächelte zurück. „Nein, leider“, sagte er dann und stand auf. Er sprang gelenkig von seinem Bett. „Wenigstens bin ich jetzt ausgeschlafen. Du auch?“

„So gut wie“, antwortete sie.

Link drehte sich noch einmal zu seinem Schlaflager um und nahm die Flasche. Er verschloss sie wieder und steckte sie in seinen Beutel, den Shan ihm wohl nicht abgenommen hatte.

Im Gegensatz zu seiner Mütze.

Er schaute sich um. „Wo ist sie?“

Nun lag es an Shan, konfus dreinzuschauen. „Wer?“

Er deutete auf seinen Kopf. „Meine Mütze.“

Sie antwortete nicht sofort. Sie schien nachzudenken. „Hattest du die auf als du umgefallen bist?“

„… Vermutlich?“

„Dann wird sie wahrscheinlich noch im Haus liegen. … Brauchst du sie unbedingt?“

… Brauchte er sie unbedingt?

Die Kappe verlieh ihm keine Kraft. Das Einzige, was sie gab, war Schutz vor der Witterung und Wärme. Also war sie nicht „unbedingt“ nötig. Aber er hätte sie trotzdem gerne wieder gehabt …

„Keine Antwort ist auch eine Antwort“, klärte sie ihn auf, „Ich hole sie schnell.“

„… Danke“, meinte er aufrichtig lächelnd.

Sie lächelte zurück.

Ein schwarzes Etwas bildete sich für einen kurzen Moment um Shan und verschluckte sie. Dann war sie fort.

Was war …?

Dann fiel ihm ein, dass sie diesen Ring besaß.

Er sah auf seinen Finger. … Vorgestern hatte er ihn noch getragen.

Dieser Ring hatte sich sehr mächtig angefühlt ... eine eigene, kleine Quelle der Macht ...

Wieso hatte er nicht bemerkt, dass er ihn nicht mehr trug?

Wann hatte Shan ihn überhaupt zurückgenommen? Er dachte kurz darüber nach. Hatte er ihn bei ihrem Weg nach Ordon überhaupt noch an?

Dann fiel ihm etwas ein.

Vermutlich hatte sie ihn damals gleich zurückgenommen, als er gegen den Baum geschleudert wurde. Von der Fee namens … Yurai. Er fragte sich, ob sie noch in den Hyrule-Feldern war. Er würde wieder an ihr vorbeikommen.

Dann musste er ihr klar machen, dass sie auf der gleichen Seite fochten. Er würde ihr helfen. Aus irgendeinem Grund musste sie von Mirai getrennt worden sein. Er würde sie zu dieser zurückbringen.

Denn er war sich sicher, dass dies irgendwie gegen Ganondorf helfen würde. Es war konnte kein Zufall sein, dass diese Fee verzweifelt nach ihrem Gegenstück suchte, und das in einer Zeit, in der erneut Gefahr drohte. Sie musste damit zu tun haben.

Und falls nicht … hatte er zumindest einer Fee geholfen.

Und Feen waren für gewöhnlich weise. Also konnte sie ihm bestimmt weiterhelfen.

Außerdem lag ihr Standort auf dem Weg nach Kakariko – zumindest auf einem der Wege zu diesem Ort. Wenn er sie überzeugt hatte, würde er sie mitnehmen.

Dann konnte er mehr über sie und Mirai herausfinden …

Es war seltsam, dass er sich ihr gegenüber so verpflichtet fühlte, zu helfen. Er konnte sich einreden, dass es daran lag, dass sie ihm vielleicht helfen konnte. Aber das war es nicht. Bei Terra war es schließlich auch nicht so, dass er sich viel davon erhofft hatte.

Natürlich, dadurch hatte er außerhalb von Hyrule nach Ganondorf suchen können, er hatte Marine inspiziert … und er hatte Yurai getroffen – ja, er war weiterhin der Meinung, dass es sich bei Yurai um diesen Schwan handelte.

Eine komplett weiße, verzweifelte Fee, die ihn angegriffen hatte, und ein ebenso weißer verzweifelter Schwan, den sie verfolgt hatten. Es musste Schicksal sein.

Zum Glück hatte er Terra getroffen.

… Er fragte sich, wie es ihr ging.

Was sie erlebte.

Ob sie sich ihren Traum erfüllen konnte …

Nein, noch nicht.

Schließlich wollte sie bei Vollmond losreisen.

Aber das hatte sie ja verpasst … Leider …

„Du stehst allen Ernstes noch an derselben Stelle?“, erklang eine amüsierte Stimme, „Und ich hatte schon Angst, dass du ohne mich abgereist wärst!“

Er drehte sich zu Shan um, die hinter ihm erschienen war. Sie hielt seine grüne Kappe in der Hand, welche sie ihm gleich darauf zuwarf. Er fing sie problemlos auf und fühlte den angenehmen Stoff, aus dem sie gemacht worden war, an seinen Fingern. Er mochte diese Mütze gerne … Und darum fand sie auch gleich ihren Weg auf seinen Kopf.

„Gehen wir?“

„Ich hole Proviant“, bot sich Link an und setzte bereits zum Losgehen an, als Shan den Kopf schüttelte.

„Schon erledigt. Ich habe deinen Essensvorrat etwas in die Mangel genommen. Und den Wald … Betonung auf Wald. Dein Essen kannst du selber essen.“

„… Vermutlich ist es nicht mehr das Frischeste, da hast du wohl recht …“, gab er widerwillig zu, „Aber es gereicht mir zur Ehre.“

Sie schmunzelte. „Bereits alles auf unserem mobilen Ross verladen“, fügte sie hinzu.

„Na dann … auf geht’s!“, posaunte er übermotiviert.

Er durchquerte sein Haus im Eiltempo und schritt nach draußen.

Das gleißende Sonnenlicht der Mittagssonne schien ihm entgegen.

Shan trat problemlos nach draußen. Sie sah zu Boden.

„… Als wir uns kennen gelernt haben, konntest du kaum in die Abendsonne blicken und jetzt gehst du stur durch die Mittagssonne“, stellte er erfreut fest, „Ziemlich beeindruckend.“

Sie blieb stehen und schaute ihn überrascht an. Dann legte sie den Kopf leicht schief und lächelte. Lächelte aufrichtig und dankbar. Ohne jeglichen Spott oder Hohn …

Dann drehte sie sich weg und marschierte auf Epona zu.

„Danke“, zeigte sie sich erkenntlich und verschwand im selben Moment im Schatten.

Sie würde wohl wieder herauskommen, wenn die Gefahr, auf Menschen zu treffen, abgenommen hatte. Shan war noch immer sehr darauf bedacht, nicht gesehen zu werden.

Aber wenn sie vor hatten, ihre Welt und die seine auf ewig getrennt zu halten … war es wohl wirklich besser, wenn du die wenigsten Menschen von Wesen wie ihr erfuhren.

… Aus seinem „Danke“ an Midna wurde wohl doch nichts …

Außer er richtete es Shan aus, bevor das Abenteuer mit ihr vorbei war … oder noch früher?

Wenn er Ganondorf aufgehalten hatte ... alles wieder seinen normalen Lauf nahm …

Dann würde er sich von Shan trennen müssen.

Wie er es auch schon bei Midna hatte durchstehen müssen.

„Ob sie noch eine dritte Schwester haben?“, murmelte er trocken.

Er wollte nicht wieder einen Abschied durchmachen.

Abschiede … waren traurig.

Wenigstens einmal wollte er die beiden nebeneinander sehen. Schließlich waren sie Schwestern. Und Geschwister gehörten zusammen.

„Shan … Wenn wir nach Kakariko gehen und die Fee noch immer in den Hyrule-Feldern ist … nehmen wir sie dann mit?“

Er erhielt keine Antwort vom Schatten, der hier sein sollte.

Vermutlich hatte sie nichts dagegen. Sie hatte kaum einmal irgendetwas einzuwenden.

Das war schön.

„Na dann, Epona, gehen wir, Kleine“, befahl er dem Pferd, als er direkt davor stand. Er strich ihm durch die Mähne und kletterte danach in den Sattel.

Als er bequem saß, gab er das Zeichen zum Losritt.

Und das Pferd startete durch.
 


 

Er nahm den direkten Weg durch den Wald von Phirone. Das bot sich schließlich an.

Shan überlegte sich, dass sie jetzt langsam hinaus kommen konnte. Sie musste zugeben, dass sie nicht völlig davon abgeneigt war, ihre Zeit eher mit Link draußen in der Sonne zu verbringen, als im dunklen Schatten eines Pferdes.

Und schon stand sie seitlich neben dem Pferd.

Sie sah Link an.

Sein entschlossener, aber auch nachdenklicher Gesichtsausdruck ließ sie vermuten, dass er sich über irgendetwas Sorgen machte. Aber es war nicht seine seltsame Erinnerung.

Denn sonst hätte er gequälter dreingeschaut.

Vielleicht dachte er über diese Fee nach, die ihn gegen einen Baum geschlagen hatte.

Wieso nur war er sich so sicher, dass diese Fee kein Feind wäre?

Was hatte sie ihm damals für eine Erinnerung geschickt, dass er so überzeugt davon sein konnte? … Egal.

Sie würde nicht fragen.

Sie würde es herausfinden.

„Hey, darf ich aufsteigen?“, fragte Shan ziemlich höflich, als Epona an ihr vorbeidonnerte. Das Pferd ignorierte sie eiskalt. Vermutlich war es besser so. Nutztiere taten am besten so, als seien sie die Einzigen, die einen bestimmten Zweck erfüllten.

„Huh?!“, gab Link von sich, brachte Epona zum Stillstand und sah zurück. „Shan! Natürlich.“

Sie ging die wenigen Schritte, die das Pferd bereits überbrückt hatte, und begab sich dann schwebend auf den Sattel.

Wie immer hielt sie sich dabei an Link fest, indem sie seine Hüfte mit den Armen umschloss.

Sonst würde sie fallen.

Und das war nicht Sinn und Zweck des „Reitens“.

„Hast du mich vorhin gehört?“, fragte Link und gab dem Pferd den Befehl, loszulaufen.

„Natürlich“, antwortete sie, „Für mich ist das kein Problem. Geh den Weg, den zu beschreiten du für richtig hältst.“

„Weise gesagt“, gab er scherzend zurück.

Sie lächelte. „Nicht frech werden, Freundchen.“

Dann schwieg er für eine Weile.

Shan sagte auch nichts. Was sollte sie auch groß sagen?

Sie wusste, was sie im Moment wissen wollte. Und zwar Links nächstes Ziel.

Ihr Blick streifte die Umgebung. Bäume, Bäume und noch mehr Bäume. Aber diese gaben einen erwünschten Schatten, der die Hitze der Sonne aufzuhalten vermochte.

Aber … sie empfand die Sonne keinesfalls als unangenehm.

Schon in dem Moment, in dem die Sonnenstrahlen sie zum allerersten Mal erreicht hatten, fühlte sie sich … wohl.

Obwohl es sehr, sehr schmerzhaft für ihren an Schatten gebundenen Körper war.

Jetzt war sie resistent gegen die Schmerzen, die das Licht verursachen sollte.

Mal sehen, wie viel Licht sie ertragen konnte, bevor ihr Körper wieder Schwäche zeigte.

„Shan …“, unterbrach Link ihre Gedanken.

„Ich lebe noch“, antwortete sie überzeugt.

„Hm“, machte er, „Keine Sorge, das ist mir bewusst … Du erdrückst mich ja fast!“

Diese Phrase ließ sie kurz die Augen aufreißen. „Oh, tut mir leid“, meinte sie und lockerte ihre Umarmung. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie so fest zudrückte.

Es war schön, dass Link es einfach so unverfroren sagen konnte.

„Aber das war es nicht, was ich dir mitteilen wollte“, fügte er hinzu, „… Ich habe eigentlich eine Bitte an dich …“

„Eine Bitte?“, wiederholte sie, „Immer raus damit, mein Bittsteller.“

Jetzt war sie gespannt.

„Könntest du … Also … sobald wir Ganondorf gemeinsam aufgehalten haben … Und wenn ich meine Erinnerungen wieder erlangt habe … Möchtest du mir dann einen Gefallen tun?“

Dieser Satz entlockte ihr ein Lächeln.

Sobald?

War er sich sicher, dass es ihm gelingen würde?

… Gut, es war ihm bereits einmal gelungen. Und sie hatte ihn kennen gelernt.

Er war nicht nur die Gestalt aus den Geschichten – unter anderem auch Midnas Geschichten.

Er war ein wahrhaftiger Held.

Er würde vielleicht sogar erneut eine Chance gegen Ganondorf haben.

Also war seine Annahme berechtigt, dass er es schaffen könnte.

„Kommt drauf an“, wich sie einer direkten Antwort aus.

„Willst du dich dann für mich bei Midna bedanken?“

„Warum machst … Ach ja …“, unterbrach sich Shan selbst.

Er würde nicht in ihre Welt kommen. Denn er hatte den Ring nicht, den sie selbst am Finger trug. Und zu zweit konnten sie nicht gehen.

Was für eine niedliche Bitte …

Sie lächelte erneut.

„Natürlich“, stimmte sie leichtfertig zu, „Wieso auch nicht?“

„Danke, Shan …“

Plötzlich hatte sie das seltsame Bedürfnis … das ihr fremde Bedürfnis … sich an Link zu lehnen. Vermutlich hatte es etwas damit zu tun, dass ihr Rücken auf diesem Ross noch steif wurde. Sie hätte schwören können, dass sie hier oben immer um ein paar Jahre alterte – zumindest ihr Körper.

Also legte sie ihren Kopf an Links Schulter ab.

Ihr Gesicht war jetzt in etwa neben Links Kopf.

Es war immer praktisch, größer als der Rest zu sein.

Danach schloss sie die Augen.

„Bist du eingeschlafen?“, fragte Link. Seine Stimme war ganz nah …

Sie öffnete ihre Augen wieder und sah Link aus dem Augenwinkel an. Er tat dasselbe.

Beide lächelten.

„Nein, keine Sorge. Aber du bist trotzdem eine bessere Kopfablage als mein Hals … Der hält das nicht lange aus … Wie lange reitest du das Pferd im Durchschnitt, wenn du die Welt gerade nicht rettest?“

„… Na ja, für meine Arbeit als Ziegenhirte sitze ich schon eine Zeit lang auf ihr … Aber das tue ich schon so lange, dass es mir nichts mehr tut. Ich beneide dich ja, dass du noch nicht zerfallen bist … Ich erinnere mich noch daran, wie Betty gejammert hat, als ich ihr vor ein paar Jahren das Reiten beibringen wollte …“

„Weißt du … es wundert mich nicht ein bisschen, dass sie übertrieben gejammert hat“, murmelte sie.

Er lachte leise in sich hinein. „Komm schon, so schlimm ist sie nicht …“

„Sagst du das jetzt, weil du nett bist, weil du naiv bist oder weil sie in dich verliebt ist?“

Daraufhin schwieg er erneut.

„Ist sie das wirklich …?“, fragte er leise. Er hatte den Blick von ihr abgewandt und sah auf Eponas Hinterkopf. Er wirkte plötzlich deprimiert.

„Wie gesagt, es bleiben noch zwei andere Möglichkeiten, weshalb du es glauben könntest …“, meinte Shan, „Du ziehst wirklich viele Mädchen an …“, stellte sie danach fest.

„Ach ja?“, fragte er überrascht und wandte sich wieder Shan zu.

„Deine Mütze muss das ausschlaggebende sein“, erwiderte sie trocken.

Sie entfernte sich wieder von Links Schulter.

Am liebsten hätte sie sich jetzt gestreckt. Aber dann wäre sie gefallen.

Sie betrachtete das Kleid, das sie noch immer trug. Irgendwann sollte sie sich wieder umziehen … Dieses Prachtstück würde sie vermutlich noch brauchen. Es gefiel ihr wirklich sehr gut. Es wäre zu schade, es zu verschwenden, indem sie es auf ihrer Reise durch Berg und Tal an hatte ...

„Meine Mütze …? Du ärgerst mich gerade, oder?“, fragte er ein wenig verloren.

„Natürlich“, gab sie unverfroren zu.

„Wen meinst du eigentlich mit … ‚viele’?“, wollte er leise wissen. … War er ein wenig … rot im Gesicht?

„Ach was, schüchtern und zurückhaltend?“, kommentierte sie es, „Du bist ja zuckersüß.“

„Komm schon, wen meinst du?“

„Betty, Terra, die blonde Krankenschwester … die blonde Schneiderin … wie hieß sie? Miralle oder so ...“

„Wie bitte? Du fantasierst!“, behauptete er.

„Hey, die Liste ist fortzuführen!“, begehrte sie gegen die Unterbrechung auf – lächelnd.

„Wieso? Wer denn noch?“

„Jedes andere Mädchen, dem du so begegnest“, schloss die Aufzählung, „Du bist wirklich für alle ein Held!“, meinte sie teils scherzend, teils ernsthaft.

„… Shan …“, begann er.

Er benutzte ihren Namen ziemlich häufig, wenn ihn etwas bedrückte.

„Meinst du … damit … dass …“, er brach ab und sah komplett auf die andere Seite.

„Dass?“, fragte sie interessiert.

„Nichts“, murmelte er und beendete damit das Thema.

Wie gemein von ihm.

Jetzt hatte er es geschafft, sie ernsthaft neugierig zu machen.

Aber wenn er schon nicht darüber reden wollte …

Irgendwann würde er die Frage fertig stellen.

Dessen war sie sich sicher. Schließlich interessierte es ihn wirklich. Ansonsten hätte er wohl nicht mitten im Satz beschämt abgebrochen. Aber vielleicht fand er die Antwort auch selbst heraus…

Sie würde es wohl hoffentlich merken. Und vielleicht sogar noch miterleben?
 

Die Nachmittagssonne beendete ihre Schicht und versank am Horizont. Der Abend dämmerte.

Die Dämmerung … Link mochte die Dämmerung.

Aber er mochte die Sonne genauso. Und eigentlich jede Wetterlage. Und jede Tageszeit. Und jede Helligkeit. Alles … bis auf die völlige Dunkelheit. Also jene Dunkelheit, die Ganondorf zu ihnen zu bringen gedachte.

Die Dunkelheit, die keinen Stern durchscheinen ließ.

Sie hatten den Wald von Phirone bereits verlassen. Der Ölverkäufer hatte Shan nicht bemerkt. Also verlief alles ohne Probleme und ohne irgendwelche sinnlosen Einschübe.

Während des Ritts unterhielten sie sich über ein paar willkürliche, aber irgendwie inhaltsleere Themen und verbrachten somit ihre Zeit.

Mittlerweile war Shan still.

Hätte er nicht ihre Arme um sich gespürt, hätte er sich versichern müssen, ob sie überhaupt noch da war oder schon in den Schatten eingetreten war.

Die Felder, die sie bereits erreicht hatten, waren weit und etwas hügelig. Schloss Hyrule vermochte man noch nicht zu erkennen. Aber man sah in die Ferne, ohne von Bäumen oder Felsen gestört zu werden.

Allerdings gab es etwas anderes …

Monster.

Hier waren sie wieder. Abgezogen von Hyrule.

„Was bedeutet das?“, fragte er, „Wieso greifen sie nicht mehr das Schloss an …?“

„Hm …?“, machte Shan, realisierte dann scheinbar selbst, was er meinte und antwortete: „Ah … Ich würde sagen, es gäbe zwei Möglichkeiten: Möglichkeit eins: Ihnen ist es zu langweilig geworden, ständig gegen die Mauern zu laufen … oder die zweite: Ihnen ist es gelungen, die Mauern zu durchbrechen und Hyrule gibt es vermutlich nicht mehr im Stadt-Format.“

Er hielt Epona schockiert an. „Was?“, fragte er, obwohl er ihre Worte genau vernommen hatte. Er drehte sich bestmöglich zu ihr um. „Was?!“

„Ich würde sagen, es gäbe zwei …“, begann sie, wurde aber barsch von Link unterbrochen.

„Ich weiß, was du gesagt hast! Aber … wir müssen zum Schloss! Ich muss wissen, was passiert ist!“

„Link. Wenn du mir keine dritte Möglichkeit nennen kannst, dann ist es sinnlos. Bei Theorie eins sind alle froh. Bei Theorie zwei alle tot. Unsere Anwesenheit wäre also in beiden Fällen überflüssig.“

„Ich muss aber zusehen, wie es den Schneidern geht! Und der Prinzessin!“, hielt er entgegen. Egal, was die Prinzessin von ihm hielt.

„… Denkst du nicht, es wäre vernünftiger, erst nach den Goronen zu suchen, um deiner- …“

Er missachtete erneut, dass sie noch nicht fertig gesprochen hatte, und fuhr sie an: „Nein! Hierbei geht es um Menschenleben! Meine Erinnerung wird vielleicht die Zukunft retten können – vielleicht -, aber wenn ich jetzt handle, kann ich vielleicht vielen Menschen, die sterbend am Boden liegen, helfen! Wir sind unverletzt! Wir können …“

„… Wir können was , Link? Ich wusste nicht, dass du Mediziner bist“, fügte sie trocken hinzu.

„Anstatt hier herumzuzanken, sollten wir los reiten!“, schlug er vor.

„Ich werde dich nicht aufhalten … Aber ich denke, wir sollten uns wirklich eher auf Ganondorf konzentrieren … Und damit auf deine Erinnerung – also sollten wir nach Kakariko.“

Plötzlich ertönte ein Schrei. Ein Hilferuf folgte.

Link schaute schockiert drein.

Er musste in die Stadt und den Leuten helfen! Aber er musste auch zu den Goronen, sie waren schließlich sein Anhaltspunkt …! Allerdings … war es am nächsten und vermutlich sinnvollsten, der schreienden Person zu helfen …!

„Argh!“, machte er unwillkürlich und gab Epona die Sporen.

Er lenkte sein treues Tier in die Richtung des Schreis.
 

Was ist das für ein Gefühl, wenn ich in seiner Nähe bin?

Stolz?

Glück?

Freude?

Ich mag es, wenn er da ist.

Dann fühle ich mich … nützlich.

Unbekannt

Wie oft ich sie auch ansehe …

… nie erkenne ich die Ähnlichkeit
 

Link erkannte den Umriss eines am Boden liegenden Menschen. Über diesem schwebte ein gieriger Monstervogel und Goblins traten auf ihn ein. Er sprang leichtfüßig von Epona, welche zu diesem Zweck stehen blieb, und rannte die letzten Schritte zum Menschen.

Sein Schwert zog er bereits während des Laufens und drosch auf die Ungeheuer ein, um sie somit vom Am-Boden-Liegenden fernzuhalten. Er drängte das größte der Untiere mit einem gezielten Schlag ins grüne Gesicht zurück und erledigte es mit einem Stich in die linke Brust, nach welchem es sich auflöste.

Den anderen drei Goblins, die ihn gerade umzingeln wollten, entledigte er sich mit einer Wirbelattacke, welche die drei in sämtliche Himmelsrichtungen verstreute. Er zückte seinen Bogen und legte einen Pfeil an. Das Vogelmonster anvisierend, schoss er einen ab und traf den linken Flügel des Untiers, wodurch es seinen Weg zu Boden fand. Er schloss den Abstand zum Tier und beendete dessen Leben mit einem gezielten Hieb, der ihm den Kopf abgetrennt hätte, wäre es nicht in tiefer Dunkelheit entschwunden.

Dann wandte er sich wieder den drei herumliegenden Goblins zu, die sich gerade wieder aufrappelten, um sich zu einem neuen – zwecklosen – Angriff zu formieren. Als er auf den ersten zu rannte, bemerkte er durch einen Seitenblick, dass ein schwarzer Blitz an ihm vorbeizuckte und dem zweiten Goblin, der gerade davor war, auf Link zu springen, in schwarzen Dunst auflöste.

Er drehte sich kurz um die eigene Achse, um zu entdecken, wo Shan sich aufhielt. Er erkannte, dass sie sich bereits um die attackierte Person kümmerte, weshalb er sich dem letzten Monster zuwenden konnte.

Es stand in einiger Entfernung, weshalb Link sich dazu entschied, wieder den Bogen zu benutzen. Erneut passte er einen Pfeil an den Bogen an und ließ ihn los, sodass das Geschoss vorschnellte und ein tiefes Loch in die Magengegend der Bestie grub. Diese taumelte zurück und kippte zu Boden. Aber sie löste sich nicht auf, weshalb Link erneut sein Schwert nahm, den Abstand nichtig machte und mit einem Fallstoß das Leben des Tieres raubte.

Und damit kämpfte er gegen fünf Monster, ohne eine Verletzung davonzutragen.

Im Gegensatz zu der Person.

Er ging zu Shan und besah sich des Menschen. Es war eine alte Frau, die die Augen geschlossen hatte. Kratzer und blaue Flecken zierten sie, aber es schien nirgendswo eine allzu tiefe Wunde vorhanden zu sein.

Die grauen Haare der Frau waren unter einem roten Kopftuch versteckt und sie trug einen wärmenden Mantel, dessen Fülle wohl eine Menge dazu beigetragen hatte, dass sie keine ernsthaften Verletzungen davontrug. Auch wenn es ziemlich warm für Mäntel war ...

„Was hat sie …?“, wollte er von Shan wissen, welche sich vor die Dame gekniet hatte und deren Kopf auf ihrem Schoß lagerte.

„Ich denke, es ist nur ein Schock. Zumindest kann ich nichts sehen, was einer Heilung bedarf … Also können wir weitergehen?“

„Wir können die Frau doch nicht alleine lassen …!“, entgegnete Link leicht schockiert über den Vorschlag.

Shan zuckte mit den Schultern. „Sie befindet hier mitten in Hyrule-Feld. Das bedeutet, dass sie von irgendeiner Stadt hierhergekommen sein muss – und zwar alleine. Sie kann also auf sich aufpassen. Welcher wäre denn der nächste Ort, an den wir sie bringen könnten?“

Link sah sich um. Er wusste in etwa, wo sie sich befanden. Kakariko war nahe. Aber … er wollte noch immer nach Hyrule-Stadt sehen … Dort gab es außerdem ein gutes Hospital, in dem sie die Frau abliefern konnten … Falls es noch stand.

Er schluckte stark. War er wirklich bereit, sie anzulügen und zu behaupten, die Hauptstadt wäre näher als Kakariko?

„Hyrule-Sta- …“, wollte er gerade sagen, während er angestrengt in das Gesicht der Frau starrte – deren Augen sich plötzlich öffneten und ihm einen bösen Blick zu warfen.

„Ihr bringt mich nicht dorthin zurück!“, keifte sie.

Er blinzelte überrascht.

„Ich komme gerade von dort und bin froh, nach dieser elendslangen Belagerung endlich wieder draußen zu sein! Nur Trubel ist das, nur Trubel ist das!“, beschwerte sie sich und setzte sich auf, wobei sie sich heftig den Oberarm rieb.

Link schaute Shan verwirrt an, diese wirkte unentschlossen. Vermutlich überlegte sie sich, ob sie verschwinden sollte oder nicht. Beides würde Fragen aufwerfen.

Aber es war eine alte Frau. Wahrscheinlich bemerkte sie nicht einmal, dass Shan anders war.

„Also wirklich! Und diese Monster …! Meinen Stock haben sie mir zerbissen!“

„Sie sind von Hyrule-Stadt bis hierher nur mit einem Stock bewaffnet gekommen?!“, wunderte sich Link.

Die alte, kleine Dame warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „War mehr, als ich gebraucht hätte! Ich fälle das Holz für mein Haus schon seit fast einem Jahrhundert selbst! Ich habe Muskelkraft! Wenn nur mein verdammter Fuß nicht umgeknickt wäre, hätte ich deine Hilfe nicht einmal gebraucht!“, behauptete sie keifend.

Für einen kurzen Moment erinnerten die Worte der Frau ihn an Terra. Ob das ihre Großmutter war …? Die andere, die er nicht kannte.

„Na gut, na gut! Ich muss weiter! Meine arme Enkelin verhungert mir sonst noch! Dass ich schon seit drei Wochen nicht mehr daheim war, bereitet mir schon genug Sorge! Das arme, kleine, hilflose Mädchen …! Was, wenn ihr etwas zugestoßen ist?! Ich muss nach Hause!“, redete die Alte darauf los. Aber Link beschlich das Gefühl, dass sie es sich selbst erklärte und nicht ihm oder Shan mitteilte.

Aber … er konnte doch die Frau nicht alleine gehen lassen.

Es war gefährlich.

„Wohin müsst Ihr denn?“, wollte er von ihr wissen – wofür er erneut einen bösen Blick kassierte.

„In den Wald von Eldin“, erklärte die Frau gereizt, „Und ich werde jetzt aufbrechen.“

Die Frau bewegte sich dermaßen fidel, dass Link nicht bemerkte, wie sie aufstand – das Einzige, was ihm verriet, dass sie aufgestanden war, war, dass sie stand. … Verwirrend.

„Wir könnten Euch dorthin begleiten“, bot er an, „Es liegt auf unserem Weg, aber … Könnt Ihr mir zuvor bitte eine Frage beantworten?“

Der Blick der Dame wurde weicher – großmütterlich. „Ja, mein Junge?“, fragte sie seltsam nett und ungewöhnlich liebenswert.

„… Ihr sagtet, ihr kämet gerade aus Hyrule-Stadt. Wie sieht es dort aus? Wieso sind die Monster abgezogen?“

Ihr Blick verhärtete sich. Doch diesmal galt ihre Wut nicht Link, sondern vermutlich den Monstern. „Ich bin vor genau vierzehn Tagen für einen Großeinkauf nach Hyrule gekommen. Auf den Wiesen habe ich mich bereits mit den Untieren herumgeschlagen. Dann komme ich in die Stadt …! Und drei Tage später belagern die Viecher die Stadt! Als würden sie mich verfolgen. Dort blieben sie. Und zwar bis gestern! Bis gestern haben sie … wie viel war es? Ich glaube, der Hauptmann hat von dreiviertel der kompletten Armee geredet …“, die Frau machte eine kurze Pause, „Ja, dreiviertel der Armee haben sie ausgerottet. Und das in nur elf Tagen. Wir sind gerade schutzlos! Und das nur, weil irgendjemand so viel dunkle Energie benutzt, um die Monster immer wieder zu reanimieren …! Oder so ähnlich …! Gestern sind sie jedenfalls abgezogen. Die Chance habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen! Leider habe ich nicht damit gerechnet, dass jetzt alle hier draußen verstreut sind. Hin und wieder begegnet einem ja ein Wachtrupp, aber … nur noch sehr wenige. Alle Soldaten sind zur Stadt berufen worden, um dort für den Notfall Wache zu halten. Die außen liegenden Dörfer sind also schutzlos. Und mein Haus auch! Darum bin ich zurück! Und weil sonst der Kohlkopf noch ganz unbrauchbar wird. Meine Enkelin mag sie eh nicht, aber ich zwinge sie immer, gesund zu essen, sodass sie einmal so schön wie Prinzessin Ilya wird! Ach ja, die Prinzessin …!“

… Link schwieg auf den Informationsstrom hin. Es war … hart zu verarbeiten. Den Teil mit dem Essen streichend, dachte er über den Rest nach. Dreiviertel der Soldaten … dreiviertel …

Er wusste nicht, wie viele Männer das Königreich anfangs verteidigten, doch er war sich sicher, dass ein Viertel nicht sonderlich viel war. Ganondorf würde ein leichtes Spiel haben.

Die Monster mussten auf seine Rechnung gehen. Sie waren die Vorhut. Er war stärker geworden. Er konnte mehr Monster rufen – oder hatte er das letzte Mal nur nicht die ganze Kapazität ausgeschöpft? … Link wusste es nicht.

Er wurde sich nur wieder seiner Mission bewusst. Hatte er wirklich Zeit, dieser alten Frau zu helfen?

Eigentlich nicht. Eigentlich hatte er gar keine Zeit für irgendetwas. Er sollte eigentlich Ganondorf besiegen. Oder zumindest seinen Erwecker.

„Dreiviertel der Armee …“, wiederholte Link leise, „Drei … Viertel …“

„Es scheint, als müssten wir dringend nach Kakariko“, meinte Shan.

Link sah sie an. „Aber … Hyrule ist schutzlos“, meinte er.

Auch wenn es seinen Gedanken widersprach. Aber … er war verwirrt. Fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Dreiviertel der Armee …! Aller Soldaten …! Ob es Claude gut ging …?

Und der Prinzessin?

„Ilya … Wie geht es ihr? Hat sie sich besonnen?“, fragte Link an die alte Frau gewandt.

„Regena ist mein Name“, stellte sich die Frau plötzlich vor, „Und eurer?“

Link erwartete, dass sie ihm antwortete – er irrte sich.

„Ich bin Link, das dort drüben ist Shan“, erklärte er, „Und Ilya …“

„Der Prinzessin geht es ausgezeichnet! Sie bereitet noch immer alles für ihr Fest vor! Ich hoffe, ich kann dort ebenfalls antreffen. Es erscheint wundervoll zu werden! Auf ihren kleinen Volksfesten hat sie bereits davon erzählt …! Sie sagt, es würde die Wende für Hyrule bringen …!“

„Wende?“

Regena zuckte mit den Schultern. „Mehr will sie noch nicht verkünden.“

„Sie hat … also weiterhin ihre Feste veranstaltet? Obwohl dreiviertel ihrer Männer ausgelöscht wurden?“

„Nicht die Männer ausgelöscht, mein Junge!“, meinte die Frau und schüttelte den Kopf, „Unbrauchbar sind sie! Die Armee ist ausgelöscht, die Männer sind unbrauchbar! Ihnen fehlen Gliedmaßen oder Energie. Sie können nicht kämpfen. Es kommt auf das gleiche heraus, aber … nur besser.“

Links Augen weiteten sich. Das war … gut …? Nein. Er wusste nicht, was er von dieser Information halten sollte. Es kam Ganondorf betreffend auf dasselbe heraus. Einige Männer würden sich aufrappeln können, um das Schwert zu erheben, doch … ein Krüppel würde nicht lange gegen einen Kämpfer wie Ganondorf bestehen.

„Aber ja, sie hat die Feste durchgehend veranstaltet. Für eben diese dreiviertel der Männer. Dass sie sich nicht nutzlos fühlten, dass sie etwas zu tun hatten. Auf diesen kleinen, aber feinen Festen kann auch ein armloser noch seine Beine schwingen oder ein beinloser Getränke ausgeben. Sie haben etwas zu tun. Ilya sorgt sich um die Leute. Sie will nicht, dass sie vom Krieg in Mitleidenschaft gezogen werden. Denn der Krieg gegen die Monster lässt sich nicht verhindern, bis jemand die Ursache für diesen findet.“

„Ilya kennt die Ursache!“, behauptete Link.

„… Es gibt Gemurmel und Gerüchte, dass es etwas mit dem Jungchen Ganondorf zu tun haben solle … Die Prinzessin hält es für ausgemachten Unsinn, da dieser vor Jahren vernichtet worden ist.“

… Sie glaubte ihm also noch immer nicht. Aber was hatte er erwartet? Einen Sinneswandel?

Nein. Ganondorf betreffend waren er und Shan auf sich allein gestellt. Da fiel ihm etwas ein.

„Ihr habt nicht zufällig eine weiße Frau gesehen, als Ihr hierher kamt?“, informierte sich Link.

„Weiße …?“, wiederholte die Frau, „Ah, diese Frau …! Du kannst nur sie meinen ...! Sie ist sehr seltsam. Als ich nach Hyrule-Stadt kam, war sie schon am Feld. Aber gestern stand sie nicht mehr an der Stelle. Sie wird vermutlich Schutz vor den Monstern gesucht haben, nehme ich an“, antwortete die Frau, „Das erscheint einem wohl logisch, nicht wahr?“

Link nickte. „Also sollen wir Euer Geleitschutz werden?“, wollte er wissen.

„Wenn es euch nichts ausmacht. Ihr könnt dafür bei mir nächtigen. Lange brauchen wir nicht mehr bis zu meinem Haus, aber der Mond wird bis dahin scheinen“, prophezeite Regena.

„Ich trete der Dame gerne meinen Platz auf Epona ab“, mischte Shan sich ein, „Und nehme den Fußweg. Ihr braucht nicht auf mich zu warten, ich komme nach.“

„Danke, Shan, aber das ist nicht nötig, ich kann- …“

„Link“, nannte sie ermahnend seinen Namen, „Danke, ich gehe zu Fuß.“

Sie stand auf und entfernte sich ein paar Schritte von ihnen.

„Keine Sorge, ich finde euch schon. Das Pferd riecht man Meilen gegen den Wind“, erklärte sie lächelnd.

„Bitte steigt auf, Regena“, bat Link die alte Dame, welche dem Vorschlag Folge leistete.

Nachdem auch Link fest am Rücken des Tieres saß, trabte dieses los.
 

Wie es die Alte bereits vorausgesagt hatte, war der Abend verschwunden und die Nacht eingebrochen. Der Mond leuchtete strahlend hell am Horizont und die Sterne zierten ihn mit ihrem verführerischen Funkeln.

Link stand vor der Tür und sorgte dafür, dass Epona Wasser für die Nacht hatte. Er brauchte sein treues Ross nicht anschnallen, er wusste, dass sie ihn nicht betrügen und einfach abhauen würde.

Er strich noch einmal über ihre Mähne.

Shan war noch nicht angekommen. Er vermutete, dass sie ihnen bereits als Schatten gefolgt war, es aber möglichst echt aussehen lassen wollte, sodass Regena keinen Verdacht schöpfte. Darum brauchte er wohl auch nicht zu warten. Obwohl sie sich vor ihm wohl blicken lassen hätte können. Aber vielleicht liebte sie die Schauspielerei?

Er wandte sich nach einem geflüsterten „Gute Nacht“ von der Stute ab und öffnete die braune, schlichte Holztür.

Regena lebte in einem „Gasthof“. Es war ein etwas größeres Haus im Wald von Eldin, dem Lichtgeist vom Kakarikogebiet. Link wusste nicht, dass auch dieser einen Wald für sich beanspruchte. Doch es schien so. Er hatte einen anderen Weg einschlagen müssen und war noch etwa einen halben Tagesritt von den Goronen entfernt. Dann würde er vielleicht endlich erfahren, was seine Erinnerung ihm sagen wollte. Vielleicht …

Er betrat das gemütliche Haus und schritt einen Gang entlang. Er bog in den ersten, türlosen Raum ein, vor welchem er seine Waffen abgelegte. Dort standen ein Holzofen und ein gemütliches Bett, vor welchem ein Tisch platziert war. Dieser war bereits gedeckt. Getränke, Gläser und Kohlköpfe fanden dort ihren Platz. Hier gab es wohl Essen.

Erst als er daran dachte, bemerkte er, dass der Hunger an ihm nagte.

Er schritt zum Bett, welches wohl als Sitzplatz diente, und setzte sich darauf.

Plötzlich spürte er etwas Hartes, das aber trotzdem nachgab – und sich bewegte!

Danach war ein hysterisches Kreischen zu hören und er machte das einzig logische, sprang auf und bedauerte, dass er sein Schwert abgelegt hatte.

Was war das?!

Die Decke erhob sich und bildete eine Form. Sie streckte eine Art Tentakel aus, welcher in seine Richtung deutete.

„Du!“, ertönte ein ersticktes Wort von der Decke.

Er erkannte nicht, wo der Mund des Wesens war.

Plötzlich wurde die Decke weggerissen und … ein Mädchen erschien.

Sie schien etwas jünger als Link zu sein – aber nicht viel – und dafür größer. Sie starrte ihm mit demselben Blick wie Regena entgegen und auch ihre Gesichtsform erinnerte irgendwie an diese. Nur die ockerbraunen Haare und die Faltenlosigkeit waren Hinweise, dass es sich nicht um Regena handelte.

„Was soll das?! Wolltest du mich umbringen!? Wer bist du überhaupt!?“, keifte sie ihn barsch an und stieß die Decke, welche noch ihre Beine bedeckte, ganz von sich. Mit einer fließenden Bewegung stellte sie ihre liegenden Beine auf den Boden und saß ganz normal am Bett. Noch immer zeigte ihr Finger auf ihn. „Ich habe geschlafen“, erklärte sie forsch.

„Oh, tut mir leid … Mir war nicht bewusst, dass hier jemand liegt …“

„Dachtest du etwa, du seiest alleine im Haus? Schnösel“, kommentierte das Mädchen.

„… Wie gesagt, ich wollte das nicht“, lenkte Link ein.

„Mir egal. Du hättest es nachprüfen sollen“, beschloss sie.

„Mein Name ist Link“, stellte er sich vor, in der Hoffnung, das alte Thema auf sich beruhen lassen zu können.

„Schön für dich, Link.“

Er wusste wirklich nicht, was mit den Mädchen in Hyrule in letzter Zeit los war, aber sie waren alle sehr temperamentvoll, frech und wütend auf ihn. War sich Shan sicher, dass er sie in positiven Maßen anzog? Glaubte sie nicht eher … an das Gegenteil?

„Bekomme ich auch hier zu essen, oder …?“ Er unterbrach die Frage, da er hoffte, dass das Mädchen den Rest alleine zusammenbringen würde.

„Ja, Link, iss hier“, ertönte die Stimme von Regena, welche um die Ecke rauschte und ihm eine Suppe auf den Tisch stellte. Ihre Enkelin erhielt ebenfalls eine.

„Setz dich zu ihr, auf dem Bett ist genug Platz“, wies Regena ihn an.

Er befolgte den Rat und nahm die Ecke des Bettes ein, in der die Enkelin nicht saß.

„Vielen Dank“, sagte er, den Suppenteller in die Hand nehmend und los löffelnd.

„Hm, wie lange deine Freundin wohl noch brauchen wird?“, sinnierte die alte Frau.

„Was? Noch einer?“, beschwerte sich die Enkelin, die es noch immer nicht als nötig betrachtet hatte, sich vorzustellen. Auch sie griff zur Suppe. Allerdings schnupperte sie nur kurz daran und schob sie danach von sich weg.

Regena machte sich zum Fenster auf und schaute nach draußen. „Ob wir eine junge Frau wirklich des Nachts alleine herum laufen lassen können?“, fragte sie sich und klang, als hätte sie Gewissensbisse. Wahrscheinlich, weil Shan ihr ihren Platz abgetreten hatte.

Link hätte sie gerne beruhigt, aber er konnte schlecht herum posaunen, dass sich Shan in den Schatten begeben konnte.

„Die Suppe wird ja noch kalt“, fuhr die Frau fort.

„Da verpasst sie ja nicht viel“, ertönte die Stimme der Enkelin.

Dafür kassierte sie einen empörten Blick von Link. „Sei nicht so frech zu Älteren.“

„Wen nennst du hier alt!?“, beschwerte sich Regena.

… Er entschied sich, still zu sein. Gierig löffelte er die cremige Suppe aus, welche nach Kohlkopf schmeckte. Sie war gut gewürzt und hatte einen ultimativen Geschmack. Er fühlte schon fast, dass er wieder erstarkte, indem er sie aß!

„Danke sehr“, wiederholte er sich noch einmal. Er mochte den Geschmack.

„Magst du meine auch?“, bot die unfreundliche Enkelin ihm an.

Er legte den Kopf schief. Sie musste Kohlkopf wirklich hassen, wenn sie dafür nett zu ihm war.

Als Antwort zuckte er mit den Schultern. Er würde nicht ablehnen …

Mit dem Fuß, der in braunen Stiefeln steckte, schob sie ihm die Suppe weiter zu. „Bedien dich.“

„Danke sehr …“

„Kannst du eigentlich auch etwas anderes sagen? Wer bist du gleich noch einmal?“, fragte das Mädchen. Scheinbar schien sie ihre miese Laune vergessen zu haben. Und ernsthaft an ihm interessiert zu sein. Oder ihr war es einfach zu still geworden.

Regena schlich leise aus dem Zimmer. Vermutlich zurück zur Küche.

„Link aus Ordon“, stellte er sich wieder vor, „Wer bist du?“

„Tut nichts zur Sache, Link, aber … sagtest du gerade Ordon? War da nicht irgendetwas? … Egal. Wie läuft es eigentlich in Hyrule-Stadt? Wieso hat Oma so lange gebraucht?“, fragte sie darauf los. Scheinbar war sie es gewohnt, Fragen zu stellen.

„Ordon … da gibt es Ziegen und Kürbisse …“, erklärt er ihr, „In Hyrule ist noch immer ein großes Dilemma, das mit dem Zauberer Ganondorf zu tun hat, zu bewältigen und deine Oma hat aufgrund der Monster, die Ganondorfs Scherge aussendet, die Stadt nicht verlassen können.“

„… Was? Ganondorf? … Den Namen kenne ich. Woher?“

„Vielleicht daher, dass er vor fünf Jahren Hyrule in Dunkelheit getaucht hat und alle mit Monstern heimgesucht hat?“

„Ah ja, jetzt klingelt es!“, gab das Mädchen erfreut zurück, „Okay, danke, mein Süßer! Also … Und wo liegt jetzt das große Problem?“

„Bei Ganondorf.“

„Und wie gehst du dagegen vor?“

„Ich suche nach den Schlüssel, der meine eingekerkerte Erinnerung befreit, und hoffe, dass sich mit dieser alles ergibt, sodass ich einen Weg finde, Ganondorf den Gar aus zu machen.“

„Eindeutig Held“, stellte sie fest, „Kennt seine Geschichte auswendig und hat sogar schon Lösungsvorschläge vorhanden, ist allerdings nicht überheblich und gibt mit nichts an, bis man ihn danach fragt. Ziemlich gut“, lobte ihn Regenas Enkelin lächelnd, „Wie zu erwarten von Hyrules großen Helden!“

„… Danke?“, vermutete Link, „Aber … Hey, du bist ja doch klug“, stellte er fest. Er musste zugeben, dass aus dem bisherigen Gesprächsverlauf für ihn nicht hervorgegangen war, dass er sich mit einer intelligenten Person unterhalten hatte. War das etwa … Tarnung?

„Magst du mich bitte kurz über den ganzen Sachverhalt aufklären? Ich bin interessiert …“, bat sie ihn höflich. Sie schaute ihn mit einer Mischung aus Besorgnis und Neugierde an.

„Ähm. Natürlich … also …“, setzte er an. Er erzählte davon, dass er in Marine einen Schwan gesichtet hatte, dass er nach Hyrule-Stadt kam und dort mit der Prinzessin konfrontiert worden war, welche es nicht scherte, dass Monsterhorden ihren Palast umzingelten. Außerdem erwähnte er, dass er es geschafft hatte, die Missgunst eben jener Prinzessin zu erlangen und dass die Zusammenkunft mit ihr in ihm eine Erinnerung geweckt hatte, derer er sich aber nicht bewusst werden konnte. Danach fügte er hinzu, dass er Mirai getroffen hatte, eine weiße Frau, die ihm einen Traum gesandt hatte, in der die Fee ihr Gegenstück bei sich hatte. Zudem berichtete er von der Vermutung, dass die beiden getrennt worden waren.

Vor allem das Thema Mirai schien das Mädchen zu interessieren.

Als er das von der Fee erzählte, sprang sie auf und ging nervös auf und ab. Sie nahm eine nachdenkliche Pose ein und schien angestrengt zu überlegen.

Link wollte zu keiner Antwort oder Aufklärung drängen. Er vermutete, dass das Mädchen ihm sagen würde, falls sie helfen konnte.

Aber wie sollte jemand, der im Wald lebte, eine Antwort parat haben, während kein anderer ihm eine Spur geben konnte?

„Und ich suche derzeit nach Goronen, die mir vielleicht Ausschlaggebendes zu Boro, dem Toten, der meine Erinnerung ebenfalls berührt, berichten könnten“, schloss er, „Und darum bin ich derzeit auf dem Weg nach Kakariko. Wir haben allerdings deine Großmutter gefunden, bevor wir dort angekommen sind und uns entschieden, sie zu eskortieren.“

Das Mädchen stapfte weiterhin auf und ab.

Worüber sie wohl so angestrengt grübelte?

Ohne Vorwarnung blieb sie stehen, schaute Link kurz schockiert an und verließ dann stürmisch das Zimmer.

Und ließ einen verwirrten Link zurück.
 


 

Verwirrung ist ein seltsames Gefühl.

Ich bin ihm nur selten begegnet.

Doch je öfter ich bei ihm bin, desto verwirrter fühle ich mich.

Oder fühle ich etwas anderes?

Ungezwungen

Doch je öfter ich es wiederhole …

… desto mehr erkenne ich, wie ähnlich wir für sie sind
 

„Hier“, sagte sie, als sie zurückkam und drückte ihm ohne Zögern ein blaues Tuch in die Hand, auf dem eine Sonne eingestickt war, „Und damit hast du eine neue Aufgabe – die kannst du neben deinem Trip nach Kakariko gleich mit erledigen.“

„Ach ja? Und die wäre?“, fragte er stirnrunzelnd. Sein Blick flog erneut über das Stück Stoff und es irritierte ihn immer mehr. Was sollte er damit? Vermutlich würde er es gleich herausfinden.

„Hm … Wenn ich so darüber nachdenke … Wenn du Glück hast, kann dir das sogar für dein Ziel weiterhelfen! Aber … meine Bitte hat Vorrang, ja?“, diesmal klang sie weniger fordernd als mehr freundlich.

„Wie lautet deine Bitte überhaupt?“, wollte er wissen. Wenn er nicht wusste, was zu tun war, konnte er es schlecht tun, oder?

„Also – ich habe eine gute Freundin, die in den Bergen lebt. Etwas westlich von den Goronen. Ergo: Du kommst dort vorher vorbei. Dieser Freundin gibst du dann dieses Tuch. Wenn sie dich daraufhin anfällt, dann sag ihr, dass die Enkelin von Regena dich schickt.“

„Wieso darf ich eigentlich deinen Namen nicht erfahren?“

„Betriebsgeheimnis“, antwortete sie barsch, „Und unterbrich mich nicht, ja? Also – diese Freundin lebt nicht freiwillig in den Bergen. Sie hat dort einen Job, den sie nur ein- oder zweimal im Jahr aufgibt. Und das, um sich mit ihren beiden Verbündeten zu treffen. Verbündete Nummer eins steht vor dir. Die zweite lebt in Hyrule. Und zu dieser wollte ich meine Freundin eigentlich bringen. Aber … du würdest mir ja einen ziemlichen Patzen an Weg ersparen, wenn du so freundlich wärst!“

„Und … was könnte sich ‚mit Glück’ für mich als Profit herausstellen?“

„Der Job meiner Freundin ist es, den Geheimgang in die Welt der Geister zu beschützen“, antwortete das Mädchen überzeugt – und scheinbar auch überzeugt davon, dass er wusste, was das jetzt genau heißen sollte.

„Und …?“

„Geister. Hallo? Die Dinger sind immer und überall! Die wissen ganz sicher etwas über dich und deine Goronen-Erinnerung!“, erklärte sie leicht gereizt, „Aber …“

„Aber …?“

„Geister sind nicht sehr redselig. Außerdem sind sie scheu und sie zeigen sich nur Auserwählten – na ja, zumindest, solange sie nicht selbst in Schwierigkeiten stecken. Diese Freundin hat mir einiges über diese Wesen erzählt. Sie sind sehr eigensüchtig und die Göttinnen hatten guten Grund, sie auf gewisse Weise von uns Menschen zu trennen.“

„Hatten sie?“

„Sag einmal – weißt du eigentlich irgendetwas?“, wunderte sie sich genervt mit den Augen rollend, während sie fortfuhr, „Geister zeigen sich nur, wenn sie dich brauchen. Wir würden ihre Weisheit, ihren Mut und ihre Kraft immer benötigen und erbitten, doch glaubst du, sie würden uns Gehör schenken? Kein Stück. Aber kaum sind sie in Gefahr, tauchen sie vor verschiedenen Menschen auf, leihen ihnen Stärke und Mächte, um das Problem zu lösen, zeigen sich für ein paar Momente dankbar … und dann verschwinden sie wieder – Auf Nimmerwiedersehen! Zumindest bis das nächste Problem für sie auftaucht.“

„Wenn du das so sagst, hört sich das wirklich negativ an“, befand er, während er die neu gewonnen Informationen verarbeitete. Also … wenn dieses seltsame Mädchen die Wahrheit sagte, dann waren die Lichtgeister bei seiner ersten Reise nur wegen Ganondorf aufgetaucht. Sie hatten bemerkt, dass er ein Triforce besaß und somit die Macht hatte, etwas zu ändern. Darum schoben sie ihm noch mehr Kraft zu und … und durch ihre Hilfe gelang es ihm, sie zu besiegen. Er hatte es nur durch die Hilfe dieser Wesenheiten bewerkstelligen können, gegen Ganondorf anzukommen …!

Diesmal hatte der dunkle König es aber noch nicht vollbracht. Er hatte noch keine Geister gefährdet. Also halfen sie ihm nicht. Sonst hätten sie doch schon längst auftauchen können, um ihm weiterhin zur Seite zu stehen …! Waren sie etwa wirklich so egoistisch, wie Regenas Enkelin es behauptete?

„Sie sind negativ. Darum verstehe ich auch nicht, wieso meine Freundin fernab der Zivilisation lebt, um diesen Dingern zu helfen. Sie verdienen es doch nicht. Dort kann sie zwar ihr Schwert schärfen – aber mehr auch nicht. Und ich habe einen elendslangen Weg vor mir, wenn ich zu ihr will. Zum Glück habe ich hier meine Oma, sodass ich wenigstens eine Rast einlegen kann. Und – Fortuna sei Dank – habe ich noch nie angekündigt, wenn ich sie besuche! Sonst hätte sie jetzt drei Wochen gewartet. Umsonst. Wegen Hyrule.“

„In Hyrule … alles geht dort schief … Kein Lichtgeist hilft uns“, erkannte Link, „Wieso glaubst du, dass sie mir helfen würden, wenn ich deiner Freundin dieses Tuch gebe?“

„… Ich kann es dir nicht versprechen. Du könntest meine Freundin um Einlass bitten, sodass sie vielleicht irgendetwas tun kann, um die Geister freundlich zu stimmen. Aber … keine hundertprozentige Chance, mein Guter, leider“, bedauerte sie, „Ich kann nichts an der Eigenheit der Geister ändern …“

Er nickte.

Kurzes Schweigen trat zwischen ihnen ein, als sie wieder das Wort an sich riss: „Du bist bisher nur Lichtgeistern begegnet, oder?“

„Ja“, antwortete er.

„Kennst du dich mit Geistern aus?“

„Nicht wirklich. Ich habe mich … eigentlich nicht mit ihnen beschäftigt.“

Sie gab ihm ein Zeichen, dass sie verstand. „Na gut, dann will ich dir erzählen, was ich darüber weiß. Meine Freundin aus den Bergen, die aus der Stadt und ich haben uns nämlich ein wenig mit ihnen beschäftigt. Darum kennen wir uns auch etwas besser aus als normale Durchschnittsbürger. Meine Freundin lebt fast das ganze Jahr über bei ihnen, die andere nutzt die Mächte der schwächsten Geister – also der Feen -, um anderen zu helfen und ich studiere die Geschichte der Geister, also alles, was sie bisher bewirkt haben. Dein Abenteuer ist das Neueste im Verzeichnis.“

„Oh, das klingt interessant“, meinte Link anerkennend. Wieso … wieso traf er ausgerechnet hier im Niemandsland auf jemanden mit solchem Wissensgebiet? Jemand, der ihm Antworten geben konnte. Ob es wohl noch irgendwo ein Schicksalskind gab, das ihm diesbezüglich half? … Er lächelte über seinen dummen Gedanken. Shan sagte, dass zwei schon eine Seltenheit waren – in einem Jahrhundert. Wie sollte es da ein drittes geben? Aber … vielleicht irrte sie sich ja bezüglich der Prinzessin? Vielleicht war sie doch noch immer auf seiner Seite?

Warum auch immer er jetzt auf diese Idee kam.

Aber er wollte sich nicht vorstellen, dass die Prinzessin sich mit dem Bösen zusammenschloss. Er wollte nicht gegen sie kämpfen. Sie waren doch …

… waren doch was?

Was wollte er gerade denken? Wieso …?

„Link? Alles in Ordnung?“, riss die Stimme der Gelehrten ihn aus seinen Gedanken. Sie beugte sich besorgt zu ihm.

Erst jetzt realisierte er, dass er gebückt am Bett saß und sich den Kopf hielt, als hätte er große Schmerzen. Seine Erinnerung … Aber sein Kopf schmerzte nicht … Wieso nicht?

„Nein, danke, alles bestens …“, sagte er – scheinbar sogar wahrheitsgemäß.

„Soll ich dir ein Wasser holen?“

„Nein, erzähle bitte deine Geschichte“, bat er sie höflich und schaute sie interessiert an.

Sie lächelte kurz und begann dann: „Also – die Geister sind in verschiedene Gruppen unterteilt. Einige glauben, dass sogar die Göttinnen selbst Geister sind. Aber hier gehen die Meinungen auseinander. Dann gibt es noch zwei Hohe Geisterarten. Das sind die höchsten, wenn man die Göttinnen außen vor lässt. Es sind Lichtgeister und Geister der Dunkelheit. Sie existieren zusammen und können nicht ohne einander leben. Wäre es Ganondorf gelungen, die Lichtgeister endgültig auszulöschen – kein Mensch weiß, was geschehen wäre. Denn dann wären auch die Geister der Dunkelheit zugrunde gegangen. Oder hätten sie ihren Gegenstücken Macht geliehen? Keiner vermag dies zu sagen. Jedenfalls sind sie die höchsten und diejenigen, die am seltensten auftauchen, da kaum jemand auf die Idee kommt, Licht oder Dunkel zu gefährden. Du hattest demnach also Glück.“

Er nickte verstehend. Weil das Licht in Gefahr war, wurde er auserwählt. Jetzt, wo das Licht nicht eindeutig in Gefahr war, kümmerte es die Geister nicht … Grausam.

„Unter diesen Geistern leben die vier Elementgeister. Auch sie sind voneinander abhängig, aber sie sind so zahlreich, dass immer kleine Ungleichgewichte entstehen. Wasser, Feuer, Erde, Luft – das sind sie. Von ihnen gibt es viele. Starke, schwache. Große, kleine. Sie tauchen schon öfters auf, wenn irgendwo Wasser knapp wird, wenn kein Feuer mehr wärmt, wenn die Pflanzen zerstört werden oder wenn die Luft verschmutzt wird … Hier ist es wirklich kein Kunststück ihnen zu begegnen. Aber keiner würde die Welt verletzen, nur um einem Geist zu begegnen. Der Geist würde einem dann nämlich bestimmt nicht helfen.“

„Wann helfen Geister einem dann?“, fragte er. Vielleicht konnte er das dann verwenden. Vielleicht musste er nur irgendwie ganz viel Wasser in die Wüste bringen, in den Schneebergen ein Feuer entzünden, das einen Erfrorenen wärmte oder die Luft vom Rauch frei fächern, einen Wald pflanzen … Irgendetwas.

„Wenn du ihnen hilfst, helfen sie dir. Du musst also darauf hoffen, dass die Geister ein Problem haben, welches du zu lösen vermagst. Link, darf ich dir eine Frage stellen?“

„Natürlich. Wie lautet sie?“

„Wie haben sie dir geholfen? Was haben die Lichtgeister nach ihrer Rettung für dich getan?“

„Für mich … getan?“

Er dachte zurück. Und sofort erkannte er schockiert, was sie für ihn getan hatten.

Midna.

Midna wurde von Ganondorf getötet. Aus Dankbarkeit ihm gegenüber hatten sie sie zurückgeholt. Sie hätten sie eiskalt im Jenseits belassen … Sie hätten den Fluch nicht von ihr genommen … wenn er es nicht geschafft hätte.

Wieso?

Wieso waren sie so?

Warum konnten sie nicht einfach jedem helfen? Sie hatten die Macht dazu! Durch sie hatte er Midna noch ein letztes Mal wieder sehen können. Durch sie konnte er beruhigt sein, dass es ihr gut ging … Jetzt wusste er zweifellos, dass es gut war, Ganondorf zu töten.

Doch hätten sie nicht Midna retten können, ohne dafür ein Todesopfer zu verlangen?

Aber wieso sollten sie das auch tun? Es waren Geister. Eigensüchtige Geister. Link zweifelte nicht mehr an den Worten des Mädchens. Geister waren egoistisch.

„Sie haben meine Verbündete wieder belebt“, erklärte er leise.

„Du siehst? Ein Gefallen. Wären sie nicht mit dir zufrieden gewesen …“

„… wäre sie nicht mehr am Leben …“

Das Mädchen nickte. „Du bist also von ihnen abhängig, wie sie es von dir sind. Meist lesen sie dir deinen Herzenswunsch ab und erfüllen ihn, um dich davon abzuhalten, eine Dummheit zu wünschen. Aber manchmal … manchmal fragen sie dich auch so.“

„Und wie soll ich dort oben mit ihnen sprechen? Was für Probleme haben sie?“

Das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Frag die Zielperson. Sie ist diejenige, die die Geister am besten kennt. Und wir waren mit der Hierarchie übrigens noch nicht fertig.“

„Nicht? Gibt es noch mehr von ihnen?“

„Blumengeister – Untergruppen von Erde und Wasser - , Rauchgeister – welche zu Feuer und Luft gehören -, Metallgeister – Verwandte von Feuer und Erde -, Dampfgeister – Abkömmlinge von Luft und Wasser. Es gibt alle möglichen Arten von ihnen. Lichtgeister und Dunkelheitsgeister sind übrigens auch Tag- und Nachgeister oder Mond- und Sonnengeister.“

„Ich … verstehe … Also gibt es viele Möglichkeiten, ihnen zu helfen?“, schloss er daraus.

„Ich hoffe, du findest etwas. Und sonst könntest du auch Feen helfen. Bei ihnen ist es zwar wie mit den Göttern, doch viele glauben daran, dass auch Feen zu Geistern zählen. Ich würde behaupten, dass sie zu allen Elementen gehören. Sie können dir schließlich Heilung bringen. Und Heilung ist eine Mischung aus den vier Elementen. Und Feen trifft man oft an.“

„Aber sie können nicht sprechen“, widersprach er.

„Drei von ihnen vermögen zu sprechen“, konterte sie, „Und wenn du sie findest, kannst du von ihnen Antworten abverlangen. Aber ich weiß nicht, wo die drei sind. Das könntest du von den Geistern erfahren. Oder vielleicht auch von meiner Freundin?“

„… Arbeitet nicht deine andere Freundin mit ihnen?“

„Sie arbeitet im Hyrule Krankenhaus. Dort kommunizieren sie nur mit den kleinen Feen, die nicht reden können.“

Er nickte verstehend. „Danke sehr … Das … hat mir geholfen, nehme ich an.“

„Kannst du gleich morgen Morgen losreiten, Link?“

„Ja, das hatte ich ohnehin schon vor. Ich muss nur noch auf meine Begleitung warten.“

„Ich werde heute aufbrechen, sodass ich mir Zeit lassen kann, um nach Hyrule zu gelangen“, eröffnete sie ihm ihre Pläne.

„Kind, willst du wirklich heute schon gehen?“, wunderte sich Regena, welche plötzlich über die Türschwelle schritt und ihre Enkelin entgeistert ansah, „Aber die Monster …! Ich will, dass du Link begleitest …!“

„Nein, Oma, das geht schon! Die Geister werden mich beschützen“, meinte sie selbstsicher und trat ein wenig von Link weg. „Danke, dass ich so lange bei dir bleiben durfte.“

„… Ach, Kind … Wieso machst du immer so gefährliche Sachen?“, fragte die alte Frau, „Aber du brauchst dich nicht zu bedanken! Du hast dich so lange so gut um mein Haus gekümmert …!“

„Ach, das mache ich doch gerne!“, erwiderte das Mädchen lächelnd. Dann ging sie in eine Ecke und schmiss sich einen Umhang über. „Dann bin ich weg. Viel Spaß noch!“

„Pass gut auf dich auf, Liebes!“, meinte die Oma.

Als die Enkelin an ihr vorbeiging, umarmte die alte Frau sie stürmisch und drückte sie fest an sich.

Link sah von der Ferne zu. Und sein Blick wanderte zum Fenster. Was tat Shan …? Ging sie wirklich zu Fuß? Oder wartete sie, bis die Enkelin weg war? Diese wäre schließlich ein neues Gesicht, welches Shan dann sehen könnte. Die Oma hatte sie ja bereits erspäht.

„Oh, Schätzchen, in einer Woche ist das große Festchen der Prinzessin! Dort könnten du und-…“

„Psst, Oma! Keiner braucht die Namen zu hören!“, zischte die Enkelin, während sie ihrer Großmutter die Hand vor den Mund hielt. Dann ließ sie diesen wieder los. „Fest?“

„Hihi. Ja, das Mittsommernachtsfest der Prinzessin Hyrule, die große Wende in der Geschichte!“

„Moment, Ihr wisst, dass das Fest in einer Woche ist und habt mir nichts davon gesagt?“, fasste Link leicht fassungslos zusammen. Wieso auch immer dieses Fest wichtig für ihn sein sollte. Aber … er hätte es doch gerne gewusst. An diesem Tag konnte er Ilya wieder sehen. Dann … dann konnte er …

Bis in einer Woche musste er sein Rätsel lösen. Am Mittsommernachtsfest musste er ihr wieder unter die Augen treten. Er musste ihr alles erklären. Eine Woche hatte er also für seinen Auftrag. In einer Woche musste er die Geister dazu bringen, ihm zu helfen.

Eine Woche.

„Oh, du hast nicht danach gefragt. Ich bin davon ausgegangen, dass ein kampffähiger Soldat, nicht daran teilnehmen wird. Aber ich werde es tun, haha!“

„Link, dann richte meiner Freundin bitte noch Folgendes aus: Sie hat von heute an noch eine Woche Zeit, nach unten zu kommen. Auf ihrem Weg sollte sie bitte meine Oma mitnehmen.“

„Verstanden …“, willigte er ein und sein Blick wanderte zu Boden. Eine Woche …

Mit einem kurzen Kuss auf die Wange ihrer Großmutter verschwand das Mädchen aus dem Haus. Beide schauten ihr vom Fenster aus noch nach, bis sie nicht mehr sichtbar war.

„Hast du noch Hunger, mein Sohn?“, fragte Regena fürsorglich.

„Nein … danke …“

Eine Woche.
 


 

Als die Abendsonne vollkommen unsichtbar geworden war und die Nacht hereinbrach, stellte Terra die Karte fertig. Sie hatte sich wieder an den Namen des Händlers erinnert. Außerdem zeichnete sie alle Flaggen ein, die so lange auswendig gelernt hatte. Dazu schrieb sie die Namen und die Produkte, die sie von ihnen einheimsen konnten. Als das letzte Licht noch durch ihr Fenster schien, starrte sie auf die leer gelassenen Stellen, an denen eigentlich die Flagge ihrer Familie prangen sollte. Aber … Verrat kam nicht in Frage.

Dann konnte sie jetzt ja wieder zu Azur gehen.

Heute war sie nicht bei ihm.

Und da sie die Zweithöchste war, konnte sie wohl zum Chef gehen, wenn sie wollte.

Aber vielleicht sollte sie sich auch weiter mit der Mannschaft befassen? Sobald der Mond schien, setzten sie sich meistens an Deck und sprachen miteinander. Terra hatte diesen Sitzungen manchmal schon beigewohnt. Ob sie sie noch dabei haben wollten, nachdem sie befördert worden war?

Klassik war auch oft dort.

Wieso dann sie nicht? … Vielleicht weil sie neu war?

Vielleicht, weil Herzchen etwas Dummes in Umlauf gebracht hatte?

Sie wusste es nicht.

Aber sie … sie würde es sehen.

Ja.

Und danach würde sie zu Azur gehen, um ihm die Karte zu bringen, sodass sie beruhigt nach Zorasien segeln konnten, um dort die Geschäfte des Kapitäns zu erledigen. Dann wäre sie wieder in der Nähe Hyrules. Vermutlich könnte sie von dort aus zurück.

Wollte sie das?

Nein.

Sie war hier. Am Meer, dort, wo sie sein sollte. Es war ihr Platz. Auf diesem Schiff. Sie war Mitglied dieser Mannschaft.

Sofort erhob sie sich entschlossen.

Ja, sie war Mitglied.

Die anderen mussten sie in ihren Kreis aufnehmen!

Festen Schrittes ging sie zur Tür ihrer Kajüte und schloss sie hinter, die Karte steckte sie derweil säuberlich gefaltet in ihre Manteltasche. Ihr blauer Kapitänsmantel, den sie aus Marine mitgebracht hatte, fühlte sich so richtig an. Und er verlieh ihr ebenso Autorität.

Hoffte sie zumindest.

Als sie das Deck erreichte, sah sie gen Himmel. Der Mond schien leuchtend hell über ihnen und die Sterne funkelten ebenfalls schon. Die Nacht war dunkelblau und würde noch tiefschwarz werden.

Doch die Piraten saßen schon am gewohnten Platz. Einige lagen am Boden, anderen saßen gemütlich auf Fässern und dritte besetzten die Bänke. Das helle Gewandt und ihre leuchtenden Haare verrieten Herzchen sofort. Sollte sie sich neben sie setzen?

„Ah, unsere Zweite ist also auch da!“, begrüßte sie Orient, der plötzlich neben ihr erschien. Er legte ihr freundschaftlich einen Arm um die Schultern und führte sie ziehend zu den anderen. Sie hätte sich nicht einmal wehren können, wenn sie gewollt hätte! Dieser Mann hatte so viel Kraft …!

„Hey, Orient, wen hast du uns da denn mitgebracht?“, fragte Robo scherzend. Natürlich hatte er sie schon längst erkannt.

„Frischfleisch“, scherzte der Mann und lachte schallend. Die paar Leute, die in ihrer Nahe waren, lachten mit ihm.

Sie fand es weniger witzig, lachte aber trotzdem kurz mit.

Er drückte sie dann auf eine Bank und zwang sie somit, dort zu sitzen.

Neben ihr saß Smaragd und funkelte sie an. Seine smaragdfarbenen Augen leuchteten fast im Dunkeln … Fast so, wie Herzchens blondes Haar.

„Und, neue Schätze ausgeforscht?“, wollte er wissen, wobei er aber den Blick wieder abwandte und zu Herzchen schaute, welche Terra ebenfalls musterte.

„Ähm … ich bin die neuen Pläne nicht so richtig eingeweiht …“

„Wohin geht es denn als nächstes?“, wollte Orient wissen.

„Zorasien …“, antworte sie zögerlich. Die Mannschaft würde das wohl wissen dürfen, oder? Zumindest hatte er nichts Gegenteiliges gesagt.

„Zorasien …!“, wiederholte Schach mit einem geheimnisvollen Unterton, „Mysteriös!“

„Schon wieder? Aber … dort haben wir ja nichts gefunden. Wieso sollen wir dieses Gebiet schon wieder absuchen? Dort werden wir sie- …“ Herzchen gab Royal einen Schlag auf den Kopf, woraufhin dieser verstummte.

„Willst du wohl still sein?“, informierte sie sich.

Terra konnte sich vorstellen, dass die andere Frau jetzt in ihre Richtung nickte.

Wovon sprachen sie …?

„Retro, lass dich nicht unterkriegen. Es ist nicht wichtig, was sie da reden. Das brauchst du gar nicht zu verstehen. Nur wirres Piratengerede ohne Wert. Sie haben bloß Hunger“, beschwichtige Orient sie sofort, ohne dass sie etwas gesagt hatte.

Wieso …? Warum wollte er nicht, dass sie nachhakte?

„Wieso Retro?“, fragte sie frei heraus, „Wie gibt uns der Käpt’n diese Namen? Nach welchem Prinzip?“

Orient schüttelte nur den Kopf. „Smaragd, ich überlasse sie dir“, meinte er nur und legte sich dann zu einem anderen auf den Boden.

„Selbe Frage“, keifte sie den anderen an.

„Keine Antwort“, schnauzte er zurück, widmete ihr aber keinen weiteren Blick.

… Irgendwie waren diese Leute heute angespannt. Natürlich – oft war sie noch nicht dabei, aber … die drei oder vier Male … war es hier immer lustig und sie waren aufgedreht … Na ja … zu dieser Zeit war auch Klassik noch da …

Waren sie so enttäuscht von ihr?

Sie sollte dann wohl besser gehen … Sie gehörte nicht hierher. Keiner wollte sie hier. Keiner antwortete auf diese Frage.

Es war … Es wirkte auf sie, als wären diese Leute schon lange Freunde gewesen. Lange, bevor sie aufgetaucht war. Und sie … sie war das sechsunddreißigste Rad am Wagen. Zu viel.

Wer brauchte schon sechsunddreißig Mäuler zu stopfen?

Sie arbeitete zwar … aber nur einen Bruchteil der Arbeit der anderen … Sie war … sonderberechtigt. Anders.

„Lass dich nicht verscheuchen“, meine Robo dann, „Es ist nur … wir brauchen dein Wissen, Retro. Und …“

„… Wir würden es dir sagen, wenn wir könnten“, fuhr Schach daraufhin fort, „Aber … es geht nicht. Aber am Ende werden wir es dir erzählen. Wirklich.“

Sie erhob sich, woraufhin Smaragd reagierte und ihre Hand nahm, sodass sie nicht wegkam. „Bleib noch hier. Azur will nicht gestört werden.“

„Woher …?“

„Die Karte“, antwortete er und deutete auf ihre Manteltasche, aus der die halbe Karte ragte.

Nachdem sie versuchte, ihre Hand wegzuziehen, was aber nicht gelang, setzte sie sich doch wieder hin.

Was redeten sie? Was war anders? Ihre Geheimnisse? Es gab wirklich welche …

Sie verstand es nicht.

Sie wusste nicht, wo sie hier hineingeraten war.

Wer waren diese Leute?

Herzchen, Smaragd, Orient, Schach, Robo, … Azur.

Was verbargen sie vor ihr?

Wieso nahmen sie sie mit?

Plötzlich ging ihre Fantasie mit ihr durch. Hatten sie sich entführt und sie glauben gemacht, sie wäre Mitglied?! In Wirklichkeit hatten sie bestimmt schon längst Lösegeld von ihrem Vater gefordert! Und sie half diesen Gaunern …! Und …

Als ihr Blick durch die Runde ging, fiel ihr erstmals etwas auf. Es war ihr all die Zeit entgangen, aber … Alle … blickten zu Boden.

Waren sie traurig? Manchmal sahen sie auch zum Himmel. Doch all ihre Bewegungen begleitete eine Trauer. Eine Schwäche. Eine Bodenlosigkeit. Etwas, das sie bedrückte …

Sie lachten. Sie lächelten. Sie scherzten.

Aber … waren diese Leute jemals glücklich?

Was war ihnen zugestoßen?

Wieso fiel ihr das erst jetzt auf? Warum konnten diese Leute nicht nur glücklich darüber sein, am Meer zu segeln und … den Wellen zu lauschen, den Vögeln zuzusehen … die Freiheit genießen. War es für sie etwa keine Freiheit?

Oder was beklemmte sie?

Wieso wollten sie nichts mit ihr teilen? Zwar bezweifelte sie, dass sie helfen konnte, aber …

„Es tut mir leid …“, murmelte sie, den Blick auf das Deck gerichtet.

Die Blicke der Leute im Umkreis fielen auf sie.

„Was auch immer mit euch los ist, was auch immer man euch angetan hat“, führte sie an, wobei ihr Blick weiter nach oben ging und sie in jedes der Gesichter, der Schattengesichter, einmal blickte, „Ich verstehe es nicht. Ich weiß nicht, was vorgefallen ist. Ich bin hier nur zufällig in eure Geschichte geraten“, fuhr sie fort, wobei ihr Blick nun auf dem Mond haften blieb, der ruhig über ihnen schien, „Aber ich will, dass ihr glücklich seid. Ich weiß nicht, wieso euch die Freiheit alleine nicht schon glücklich macht, aber ich weiß, dass sie das sollte. Und darum … darum werde ich euch als zweite Hand Azurs jetzt zu Glück verhelfen.“

Schneller, als Smaragd handeln konnte, riss sie sich von ihm los und stand enthusiastisch auf, wodurch alle vierunddreißig Besatzungsmitglieder, die anwesend waren, auf sie schauten.

„Ich will, dass ihr satt seid, dass ihr keinen Durst mehr habt, dass ihr glücklich seid, dass ihr lacht, dass ihr ein gutes Leben führt! Dank euch habe ich meinen Lebenstraum erfüllt. Dank euch, kann ich fröhlich sein und meine alte Schmach vergessen! Ich verstehe nicht, wieso ihr nicht dasselbe Glück erfahren sollt!“

Alle sahen sie schweigend an. Überraschung strahlte ein jeder von ihnen aus. Der Mondschein zeichnete auf einigen Gesichtern, die von ihm beschienen wurden, ein Lächeln ab.

Sogar diejenigen, die sie immer höflich ignorierten, widmeten sich ihr jetzt.

„Du hast ja keine Ahnung“, meinte Herzchen forsch und erhob sich von ihrem Fass, „Scheinbar aber hast du dich an meinen Vorschlag gehalten“, fügte sie sanfter hinzu – stolz?

„Sie hat es glatt bemerkt …“, sinnierte Robo, „Wir müssen ja ein ziemlich deprimierter Haufen sein!“, erkannte er amüsiert.

„Total, vor allem der Haufen!“, schloss sich Schach an. Er lachte dann.

Einige stimmten zu.

… Jetzt … Jetzt fühlte sie sich aber dumm.

Wirklich dumm.

Und verwirrt.

Eigentlich dachte sie daran, diese Leute aufzumuntern. Und nicht … und … Na gut, sie hatte es geschafft, sie aufzumuntern. Aber … Sie verstand es nicht.

„Mit so einer Optimistin bei uns, werden wir jetzt wohl ein glückliches Dasein führen – solange es eben andauert!“, meinte Orient.

Sie sah zu dem Mann, der am Boden lag und lachte.

„’Solange es andauert’?“, wiederholte sie.

Stille kehrte ein.

„Ich glaube, Azur ist jetzt fertig“, wies Smaragd sie hin und deutete in Richtung des Steuerrads, welches vom Käpt’n persönlich geführt wurde.

„… Danke …“, meinte sie kleinlaut und zog die Karte hinaus.

Seltsam.

Ausgesprochen seltsam.

Hatte sie je etwas Seltsameres erlebt?

Nein. Nein, definitiv nicht.

Aber sie hatte Arbeit zu erledigen. Schließlich gab es hungrige Mäuler zu stopfen.
 

Er übergab mir ein Geschenk.

Doch nicht aus Dankbarkeit.

Es war aus Eigennutz.

Glaubt das jemand?

Er nützt mich. Und dafür bin ich da.

Unbekümmert

„In der Mitte des Sommers, da gibt es eine Nacht, die kürzer ist, als im Rest des Jahres“, erzählte sie mir einmal voller Stolz. Ich war von Neid zerfressen, während diese Worte über ihre Lippen kamen.
 

Shan kam nicht. Die ganze Zeit, die er auf sie gewartet hatte, blieb sie fort. Als er seine Augen kaum noch offen halten konnte, ließ er sich vom Schlaf umarmen, noch immer der Überzeugung, dass sie nachkommen würde.

Als die Sonne seinen Platz erhellte und Licht auf seine Augenlider fiel, öffnete er diese schlagartig und blinzelte die Müdigkeit weg.

Sechs Tage.

Er setzte sich auf und gähnte auslassend, danach streckte er sich kurz und stieg langsam aus dem Bett. Er war noch immer bei Regena, in dem Zimmer, das sie ihm zugeteilt hatte. Er würde die Frau nach Proviant fragen und dann ein Stück zurückgehen. Vielleicht hatte Shan sich ja verlaufen? Es … war einfach seltsam, dass sie gestern nicht mehr gekommen war.

Aber … hatte er überhaupt Zeit, sie zu suchen?

Schließlich hatte er den gestrigen Tag noch zum Ausruhen verwendet. In sechs Tagen war das Fest. Er wusste in etwa, wo der Ort lag, von dem Regenas Enkelin gesprochen hatte, doch er hatte keine Ahnung, wie lange er dafür brauchen würde. Außerdem kannte er den Weg nicht. Er wusste nicht, ob er zu Fuß gehen musste, oder ob er Epona nehmen durfte.

Er würde es herausfinden.

Langsam zog er sich seine Stiefel, die neben seinem Bett lagen, wieder an. Danach ging er zum Tischchen, das gegenüber seinem Nachtlager stand und nahm von dort das Hemd, das darauf lag. Regena lieh ihm eines, ließ aber nicht verlauten, woher sie ein Männerhemd hatte.

Sein altes hatte er ihr mitgegeben, sodass sie sich darum kümmern konnte. Sie sagte, sie würde es mit zu Ilyas Fest nehmen. Dort konnten sie dann einen Hemdentausch vollführen.

… Vermutlich würde er es vergessen. An dem Tag musste er die Königin schließlich davon überzeugen, dass … dass …? Dass Ganondorf noch immer eine Gefahr war? Dass er ihre Hilfe brauchte? Dass es zu spät war?

War es zu spät?

Die Geister musste ihm wohl gesinnt sein … ansonsten …

Eine bestimmte Hoffnungslosigkeit breitete sich in ihm aus, als er auch noch seine grüne Kappe an sich nahm und auf seinem Kopf platzierte. Sein Schwert schnallte er sich danach um den Rücken und scheinbar kampfbereit öffnete er die alte Holztür, um aus seinem Raum zu treten. Aber er war nicht kampfbereit.

Er war … einfach hoffnungslos.

Es war zu viel Glück, zu viel Schicksal, von dem seine Erfolge abhingen. Einfach nur … zu viel, das er nicht selbst in die Hand nehmen konnte. Aber er war kein Schicksalskind. Und auch niemand an seiner Seite war eines davon. Ganondorf dafür hatte vermutlich ein lebendiges.

Aber … vielleicht irrte sich Shan wirklich. Erneut klammerte er sich an den Gedanken, dass Ilya noch nicht zu Ganondorfs Seite gehörte. Sie musste eine gute sein. Schließlich war sie gut.

Da war er sich sicher.

Jemand, der sich so für sein Volk einsetzte und ihnen auch in solch schlimmen Zeiten ein bestmögliches Leben ermöglichen wollte … so jemand konnte doch unmöglich schlecht sein. Egal, was Ganondorf ihm anbieten würde.

Oder Ganondorfs Diener, von dem er noch immer keine Spur hatte.

Wenn er diesen finden würde … wäre das Problem gelöst. Doch derjenige würde klug genug sein, nicht auf denjenigen zuzugehen, der es geschafft hatte, seinen Meister zu erledigen. Vermutlich versteckte dieser Diener sich irgendwo und erweckte Ganondorf ruhig und gelassen.

Link entrann ein Seufzen. Wieso konnte es nicht besser laufen? Warum …?

„Mit dieser Aura schaffst du es garantiert, Ganondorf umzubringen. Oder du steckst ihn mit deinem Trübsal an, sodass er anfängt zu weinen und nicht mehr auferstehen will. Guter Plan.“

Link schaute auf. War sie es wirklich?

Shan stand neben Regena, welche – beide Augen zusammengekniffen – glücklich lächelte. Shan trug derweil einen Flechtkorb, aus dem nasse Wäsche quoll.

„Shan! Du bist da!“, rief er erfreut aus, „Du bist … Wo warst du so lange?!“

Er schloss den Abstand zu ihr beinahe und schaute zur großen Frau auf.

Sie lächelte ihn feixend an und schloss die Augen. „Ich musste zu Fuß gehen, das weißt du doch, Dummerchen“, erklärte sie ihm und ging an ihm vorbei. „Wohin kommt die Wäsche?“

„Einfach ein Zimmer weiter! Danke, Fräulein!“, meinte Regena und folgte ihr, wobei sie auf der anderen Seite an Link vorbeiging und an Shan anschloss, welche die Wäsche ins besagte Zimmer brachte.

Link trat ebenfalls zurück und lehnte sich zufrieden an den Türrahmen.

Seine Hoffnungslosigkeit war wie weggewischt. Shan war hier. Das bedeutete, dass sie weiterkonnten! Mit ihrer Hilfe würde er die Geister finden!

„Shan, ich muss dir etwas erzählen, wir- …“

Er wurde barsch von Regena unterbrochen. „Erst brav essen, dann reden!“, befahl die Frau, was Shan zum Kichern brachte.

„Aber wir müssen weiter …!“, bestand Link.

„Nein, du isst etwas“, bestimmte die Alte, keinen Widerspruch duldend, wandte sich dann zu Shan um und fuhr mit einer liebenswürdigen Stimme fort: „Liebes, könntest du mir die Wäsche hier sortieren? Nach Hemden, Röcken und Hosen, wenn es genehm wäre. Damit würdest du mir einen großen Gefallen tun.“

„Dafür, dass Ihr mich so gut versorgt habt, helfe ich Euch doch gerne, meine Dame“, antwortete Shan freundlich und machte sich an die Arbeit.

Dabei fiel Link etwas auf: Sie trug ihr Kleid gar nicht mehr, sondern einen schwarzen Umhang, der teils auch ihr Gesicht verdeckte. Scheinbar kam sie zu dem Schluss, dass Regena noch nicht entdeckt hatte, dass sie keine Hyrulanerin war und verdeckte ihre Haut dementsprechend.

„Link, iss dich ruhig satt“, erlaubte ihm Shan dann und drehte sich kurz zu ihm, „Sonst verhungerst du uns ja noch.“ Sie lächelte und wandte sich dann wieder der Arbeit zu.

Regena packte ihn unvermittelt am Arm und zog ihn in die Küche, wo ein reichhaltiges Mahl zubereitet war. Einen Blick zur Ablage werfend, erkannte er, dass hier bereits zwei Personen gegessen hatten.

Die Frau brachte Link zu einem Stuhl und drückte ihn darauf. Er ließ sie gewähren. Sie meinte es nur gut.

„Und, mein Junge, brauchst du noch etwas?“

„Nein, ich denke, es ist alles da“, lehnte er dankend ab. Dann nahm er sich ein Brot.

Regena setzte sich auf den Stuhl neben ihn und sah ihn eindringlich an – zumindest kam es ihm so vor.

„Seit wann ist sie schon hier?“, wollte er wissen, nachdem er den ersten Bissen hinuntergeschluckt hatte.

„Kurz bevor die Sonne wieder erschienen ist, kam sie. Erstaunlich, dass sie dieses Haus so einfach gefunden hatte.“

„Epona wird ihr schon verdeutlicht haben, dass ich hier sein muss.“

„Und der Weg …? Kennt sie sich hier so gut aus?“

„Sie ist ein Naturtalent darin, Leute zu finden“, meinte Link schlicht. Vermutlich hatte sie ihren Ring dazu benutzt. Vielleicht konnte sie damit zu Personen finden … vielleicht hatte sie sich einfach gewünscht, Regenas Haus zu finden … Er wusste es nicht. Aber genau genommen, war es nicht wichtig. Wichtig war nur, dass sie wieder hier war.

Und dass sie erfuhr, was er gesagt bekommen hatte.

Link erschrak, als die alte Frau aufsprang und sich dann zu ihm beugte. Seine Ohren verspürten ein Kitzeln, als die Frau sich so nahe an diese lehnte, dass er ihren Atem spüren konnte. Beunruhigend …

„Wir sind die Familie der Geisterwächter …“, flüsterte sie ihm zu, „Meine Enkelin hat nichts davon gesagt, weil sie sich dagegen entschieden hatte, solch eine zu werden. Sie wollte lieber die Theorie studieren, während die andere Freundin die Praxis mit den Geistern studiert. Ihre Freundin, die bereits als Teil der Familie betrachtet wird, hat ihre Aufgabe übernommen und beschützt diese Wesen nun. Das Königreich dieser Wesen. Weil du bereits einmal das Vertrauen derer gewonnen hast, hat sie dir preisgegeben, was sie weiß. Aber nur dir, Link.“

Hieß das etwa …?

„Ich darf Shan nichts verraten?“, schloss er leise daraus und sah die Frau eindringlich an, wodurch er etwas Abstand zwischen seinem Ohr und ihrem Mund gewann – was ihn aus irgendeinem Grund beruhigte.

Die Frau nickte. „Wenn wir das Geheimnis jedem verrieten, wären die Geister in Gefahr. So haben wir uns geschworen, nur die einzuweihen, die bereits eingeweiht sind. Und sie hat noch nie einen Geist gesehen, nicht wahr?“, wisperte sie weiter.

Midna hätte die Lichtgeister ebenso gesehen, wäre sogar schon von ihrer Macht berührt worden. Shan nicht, soweit er wusste. Und dass die Geister der Dunkelheit, die wohl eindeutig über ihr Reich wachten, mit ihr Kontakt aufgenommen hatten, bezweifelte er ebenso. …Aber er vertraute Shan. Er wollte es ihr mitteilen. Sie zogen die Sache zusammen durch, sie musste es wissen.

„Es fällt dir schwer“, fuhr die Alte fort, „Aber … es muss sein. Bitte schwöre mir, dass niemand von dem Gespräch gestern erfährt. Nicht sie, nicht die Prinzessin und auch niemand sonst.“

Schwermütig nickte er. Aber …

Allerdings wandte er nichts ein. Regeln mussten sein. Ohne Ordnung wäre die Welt ein Chaos. Und die Geister mussten beschützt werden – auch wenn sie egoistische Wesen waren. Sie waren für die Welt wichtig. Zwar bezweifelte er, dass Shan es an die große Glocke hängen würde oder den Geistern Schaden zufügen würde, aber … Regena bat ihn darum.

„Ich schwöre es dir …“, fügte er leise hinzu.

Seine Zufriedenheit war verschwunden.

„Wie erkläre ich ihr jetzt den Wechsel, des Bestimmungsortes?“

„Ein Gesetz der Geister lautet – nach dem Gesetz, dass keiner das Königreich derer betreten darf, der nicht heilig genug ist, ihnen zu begegnen, was keinen Menschen ausschließt - … dass immer nur ein Bittsteller hinein darf.“

„Das Gesetz ist sinnlos“, kommentierte Link, „Niemand darf sie sehen, niemand sieht sie und keiner darf zu ihnen – wie soll da nur einer zu ihnen?“

„Sieh auf deine Hand, Link, auf deinen linken Handrücken.“

Er trug keine Handschuhe und das Triforce zeichnete sich gut sichtbar ab. Er brauchte dringend wieder welche. Die anderen lagen samt dem Hemd in der Wäsche.

„Dies ist ein heiliges Zeichen“, erklärte die Frau, „Meine Enkelin hat es bemerkt. Sie hätte die Geister nicht erwähnt, wenn sie sich nicht sicher gewesen wäre, dass du es schaffen würdest, das Reich zu betreten. Du bist heilig genug, durch den Segen der Göttinnen.“

„Ich … verstehe … Shan soll also einfach draußen warten?“

„Sie könnte sich derweil auch nützlich machen und euren alten Plan umsetzen. Für etwas seit ihr doch losgegangen.“

Link nickte. Ja, das war möglich … Sie konnte derweil die Goronen aufsuchen und über Boro befragen. Mit dem Umhang würden sie nicht bemerken, dass Shan anders war. Also sollte es kein Problem darstellen. Wobei … in den Bergen der Goronen war es ziemlich heiß. Ob sie das unter dem Umhang wohl aushalten würde …?

Er würde sie darum bitten und seinen Plan nach ihrer Antwort gestalten.

„Danke, Regena, für alles.“

Er aß ein weiteres Brot, während er sich erhob.

„Euer Proviant ist bereits auf dein Pferd geladen“, meinte Regena.

Link lächelte. „Vielen, vielen Dank.“

„Wir sehen uns beim Mittsommernachtsfest?“, fragte die alte Frau.

„In sechs Tagen – beim Fest“, versprach Link.

Und damit konnte die Weiterreise beginnen.
 


 

Bekanntlich ist der Schluss am schwersten.

Die Endzutat …

Es bedarf enormer Fähigkeiten, an diese zu gelangen.

Ob ich das schaffen kann?
 


 

Seit dieser seltsam peinlichen Situation an Deck waren weitere drei Tage vergangen, die sie in Richtung des Zielortes Zorasien weitergesegelt waren.

Terra stand an Deck, die Sonne schien auf ihre Haut und sie hatte eine Karte ausgebreitet in der Hand, um nachzuprüfen, ob sie sich geirrt hatte. Schließlich konnten sich die Pläne der Handelsschiffe immer wieder ändern. Und das würden sie, wenn man die Piraten auch in diesen Gewässern vermutete.

Sie war sich sicher, dass Azur die Gewässer von Marine Umkreis nach Zorasien geändert hatte, weil sie die Schiffe nicht mehr vorausahnen konnte, da „Käpt’n Retro“ so Furcht einflößend war, dass sie sämtliche Routen geändert hatten.

„Vielleicht sollte ich öfter während der Raubzüge erscheinen, dann würden sie mir meinen Titel nicht aberkennen“, ertönte eine nachdenkliche Stimme hinter ihr.

Und ehe sie sich versah, stand Kapitän Azur neben ihr und schaute die Karte an.

„Oder Ihr schlagt den Matrosen vor, nicht vor den Überlebenden – und alle überleben – meinen Namen zu nennen, sondern Euren.“

„Wenn sie sich vor den Opfern doch so gerne über dein Geschick äußern, Retro. Dir will ich dein Lob nicht nehmen.“

„Und ich Euch Euren Titel nicht“, wandte sie ein.

Als sie in sein Gesicht sah, schaute er sie lächelnd an, sagte aber nichts dazu. Danach wandte er sich wieder dem Papier in ihrer Hand zu.

„Kapitän, Schiff gesichtet!“, rief Schach, der das Fernrohr am Ausguck betätigte.

„Wir befinden uns hier“, murmelte Azur und deutete mit seinem Finger auf eine leere Stelle. Terra sah zu Schach hoch, der in eine bestimmte Richtung deutete. Azur fand dann auf der Karte die richtige Stelle und das dazugehörige Schiff.

„Ziegen“, las er Terras Notiz vor, „Eine Ziege haben wir schon. Brauchen wir noch eine Ziege, Retro?“

„… Hm. Solange die Ziege noch Milch gibt, brauchen wir keine zweite. Aber wir brauchen Heu, das wir der Ziege geben können. Also würde ich dem Schiff etwas Heu abluchsen. Aber nicht zu viel, ansonsten verhungern die anderen Ziegen. Falls aber einer nahe genug an eine zutrauliche Ziege kommt, können wir schon noch eine zweite, Milch gebende gebrauchen. Man kann nie genug Milch haben.“

Azur nickte augenscheinlich zufrieden.

Hatte er diese Antwort von ihr erwartet?

Er legte eine Hand auf ihre Schulter. „Gut erkannt“, lobte er sie und rief seinen Leuten sogleich ruhig den nächsten Schritt zu.

Gestern hatten sie wieder Rubine von einem Schiff stehlen müssen, sodass sie im Hafen von Zorasien genug kaufen konnten.

Sie ging derweil unter Deck. Ihre Aufgabe war erledigt. Sie wusste, dass die Piraten gute Menschen waren, die alle anderen überleben ließen. Es war gefährlich, das war ihr klar. Und genau das machte diese Leute so mutig und edel. Sie waren irgendwie keine richtigen Piraten.

Sie griffen nicht mit Kanonenfeuer an, sie schlachteten nicht ab, obwohl sie Waffen dabei hatten und sie stahlen nur, was sie brauchten.

Es schien nicht, dass sie Piraten wurden, um reich zu werden, auch nicht, um Abenteuer zu erleben. Aber weshalb dann?

Was hatte diese ehrenvollen Leute dazu gebracht, sich eine schwarze Flagge auf den Mast zu hängen und loszusegeln?

Azur hatte ihr gesagt, dass sie schon viele Orte aufgesucht hatten, um etwas Bestimmtes zu finden. Doch er wollte nicht erwähnen, was es war. Sein Blick hatte sich verfinstert, als er davon sprach und sie bemerkte, dass das darauf folgende Lächeln, das zu ihrer Beruhigung galt, aufgesetzt war, aber nicht falsch.

„Was nur …?“, murmelte sie, als sie zum letzten der Räume ging.

Ein riesiges Schiff hatten sie auch. Riesig, schnell, leicht lenkbar … Beinahe ein Wunderschiff. Die Schiffe ihres Vaters hatten auf den Karten viel weniger Räume und schienen viel kleiner. Ob sie nur Glück hatte, auf so einem riesigen Kahn zu landen?

Sie öffnete die Tür und der Geruch von Fell und Heu stieg in ihre Nase. Es war immer wieder seltsam, diesen Raum zu betreten, indem Cavallya und die Ziege standen. Schließlich waren sie mitten am Meer.

Sie ging an der Ziege vorbei, wobei sie ihr kurz über den Kopf streichelte und ging dann zu ihrem geliebten Pferd. Es lag im Heu und kaute auf einem Stück herum.

„Ja, bald sind wir wieder an Land“, beruhigte sie das Tier, als sie sich daneben setzte und es liebkoste, „Dann reite ich dich aus“, versprach sie leise und kuschelte sich an das Pferd.

Sie war froh, dass Azur nichts dagegen hatte, neben der Ziege noch ein anderes Tier zu behalten. Vielleicht war Cavallya ihm ja irgendwann einmal zunütze?

„Du bist ein Schatz …“, lobte sie es.
 

Der Ritt gestaltete sich als anstrengend. Erst musste er Epona durch den Wald quälen, danach ging es steil bergauf, über einen ziemlich unsicher wirkenden Weg. Eineinhalb Tage brauchten sie, um die Bäume hinter sich zu lassen, und der dritte Tag war heute angebrochen.

Epona ließ den Kopf hängen. Er musste ihr jetzt beinahe stündlich Wasser geben, dass sie weiterkam. Aber ohne sie würden sie noch langsamer sein …!

Shan hatte sich Epona zu liebe dazu entschieden, in den Schatten einzutreten.

Aber Link konnte es nicht mehr.

Er konnte es nicht mehr ertragen, sein Pferd so leiden zu sehen. An einer – nach langer Zeit – geraden Stelle, stieg er ab. Epona nütze die Chance und legte sich hin, ließ den Kopf von sich gestreckt und atmete heftig.

Was hatte er diesem Tier nur angetan …?

Er streichelte ihr zärtlich über den Bauch. „Danke, dass du so lange durchgehalten hast …“, flüsterte er ihr zu. Außerdem waren sie zahlreichen Monstern begegnet. Er wollte nicht für jedes absteigen, weshalb er hin und wieder von Epona aus den Monstern den Gar aus machte, manchmal nutzte er auch Eponas Geschwindigkeit und Hufe dafür, die Monster zu töten, oder zumindest außer Gefecht zu setzen … Das musste das Tier auch sehr mitnehmen …

Dann stellte er sich auf.

Von hier aus konnte er zum Goronenberg blicken. Dementsprechend war es auch ziemlich heiß. Die Sonne brannte her.

„Leg dich in den Schatten, wenn es dir etwas besser geht“, schlug er dem Pferd vor. Ein Felsvorsprung spendete Schatten, aber das Pferd jetzt zu bewegen, war ein Ding der Unmöglichkeit.

Er schnallte die Lebensmittel von Epona ab und lud sie auf sich selbst.

Einen Kübel füllte er mit kühlem Wasser und stellte ihn in den Schatten. Damit sollte Epona für eine Weile genug haben. Und länger als zwei Tage durften sie nicht brauchen. In diesen zwei Tagen musste Epona fit werden. Denn dann würde er sie ein letzten Mal hetzen müssen – nach Hyrule, um sein Versprechen zu halten.

Aber sein anderes Versprechen … konnte er einfach nicht halten.

Er hatte Shan nicht wegschicken können. Nicht zu der Hitze der Goronen. Außerdem glaubte er zu wissen, dass sie nicht mit sich reden ließen. Und vielleicht wussten sie gar nichts über Boro …

Aber er konnte sie auch nicht zu den Geistern schleifen. Die Geister wollten nichts mit ihr zu tun haben, wie ihm Regena verdeutlicht hatte. Wieso quälte er dann auch sie nach oben? Diese Tortur hätte er ihr ersparen können. Womit verdiente sie es?

Er war ein schlechter Freund.

Er wollte … einfach nicht alleine sein. Und er konnte mit ihr gut reden. Zwar nicht, wenn sie gerade im Schatten war …

„Shan?“, fragte er, als er sich erhob. Vielleicht schlief sie ja und hatte darum noch nicht bemerkt, dass er angehalten hatte.

Nach einigen Momenten erschien sie und sah in den Himmel. „Uh, heiß hier …“, stellte sie fest, „Am Meer wäre es jetzt bestimmt kühler“, fügte sie hinzu und lächelte ihn an.

„Vermutlich wäre es das …“, gab er ihr Recht, „Ich muss jetzt zu Fuß weiter. Epona kann nicht mehr.“

Sie nickte. „Ich verstehe … Ich habe nur eine Frage: Bist du sicher, dass du hier richtig bist?“

Er nickte.

Sie schien leicht verunsichert. „Na gut … Ganz sicher, dass wir nicht Richtung kühle Meeresbrise müssen?“

„Nicht so heikel, meine Dame“, ermahnte er sie scherzend und begann dann, weiterzugehen.

Shan folgte ihm – schwebend.

„Ich würde dich ja hochheben, aber dann wird es schwer für mich. Aber … wenn du es auch nicht mehr packst, dann werde ich mein Bestes geben, dich hochzuschleifen“, versprach sie entschuldigend.

„Danke für dein Mitgefühl“, erwiderte er lächelnd.

Sie schwebte neben ihm her. Sie wirkte besonders nachdenklich.

„Macht dir diese Hitze hier wirklich nichts aus?“, fragte er.

Die Mittagssonne brannte direkt auf den Berg.

„Keine Sorge, ich bin stark genug“, tat sie seine Bedenken ab.

Am Goronenberg wäre es noch heißer, führte er sich vor Augen. Dort waren heiße Quellen, Feuer, fliegende, brennende Kometen, rollende Goronen … Hier war es wenigstens nur die Sonne.

Moment.

Woher wusste er, was ihn am Berg erwartete?

War er dort schon einmal?

Er war verwirrt.

Und diese Erinnerung pochte erneut auf.

Doch er verdrängte sie sofort wieder – mit einem Gedanken an Midna.

Als er dann einen Blick auf Shan warf, bemerkte er, dass sie sich die Kapuze abgelegt hatte, und den Umhang entfernte. Darunter trug sie einen leichten, rockähnlichen Stoff, der für ihr Reich üblich war, Handschuhe und … Moment.

Diese Bekleidung kannte er doch.

„Das hast du doch auch getragen, als du zu mir gekommen bist. Danach etwas anderes“, stellte er fest.

Sie lächelte kurz, dann verschwand das Lächeln wieder. „Blitzmerker.“

„Aber dieses goldene Diadem … von Midna … das hast du immer durch getragen. Seit ich dich kenne … Verbindet es dich mit ihr?“

„Und das fragst du nach über einem Monat des Zusammenseins?“, fragte sie amüsiert.

„Zu dem Kleid hat es toll gepasst … dann konnten wir dank Terra uns eine Weile nur im Dunklen sehen, du warst verletzt … und … dann waren wir wieder zu konzentriert auf den Schwan, als dass ich es beachtet hätte …“

„Und jetzt sind wir nicht konzentriert auf die Goronen?“

Geister, verbesserte er sie wortlos.

„Nein, jetzt, wenn es so in der Mittagssonne glänzt … erinnert es mich irgendwie an Midna. Kann auch daran liegen, dass ich gerade an sie gedacht … Shan?“

Während dieser beiden Sätze, vollführte sie ein ziemlich seltsames Mienenspiel. Bis zum Glänzen lächelte sie glücklich, danach verdunkelte sich ihre Miene, danach schenkte sie ihm einen beinahe bösen Blick und zum Ende sah sie ihn gar nicht mehr an.

Was war jetzt los?

„Was ist ein Gorone?“, fragte sie danach mit leiser Stimme.

„So ein gelbes Wesen, das sich rollen kann …sie haben einen Panzer am Rücken …“, erklärte er.

„Ich weiß nicht, ob du sie auch sehen kannst … aber auf dem Berg da drüben rollen ein paar gelbe Wesen hinunter …“, meinte sie, als sie stehen blieb und darauf zeigte.

Link erkannte wirklich nur die Staubwolken, die sie dabei hinterließen. Es waren bestimmt viele.

„Oh …“, machte er nur.

„Machte mich … ja schon stutzig, dass … wir noch keinem begegnet sind …“, murmelte er leise lügend.

„Sind wir … doch am falschen Berg?“, schloss Shan daraus.

„Scheint so“, gab Link zu, „Aber … innerhalb von zwei Tagen kommen wir da nie rüber …!“

„Zwei Tage?“, fragte sie und sah Link verwirrt an. Aber irgendwie auch … griesgrämig. Ahnte sie etwas?

„… Oh, habe ich das noch gar nicht erzählt? Wir treffen Regena am Mittsommernachtsfest. Und das findet in drei Tagen statt.“

„… Darauf kommst du bemerkenswert früh. Hast du wirklich vor, daran teilzunehmen?“, fragte sie düster, den Kopf wieder von ihm abwendend.

„Ja. Ich möchte mit Ilya sprechen, sie überzeugen.“

„Im Kerker landen, das Schwert dort spüren, wo du es nicht spüren möchtest – oder scheinbar doch“, fuhr sie fort und wiederholte somit die Worte von Prinzessin Ilya.

„Es ist seltsam, Shan. Ich fühle mich so zu ihr hingezogen …“, erklärte er.

„Was bringt es dir, dieses Fest aufzusuchen? Um dich erneut vor allen Leuten als irrer Verräter hinstellen zu lassen? Dafür willst du hin?“

„Nein … Um Ilya davon zu überzeugen, dass sie … dass sie …“

„Dass sie? Ich höre.“

„Ich weiß es nicht. Aber um das herauszufinden, bin ich doch hier“, meinte er.

„Aber die Erinnerung wird nicht aufscheinen, wenn du sie zu sehr drängst“, wies Shan ihn darauf hin. Also sie zu ihm schaute, lächelte sie freundlich, „Lass ihr die Zeit, die sie braucht. Wenn es dich nicht mehr schmerzt, an sie zu denken, wird es besser gehen. Also – gehen wir zu den Goronen?“

„Jetzt haben wir uns diesen Berg soweit hoch gekämpft … Vielleicht gibt es weiter oben einen Verbindungsgang?“, fragte er hoffnungsvoll, „Vielleicht müssen wir gar nicht zurück?“

„… Wenn du daran glaubst, will ich es auch tun“, meinte Shan und schwebte weiter.

… Glück gehabt.

„Danke, Shan“, murmelte er leise und lächelte vor sich hin, während er ihr folgte.
 

Ob er an mich glaubt? Ob er mir viel zutraut?

Ich weiß es nicht. Aber zumindest vertraut er mir.

Zumindest vertraut er mir wichtige Dinge an.

Unwirklich

Trotz allem stellt sich mir immer wieder die Frage, wie es ihr geht.

Was sie wohl machte? Ob sie genauso an mich dachte, wie ich an sie?

Nein, wieso sollte sie?

Ich war nicht wichtig.
 

Er erreichte den Berggipfel. Sah vereinzelt kleine, trockene Sträucher herumstehen. Felsen, die braun waren und trocken wirkten, verzierten die Umgebung. Nichts hier wirkte irgendwie einladend auf ihn.

Die Sonne machte sich bereits zu ihrem Untergang bereit und tauchte alles in rötliches Licht. Dadurch wirkte es gleich noch eine Spur mehr ausgetrocknet.

„… Uh. Nette Landschaft“, kommentierte Shan das Gesichtete mit sarkastischem Unterton.

Sie hatte recht. Hier war es nicht nett. Hier wohnten ganz sicher keine Geister. Keine Naturgeister.

War er falsch abgebogen?

Oder hatten sich Regena und ihre Enkelin einen Scherz erlaubt?

„Ich sehe hier auch keine Verbindung zum Goronenhügel“, stellte sie klar, „Wir müssen aber zu den Goronen.“

Er nickte auf ihre Worte hin.

Vielleicht … reagierten die Geister ja darauf, dass er nicht alleine war? Aus welchem Grund auch immer. Vielleicht mochten sie keine Leute, die ihr Geheimnis nicht kannten? … Wenn er Shan wegschickte …

Link begutachtete seine Begleitung.

Erst schaute sie sich um, dann wandte sie den Blick auf ihn – scheinbar in Erwartung einer Antwort.

„Wenn wir jetzt zum Goronenhügel gehen, schaffen wir es nie bis zum Fest“, läutete er ein.

„Das heißt?“, wollte sie wissen.

„Ich werde den Weg zu Fuß wieder runter gehen und Epona dabei mitnehmen. Ich werde rennen, um schneller unten zu sein. Ich weiß schließlich, dass du keine Pferde magst. Das will ich dir also ersparen“, fing er seine Erklärung an.

„Und weiter?“

„Du wirst in das Dorf gehen, das man von dort drüben aus sehen sollte. Es heißt Kakariko“, erklärte er ihr, „In diesem Dorf könntest du auf eine Frau namens Thelma stoßen. Sie ist die Besitzerin des Ladens, in dem ich in Hyrule-Stadt geblieben bin, als du im Krankenhaus warst. Wenn du sie siehst, richte ihr bitte aus, dass sie ihr Geschäft wieder übernehmen soll, weil …“

… Weil ihre Nichte Poly … Polyetna? … „… Feconi es alleine nicht schafft.“

„Wieso macht das diese Feconi nicht selbst?“

„Sie kann das Geschäft nicht alleine lassen.“

„Wieso tust du es nicht?“

„Zeitdruck?“

Sie lachte kurz auf. „Sag doch gleich, dass du mich loshaben willst!“ Sie grinste. Scheinbar meinte sie das nur scherzhaft.

„Haha, als könnte ich mich je freiwillig von dir trennen“, antwortete er ihr lächelnd.

Shan kicherte daraufhin. „Wenn du schon so charmant fragst, tu ich das natürlich gerne für dich. Bin in zehn Minuten wieder da.“

„Nein, du kannst unten warten. Wäre ja sinnlos, wenn du wieder hier hoch kämst … Hm. Ich brauch nach unten bestimmt nur einen Tag. Vielleicht auch zwei. Wir haben jetzt vier Tage bis zum Gipfel gebraucht. Wenn ich renne, nehme ich an, dass ich doppelt so schnell sein kann. Wir waren ja ziemlich langsam unterwegs … Dann … Nach Hyrule-Stadt ebenfalls ein bis zwei Tage … Aber eher nur einen Tag!“

„Das wird knapp, wenn du wirklich noch feiern willst.“

„… Dein Ring …!“

Sie schaute sofort auf ihre Hand, an der sie den Ring mit dem kleinen, roten Juwel trug.

„Ich soll ihn dir leihen? Wofür? Epona …“

Er schüttelte den Kopf. „Hör zu.“

„Wie immer.“

„Ich werde morgen oder übermorgen unten in Kakariko sein. Mit Epona. Du wirst heute bereits mithilfe deines Rings nach Kakariko gehen und von dort aus zu Fuß nach Hyrule-Stadt … Ich hoffe, du findest dich zurecht … Den Ring lässt du aber in Kakariko … Verstecke ihn irgendwo … Sagen wir, hinter Eldins Quelle? An der Oberfläche auf einem Stein … Ich werde ihn finden. In Hyrule-Stadt treffen wir uns dann bei der Schneiderei. Für ein Fest, braucht man Festtagskleidung.“

Sie wirkte, als hätte sie ihm gelauscht. Scheinbar dachte sie über seine Worte nach. Sie wog alles ab, was man an der Bewegung ihres Kopfes mitverfolgen konnte.

Abrupt blieb sie stehen. „Wehe, er geht verloren“, drohte sie ihm – lächelnd.

„Ich werde aufpassen!“, versprach er, „Also machen wir es so? Am Tag des Festes treffen wir uns bei den Schneidern. Wartest du dort? Findest du dorthin?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich werde mein Bestes tun.“ Für einen Moment schwieg sie. „Pass aber auf dich auf. Ich will dich in einem Stück in Hyrule-Stadt antreffen. Und mach keinen Blödsinn, wenn ich nicht auf dich aufpasse!“

„Habe ich je Blödsinn gemacht?“

Sie lächelte. „Interpretationssache.“

Er grinste. „Natürlich.“

Daraufhin kam Schweigen zwischen ihnen auf. Sie sahen sich einfach nur an.

„… Ich sollte jetzt wohl los?“, mutmaßte sie. Sie wirkte, als würde sie auf etwas Bestimmtes warten.

Was sie wohl erwartete?

Aber er selbst verspürte ebenso ein Ziehen. Eines, das ihn dazu verleiten wollte, die Arme um sie zu legen und ihr eine „Gute Reise“ zu wünschen. Aber … das konnte er doch nicht bringen, oder?

„Man sieht sich!“, meinte sie danach. Schwarzer Dunst legte sich um ihren Körper und brachte sie Stück für Stück weg.

Bis nichts mehr von ihr übrig war.

Jetzt war er wieder alleine.

Er seufzte.

Scheinbar hatte sie doch auf nichts gewartet. … Er wusste, wie man den Ring verwendete. Mit Hilfe seiner Gedanken. Es würde also klappen.

Aber … dazu musste er sich beeilen – musste die Geister finden.

Er drehte sich um …

Und von der staubtrockenen Umgebung war nichts mehr zu sehen.

Allerdings starrte er plötzlich in das Antlitz einer Frau.

Einer Frau mit Schwert.
 


 

Terra stand an der Reling und genoss die sanfte Meeresbrise, die ihr ins Gesicht wehte. Ihre Haare umwoben ihr Gesicht und sie fühlte sich wundervoll. Der Sonnenuntergang war ein wahres Kunstschauspiel und sie liebte es, diesem beizuwohnen. Eine Sonne, die so nah war, dass man glaubte, sie berühren zu können … Leider war dem nicht so.

Im Himmel flogen Möwen ihre Wege und andere Vögel mischten sich darunter. Aber diese weißen, weißen Tiere … sie waren noch immer ihre liebsten.

„Ach, Mutter … ich wünschte, du könntest mir ein Zeichen schicken, dass du stolz auf mich wärst …“, murmelte sie leise vor sich hin – den Blick weiterhin gen Sonne gerichtet.

Sie lächelte fröhlich. Ob ihre Mutter wirklich stolz auf sie wäre?

Sie drehte sich um.

Sie musste noch etwas mit dem Kapitän besprechen. Jetzt sollte er Zeit für sie haben.

Gerade als sie einen Schritt Richtung Kajüte machen wollte, spürte sie etwas.

Etwas Hartes, Festes krachte in ihren Rücken. Ehe sie reagieren konnte, warf sie die Wucht des Unerwarteten zu Boden und ließ sie den salzigen Bestandteil schmecken.

„Was … was war das?“, fragte sie sich leise verwirrt.

Etwas lag auf ihr.

Als sie sich umwenden wollte, kamen bereits weiße Federn in ihr Blickfeld. Diese Federn gehörten zu einem Flügel.

Eine Möwe?

Langsam drehte sie sich um.

Der Vogel fiel zu Boden.

Sie lag neben ihm, kniete sich hin und drehte sich um.

Das anmutige Geschöpf besaß einen langen Hals, einen graufarbenen Schnabel und hatte geschlossene Augen. Es wirkte nicht, als hätte es eine Verletzung. War es bloß erschöpft?

… „Moment“, wies sie sich hin.

Dieser Vogel.

Das war kein gewöhnlicher Vogel – es war ein Schwan!

Ein strahlend weißer Schwan!

Das konnte doch nicht wirklich jener Schwan sein, den sie in Marine gesehen hatte? Es gab hier kaum Schwäne. Zumindest in Marine nicht. In Zorasien kannte sie sich mit der Zoologie zuwenig aus, aber …

Das hier war eindeutig ein Vogel Schwan.

„Hey! Orient …! Herzchen …!“, rief sie leise, verzweifelt. Was sollte sie damit tun?

„Leute?“, setzte sie ein wenig lauter an, „Hier liegt ein- AH!“

Sie hörte sich selbst laut aufkreischen.

Die Flügel des Schwans waren verschwunden. Nun lagen zwei leichenblasse Arme an jener Stelle. Der Schnabel, der lange Hals, der rundliche Bauch … die Flossen …!

Alles war weg.

Vor ihr lag ein … Mensch.

Mit Haut, Haaren, Augen …!

Ein Mensch! Der ein Schwan war!

Wie …? Was …?

Ihr Kreischen erstarb nicht.

Es würde nicht sterben, ehe nicht Hilfe herbeigeeilt war! Auch wenn sie es wollen würde, aber …! Vor ihr hatte sich gerade ein langhalsiger, mit Federn bedeckter Schwan in ein junges, langhaariges, bekleidetes Mädchen verwandelt …! In ein Mädchen, welches zwei riesige, schwarze, mit Federn bedeckte Schwingen am i Rücken /i trug! Das … Das war doch nicht normal …!

Was sie etwa verrückt geworden? Einbildung? Fiebertraum? Sie hatte doch kein Fieber …! War sie vielleicht eingeschlafen? Aber nein, das konnte nicht sein … Sie sanfte Seeluft, der salzige Geruch – alles fühlte sich zu real an …! Es musste Wirklichkeit sein …!

„Hilfe verdammt!“, kreischte sie.

Doch keiner kam.

Du kannst ruhig sein …

Schockiert schaute sich Terra um. Was war das?! Wer hatte da gesprochen?

Sofort schaute sie zu der Frau mit dem weißen Haar. Doch sie regte sich nicht.

Dein Bewusstsein ist nicht mehr in deinem Körper …

Sie sog scharf die Luft ein.

Was behauptete diese Stimme da?!

Steh auf, dann wirst du mir Glauben schenken können …

Nach kurzem Zögern gehorchte Terra. Sie musste beweisen, dass diese Stimme …

„Woah!“, machte sie. Oder auch nicht.

Was sie sah, ließ sie erneut die Augen aufreißen. Dort war sie.

Sie lag dort, neben der weißen Frau, die sich noch immer nicht bewegt hatte – in den Armen von Orient.

Um sie herum waren Smaragd und Herzchen, Schach … und Klassik?! Was machte er hier?! Was … was war hier los? Wieso war er zurück ...? Er war doch verbannt worden … Sollte sterben …

Robo lief auf sie zu, er bewegte den Mund, doch sie verstand ihn nicht. Hinter ihm tauchte Kapitän Azur auf. Er musterte das Geschehen mit kühler Miene, doch Sorge breitete sich ebenfalls auf seinen Zügen aus. Je näher er kam, desto schneller wurde er.

Kurz vor ihnen blieb er stehen, öffnete überrascht seine Augen und- …

Mehr sah sie nicht.

Wir gehen. Du wirst es später erfahren , versprach die Stimme in ihrem Kopf.

„Wer bist du überhaupt …? Was soll das hier? Wieso ich?“

Deine Fragen sind berechtigt , gestand die sanfte Frauenstimme ein, Doch die Antworten werden warten müssen. Je schneller wir ankommen, desto eher wirst du es erfahren. Es tut mir leid …

„Wofür entschuldigst du dich?“

Das wirst du bald erfahren, wenn wir nicht schnell genug sind.

Jener letzte Satz ließ Terra erstarren – oder eben ihr Bewusstsein. Sie wusste nicht, was sie hineininterpretieren durfte. Was meinte sie damit? Was war hier los? Wieso flogen ihre Gedanken ohne ihren Körper herum? Wer war diese Stimme? Was war das für eine Frau …? Wieso hatte sie riesige, schwarze Flügel?

Schnell, Terra …!

Terra? Wieso kannte sie ihren Namen? War sie etwa …? War diese Stimme etwa die ihrer Mutter?! Wer sonst in dieser übernatürlichen Welt würde ihren Namen wissen? Wer sonst? Es musste sie sein …! Sie traf ihre Mutter wieder!

Dieser Erkenntnis löste die Starre von ihr.

„Wohin?“

Mir nach.

Und ehe sie sich versah, schwebten ihre Gedanken über dem Wasser – das Wasser sauste unter ihr hinweg. Es war, als würde sie reiten … Wie früher, als sie mit ihrer Mutter geritten war.
 

Die Schwerter klirrten aneinander, als die Frau mit dem langen, braunen Haar und den stechend gelben Augen erneut auf ihn Einschlug und er gekonnt parierte. Diesmal setzte sie zum Glück nicht wieder zu einem Sekundenabschlag an … Das bedeutete, dass seine Arme sich von den Schlägen erholen konnten.

Als die Frau erkannte, dass dieser Angriff wieder ein Fehlschlag war und sie ihn nicht zurückdrängen konnte, sprang sie akrobatisch nach hinten und konzentrierte sich wieder auf ihn.

Das hatte sie bereits vorhin einmal getan – es würde wieder ein Sekundenabschlag folgen.

Er ging in die Knie und hielt sein Schwert wie bereits zuvor in Abwehrhaltung. Er würde wieder abwehren.

„Lässt du mich jetzt bitte ausreden?“, setzte er erneut an.

Doch die Antwort war erneut das Klirren.

Mit einem gewaltigen Satz sprang sie blitzschnell auf ihn zu, hämmerte mit dem Schwert auf ihn ein. In einer Sekunde folgten mehrere Schläge, die alle ein schallendes Geräusch von sich gaben. Metall auf Metall, eine ungeheure Kraft und diese rasend schnell eingesetzt …

Sie hatte vor, sein Schwert zerspringen zu lassen – das war ihm bewusst. Doch weshalb sollte er sie angreifen? Sie war bestimmt dieses Mädchen, dem er das Band geben sollte …! Also war sie eine Freundin …! Sie griff ihn zwar an, aber … Er sah keinen Grund, zurückzuschlagen. Noch konnte er mit Schild und Schwert Abstand beibehalten, aber …

„Ich habe etwas für dich!“, redete er ihr ein – doch er bezweifelte, dass sie auch nur ein Wort hörte.

Ihre Augen waren auf sein Schwert fixiert, ihre Muskeln waren angespannt, ständig in Bewegung und ihr Schwert scharf, schnell und tödlich.

Plötzlich zuckten ihre Augen.

Für einen Moment starrte sie ihm direkt in die seinen.

Und plötzlich stoppte der Angriff.

Und ein stechender Schmerz machte sich in seinem Schwertarm breit.

Ohne dass er es bemerkt hatte, war es ihr gelungen, ein zweites Schwert zu ziehen. Sie hatte es in seinen Oberarm gerammt und wieder an sich genommen. Doch er würde seinem Reflex nicht nachgeben. Er würde das Schwert nicht fallen lassen!

Ihr Entfuhr ein wütendes Knurren als sie bemerkte, dass ihr Plan nicht aufgegangen war und sie hämmerte erneut um einiges heftiger auf sein Schwert ein.

Der Schmerz breitete sich aus. Seine Schulter, sein ganzer Arm … Es schmerzte.

Aber wenn er jetzt aufgab, starb er. Er würde Shan nicht wieder sehen. Würde die Welt nicht retten. Ganondorfs Sieg wäre unaufhaltbar. Und das nur, weil er ein Mädchen nicht angreifen wollte.

Musste er es wirklich tun? Einen Menschen, der nicht wirklich Böses tat, der nur beschützte, was ihm lieb war, attackieren?

Für einen kurzen Moment presste er seine Augen zusammen, saugte die Luft ein, stählte seine Muskeln und riss das Schwert zur Seite, während er im selben Moment zu einer Rolle ansetzte – mit dem unverletzten Arm am Boden.

Doch die Wucht des Aufpralls ließ seinen Körper erzittern und erneute Fragmente des Leidens durch seinen Arm fahren. Aber er ignorierte es.

Er erhob sein Schwert, als die andere von der Überraschung einer Gegenwehr kurz erstarrt war und schlug mit der flachen Seite der Klinge hart gegen ihre Schwerthand – welche die rechte war. Mit dieser Hand hatte sie die ganze Zeit gekämpft, mit der linken war sie nicht einmal präzise genug, seinen Arm vollkommen funktionsunfähig zu machen.

Dann erhob er den Schild, welchen er an seinen Arm geschnallt hatte, und rammte damit ihren Körper. Sie taumelte nach hinten, hielt sich aber bemerkenswert gut fest.

Das Schwert in ihrer linken gab sie sofort an die rechte weiter. Sie fing sich wieder, rannte auf Link zu und diesmal wurde es zu einem richtigen Kampf.

Auf Leben und Tod.

Das Antasten war vorbei. Link machte ernst, sie tat weiter wie zuvor – nur noch schneller. Auch sie hatte sich um seinen Willen zurückgehalten. Aber was sollte er tun? Er war unter Zeitdruck! Er musste kämpfen, musste die Geister sehen! Sie war die Wächterin. Kam er an ihr vorbei, kam er dem Ziel einen Schritt näher. Er musste sie als Feind sehen.

Mit seinem Schild wehrte er ab, wenn sie einen Angriffsversuch wagte, während er mit seinem Schwert in genau demselben Moment einen Angriff unternahm. Seine Sinne waren auf den Kampf konzentriert, er musste seinen Feind loswerden.

Während seine Gegnerin im graziösen Stil fortfuhr, nahm er weiterhin seinen plumpen Ritterstil und achtete nicht sehr auf Leichtigkeit, sondern mehr auf die Angriffsabfolge. Er musste kämpfen. Sie besiegen. Durchkommen!

Ein Fehler.

Nicht seinerseits – ihrerseits. Sie war falsch aufgetreten, ihr Gleichgewicht – er konnte es sehen, sie war unkonzentriert. Wenn er sie jetzt …

Er sah es bereits vor sich … sein Schwert sauste auf sie zu, stach in ihren linken Fuß, ließ sie dadurch zurückkippen und ihn als Sieger hervorgehen.

Er setzte den Plan um. Sein Schwert flog steil nach unten, sein Arm rammte ihren Körper. Ihr Gleichgewicht verabschiedete sich vollkommen. Ihr Schwert loslassend, fiel sie zurück und schlug hart mit einem Krächzen am Boden auf. Entgegen seiner Erwartung setzte sie sich sofort auf und robbte zurück – doch es nützte nichts.

Er machte zwei große Schritte.

Erhob sein Schwert über seinen Kopf.

Sie wollte einen Kampf auf Leben und Tod. Sie würde ihn bekommen.

Und er stach zu.

HALT!
 

Taros Kopf begann kurz, sich zu drehen. Was war geschehen …?

Das Holz lag noch immer vor ihm. Die Hacke war noch in seinen Händen, über seinem Kopf, kurz davor, nach unten zu schwingen und das Holz teilen.

Und plötzlich überkam ihn dieser kurze Schwindel.

Er schüttelte den Kopf und tat es als nichts ab, auch wenn seine Gedanken davon erschüttert waren. War es Schmerz? Aber wieso sollte etwas Schmerzen? Er tat doch nichts Schmerzhaftes. Idiotisch.

Genauso idiotisch wie die ganze Situation. Kein Mensch konnte ihm irgendetwas zu diesem Boro sagen. Wer hätte das auch gewesen sein sollen? Jemand würde ihn doch kennen, wenn er wichtig gewesen wäre. Aber … keiner konnte sich an ihn erinnern.

Er konnte Link wohl doch nicht helfen.

„Tut mir leid, ist aber so“, murmelte er.

„Huh, was tut dir leid?“, fragte die Stimme neben ihn.

Sein Aufpasser – Colin. Weil er angefangen hatte, über diesen Boro zu recherchieren, hatten sie ihn für verrückt erklärt und Colin als Wache mitgegeben. „Falls er sich einmal daneben benimmt oder unvorsichtig wird“. Er konnte es nicht fassen!

Gut, es hörte sich vielleicht wirklich etwas verrückt an, dass Link mit einer Dämonin unterwegs war, aber es war so! Er konnte auch nichts dafür!

Hätte er doch bloß nichts gesagt.

Aber sie wollten wissen, wie er jetzt auf Boro kam …!

„Papa war dort“, sagte Colin dann leise, als Taro keine Antwort gab.

„Wo?“, wollte er angewidert wissen. Sollte ihn diese Trantüte doch in Ruhe lassen.

„Bei dem Grab, von dem du erzählt hast. Boros Grab.“

„Und?“ Er gab sich desinteressiert – aber am liebsten wäre er vor Neugierde aufgesprungen, um alles selbst von Moe zu erfahren.

„Er gibt zu, dass es ganz nach ihm wirkt. Aber er kann es sich nicht erklären …! Er weiß auch nicht, wieso er sich nicht an diesen Boro erinnert. Oder daran, diesen Stein gemeißelt zu haben.“

„… Das ist so seltsam!“, fand Taro, „Was ist los? Hat uns jemand verzaubert?“

„Ist Link wirklich mit einem Dämon unterwegs?“

Er nickte auf Colins Frage hin – auch wenn er seine Anregungen eiskalt ignoriert hatte.

„Wieso …?“, murmelte der Kleine betrübt seufzend und zerschlug das nächste Holzstück.

Taros Haufen war schon doppelt so groß wie Colins – aber wunderte das jemanden?

„Weil er ein Idiot ist!“, behauptete Taro. „Nur Idioten vertrauen der Fremde.“

„Aber … ohne die Geisterwelt hätte er sein erstes Abenteuer nie bestreiten können.“

„Wen interessiert das bitte?“

„Mich. Ich glaube nicht, dass sie ein Dämon ist. Link ist gut. Er macht nichts Schlechtes. Und Dämonen sind schlecht. Also hat er mit Dämonen nichts am Hut.“

„Mir doch egal, was du mir da erzählen willst. Ich weiß, was ich gesehen habe! Die hatte leuchtend orange-rote Haare, dieselbe Augenfarbe und die war riesig! Komplett schwa- …“

Das Bild einer großen, schwarzen Person tauchte vor ihm auf.

Und unbändige Wut machte sich in ihm breit.

Der Schwindel von zuvor befiel ihn wieder.

Er legte die Hacke zur Seite.

Was war das?

„Taro? Alles in Ordnung?“, wollte Colin wissen. Auch er folgte seinem Beispiel und legte die Waffe weg. Er schritt langsam auf ihn zu.

Was hatte er da gesehen? Da war doch gerade niemand. Es gab doch keinen Grund, so etwas zu sehen – oder doch?!

Wo war es?

Wann hatte er diese Wut gefühlt?

Wo war sie hin verschwunden? Sie war genauso schnell weg, wie diese Person … Diese schwarz eingehüllte Person.

Mit dem leuchtend roten Haar.
 

Sein alles durchschauender Blick. Seine zu einem Lächeln geformten Lippen.

Er war so schlau, so schön, so stark.

Und sobald er seinen Blick auf mich richtet, glaube ich, wie er zu sein.

Ungereimtheit

Ich hoffe, dass sie irgendwann meine Stärken sehen können wird.

Sie hält mich für jemanden, der sie lediglich kopiert. Aber … das bin ich nicht …

Oder?
 

Terras Geist verstand nicht.

Geh! Geh vorwärts! , drängt die Stimme, die sie für die ihrer Mutter hielt, sie, Geh!

Aber wie konnte sie gehen? Was geschah?

Auf ihrem Weg über den strömenden Meeresspiegel waren sie einer Felsenlandschaft näher gekommen. Nichts als Felsen zierten diesen Orten. Aber die Stimme hatte ihren Geist weitergelotst. Solange, bis sie eine Höhle erreicht hatten.

Und rechtzeitig, bevor sie auch nur einen näheren Blick zur Höhle wagen konnte, erschien ein Schatten. Ein mächtiger Schatten.

Der Schemen schoss nach vorne. Ein Blitz. Der Blitz traf ihre Mutter. Sie spürte, wie die Stimme aus ihrem Gedächtnis verschwand. Alles verschwamm.

Sie konnte nichts tun.

Konnte sie nicht beschützen.

Plötzlich verfestigte sich die Umgebung wieder. Geh!

Wie sollte sie weitergehen? Sie konnte diese Stimme nicht ernsthaft alleine lassen! Das Dunkel … Sie wollte Link doch dabei helfen, das Dunkel zu besiegen! Und jetzt sollte sie fliehen?

Hau ab! Ohne dein Zutun wird der Schatten siegen! , kreischte die Stimme. Ein seltsames Weiß begann sich zu manifestieren und vor der Finsternis, die bereits eine Wand bildete, aufzuziehen. Meine Kraft reicht nicht lange. Und schon gar nicht für solche Spielchen. Wenn du nicht willst, dass ich mich berechtigt entschuldigt habe, dann geh in die Höhle!. Die Stimme klang drängend, verzweifelt und bittend, hatte aber etwas Befehlshaberisches, das Terra endlich zur Bewegung aufrüttelte. Gehen … gehen … Wie ging man?

„Durch … durch den Schatten?“, fragte sie unsicher nach.

Geh! , wiederholte sie.

Gehen …

Sie zwang ihr Bewusstsein zur Bewegung. Auf den dunklen Schatten zu … Wie es die Stimme gesagt hatte …!

Sie nickte kurz noch einmal, ehe sie sich zum Losstürmen überwand und die Schattenwand durchbrach. Dort, wo sie das Dunkel berührte, bekam die Wand Risse. Die Helligkeit, die sofort hinter ihr herflog, verschloss die Risse – aber sie zerrte auch weiter an der Wand.

Dies würde zu deren schattigen Zerbrechen führen.

Aber das lag bereits hinter ihr.

Jetzt stand sie dort – vor einer großen, felsigen Höhle. Das Weiß war also auf ihrer Seite …! Ob das Weiß zu ihrer Mutter gehörte?

Das Wasser schlug gegen die Ränder und überlappte hie und da das Ufer, über welches es sich im Nachhinein erstreckte. Eine winzige Ansammlung kleiner Muscheln war darauf zu finden. Oft schien es also nicht zu geschehen …

Als sie ihren Blick vom steinigen Boden erhob, nahm der Anblick der Höhle sie gefangen. Es war eine steingraue Höhle, in die man hineinblicken konnte. An einigen Stellen lugten große Felsbrocken hervor, doch sie störten die Sicht im Großen und Ganzen nicht wirklich.

Im Gegenteil. Sie rahmten mehr das Geschehen ein.

Und hätte sie geatmet – das Geschehen hätte ihr den letzten Rest des Atmens geraubt. In einem, von einem dunklen Nebel umhüllten Glaskasten lag zusammengekauert ein kleines Wesen. Ohne diesen Nebel wäre es ihr nicht aufgefallen, aber sie war dort. Eine winzige Fee, pechschwarz und ganz anders … als … als …

Sie wusste es nicht.

Aber sie wusste, dass die Fee hier nicht hergehörte. Sie gehörte anderswo hin. Und zwar zu …

Terra dreht sich um.

Diese Stimme … Das … Sie war nicht die Stimme ihrer Mutter.

Es war die Stimme einer weißen Frau. Einer weißen Fee. Es war die Stimme des Gegenstücks der kleinen, schwarzen Fee.

Die weiße Fee hatte sie hergebracht, um die schwarze Fee aus den Fängen der Dunkelheit zu retten. Sie musste Azur hierher bringen.

Sofort wandte sie sich wieder dem Eingang zu. Sie musste hinein kommen! Vielleicht gab es noch Anhaltspunkte! Als sie ihr Bewusstsein ein wenig verrückte, erblickte sie noch etwas. Etwas, das ihr den Atem wiedergebracht hätte, ihr einen Stoß in den Magen versetzt hätte und ihr dadurch erneut den Atem geraubt hätte. Und es hätte es sehr oft wiederholt.

Rotes Haar. Eine schwarze Rüstung. Ein leuchtend weißes Schwert. Und eine Aura, die Verderbnis, Finsternis und absolute Grausamkeit widerspiegelte.

Er war tot. Tot. Und doch erstrahlte er, als wäre er lebendig.

Vor ihr lag …

Vor ist war …

Sie musste zurück! Zu diesem Zweck wandte sie sich von der Höhle ab. Azur musste davon erfahren. Sie mussten es Link erzählen! Auf der Stelle! Denn- …

Plötzlich schien ihre Welt zusammenzubrechen, als sie beobachtete, wie die schwarze Wand die weißen Risse i zersprang /i. Schwärze durchbohrte das reine Weiß und ließ es stetig verschwinden. Mit dem Weiß verschwand ihre Sicht. Das Meer, die Felsen …

Bis zum Schluss nur noch etwas Schwarzes übrig blieb.

Etwas manifestierte sich davor. Etwas … Schwarzes … Es … hob die Hand. Ein Blitz …

Der klägliche, letzte Rest der weißen Substanz sprang vor sie.

Schütze sie …

„Mutter?“, murmelte sie. Das konnte doch nicht …

Alles zersprang.

Dunkelheit.
 


 

Link sah sich verwirrt um und hielt das Schwert fest.

Als er bemerkte, dass er kurz davor war, der anderen den Schädel zu spalten, riss er es erschrocken zurück und machte sogleich einige Schritte zurück.

„Es … Es tut mir leid!“, entschuldigte er sich – noch immer verwirrt und orientierungslos.

Wieso? Wieso wollte er sie töten?

Wer brachte ihn dazu? Oder was?!

Ganondorf?!

Als Antwort ertönte lediglich ein verhöhnendes – beinahe gehässiges – Kichern.

Das Mädchen rappelte sich bemüht auf und stellte sich dann vor Link hin. Sie steckte ihr Schwert gelassen in die Scheide, die um ihre Hüfte geschnallt war, und strich sich dann noch das Haar zu recht. Außerdem begutachtete sie noch ihre Kleidung und putzte den überflüssigen Staub weg.

„So“, leitete sie ihre Worte ein, wobei sie ihm endlich die Ehre erwies, ihm in die Augen zu sehen, „Erneut ein Auserwählter, der nicht einmal wählen kann, auf wen er hört.“

Er sah sie verdutzt an. Was wollte sie damit sagen?

„Im Kampf einer aussichtlosen Lage gegenüberstehend, keinen Ausweg sehend – wieso sollte man da nicht auf die einfachste Methode zurückgreifen? Töte sie. Töte sie einfach“, sagte das Mädchen und lächelte Link dabei schelmisch an. „Habe ich nicht Recht? Du wusstest, dass ich eine der Guten bin, nicht wahr?“

Nach dieser Frage, die klang, als habe sie ihn bei einem unbeliebten Geschäft erwischt, wandte er seinen Blick dem Boden zu. Seine Schuhe waren dreckig.

„Aber keine Sorge“, fügte sie – plötzlich um einiges netter – hinzu, „Du befindest dich hier am Platz der Geister. Ein einfacher Mensch kann hier nicht widerstehen. Die Gedanken fliegen herum und bündeln sich, wie sie wollen. Du denkst ans Töten. Du lehnst das Töten ab. Töten. Was bedeutet töten. Ich will sie töten“, aus ihrem Munde klang es wie ein Zitat, „In etwa so werden deine Gedanken vielleicht gelautet haben … Aber … lass mich wissen – wie hast du es geschafft, dem Drang zu entrinnen?“

Waren das seine Gedanken? Wie konnte er entrinnen?

„Halt …“, murmelte er und sah sie wieder an, „Jemand … hat ‚i Halt /i’ geschrieen …“

Das Mädchen drehte sich um und musterte wohl den Eingang der Höhle, die hinter ihr lag.

Bis eben hatte Link das Umfeld nicht wahrgenommen.

Aber von der Trostlosigkeit war nichts mehr übrig. Grüne Pflanzen, ein kleiner Fluss und diese einladend wirkende, von Pflanzen umrankte Höhle zierten den Ort. Saftiges, smaragdfarbenes Gras knirschte unter seinen Füßen und die Erde war fruchtbar und feucht.

„Ah, also hattest du Hilfe. Ich denke, das sollte man als ‚Tritt ein’ werten“, beschloss sie. Danach widmete sie ihm wieder einen abschätzenden Blick. „Ich denke, Regena hat dich geschickt. Ansonsten kommt hier niemand hoch. Und schon gar nicht wird ihm die Welt offenbart. Dass du einfach so von der Existenz der Geister weißt, bezweifle ich. Wobei …“, sie nickt in seine Richtung, „Deine Hand …“

Er hielt sein Schwert fest in der Linken – und erhob sie auch. Mit aufgerissenen Augen stellte er fest, dass sein Triforce wie ein Leuchtfeuer strahlte. Es blendete ihn – aber mit einem angenehmen, hellen Licht, welchem man nicht ausweichen wollte. Viel eher wollte man mehr davon genießen …

„Ein Triforceträger. Träger des Mutes. Link aus Ordon, wie ich annehme.“

Er nickte – betäubt von seinem Triforce … Vermutlich spielte die Welt eine Rolle für seine Abgelenktheit …

„Ich werde mit dem Naturgeist sprechen, der dir die Hilfe angeboten hat. Du musst wirklich eine besondere Person sein, wenn sich jemand an dich wendet, ohne dass ich vorher um Hilfe geschrieen habe … Dir steht wohl Großes bevor.“ Sie kicherte noch einmal – diesmal aber ohne eine Spur von Hohn oder Hass. Dann drehte sie sich weg und betrat die Höhle.

Als sie eine Weile weg war, schüttelte Link plötzlich den Kopf.

Was tat er da?!

Sofort steckte er das Schwert weg und strich sich mit dem rechten Handrücken über die Stirn.

Die seltsame Stimmung war annähernd weg. Ein wenig rüttelte sie noch an ihm … Aber eigentlich war sie weg. Woher war sie gekommen?

Geisterwelt, hatte sie gesagt.

Er musste ihr noch das Band geben.

Und die Einladung. Eine Kämpferin wie sie brauchte er beim Endkampf.

Gegen wen auch immer. Aber sie würde nützlich sein. Glaubte er.

Hoffnungsvoll starrte auf den Höhleneingang.

Und dieser Geist hoffentlich auch.
 

Dunkelheit.

„Hey, Kleine! Wach auf!“, ertönte eine Stimme weit entfernt.

Sie musste ihn finden … Woher kam diese Stimme …? Dort hinten … Ein Licht …

Sie folgte dem Licht. Alles war schwarz. Doch dieses Licht. Diese Stimme …

„Du warst tapfer! Aber wir brauchen dich noch! Wach auf!“, forderte die Stimme noch eindringlicher.

Es wurde größer …

Im Hintergrund … Verständigten sich dort Möwen? Möwe … Möwe … Komm nach haus …

Sollte sie nach Hause kommen?

Zu dem Licht?

Wohnte sie dort?

Mutter.

Ihre Mutter. Wartete sie im Licht? Ja, denn zuhause wartete immer eine Mutter! Sie würde zuhause auf ihre Mutter treffen!

Sie lief schneller auf dieses Licht zu.

„Warte … warte, Mama …“, murmelte sie schlaftrunken, als sie erwachte.

„Nein, nicht Mama! Orient mein Name!“, begrüßte sie der freundliche Mann lächelnd.

Herzchen kniete neben ihr und schaute sie besorgt an.

Robo stand hinter Orient und blickte unsicher drein. Er wechselte ständig nervös die Blickrichtung.

Terra ließ ihren Kopf zur Seite schweifen, um seinem Blick zu folgen.

Azur war dort … Er sprach mit Klassik …

Die weiße Frau … Sie lag in Azurs Armen. Er ging … Wohin?

„Hey, Kleine! Bist du wach? Terro?“, fragte Orient besorgt und schüttelte sie kurz. „Terrooo?`“

„Terra, Entari, du Idiot!“, schimpfte Herzchen und schlug ihm auf den Kopf.

„Retro, geht es dir gut?“, wollte Robo zurückhaltend wissen.

„Ja …“, brachte sie heraus. Dann hievte sie sich hoch und hielt sich dafür an Orients Kleidung fest. Sie legte ihren Kopf an seine Brust und schloss die Augen erneut. „Wieso …?“

Schweigen legte sich über die Mitglieder der Mannschaft.

„Ich bringe dich weg“, schlug Orient vor, „Terra.“ Er sprach leise und rücksichtsvoll.

Sie fühlte, wie sich zwei Hände um ihre Hüfte schlangen und sie über eine Schulter gehängt wurde. Ihr Haar hängte ihr ins Gesicht … Aber es war ihr egal …

Was war passiert?

Sie glaubte, dass ihre sämtliche Körperkraft verloren gegangen war. Sie empfand Schwäche, Willenlosigkeit … Anstrengung …

Was war passiert?

„Dieser … Schatten …“, stockte sie, „Was …?“

„Azur wird es dir erklären“, meinte Orient.

„Azur …“, murmelte sie.

Und die Schwärze der Erschöpfung packte sie.
 

Das Mädchen kam wieder heraus und blieb am Höhleneingang stehen. Sie verschränkte die Arme.

„Sie will, dass du hereinkommest, Held“, meinte sie, „Immerhin habest du dich als stark herausgestellt. Dir sei eine Audienz gewährt.“ Sie machte einen spöttischen Hofknicks, während sie feixend grinste. „Hoheit, bitte – nach Euch.“

Als Link auf sie zuschritt, sah er sie verwirrt an. Was … Was hatte sie gegen ihn?

„Ich habe noch dieses Band …“, leitete er seine Worte ein, doch er wurde durch ein Kopfschütteln unterbrochen.

„Man lässt einen Geist nicht warten, Held“, meinte sie – urplötzlich vollkommen ernst, „Wir reden später.“

Damit ging sie zu einem Stein und setzte sich mit verschränkten Beinen darauf. Sie starrte in eine Richtung.

Er folgte ihrem Blick. Doch er sah nichts weiter, als die wundervolle Landschaft.

Er hoffte, dass zu diesem „später“ auch eine Erklärung gehörte. Sein Verstand … wollte einfach nicht alles erfassen.

Entschlossen blickte er wieder nach vorne.

Er wäre auch zufrieden damit gewesen, wenn dieser Geist, der ihn empfangen würde, eine Aufklärung betreiben könnte. Hoffentlich war es ein netter Geist …

Aber er schien ja schon einiges von ihm zu halten … Also … Hoffentlich würde es nützen. Es war seine letzte Chance. Er musste herausfinden, gegen wen er kämpfte. Wie er kämpfte. Weshalb er kämpfte.

Er betrat die dunkle Höhle.

Geschockt stellte er fest, dass die Höhle eine Sackgasse bildete, was er erst realisierte, als er eintrat. Aber … bei dem Mädchen! Sie ging doch tiefer hinein, oder?!

Als hätte er den Befehl dazu gegen, begannen die Wände in der nächsten Sekunde zu verschwimmen. Stein und Pflanze veränderten sich. Alles zerrann ineinander, wurde durchsichtig, wurde bläulich. Die Wände rannen nach unten, die Gräser breiteten sich als Flüssigkeit aus.

Unter ihm, über ihm, neben ihm, vor ihm. Überall.

Die gesamte Höhle verwandelte sich in Wasser. In stilles, ruhiges, schonendes Gewässer, welches regungslos vor ihm lag.

Als das Gras unter seinen Füßen ebenfalls Teil des Sees geworden war, konnte er seine Spiegelung betrachten. Ihm fiel zudem auf, dass er auf dem Wasser stand und nicht unterging. Das Wasser war wie eine Fläche. Und doch wusste er, dass es sich um Wasser handelte.

Erst als die letzte Wand zerronnen war und um ihn herum ein weiter See lag, der alles überdeckte – den Eingang, die Höhle, die Aussicht, die Landschaft -, begann das Seewasser sich zu rühren. Einige Schritte von ihm entfernt, startete es zu blubbern. Kreise bildeten sich. Sie wurden größer, je weiter sie kamen. Diese Kreise führten zu ihm. Und weiter. Bis sie den ganzen See trafen. Soweit sein Auge reichte.

Und am Beginn dieser Kringel, bei den Blubberblasen, in der Mitte, wie es ihm schien, tauchte eine Fontäne auf. Ein Strahl schoss in die unweite Höhe, welche einen Horizont preisgab, der das Wasser spiegelte, und verband die beiden Elemente. Und aus diesem Strahl trat eine vollkommen blaue Gestalt. Ihr Haar glänzte feucht. Ihre Haut schimmerte wässrig und ihre Kleidung endete in einer langen Schärpe, welche im Wasser, im weiten See, ihr unendliches Ende fand. Sie war verbunden. Ihr Haar reichte in den Strahl hinein, der unaufhörlich nach oben stieß. Ihre Kleidung reichte in den unendlichen Ozean, der sich vor ihm ausbreitete. Und doch hatte sie eine menschliche Form angenommen. Am Wasser stehend, streckte sie sich kurz, als hätte sie lange geschlafen. Mit ihren vollkommen menschlich ausgebildeten Armen und Beinen. Ein Gesicht. Ein wunderschönes Gesicht. Mit einem aufgeregten Lächeln auf den Lippen. Mit Augen, die tiefe Seen waren, in denen man sich verlor … Ertrank … Wasser …

„Link, Träger des Triforce“, ihre Stimme klang wie eine Melodie, beruhigend wie das Rauschen der Wellen, ruhig wie die stille See und fesselnd wie der Anblick des Meers.

„Ja …“, stimmte er ihr zu.

„Du bist auserwählt“, fügte sie hinzu. Ihre blauen, aus Wasser wohl geformten Lippen verzogen sich zu einem freundlichen Lächeln, „Ich bin Influbene. Ein Naturgeist des Wassers. Die stillen Seen unterliegen meiner Macht.“

„Link aus Ordon … Ziegenhirte …“, stellte er sich verblendet vor.

Ein kleines, belustigtes Lächeln, welches sie verbergen wollte, indem sie ihre Hände vor den Mund schlug, erschien auf ihren Zügen. Dann faltete sie jedoch ihre Hände und schloss diese Augen für einen Moment …

Und plötzlich war er frei.

Was tat er? Wieso ließ er sich so leicht lenken? Diese Welt … Was war sie?!

„Eine andere Sphäre“, erklärte der Geist, „Du bist im Reich der Geister, im Sektor des Wassers, im Raum der Seen.“ Sie ließ die Augen geschlossen und die Hände gefaltet.

„Eine andere Sphäre?“

„Hyrule ist in verschiedene Sphären gegliedert. Der Tod ist die höchste und sogar für uns Naturgeister kaum zu erreichen. Das Licht ist ebenfalls eine andere Welt. Und darunter die Elementwelten mit ihren Räumen. Die mittlere Welt ist Hyrule. Und die Unterwelten sind die, die den Schatten verdeutlichen. Und deren Ende ist der Tod.“

„Der Tod? Zweimal?“, wunderte sich Link.

„Ein Kreis“, erklärte Influbene, „Niemals endend, niemals beginnend.“

„Ich …“

„Du verstehst nicht, ich weiß“, meinte sie mitfühlend, „Doch du musst verstehen … Denn du kämpfst.“

„Ja, ich kämpfe gegen Ganondorf. Aber wie soll ich das anstellen?“

„Erreiche ein Licht. Das Schicksal ist ein Licht. Doch ebenso ist es eine Dunkelheit.“

Schicksal? Licht? Dunkelheit? Er … er wollte doch nur wissen …!

„Im Verrat liegt die Hoffnung, Link aus Ordon, Ziegenhirte“, meinte sie lächelnd.

Verrat? Sollte er etwa das Licht verraten? Sollte er Dunkelheit mit Dunkelheit besiegen? Aber das brachte ihn nicht weiter. Ganondorfs Scherge würde sich nicht zeigen. Und er würde es nie tun. Er könnte nicht … Oder doch? Nein. Er verabscheute das Böse!

„Ich werde Ganondorf besiegen“, sagte er, „Wie das letzte Mal. Im Licht.“ Vielleicht war das ein Versprechen. Eines an sich selbst. Eines an die Welt. Eines an sie. „Aber … um das zu erreichen, brauche ich Informationen, Influbene! Bitte – sprecht zu mir!“

„Du möchtest erfahren, wer es sein wird, der Ganondorfs Erwachen begleitet“, mutmaßte sie galant lächelnd, „Des Schicksals Wege sind diesbezüglich geöffnet. Wird es die Schwarze Hälfte sein oder die Weiße? Werden Licht und Dunkelheit einander helfen? Wessen Schicksal wird das Stärkste sein?“

„So viele Fragen …“, grollte Link, „Ihr müsst doch Antworten bereit haben …!“

„Das lichte Kind des Schicksals“, begann sie. Sie öffnete ein Auge und sah ihn damit schelmisch an. Dies unterstrich sie, indem sie die Augenbraue ein wenig hob. „Du weißt davon?“

„Ilya ist ein Schicksalskind, falls Ihr das meint“, antwortete Link besorgt, „Was soll ich tun?“

Plötzlich öffneten sich beide Augen des Wassergeistes. Sie wirkte ehrlich erstaunt.

„Deine Erinnerung …“, murmelte sie kaum verständlich – und schockiert, „Die Dunkelheit …“

Kaum erwähnte sie die Erinnerung, erwartete er bereits wieder das fürchterliche Pochen. Doch es kam nicht. Stattdessen … War sie dort. In Ketten gelegt, hinter Gittern. Gehalten von schwarzem Nebel. In Form einer jungen Frau.

Ilya.

„Ilya!“, rief er aus. Er wollte sie retten, aber … Sie existierte lediglich in seinem Kopf!

Influbene verzog das schöne Gesicht zu einer beleidigten Grimasse. „Diese Stärke … verwundert mich wahrlich …“, gab sie leise zu. „Link!“, rief sie bestimmend aus, „Erinnere dich, Link. Erinnere dich an das Dorfmädchen, welches dir immer zur Seite gestanden hatte. Welches dir immer treu gedient hatte. Welche dir oftmals geholfen hatte. Welche du liebtest wie eine Schwester. Welche dir genommen wurde. Wie lautete ihr Name?“

Die Erinnerung.

Sie brach hervor. Die Ketten sprangen. Und Ilya zersprang.

Zerplatzte vor seinen Augen. Und fuhr in seinen Körper.

Und mit ihr … Erholung.

Endlich.
 

Thelma saß in der neuen Kneipe in Kakariko. Sie trank ein Glas Wasser. Mehr brauchte sie heute nicht. Sie hatte eigentlich keinen bestimmten Grund, hier zu sein. Natürlich hatte sie ihn eingeladen, aber …

Er kam wohl nicht.

„Wieder nicht bei ihm gelandet?“, fragte der Wirt, der gerade ein paar Gläser putzte. Er war relativ neu im Dorf. Trotzdem fand er sofort Beliebtheit unter den Einwohnern. Die Kneipe war meistens voll. Nicht voll gefüllt mit Soldaten, sondern mit Menschen. Bürgern.

Sie fragte sich, wie es Feconi erging.

Solange wollte sie nicht fortbleiben. Es war wirklich nicht ihre Absicht, ihre Nichte so lange warten zu lassen. Allerdings … Irgendetwas trieb sie dazu, hierher zu gehen.

Und hier zu bleiben.

Nachdem sie sich hier bereits eingelebt hatte, kam der Wirt. Auch er sprach von einem seltsamen Gefühl, das ihn hierher trieb. Er verriet ihr, dass er ursprünglich ebenfalls aus Hyrule-Stadt stammte. Er war Soldat gewesen.

Man bemerkte es an seinem fehlenden Auge. Er meinte auch, dass er nicht genau wusste, weshalb er hier war. Aber auf einem seiner Streifzüge, um Monster zu erledigen, verlor er seinen Kameraden … Bleyd. Danach konnte er nicht mehr. Er wollte nur mehr weg. Weg von alledem. Weg von der Königin.

Immerhin hatte er sich in Gefahr gebracht.

Aber er sprach nicht darüber. Sie wusste nicht, was er damit explizit meinte.

„Claude“, begann sie, „Denkst du … dieses Gefühl, welches wir beide hatten … hat eine tiefgehende Bedeutung?“

„Du bist zu alt für mich, Thelma. Leonhardt ist kein solcher Sturkopf, dass er dich ewig ablehnt“, meinte er beiläufig.

Ihre Wangen färbten sich kaum sichtbar rötlich. „Darum geht es gar nicht!“, polterte sie, „Es geht um mehr! Übernatürliches!“

Er lachte kurz, leise und humorlos. „Nein. Es war nur Glück. Wir haben beide die absolute Belagerung von Hyrule nicht miterleben müssen.“

„Aber sie ist eingetreten, als du die Stadt verlassen hast, um wieder auf Streife zu gehen. Als hättest du nicht eingesperrt werden dürfen. Und deinen Kollegen, der dich festgehalten hat, hat dir das Schicksal auch abgenommen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Dann bist du hierher gekommen. Genau an den Ort, an dem ich ebenfalls war. Und von dem ich seit geraumer Zeit nicht entkommen kann. Dann eröffnest du, als ehemaliger Soldat, urplötzlich aus heiterem Himmel eine Kneipe! Und ich fange an zu kämpfen. Wie ein Soldat – als ehemalige Wirtin.“

„Du bildest dir das nur ein, Thelma“, meinte er in ablehnendem Tonfall, „So etwas gibt es nicht. Zufall. Alles nur Zufall. Nichts Übernatürliches.“

„Als ich das erste Mal zurückkehren wollte, wurde Leonhardts Kind krank. Ich musste mich darum kümmern, sodass er die Heilkräuter besorgen konnte. Wieso hätte er mich genau dort ansprechen sollen, wenn er mich sonst weitgehend ignorierte?“

„Er hat dich doch nur ausgenutzt!“, widersprach er ihr.

„Bei meinem zweiten Versuch, die Stadt zu verlassen, ist ein Kind im See von Eldin gewesen. Als ich vorbei ritt, traf ein Stein seinen Kopf. Ich musste es retten, ansonsten wäre es gestorben. Auch um es habe ich mich kümmern können, bis es soweit gesund war.“

„Zufall und Pech. Die Gesteine sind einfach locker“, beharrte der Mann. Mittlerweile hatte er aufgehört, die Gläser zu polieren.

„Und beim dritten, vierten, fünften und sogar beim zweiundzwanzigsten Mal haben mich andere Zwischenfälle ebenfalls hier gehalten! Und bei fünfzehn von ihnen, musste ich plötzlich gegen Monster kämpfen! Und seitdem bleibe ich genau hier.“

„Ich weiß“, sagte Claude Mouchoir unbeeindruckt, „Und weiter?“

„Mich erwartet hier etwas. Und dich ebenfalls. Und wir sitzen hier gemeinsam fest, bis es soweit ist.“

Er zuckte mit den Schultern. „Es wird schon kein Engel durchs Dach gestürzt kommen, ‚Halleluja’ schreien und uns beiden das lebenswichtigste Geheimnis von Hyrule anvertrauen, das zu seiner Rettung beitragen würde.“

Und in diesem Moment flog die Tür auf.
 

Wenn ich ihn sehe, erstarre ich vor Glück.

Doch er bringt mich dazu, weiterzumachen.

Diese Art von Starre ersehne ich.

Während ich der anderen mit Abscheu gegenübertrete.

Unergründlich

In meinem Leben habe ich oft geweint.

Er hat mich gestärkt.

Doch diese Stärke hat mich erschüttert.

Als er ging, ließ ich meinen Tränen freien Lauf.

Ein See muss sich gebildet haben.
 

„Das …! Das kann nicht …!“, erklang die Stimme Claudes, als die Person, die durch die Tür stürzte, klar erkenntlich wurde.

Der Wirt sprang über die Theke und rannte zum Eingang. Ehe die Besucherin den Boden berührte, hielt der Wirt sie fest und führte sie sanft auf den Boden, wobei er mit ihr in die Knie ging und ihren Oberkörper stützte, sodass sie nicht ganz am harten Holzbretterboden zu liegen kam.

„Das ist doch nicht …!“, rief er aufgelöst.

Thelma blieb vor ihrem Glas sitzen und beobachtete die Szene, die sich vor ihr abspielte, abschätzend.

Eine sehr große Frau mit sehr blassem Gesicht, die angestrengt atmete, lag in den Armen des Wirtes, welcher wirkte, als hätte er mit einer Erinnerung zu kämpfen, die ihn gerade auflöste. Die Frau mit dem leuchtend roten Haar – im Gegensatz zu ihrem eigenen, welches in einem dunklen Ton gehalten war – wirkte erschöpft. Als hätte sie gerade einen Kampf gekämpft.

Vielleicht sollte sie doch einmal nachsehen.

Jemanden wie sie sah man nicht alle Tage. Ob sie diejenige war, auf die sie hätte warten sollen?

Thelma erhob sich und schritt zu Claude, der weiterhin geschockt auf die Frau starrte.

Sie legte dem Mann eine Hand auf die Schulter und sagte: „Keine Sorge, so schlimm ist es nicht. Sie wird wieder gesund.“ Sie lächelte ihn kurz an. „Willst du uns nicht einmal bekannt machen?“

„Shan“, kam es von ihm – er erzeugte nicht den Eindruck, als sei er ganz anwesend, „Ihretwegen … Link …!“, stammelte er – verzweifelt, wütend, aufgelöst.

Sie runzelte die Stirn.

Link? Sie kannte nur einen Link. Es gab vermutlich nur einen. Einen, den jeder kannte. Was hatte diese Shan mit Link zu tun? Und weshalb wusste Claude davon?

„Claude?“

Thelma schenkte der Frau noch einen wertenden Blick. Dabei bemerkte sie – leicht erschrocken –, dass sie sie aus ihren roten Augen anstarrte.

„Thelma?“, fragte sie leise. Ein Zittern durchfuhr Shans Körper.

„Ja, das bin ich“, gab sie vorsichtig zu.

„Wir müssen sie zu Leonhardt bringen!“, befand Claude plötzlich, „Sie muss sich doch …!“

„Lasst mich hier …“, befahl Shan ruhig, aber gebieterisch. Mit einem Ruck setzte sie sich auf, während sie sich aus Claudes Armen befreite. Er wich ein wenig zurück. Aber er wirkte sprungbereit, für den Fall, dass sie noch einmal stürzen sollte.

Sie schüttelte kurz den Kopf – wohl über einen ihrer Gedanken. Dabei bemerkte Thelma, dass sie gar nicht mehr so blass wirkte … Sie wirkte mehr … gräulich. Sie war sich nicht sicher, ob das wesentlich gesünder war.

Shan fuhr sich mit der Hand an die Stirn.

An dieser prangte ein goldenes Diadem, welches eine verschnörkelte Form hatte und mit ihrem Kopf verbunden war, so schien es.

Wer war diese Frau?

Sie schaute – plötzlich wach und ohne Anzeichen von Schwäche – zu Thelma. Dabei lächelte sie kurz. „Link möchte Sie bitten, nach Hyrule-Stadt …“

„Link! Er ist in Hyrule-Stadt?!“, unterbrach Claude barsch. Dabei knirschte er mit den Zähnen.

Shan widmete ihm einen kurzen Blick. „Bald“, offenbarte sie unbeeindruckt.

Mit einem Satz erhob sich Claude. „Dieser ...“, zischte er.

Die Frau wirkte ehrlich verwirrt. „Was ist denn in Euch gefahren?“

„Ihr kennt euch?“, unterbrach Thelma die beiden.

Scheinbar war hier kein ordentliches Gespräch durchführbar.

„Link hat mein Leben versaut!“, knurrte Claude, „Wegen ihm …! Prinzessin Ilya hat mich erwischt! Sie hat … sie wollte mich … Weil ich Euch …“

Mit einem Finger, an dem ein Ring mit einem roten Rubin – wohl passend zu ihrer Halskette – steckte, deutete sie auf ihre eigene Brust. „Ihr habt mich erschossen. Ihr habt mich gerettet. Mit Link hatte das nicht das Geringste zu tun.“

„Er hat Euch erschossen?“, wunderte sich Thelma, „Das muss eine Geschichte sein …!“

„Einer der Wachsoldaten hat Euch wieder erkannt! Er wusste, dass Ihr mit Link zu tun hattet! Er hat es der Prinzessin ausrichten lassen!“, rief Claude wütend, wobei er Thelma eiskalt ignorierte, „Sie … Sie wollte mich als i Aushängeschild /i benutzen, um zu zeigen, dass Link Unrecht hatte! Dass das Böse lediglich in Menschen wie i mir /i läge! Und dabei …! Ich bin ein Soldat! Ich- …“

„Sie hat es aber nicht getan“, unterbrach Shan ihn barsch.

„Weil Bleyd für mich eingesprungen ist! Sie hat ihn als Köder für die Monster benutzt! Draußen, alleine – für mich! Warum auch immer! Keine Ahnung!“ Der Mann fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. „Ich hasse Link!“, beendete er seine Geschichte ungewöhnlich ruhig – aber auch abschließend.

Shan erhob sich nun vollkommen, bis sie wieder stand. Voll aufgerichtet überragte sie den anderen Mann sogar ein wenig.

Eine so große Frau … Ungewöhnlich.

Dann legte sie ihm eine Hand auf den Kopf und fuhr ihm sanft durchs Haar. Dabei lächelte sie ihn aufmunternd an. Aber dieses Lächeln wirkte auf Thelma ebenso traurig.

„Kopf hoch“, beruhigte sie ihn, „Ihr habt wirklich keinen Grund, Link zu hassen. Er hat Euch den Weg in eine bessere Welt geebnet. Alles kommt, wie es kommen muss. Prinzessin Ilya hat Euch den bestmöglichen Weg verschafft.“

Ihre Hand blieb ruhig am Kopf des Mannes liegen. Dieser ließ sich plötzlich auf die Knie fallen und sah zu Shan hoch.

„Bleyd, er …“

„Er ist am Leben“, verkündete sie - ruhig lächelnd, „Die Prinzessin verzeichnete keine Opfer, wie mir mitgeteilt wurde. Er lebt, Claude.“

Der Mann riss das Auge auf. „Bleyd …“

Thelma beobachtete die Szene. Diese Frau … Sie kam nicht aus Hyrule. Nein, das tat sie nicht. Aber … sie wusste, wie man mit Männern umgehen musste. Und sie schien Informationen zu besitzen. Und eine Nachricht.

Allerdings … sie jetzt zu unterbrechen …?

Shan entfernte langsam ihre Hand von seinem Kopf und wandte sich dann von sich aus an Thelma. „Nun – zu Euch zurück …“ Sie legte den Kopf ein wenig schief, „Link war bei Eurer Nichte zu Besuch. Er wollte Euch in ihrem Namen darum bitten, zurückzukehren …“

„Nach Hyrule-Stadt?“ Thelma lachte kurz humorlos auf. „Das habe ich bereits versucht.“

Shan hob überrascht die Augenbrauen. „Wieso seid Ihr dann noch hier? Den Weg verfehlt?“

„Nicht direkt. Aufgehalten trifft es mehr.“ Sie rollte kurz ihre Schultern, da sie das Gefühl hatte, sie wären verrenkt. Sie wurde eben schon alt.

„Ich denke, wenn Ihr und Claude zusammen versuchen würdet, zurückzukehren, würde es gelingen“, meinte sie – sie sprach, als würde sie lediglich laut nachdenken.

Thelma sah zu Claude. Der Mann schaute Shan mit einem großen Auge an. Als kniete er vor einer Königin …

„Es wäre wohl einen Versuch wert“, gab Thelma zu, „Aber … weshalb schickt Link Euch?“

Shan verschränkte ihre Hände hinter ihrem Rücken. Sie sah Thelma lächelnd an. „Er ist gerade nicht da. Er sucht nach der Wahrheit. Aber in drei Tagen werde ich ihn in Hyrule-Stadt treffen. Falls ich dort ankomme.“

„Wie meint Ihr das?“

Sie zuckte kurz mit den Schultern. „Ich könnte mich verirren. Monster könnten mich attackieren …“

„Ihr wart so schwach …“, begann Thelma, brach allerdings ab, als Shan ihren Blick sofort dem Boden zuwandte.

„Ein aussichtsloser Kampf …“, murmelte sie, „Die Flucht schien mir am vernünftigsten.“

„Monster, wie ich annehme …“

Shan nickte schwerfällig.

Thelma sah die eigenartige Frau noch einmal an. Sie war also eine Freundin von Link. Und sie konnte gut mit Menschen umgehen. Sie wirkte relativ nett. Sie besaß Informationen. Sie wollte mit ihnen nach Hyrule-Stadt … Sie konnte scheinbar ein wenig kämpfen … Wo war der Haken?

Das Schicksal musste doch irgendwo einen Haken eingebaut haben! Solange hatte es sie hier festgehalten – wozu? Wenn Link Feconi getroffen hatte, dann hätte sie diese Frau wohl auch bei ihm angetroffen. Und dieser Frau ging es nur um Link. Wieso sollte sie sie treffen?

„Bleyd …“, meldete sich Claude plötzlich wieder zu Wort. Er wirkte, als wäre er gerade aus einer Trance erwacht. Er schüttelte den Kopf und erhob sich wieder. Feste Entschlossenheit war aus seinem Blick herauszulesen. „Ich muss Bleyd sehen! Ich will ihm danken.“

Shan lächelte wieder. „Ihr geht also? Link wird sich freuen.“

Thelma nickte bedächtig. „Es sieht so aus“, meinte Thelma gelassen, „Kommt Ihr mit uns? Wir kennen den Weg beide zu genüge.“

Die Frau nickte. „Gerne!“, sagte sie erfreut aus, wandte ihren Blick dann aber wieder Claude zu, „Wenn Ihr nichts dagegen habt.“

Er lächelte bloß. „Ich danke Euch, Shan! Bleyd lebt …!“

„Es sieht wohl so aus, als wäre ich dabei“, kommentierte Shan schelmisch lächelnd, „Also dann?“

„Es wird wohl bald losgehen“, verkündete Thelma, „Claude, sieh zu, dass du den Betriebsurlaub einlegen kannst.“

Claude sah sich um. „… Um diese Zeit wären eigentlich immer Gäste hier. Wieso heute nicht?“

„Schicksal“, beantwortete Shan seine Frage. Sie wirkte amüsiert darüber.
 

Link saß auf einer Wiese. Er war in Ordon. Immerhin war er dort Ziegenhirte. Er hielt Ilya in den Armen, während er den Sonnenuntergang beobachtete. Jede Sonne ging einmal unter … Aber wollte nicht, dass Ilya es auf diese schmerzliche Weise erfahren musste.

Das Mädchen war fest an seine Brust gekuschelt. Sie schluchzte in einigen Abständen.

Er musste etwas sagen …

„Ich … Ich denke, du hast dich gut um ihn gekümmert“, murmelte er leise, „Bis zuletzt …“

Ihre großen, grünen Augen sahen ihn an. Tränen schimmerten auf ihrem Gesicht.

Er wandte den Blick ab. Er konnte es nicht ertragen, sie so zu sehen. Also drückte er sie fester an sich. Sie brauchte jetzt jemanden, an dem sie sich festhalten konnte. Der sie stützte.

Und er würde derjenige sein.

„Ihm geht es dort oben sicher gut … Seine Krankheit …“, er stoppte kurz, „Er hat sie bestimmt überwunden …“

„Papa …“, schluchzte sie.

Er bemerkte einen neuerlichen Tränenschwall.

Er würde sie nicht loslassen.

Niemals.
 

Link ritt zurück. Midna …

Eponas gleichmäßiger Schritt half nicht dabei, seine Gedanken zu ordnen. Midna …

Wieso? Wieso hatte sie ihn verlassen? Sie war doch …

Erneut dachte er an ihre wahre Gestalt.

Dieses Bild würde er sich behalten.

Er musste es in seiner Erinnerung verweilen lassen. Er durfte sie nicht vergessen.

Immerhin waren sie Freunde geworden. Und er hatte jemanden versprochen, dass er sie nicht vergaß. Dass sie beide sie nicht vergessen würden.

Die letzte Kurve, bevor er bei seinem Haus ankommen würde, stand noch bevor. Dann kam er nach Hause. Er hatte sich für das Alltagsleben entschieden. Für seine Freunde. Für sein Dorf.

Für Ilya.

Als hätten seine Gedanken eine Form angenommen, erkannte er ihre Gestalt vor sich. Hinter der Kurve, vor seinem Haus, wartete sie. Ihr Blick war hoffnungsvoll in die Ferne gerichtet und ihre Hände zu einem Gebet verschränkt. Und ein Lächeln zierte ihre Lippen.

Er ließ Epona schneller reiten.

Ilya! Ihr ging es wirklich gut! Sie erkannte ihn wirklich wieder! Und sie wartete!

Wartete auf ihn!

„Link! Link!“, rief sie laut und hocherfreut. Sie begann zu rennen.

Rannte auf ihn zu. In seine Richtung.

Freude erfüllte sein ganzes Dasein. Er fühlte sie. Diese große Freude, sie wieder zu sehen.

Während des Ritts sprang Link euphorisch von Eponas Rücken – was ihr einen ziemlichen Schreck einjagte -, doch er konnte sich nicht beherrschen.

Er war zuhause! Er hatte es geschafft! Ilya!

Während des Falls kam Ilya bei ihm an. Vom Schicksal erfüllt, fiel Link genau in ihre Arme. Das Mädchen konnte das Gewicht aber nicht halten, taumelte ein wenig zurück und fiel lachend auf den Weg. Und Link lag auf ihr. Er sah in ihr strahlendes Gesicht und umarmte sie ordentlich.

„Ilya!“, rief er erfreut.

„Link! Link!“, antwortete sie ihm überglücklich, „Du bist tatsächlich zurück!“ Sie lachte herzhaft. „Du hast es geschafft!“

Er stimmte in ihr Lachen mit ein.

Und zusammen lachten sie. Am Weg, im grünen Gras liegend.

Sie lachten zusammen.

Nach so einer langen Zeit. Das sollte nicht mehr enden.

Niemals.
 

Taro stieß Link von hinten an. „Oh, entschuldige“, sagte der Junge gedehnt langsam und merklich unehrlich, „War keine Absicht.“

Link schüttelte nur den Kopf und dachte sich nichts dabei. Er machte weiter damit, sein Schwert zu polieren. Sein normales Schwert. Das Master-Schwert hatte er immerhin zurückgegeben. Er vermisste den Griff. Und die Erinnerungen, die damit verbunden waren.

„Taro!“, ertönte eine Stimme neben Link, „Entschuldige dich aufrichtig! Das ist doch kein Benehmen!“, fuhr Ilya den Jungen an.

Dieser verdrehte nur die Augen und stapfte leise fluchend davon.

„In letzter Zeit ist er so genervt …“, murmelte Colin betrübt, der auf der anderen Seite neben Link saß und sein kleines Schwert ebenfalls säuberte.

„Er wird einfach langsam erwachsen“, erklärte Ilya, „Ich hoffe, bei dir und Maro dauert das noch eine Weile. Sonst haltet ihr euch auch noch für unwiderstehlich, wenn ihr euch so idiotisch aufführt.“

Mit großen Augen sah Colin Link an. „Hast du etwa auch …?“ Er beendete den Satz nicht.

Ilya kicherte amüsiert. „Ach, wenn du nur wüsstest, Colin!“

Link zog kurz einen Schmollmund. „Du besudelst mein Ansehen, Ilya“, schalt er sie witzelnd.

„Wirklich …?“ Colins Augen wuchsen ins Unermessliche. Er glaubte ihm …!

„Natürlich nicht!“, widersprach Link und zog die Stirn kraus – aber nur für einen kurzen Moment. Dann lachte er kurz. „Ilya hat mich wohl davor bewahrt.“

„Männer brauchen einfach jemanden, der sie an der Leine führt“, scherzte sie. Dabei lächelte sie ein Lächeln, welches Link auf ewig in Erinnerung bleiben wollte. Er durfte es nicht vergessen.

Niemals.
 

Link saß am Dach des Dorfladens und dachte nach. Er fragte sich, wie es Midna wohl ging. Was sie wohl machte. Ob sie auch an ihn dachte.

Schockiert stellte er aber fest, dass die Erinnerung an sie immer weiter verblasste. Ein Lächeln war dort. Aber was für ein Lächeln? Wessen Lächeln? Waren dies Midnas Lippen?

Er seufzte laut hörbar.

„Was seufzt du da so herum?“, fragte eine kecke Stimme.

Im ersten Moment schoss ihm das Unmögliche durch den Kopf – Midna!

Aber nein. Es war Betty. Sie kletterte gerade die Leiter nach oben.

Ihr Haar war zu einer kunstvollen Frisur zusammengesteckt. Oben stand sie auf und streckte sich ausgiebig. Dabei fiel Link ihre Kleidung auf. Manchmal kleidete sie sich so … ungewohnt. Es wirkte mehr wie Gewand aus Hyrule-Stadt als wie welches aus Ordon. Andere hätten es wohl als „unschicklich“ oder „freizügig“ bezeichnet, aber … Er hatte schon andere Dinge gesehen. Und außerdem sah es an Betty wirklich hübsch aus. Das Mädchen war auch hübsch geworden. Ihre Eltern konnten stolz sein.

Sie kam auf ihn zu und setzte sich direkt neben ihn. Wirklich direkt. Ihre Schulter klebte an der seinen – und ihr Kopf lehnte plötzlich an seinem.

„Ach, Link!“, begann sie, „Dieser Ausblick … ich liebe ihn …!“

„Ja“, stimmte er lächelnd zu, „Er ist wunderschön …“

Eine kurze Pause trat zwischen ihnen ein.

Er beobachtete den Himmel.

„Link, findest du mich schön?“

Über diese Frage irritiert, richtete er sich gerade auf. Er sah Betty an, welche sich ebenfalls aufrichtete und steif dasaß. Sie schaute ihn mit einer Mischung aus Unsicherheit und Neugierde an.

Ihre grünen Augen, ihre roten Lippen, ihr wohlgeformter Körper, ihr- …

„Ihr zwei …!“, erklang eine dritte Stimme von der Treppe aus. Diesmal hatte er gar keine Zeit, daran zu denken, dass es Midna sein könnte, da die Person plötzlich den Platz zwischen ihm und Betty einnahm.

Nun saß Ilya Schulter an Schulter bei ihm. Aber sie sah ihn nicht neugierig, sondern ziemlich erzürnt an. „Was soll das?!“, wollte sie mit verschränkten Armen von ihm wissen.

„Er wollte mir gerade sagen, wie unwiderstehlich schön er mich findet!“, betonte Betty und deutete dabei auf sich.

Ilya zuckte dabei zusammen und blickte Link kurz unsicher an. Dann setzte sie aber wieder den zornigen Blick auf. „Wenn das so ist …“, murrte sie. Dabei wirkte sie, als wolle sie aufstehen.

„Ilya, warte!“, bat er sie, „Du solltest dir den Ausblick hier gönnen. In letzter Zeit arbeitest du so viel …“

„Mein Vater ist krank, Link, das weißt du. Ich muss jetzt die Erledigungen bezahlen. Ich muss also arbeiten. Ich habe keine Zeit, mich auszuruhen“, meinte sie gelassen, „Im Gegensatz zu euch.“

Betty kicherte leise.

„Ilya …“, begann er.

Sie sah ihn an. Ihr Blick war eine Mischung aus Wut und Enttäuschung.

„Ilya, ich …“

Doch sie wendete sich dem Himmel zu. Ein kurzes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen.

„Zugegeben, es ist schön …“

Sie sah Link lächelnd an. „Danke.“

Und dieses Lächeln sollte nie mehr verschwinden.

Niemals.
 

Terra erwachte erneut. Sie schlug langsam ihre Augen auf. Blinzelte die Müdigkeit fort …

Dabei fiel ihr auf, dass die Erschöpfung beinahe ganz verschwunden war. Sie fühlte sich frisch und munter und … Ganondorf!

Sofort wollte sie sich erschrocken aufrichten, als sie ein Gewicht in ihrer Magengegend spürte. Sie sah nach unten und … und …

Sie errötete.

Die wenigen Millimeter, die sie bereits zurückgelegt hatte, machte sie rückgängig. Sie blieb regungslos liegen. Lediglich ihr Herz fühlte sich an, als spränge es gleich aus ihrer Brust heraus. Sie wusste nicht, dass es so laut schlagen konnte. Und so schnell.

Nicht, als sie fortgelaufen war. Nicht, als sie Link geküsst hatte. Nicht, als sie der Mannschaft beigetreten war. Nicht, als sie der Fee begegnete, aber …

Der Kopf des Mannes lag weiterhin auf ihrer Decke im Bereich ihrer Magengegend. Er saß ungemütlich auf einem kleinen Hocker neben ihrem Bett und schlief. Er schlief.

Und … er sah dabei umwerfend aus. Umwerfend niedlich.

Aber nicht einmal durch diese plötzliche Niedlichkeit ging ein wenig seiner Würde verloren. Er war weiterhin der Kapitän. Auch wenn er schlief.

So süß.

Sie hoffte, ihr überlautes Herzklopfen würde ihn nicht wecken. Bitte nicht …!

Azur …

Sie hoffte, er würde noch lange schlafen … Sie wollte ihn dabei beobachten, wie er …

Als sie sich erneut ein wenig hoch raffte – hoffentlich, ohne ihn zu stören -, bemerkte sie, dass ein azurblaues, halb geöffnetes Auge sie müde ansah.

Sofort kam ihr der Gedanke, ihre Rötung der Wangen möge verschwunden sein, doch dieser verblasste, als sie bemerkte, wie ausgezehrt er wirkte.

„Ah, Ihr seid wach, Retro …“, bemerkte er leise. Er hob seine Hände und stützte sich mit diesen am Bettrand ab. Dadurch zog er sich selbst hoch, sodass er gerade dasaß. Aber er schwankte noch ein wenig.

Seine Würde war ein wenig angeschlagen, aber er wirkte weiterhin wie jemand, dem man gehorchen musste.

Terra richtete sich nun ebenfalls so auf, dass sie saß. Sie fühlte sich schlecht, weil sie so gerade da sitzen konnte und er nicht. In ihr keimte das Bedürfnis auf, ihn zu stützen.

„… Verzeiht meinen Anblick“, entschuldigte er sich und lächelte kurz dementsprechend. Aber das Lächeln wich sofort wieder diesem müden Ausdruck. „Ihr wart ziemlich geschwächt“, stellte er ruhig fest.

Sie nickte schwach. „Ja … War ich wohl … Aber ich verstehe nicht weshalb“, gab sie bedauernd zu.

Sollte sie sich anmerken lassen, dass man ihm ansah, wie geschwächt er war? Oder sollte sie weiterhin tun, als wäre er der stärkste Mann der Welt? Konnte sie das?

„Es lag wohl daran …“ Er machte eine kurze Erholungspause. „Daran, dass Yurai mit Euch kollidierte.“

„Yurai?“, wiederholte sie stirnrunzelnd.

„Die Weiße Fee …“ Beim Erwähnen dieses Namens zeige sich erneut ein kurzes Lächeln. Ein … triumphierendes.

„Ja!“, meinte Terra enthusiastisch, „Ich erinnere mich! In Gestalt eines … eines Schwans hat sie mich angeflogen!“, erzählte sie, „Und zusammen sind wir dann – die Höhle! Ganondorf!“

Bei ihrem letzten Wort wirkte er überrascht und zog die Stirn kraus. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Ganondorf`?“, wiederholte er zischend.

Eingeschüchtert nickte sie leicht. „J-Ja … Ich habe ihn dort gesehen … Ich denke, er war … tot“, gestand sie zögerlich, „… Aber … Ganondorf wird wiedererweckt! Dort!“

Sofort erhob sich Azur. So schnell, dass ein Hocker zurückflog.

Als er stand, taumelte er einen Schritt zurück – beinahe stolperte über den Holzschemel. Doch er hielt sich sichtlich angestrengt auf den Beinen.

Nein, das konnte sie nicht zulassen. So konnte sie ihn nicht sehen.

Terra sprang ebenfalls auf. Sie war voller Energie.

Sie holte die Schritte zu Azur, welcher bereits Richtung Tür unterwegs war, auf und hielt ihn an seinem Arm fest.

„Als Euer Zweiter Kommandant“, begann sie, „… rate ich Euch, meine Hilfe anzunehmen.“ Sie lächelte ihn dann unsicher an.

Er wirkte überrascht über ihren Auftritt.

Aber er nahm die Unterstützung dankbar an. Er erlaubte ihr, ihn vollends zu stützen.

Sie machte mit ihm einen langsamen Schritt nach dem anderen.

Was mochte ihm wohl zugestoßen sein …? Das Schiff wirkte ihrer Meinung nach nicht so, als wäre es angegriffen worden … Und so etwas hätte sie doch nicht verschlafen. Oder?

Sie gingen eine Weile schweigend den Gang entlang.

Dann unterbrach er die Stille. „Ich bin froh, dass Ihr wieder auf den Beinen seid“, sagte er erleichtert.

Sie sah ihn kurz überrascht an.

Was hatte er überhaupt bei ihr getan?

Sie bemerkte, dass sie kurz davor war, wieder einem Rotton zu verfallen, doch sie hielt sich davon ab, indem sie den Fußboden einer genauen Musterung unterzog.

„Es überrascht mich selbst“, gestand sie.

Er nickte bloß.

Nach einer Weile des erneuten Schweigens durchbrach sie die Stille. Sie musste fragen. Aber … wie?

„Wieso seid Ihr so geschwächt?“

Er wartete mit einer Antwort.

„Diese Geschichte …“, begann er leise, „… ist eine lange Geschichte …“

„Wir haben Zeit, wie es scheint …“, meinte sie gedankenlos. Dann verbesserte sie sich sogleich betroffen: „Zumindest müssen wir uns die Zeit nehmen.“

„Ihr … habt Eure Energie Yurai gegeben …“, erzählte er und warf ihr dabei einen undeutbaren Blick zu. War es … Sorge …? „Sie hat sie verbraucht …“

„Geht es ihr auch wieder gut …?“

Er schüttelte den Kopf. „Wir … haben ihr gegeben, was sie brauchte“, fuhr er angestrengt fort, „Oder eher … sie …“

„’Sie’?“, wiederholte Terra fragend – immer schön darauf achtend, keinen falschen Schritt zu machen, um ihn nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen.

„Die Mannschaft …“, sagte er, „Sie sind …“

Plötzlich ertönte ein lauter Schmerzensschrei.
 

Ich vermisse sie.

Aber ich kann nicht mehr zurück.

Bis zum Schluss.

Unterfangen

Ich frage mich, ob es andere gibt, die wie ich sind.

Dort, wo sie sich leuchten lassen konnte, vielleicht.

Mein Wunsch, dort einzukehren, wächst.
 

Als er wieder zu sich kam, fand sich Link am Boden wieder. Er stützte sich auf die Arme und sah sich verwirrt um.

Er lag in einer Höhle. Einer dunklen Höhle.

Einer Höhle ohne Wasser.

War alles nur ein Traum gewesen? Das Wasser? Influbene?

Ilya.

Die Erinnerungen an Ilya waren in ihm wach geworden. Es gab keinen Zweifel. Sie war es. Seine Freundin. Seine Freundin, die er um nichts in der Welt hergeben würde.

Aber … er hatte sie vergessen.

Warum?

Wieso war sie plötzlich eine Prinzessin? Was war mit der anderen Prinzessin? Mit der echten? Wer hatte das alles getan?

… „Ganondorf“, sprach er seine Standardantwort aus. Oder zumindest jene Person, die in seinem Namen agierte. Wer …

Wie war er an Links Erinnerungen gekommen? Und wie schaffte er es, sie immer noch teilweise zu blockieren?

Er erhob sich vollkommen und sah sich vorsichtshalber noch einmal um.

„Influbene …?“, fragte er leise in die Leere, „Beantwortet Ihr mir meine Fragen …?“, wollte er höflich und unsicher zugleich von ihr wissen.

Aber er erhielt keine Antwort.

Stattdessen ertönten Schritte von draußen.

Sofort drehte er sich um und starrte das Mädchen an, dem er das Band geben sollte.

„Sie hat dich also empfangen …“, hauchte das Mädchen erstaunt – kaum hörbar für Link, „Influbene persönlich …“

„Wer ist sie?“, ging Link auf ihre Worte ein und schritt dabei auf sie zu, um ihnen beiden Anstrengungen zu ersparen, was die Lautstärke betraf.

„Influbene, der Wassergeist, der die Seen bildete“, erklärte sie, „In was für einer Form ist sie dir erschienen?“ Sie wirkte ehrlich neugierig.

„… Menschlich … Nur eben … aus Wasser“, beschrieb Link zaghaft.

„… Menschlich?!“, wiederholte das Mädchen überrascht – und zeigte auch einen dementsprechenden Ausdruck im Gesicht, „Menschlich …!“

Er nickte einfach.

„… Sie muss viel Respekt vor dir haben, Link“, interpretierte sie, „… Na dann …“

„Wenn wir jetzt raus gehen … Wo werden wir dann stehen?“, wollte er von ihr wissen.

„Wenn wir die Höhle verlassen, verlässt du die Geisterwelt. Ich bleibe hier.“

„… Dann …“, begann er, während er in seiner Tasche nach dem Band kramte. Er suchte herum, schob andere Dinge zur Seite – und fand es schlussendlich. Unversehrt. „Hier, bitte“, meinte er lächelnd und überreichte es ihr, „Die Einladung deiner Freundin, beim Ball von … Ilya zu erscheinen.“

„Prinzessin Ilya schmeißt eine Party?“, fragte sie, das Tuch entgegen nehmend, „Da werde ich wohl kommen müssen!“

Prinzessin.

Influbene hatte also nur die Ketten seiner Erinnerung gesprengt. Für den Rest war Ilya … weiterhin die Prinzessin. Aber sie war es nicht! Die andere war die Prinzessin … Diese Frau …!

Wie hieß sie? Wer war sie? Wo war sie?

„Ilya ist keine Prinzessin“, verbesserte er sie.

Dafür erntete er ein interessiertes Augenbrauenzucken. „Ach nein? Was ist sie dann? Königin?“

Er schüttelte energisch den Kopf. „Nein! Sie ist meine beste Freundin. Wir kennen uns schon seit Kindertagen! Boro ist so etwas wie …“

Boro. Der Grabstein.

Boro war tot. Ilya war traurig darüber.

Instinktiv wanderte sein Blick in die Richtung, in der Hyrule-Stadt lag.

Er würde sie wieder zurücksenden. In die Welt der Trauer.

Welt der Trauer?

Zwei Jahre war es her, dass Boro gestorben war. Ilya und er hatten sich am Friedhof treffen wollen.

Aus diesem Treffen wurde nichts. Ilya erschien nicht. War das etwa der Zeitpunkt, an dem sich das Schicksal wendete?

„Boro? Wer soll das sein? Dein Fantasiefreund?“, spottete sie, „Keine Sorge, ich werde auch ohne deine Märchengeschichten kommen. Ich werde es nur noch meinen Arbeitgebern beibringen. Wann ist das Fest denn?“

„… In drei Tagen“, antwortete er geistesabwesend.

„Schön. Ich denke, ich werde die Strecke in zwei Tagen locker hinkriegen“, erklärte sie zuversichtlich.

„Dann bis zum Fest“, verabschiedete er sich.

Dabei verließ er die Höhle, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Hatte man Ilya entführt? War Ganondorfs Scherge im Dorf gewesen?

Und er … er hatte es nicht einmal mitbekommen? Er war untätig daneben … Er sah dabei zu, wie seine Freundin entführt wurde. Und dann hatte er nichts Besseres zu tun, als sie zu vergessen? Als sie als Feind zu betrachten?

Er war tief gesunken.

Als er seinen Blick hob, strahlte die Sonne den öden Berg an und betonte dessen Farblosigkeit.

Link drehte sich zurück.

Die Geisterwelt war verschwunden.

Noch drei Tage waren übrig.

Er musste darüber nachdenken, wie er Ilya damit konfrontierte. Es wäre von Vorteil, die echte Prinzessin dabei zu haben. Aber … er hatte wirklich keine Zeit dafür, sie zu suchen und zu finden. Immerhin lief ihm die Zeit davon.

Ilya würde ihm glauben müssen. Sie waren beste Freunde.

… Nein. Sie würde ihm nicht glauben. Das hatte sie bereits bewiesen.

Ob sie ihn für diese Unterstellung hinrichten ließe? Ihn? Ihren besten Freund?

… Vielleicht tat sie das, weil ihr Unterbewusstsein wütend auf ihn war. Wütend, weil er sie im Stich gelassen hatte. Wütend, weil er sie vergessen hatte.

Wie konnte er das je wieder gut machen?

… Es würde sich zeigen.

„Hey, wie willst du das- …“, reagiert er auf die Worte des Mädchens. Doch als er sich umdrehte, war sie wirklich nicht da. „Oh …“ Wie wollte sie das in zwei Tagen schaffen? … Er würde sie sowieso nicht begleiten können. Er hatte die Verantwortung für Shans Ring. Aber er würde sie fragen.

Beim Mittsommernachtsfest.
 

Azur und Terra waren schnellstmöglich – was nicht sehr schnell war – in die Richtung gestürmt, aus der der schrei kam. Wie Terra vermutet hatte, stammte er aus Yurais Kehle.

Sie und Azur betraten den Raum, in dem die Fee sich ausruhte.

Sie waren nicht die Einzigen, die sich hier versammelt hatten.

Der Kapitän trat zögernd vor und stellte sich vor das Bett der Kranken. Herzchen, die sich derweil um sie gekümmert hatte, ging ihm aus dem Weg und schaute bedrückt auf die Weißhaarige, deren Gesicht schmerzverzerrt Richtung Decke zeigte.

Doch sie schlief. Ihre Augen waren geschlossen.

Aber die Anstrengung, der sie unterlag, war deutlich zu erkennen.

„Ich bin mir sicher, dass sie einer zu hohen Menge an Dunkelheit ausgesetzt war“, murmelte Herzchen besorgt, „Diese Symptome sind eindeutig …“

„Aber eigentlich sollte ihr das nichts anhaben“, warf Orient ein, „Immerhin absorbiert Mirai die Dunkelheit statt ihrer.“

„Du vergisst“, mischte sich Robo, der in der Ecke stand und seine Füße begutachtete, „dass Mirai noch immer verschwunden bleibt. Nur weil wir Yurai endlich gefunden haben …“

„Die beiden trennen sich nie“, behauptete Orient fest überzeugt, „Mirai muss also in der Nähe sein.“

„Schau sie dir an!“, schalt Herzchen ihn unfreundlich, wobei sie auf Yurais Gesicht deutete, „Sieht so die mächtigste Fee aus? Tut sie das, Entari?!“, fuhr sie ihn noch dazu an.

Entari … Diesen Namen … Hatte sie den nicht schon einmal gehört? Was bedeutete er?

„Ihr beiden – hütet eure Zungen“, wies Klassik sie forsch an, wobei mit einem Kopfnicken auf Terra deutete.

Sie sah peinlich berührt zu Boden.

„Wir können Retro vertrauen“, behauptete Orient, „Yurai vertraut ihr – also tun wir es auch.“

„Yurai war verzweifelt“, entgegnete Klassik entzürnt, „Retro war nur zur falschen Zeit am richtigen Ort.“ Seine Worte wandelten sich beinahe in ein Knurren um.

„Wir müssen es ihr offenbaren“, wandte Robo ein.

Terra runzelte die Stirn. Dann sah sie wieder nach oben.

Und bemerkte, dass sämtliche Blicke – bis auf der Azurs – auf sie gerichtet waren.

„Ich … ich verstehe nicht …“, gab sie zögernd zu. Was bedeutete das alles?

Azur drehte sich von Yurai weg und in Terras Richtung um – sie war an der Tür stehen geblieben.

Alle Blicke wandten sich Azur zu.

Er begann zu sprechen: „Terra“, wandte er sich an sie, taumelte dann aber einen Schritt zurück.

„Kapitän Azur!“, rief Herzchen plötzlich und stand urplötzlich hinter ihm, um ihn festzuhalten. Es gelang der großen Frau leicht. Sie sah ihn tief erschrocken an. „Ihr habt doch nicht etwa …?“

Azur riss sich aus Herzchens Griff los und ging entschieden festen Schrittes von ihr weg. „Das geht dich nichts an“, murmelte er.

Daraufhin fing Terra einen kurzen, bösen Blick von Herzchen ein.

„Wieso …?“, begann Terra ihre Frage, „Warum geht es Kapitän Azur so schlecht? Was ist mit Yurai? Und … Mirai …?“

Plötzlich besann sie sich, dass sie diese schwarze Fee gesehen hatte. Die Fee, die für sie sofort zu Yurai gehört hatte. Yurai und Mirai. Schwarz und Weiß.

Es musste die Fee sein, von der sie gerade gesprochen hatten!

„Mirai ist bei Ganondorf!“, brachte sie aufgeregt hervor.

An vielen Stellen wurde bei der Erwähnung des Namens scharf die Luft eingezogen. Sie erntete viele böse Blicke. Aber auch verwirrte.

„Yurai hat dich also wirklich begleitet“, stellte Smaragd sachlich fest, „Sie hat dich … geleitet.“

„Sie hat dich zu Mirai gebracht?“, wollte Klassik forsch von ihr wissen, wobei er einige Schritte auf sie zuging und vor ihr zu stehen kam. Er sah sie wütend an. „Sag mir, wo sie ist! Wenn wir leben wollen, dann müssen wir sie finden!“

„Ich … ich habe mir die Route gemerkt …“, erzählte sie kleinlaut – nicht sicher, ob es das war, was sie hören wollten.

Plötzlich blitzte Freude in Klassiks Augen auf. Er wandte sich mit einem Satz der Mannschaft zu und rief: „Leute, wir segeln! Retro wird uns den Weg zeigen!“

Lauter Jubel wurde hörbar. Aber ein paar sahen weiterhin skeptisch drein.

„Kann … Kann mir das bitte jemand genau erklären?“, bat sie ebenso leise.

Doch Orient vernahm ihren Wunsch. Sein Blick wanderte Azur zu. Dieser blickte berechnend drein. Als würde er Terras Vertrauenswürdigkeit abschätzen.

„Ich übernehme es“, bot sich Herzchen an. Ohne auf Zustimmung zu warten, ging sie zu Terra. Neben Klassik blieb sie stehen. Doch sie war Terra zugewandt. „Und Ihr, Azur, ruht Euch gefälligst aus!“, befahl sie.

Dann nahm sie Terras Arm und zerrte sie mit sich aus der Kabine. Aus Azurs Kabine, in der Yurai lag. Schweigen war in den Raum getreten, als sie ihn verließen. Herzchens Bestimmtheit schien ihnen fremd zu sein.

„Wo gehen wir hin?“, fragte Terra leise.

Herzchen warf ihr einen kurzen Blick zu, der sie um Schweigen bat.

Terra tat wie geheißen.

Und am Ende des schweigsamen Fußwegs fand sie sich in ihrer eigenen Kajüte wieder. Dort war sie gerade eben hergekommen.

Vor ihrer Tür ließ Herzchen sie wieder los und trat ein.

Terra schloss die Tür hinter sich. Sie sah sich um. Alles war wie immer. Nur, dass ein Herzchen in ihrem Zimmer stand.

Sie setzte sich auf ihr Bett.

„Setz dich“, bot sie Herzchen an. Doch die Frau blieb mit verschränkten Armen in der Mitte des Zimmers stehen.

„Wo soll ich nur anfangen?“, fragte sie und sah Terra dabei unsicher an.

„Ich weiß nicht“, gab sie ehrlich zu, „Ich habe immerhin keine Ahnung, was da auf mich zukommt.“ Dann fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu: „Aber … mit dem Anfang liegt man nie falsch.“

„Der Anfang?“ Herzchen lachte kurz humorlos auf. „Der Anfang liegt in so weiter Vergangenheit, dass nicht einmal der älteste Einwohner und der beste Gelehrte dort anzufangen vermag.“

Terra zog die Stirn kraus. „Was?“

Die blonde Frau schüttelte den Kopf. „Terra … Hör mir zu“, bat sie sie, „Es folgt eine wirklich … absurde Geschichte. Unterbrich mich nicht, bis ich fertig bin. Und höre gut zu.“ Je weiter ihre Worte fortschritten, desto befehlshaberischer wurde ihr Ton. „Ich erzähle dir die Wahrheit. Und diese Wahrheit zu wissen, kann gefährlich sein. Es kann sein, dass du danach nie mehr zurück darfst.“ Sie machte eine kurze Pause. „Der Königshof wird entscheiden.“

„Königshof?“, wiederholte sie. Prinzessin Ilya war die einzige Adelige, die sie kannte. Na gut, und König Ralis, wenn man den zählte.

„Der König der Feen“, erläuterte sie mit einem Blick, der sie „Dummerchen“ nannte.

„Feen haben einen König?“, wunderte sich Terra, „Es gibt männliche Feen? … Sind nicht Yurai und Mirai …?“

Herzchen unterbrach sie: „Natürlich gibt es männliche Feen“, sagte sie, wobei sie die Augen kurz genervt rollte, „Und es gibt auch weibliche Feen. Und einen König haben wir auch.“

„’Wir’?“, wiederholte Terra ohne nachzudenken, „Was …?“

„Unterbrich mich nicht“, schalt sie sie, „Mit wir sind wir gemeint. Unter anderem die Leute auf diesem Schiff. Bis auf eine Ausnahme.“

Terra starrte sie ungläubig an. Wie bitte? Diese Leute wollten Feen sein? Wo waren die Flügel? Wo war die Magie? Wieso waren sie dann auf einem Schiff? Sie hatte noch nie von Feen auf einem Schiff gehört! Und wer – verdammt! – war die Ausnahme? Etwa …?

Sie ertappte sich plötzlich dabei, dass sie auf eine ganz bestimmte Person hoffte.

„Dich“, führte Herzchen die Erläuterung fort.

Enttäuschung keimte in Terra auf. Natürlich. Sie. Sie war immerhin keine Fee. Aber …!

„Vor einem halben Jahr begann unser Unglück“, fuhr sie fort, „Es hätte der Tag der Krönung sein sollen. Prinz Azuor hätte den Feenthron besteigen und unsereins führen sollen.“ Sie machte erneut eine kurze Pause, wobei sie die Augen langsam nieder schlug. „Die Krönung erfolgt immer in Anwesenheit der Zwillingsfeen. Sie beschließen die Siegel und geben dem König die Macht, herrschen zu können. Aber an diesem Tag erschienen sie nicht. Die erste Krönung seit Jahrhunderten, die ohne die Beschwörung durchgeführt werden hätte müssen.“ Herzchen schüttelte den Kopf und sah Terra wieder an. „Unmöglich. Nein, die Feen weigerten sich, es als eine solche anzuerkennen.“

Zwillingsfeen. Also Yurai und Mirai. Krönung. Feen.

Was redete Herzchen da?! Es war doch keine Zeit für Märchen …! Na gut, sie behauptete, sie wäre eine Fee, aber …

„Aber es dauerte nicht lange, bis es sich als wertlos herausgestellt hatte, zu diskutieren. Denn es sollte nie mehr einen König geben“, erklärte sie mit ehrlichem Bedauern in der Stimme, „Monster fiel in unser Reich ein. Monster, die die Feen verschlangen. Hungrige Monster. Tausende. Und das größte Monster sah ihnen dabei zu. … Dieser Blick … Ich werde ihn nicht vergessen können.“ Wut sprach aus ihrer Stimme. „Diese arrogante, selbstgefällige Miene …“ Sie stockte kurz. „Ich wusste sofort, dass sie mit dem verschwinden der Zwillingsfeen zu tun hatte.“

Terra schlug sich während der Erklärung erstaunt die Hände vor den Mund. Ein ganzer Feenstaat? Ausgelöscht? Von wem?! Sie …?

Sie stellte es sich in etwa so vor, wie ein Bienenstaat, der vom frühzeitigen Winter überrascht wurde. Tot. Ausgelöscht. Von einer Kälte …

„Einige von uns konnten fliehen. Unter anderem auch der Bruder des Prinzen.“ Sie musterte Terra, während sie diese Worte aussprach, genau. „Azur. Wie du ihn nennen würdest. Er versammelte die verbliebenen Feen um sich herum und brachte sie dazu, ihn auf der Suche nach Mirai und Yurai zu begleiten.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nur diejenigen, die du von der Mannschaft kennst, sind ihm gefolgt. Die anderen Überlebenden – nicht viele, aber dennoch – glauben nicht an ihn. Sie glauben nur an den Besegneten, der ihr König wird. Einem anderen folgen sie nicht. Sie verstecken sich und warten, bis die Monster verschwinden. Wer weiß, ob das bereits eingetroffen ist …“ Sie schüttelte kurz missmutig den Kopf. „Ich hoffe, sie hatten dennoch Glück …“

Wieso griff jemand die Feen an? Was brauchte derjenige? Yurai und Mirai schienen immerhin anderswo zu sein. War es bloße Zerstörungswut?

„Wir flogen zum Standpunkt der Zwillingsfeen“, erklärte sie in Erinnerungen schwelgend, „Doch war fanden nichts vor, außer einem Haufen von schwarzen und weißen Federn. Und der in die Wand geritzten Nachricht ‚Folgt mir’.“ Sie lachte wieder kurz auf. „Wie? Wie hätten wir ihr folgen sollen? Wem überhaupt? Aber wir haben ihren Rat befolgt. Allerdings haben wir alsbald festgestellt, dass die beiden getrennt wurden, auch wenn es einige nicht akzeptieren wollten. Feen fühlen es, indem ihre Magie schwindet. Indem sie schwächer werden. Solange, bis sie verrückt werden oder sterben. So gesehen, war es wohl gut, dass die anderen Feen ausgelöscht wurden. Sie wären sonst nur Stunde um Stunde qualvoll gestorben. So hatten sie es schnell hinter sich.“ Während sie diese Worte unbekümmert von sich gab, observierte sie Terras Reaktion.

Sie erblasste ein wenig, als Herzchen letzteren Vorschlag unterbreitete. Das konnte sie doch nicht ernst meinen. Oder?

„Wir haben uns selbst auf die verhassteste Weise geholfen. Leben oder Tod – wir wählten das Leben. Ich hoffe, dass diejenigen, die zurückgeblieben sind, sich ebenfalls dafür entschieden haben, obwohl wir für das Leben unser Feendasein aufgeben mussten. Aber als Feen wären wir gestorben. Nutzlos. Unser Antrieb als Menschgewordene war es, die Zwillingsfeen zu finden. Vielleicht könnten sie uns zurückverwandeln. Wir sechsunddreißig brauchten folglich aber einen Plan.“ Sie lächelte, als sie das erklärte. „Weil wir die Verwandlung in der Nähe des Meeres vollziehen mussten, war unsere Route begrenzt. Wir entschieden uns für ein Schiff. Wir haben eine Piratenbande, die dort angelegt hatte, imitiert, um so weiterzukommen. So trieben wir am Meer entlang. Unsere Beute, das, was wir plötzlich zum Leben brauchten, stahlen wir uns zusammen. Das, was wir tun mussten, war nicht sicher. Wir hatten immerhin keine Ahnung, wo oder wie wir suchen sollten. Jetzt, wo wir keine Feen mehr waren, bestand keine Verbindung mehr zu Yurai und Mirai. Also haben wir für einige Wochen immer jemanden losgeschickt, der die Gegend auskundschaften konnte. Wir mussten auffällig bleiben, was unser Piratentum anging, um demjenigen unseren Aufenthaltsort zu verraten. Aber niemand brachte je Nachrichten. Bis auf Robo. Als wir gerade in Marine angelegt haben, ist Robo zurückgekehrt. Er hat einen schneeweißen Schwan gesehen. Wir wussten, es musste Yurai sein. Doch er hatte sie aus den Augen verloren. Wir hätten ihr folgen müssen, doch wir hatten keine Ahnung, wie.“ Sie lächelte nun freundlich. „Dann kamst du, Terra. Du schienst viel über die Gewässer zu wissen. Du warst uns nützlich. Zumindest für die Aktivität als Piraten. Aber während du an Bord warst, konnten wir unser Geheimnis nicht offenbaren. Also musste Klassik gehen. Er war stark. Wir wussten, dass er es Wochen ohne uns aushalten würde.“ Sie lachte kurz und leise – erfreut. „Und er hatte sie gefunden. Tatsächlich hat er sie gefunden. Er war über den Kontinent gewandert und hatte letztlich die Weiße Frau entdeckt. Doch sie war bereits schwer verwundet. Von Kämpfen mit der Dunkelheit. Und von ihrer Trennung von Mirai. Sie war auf der Suche, konnte sie aber nicht entdecken. Bis Klassik ihr die Anstrengung nahm. Er gab ihr Teile seiner Kräfte – oder eher: sie saugte die Kräfte auf – und verfiel selbst in Schwäche, um ihr Stärke zu verleihen. So hatte sie nach kurzer Zeit ihre Wege zu Mirai öffnen können. Aber alleine hat sie keine Chance. Die Dunkelheit zerrte noch immer an ihr. Klassiks Kräfte reichten nicht, um sie genug zu stärken, um Mirai zu befreien. Also hat er sie hierher gebracht.“ Ihr Gesicht drückte erneut Bedauern aus. „Sie hat alles von Klassiks und deinen Kräften verbraucht, als sie mit dir losgeflogen ist, und dabei wohl ihre verbliebene ebenfalls verloren. Ihr habt gegen eine Ansammlung von Dunkelheit gekämpft, nicht wahr?“

Das … das … Das war unglaublich! Was Herzchen da redete – alles! Sie und Feen? Sie und Kämpfe? Dunkelheit! Licht! Eine Piratenbande, die böse war, um gut zu sein?

Und Azur war ein Prinz?

„Diese … diese Geschichte …“, stammelte Terra, „Sie …“

„Sie ist unglaublich“, schloss Herzchen, „Und noch nicht beendet“, fügte sie barsch hinzu.

„Oh“, machte Terra kurz angebunden und lauschte erneut.

„Eure Seelen sind zurückgekehrt. Wir haben Yurai unsere Energie erst danach gegeben, da wir wussten, dass der Flug nur unnötige Energie fressen würde“, fuhr sie fort, „Die ganze Mannschaft war beinahe energieleer. Vor allem Kapitän Azur.“ Letztere Erörterung sagte sie mit einer gewissen Strenge, bei der Terra sich nicht sicher war, was sie davon halten sollte.

„Und dieser … Idiot“, sie sprach das Wort mit Bedacht aus, „… hat danach nichts Besseres zu tun, als zu seinem zweiten Kommandant zu gehen und ihm den letzten kläglichen Rest seiner sowieso schon verbrauchten Energie zu geben!“, schimpfte Herzchen.

Terra blinzelte sie überrascht an. „Er hat … Er hat was?!“, fragte sie schockiert. Azur hatte ihr Energie gespendet? Kein Wunder, dass sie so wach war und er so fertig! Dass er kaum gehen konnte! Sie hatte seine Energie aufgefressen! „Aber … Aber wie …?“

„Yurai hat das Tor zu seiner Energiequelle geöffnet. Wenn er es selbst nicht schloss, hatte er noch weiter Energie geben können. Energie würde sich durch Schlaf und Nahrung aufladen, wenn sie nicht zu schnell zu sehr verbraucht wurde. Das war bei dir wohl der Fall. Darum hat er eingegriffen. Als ehemalige Fee ist er daran gewöhnt, Energie abzugeben, um Heilung zu vollbringen. Es war wohl Yurais Fehler, anzunehmen, ihr wärt ebenfalls vom Licht berührt. Also eine Fee.“

„… Oh. Ihr. Götter.“, brachte Terra hervor, „Ich … ich habe … und Feen und …“ Sie schwieg. Was sollte sie dazu sagen? Wie sollte sie diese Geschichte verarbeiten? Es war … abartig! Unnormal! Und … erstaunlich.

Erstaunlich traurig.

„Mirai … Wir müssen Mirai retten!“, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu, „Ich weiß genau, wo sie ist! Dort ist auch die Dunkelheit – die Dunkelheit … Yurai hat mich vor ihr gerettet. Diese … Da war eine Person … Ich habe sie nicht erkennen können, aber … Ich bin mir sicher, dass von ihr die Dunkelheit ausging!“

„Ganondorfs Scherge“, zischte Herzchen, „Mir ihr haben wir noch eine Rechnung zu begleichen!“

„Ich bin fit, Herzchen!“

„… Nenn mich bitte von jetzt an Zherenh“, bat sie sie lächelnd, „Mein wahrer Name …“

„Terra!“, stellte sie sich erneut vor, „Aber das war wohl bekannt … Wieso eigentlich diese Namen?“

„Menschen, die sich sehr mit Geistern beschäftigen, wissen von den Feentraditionen, was Namen betrifft“, erklärte sie, „Sie wären uns sofort auf die Schliche gekommen, hätte uns jemand festgenommen. Wir haben sie also angepasst.“

Terra konnte sich kein Lächeln verkneifen. „Wer hat sich die Namen ausgedacht?“

„Unser Kapitän. Er hat aber mit Absicht absurde Namen benutzt, um sie eindeutig als Decknamen zu klassifizieren. Darum wurdest du auch sein Opfer.“

Jetzt lächelte sie offen. Das war … rücksichtsvoll und klug. Wie zu erwarten von ihrem Kapitän. „Ich werde mich bei ihm bedanken“, sagte sie, „Und den Dank werde ich euch allen auszahlen, indem ich euch zu Mirai bringe! Dann könnt ihr wieder Feen werden! Und Yurai wird auch wieder gesund, oder?“

Herzchen – nein, Zherenh – nickte. „Danke, Terra.“

Sie lächelte.

Zwar hatte sie den Weg gesehen, doch wusste sie nicht, wie lange es dauern würde, da sie sich viel schneller bewegt hatten, als gewöhnlich. Sie wusste lediglich, dass sie sich beeilen müssten. Yurais schmerzverzerrtes Gesicht …

Sie würde ihr helfen.
 

War es ihm bewusst?

Wie ich ihn ansah?

Was ich ihn ihm sah?

War es seine Reaktion darauf?

Mitteilung

Endlich habe ich es geschafft.

Mein Ziel ist erreicht. Das Licht …

Doch meine Dunkelheit verkehrt die Welt.

Lass mich leben, lass mich frei.

Aber ich muss es tun.
 

Nachdem Zherenh ihr die Geschichte erzählt hatte, war sie nicht sofort zu Azur gestürmt, weil sie vermutete, dass er sich ausruhen musste. Seinen richtigen Namen wollte die andere Frau ihr zwar nicht verraten, dafür aber erfuhr sie, dass sich Azur in Entaris Kajüte zurückzog, wenn seine besetzt war.

Am nächsten Morgen schaute sie bei Yurai vorbei, in der Hoffnung, dort auf Azur zu treffen, um ihm persönlich sagen zu können, was sie gesehen hatte und weil sie sich bedanken wollte, aber als sie in der Kajüte ankam, standen nur Robo – äh, Orb – und Gardam, also Smaragd, in dem Zimmer Wache, um auf Yurai zu achten, die wohl noch immer im Schlaf gefangen war. Azur schliefe aber auch, hatten die beiden anderen ihr mitgeteilt.

Und obwohl sich dies am gestrigen Morgen zugetragen hatte, war sie dem Kapitän die ganze Zeit nicht mehr begegnet. Nach der Nachricht, er würde noch schlafen, wollte sie ihn wirklich nicht wecken. Aber er war den ganzen Tag lang nicht herausgekommen, wie ihr Crasch, den sie einst als Schach kannte, bestätigte.

Als sie am Bug lehnte und in die Ferne blickte, um den Kurs zu erahnen und um sagen zu können, ob sie hier entlang gekommen war, ertönten Schritte hinter ihr. Kurz entflammte in ihr die Hoffnung, es sei Azur, doch sie drehte sich dennoch nicht um.

Hier oben herrschte reges Treiben, weshalb alle paar Momente jemand vorbeigehen konnte, der sie nicht einmal beachtete. Sie alle sorgten sich sehr um Yurai und Azur, dass sie geistesabwesend durch die Gegend schritten.

Azur würde immerhin ihr nächster König werden, aber ohne Yurai würde es keinen nächsten König geben. Falls sie jemals wieder einen Feenkönig brauchen würden.

Sie konnten nur hoffen, dass sie nicht zu spät kamen, um Mirai zu retten.

Zherenh verriet ihr, dass der lange Schlaf von Yurai nur bedeuten konnte, dass Mirai sehr geschwächt war. Beide waren geschwächt. Sie war sich nicht sicher, ob dies je in der Geschichte vorgekommen war. Die Zwillingsfeen hielten sich eigentlich immer im Verborgenen bei den Feen auf. Sie fragten sich alle, wie Ganondorf von ihnen erfahren konnte.

„Einige Könige wissen von den Feen als Königsvolk“, ertönte Azurs Stimme hinter, als habe er ihre Gedanken gehört, „Die Familie in Hyrule erhält dieses Wissen genauso wie die Herrscher der Zoranen. Wasser ist auch für Feen das Elixier des Lebens.“

Terra drehte sich sofort um und musterte ihn besorgt. Aber die Sorge war umsonst. Er wirkte, als habe er zwei Tage lang geschlafen. Munter und frisch.

„Kapitän! Ich habe gehört, was Ihr für mich getan habt – ich möchte mich bitte bedanken!“, sagte sie eilig, wobei sie sich verbeugte. „Ich … ich danke! Ich … – das hättet Ihr wirklich nicht tun müssen …“, fügte sie hastig hinzu, wobei sie einen kurzen Blick zu ihm nach oben warf. Als sie sein amüsiertes Lächeln bemerkte, richtete sie sich wieder auf und schob ihre Hände in ihre Manteltaschen.

„Natürlich hätte ich das tun müssen“, entgegnete er ihr ernst, „Immerhin bist du Retro, mein engster Vertrauter. Nebenbei hast du auch noch deinen Geist mit Zwillingsfee Yurai verbunden.“ Er machte eine kurze Pause. „Es war dem zu folge meine Pflicht.“

Irgendwie betrübten seine Worte sie. ‚Pflicht’ … Er hatte seine Energie mit ihr geteilt, weil sie nützlich war … Sie war ihm dafür dankbar, aber … Aber was? Was hatte sie erwartet? Dass er sie so furchtbar nett fand, dass er ja so schade finden würde, wenn sie nicht anwesend war? Dass sie nicht lachte.

„Und es war mir eine Freude“, fügte er nach einer weiteren kurzen Pause hinzu. Mit einem wirklich untypisch spitzbübischem Lächeln, welches aber sofort wieder einem ernsten Gesicht wich.

Weil sich seine Mimik so schnell wieder veränderte, blieb Terra nichts weiter, als dass sie spürte, wie ihre Wangen rot wurden. Aber weiter zu reagieren, vermochte sie nicht, da Azur sich direkt neben sie stellte und das Meer beobachtete.

Sie folgte seinem stechenden Blick – wobei sie sich sicher war, dass der Rotschimmer noch immer bei ihr zu sehen war -, konnte aber nichts weiter entdecken. Wasser, hier und da eine Sandbank, dort ein paar Felsen …

„… Sind wir jemals an einer Sandbank vorbeigekommen?“, hörte sie sich plötzlich fragen. Dann dachte sie über den Weg nach, den sie zurückgelegt hatte. Es ging schnell, doch sie konnte alles genau sehen. Nein, sie konnte sich nicht …

Noch einmal begutachtete sie die Felsen.

„Oh, ihr Götter!“, rief sie, wobei sie auf die Felsen deutete, „Falsche Seite!“

Azur blinzelte sie verwirrt an. „Was?“ Es wirkte, als sei er eben gerade wieder auf die Erde zurückgekehrt – gedanklich.

„Wir sind an der anderen Seite der Felsen …“

Der Kapitän runzelte die Stirn. „Wir drehen dort hinten ab und segeln dann auf der anderen Seite weiter“, sagte er – wobei es mehr wie ein Vorschlag klang.

Sie begutachtete die Felsen. „Na gut …“, willigte sie nach kurzem Überlegen ein. Sie hoffte, dass diese Verwechslung nichts schlimmer machte. Sie war einfach zu abwesend! Die ganze Zeit über dachte sie nur über Azur nach und- …

„Weshalb habt Ihr dann so besorgt gewirkt?“, fragte sie dann, um von ihrem Verhalten abzulenken.

Er sah sie kurz an. „Ich …“, begann er dann vorsichtig, schüttelte aber den Kopf, „Ich glaube, du würdest es nicht verstehen, zweiter Kommandant.“, fügte er mit einer Stimme hinzu, die so hart klang, dass er damit hätte Steine zerschlagen können. Während er diese Worte sagte, stieß er sich vom Geländer ab und schritt graziös davon.

„Aber …“, murrte Terra leise, als sie sich außer Hörweite betrachtete. Dann wandte sie sich wieder den Felsen zu. „… Zherenh hat mir auch alles gesagt, obwohl ich es nicht verstehe …“, murmelte sie in sich hinein. Dann seufzte sie. Zumindest waren sie und Cavallya da und verstanden sich. Und die Ziege. Jedenfalls hoffte sie noch immer, dass die Ziege kein Kobold oder sonst etwas war. Aber sie wirkte sehr ziegenhaft.

Aber hatte die Mannschaft nicht auch sehr menschlich auf sie gewirkt? Sie hätte nie vermutet, dass sie keine Menschen gewesen wären …

Sie hätte die Flügel der Feen gerne einmal gesehen. Sie hatte sich schon immer Flügel gewünscht. Welche, wie sie Möwen hatten. Schwarz und weiß. Yurai und Mirai hatten schöne Flügel …

Ob die Flügel der anderen ebenfalls mit Federn bestückt waren? Die kleinen Feen, die sie vom Krankenhaus her kannte, waren immer nur mit durchsichtigen Membranflügeln ausgestattet gewesen … Vielleicht war das Feenvolk anders? Zumindest der Königshof.

Azur …

„Jetzt habe ich ihn noch immer nicht nach seinem Namen gefragt!“, fiel ihr plötzlich auf.

Und ehe sie sich versah, folgte sie ihm. Außerdem hatte sie noch nicht die Gelegenheit, ihm zu erklären, was sie gesehen hatte.

Und sie wollte es ihm erklären.

Und sei es auch nur, um mit ihm zu sprechen. Sie mochte die Gespräche mit Azur. Und irgendwie musste sie sich einfach erkenntlich zeigen! Auch wenn er es als seine … freudige Pflicht betrachtete, ihr soviel Energie zu spenden, dass er zwei Tage lang das Bett nicht verlassen konnte.

So etwas aber auch …!

Als sie gerade das Deck verlassen wollte, kam Zherenh durch die Tür, durch welche Azur gerade verschwunden war. „Hat er dir seinen Namen verraten, Terra?“, fragte die Frau lächelnd. Als Azur geschlafen hatte, hatte Zherenh kaum einmal gelächelt. Aber auch seit Yurai schlief nicht.

Terra fragte sich, was wohl als Hauptgrund hervorzuheben wäre.

Sie schüttelte auf die Frage hin den Kopf. „Nein … Ich habe uns irregeleitet. Er versucht, es gerade zu richten.“ Zumindest vermutete sie das.

Zherenh zog eine Grimasse. „Haben wir uns verfahren?“

Sofort wehrte Terra diese Vermutung wild gestikulierend ab. „Nein! Nein! Nein!“, sie schüttelte den Kopf, „Nein, niemals! Wir sind nur ein wenig vom Kurs abgekommen, mehr nicht. Das macht vielleicht einen halben Tag aus …!“

Die Miene der anderen verfinsterte sich. „Ein halber Tag könnte …“

„Hör auf, dir so viele Sorgen zu machen!“, versuchte Terra, sie zu beruhigen, „Wir schaffen es rechtzeitig“, sagte sie zuversichtlich, „Wir werden Yurai und Mirai zusammenführen. Link wird Ganondorf ausschalten. Alles wird wieder normal … Einverstanden?“

Die blonde Frau blieb stumm, nickte aber nach einigen Momenten. Sie öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen, schloss ihn dann aber wieder. „Dann lasse ich dich mal wieder alleine“, murmelte sie, „Bis dann.“ Und mit diesen Worten huschte sie an Terra vorbei und schritt ihres Weges.

„Bis dann“, verabschiedete sie sich leise - wobei sie Herzchen nachschaute -, obwohl diese bereits außer Hörweite war, „Herzchen …“ Sie zog einen Schmollmund. „Wieso Herzchen?“, murrte sie.

„Gefällt dir der Name nicht?“, erklang die Stimme des Kapitäns. Er stand hinter ihr, doch er bewegte sich diesmal mit so leisen Sohlen, dass sie ihn nicht kommen gehört hatte.

War er etwa geflogen?

Mit einem kurzen Blick zu ihm überprüfte sie ihre Vermutung, doch ihm waren keine Feenflügel gewachsen. Dann realisierte sie die Frage.

„Uh – äh!“, machte sie, „Natürlich gefällt er mir – ich frage mich nur, weshalb für sie genau dieser Name ausgewählt wurde …! Ich könnte mich auch über Retro wundern!“, sagte sie schnell, fügte dann aber langsamer und auch gezielter hinzu, „Oder über Azur.“

Der Mann lächelte sanft, wobei er an Terra vorbei und zu Herzchen blickte, welche gerade an dem Ort stehen geblieben war, an dem er und Terra vorhin gestanden hatten. „Ich glaube, ich habe ihr diesen Namen gegeben, weil ich ihn früher nie verstanden habe.“ Sein Blick streifte den Terras, welche in dem Moment wieder zu ihm aufschaute.

Auf diese Antwort hin blinzelte sie verwirrt. „A-Ach ja?“, murmelte sie.

„Ich denke, ich verstehe jetzt, weshalb …“, sagte er ruhig, wobei sein Blick aussagte, dass er gerade in Erinnerungen versunken lag, die sie nichts angingen.

Um was es in diesen Erinnerungen wohl ging?

An wen dachte er? An Herzchen? Sie war zwar das Thema, aber …

Plötzlich stieg ihr das Blut wieder in die Wangen. Herzchen. Herzchen. War es nicht offensichtlich – ihr Name? Was sie ihm bedeutete? Sie war wohl sein …

„Ich bin froh, dass sie sich mir angeschlossen hat“, fuhr er plötzlich lauter fort, „Wirklich sehr froh.“ Dann sah er Terra wieder klar an. Er war also wieder völlig anwesend. „Retro stammt wohl daher, dass …“, er brach kurz ab und schaute an die Decke, „Das ist nicht so wichtig“, murmelte er dann.

Sie blinzelte ihn an. „Was?“

Er neigte den Kopf wieder in ihre Richtung. „Dein Name entstammt einer besonderen Situation.“, beendete er seine Aussage.

„Besondere Situation?“, wiederholte sie leise, wobei sie die Stirn kraus zog. Welche konnte das gewesen sein? Was hatte ihr Name mit irgendeiner Situation zu tun? Sie hatten sich getroffen, miteinander gesprochen – und plötzlich besaß sie diesen Namen.

Er zuckte einfach mit der Schulter.

Danach schüttelte er – für sie bezugslos – den Kopf. Und plötzlich wirkte er wieder ein Stück größer und ehrfurchtvoller. „Azur ist vom Namen meines Bruders abgeleitet“, erklärte er gelassen, „Als Erinnerung an ihn.“

„Habt Ihr auch einen wahren Namen?“, fragte sie interessiert nach – wobei sie die Dummheit ihrer Frage nicht beachtete.

Er lächelte kurz darüber. „Natürlich“, antwortete er ihr.

Eine weitere Erklärung blieb aus.

Sie zog ihre Augenbrauen zusammen. „… Wie lautet er? … Falls ich das erfahren darf.“

„Kyrion“, murmelte er, wobei er sie forschend ansah.

Kyrion …

„Was für ein schöner Name“, meinte sie lächelnd, „Meiner lautet Terra“, fügte sie hinzu, wie sie es auch bei den anderen getan hatte. Zu einer Vorstellung gehörten immer zwei dazu.

Er sah sie für einen Moment verwirrt an. „Danke“, sagte er dann, wobei er aber immer noch eher überrascht als dankbar klang.

„Also – Kapitän … Kyrion?“

„Azur“, besserte er sie aus.

Er war wohl der Einzige, der auf seinem Namen haften blieb. Nun ja … Es war eine Erinnerung an seinen toten Bruder …

„… Seid Ihr interessiert daran, zu hören, was Yurai und ich gesehen haben?“, fragte sie ihn. Vermutlich hatte er es schon gehört, aber …

Er nickte.

Und sie begann zu erzählen.
 

Epona schleppte sich weiter. Es war ihr anzusehen, dass sie heilfroh war, endlich wieder geraden, festen Boden unter den Füßen zu haben.

Link tätschelte die Nase des Rosses und lächelte es an. „Du bist ein braves Mädchen“, lobte er sie, als sie den relativ geraden Weg nach Kakariko entlangschritten.

Da er sich der Wege bewusst war, wählte er beabsichtigt denjenigen, der nicht direkt durch das Dorf führte. Er musste nicht mehr zu den Goronen.

Alles war klar.

Er fragte sich, ob Epona es genauso sah. Den Abstieg verbrachte er hauptsächlich damit, seinem Pferd zu erklären, wer Ilya wirklich war. Dass sie und Ilya beste Freunde waren. Er hoffte, dass seine treue Gefährtin verstand. Oder dass sie sie nie vergessen hatte. Ganz im Gegensatz zu ihm.

„Wir brauchen nur noch Shans Ring zu finden“, schloss er seine Erklärung, als er bereits das in der Nachmittagssonne glänzende Wasser des Sees sah, der vor ihm lag, „Dann können wir zu ihr. Sie muss sich doch erinnern, oder?“

Epona gab ein zustimmendes Geräusch von sich. Allerdings trabte sie daraufhin sofort los, obwohl er ihr keine Anweisung dazu gegeben hatte.

Im nächsten Moment stand er mitten im See von Eldin und sein Pferd drohte an, das Gewässer zu leeren. Link lachte amüsiert.

Ja, sie hatte es verdient. Er gönnte es ihr.

Er entfernte sich aus seinem Sattel und sprang ebenfalls ins Wasser. Seine Stiefel sogen sich mit dem kühlen Nass voll, aber er ignorierte es. Wichtig war nur, den Ring schnellstmöglich zu finden, um sich für den Ball, der am heutigen Tage stattfinden sollte, bereit zu machen. Mit nassen Stiefeln würden sie ihn kaum einlassen.

Er hoffte, dass Arithmeta eine passende Alternative finden konnte. Ihm fiel nichts ein. Er würde sich anfangs wohl eher verdeckt halten müssen, bis er Ilya nah genug war, um ihr alles zu erklären. Auch wenn er bezweifelte, dass er inmitten dieser Menschenmenge auffiel.

Aber … sicher war sicher.

Hoffentlich kam Shan auch sicher an. Immerhin hatte er sie einfach so losgeschickt, obwohl er wusste, dass sie orientierungslos war. Aber … sie war intelligent und stark. Sie würde es doch schaffen …

Ansonsten hätte sie wohl hier gewartet, oder? Zumindest wäre sie zurückgekehrt …

Er musste einfach daran glauben, dass sie es zur Schneiderei geschafft hatte. Wenn sie Thelma wirklich hier gefunden hatte, dann würde es kein Problem für sie gewesen sein.

Da war er sich zumindest sicher.

Er schaute sich um und stapfte durch das Wasser. Irgendetwas war hier anders. Ihm fiel nicht auf, was genau es war, aber irgendetwas hatte sich verändert. Sein Blick fiel auf Epona. Das Pferd wirkte immer noch erschöpft. Auch er fühlte noch die Müdigkeit, die die letzten drei Tage mit sich brachten. Immerhin waren sie ziemlich schnell und relativ viel geritten, obwohl es ein solch schwieriges Gelände war. Aber dafür waren sie rechtzeitig hier.

Hier konnte er sich ein wenig ausruhen, nachdem er den Ring endlich in den Händen hielt. Doch dafür musste er ihn erst aufspüren.

Er watete noch ein wenig herum, begutachtete den Boden und observierte die Felsbrocken, die um ihn herum waren. Doch auf keinem lag ein silberner Ring.

Dass sie diese Anweisung vergessen hatte, bezweifelte er stark, aber … vielleicht hatte ihn jemand gestohlen? … Aber wer würde einen Ring stehlen? Gut, Diebe, Banditen, Räuber …

Oder Ganondorfs Scherge, der etwas von seinem Plan mitbekommen hatte.

Bei diesem Gedanken riss Link die Augen auf. Sofort zückte er sein Schwert und schaute sich misstrauisch überall um. War er noch hier? Wenn ja – wo?

Link vollführte einige Schritte rückwärts, um mehr Sichtfeld zu gewinnen. In welcher Richtung würde er sich verstecken? Würde er ihn angreifen? Warum hatte er es nicht zuvor schon getan?

Wieder streifte sein Blick das Pferd.

Er seufzte. „Epona, werde ich langsam verrückt?“, fragte er leise.

Vielleicht war es einfach die Müdigkeit, die Erregung über seine Entdeckung, was Ilya betraf, und ein wenig der Missmut dem gegenüber, was kommen würde.

Er musste sich Ilya stellen. Dabei würde er vielleicht auf Ganondorfs Gehilfen treffen.

Vielleicht musste er kämpfen … Wie würde sich Ilya entscheiden? Und wie sollte er die wahre Prinzessin finden?

„Epona, du warst aber schon immer mein Pferd, oder? Du bist nicht nur eine Prinzessin, die in ein Pferd verwandelt wurde, sodass Ilya deinen Platz übernehmen konnte, oder?“, fragte er leise. Danach lachte er kurz auf.

Er hatte sich auf seinem Weg viele Gedanken gemacht. Wo war sie? Wer war sie?

Doch nichts hatte auf einen grünen Zweig geführt. Wieso konnte er sich lediglich an Ilya erinnern? Hätte der Geist nicht alle Zauber, die auf seinem Gedächtnis lagen, löschen können? Etwas mehr Weitblick würde ihm wirklich nicht schaden … Und der Welt dadurch auch nicht.

„Aber zuerst der Ring“, murmelte er, während er das Schwert wieder in die Scheide an seinem Rücken steckte. Zu dem Zeitpunkt, an dem er diese kunstvolle Bewegung vollbrachte, fiel sein Blick auf einen ganz bestimmten Fels. Der Fels war ein wenig dunkler als die anderen – das konnte aber auch an den Lichtverhältnissen liegen – und als er ihm näher kam, entdeckte er eingeritzte Zeichen: Ein Triforce, in dessen Mitte ein Kreis gezeichnet war. Nein, kein Kreis. Ein Ring!

Das war Shans Zeichen! Da war er sich ziemlich sicher!

Aber … wo war der Ring?

Er umrundete den ganzen Felsen, tastete ihn oberhalb ab, tauchte seinen Kopf ins seichte Wasser, um auf den Boden sehen zu können, doch nirgends befand er sich.

Link zog eine Grimasse. Was meinte sie damit?

Das Triforce stand wohl für ihn. Und der Ring für … nun, den Ring eben.

Er begutachtete seine linke Hand, die durch seinen Handschuh verdeckt war. Darunter befand sich das Heilige Zeichen.

Er seufzte. Einen Versuch war es wert.

Er entfernte den Handschuh und hob seinen Handrücken an die Zeichnung. Plötzlich glühte das Zeichen am Stein kurz auf.

Und die Ritze, die den Ring darstellte, füllte sich plötzlich.

Mit einem Ring!

„Shan, wie hast du …“, flüsterte er staunend, beendete den Satz aber nicht. Stattdessen griff er nach dem Schmuckstück und begutachtete es.

Ja, das war Shans Ring. Wenn es keine Falle des Schergen war, dann verschaffte ihm dieses kleine Teil den Weg nach Hyrule.

Er schaute erneut auf sein Pferd und hob dabei den Ring hoch.

„Hey, Kleine, ich hab ihn gefunden!“, rief er ihr erfreut zu. Das Pferd allerdings schaute ihn nur müde an, „Ruh dich aus!“, schlug er ihr lächelnd vor, „Eldin wird dir sicher wieder zu Kräften- …“

Er stockte.

Das war es.

Das war anders.

Er fühlte sich keinen Deut stärker, obwohl er gerade mitten in dieser Quelle stand. Woran lag das?

„Eldin? Influbene? Alles in Ordnung?“, rief er den nicht anwesenden Geistern zu, „Hey!“

„Oh, Link!“, ertönte eine Stimme von der anderen Seite.

Sofort wandte er sich um. Leonhardt stand dort und sah ihn besorgt an. „Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst so zerknirscht.“

Link lächelte. „Hallo! Nein, nein, mir geht es gut! Aber wie geht es dir? War zufällig Thelma hier?“

Bei der ersten Nachricht strahlte Leonhardt förmlich. Der Priester war wohl immer froh darüber, wenn es jemandem gut ging. Na ja, sonst wäre er kein Priester geworden. Bei der Erwähnung von Thelmas Namen verfinsterte sich seine Miene allerdings.

„Ja, Link, sie war hier. Und auch ein anderer Mann aus Hyrule-Stadt. Thelma blieb lange Zeit hier, konnte nicht mehr weg. Der andere Mann war eine Weile hier. Und vor drei Tagen sind beide spurlos verschwunden. Ihre Pferde waren weg und ihre ganzen Sachen … Thelma wäre doch nicht einfach zurückgegangen, ohne sich zu verabschieden, oder?“

Thelma war also hier. Shan hatte sie also gefunden. Es war doch Shan, oder? Von hier nach Hyrule konnte man schon an die drei Tage brauchen, wenn man sich nicht beeilte, vielleicht wollte sie einfach pünktlich sein?

Oder … Ganondorfs Scherge war wirklich hier. Und er hatte …

„Shan, Thelma …“, murmelte er geschockt.

„Wie bitte?“, fragte Leonhardt vom Ufer aus.

Link legte sich den Ring um und schritt dann auf Leonhardt zu. „Ich habe eine Freundin von mir hierher gesandt, um Thelma zurück nach Hyrule zu bringen … Ich hoffe, sie war es, die Thelma weggebracht hat.“

„Wieso? Wer sollte es denn sonst gewesen sein? Thelmas Nicht?“ Er blickte ernst drein.

Feconi. Es war eine Möglichkeit, aber … was hatte der andere Mann damit zu tun?

„War jemand Fremdes im Dorf?“, fragte Link und schaute den Mann eindringlich an.

Dieser schüttelte bedauernd den Kopf. „Niemand, Link, niemand.“

Er sog die Luft scharf ein. „Ich gehe nach Hyrule, Leonhardt. Dort sollte ich meine Freundin antreffen.“

Der Priester nickte verstehend. „Eine deiner alten Freundinnen? Betty, wenn ich mich nicht irre. Sie hat uns schon lange nicht mehr besucht. Wahrscheinlich hat sie viel Arbeit bei ihren Eltern.“ Der Mann schien eher mit sich selbst zu sprechen, als mit Link.

Aber es war an der Zeit, einen Test durchzuführen.

Link schüttelte den Kopf. „Nein, nicht Betty. Ich treffe die andere, die damals dabei war. Die, die ihre Erinnerungen verloren hatte. Erinnerst du dich?“

Erst blickte der Priester nachdenklich drein, doch dann zog er die Stirn kraus. „Nein, wen könntest du meinen?“

„Prinz Ralis!“, dämmerte es Link, „Sie hat mit Thelma zusammen Ralis hergebracht, sie …“

Leonhardt unterbrach Link kopfschüttelnd. „Link, du bist wohl etwas überarbeitet. Ralis und Thelma sind mit dir zusammen gekommen Link. Da war keine Freundin von dir.“

„Aber … die Flöte. Die Erinnerungsstücke – die Frau aus dem Vergessenen Dorf!“, machte er verzweifelt weiter, „Sie- …“

„Link. Es war niemand dort. Niemand.“

Link behielt Schweigen.

Er war wirklich der Einzige, der sich an Ilya, das Bauernmädchen, erinnern konnte. „Prinzessin Ilya erwartet mich, Leonhardt“, wisperte er, „Ich muss los.“

„Epona sieht mir aber genauso erschöpft aus wie du, Link. Seit Eldins Quelle nicht mehr heilt, können wir dir nur ein Bett anbieten, um …“

„Nein“, entgegnete Link schärfer als geplant, „Ich bitte dich, Leonhardt, dich eine Weile um Epona zu kümmern. Ich werde sie später noch brauchen. Aber nach Hyrule gehe ich ohne sie. Sie ist wirklich geschafft, sie …“

Der Priester nickte lächelnd. „Selbstverständlich, Link.“

„Danke“, sagte Link, während er sich zu Epona bewegte und sie auf Leonhardt zuführte. Er gab ihm die Zügel in die Hand und bedankte sich noch einmal, wobei er sich auch für die Umstände entschuldigte. Er erhielt ein Glas Milch, weil er den Mann einfach nicht davon abbringen konnte, nichts für ihn zu tun. Danach ging er.

Die Sonne deutete bereits den Abend an.

Doch es war noch nicht zu spät.

Er hatte den Ring.

Er war bereit.

Auf nach Hyrule.

Und damit umarmte ihn der Schatten.
 


 

Das Ende dieser Schrift naht.

Denn der wahre Plan beginnt.

Unaufhaltsam muss ich meines Weges gehen.

Bitte lass ihn mich zu Ende schreiten.

Miteinander

Miralle hielt ein Stück Stoff in der Hand und schaute sich nach dem Meterband um. Irgendwo hier musste sie es doch hingelegt haben …

„Oh ja, und habt Ihr das gehört?“, ertönte die Stimme einer Kundin, die aufgeregt mit Arithmeta sprach.

„Gehört? Was?“, antwortete die Geschäftsführerin interessiert, „Mir ist seit dem Dilemma mit dem kaputten Rubin nichts mehr zu Ohren gekommen. Na ja, seither war ich auch damit beschäftigt, ein neues Kleid anzufertigen, das drei Rubine mehr am Saum hatte als das alte Stück. Ach ja, wenn ich so mit Geld herumwerfen könnte …“

„Na, darum geht es doch, meine Liebe!“, erwiderte die Frau. Sie war eine Adelige, die nie einen Boten aussandte, da sie denen nicht zutraute, ihre Kleider unbeschadet zurückzubringen. Sonst musste sich Miralle immer mit ihr herumärgern. Zum Glück war sie gerade beschäftigt.

Ah, hier war das Meterband!

Sie nahm es und begann damit, die genaue Größe zu ermessen. Währenddessen lauschte sie aber dem Gespräch, das sie eigentlich nichts anging.

„Thelma!“, verkündete die Adelige und klang dabei so, als würde sie verkünden, dass ein Weltuntergang doch nicht stattfinden würde, „Thelma ist zurückgekehrt! Ein wenig durch den Wind, aber zurück! Man sagt, ihre Nichte sei beinahe blutrünstig geworden!“

„Ach ja, Thelma ist zurück?“, wiederholte Arithmeta ruhig, „Wo war sie denn?“

„Ich habe es von dem Soldaten erfahren, der es vom Vetter des ersten Offiziers meines Schwagers erfragt hatte, der wiederum will es von Agnetha gehört haben, welche es vom pensionierten Doktor mitbekommen hat, welcher es von einem verletzten Soldaten weiß, der bei ihm in der Kurzbehandlung war, weil der zuvor im Krankenhaus war, wo er die Gerüchte aufgeschnappt hat, wo sie allerdings keine Zeit für ihn hatten“, beschrieb die Frau ausführlich. Danach kicherte sie übertrieben laut, um die ganze Aufmerksamkeit aller Insassen auf sich zu ziehen.

Und es gelang ihr.

„Und das will vertrauenswürdig sein?“, entgegnete Arithmeta skeptisch, wobei sie ihren Hut zurechtrückte.

„So vertrauenswürdig wie die Tochter des Sohnes meines drittgradigen Vetters, dessen Familie im Ausland lebt!“, antwortete die Adelige überzeugt.

„Ich … verstehe“, behauptete Arithmeta unsicher, „Aber Thelma geht es gut?“

„Laut dem Soldaten, den ich am Weg getroffen habe, der es von einem- …“

Arithmeta räusperte sich kurz. „Wir schließen bald.“

„Oh! Also, ja. Ihr geht es gut. Durch den Wind, wie gesagt, aber gut! Und sie hat wohl einen an der Angel, wie ich weiß! Wachsoldat.“ Das Zwinkern der Adeligen konnte Miralle vor sich sehen, obwohl sie die Frau überhaupt nicht sehen konnte. Aber es war aus ihren Worten eindeutig herauszuhören.

„Wie hieß er? Cloud Monami?“, fragte sie sich selbst, „Ach, egal! Aber der Mann ist zwanzig Jahre jünger als sie! Na ja, zumindest sind sie zu zweit angereist. Aber das sagt ja schon alles, nicht wahr?“

Arithmeta nickte nachdenklich. „Vielen Dank für die Auskunft.“

„Aber bitte, gerne doch!“, meinte die Adelige übertrieben fröhlich, wonach sie alsbald ihre Taschen zusammenkramte und das Geschäft verließ.

Damit war die letzte Kundin gegangen.

„Zeit zum Schließen“, verkündete Arithmeta.

„Mydia arbeitet noch draußen. Sie wäscht gerade Stoff aus. Bitte sperrt sie nicht aus“, teilte Miralle ihr mit, während sie die Kreide zur Hand nahm und einen Strich entlang zeichnete, „Wie weit habt Ihr eigentlich das Kleid für die Prinzessin?“

„Ich habe es fertig“, meinte Arithmeta, „Aber der Bote will einfach nicht kommen! Langsam wird es spät. Er kennt zwar den Boteneingang …“

Die Tür öffnete sich, woraufhin Miralle ihren Blick darauf wandte. In der Tür stand jemand, der ihr sehr bekannt vorkam.

Links Begleiterin!

„Shan!“, rief sie überrascht aus. Dann klickte es. „Ist Link auch hier?“, fragte sie besorgt. Natürlich war es hoffnungsvoll aufzufassen, dass Link ebenfalls hier sein könnte, aber … Der Suchbefehl war noch immer nicht aufgehoben worden. Die Prinzessin duldete ihn hier nicht.

„Danke, Mydia, dass du mich hereingelassen hast“, sagte die sehr große Frau höflich und trat anmutigen Schrittes ein. Sie trug einen Umhang, der für Hyrule-Stadt sehr ungewöhnlich war. Aber … Shan alleine fiel sowieso auf. Ihre Haarfarbe, ihre Hautfarbe, ihre Größe …

Und natürlich ihr Begleiter, der diesmal aber nicht da zu sein schien.

„Wo ist Link?“, wollte Miralle wissen, wobei sie den Stoff zur Seite legte und auf Shan zuschritt.

Hinter Shan kam Mydia hinein. Sie schaute zu Boden, runzelte dabei aber die Stirn. Worüber sie wohl wieder nachgrübelte? Mydia war immer am Nachdenken. Nun ja, sie hatte keine Erinnerung, von dem her … Es wohl logisch, dass sie jedes Indiz, das auftauchte, dazu nutzte, in ihrem Gedächtnis zu kramen …

„Link sollte auch noch hierher kommen … Ich nehme an, er ist noch nicht da?“, fragte Shan trocken und verschränkte die Arme, „Dabei habe ich mir so viel Zeit gelassen …“ Es klang wie eine nett gemeinte Beschwerde.

„Mydia, hast du die Stoffe?“, fragte Arithmeta, als sie ebenfalls auf sie zuschritt.

Das Mädchen schaute gehetzt auf und schüttelte verwirrt den Kopf. Nach einem letzten Blick auf Shan verschwand sie wieder nach draußen.

„Hach, sie ist so tollpatschig, na ja, sie hat auch keine Erinnerung …“, murmelte Arithmeta, wonach ihr ein Seufzen entrann, „Sie ist so fleißig …“

„Erinnert sie sich wirklich noch immer an nichts?“, wunderte sich Shan und sah Mydia dabei interessiert nach, „Erstaunlich, dass das solange anhalten kann … Was ihr wohl passiert ist?“

„Ich weiß nicht, ob ich ihr wünsche, es herauszufinden“, gab Arithmeta betrübt zu.

„Ich hoffe, sie findet zurück zu ihrem alten Leben“, mischte sich Miralle ein, wandte sich dann aber zu Shan um. „Ihr habt hier euren Treffpunkt, oder?“

Die große Frau nickte. „Genau. Wir machen uns für das Fest der Königin bereit. Immerhin müssen wir uns einschleichen, ohne bemerkt zu werden.“

Miralle riss die Augen auf. „WAS?!“, entfuhr ihr lauter und schockierter als sie eigentlich wollte. Als ihr das bewusst wurde, räusperte sie sich und wiederholte in normalem Tonfall: „Wie bitte?“

„Wir infiltrieren den Ball“, erklärte Shan schlicht, „Link möchte dort all seine Freunde wieder treffen.“

„Wieso … Wieso genau am Ball?!“, fragte Miralle – nicht weniger schockiert als zuvor, „Das ist doch gefährlich …! Prinzessin Ilya hasst ihn …!“

Shan sah sie an und hob amüsiert ihre Augenbrauen. „Tut sie das?“, fragte sie spöttelnd, fuhr dann aber in ernstem Ton fort: „Und damit ist sie nicht die Einzige. Ganondorfs Erwachen naht. Das Schicksal spannt seine Fäden um diesen Ball. Die Frage, wer diese Fäden lenkt, ist allerdings eine andere.“

Miralle runzelte die Stirn. Was sagte sie da …? War sie nicht mit Link befreundet? Machte sie sich keine Sorgen um ihn? Oder … vertraute sie so sehr auf ihn?

Aber Miralle vertraute Link auch. Aber sie sorgte sich ebenso …

Die Tür öffnete sich erneut.

Sie hätte schwören können, dass alle drei Link erwartet hatten, denn die Gesichtsausdrücke veränderten dreimal in eine trübselige Richtung, als Mydia mit den Stoffen eintrat – allesamt schön geordnet und gefaltet, aber noch immer nass.

„Hast du draußen einen Boten gesehen?“, wollte Arithmeta wissen, „Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit, dass er hier wäre … Immerhin steht die Abendsonne prachtvoll am Himmel. Mir schwant, es bleibt noch wenig Zeit, bis der Ball beginnt. Und das Tanzkleid sollte bereit liegen.“

„Tanzkleid?“, wiederholte Shan sichtlich interessiert, „Was ist das?“

„Das Kleid der Prinzessin“, antwortete Miralle anstatt ihrer Vorgesetzten, „Mit diesem tanzt sie. Mit dem Eröffnungskleid hält sie die rede und mit dem Endkleid endet der Ball … ähm … letzten Endes. Dass Prinzessin Ilya bei großen Festen viele Kleider braucht, ist eine unserer Haupteinnahmequellen!“

„Erzähle nicht zu viel“, schalt Arithmeta sie – allerdings unernst.

Sie fühlten wohl beide, dass von Shan keine Gefahr ausging. Und schon gar nicht als Konkurrentin bei Schneidermoden!

„Verstehe … Und wieso ist es nicht schon längst bei ihr? Ist das Schlusskleid auch noch hier?“

Arithmeta schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein. Ursprünglich wäre das Tanzkleid ebenso schon seit gestern im Palast. Allerdings hat ein Bote einen Rubin zerbrochen, der am Kleid angebracht war. Die Prinzessin wollte unbedingt ein intaktes Kleid.“

Shan überlegte eine Zeit lang, bevor sie reagierte: „Ich denke, ich verstehe … Vielleicht ist es auch ein Hauch von uns gut gewillten Schicksal … Wie wird das Kleid transportiert? Ich denke, ich weiß, wie Link den Palast betreten kann …“

Arithmeta schüttelte den Kopf. „Nein, ein Bote alleine reicht nicht. Es ist immer ein Bote, der das Kleid trägt und dann eine Dienerin, die das Kleid erst anprobiert, um herauszufinden, ob es keine versteckten Fallen enthält und um zu sehen, wie es an einer Person wirkt, die zwar schlicht ist, aber der Königin nicht unähnlich, was Körperbau angeht. Und dafür … habt Ihr wohl kaum die richtigen Körpermaße …“

Shan lachte kurz. „Ich verstehe … Hm. Mal sehen, was wir daraus noch machen können.“

Miralle bemerkte, dass Mydia sich zu ihr gesellte. Der Blick der anderen lag die ganze Zeit über nachdenklich auf Shan. Shan war auch wirklich eigenartig. Schon alleine ihr Anblick …

Aber so waren die Ausländer eben.

„Wann, glaubt Ihr, erscheint Link?“, fragte Miralle nach kurzer Zeit.

Und plötzlich ertönte ein lauter Krach.
 

Die Dunkelheit ließ Link wieder los – und hielt ihn wohl noch immer gefangen!

Aber … es war anders als die vorherige. Einengender.

Er versuchte, sich aufzurichten, doch es gelang ihm nicht. Irgendetwas hielt ihn fest. Es war fest um seine Hüfte herum geschnürt, aber auch an den Armen konnte er die Beengtheit spüren.

Ein angestrengtes Knurren entfuhr ihm, als er versuchte, sich zu befreien.

Aber es ging nicht!

Es war, als hielte es ihn fest … Als steckte er in einer Falle!

Er begann damit, mit den Füßen herumzufuchteln, wobei er bemerkte, dass er nicht einmal auf festem Boden stand.

Flog er etwa?! Hängte er?

Er brachte sich weiterhin dazu, sich zu rühren.

Wo war er hier nur gelandet? Er hatte den Ring darum gebeten, ihn in ein sicheres Versteck bei Arithmeta zu bringen, ohne aufzufallen und mit der schnellstmöglichen Möglichkeit, zu Ilya zu gelangen! Und dabei Shan nicht zu vergessen. Aber … er musste zu ihr!

Und jetzt war er hier. In einer Falle!

Plötzlich stieß sein Fuß gegen etwas. Dieses Etwas schien sich zu rühren, da daraufhin ein Lichtstrahl auf Link fiel. Doch das Etwas schloss sich sofort wieder.

Also gut! Er musste dieses Ding so weit wegstoßen, dass er ganz im Licht badete! Vielleicht würde er dadurch eher die Orientierung wieder finden.

Er biss die Zähne zusammen und stieß mit dem Fuß zu. Aber er verfehlte.

Und noch einmal.

Wieder war es nur planloses herumfuchteln.

Doch diesmal berührte er es wieder.

Er musste also ein wenig schwingen. Ob das nach vorn hin funktionierte?

Er versuchte, seinen Körper zu durchzuringen, zu schaukeln – und es gelang.

Dadurch bemerkte er, dass er an beiden Schultern festgehalten wurde. Darum konnte er also in der Luft schweben.

Aber bis zu den Schultern konnte er sich immerhin bewegen!

„Hau-Ruck!“, sagte er sich, während er nach vorne schwang.

Zu kurz.

Er versuchte es erneut.

„Komm schon!“, murrte er leise.

Und beim dritten Vorschwung krachte er mit beiden Beinen gezielt gegen das Ding, das das Licht von ihm abblockte.

Der Schwung ließ es aufbrechen, sodass sie – Türen?! – nach hinten krachten und ein lautes Geräusch von sich gaben. Während er aufgrund der Geräusche zusammenzuckte, löste sich das, was ihn oben hielt – oder eher: Es blieb, aber es kippte ebenso nach vorne.

Und ehe sich Link versah, lag er auf einem harten Fußboden, über und über mit Stoffen und Kleidern bedeckt und irgendwo lag auch noch ein abgebrochener Kleiderhalter.

Eilige Schritte ertönten hinter einer anderen Tür. Die Tür wurde aufgesperrt, aufgerissen – und Arithmeta starrt ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Hinter ihr konnte er Miralle erkennen. Und dahinter das andere Mädchen. Mydia?

Und dann kam Shan. Sie war hier …!

Er wollte sie begrüßen, doch bevor er dazu kam, seine Worte auszusprechen, begann sie schallend zu lachen.

Und Shans Lachen war wohl sehr ansteckend. Denn plötzlich lachten alle – Mydia lächelte zwar nur, aber trotzdem.

Schallendes Lachen von drei Frauen erhob sich über ihm. Er gönnte ihnen ungeduldig einige Momente, bis sie sich beruhigten.

Er hätte sich selbst liebend gerne befreit, doch seine Schultern hingen noch immer fest. Seine Bemühungen würden sich absolut nicht lohnen. Er brauchte wohl Hilfe.

Irgendwann brach Arithmeta kopfschüttelnd das Lachen ab und schritt langsam auf Link zu. „Ach, mein Junge! Ihr seid so neugierig!“, meinte sie lächelnd – danach kicherte sie.

Miralle ging nach vorne. „Hallo Link“, begrüßte sie ihn strahlend, bückte sich und machte sich daran, einige Stoffe zu entfernen.

Mydia war ebenfalls gleich zur Stelle und half ihrer Mitarbeiterin dabei, seine Unordnung aufzuräumen.

„Kann mir einer das Zeug von den Schultern nehmen?“, fragte er beinahe schon flehend, „Ich kann mich kaum rühren.“

„Mal sehen, was du dir da eingef- …“, Miralle unterbrach sich und starrte schockiert auf Links Schultern.

Was hatte er da?! Einen Troll!? Was war los?

„Miralle?“, sagte er zögerlich.

Miralles Kopf drehte sich langsam und unsicher Richtung Arithmeta. „Ähm … Das … Das …“, sie zeigte auf Link.

Mydia hielt ebenfalls erstaunt in ihrer Arbeit inne.

„Das Schicksal bestimmt seinen Weg selbst“, ertönte Shans Stimme. Sie grinste, „Oh, Link! So genau wollte ich es gar nicht wissen! Sag bloß, du hast uns die ganze Zeit belauscht.“

„Was – verdammt! – ist los?“, fragte er verzweifelt.

Wieso agierten alle so seltsam?

Was hatte er? Trug er etwa ein Kleid?

„Du trägst … das Tanzgewand der Prinzessin“, brachte Miralle ihm die Erleuchtung.

Und die Ungläubigkeit.
 


 

„Okay, ihr verdient euren Namen wirklich“, befand Link, als er das Ergebnis sah. Er trug ein perfekt auf ihn zugeschnittenes Kleid. Zwar war es durch das feste Korsett ein wenig eng, doch die Luft blieb ihm nicht mehr weg. Er fühlte sich nicht mehr eingesperrt.

Außerdem hatte er passende Stiefel. Arithmeta behauptete, sie wären für Männer und Frauen geeignet, aber er fand, dass sie fiel zu hoch waren. Zumindest konnte er darin stehen.

Durch hohe Stiefel, so hatte sie gemeint, würde es natürlich wirken, dass das Kleid so kurz an ihm aussah. Immerhin wollte er dadurch Betonung auf die Stiefel setzen.

„Hübscher Ring“, sagte Miralle, „Er passt gut dazu.“

Ah, den hatte er schon wieder fast vergessen. Er sah zu Shan. Diese schüttelte allerdings den Kopf. Sie lächelte. „Behalte ihn. Er steht dir wirklich gut. Wie das Kleid.“

„Du bist aber auch ein gutes Model“, lobte ihn Arithmeta, welche ihre Arbeit begeistert musterte, „Du hast bei keinem Pieks geschrieen. Wenn wir immer solche starke Kunden hätten, kämen wir viel schneller voran!“

Er lächelte verlegen. „Danke … Zu viel der Ehre … Aber ich glaube nicht, dass ihr oft Männerkleider anfertigt …“

„Ihr tragt darunter auch Eure richtige Kleidung“, meinte Arithmeta freundlich, „Also könnt ihr das Kleid schnellstmöglich loswerden.“

„Also … An der Kleidung wird es nicht scheitern … Auch wenn es sehr seltsam ist …“, befand Link.

Shan hatte ihm ihre Worte erklärt. Der Bote war also nicht aufgetaucht. Jetzt änderten sich die Spielregeln. Link trug das Kleid der Prinzessin, um als „Dienerin“ zu ihr durchzukommen. Niemand würde ihn in Frauenkleidern erwarten. Bei einer Frau würde niemand unter den Rock schauen, um nach dem Schwert zu suchen, welches dort an seiner Gürtelscheide hing.

Er hatte widerwillig zugestimmt, auch etwas an seiner Frisur ändern zu lassen. Er hatte wirklich keine Lust, sich im Spiegel betrachten zu lassen, vor allem, da Shan so amüsiert war.

Sie selbst agierte nicht als Bote, da sie sogar für Hyrules Männer zu groß war.

Sie spielte die ausländische Prinzessin.

Ilya sollte nichts von der Schattenwelt wissen, also waren es einfach neue Geschäftsbeziehungen, die Shan knüpfen wollte. Am Tag des Volksfestes war Shan vermutlich ebenfalls aufgefallen. Aber zum Mittsommernachtsfest kam die Bevölkerungsschicht nicht, die damals dort war.

Und Ilya hatte sie übersehen.

Zu diesem Zweck trug Shan die Kapuze weiter übers Gesicht gesenkt. Ihr Diadem war aber dennoch sichtbar.

„Ich sehe zu, dass ich durch die Hintertüre hinein komme“, meinte Link dann, „Und dann werde ich samt Kleid zu Ilya gehen und ihr sagen, was ich ihr mitzuteilen habe.“

„Aber Ganondorf hält sie für eine Lüge!“, entgegnete Miralle.

Link hatte nicht erzählt, was genau er vorhatte. Das ging nur ihn und Shan etwas an.

Er nickte. „Ich werde sie überzeugen. Vertraut mir.“ Er lächelte sie an.

Miralle schwieg.

„Link will eine Prinzessin überzeugen, während er ein Kleid trägt“, witzelte Shan, „Elegante Art.“

Er grinste schief. „Ein besserer Vorschlag?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Würden wir nachdenken, käme einer – aber ich liebe den Gedanken, dich in einem Kleid zu sehen. Einfach zu lächerlich, um wahr zu sein.“

„Und lächerlich genug, um nicht aufzufliegen.“

Sie nickte. „Claude ist ein Beweis dafür, dass Ilya nicht vergisst …“, sagte Shan ernst, „Ich denke, du wählst einen guten Weg. Es wird dir so niemand auf die Schliche kommen.“

„Wir werden dir Deckung geben, sobald du drinnen bist. Wenn du Ilya wirklich sofort überzeugen kannst, wie du sagst, wird sie kein Tanzkleid brauchen“, meinte Arithmeta, „Du musst nur hineinkommen. Dafür werden wir dir gerne dieses Kleid zur Verfügung stellen. Auch wenn es uns viel gekostet hat. Aber das Wohlbefinden von Hyrule steht über teuren Stoffen.“

„Link“, begann Miralle und sah ihn entschlossen an, „Du wirst Ganondorf wieder besiegen können, nicht wahr?“

Er nickte ohne zu zögern. „Ich muss.“

Vor allem dafür, was er ihm und Ilya angetan hatte. Er musste bezahlen!

„Wir werden uns dann auf den Weg machen“, verkündete Link, „Und vielen Dank für alles.“

„Hast du deine Mütze?“, fragte Mydia plötzlich und sah ihn dabei erschrocken an.

Er lächelte sie beruhigend an. „Natürlich. In meiner Tasche.“

„Viel Glück, ihr Helden“, sagte Miralle dann, „Wir sehen uns auf der Tanzfläche.“

Link nickte.

Und sie verließen gemeinsam die Schneiderei.
 

„Was genau ist jetzt dein Plan?“, fragte Shan, als sie neben ihm her schritt. Sie waren in einer dunklen Seitengasse, die wohl von den Wachen ignoriert wurde, weil sich hier niemand aufzuhalten schien.

Sie lehnte an einer Wand und hatte die Arme verschränkte, wobei sie ihn kritisch musterte.

„Shan …“, begann er, „Als du weg warst, ist einiges passiert.“ Er sah sie bedauernd an. „Ich darf dir nicht alles davon verraten. Ich musste es schwören.“

Sie runzelte die Stirn. „Ach ja?“

Er nickte. „Ich erinnere mich wieder, Shan. Ich weiß, wer Ilya in Wirklichkeit ist. Ich kann mich an sie erinnern …“ Nun schüttelte er den Kopf. „Shan, ich weiß nicht, weshalb er es uns angetan hat, aber … Ich muss ihn dafür büßen lassen. Ich will Ilya wieder zurück.“

Er klang entschlossen.

Shan wandte ihren Blick dem Boden zu. „So ist das“, murmelte sie, „Ich sollte mich wohl für dich freuen“, entschied sie dann einen Moment später, „Dann willst du sie heute Nacht also davon überzeugen, dass sie deine Dorffreundin sein soll?“ Ihre Tonlage war von Ernst erfüllt.

„Ja“, antwortete er ihr, „Ich denke, Ganondorfs Scherge wird ebenfalls dort sein. Darum habe ich zu Arithmeta nichts gesagt. Nur dir musste ich es sagen.“

„Wenn du den Schergen heute Nacht besiegst …“ Sie wandte den Blick ab. Ihre Stimme verlor an Kraft. „… wirst du dann in dein Dorf zurückkehren?“

Er bejahte. „Ich will, dass es wieder wie früher wird.“

„Hm … Wirst du mich dann vergessen?“, wollte Shan leise wissen, „Wie Midna?“

Seine Augen weiteten sich ein wenig. Dann schüttelte er entschieden den Kopf. „Ich werde tun, was ich kann, um unsere Zeit unvergessen zu machen.“

Sie lächelte ein wenig. „Das ist schön zu hören …“

Schweigen tat sich zwischen ihnen auf.

Link durchbrach es nach einer kurzen Weile. „Shan.“

Sie sah auf.

„Wir sollten gehen. Ich habe das Gefühl, dass es bald beginnt.“

„Es ist so seltsam, dass du dieses Kleid trägst“, befand sie kopfschüttelnd, „Aber …“

„Ja?“

„Versprich mir bei all deiner Ehre“, begann sie, wobei sie ihm fest in die Augen sah. Sie klang eisern, „Dass du niemals zögern wirst. Link. Wer auch immer sich dir dort drinnen in den Weg stellen mag. Wessen Gesicht er auch haben mag. Ich will, dass du denjenigen im Namen des Lichts und der Göttinnen auslöschst. Und ob du dabei ein Kleid trägst, eine Hose oder gar nichts – egal, was geschieht.“ Sie machte eine kurze Pause. „Töte denjenigen, Link.“

Die Worte ausgesprochen zu hören, verkrampfte seinen Magen.

Töten.

Einen Menschen.

Erneut.

Bei dem Mädchen am Berg hatte er sich zurückgehalten, aber heute …?

Ganondorfs Scherge war eine Gefahr für die Welt. Derjenige musste sterben.

Wer auch immer es war.

Wie Shan sagte.

„Wir werden ihn bekämpfen, Eure Hoheit“, schwor Link, indem er Shans Hand nahm.

Sie gab einen überraschten Laut von sich, lächelte dann aber.

„Ich gehe durch den Haupteingang“, teilte sie ihm mit, „Du benutzt den Ring.“

Er nickte. „Klar. Ich werde- …“

Er beendete seine Worte nicht, da er barsch unterbrochen wurde.

Ihre Lippen berührten die seinen.

In dieser mondhellen Nacht.

Mitbekommen

Der kleine Umweg hatte ihnen tatsächlich nichts ausgemacht. Sie waren da.

Vor der Höhle.

Terra starrte in der bereits erdunkelten Nacht auf die ebenso dunkle Höhle.

Nur wenig viel weiter hatten sie zuvor gegen diese Schattenwand gekämpft.

Sie erschauderte.

Damals war es sonst überall hell. Heute war alles voller Schatten. Es wirkte sogar noch dunkler als gewöhnlich.

Ob das wohl nur Einbildung war? Sie hoffte es.

Sie schaute zurück.

Es war nur Orb außerhalb des Schiffs, um Stellung zu halten. Er machte ein grimmiges Gesicht.

Genauso wie all die anderen Feen. Je näher sie diesem Ort kamen, desto griesgrämiger wurden sie.

Terra vermutete, dass es daran lag, dass hier Yurai verletzt wurde.

Sie war nicht aufgewacht. Scheinbar kämpfte sie noch immer gegen diese Schattenwand.

… Noch immer gegen die Schattenwand? Kämpfen?

Sie wandte sich um und sah in die Richtung der Kabine, in der die Fee lag.

Sie konnte die Schattenwand nicht sehen. Hatte Yurai sie in diesem Unterbewusstseinsdingens festgehalten?

Nein, das war nicht möglich … Terras Bewusstsein war damals zwar weg, ihr Körper war aber noch auf dieser Ebene. Aber die Mauerreste waren nicht da. Gar nichts war da. Nichts als Dunkelheit.

Also war es wohl doch nicht der Kampf gegen die Mauer, den Yurai austrug.

„Wesen der Dunkelheit lösen sich immer in Dunkelheit auf“, hörte sie ihre eigene Stimme murmeln, „Gilt das auch für Mauern?“

… Eine Frage, die zu stellen es sich lohnte.

Azur hatte ihr immerhin gesagt, sie solle sich an ihn wenden, sobald ihr etwas Neues einfiele. Er war vor allem interessiert an der Geschichte, wie sie und Yurai gegen jene Mauer gekämpft hatten. Er machte sich schon die ganze Zeit Gedanken darum, wie sie das schaffen sollten, falls es so weit kam.

Terra hoffte, er hatte eine Lösung gefunden.

Oder dass ihre Lösung half.

Ehe sie sich versah, war sie unterwegs in Richtung Kabine des Kapitäns. Wobei ihr Orb obgleich der Eile ihres Schrittes einen überraschten, grimmigen Blick zuwarf, der aber vielleicht ein wenig Hoffnung barg.
 

Der schwarze Schatten lichtete sich und Link fand sich – scheinbar alleine – vor dem Boteneingang wieder.

Er schüttelte verwirrt seinen Kopf, wobei er die Schleife, die an seinem Haar befestigt war, bemerkte. Er strich sie geistesabwesend zurück.

„’Auch ein Idiot verdient einen fairen Start’, sagt sie?“, murmelte er abwesend vor sich hin, „Ich hätte auch alleine her gefunden …“

Erneut schüttelte er den Kopf, diesmal allerdings aufgrund seiner wirren Gedanken.

Wieso hatte er während dieser Reise mehr vom Küssen gelernt als in seinem restlichen Leben zusammengenommen? Aber … das war jetzt nicht das Thema.

Er musste sich an den Plan halten.

Shan hatte lediglich – ein wenig übertrieben – dafür gesorgt, dass er einwandfrei ansprang. Sie hatte dem Ring wohl den Befehl gegeben, ihn genau hierher zu bringen. Was geschah, wenn er alleine kam … das sah man wohl an seiner Gewandung …

Er musste es jetzt nur noch schaffen, den Eingang zu passieren, ohne aufzufliegen. Innen – so behauptete es zumindest Arithmeta – sollten weniger Wachen stationiert sein.

Wenn er tief genug eingedrungen war, konnte er sich auf die Suche nach Ilya machen. Das Kleid aber sollte er erst ablegen, nachdem er sie gefunden hatte. Dieses Kleid war immerhin sein Freibrief zu Ilya.

Natürlich hätte er sich gleich in ihr Zimmer wünschen können … aber das hätte wohl zu bedrohlich gewirkt. Ein Mann, der ein Kleid trug, der sich inmitten in die Räumlichkeiten einer ‚Prinzessin’ zaubert …

Er sog die Luft entschlossen ein.

„Also gut“, wisperte er, wobei er sich kurz unbeabsichtigt über seine Lippen fuhr, „Wenn Shan mir hilft, kann es nur gut gehen.“

Der Plan lautete, dass er sich zu Ilya schlich, indem er vortäuschte, die Botin zu sein, die ihr das Kleid brachte. Soweit sollte es in Ordnung gehen. Danach sollte er zusehen, dass er mit ihr sprechen konnte, um sie noch vor dem Fest von seiner Version der Geschichte zu überzeugen.

Immerhin vermutete er auf dem Fest Ganondorfs Lakaien, der wohl versuchen würde, Ilya weiterhin zu manipulieren. Wenn Link sie allerdings bekehrte, verlor Ganondorf sein Schicksalskind. Und das war ausgesprochen gut für das Gute.

Allerdings sollte dies so von statten gehen, dass jener Lakai nichts davon mitbekam. Ob dies wohl möglich war …?

Link schritt aus dem Dickicht der Bäume, die um den Eingang herumstanden, um ihn besser vor Eindringlingen zu verbergen, und schritt graziös auf die beiden Wachsoldaten zu, die den Eingang bewachten.

Während der Arbeit hatten Miralle und Arithmeta ihr Bestmögliches getan, um ihn auf das vorzubereiten, was kommen würde. Sie hatten ihm erklärt, wie er sich weiblich genug bewegen konnte und was er zu sagen hatte. Außerdem hatten sie ihm genau erläutert, weshalb er die Kleider auf die Weise trug, wie er es tat.

Natürlich sagte er nicht, dass er darunter noch sein eigentliches Männergewand trug, um weniger vom Kleid mitzubekommen und um letzten Endes seriöser zu wirken, sondern darum, weil er der Schönheit der Prinzessin in allem nach stand und trotzdem die Ehre erlangte, ihre Kleider zu tragen.

Mit ein wenig Kriecherei würde es funktionieren; davon waren die beiden überzeugt.

„Ich hoffe, dass es gut geht“, sagte er, ohne dabei einen Ton zu verlieren. Danach lächelte er die beiden Wachmänner freundlich an, nahm das Kleid an zwei Stellen am Stoff, die ihm ebenfalls von Miralle genauestens vorgeführt worden waren, und vollführte eine tiefe Verbeugung. Er war stolz auf sein Gleichgewicht, dass er in dermaßen hohen Schuhen eine solche Bewegung zustande brachte. Es gebührte ihm auch einiger Stolz deswegen, dass er diese Schuhe überhaupt trug und sich überhaupt darin bewegen konnte. Feldarbeit auf unebenen Äckern hatte einfach seine Vorzüge.

„Guten Abend“, begrüßte einer der Soldaten ihn, „Was führt Euch hierher? Mit diesem Kleid seid Ihr aber am falschen Eingang. Die geladenen Gästen betreten das Schloss am Vordereingang.“

Er richtete sich ein wenig an und sah die beiden Männer mit möglichst großen, ehrfurchtvollen Augen an. „Nein …“, sagte er so leise wie möglich, sodass man ihm seine eindeutig verstellte Stimme leicht abkaufte, „Dies ist das Tanzkleid Ihrer Hoheit“, fügte er noch hinzu, nachdem er fühlte, dass seine Stimme dafür bereit war.

„Erhebe dich und trete ein“, wies der andere Soldat ihn an, „Ihre Gnaden erwartet ihr Kleid in größter Aufregung.“

Er nickte kräftig und ging eiligen Schrittes an den beiden vorbei. Weitere Soldaten waren an anderen Ausgängen postiert. Sie schienen ihn nicht weiter zu beachten, nachdem sie ihn kurz musterten.

Auf einem langen Gang, in welchem seit einiger Zeit keine Wachmänner mehr ihre Runden gedreht hatten, seufzte er laut.

Einerseits, um die Erregung loszuwerden, die die Nervosität mit sich zog, durch welche er die ganze Zeit angespannt durch die Gegend gelaufen war. Aber einer Dienerin nahm man diese Anspannung zumindest ab.

Andererseits aber er brauchte eine Pause. Das Kleid drückte an den Seiten und auf der Brust. Oben war es eng zugeschnürt, sodass man sein Hemd darunter nicht einmal erahnen konnte. Außerdem war es ein fester Stoff, der sich nicht so leicht verformen ließ. Sein Glück.

Oder sein Schicksal? Mit der Zeit wurde es aber trotzdem kaum aushaltbar. Er begann ein wenig an der Kleidung zu zupfen. Doch es brachte rein gar nichts.

Jetzt war er zumindest unbehelligt an den Wachen vorbeigekommen. Also war es Zeit, das Stiefelwerk zu wechseln, sodass er geschmeidiger durch die Gänge schleichen konnte. Diese Plateau-Stiefel hörte man bereits von weit her. Und sie waren unsympathisch.

Zwar konnte er damit leicht laufen, doch die anderen waren ihm lieber. Zwar mochten es schwarze Stiefel sein, die auch für Männer geeignet waren, aber bequem konnte man sie deshalb noch lange nicht nennen.

Und angenehm war noch ein Stück ferner.

Er lehnte sich an eine Wand und zog sich die schwarzen Prachtexemplare aus. Zudem holte er seine Ersatzstiefel heraus, die er sich danach anlegte. Es waren normale Männerstiefel, die Arithmeta ihm gegeben hatte. Sie vermutete, dass, falls es zu einem Kampf kommen sollte, er mit diesen Stiefeln eher einen Vorteil erzielen konnte als mit den anderen.

Er gab ihr sehr Recht.

Die schwarzen Stiefel steckte er in die große – aber dafür recht leichte – Tasche, die unsichtbar unter dem Kleid an seinem Gürtel hängte. Das sehr weite Ballkleid wurde von der Tasche überhaupt nicht verformt.

Arithmeta war eine geniale Schneiderin. Das musste man ihr lassen.

Sie hatten ihm eine Beschreibung davon gegeben, wo sie die Kleider manchmal hinliefern mussten. In einem der Räume sollte Ilya warten – wenn er nicht bereits zu spät gekommen war.

Ilya würde dieses Kleid – wenn es alles nach Ilyas Plan lief – erst nach der ersten Unterbrechung brauchen. Darum hatte sie wohl noch keinen Wutanfall erlitten, weil das Kleid noch nicht eingetroffen war. Das bedeutete wohl, dass auch sie sehr viel von Arithmeta zu halten schien. Immerhin traute sie ihr zu, kurzfristiges ein makelloses Kleid zu erschaffen.

Und die Frau schien es tatsächlich geschafft zu haben!

Link ging den Gang mädchenhaften Schrittes weiter entlang und sah sich dabei um. Für Außenstehende sollte das wirken, als wäre er ein beeindrucktes Mädchen. Allerdings war er lediglich auf der Hut und auch auf der Suche.

Als er durch ein Tor schritt, erwarteten ihn zwei Wachen. Er sah die Männer schockiert an.

„Guten Tag“, stammelte er leise murmelnd.

„Guten Abend“, antwortete ein Soldat mürrisch, „Du bist diejenige, die das Kleid bringt? Endlich bist du da. Ihre Hoheit wird bald wahnsinnig. Komm mit, ich bringe dich in den Raum Ihrer Gnaden.“ Er drehte sich um. Dann schaute er noch einmal zurück. „Und du, Wachsoldat, siehst zu, dass die Anzahl der Männer verdoppelt wird. Und wenn du dafür einen verletzten aus dem Spital holen müsstest! Ihre Hoheit erwartet Eindringlinge. Unter anderem diesen verrückten Irren, der Ganondorf anbetet. Wenn ihr ihn findet …“ Er legte eine kurze Pause ein. „Ihr kennt den Befehl Ihrer Hoheit.“

Der andere Mann nickte eifrig und ging los.

Link unterdrückte ein nervöses Schlucken.

„Du hast Glück, Mädchen, dass du mir begegnet bist. Allein im Schloss herumzuirren, kann sehr gefährlich sein. Merk dir das für deine nächsten Botengänge“, schalt er ihn.

Er nickte daraufhin einfach nur.

Innerlich aber war er aufgewühlt. Ilya wusste Bescheid, dass er kommen würde. Also war wirklich jemand hier, der es auf ihn abgesehen hatte. Nur erwartete derjenige ihn nicht in einem Botenkleid.

„Wenn du dich beeilst, dann darfst du die Prinzessin ebenfalls in diesem Kostüm begutachten“, sprach der Mann weiter. Er schien – für einen Soldaten – sehr gesprächig zu sein.

Er nickte erneut und spielte weiterhin das schüchterne Mädchen, das den Blick nicht heben wollte.

„Wir sind bald da, beruhige dich“, munterte der Mann ihn auf.

Doch es kümmerte Link nicht. Er wollte wissen, mit wem er es zu tun hatte. Und er hoffte inständig, dass Ilya auf ihn hören würde.
 

„Azur!“, rief sie, als sie die Tür stürmisch öffnete. Der Kapitän war wirklich in Entaris Kajüte.

Er saß am Schreibtisch und studierte eine Karte, ehe er sie leicht aufgescheucht ansah.

„Wir sind da?“, mutmaßte er sofort – und auf eines, zwei wirkte er kampfbereit.

„Schon eine Weile“, antwortete sie irritiert, „Hat Euch niemand informiert?“

Er schüttelte kurz verwirrt den Kopf, erhob sich aber dann und stand auf.

„Aber wartet!“, bat sie ihn schnell, „Ich habe eine Theorie, die mit der Schattenmauer im Zusammenhang steht.“

Azur runzelte die Stirn. „Sprich.“

„Yurai hat mein Bewusstsein aus meinem Körper geschafft, um mich zur Mauer zu bringen. Vielleicht hat sie ihr Bewusstsein dazu benutzt, auch die Mauer in diese Traumwelt zu bringen? Und vielleicht ist der Körper der Mauern dadurch zerfallen! Die Mauer steht an einem Ort, der mit dem Schiff nicht zu erreichen ist, aber wenn wir dorthin gehen und keine Mauer vorfinden …“

Er schüttelte entschlossen den Kopf. „Eine gute Theorie“, lobte er sie dann, „Ob sie der Wahrheit entspricht, wirst du mir beweisen müssen.“

Schnellen Schrittes eilte er an ihr vorbei.

Sie ging ihm hinterher.

„Was gedenkt Ihr zu tun?“, wollte sie von ihm wissen, als sie ihn eingeholt hatte, „Yurai ist vermutlich dazu noch in diesem Kampf gefangen. Wir müssen ihr irgendwie helfen …“

Er nickte. „Das ist mir klar“, antwortete er barsch, „Aber als erstes müssen wir den Bestand der Mauer testen. Kommen wir durch, brauchen wir zwei Truppen.“ Er blieb stehen, als sie das Deck erreichten. Orb war mittlerweile verschwunden.

„Alle sind so grimmig …“, stellte Terra diesmal laut fest, „Sie lassen sich nicht einmal blicken.“

Er nickte. „Dunkle Energie schadet Feen, wenn sie ihr zu lange ausgesetzt sind. Und ehemaligen Feen genauso.“ Er sah sie dann ernst an. „Ich suche Zherenh. Sie soll mit Orb zusammen die Mauer erkunden. Die beiden sind am empfindlichsten gegen die Dunkelheit. Sie werden in keine Falle tappen. Trotzdem werden sie stark genug sein, ihr nicht zu verfallen“, erklärte er ihr, „Und du … Teile die anderen Männer in zwei Teams ein. Die Höhlenbesucher und die Wächter.“ Er lächelte ihr kurz zu. „Ich zähle auf dich. Suche mich auf, nachdem du dies erledigt hast.“

„Ja … Ich …“, murmelte sie, unterbrach sich aber selbst.

Er nickte ihr ermutigend zu und verschwand dann wieder im Inneren. Es schien Terra, als brauche Azur nur einen kurzen Blick nach draußen zu werfen und schon hatte er alles verinnerlicht. Egal was sie ihm zeigte, er sah nur kurz hin und kannte sich bereits aus. Es musste wundervoll sein, den Blick einer Fee zu besitzen. So weitsichtig, so zauberhaft.

Aber sie hatte keine Zeit über ihr Dasein zu sinnieren. Sie hatte immerhin eine Aufgabe zu erfüllen.

Wen würde sie wie einteilen?

Azur einzuteilen, stand ihr nicht zu. Und sich selbst ließ sie auch besser aus beiden Teams draußen. Sie war weder gut für Exkursion noch für Bewachung. Ihr Talent lag mehr im Theoretischen. Das sollte sie dann ausnutzen.

Auf zur Liste.
 

Je weiter er mit dem Mann voranschritt, desto veränderter wurden die Gänge. Das Schloss schien umdekoriert worden zu sein. Überall waren seltsame Zeichen, die aussahen, als wären Mond und Sonne ineinander verschmolzen. Anfangs war diese Dekoration lediglich auf einigen Vasen zu sehen. Mittlerweile waren die Wände damit vollgepinselt. Was er aber nirgendwo mehr entdecken konnte, war das Triforce. Jenes war doch das ursprüngliche Zeichen der Königsfamilie von Hyrule. Er war sich sicher.

Doch wo war es hin verschwunden?

Bestimmt hatte Ganondorfs Einfluss damit etwas zu tun.

„Ich hoffe, dass das Kleid noch in Ordnung ist“, sagte der Mann, der eine Zeit lang das Schweigen gehütet hatte, zu ihm. Link konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, da er einen Helm trug, „Die Prinzessin erwartet keine Fehler. Sie will, dass dieses Fest perfekt abläuft. Etwas Großes soll geschehen und dies soll nicht verhindert werden …“ Er schüttelte den Kopf, „Zwar verstehe ich es nicht, doch wenn die Gütige es sagt, so soll es zur Wahrheit finden.“

Link nickte erneut. Hin und wieder hatte er sogar verbal geantwortet, doch jetzt – so kurz vor dem Ziel! – wollte er nichts mehr gefährden.

„Ich werde Bescheid geben, dass das Kleid eingetroffen ist“, bat der Mann an, „Warte hier“, gab er befehlshaberisch dazu.

Link versteifte sich.

Und er hoffte, dass der Mann sich sehr beeilte.

Als der Ritter langsam davon schritt, begutachtete Link den Ort, an dem er sich befand. Er stand vor einem großen Torflügel, wobei ihm nicht bewusst war, wohin dieser führen sollte. Der Soldat war in eine andere Richtung fortgeschritten. In Richtung der entgegengesetzten Wand, die durch eine braune Holztür an einen anderen Ort zu führen schien. Auch hier war alles mit diesem Zeichen bedeckt.

Aber er musste trotzdem hier warten.

Link atmete tief durch. Also schön. Bald war es soweit.

Bald genug, wie er hoffte.

Er sah sehnsüchtig zu der Tür. Der Soldat musste sich beeilen! Ilya war so nah … und doch so fern. Doch was wollte er mehr, als sie zurück?

Dabei fiel ihm der kurze Kuss ein, nein, die kurze Berührung ihrer Lippen, wie er es nennen sollte. Shans Lippen, die in so perfekter Form waren … die genauso gut hätten Midnas Lippen sein können.

Sofort schüttelte er über seine obskuren den Kopf. Shan war nicht Midna. Vielleicht mochten sie sich ähneln, doch auf keinen Fall waren sie dieselben. Er würde weder diesen Umstand noch eine der beiden jemals vergessen.

Aber er fragte sich, was dieser Kuss bedeutete … War es ein Abschiedskuss, wie jener Terras? Aber sie waren hier am selben Ort. Sie würden wieder aufeinander treffen.

Nicht wahr?

Er hatte während des Kusses etwas gespürt … Er glaubte, es war Zuneigung gewesen …

Und in jenem kurzen Moment, in dem sein Körper erwidert hatte, glaubte er, eine Art Lächeln gespürt zu haben …

Dieses Kapitel war ihm eindeutig zu hoch.

Und … darüber konnte er später nachdenken. Später …

Es musste ein „Später“ geben.

Allein schon aufgrund dieser Tatsache.

Anders war es nicht duldbar.

Ganondorf.

„Egal, wen du mir schickst …“, zischte er, „Ich werde denjenigen bekämpfen …“

Töten, wie Shan es ausgedrückt hatte …

Das war seine Pflicht, nicht wahr?

Rache für Ilya. Rache für das Licht.

Nein, keine Rache. Rettung.

Ganondorfs Schergen konnten überall lauern.

Und je weniger sie waren, desto eher konnte man sie endgültig loswerden.

Um den Frieden zu sichern. Um das Licht zu einen und zu gewährleisten …

Link war ein Krieger des Lichts.

Und er wollte nichts anderes sein. Außer vielleicht ein glücklicher Mann, dessen Umfeld nicht in Gefahr geriet.

Und schon gar nicht aufgrund seines Kampfes.

Und in diesem Moment trat der gerüstete Mann kopfschüttelnd wieder ein.
 

Dieser seltsame Zorn war nicht mehr zurückgekehrt. Es war, als hätte ihn jemand mit einem Zauber belegt – und in einem Moment der Schwäche wäre dieser Zauber kurz von ihm gefallen.

Aber … so etwas gab es doch nicht.

Außer, die Dämonen würden ihm etwas tun. Aber weshalb dann genau ihm? Niemand anders hier hatte solche Beschwerden. Nur er!

„Weißt du, Taro …“, sagte Betty, „Manchmal glaube ich, du hörst mir gar nicht zu … Du bist gar nicht besser als Link …“

„Huh?“, machte er, als er bemerkte, wer neben ihm saß, „Wo kommst du denn her?!“

Das Mädchen warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Ich rede schon die ganze Zeit mit dir, du verträumter Narr! Du bist so ein Idiot.“

Betty erhob sich stürmisch aus dem Gras und stolzierte grantig davon.

Taro weitete die Augen.

„Link, schon wieder!“, knurrte er. Link hatte ihn so sehr abgelenkt, dass er sogar Betty ignoriert hatte!

So etwas …! Wieso half er ihm überhaupt, in dieser komischen Boro-Sache?!

Er tat es Betty gleich und eilte sofort hinter ihr her. „Hey, warte bitte!“, rief er flehend, „Ich habe es ehrlich nicht so gemeint! Ich habe nur …“

Betty blieb in einiger Entfernung stehen und sah ihn abweisend an. „Du tust immer ‚nur’!“, beschwerte sie sich, „Und dabei hast du nie Zeit für mich! Du bist keinen Deut besser als Link!“

„Ich bin besser als Link!“, widersprach er ihr betont, „Er ist nur ein Jammerlappen, aber ich …“

Taro schloss den Abstand zu ihr und berührte sie an einer Schulter, „Ich bin immer für dich da, Betty. Ich werde nicht einfach verschwinden. Ich verspreche es.“

Sie sah ihn mit großen Augen an. Und er glaubte, dass sich Tränen darin sammelten.

„Taro …“, sagte sie ruhig, aber ungläubig gerührt, „… Du …“

Er lächelte sie aufmunternd an. „Betty, ich glaube, ich li-…“

„TARO!“, ertönte sein Name aufgeregt von der Seite. Colin rannte auf ihn zu.

Colin! Immer wieder wurde er von diesem Link-Verschnitt gestört!“

„…be …“, wollte er fortfahren.

„LINK!“, rief der Junge danach.

Beim Erklingen dieses Namens schaute Betty interessiert auf.

Taro brachte seine Worte nicht zu Ende. Immerhin war es wohl diesmal Betty, die ihn ignorierte. Sie befreite ihre Schultern aus seinem Griff und ging Colin entgegen.

„Was ist mit Link?“, wollte sie neugierig wissen.

„Er ist bei Prinzessin Ilya!“, verkündete Colin stolz, „Zumindest habe ich das von meinem Papa gehört!“

„Er ist zurück?“, schloss Taro, der Betty nachgegangen war, daraus.

„Ja! Er hat es in Rekordzeit geschafft!“, fügte Colin hinzu, „Er war in Hyrule! Er hat der Prinzessin nämlich eine Ladung Ordonkürbis mit dem Mittsommernachtstraum gebracht.“

„Und warum ist Link dort?“, fragte Betty danach gereizt.

Colin schüttelte den Kopf. „Na ja, zumindest sagt man, er wäre dort. Scheinbar ist er verrückt oder so … Aber ich glaube nicht, dass das sein kann. Immerhin bereiten sich alle fest darauf vor, dass er kommt! Er ist eben ein Held! Bestimmt hat er dein Boro-Rätsel selbst gelöst, Taro!“

Taro gab einen abfälligen Laut von sich. „Bestimmt. Der Kerl macht auch alles im Alleingang mit seiner Dämonenfreundin.“

„Sie ist nicht seine Freundin!“, beharrte Betty streng, „Wenn, dann ist sie seine erzwungene Verbündete.“

„Was auch immer“, murmelte Taro genervt, „Jedenfalls, Betty, ich …“ Er wandte sich wieder dem Mädchen zu, doch sie beachtete ihn nicht. Ihre Arme waren vor ihrer Brust verschränkt und sie schaute schlecht gelaunt drein.

Ein schlechter Moment für eine Liebeserklärung.

„Denkt ihr, dass Link zurückkehren wird?“, wollte Colin plötzlich wissen.

„Natürlich. Sonst hätte er ja nichts mehr zu tun. Hier kann er mir schließlich meinen Ruhm wegschnappen. Woanders wäre das schwierig. Aber es wäre mir sehr willkommen, wenn er abhauen würde.“ Unter anderem auch wegen der voreiligen Kampfansage …

„Link wird wegen mir zurückkommen!“, behauptete Betty, „Immerhin sind wir schon fast verlobt.“

Diese Worte fügten Taro innerliche Schmerzen zu. Sie war einfach nicht von Link wegzubekommen. Und Link interessierte sich nicht für Mädchen wie Betty. Vermutlich hatte sie zu wenig Dämonisches an sich. Oder sie war zu normal für jemanden wie ihn, der bereits einmal die Welt gerettet hatte.

Aber für Taro war sie nicht „nur“ normal. Sie war etwas Besonderes.

Das schönste und perfekteste Mädchen auf der ganzen Welt.

Mittendrin

Der Mann in der Rüstung trat auf ihn zu und blieb wenige Schritte vor ihm stehen.

Er seufzte entnervt. „Es tut mir leid, aber du bist umsonst hier. Prinzessin Ilya wird ihr Kleid nicht vor der Eröffnung besichtigen, da sie noch … sehr viel zu erledigen hat. Sie hat es abgelehnt, dich zu treffen.“

„Ja- Aber …“, stotterte Link, wobei er fast vergaß, seiner Stimme diesen mädchenhaften, schrillen Klang hinzuzufügen. „Wegen ihr …“

Der Mann zuckte mit den Schultern. „Es tut mir leid. An direkten Befehlen Ihrer Hoheit kann nicht einmal der Hauptmann persönlich etwas ändern“, sagte er monoton, wobei es mehr wie ein Zitat klang, „Wobei es doch verwunderlich ist, wenn man ihre vorherige Aufregung …“, fügte er murmelnd hinzu, „… Egal. Es geht mich nichts an.“

Aber …! Alle waren sich doch einig, dass Ilya es kaum erwarten konnte, dieses Kleid anzuziehen! Jetzt war es da! Wieso wollte sie es nicht mehr?! Das … Das war doch …

„Du kannst hier warten, bis die Eröffnung vorbei ist.“

„Nein!“, gab Link zurück, „Ich will Ilya sehen!“

Der Mann blinzelte für einen kurzen Moment verwirrt. Dann zog er eine ernste Grimasse.

„Du …“, knurrte er, „… bist mir vorhin schon so seltsam erschienen.“ Er musterte Link von oben bis unten.

Links Augen weiteten sich unwillkürlich. Hatte er zu männlich geklungen? Oh nein! Das musste er … aber … Als Mädchen kam er nicht zu Ilya! Jetzt nicht mehr …

„Tut mir leid“, entschuldigte er sich mit harter Stimme vorweg, griff unter seinen Rock und zog das Schwert geübt aus der Schwertscheide – und richtete es gegen die Kehle des Mannes, „Ich muss ein Königreich, nein, die ganze Welt retten. Heute ist der letzte Tag. Ganondorfs Auferstehung naht. Ilya muss von ihrer Vergangenheit erfahren!“, erklärte er dem Mann gehetzt, wobei er ihn genau dabei beobachtete, wie er nach einer Waffe tastete, „Lasst mich durch, Hauptmann, und ich werde Euch wirklich nichts tun! Es liegt nichts Falsches in meiner Absicht! Lasst mich bitte einfach mit Prinzessin Ilya sprechen! Ein letztes Mal!“

„Ihr seid Link …“, stellte der Hauptmann verblüfft fest.

Er nickte. „Und ich muss zu ihr.“

Der innere Kampf war dem Mann anzusehen. Pflichtgefühl schien gegen Ehrgefühl und Hochachtung zu kämpfen – es war kein Geheimnis, dass sich einige hochrangige Soldaten an Link maßen.

„Geht“, knurrte er schließlich, „Schnell.“

Link verbeugte sich kurz und hauchte: „Danke.“

Danach zog er sein Schwert zurück und rannte los. An diesem Mann vorbei und durch die Tür, durch welche der Mann gekommen war, wobei er seine Waffe erneut versteckte.

Bis er in Ilyas Raum gelangt war, musste er die Verkleidung aufrechterhalten. Und danach … würde er sehen, wie sie darauf reagierte.

Er schätzte sich glücklich, dass Hauptmann nachgegeben hatte. Er hatte gehört, dass dieser Mann sehr viel Talent aufwies … Es wäre weder einfach gewesen, gegen ihn zu kämpfen, noch wäre es ein geschickter Zug gewesen, ihn ganz auszuschalten … Außerdem hätte es unmöglich lange gedauert …

Aber … der Weg zu Ilya war der Weg zur Rettung der Welt … Zumindest hing sehr viel davon ab, was er heute Abend erreichte …

„Hat der Hauptmann dir nicht gesagt, was Sache ist?“, ertönte plötzlich die Stimme eines anderen Mannes. Noch ein Soldat, „Die Prinzessin möchte Ihr Kleid nicht sehen, bevor sie es tragen darf. Du bist zu früh dran, Kleine.“

„Oh“, machte Link nur und versuchte dabei, mädchenhaft überrascht zu wirken, „Ich gebe es ihr in den Raum“, kreischte er leise, „Frühzeitig.“

Der Mann lachte. „Wie süß“, kommentierte er dann, „Hey, was hältst du von der Sache?“

Auf der Seite erschien plötzlich noch ein Soldat in einer ähnlichen Rüstung.

Die Soldaten hatten Rüstungen, die an die Säulen angepasst waren. Man konnte sie kaum sehen, wenn sie sich nicht rührten … Erstaunlich …

„Lassen wir sie!“, befand der andere, „Vermutlich erwartet ihr eigener Prinz sie unten am Ball! Den Glücklichen können wir ja nicht warten lassen!“ Der Soldat entfernte den Helm, weshalb er seinen blonden Haarschopf entblößte, der lässig sein Gesicht umrahmte, und grinste Link schief an.

„Danke!“, quietschte Link leise und verbeugte sich dabei höflich.

„Wie nett und adrett“, kommentierte der eine und öffnete dabei eine Tür.

„Den Gang entlang, dann die linke Tür neben der riesigen Tür. Einfach ablegen. Das Dienergewand sollte da irgendwo zu finden sein“, gab der Mann an und lachte dabei.

„Du kannst es aber auch gleich hier ablegen, wenn du willst“, fügte der blonde Mann grinsend – und wohl hoffentlich scherzhaft! – hinzu.

Daraufhin stürmte Link eilig durch die Tür und schritt schnell den Weg entlang, der ihm genannt worden war, wobei er diesmal mehr darauf achtete, ob Soldaten in der Nähe waren.

Und tatsächlich: Vor jeder Tür waren Posten platziert.

Doch die meisten ignorierten ihn. Vermutlich dachten sie sich, dass sie ihn ebenfalls vorbei lassen durften, wenn ihre Vordermänner dasselbe Recht hatten. Auch wenn sie Ilyas Befehl gehört hatten.

Aber … was, wenn es eine Falle war? Nein. Ganondorf konnte nicht erahnen, dass Link zu solchen Mitteln greifen würde. Nein, ausgeschlossen …

Er kam ohne weitere Störung bei der großen Tür an.

Dies würde Ilyas Zimmer sein. Dort war sie im Moment.

Er wandte seinen Blick nach links. Es musste eine Verbindung zwischen Dienerzimmer und Herrenzimmer geben. Andernfalls wäre es nicht so gedacht, dass er das Kleid dort ablegte. Er sah sich noch einmal um – und er bemerkte, dass ein Soldat bereits auf ihn zuschritt.

Darum ging er weiter – in das Dienerzimmer.

Jetzt sollten sie wohl zufrieden sein …

Er schloss die Tür hinter sich und schaute sich um. Es war ein kleiner Raum mit einem Tisch und einem Stuhl aus demselben Holz, dazu ein passender Kleiderschrank und an einem Kleiderständer hing Dienerinnenkleidung.

Für ihn vermutlich.

… Aber … wie sollte er wieder hinaus kommen?

Sein Blick fiel auf den Ring an seinem Finger. Er war einfach nicht für diese Magie geschaffen. Wenn er im Ballsaal landen wollte, konnte er überall dort landen … Vermutlich würde er in Ilyas Kleid landen!

Na ja, Fluchtwege gab es hier nicht, jedoch bestand auch die Hoffnung, dass Ilya gar nicht nach Wachen rufen würde. … Oder?

Er sah zurück zu der Tür, durch die er gekommen war, und schaute sich nach einer weiteren um. Ja, da war eine. Eine, die nach rechts führte – vermutlich also in das große Zimmer. Sollte er es wagen?

Ja.

Dafür hatte er sich in ein Kleid geworfen. Dafür hatte er das alles ertragen.

Für diesen Moment.

Für diese Tür.

Für Ilya.
 

Wie sie die Mitglieder einschätzte – in der Zwischenzeit machte sie das richtig gut; am Anfang war es eher weniger gut -, ergab es sich, dass die beiden Gruppen einfach nicht dasselbe Ausmaß erhielten. Die Wächter waren einfach mehr. Aber sie hatte ja noch keine Ahnung von ihren ehemaligen Feenkräften. Vielleicht schätzte sie es doch falsch ein?

Hatte das überhaupt eine Bedeutung?

„Komm schon, Terra“, knurrte sie sich selbst an, während sie ihren Kopf an ihre Hand stützte, welche am Schreibtisch lehnte, „Du hast sie tausende Händler ausrauben lassen und dabei kaum einen Fehlgriff geleistet – da wirst du wohl ein Exkursionsteam zusammenstellen können!“

Sie gab einen genervten Laut von sich und schob sich dann mit voller Wucht zurück. Die Situation hatte sich so sehr geändert – seit dem letzten Raubzug. Sie wusste nun viel mehr. Nicht nur, dass die Lebensmittel knapp wurden. Auch die Geheimnisse ihrer … ihrer …

Freunde.

Und seit sie sie wirklich als solche betrachtete – als Freunde – fiel es ihr schwer, sie einfach in Gefahr zu senden. Vor einigen Tagen noch waren es einfach ihre … Mitglieder. Die Mannschaft eben. Aber jetzt …? Sie hatten ihr so viel anvertraut! Sie war Trägerin ihrer Geheimnisse … Das war so viel wert … Wahres Vertrauen …

Zherenh und Orb musste sie nicht einteilen. Das hatte Azur für sie übernommen – zum Glück. Sie war sich sicher, dass den Wächtern weniger passieren würde, als denen, die in Ganondorfs Grube liefen. Sie schaute auf die Buchstabenfolge, die Smaragd ergab – für Listen und Schriftstücke benutzte sie noch immer die Decknamen. Sollte sie Gardam nicht doch lieber wegstreichen? Immerhin …

Nein. Nein! Ansonsten würde niemand in die Höhle gehen!

… In dieser Höhle könnte aber Ganondorf warten. Oder zumindest sein Helfer.

Sie sog scharf die Luft ein. „Okay, das … wird ein Fehler“, murmelte sie, als sie ihre nächsten Schritte plante.

Im nächsten Moment kramte sie eine Münze hervor. „Kopf … oder Zahl?“

Sie warf die Münze. Sie fiel.

Zahl bedeutete, dass Gardam an der Exkursion teilnehmen musste, Kopf bedeutete, dass Entari es musste. Und so entschied sie sich für die Teamkonstellation. Jeweils zwei Mitglieder, die gegeneinander ins Schicksal geworfen wurden …

„Terra, nein, Retro!“, hauchte sie, „Das ist katastrophal!“

Oder einfach Schicksal.
 

Link öffnete die Tür einen Spalt und linste hindurch. Er konnte niemanden sehen. Sollte er die Tür weiter öffnen?

„Meine Güte …“, hörte er eine Stimme aus dem Raum. War das … Ilya?!

„… Wieso kann ich nicht einfach alles richtig machen? Ich will das doch gar nicht!“, klagte sie, „Aber … Ich muss. Es ist wichtig. Für ihn.“

Es erklang das Verrücken eines Stuhles. Und Saum bewegte sich.

„Ilya, warte!“, ertönte seine eigene Stimme – ehe er es überhaupt mitbekam -, während er die Tür aufriss.

Prinzessin Ilya stand vor ihm.

Genauso engelsgleich zog sie ihn in seinen Bann, wie es das letzte Mal ebenso geschehen war. Die smaragdgrünen Augen, die ihn fragend ansahen, die wohl geformten Lippen, die eine Frage ausformulierten und dazu noch das wunderschöne Kleid, verziert mit Sonnen, Monden und Rubinen, umgeben von weißem Saum. Auf ihrem Kopf thronte das Diadem, das sie zur Prinzessin erkürte.

„Hab ich nicht gesagt, niemand bräuchte zu kommen?“, fragte sie mürrisch, „Ich stehe unter Zeitdruck.“

„Aber …“, widersprach er – er war sich nicht sicher, ob er jetzt männlich oder weiblich klingen sollte, weshalb er sich für das gesund unsichere Mittelmaß entschied.

„Bitte, du musst verstehen“, sagte sie autoritär, „Kleider sind nicht das Wichtigste. Manchmal muss man eine Entscheidung treffen, die über Leben und Tod richtet. Ich brauche dafür Zeit. Und kein Kleid. Ich muss … nachdenken“, fügte sie ruhig hinzu, „Aber es geht nicht. Verstehst du?“ Mit jedem Wort verlor sie ein wenig der Beherrschung und gegen Ende klang es, als würde eine Freundin zu einer anderen Freundin sprechen, „Die Welt braucht mich jetzt … Ich muss es Kund tun. Das Kleid muss warten …“

„Ilya …“, brachte er hervor, „Was ist geschehen?“

„Du wagst es, mich bei meinem Vornamen anzusprechen?“, fragte sie rhetorisch. Zwar flackerte für einen kurzen Moment Zorn in ihrem Auge auf, doch dieser verschwand sogleich wieder. Ihre Stimme erreichte er nie.

Ilya trat einige Schritte vor und faltete die Hände. „Ich bin verwirrt …“, gestand sie leise, „Immerhin erzähle ich gerade alles meiner Dienerin …“ Sie lachte kurz humorlos, „Aber … jemand, der mich berät, ist gerade gekommen … Und sie meinte, dass ein Verräter hier sei. Er wolle mich töten, sagt sie … Dieser Mann, dessen Augen ich seit damals nicht mehr vergessen konnte“, gestand sie verträumt lächelnd, „… Aber seine Augen sind plötzlich fort.“

Ilya drehte sich zu Link und sah ihm in die Augen. Sofort wandte er den Blick ab.

Was sagte sie da …? Ein Berater? Doch nicht etwa … Und die Augen … Sie meinte damit wohl nicht wirklich … ihn? Seine Augen?

Bedeutete das, dass sie sich ein wenig an ihn erinnerte? Hatte sie auch eine … eine Erinnerung in sich? Eine pochende, schmerzende Erinnerung … So wie er die seine an sie besaß … War es umgekehrt genauso?

Ilya …

„Augen, die ich nie mehr vergessen wollte … Freiheit, Mut und Fürsorge haben in ihnen Anteil gefunden … Lobenswerte Eigenschaften …“ Sie schüttelte verloren den Kopf. „Aber er will mich töten … Wieso? Möchte er meinen Thron? Ist er wirklich verrückt?“ Sie trat weiter Richtung Tür. „Ich muss meine Gedanken sparen. Ich habe wichtige Kunde zu erteilen … Sehr wichtige … Immerhin wird der große Herr zurückkehren …“

Sie führte ihre Hand an die Türklinke.

Es war an der Zeit, zu reagieren. Er musste ihr sagen, was er wusste! Dieses Leid … Sie hatte bestimmt auch eine pochende Erinnerung! Sie erinnerte sich bestimmt noch an ihn! Aber Ganondorf blockte. Er musste sie erlösen!

„Ilya, geh nicht!“, rief er – mit seiner sanften, männlichen Stimme und dennoch bittend befehlend.

Erschrocken fuhr Ilya herum und sah sich irritiert um. „Wer hat das gesagt?“

Ehe er sich versah, stand er bei ihr und legte seine Arme um sie.

Sie sog erschrocken die Luft ein.

„Was …?“, fragte sie sichtlich schockiert, „Was …? Nimm deine Arme von mir!“

Aber er drückte sie an sich. „Bitte, Ilya, erinnere dich … Erinnere dich an Ordon, an Boro – an die Zeit, die du mit mir verbracht hast … Unsere Kindheit …“

„Hey, was – Was fällt dir ein!?“, rief sie störrisch. Doch sie wehrte sich nicht. Sie blieb in der Umarmung. Ihr Widerwille war spürbar, aber sie lauschte ihm.

Ihr Wille, so zu verharren, bestand ebenso.

Link legte eine Hand an ihr Haar und strich kurz darüber. Er benutzte die linke Hand.

Vielleicht konnte das Triforce etwas auslösen? Ihren Bann brechen? Ilya …

„Ilya … Erinnerst du dich an Epona …?“, wisperte er ruhig.

„Epona …?“, wiederholte sie leise, „Epona … Weiße Mähne, braunes Fell … Ein gutmütiges Tier …“, hauchte sie leise und abwesend. Ihr Blick richtete sich in weite Ferne, obwohl sie an seinen Oberkörper gelehnt dastand. Ihre Hände hielten sein Gewand. Um ihn festzuhalten … Aber wofür? Wollte sie ihn von sich stoßen? Oder bei ihm bleiben? Das wusste sie wohl selbst nicht … Er musste es schaffen, sie zu überzeugen.

„Taro, Betty, Maro und Colin, Lin? Erkennst du diese Namen wieder?”, wollte er freundlich von ihr wissen, „Unsere Freunde … Die Dorfbewohner … Bettys Eltern besitzen den Laden. Wir haben oft zusammen Milch getrunken … Und Colin …“

„Colins Vater ist Moe …“, erzählte sie ihm. Dabei wirkte sie sehr schockiert. Sie fragte sich wohl, woher ihr das bekannt war.

Ihr Blick wanderte zu Link und sie sah ihm in die Augen, „Und … Lin ist seine kleine Schwester …“

„Ja, Ilya …“, stimmte er ihr zu. Er lächelte sie stolz an.

„Und du bist …“, stellte sie fest, während ihre Augen sich merklich weiteten. Doch bevor sie den Satz beenden konnte, schubste sie Link mit voller Kraft weg – mit übernatürlich viel Kraft für ein Mädchen – fuhr sich rasch über den Kopf, riss die Tür im nächsten Moment auf und schrie laut, deutlich und befehlshaberisch: „Wachen! Haltet ihn! Der Verrückte ist hier! Nehmt ihn gefangen!“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Er besitzt ein Schwert! Mordabsicht! Mordversuch! Attentat auf mich – auf Eure Hoheit!“

Und das metallische Hallen näherte sich hörbar – und schnell.
 

Link musste fliehen. Sofort. Doch wohin?

Er schaute sich hastig im Raum um. Wohin? Durch das Fenster?

Er erhob sich vom Boden, auf welchem er gelandet war, und sah sich um. Er lief Richtung Fenster, doch das Kleid behinderte ihn dabei sehr. Er trat auf den Saum, welcher von zerstörten Rubinen – sie waren beim Sturz zerbrochen – aufgerissen wurde. Und er trat ihn durch sein eiliges Handeln noch mehr entzwei. Von hinten sollte das Malheur noch nicht zu sehen sein … Aber er musste handeln.

„Tut mir leid, Arithmeta“, murmelte er und riss das Kleid vorne auseinander.

Soldaten standen bereits in der Tür.

Er erreichte das Fenster, dessen Öffnungsmechanismus einfach zu durchschauen war.

Er brachte es auf und sein Blick fiel nach unten.

Drei Stockwerke. Mindestens.

Er schaute hinter sich, ohne sich dabei großartig zurück zu bewegen. Er konnte sich denken, was ihn erwartete.

Acht Soldaten. Mindestens.

Und es würden nicht weniger werden.

Mordversuch an der Prinzessin.

Plötzlich wirkte das Fenster sehr einladend. Und schon stand er am Sims.

Die Soldaten blieben verwirrt stehen, wobei sich drei um Ihre Hoheit kümmerten, welche wild gestikulierte und lauthals verkündete, wie sie ihn tot sehen wollte.

Doch auch sie schwieg, als sie auf sein scheinbares Handeln aufmerksam gemacht wurde.

„Ilya, ich rette dich!“, schwor er ihr – und ließ sich aus dem Fenster fallen.
 

„Ha – ein Prachtstück!“, rief Terra erfreut aus, weshalb sie die Liste in die Höhe streckte und sich die Namen durchlas. In einer Tabelle waren die beiden Gruppen schön erfasst. Genau die Hälfte. Das Zufallsprinzip war in diesem Falle einfach zuverlässig!

Sie las sich die Namen durch. Und je weiter nach unten sie kam, desto eher war sie der Meinung, dass das ein riesiger Fehler war. Die meisten Männer hätte sie eher umgekehrt eingeordnet.

Sie seufzte. Welt gegen Mannschaft.

Sie nahm einen Radiergummi. Danach entfernte sie die Gruppennamen und vertauschte das Wort „Höhle“ mit „Wache“.

„Gut … So sollte es hinkommen“, murmelte sie mürrisch. Das Zufallsprinzip hatte seinen Zweck erfüllt: Sie war zu einer Entscheidung gezwungen worden, indem sie die Wahl der Qual umging. So konnte sie jedem die schlimmere Wahl ersparen.

Sich selbst und Azur sowie Orb und Zherenh – und natürlich Yurai – hatte sie ausgelassen. Immerhin hatten sie alle ihre Aufgaben. Zumindest glaubte Terra, dass sie irgendeine Aufgabe hatte. Sie wusste nur nichts davon. Und wusste auch nicht, ob sie es – im Fall der Fälle – davon erfahren wollte.

Sie erhob sich und spazierte aus der Kajüte. Lärm drängte vom Deck zu ihr herüber. Es klang wie Stimmengewirr. Ihr Prinzip lautete: Immer dem Lärm folgen.

Also machte sie sich auf den Weg nach außerhalb – und schon fand sie die versammelte Mannschaft vor. Es schien keinem sonderlich schlecht zu gehen. Das war gut.

Yurai war nicht dabei.

Aber Azur! Er stand am Reling und schien irgendetwas zu sagen … Etwas, was der zweite Kommandant wohl nicht zu wissen brauchte … Immerhin hatte sie keine dazu eingeladen.

„… Gruppen.“ Azur beendete den Satz und sah zu ihr, als sie durch die Tür das Deck betrat. Sie erwiderte seinen Blick. Er lächelte. Scheinbar hatte er das Papier bemerkte.

Er winkte sie herrisch zu sich. Sie leistete dem Wunsch Folge.

Als sie vorne angelangt war, übergab sie ihm den Zettel. „Wie Ihr befohlen habt, Kapitän Azur“, sagte sie brav.

Aber er beachtete sie nicht weiter, sondern las sich die Liste schweigend durch.

Die Mannschaft, die auf Azurs weitere Worte wartete, schaute gespannt. Manche lärmten auch weiterhin durch Getratsche und Gemurmel.

„Wieso haben sie Euch nicht in Kunde gesetzt?“, fragte Terra so leise, dass nur er es hören sollte.

„Kilass hat befohlen, dass sie Ruhe bewahren sollen. Er behauptete, er würde es mir mitteilen“, erklärte er, ohne aufzublicken. Seine Augen schienen die Einteilung zu verschlingen.

„Hat er aber nicht“, schloss Terra die Sachlage, „Ich glaube, er möchte seine alte Stelle zurück“, schlussfolgerte sie.

Azur lächelte breiter als sonst – er schien ziemlich amüsiert. „Als könnte ich dich jetzt noch hergeben“, sagte er, wobei er gleich danach seine Aufmerksamkeit der Mannschaft widmete und die Liste abwesend zusammenfaltete, „Ich bitte euch, mir zuzuhören!“, wünschte er laut, „Retro hat die Einteilungen wie folgt erledigt: …“ Daraufhin las er die Liste vor, auf welcher unter anderem stand, dass Schach und Smaragd in die Exkursionsgruppe gehen sollten, während Leute wie Orient und Klassik am Schiff bleiben sollten.

„Was ist mit Euch, Kapitän?“, fragte Entari, welcher relativ weit vorne stand – trotz seiner Größe – und relativ besorgt wirkte, „Schadet Euch nicht!“

„Ich bin mir sicher, er wird den zweiten Kommandanten nicht unnötiger Gefahr aussetzen“, fügte Kilass abwertend hinzu, wobei der Mann – der augenscheinlich wieder zu Kräften gekommen war – streng dreinschaute.

„Ich denke, Eure Meinung zählt bei ihm nicht so sehr“, murmelte Terra daraufhin, „Was auch immer diese bedeuten sollte …“, fügte sie ein wenig griesgrämig hinzu. Was meinte er damit, dass … dass er sie nicht mehr weggeben konnte? War sie so nützlich? Oder …? Oder … oder war es ein Scherz? Wieso konnte sie nicht mehr klar denken …? Nicht, wenn Azur in der Nähe war … und schon gar nicht, wenn er ihr ein bezauberndes Lächeln schenkte …

Feenmagie. Das musste es sein.

Elende Feen. Wieso war er eine Fee?

„Retro und ich werden uns um Yurais Zustand kümmern“, offenbarte er deutlich für alle hörbar, „Und ich werde alles daran setzen, dass die Weiße Fee heute wieder erwachen wird.“

Zustimmender Jubel trat an den Tag.

„Zherenh und Orb sind bereits unterwegs“, erwähnte Azur dann lediglich an Terra gewandt, „Die anderen wissen, wenn sie loslegen sollen. Gehen wir“, schlug er vor, wobei er, ohne auf eine Antwort zu warten, losmarschierte.

„Gehen? Wohin?“, fragte Terra dann missmutig.

„Deine Theorie hat in mir ebenso eine Theorie geweckt“, erklärte er ihr schmunzelnd.

„Ach ja?“, fragte sie mit erhobenen Augenbrauen, „Und die wäre?“

„Das wirst du bald erfahren, Terra“, versprach er ihr.

„Retro“, widersprach sie ihm. Daraufhin blieb sie verunsichert stehen. „Moment.“ Sie schüttelte verwirrt den Kopf. „Doch Terra!“

Azur lachte daraufhin leise.

Terra kicherte kurz. Okay, sie war wirklich verwirrt. Sehr verwirrt.

Aber … plötzlich fand sie die Verwirrung gar nicht mehr so schlecht. Immerhin … durfte sie Azurs bezauberndes Lachen hören.

„Danke, Terra“, sagte Azur danach leise.

„Danke …?“, wiederholte sie, nachdem sie wieder zu ihm aufgeschlossen hatte, „Wofür?“

Aber er gab ihr keine Antwort mehr.

Alles, was er tat, war die Tür zu Yurais Kajüte zu öffnen.

Er vollführte eine Handbewegung und gestikulierte wild. Es wirkte wie ein Tanz.

Nein, wie ein Kampf.

Was tat er?

Die Luft begann zu flimmern. Überall erschienen Funken.

War das … Magie?

„Azur!“, rief sie.

Doch er trat tänzelnd in das Zimmer ein und bahnte sich in wilden, unkontrolliert erscheinenden Schritten einen Weg zu Yurai.

„Beschütze mich!“, rief er dann, sah zu ihr – und wurde ohnmächtig.

„Kyrion!“, kreischte sie besorgt und lief zu ihm.

Mitreißend

Äste krachten unter seinem Gewicht. Blätter stoben durch die Gegend. Ein lauter Knall.

Er landete am Boden. Sein Rückgrad schmerzte.

Aber er war relativ weich gelandet. Blätter und das Kleid ebneten ihm ein gefährliches Bett. Doch es rettete ihn. Sein trainierter und ohnehin viel aushaltender Körper halfen ihm wohl aber auch, diesen Höllensturz zu überleben.

Link seufzte erleichtert. Glück … Glück im Unglück.

Er sah nach oben. Von hier aus konnte man direkt zum Fenster sehen. Der Kopf eines Soldaten lugte hervor. Er schien sich umzusehen, ob er Link entdeckte.

Aber er selbst war von Blättern überdeckt. Sie würden trotzdem bald hier sein, auch wenn sie ihn nicht sehen konnten.

Er musste sich schnell das Kleid vom Leibe reißen, sodass sie ihn nicht an seiner Kleidung erkannten.

Er rappelte sich auf, wobei sein Rücken Wellen des Schmerzes durch seinen Körper sandte. Doch es ging. Es war aushaltbar … Aushaltbar.

Er schaute zu, dass er noch immer bedeckt war. Dabei riss er sich das Kleid weiter auf. Das schöne Korsett, die Ärmel, all den Saum und den Schmuck …

Er würde sich bei Arithmeta sehr, sehr entschuldigen müssen. Nein, eine Entschuldigung würde nicht reichen. Für diese Missetat verdiente sie eine Entschädigung.

Aber das war die Aufgabe des Zukunfts-Link. Er musste nur dafür sorgen, dass es sein zukünftiges Ich noch geben würde.

Er schob die Stoffreste zur Seite und bemerkte erleichtert, dass seine normale Männerkleidung unbeschadet davon gekommen war. Sie war nicht einmal merklich dreckig geworden. Er schmiss sich auf den Boden und kroch vorsichtig im Gebüsch herum.

Er musste sich beeilen. Er musste hoffen, dass die Metallmänner zu langsam waren.

Seine Sicht nach vorne wurde frei und er sah in den Schlosshof. Einige fein gekleidete Leute standen dort.

„… verstehe es wirklich nicht, weshalb sie nicht endlich …“, erreichten ihn Gesprächsfetzen von vorbei schreitenden Leuten.

Er musste sich unter sie mischen. Doch diese Leute waren meistens nur zu zweit unterwegs.

Und sein Gesicht war bekannt. Ein Unbekannter würde ihn nicht decken.

Er kroch noch ein wenig hervor und schaute sich links und rechts um.

Keine Soldaten.

Dann blickte er vorsichtshalber noch nach oben. Dabei bemerkte er, dass ein in der nähe stehender Zierdebaum ihn gerade vor unliebsamen Blicken schützte.

Und dass jemand unter diesem Zierdebaum stand.

„Mydia?“, fragte er leise, als er das braune Haar und das hübsche Gesicht zuordnen konnte.

Sie schrak schockiert auf. Ihre blauen Augen fanden ihn und sie lächelte ihn an.

„Link … Euer Kleid …“, stellte sie leise fest, „Aber … Euch scheint es gut zu gehen …“

„Ja, danke“, stimmte er ihr ebenso ruhig zu, „Aber ich hätte eine Bitte an Euch … Könnt Ihr mir irgendwie helfen, hineinzugelangen? Ich war bei Ilya … doch mein Plan scheiterte … Ich brauche einen weiteren Versuch.“

Sie wirkte verunsichert. Nach kurzem Zögern fragte sie: „Wie?“

„Ich hoffe, sie werden nicht jeden genau unter die Lupe nehmen …“, erklärte er, „Aber am wichtigsten ist, dass ich jetzt von hier verschwinde. Sie werden nachsehen kommen, ob ich noch am Leben bin.“ Mit diesen Worten sprang er schnell auf und stellte sich neben Mydia.

Sie war ein wenig größer als er selbst. Aber das fiel nicht weiter auf.

Sie trug ein violettes Kleid, welches leicht verziert war. Wahrscheinlich wollte sie nicht zu sehr auffallen.

Sie blickte verwirrt auf ihn herunter. Ihr Blick sprach die ungestellte Frage „Wie ‚noch am Leben’?“ aus, doch er beachtete sie nicht.

„Die Soldaten werden den Adel nicht beunruhigen wollen“, vermutete er, „Sie werden also still hierher kommen und es als Routine tarnen.“

Sie nickte verstehend und schritt los. Erst eilig und mit der Zeit immer ruhiger.

Link hielt sich nahe an ihrer Seite.

Sein Gewand wollte nicht richtig zu den ganzen bestickten und geschmückten Kleidern passen, doch es war auch nicht wirklich unpassend. Männer hatten verschiedene Möglichkeiten, wie sie zu Bällen erscheinen konnten. Er hoffte, dass seine Variante eine der unauffälligen war.

Als sie einige Schritte vom Busch entfernt waren, kam die Wachmannschaft gesammelt durch das Tor gelaufen und ging in geordneten Reihen auf die Stelle zu, an der sein Kleid noch lag.

Mydia folgte seinem Blick. Dann lächelte sie zuversichtlich. „Frau Arithmeta hat es sehr gut eingefädelt“, meinte sie, „Sie werden nicht vermuten, dass Ihr unter dem Gewand noch Kleidung getragen habt. Sie suchen also nach einem entblößten Mann auf der Flucht – oder zumindest nach einem unordentlich angezogenen. Aber Ihr wirkt wie ein Adelsmann.“

„Danke …“, gab er überrascht zurück.

„Lasst Euch nichts anmerken“, wies sie ihn dann hin und sah wieder von den Wachen weg.

Sie gingen einen Umweg zum Tor und wirkten wie ein adeliges Paar, welches auf den Ball wollte – in letzter Minute.

Sie würden ein graziöses Paar nicht lange aufhalten.

Hoffte er.

„Wo sind Arithmeta und Miralle?“, fragte Link leise, sodass nur Mydia ihn hören konnte.

„Frau Arithmeta ist bereits im Saal“, erklärte sie ihm, „Sie spricht mit Frau Thelma. Miralle unterhält sich mit deren Nichte. Ebenfalls drinnen“

„Warum bist du dann hier draußen?“

Sie schwieg und blickte nachdenklich zu Boden.

Eine Antwort erhielt er nicht mehr, weshalb sie ihren Gang in Schweigen vollführten.

Als sie die Treppe zum Eingang erreichten, standen vermehrt Wachsoldaten herum. Einige davon wirkten, als hielten sie nach einem bestimmten Mann Ausschau. Andere wiederum sahen nur so aus, als wollten sie Kleider inspizieren.

Sie schritten nach oben.

„Oh, und habt Ihr bereits das Kleid von Frau Kumulus gesehen?“, ertönte Mydias Stimme plötzlich. Sie sprach in normalem Gesprächston.

Er war verwirrt über den plötzlichen Themenwechsel. Vor allem, weil er nicht wusste, wer Frau Kumulus sein sollte. Oder was er mit ihrem Kleid sollte.

Er schüttelte lediglich den Kopf. Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Vor allem, weil die Soldaten direkt neben ihm waren!

Einige andere Grüppchen und Pärchen gingen nach oben.

Bei genauerem Hinsehen bemerkte er, dass es sogar viele waren. Alle, die draußen waren?

Bedeutete das etwa …?

„Oh, schaut, Liebling!“, ertönte die Stimme einer Adeligen neben ihm, „Dieses wunderbare Kleid Ihrer Hoheit! Habt Ihr das gesehen?“

Der angesprochene schüttelte lediglich den Kopf. „Oh, aber bemerkt doch! Sie scheint zu beginnen!“

Und plötzlich beeilten sich alle.

Mydia und Link taten es den Leuten auf der Treppe nach und hasteten hinein.

In den Thronsaal.

Zu Ilya.

Unbehelligt.
 

Terra eilte in das Zimmer. Doch sie ließ den seltsamen Tanz aus. Immerhin erkannte sie keinen Grund dafür, etwas zu tanzen, was sie weder kannte noch verstand.

Azur kniete am Boden, lag aber teils auch an Yurais Bett. Seine Hände hielten die Weiße Fee fest. Diese schaute immer noch gequält drein.

Terra setzte sich neben Azur.

„Azur?“, fragte sie leise, „Azur? Hört Ihr mich?“

Sie erhielt keine Antwort. Aber sie bemerkte, dass er in etwa so qualvoll dreinblickte wie Yurai selbst.

Hatte er es etwa geschafft? Hatte er es tatsächlich geschafft, in Yurais Gedankenwelt zu gelangen? Terras Theorie …

War das die Idee?

Aber wie kam er auf den schrägen Tanz?!

Terra musste zu ihnen – zu ihm! Sie musste ihm helfen …

„Bewachen?“, rief sie aus, „Bewachen? Wie soll ich dich bewachen, wenn ich keine Ahnung habe, was los ist?!“, fuhr sie ihn an.

Doch er regte sich nicht.

Seine azurblauen Augen blieben geschlossen.

„Hey …“, fügte sie erschöpft hinzu, „Was soll ich tun …?“

Sie lehnte ihre Hand an seine Schulter. „Azur … Du schaffst das …“, sagte sie leise, aber zuversichtlich, „Du wirst Yurai helfen können, diese Mauer zu bezwingen …“

Sie lächelte ihn freundlich an. „Immerhin hast du es versprochen. Und du musst Versprechen halten.“

Sie strich ihm freundschaftlich über die Schulter. „Okay?“

„Ihr seid ja tatsächlich schon per Du“, ertönte eine Stimme aus dem nicht einsehbaren Teil des Ganges.

Terra fuhr erschrocken zusammen und drehte sich in Richtung Tür. Ihr Herz machte einen kurzen Aussetzer.

Sie hatte die Stimme erkannt.

Also kein Grund zur Panik. Okay? Es hatte nichts mit Ganondorf zu tun. Nichts.

„Kilass … Solltest du nicht das Schiff draußen bewachen? Wir müssen Händler ausmachen. Es fehlt uns an Nahrungsmitteln …“, meinte sie mit fester Stimme, ohne dabei auf seine Worte einzugehen.

Der ehemalige zweite Kommandant trat letztlich zur Tür und lehnte sich lässig in den Rahmen. „Retro“, spuckte er aus, „Du hast mir nichts zu sagen.“

Terra saß neben Azur, hatte ihre Hände von ihm genommen und konzentrierte sich nunmehr auf Klassik. Auch wenn ihr eine mürrisch genervte Bemerkung auf der Zunge lag, ließ sie sie nicht auf ihn los. Sie hatte jetzt Wichtigeres zu tun, als auf einer gefälschten Position herumzureiten.

„Lass uns Frieden schließen“, brachte sie ein, „Seit du wieder da bist, meckerst du an mir herum … Aber unser Ziel ist viel größer als wir beide …“ Sie gestikulierte überzeugend dazu, „Wir müssen zusammenarbeiten, wenn wir das schaffen wollen, Yurai, Azur – die ganze Welt! - zu retten …“ Sie streckte ihm die Hand entgegen. „Einverstanden?“ Während sie die Frage stellte, lächelte sie ihn aufmunternd an.

„Pah“, machte er nur abfällig, „Ich schüttle keinem Menschen wie dir eine Hand“, fügte er kalt hinzu, „Und jetzt sieh zu, dass du von unserem König und der Weißen Fee weg kommst – aber hastig.“

Terra zog einen Schmollmund. „Ach, darum geht es dir“, stellte sie fest, „Dich stört es, dass du zu einem Mensch werden musstest, obwohl du unsereins so sehr hasst.“ Der Hass in seiner Stimme war wohl nicht anders zu interpretieren. Wenn er von Menschen sprach, wurde sein Tonfall so abfällig, als spräche er von Kakerlaken.

Er lachte abfällig. „Du irrst dich, Mensch“, erklärte er daraufhin grimmig, „Gewaltig.“

Und mit einem Satz stand er vor ihr und hob sie mit einer Hand hoch. Seine Hand umspannte ihren Hals. Da sie kleiner als er war, konnte er sie leicht vom Boden wegbringen und in die Höhe halten.

„Höhen sind nicht für Menschen gemacht“, erklärte er ihr.

Sie zappelte herum, hielt dabei aber seinen Arm fest, um nicht zu ersticken. Sie musste es schaffen, sich los zu reißen! Was sollte das?! Wieso … Wieso tat er das?!

War er etwa …?

Sollte sie Azur etwa vor Klassik beschützen?!

„Lass mich los!“, forderte sie angestrengt. Es war sehr unvorteilhaft, zu sprechen, obwohl sie in der Luft gefangen war.

„Stirb“, antwortete er ihr kalt. Sein Blick traf den ihren. Hass war darin beschrieben. Aber dieser Hass galt ihr. Direkt ihr. Nicht allen Menschen. Dieser Hass war ein persönlicher Hass … Aber … Weshalb? Was hatte sie ihm getan? Sie kannte ihn doch nicht einmal richtig!

„Wieso?“, brachte sie hervor, „Lass … mich …“

Ihre Beine schlugen in der Luft herum, doch Klassik hielt sie auf Sicherheitsabstand, sodass es nichts nützte. Es verschwendete nur Energie.

Doch Terra konnte es nicht lassen. Es fühlte sich ansonsten an, als hätte sie aufgegeben. Und das hatte sie nicht.

„Deinetwegen“, knurrte er, „Allein deinetwegen!“ Und im nächsten Moment spürte Terra, wie sie durch die Luft flog. Sie kam hart am Boden auf. Doch ehe sie genug Zeit zum Atemholen hatte, geschweige denn, sich an den Hals zu fassen oder gar aufzustehen, wurde sie erneut gepackt. Diesmal zog er sie an den Haaren nach oben.

Schmerz durchfuhr ihren Körper. Prellungen, ihr Hals, ihre Lunge und ihr Kopf schmerzten fürchterlich.

„Kilass … Bitte …“, flehte sie und fuhr mit den Händen zu ihren Haaren, um den Druck zu verringern, den Klassik damit ausübte, dass er sie hochhob. Sie spürte, wie sich an den Seiten ihrer Augen Tränen bildeten.

„Kilass“, wiederholte er abfällig, „Du wagst es, einen Feennamen zu benutzen, Mensch!“ Dafür zog er sie wohl noch ein Stück hoch und stieß ihr dann mit einem Fuß in den Rücken, weshalb sie vorkippte. Aber weil er die Haare nicht losließ, hing sie in der Luft – ungeheurem Druck ausgesetzt.

„Es … Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich schnell. Sie versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. Diese Genugtuung würde sie ihm nicht gönnen.

Er würde wahrscheinlich darauf warten. Darauf konnte er lange warten. Terra würde stark sein. Solange er mit ihr beschäftigt war, würde er nicht auf Azur losgehen. Und nicht auf Yurai. Sie war sich sicher, dass Azur Kilass gemeint haben musste.

„Pah!“, spie er aus, „Eine Entschuldigung und alles ist gut – ist das dein Plan?“ Er gab mehr Kraft in seinen Fuß, was Terras Kopfschmerzen verschlimmerte, „Fehlanzeige, Kommandant.“

„Was …“, begann Terra, biss dann aber die Zähne zusammen, um nicht los schreien zu müssen. Dieser Schmerz. Diese elendige Pein … Wie … Wie sollte sie die nur aushalten? Es schmerzte so … Schmerz …

Vor ihrem Auge verschwamm alles. Nebelflecken bildeten sich unaufhaltsam.

Nein. Nein. NEIN!

Sie durfte nicht ohnmächtig werden. Klassik könnte ansonsten …

Azur …

„Was ich vorhabe?“, vervollständigte er gütiger Weise ihre unausgesprochene Frage.

Sie wollte nicken, hielt sich aber rechtzeitig davon ab. Das würde noch mehr Qual bedeuten.

„Ich war derjenige, der Yurai gefunden hat“, setzte er an, „Ich war derjenige, der die Weiße Fee gefunden hat.“ Er drückte noch heftiger gegen Terras Rücken. Mit einem Ruck ließ er ihre Haare los. Terra fiel zu Boden.

Doch den Aufprall bekam sie kaum mehr mit. Es war nur ein Weh mehr, der sie durchfuhr.

„Ich weiß so viel mehr, als ihr anderen. Ich weiß so viel mehr, als jeder sonst“, erzählte er. Sie spürte seinen kalten Blick im Rücken. Sein Fuß lagerte noch immer darauf.

Aber sie konnte nicht genau sagen, ob er fest zudrückte oder nicht.

Alles war verschwommen … Unwirklich …

„Azur … und ich“, schloss er seinen Satz und klang dabei verbittert, „Ich habe es ihm erzählt. Immerhin bin ich sein zweiter Kommandant. Doch er … er hat sich geweigert, mir Folge zu leisten …“

Warum … sollte Azur ihm Folge leisten …? Er war nur der zweite … Azur war doch der Kapitän … Azur …

Plötzlich fiel eine weiße Feder vom Himmel. Sie landete direkt neben Terra.

Als sie die Feder beobachtete, befand sie sich nicht mehr auf dem Boden des Schiffes. Sie lag auf steinigem Untergrund, der unwirklich wirkte.

„Yurai!“, ertönte eine ihr sehr bekannte Stimme, „Yurai! Pass auf!“

Ein ganzer Haufen weißer Feder fiel nach unten.

Azurs Stimme … Yurai … War sie etwa …?

„Die Höhle!“, rief sie überrascht aus, wobei sie sich erheben wollte.

„Schweig!“, erklang Klassiks Stimme über ihr. Sie spürte den Seitentritt, den er ihr verpasste. Sie rollte ein Stück über den Holzboden des Schiffes, was ihrem Körper die blauen Flecken überall spüren ließ.

„Du hast mir meine Anerkennung gestohlen, Mensch“, sagte Klassik wütend, wobei er langsam auf sie zuschritt, „Du hast mir meinen Platz gestohlen, Mensch“, fügte er zornig hinzu, „Und du hast mir meinen Prinzen gestohlen!“

Und damit trat er noch einmal auf sie ein.

Und plötzlich befand sie sich erneut in der Höhle. Azur stand vor ihr und wehrte schwarze Blitze ab.

„Terra, verdammt! Wach auf!“, rief er ihr zu.

Doch er sah sie nicht an. „Azur …“, murmelte sie geschwächt.

„Hau ab!“, forderte er, „Das hier ist mein Kampf!“

„Aber … Kilass …“, wandte sie müde ein, während sie versuchte, sich aufzusetzen.

„Störrisches Ding!“, rief Kilass, als er wieder an ihren Haaren riss und sie vollkommen aufzerrte.

Als Terra völlig zu sich kam, drückte er sie an die Schiffswand. Ihr Gesicht klebte am Holz der Wand. Sie spürte Kilass’ frostigen Atem in ihrem Nacken. „Du sollst liegen bleiben … Ich werde Yurai töten. Du kannst sie nicht beschützen. Du bist nur ein elender Mensch.“

Was …?

Was sagte er da …? Er wollte … er wollte die Weiße Fee …? Aber er war doch eine …

Terra fiel es schwer, richtig Gedanken zu fassen. Immer wieder schleuderte der Schmerz sie davon. Immer wieder sah sie kurz Azur. Und sobald sie sich dort rührte, holte Klassik sie zurück …

Was … Wie …

Azur …

Hilfe …
 

Link schaffte es tatsächlich durch das Tor. Scheinbar wurden die Einladungen und Genehmigungen bereits an vorherigen Türen kontrolliert. Hier blieb man unbehelligt – er war drinnen! Im Saal! Umgeben von Menschen!

Mydia nahm ihn an der Hand und zog ihn durch die Menge. Manchmal rissen sie ab, doch er fand sie dann gleich wieder. Der Saal war voll. Ilya hatte wirklich viele Menschen eingeladen.

Doch keiner von ihnen war ein Krüppel. Und keiner von ihnen war arm. Es war anders als auf dem kleinen Volksfest. Es herrschte eine andere Stimmung. Es waren andere Menschen anwesend.

Andere Welten herrschten hier.

Wo war Shan eigentlich?

„Mydia, hast du Shan irgendwo gesehen?“, fragte Link sie.

Plötzlich blieb sie stehen und sah ihn an. Ein Mann, der aufgrund des plötzlichen Stillstandes gegen Link lief, beschwerte sich. Doch er verschwand gleich wieder in der Menge.

„Shan …?“, fragte sie, „Midna … Wer ist Midna …?“ Sie sah ihn bittend an.

„Midna?“, wiederholte er verwundert, „Woher kennst du …“

„Verzeihung das Paar, aber hier wollen ein paar Leute durch“, unterbrach ihn ein alter Mann, hinter dem eine arrogant wirkende ältere Dame herstapfte und hinter dieser ein großer, jüngerer Mann. Der Mann musterte Link genau. Link fühlte, wie sein Blick ihn durchdrang.

Der alte Mann drängte sich zwischen Mydia und Link durch, weshalb sie ihre Hände losließen und zur Seite gingen.

Link wandte den Blick ab, sodass der Mann ihn nicht erkennen konnte. Doch irgendwoher kannte er ihn … Dieser Mann … er …

„Terra!“, hauchte er sich selbst leise zu. Das war Terras Vater. … Wie war sein Name gleich? Kumulus … Maunten Kumulus. Er wirkte sehr viel jünger und gesünder als das letzte Mal.

Und die beiden älteren Gestalten waren wohl ihre Großeltern!

Die drei kannten ihn. Sie waren Gefahrenfaktoren.

Er drehte sich um, um zu entwischen, doch eine Hand berührte ihn an der Schulter.

Er schaute widerwillig zurück. Maunten war alleine zurückgeblieben. „Terra geht es gut, wie mir vertrauenswürdige Quellen berichtet haben“, sagte er leise, „Weil ich sie dank dir aufspüren konnte, stehe ich in deiner Schuld.“ Dann ließ er seine Schulter los und mischte sich unter die Leute.

Er würde ihn nicht verraten. Das hatte er ihm gerade gesagt.

Doch er hatte ihn erkannt. Link solle auf der Hut sein.

Er wollte, dass er hier weitermachte. Er hatte mit Sicherheit gehört, dass er ein „Verrückter“ war. Aber er vertraute ihm. Weil er Terra geholfen hatte …

Und es ging ihr gut. Das war eine sehr beruhigende Nachricht.

Mydia schritt zu ihm, als Maunten verschwunden war.

„Kommt, gehen wir, Ihre Hoheit steht bereits am Podium und erbittet bald die Aufmerksamkeit aller“, flüsterte Mydia ihm zu, wobei sie ihn besorgt anschaute. Sie vollführte eine Kehrtwendung und ging weiter durch die Menge.

Link blieb dicht hinter ihr. Er beobachtete, wie ihr gepflegtes dunkelbraunes Haar offen ihren Rücken hinunter fiel. Es wirkte wunderschön. Wie Wasser.

„Nein, habt Ihr das Kleid gesehen? Herrin Regena ist wirklich eine interessante Figur!“, stellte irgendjemand in der Reihe fest.

„Ja, und wie!“, gab ihr eine andere Recht, „Aber ich habe sie heute noch gar nicht angetroffen.“

„Sie sollte hier irgendwo zu finden sein. Ich habe ihr Kleid gesehen – und … also wirklich. Ich weiß …“

Sie entfernten sich zu weit von den beiden, die sich dort unterhielten.

Sie sprachen von Regena. Regena kannte Link ebenso. Doch sie würde ihn doch nicht verraten, oder? Immerhin musste er ihr noch das Hemd zurückgeben, das er sich ausgeliehen hatte … Er fragte sich, ob die drei Feenfreundinnen sich gefunden hatten.

Er hoffte, er würde es erfahren.

Während er Mydia folgte, wanderte sein Blick immer wieder zu Ilya hoch, welche kaum merklich besorgt – es fiel ihm nur auf, weil er sie so gut kannte - mit einem Berater sprach. Ob das der Berater war, den sie meinte? Nein … sie sprach von einer Frau … Aber er erkannte keine Frau …

Als Mydia plötzlich stehen blieb, war er es, der in sie hinein krachte. Schleunigst drehte sich sie sich um und hob überrascht ihre Hände. Sie griff sofort nach Links linker Hand und verbeugte sich. „Es tut mir leid!“

„Du solltest dir wirklich angewöhnen, die Leute um dich herum vorzuwarnen …“, schlug Link ihr vor. Als er seine Hand aus ihrem Griff befreien wollte, fiel ihm das leichte Glühen unter seinem Handschuh auf. Oh nein …

Hoffentlich hatte das keiner bemerkt.

Sofort zog er die Hand zurück und verschränkte angespannt die Arme.

„Oh, Link!“, rief Arithmeta, „Ich habe gar nicht bemerkt, dass du da bist! Mydia, hättest du doch etwas gesagt!“

„Link, ich muss dir noch für die Eskorte danken!“, meldete sich danach lautstark Thelma, die plötzlich neben Arithmeta hervorlugte, „Ich bin sicher hier ange- …“

„Spiel dich nicht so auf! Es wurde auch Zeit. Er hat gerade mal das nötigste getan! Und seine Arbeit bei mir hat er auch nicht erledigt, dieser Schmarotzer!“, verlautete Feconis Stimme von weiter weg. Er hörte sie klar und deutlich, doch sehen konnte er sie nicht.

Zum Glück. Sie hätte ihn vermutlich zerrissen.

„Könntet ihr bitte aufhören, meinen Namen durch die Gegend zu brüllen?“, fragte er leise, aber auch herrisch.

Daraufhin kicherten Thelma und Arithmeta zugleich kindisch mädchenhaft, was einen zu der Annahme einer Verwandtschaft hätte bringen können – aber Link war kein Theoretiker.

Als er zu Mydia schaute, erkannte er, dass sie mit verkrampften, verschränkten Armen da stand und besorgt Richtung Podium schaute.

Und da erblickte er sie wieder: Ilya, in ihrer vollen Pracht. Nichts von ihrer vorherigen Verzweiflung oder Trauer war übrig. Die starke Königin war zurück.

Ilya …

„Mein sehr verehrtes Publikum!“, ertönte Ilyas Stimme deutlich durch den ganzen Saal, „Ich habe frohe Kunde zu verbreiten!“ Sie lächelte strahlend, „Das lang ersehnte Mittsommernachtsfest sei hiermit eröffnet!“

… Er würde sie retten.

Begeisterter Applaus wurde laut.

Mittelpunkt

Endlich war es soweit. Ihr lang ersehntes Fest war gekommen. All die Vorbereitung. All die Zeit. Alles lohnte sich schließlich und endlich.

Lächelnde, jubelnde Menschen standen vor ihr. Unter ihr. Und sie sahen zu ihr auf. Sie stand auf einem etwa zwei Mann hohem Podium, welches extra für entsprechend wichtige Angelegenheiten aufgestellt worden war. Und es war ihr Platz. Und doch …

Doch fühlte sie sich nicht, als müssten sie zu ihr aufsehen. Sie wäre auch damit einverstanden gewesen, bei ihnen zu sein.

Mitten unter ihnen.

Im Tanz konnte sie das. Während sie tanzte durfte sie bei ihnen sein. Sie durfte in diesem Moment ihre erhöhte Position verlassen und sich zu denen gesellen, die sie liebte. Und darum gewährte sie ihnen auch die Chance zu tanzen. Sie sollten lernen, bei anderen zu sein. Unter ihnen zu sein.

Mit ihnen zu sein.

Doch sie hatte das Protokoll zu erfüllen. Sie musste die bestimmte Ankündigung machen. Diese Ankündigung … Woher wusste sie von ihr?

Jemand musste es ihr so vorgelegt haben. Doch keiner konnte ihr es sagen.

War es die Dienerin, die aus dem Fenster gesprungen und verschwunden war?

Oder war es jemand anders?

Sie vermochte sich nicht genau zu erinnern. Nur schwummrig …

Was nur war geschehen …?

Sie ließ ihren Blick durch die Menge schweifen. Doch sie schaute niemanden direkt an.

Alle gleich behandeln. Ihnen das Gefühl geben, sie seien der Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit.

Das musste sie.

Sie war die Königin. Bald.

„Viele Vermutungen über den Grund der Veranstaltung dieses Festes sind gefallen“, nahm sie ihre Worte wieder auf, „Viele haben Unmut verbreitet, was diesen Tag angeht.“ Sie lächelte in die Menge. „Und doch darf ich Euch frohe Botschaft bringen!“

Sie hob ihre Hände triumphierend. Dies diente einerseits zur Unterstreichung ihrer Worte, andererseits aber, um ihre Kleidung zur Schau zu stellen.

Ihr Kleid war umringt vom Wappen des Mittsommernachtsfests.

Das neue Wappen.

Das Wappen des neuen Königreiches. Das Wappen des Dunklen Reichs der Ewig Scheinenden Sonne.

Und König Ganondorf würde es regieren. An ihrer Seite.

„Morgen schon wird Euer neuer Herrscher eintreffen!“, ließ sie erfreut verlauten, „Euer neuer König naht! Und er verspricht Heilung! Er wird die Narben, die dieses Land durchziehen, bereinigen und spätere verhindern! Er verspricht Glück, er verspricht Hoffnung – er verspricht Liebe …“ Sie zog ihre Mundwinkel erfreut nach oben.

Währenddessen beobachtete sie die Reaktion des Publikums. Einige wirkten schockiert, während andere begeistert wirkten. Ein paar standen besserwisserisch herum. Sie verkündeten wohl, dies schon die ganze Zeit geahnt zu haben.

Ja, Ilya würde heiraten. Sie würde Ganondorf zum Gemahl nehmen. Ein neues Reich erschaffen. Ein neues Königtum. Glück. Frieden.

Dem Volk zu Gute. Ihr eigener Wunsch.

Doch sie durften nicht erfahren, wer ihr neuer Gemahl werden würde. Sie wusste nicht, weshalb es so war. Aber sie wusste, dass es so war. Und diesem Gefühl musste sie trauen. Es war seltsam zu handeln, ohne zu wissen. Vielleicht konnte man es töricht nennen.

Aber jemand, dem sie Vertrauen schenkte, hatte ihr gesagt, dass es so zu sein hatte.

Also konnte es keine fürchterlichen Gründe haben. Auch wenn ihr mulmig zumute war, ihr Volk anzulügen. Oder ihnen etwas zu verschweigen. Sie sahen immerhin zu ihr auf …

Ach, wenn sie jetzt bloß mit ihnen tanzen könnte …

„Was redest du da?!“, ertönte eine laute, alle Geräusche durchbrechende Stimme, „Wie kannst …“

Sie schaute sich nach der Quelle dieser Worte um. Es dauerte nicht lange, bis sie sie erfasste.

Diese blauen Augen eines Wolfes. Freiheit. Ehrlichkeit. Mut.

Link.
 

Ilya sah böswillig auf ihn herab. Ihr ehemals lächelnder Mund verzog sich zu einer Grimasse der Verstimmtheit. Ihre Hand streckte sich von ihrem Körper. Sie öffnete den Mund.

Link kämpfte sich durch die Menge nach vorne.

Doch als die Leute bemerkten, dass er der Redner war, ließ die Neugierde sie zurückweichen. Sie fragten sich eindeutig, was jetzt wohl als nächstes passieren würde. Sie gingen aus Schaulustigkeit zur Seite.

Hin und wieder ertönten Ausrufe, die seinen Namen beinhalteten.

Link.

„Hör nicht auf das, was du sagst!“, riet er Ilya laut, während er die letzten Reihen durch forstete, ohne aufgehalten zu werden.

Er fand sich alleine ganz vorne wieder. Die anderen Gäste standen zurückgedrängt hinter ihm herum. Er hatte viel Platz gewonnen.

Alle Augen waren auf ihn gerichtet.

„Was macht er da?“, hörte er Feconis unverkennbare Stimme leise maulen, „Dieser Vollidiot!“

Doch er ignorierte sie. Er hatte lediglich Augen für Ilya. Und auch sie sah nur ihn an.

„Wachen!“, erklang Ilyas befehlshaberische Stimme daraufhin, „Der Eindringling hat sich offenbart.“

Auf den Seiten erschienen Wachsoldaten in glänzender Rüstung.

„Ilya!“, wiederholte er, „So höre mich an!“

Was sollte er tun? Wenn er gefangen genommen wurde, nutzte er niemanden etwas!

„Ich bin es – Link! Link aus Ordon! Du bist meine Freundin!“, rief er zu ihr hoch, „Die Freundin meiner Kindheit. Diejenige, die mich immer zurechtgewiesen hat! Diejenige, die immer fair zu mir war – diejenige, dank der ich der bin, der ich heute bin!“

Er sah sie flehend an, „Ohne dich wäre ich nie so weit gekommen. Ohne dich wäre ich ein einfacher Bauer. Aber du … Ilya … Erinnere dich – bitte!“, er klang flehend. Er klang einfühlsam.

Und er sprach nur die Wahrheit. Und Ilya sah ihn an.

Sie sah ihn an. Und sie schwieg.
 

Wachen … Die Wachen sollten angreifen …

Nein, nein! Sie durften ihm nichts tun.

Doch, es waren die Wachen …

„Damals als Taro gerade einmal ein Schwert halten konnte, hat er mich herausgefordert … Ich wollte ihn verprügeln – aber du hast mich davon abgehalten! Du bist meine bessere Hälfte – du bist Gerechtigkeit!“, rief er ihr zu.

Taro … Taro …

Das Bild eines Jungen blitzte vor ihrem inneren Auge auf. Taro …

„Du hast Ulina jedes Mal geholfen, wenn sie dich darum gebeten hat, dich um etwas zu kümmern. Du hast jedem immer geholfen! Du warst so gutmütig … Du hast das Dorf zusammen gehalten … Was … Was sollen wir im Dorf ohne dich? Du bist doch unser Pfeiler … Du stützt uns … Wie dein Vater vor dir!“

Ulina. Eine lächelnde Frau. Ein Kind. Nein, zwei Kinder … Ein größerer Junge … Und ein kleines Mädchen … Und … Moe. Ulina, Colin, Lin, Moe …

Eine Familie.

Der Bürgermeister.

Ihr Vater.

„AH!“, schrie sie aus.

Im nächsten Moment kniete sie am Boden.

Was? Was war das? Wieso? Diese Bilder. Diese Leute.

Sie kannte sie doch gar nicht!

Sie war die … die Königin … Hyrule …
 

„Hey, Ilya!“, rief Link, als er in den Laden kam. Sie streichelte gerade die Katze – Link.

„Link! Wie kann ich dir behilflich sein?“, wollte sie lächelnd wissen.

„Deine Anwesenheit ist Hilfe genug!“

Sie errötete.


 

Nein … dieser Bauer … das war nicht sie. Immerhin konnte sie doch nicht im Ordon-Laden arbeiten! Bettys Mutter …

Betty … Wer war Betty?

Nein!

Prinzessin Ilya … Sie hatte einen Stammbaum … Es gab keinen Boro … Sie kannte keine Betty …

Doch das Bild des Mädchens, das sie abwertend ansah, bestand in ihrem Kopf.
 

„Ilya …“, hauchte Link ihren Namen. Er stand neben ihr. Die Wolken zogen auf. Es wurde kalt. Die Nacht brach herein. Doch sie konnte nicht anders, als auf diesen grauen Stein zu starren. Dieser graue Stein, auf dem nur ein Name stand. Boro. Ihr Vater lag hier begraben …

Sie kniete sich nieder und legte den Blumenstrauß auf sein Grab.

„Ich möchte hier bleiben …“, teilte sie ihm leise mit. Tränen rannen noch immer über ihre Wangen. Ihr Vater … er war … er war gestorben …

Nach langer Krankheit … Nach vielen Qualen … Und jetzt … Jetzt war sie alleine …

Link kniete sich neben sie. Er legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie an ihn.

„Ilya, ich bleibe bei dir …“, bestimmte er, wobei er ihren Arm entlang strich.

„Danke …“, sagte sie schwach, „Danke …“
 

Link … er blieb bei ihr. Damals. Als ihr Vater starb. Sie war ihm so dankbar. Sie wollte es ihm nie vergessen. Niemals … Wieso …?

Wieso hatte sie es dann vergessen?

Sie fühlte Hände, die sie stützten.

„Eure Hoheit, geht es Euch gut?“, erklangen besorgte Stimmen ihrer Bediensteten. Jemand stützte sie.

„Link …“, hauchte sie.

Sie sah nach unten.

Und stellte erschrocken fest, dass die Wachen näher gekommen waren.
 

Als Mydia bemerkte, dass die Wachen auf Link zuschritten, dachte sie nicht mehr lange nach. Miralle bildete die Vorhut. Sie war die erste, die ging. Mydia folgte ihr sofort.

Sie standen sowieso schon in der ersten Reihe, da die ganze Gruppe Link neugierig und besorgt hinterher gehastet war. Zwei sehr zögerlich wirkende Männer, eine alte Dame und drei junge Mädchen erschienen ebenfalls. Mydia glaubte, das blonde Mädchen zu kennen. Doch sie war sich nicht sicher.

Aber es tat nichts zur Sache.

„Keinen Schritt weiter!“, befahl Miralle, die sich neben Mydia breitbeinig und ausgestreckt hingestellt hatte, um möglichst viel Platz einzunehmen. Platz, den die schwer berüsteten Soldaten gebraucht hätten.

„Zur Seite, Mädchen“, forderte der Soldat und machte eine wegwischende Handbewegung, „Oder ich werde euch zwingen! Was ihr hier betreibt, ist Hochverrat! Ihr gefährdet Ihre Hoheit!“

„Das glaubst du doch selbst nicht!“, fuhr Miralle ihn an, „Das da drüben ist Link! Und hier spielt irgendein mieser Zauber irgendeine miese Rolle, die uns alle ziemlich an der Nase herumführt! Also denk nach, Idiot!“

„Hast du mich Idiot genannt!?“

„Ja, verdammt!“, tobte Miralle wütend.

So hatte Mydia diese Frau noch nie erlebt. Sie wusste, dass sie Temperament entwickeln konnte. Doch dass sie solche Worte anwandte … Das hätte sie nicht gedacht. Mydia hätte es ihr gerne gleich getan. Aber sie konnte nicht. Ihr fehlte dieses Sprachniveau einfach.

Also stellte sie sich einfach beschützerisch neben Miralle.

Kein Wachsoldat sollte durchkommen. Keiner durfte Link anfassen.

Neben ihr stand ein Mann, den Mydia nicht kannte. Zumindest erinnerte sie sich nicht an ihn.

„Du bist wirklich ein elendiger Verräter, Claude!“, rief ein anderer Mann diesem zu, „Das hätte ich nie von dir gedacht …“

Doch dieser … Claude stand wie Mydia vor den Soldaten. Und er ließ sie nicht durch.

Arithmeta, Thelma, Feconi, die blonde Frau, die ockerhaarige und die braunhaarige – sogar der andere Mann, der älter wirkte und sich stark darüber zu wundern schien, was er hier überhaupt tat … er hatte Ähnlichkeit mit Frau Kumulus … vielleicht war er ihr Sohn?– standen im Halbkreis um Link herum. Sie gewährten ihm genug Platz, um ihn nicht zu behindern.

Sie alle schirmten ihn ab. Und sie würden es durchziehen. Kein Soldat sollte ihnen in die Quere kommen. Keinen Feind würden sie durchlassen.

Vielleicht wussten die anderen mehr als Mydia. Vielleicht wussten sie, weshalb sie das taten. Sie wussten vielleicht, vor wem sie ihn schützen mussten.

Sie wusste nicht einmal genau, von was Link sprach oder wer er überhaupt war.

Aber sie wusste, dass sie genau das Richtige tat.

Sie musste Link beschützen.

Link …
 

Link schwamm in der Quelle von Latoan. Ilya saß am Ufer.

„Hast du heute schon gearbeitet?“, rief sie ihm lächelnd zu.

„Ja!“, antwortete er laut genug, sodass sie ihn hörte. Danach kam er heraus.

Er war überall nass. Seine Kleidung klebte an seinem Körper und seine Frisur war deformiert.

Ilya kicherte. „Ich hab dir doch schon tausende Male gesagt, du solltest nicht mit deiner Kleidung schwimmen gehen!“

„Wie denn sonst?“, fragte er ernst, wobei er vor ihr in die Hocke ging. Er zog eine Grimasse.

„Nackt?“, schlug sie scherzhaft vor, was sie mit einem ironischen Unterton unterstrich.

„Was?!“, rief er überrascht aus, wobei er sich damit so aus dem Gleichgewicht brachte, dass er umkippte und im Gras landete.

Ilya kicherte stark amüsiert. „Link! Weißt du eigentlich, dass man Grasflecken aus nasser Kleidung gar nicht mehr rausbekommt?“, schalt sie ihn – noch immer sehr belustigt über seine Aktion, was sie erneut mit einem Kichern unterstrich.

Er rappelte sich schnell wieder auf, wobei er sich den Kopf übertrieben fest rieb. „Erschreck mich nicht so mit deinen Antworten …“, brummte er beleidigt.

„Es tut mir leid!“, sie lächelte ihn entschuldigend an, „Es ist mir nur so rausgerutscht!“

„Also hast du daran gedacht?“, stellte er sicher. Jetzt grinste er.

Sie errötete. „Nun ja …“


 

„Sei eine Königin. Benimm dich herrisch. Lenke die anderen. Du bestimmst.

Es ist dein Königreich. Alle Menschen unterstehen dir“, murmelte Ilya verwirrt. Ihre Bediensteten riefen um Hilfe. Doch niemand schien sich zu rühren.

Ilya fasst sich an den Kopf.

Sie glaubte, er müsse bald platzen! All diese Erinnerungen … Link … Link … Immer nur Link! Link – Ordon – Ilya!

Wer war sie? Wieso war sie hier?

Sie war doch die Königin! Darum war sie hier! Hyrule … Königreich … Schloss …

Nein … Ordon … Boro … Ihr Vater war tot …

Link …

Es kam immer auf ihn zurück. Link. Dieser Link … Wer war Link …?
 

„Alles Gute zum Geburtstag, Ilya!“, rief Boro hoch erfreut. Er klopfte ihr auf die Schulter, „Der sechzehnte Sommer ist der wichtigste im Leben - zum Feiern! Immerhin erlebst du den nur einmal!“ Er lachte, als wäre sein Scherz der beste der Welt gewesen.

Ilya lacht kurz mit. „Ja, die anderen kann man immerhin doppelt feiern …“, kommentierte sie leise – und sehr sarkastisch.

„Jedenfalls – das ganze Dorf freut sich schon darauf! Zeig ihnen, wie du deine Hüften schwingen kannst! Die hast du eindeutig von deiner Mutter!“ Boro lachte erneut laut.

Ilya hingegen errötete. „Papa!“, schalt sie ihn, „Rede nicht so!“

„Ja, ja … Du solltest dir noch einen Haupttanzpartner suchen, Ilya! Ich stehe immer zur Verfügung, falls du keinen finden solltest!“ Boro lachte schon wieder.

„Haha …“, machte sie und öffnete die Tür.

Und vor ihrem Haus stand das ganze Dorf versammelt.

„Alles Gute, Ilya!“, riefen die Leute in einem Chor.

Ilya starrte sie an. Alle waren gekommen. Ulina, Moe, Colin, Taro, Maro, Betty … Link …

„Danke, meine Freunde!“, rief sie danach überglücklich. Sie riss ihre Hände siegreich in die Höhe. „Vielen lieben Dank!“

Sie trat aus dem Haus und hinein ins Sonnenlicht. Es war noch relativ früh. Sie war sich sicher, dass die meisten noch andere Arbeiten zu tun gehabt hätten … Und doch waren sie hier … Extra hergekommen. Für sie.

Boro kam hinter ihr hervor und schloss die Tür.

„Die Müller haben ihren Grund zur Verfügung gestellt – du kannst dich also entspannen, Kind!“, erklärte er ihr stolz lächelnd.

Und sie gingen zum Haus von Taros und Maros Eltern.

Und sie tanzten.

Den ganzen Tag hindurch.

Sie tanzte mit Link. Und Link tanzte mit ihr …

Sie drehten sich im Kreis … Immer und immer weiter …

Bis zum Ende der Nacht.
 

„Ilya! Wir wollten uns treffen!“, rief er. Er machte weiter. Am Rande bekam er mit, dass all seine Freunde sich schützend um ihn herum stellten. Die anderen Besucher benahmen sich wie wahres Publikum. Stillschweigend zusehend, was nun geschah.

Doch es war kein Problem für ihn. Er wollte nur zu Ilya …

Er trat einen Schritt vor …

Ilya …

„Dein Vater … er ist vor zwei Jahren gestorben. An seinem Jahrtag wollten wir uns an seinem Grab treffen! Du bist nie erschienen! Wo bist du gewesen?“, wollte er von ihr wissen.
 

Ilya war im Laden. Sie hatte gerade eine Kiste mit Milchflaschen verkauft. Dieser Verkauf war zumeist der letzte. Trotzdem blieb sie jedes Mal wieder die Stunden, die sie bleiben sollte, weil die Besitzerin sie darum gebeten hatte.

Betty würde die Zeit eindeutig dazu nutzen, sie vor Link schlecht zu machen …

Daran war sie gewohnt.

Seit Betty Link als ihr Ziel auserkoren hatte, hatten sich Ilyas Gefühle für ihn nur verstärkt. Sie wollte, dass Link so fühlte wie sie … Aber sie wusste, dass es niemals so sein würde …

Sie wusste auch, dass er sich niemals für Betty entscheiden würde.

Ilya sah es an Links Blick. Immer war er in weite Ferne gerichtet. Er sah jemanden, den sie nicht sehen konnte. Den sie nicht kannte. Jemand, den er auf seiner Reise getroffen hatte.

Ilya fragte sich, was wohl aus dieser Person geworden war …

Zu Links eigenem Wohl wünschte sie sich, dass er die Person irgendwann wieder finden würde …

Aber solange es nicht so war, würde sie bei ihm bleiben. Sie würde ihn stützen. Sie würde ihn beruhigen. Und sie würde ihn lieben.

Auf ewig.

Sie schaute auf die Uhr, die im Laden hing. Sie hatte noch fünf Minuten Schicht. Wenn sie jetzt mit dem Aufräumen begann, dann würde sie rechtzeitig am Grab sein. Sie wollte Link nicht warten lassen.

Ilya öffnete die Tür, um das „Geöffnet“-Schild umzudrehen und schloss sie wieder, um die Waren danach ordnen zu können.

Während sie arbeitete, summte sie leise ein Lied. Sie wusste nicht, welches Lied es war. Es war einfach ein Lied.

Und plötzlich wurde die Tür leise geöffnet. Doch sie bemerkte es. Wer um diese Zeit wohl noch etwas brauchte? Das war selten.

Jemand trat ein.

Ilya sah die Person an. Wer war das?

„Tut mir leid es ist schon …“ …

Und plötzlich war sie Königin. Sie saß am Thron. Und sie wusste, dass sie hierher gehörte.
 

„Link …“, hauchte Ilya erschrocken, „Link, ich … Ich erinnere mich …“

Ihre Augen waren weit aufgerissen und sie starrte schockiert auf den Boden.

Der Verrückte … Nein.

Link. Link.

Link, er sagte die Wahrheit.

Link … er war hier …

Er hatte sie gerettet …

Erneut hatte sie ihn vergessen … Damals – wie auch jetzt …

Dabei wollte sie ihn beschützen …

Und jetzt war es wieder anders herum …

Immer wieder …

Immer wieder …

Und Ketten, die etwas in ihrem Kopf festhielten, lösten sich klimpernd auf.
 

Links Worte ertönten. Ein Grab … Mydia konnte sich vorstellen, dass es für die Königin schwer sein musste, das alles zu hören. Dass sie keine Königin war.

Aber … wenn sie nicht die Königin war … Wer war es dann?

Und in diesem Moment zerbrach etwas in ihr.

Sofort fiel sie auf die Knie. Ihre Hände legte sie verstört an den Kopf.

Etwas pochte … Lautstark … Ketten … Gefallene Ketten …

War etwas befreit worden? Doch was? Was fehlte ihr?

Ihre Erinnerung.

Weshalb jetzt? Wieso genau jetzt?

Etwas zersprang.

Ketten. Weitere Ketten. Ketten … Doch was für Ketten?

An ihrem linken Handrücken, welcher ihren Kopf festhielt, entstand ein seltsames Glühen. Ein Leuchten.

„Mydia?! Mydia?! Alles in Ordnung! Hey!“, erklang Miralles Stimme. Doch sie klang so weit entfernt.

Weit, weit weg …

Mydia sah in den Himmel. Es war ein freier Himmel. Und alles war voll mit Licht.

Sie streckte ihre Hand dem Licht entgegen. Und unter ihrem weißen Handschuh erkannte man deutlich das Zeichen, das sie prägte.

Das Triforce.

Das Triforce der Weisheit.

Es gehörte ihr. Damit war sie auserwählt worden.

Und mit dem Diadem war sie gekrönt worden.

Prinzessin Zelda.

Das war sie.

Eine Prinzessin.

Sie war es.
 

Link fühlte sie.

Er fühlte diese seltsame Erfüllung. Als wäre ein Puzzlestück zurückgekehrt.

Welches nur?

Sein Blick blieb auf Ilya haften, bis er auf der Seite Aufregung bemerkte. Er drehte sich kurz weg von seiner Kindheitsfreundin, die dort oben lag und sich quälte. Er wollte zu ihr. Er wollte ihr helfen. Wirklich. Er wollte … doch er konnte nicht.

Er wusste, dass er dort oben nicht sicher war. Die Diener würden nicht davon betroffen sein. Sie würden ihn Hexer nennen. Hier inmitten seiner Freunde war er in Sicherheit.

Und einer seiner Freunde brauchte jetzt selbst Hilfe.

Er sah zu betreffender Person.

Mydia … Nein, nein. Zelda! Zelda …!

Was war geschehen?

Miralle kniete vor ihr und stützte sie. Ähnlich wie Ilya gestützt werden musste.

Was war geschehen …?

„Miralle, bitte, hilf ihr …“, murmelte er hoffnungsvoll …

Und als er sich wieder zu Ilya drehte, bemerkte er auf der anderen Seite ebenfalls eine Bewegung.

Diejenige seiner Freunde, die er die ganze Zeit sehnlichst erwartet hatte, war aufgetaucht. Graziösen Gangs durchschritt sie den Schutzwall, den Regena und Arithmeta aufgebaut hatten. Die beiden ließen sie durch. Immerhin war es Shan.

Sie würde Zelda helfen.

Er konnte sich also wieder Ilya zuwenden.

Die Ärmste lag noch immer zusammengekauert vor der ganzen Menge. Es tat Link leid, dass er ihr diese Blöße geben musste. Dass er sie so zurichten musste … Doch es war für das Wohl der Welt … Doch es schmerzte sein Herz, dass er dafür diejenige, die er so sehr liebte, opfern musste … Und dass er nicht zu ihr konnte … Dass er kniff, weil er sich dadurch einer Gefahr aussetzen würde … Ilya …

„Ilya …“, rief er besorgt, „Geht es dir gut …? Erinnerst du dich …?“

Shans Schritte verklangen, als sie neben ihm stehen blieb. Er sah zu ihr.

Doch sie würdigte ihn keines Blickes.

Stattdessen sah sie kurz zu Zelda herüber. Danach wandte sie sich wieder Ilya zu. Und sie schritt weiter.

Niemand unternahm etwas dagegen, dass Shan weiterging.

Link wollte ihr nach. Doch er hielt sich davon ab.

Vielleicht hatte Shan bereits einen Stein über ihre Herkunft ins Rollen gebracht …?

Vielleicht …

Shan schritt langsam die Treppen nach oben und kam vor Ilya zum Stillstand. Die Bediensteten sahen Shan ehrfürchtig an und verzogen sich einer nach dem anderen. Doch Ilya hielt sich alleine über dem Boden. Ihr Blick traf letztlich auf Shan – und entblößte pures Entsetzen.

Shan lächelte sie kurz an und sah daraufhin zu Link. Ihr Lächeln verschwand.

„Sie erinnert sich wieder“, gab sie kalt bekannt.

Er grinste hocherfreut. Endlich! Es war ihnen gelungen! Sie hatten Ganondorf einen Strich durch die Rechnung gemacht! Er sah kurz zu Zelda. Auch ihr schien es wieder halbwegs gut zu gehen …

„Ich hoffe, die Wiedersehensfreude ist nicht allzu groß“, sprach Shan weiter und verschränkte dabei streng die Arme. Ihr Blick strahlte eine ungewohnte Kälte aus. Und sie traf Link, „Denn sie wird nur von kurzer Dauer sein.“

Und mit diesen Worten sprang sie auf Link zu.

Mittellos

Mittlerweile lag sie am Rücken und sah in Kilass’ Gesicht. Er saß auf ihrem Magen und drücke ihren Körper auf den Boden. Er bemerkte es immer wieder, wenn sie wegdämmerte. Und er sorgte dafür, dass sie zurückkam. Auf schmerzhafte Weise.

Und darum blieb sie hier. Am Holzboden.

„Yurai war am Ende, als ich sie gefunden habe!“, schrie er sie an, „Geschunden und kraftlos! Angeschrieen hat sie mich! Doch kein Wort hat sie mehr herausgebraucht! Ohne Mirai sinkt all ihre Lebensqualität mit jeder Sekunde! Ich habe ihr meine kompletten Kräfte geschenkt! Ich habe sie aufgebaut! Ich habe ihr das Leben ermöglicht!“, brüllte er Terra an. Er kam extra näher zu ihrem Gesicht.

Seine Stimme donnerte in ihren Ohren. Jedes Wort brannte sich in ihren Gedanken fest. Er … Alles hatte er getan …

„Und wie wurde mir gedankt?!“, beschwerte er sich, „Wie!?“ Er spuckte abwertend aus.

„Ich wurde aus dem Fenster geworfen, in das eiskalte Wasser! Wahrscheinlich hat sowieso niemand daran geglaubt, dass ich je zurückkehren würde!“, begehrte er auf, „Immerhin hatten sie jetzt dich !“ Er knirschte mit den Zähnen. „Dich, du kleine Hexe.“

Sie … Es war ihre Schuld … Seine Wut …

„Aber das wäre nicht mein Problem gewesen! Denn ich kam zurück!“, erzählte er lauthals, „Ich kam zurück! Und wer hat mir Kraft gegeben? Es war nicht Azur! Yurai hat mir keine Gedanken geben können! Weil ich ihr bereits meine Kraft gegeben hatte! Wen sucht sie sich aus?! DICH!“ Er ohrfeigte Terra.

Plötzlich fühlte sie sich wach. Ihre Wange brannte. Mehr Schmerzen …

Azur … Er und Yurai … Sie brauchten bestimmt Hilfe …

„Und wem gibt Azur seine Kraft?! DIR! Du hast ihn mir weggenommen!“

Mit einem Satz stand er auf. „Und jetzt betraut er dich auch noch mit der Aufgabe, ihn zu beschützen. Dass ich nicht lache!“ Er ging weg von Terra. Langsam. Er schritt auf Azur zu.

„Als könntest ein Mensch wie du ihn beschützen … Oder gar die Weiße Fee.“ In seiner Stimme klang Verbitterung mit. Und noch immer die Wut. Aber er schien sich abgeregt zu haben …

„Ich habe Azur alles erzählt, was ich von Yurai erfahren hatte“, erklärte er plötzlich unerwartet ruhig. Er stand vor dem Körper des Kapitäns. „Ich habe ihm von Yurais Wunsch zu sterben berichtet.“

Kilass’ Hände verkrampften sich. „Und er hat mir nicht zugehört. Er hat mir nicht geglaubt. Er hat mir widersprochen. Mir !“ Er atmete hörbar laut, erzürnt aus.

Er legte seine Hand auf Azurs Haar und strich sanft darüber. „Seinem zweiten Kommandanten.“ Sein Blick schweifte zu Terra. Die Wut aus seinem Blick war verschwunden. „Und jetzt kämpft er zusammen mit der Weißen Fee. Er kämpft einen verlorenen Kampf!“ Er ließ Azur los und schritt zu Terra zurück.

Er kniete sich vor ihr hin. „Wegen dir. Weil du dich unwissend in meinen Weg gestellt hast!“

„Azur und Yurai …“, hauchte Terra, „Sie … brauchen Hilfe …“

„Pah!“, machte er erneut, „Schon wieder schickt er dir die Hilferufe! Wieso kann er mir nicht vertrauen!?“ Die Verbitterung nahm nun überhand. „Wieso nur …?“

Er schüttelte den Kopf.

„Wenn er aufwacht, wird er mich umbringen. Er wird nicht zögern“, prophezeite Kilass. Er sah zu Terra hinunter, „Wie ich dich zugerichtet habe. Was ich Yurai antun werde. Er glaubt fest daran, dass Yurai zu retten wäre. Doch sie hat es mir erzählt. Mirai ist nicht mehr zu retten. Es ist vergeben. Alles.“

Er schritt aus dem Raum. Nach einem kurzen Moment kam er zurück. In seiner Hand hielt er ein Schwert.

„Kilass … Tu es nicht …“, bat ihn Terra leise und geschwächt.

Er widmete ihr einen kurzen, verzweifelten Blick. „Ich muss es tun. Ich habe es Yurai versprochen.“ Er ging zu Terra zurück. Und er hielt das Schwert über sie. Er hielt den Griff fest. Die Klinge stand über Terras Herzen.

Sie schloss die Augen. Wenn er sie jetzt umbrachte … was sollte sie dagegen tun?

Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln. Sie würde Azur und Yurai nicht beschützen können … Azur würde Yurai rächen … Und Kilass wäre ebenfalls dem Tode geweiht … Dabei wollte er doch nichts Schlechtes … Er wollte nur Yurais Wunsch erfüllen …

Und er hasste sie … Weil er glaubte, dass alles wegen ihr schief lief … Dass er wegen ihr diese Aufgabe zu meistern hatte … Sie …

Die Tränen rannen ihr übers Gesicht.

Und sie rechnete damit zu sterben.

Doch es geschah nichts.

„Ich kann es nicht …“, erklang Kilass’ Stimme nach kurzer Zeit. Er klang leise. Er klang gebrochen.

Terra öffnete die Augen ein wenig. Tränen rannen über Kilass’ Gesicht. „Ich war wütend … Ich konnte dir Schmerzen zufügen …“, hauchte er, „Ich konnte dich verletzen … Ich wollte, dass du mich so hasst, wie ich dich hasse … Ich wollte, dass du dich wehrst … Dass du mir ein Ende bereitest, ehe ich zum Zuge kam … Doch du hast es nicht getan …“ Er ließ sein Schwert fallen. Es drehte sich in der Luft und landete teils am Boden, teils auf Terra. Doch es verletzte sie nicht weiter.

Kilass folgte dem Schwert. Er ließ sich auf den Boden sinken. „Wieso verlangt sie so etwas von mir? Yurai … Wieso kann sie nicht einfach daran glauben, dass wir ihre Schwester retten würden?“ Er klang kraftlos. Und genauso wirkte er auch. Müde, verzweifelt.

Terra sah zu Kilass. Ein Tränenschwall drang noch immer aus seinen Augen. Es passte nicht zu ihm zu weinen.

Sie hob angestrengt ihren Arm. Dabei verrutschte das Schwert ein wenig. Doch es war ihr egal. Sie legte eine Hand auf Kilass’ Fuß, welcher sich direkt in ihrer Nähe befand.

Er zuckte zusammen. Und er sah Terra mutlos an. Und maßlos enttäuscht.

„Mirai … wird es schaffen … Und Yurai … wird sich freuen …“, wisperte Terra geschwächt. Sie lächelte Kilass kurz an.

Und Schwärze nahm ihr Bewusstsein ein.

„Terra!“, erklang ihr Name.
 


 

Shans Schlag traf ihn wie ein Blitz. Er taumelte ungeschickt zurück. Weil er seinen Arm vor seinen Magen ausgebreitet hatte, konnte er ihr lediglich gekrümmt gegenüberstehen. Es ließ sie noch größer erscheinen.

Sie blieb kurz vor ihm stehen. Und ihr Blick strahlte Kälte aus.

„Shan … Was soll das?“, forderte er von ihr zu wissen. Was machte sie da? Was war los mit ihr? Sie hatte hart zugehauen. Sein Bauch fühlte den Schlag noch immer. Er hielt ihn sich weiterhin.

„Du hast alles durchkreuzt“, erklärte sie ihm genervt. Dabei zog sie ihre Augenbrauen wütend zusammen. „Alles“, zischte sie.

„Was redest du da?“, fragte er sie.

Sie schritt gefährlich langsam auf ihn zu. Dabei flatterte ihr Rock unermüdlich. Auch der Mantel, den sie trug, unterstrich ihr Auftreten.

Er wollte stehen bleiben. Doch von ihr ging eine gefährliche Aura aus. Er wich einen Schritt zurück.

„Erst gelangst du zu ihr“, begann Shan ihre Aufzählung. Dabei streckte sie die Hand aus.

„Danach bekehrst du sie“, fuhr sie fort und spreizte ihre Finger, welche von einer dunklen Aura umgeben wurden.

„Und zuletzt durchbrichst du meinen Zauber!“, brüllte sie ihn an, während in ihrer Hand ein schwarzes Schwert erschien. Tiefschwarz, mit einem roten Rubin am Griff. Und gefährlich scharf.

Mit der Verfestigung des Schwertes sprang Shan erneut auf ihn zu. Und sie schlug mit dem Schwert in Richtung seines Kopfes auf ihn ein.

Doch er wich sofort zurück. „Shan!“, rief er überrascht. Wieso …? Wieso tat sie das!? Das war doch Shan! Sie hatten doch keine dritte, böse Drillingsschwester!

„Meister Ganondorf zählt auf mich“, erzählte sie ihm erzürnt, „Und du zerstörst sämtliche Planung!“ Erneut hieb sie aggressiv auf ihn ein. Und wieder ließ er sich nicht von ihren Hieben treffen.

Er sollte besser auch sein Schwert ziehen, aber … er konnte doch nicht sein Schwert gegen Shan erheben! … Er konnte sich aber auch nicht von ihr umbringen lassen!

Vielleicht war es ein Marionettenspiel wie bei seinem letzten Kampf gegen Ganondorf? Bedeutete das, dass Ganondorf bereits erwacht war?

„Shan!“, flehte er, „Bitte, hör auf dam- …“ Sie unterbrach ihn, indem sie mit dem Schwert an seine Wange kam und einen Schnitt hinterließ. Hätte er nicht gerade seinen Kopf bewegt, wäre dieser Stich ins Auge gegangen. Wortwörtlich. Die kleine Wunde brannte.

„Schweig!“, knurrte sie ihn an, während sie erneut einen Schlag gegen ihn ausübte, dem er auswich.

„Verdammt! Was soll das?!“, fragte er sie. Langsam machte sie ihn wütend. Wieso tat sie das …? Warum griff sie ihn an?

Doch sie ließ sich von seinen Worten nicht aufhalten. Hieb um Hieb lenkte sie gegen ihn und jedes Mal wich er aus. „Ich kämpfe nicht gegen Freunde!“, ließ er verlauten.

„Dann stelle dich darauf ein, mich Feind zu nennen“, forderte sie ernst von ihm und führte daraufhin einen Schlag knapp an seinem Hals vorbei, „Oder stirb einfach“, bot sie ihm kühl an.

Er glaubte, sich verhört zu haben. Doch er sah ihren Blick. Sie war wütend. Und diese Wut richtete sich gegen ihn. Und weil ihr Blick auf ihm haften blieb, kam ihr Schwert immer und immer näher und immer genauer kam es auf gefährliche Stellen an seinem Körper zu. Für sie gab es derzeit wohl nur ihn.

Und für ihn nur sie. Er musste ausweichen, ihr entkommen!

„Ich tu dir ganz sicher nichts!“, rief er bestimmt und sprang mit einer Rolle an ihr vorbei. Er beeilte sich, weit weg von ihr zu kommen.

Sie drehte sich langsam um und kam graziös langsam auf ihn zu. Schon wieder.

Jetzt zog er sein Schwert. Okay, sie würde nicht von ihm ablassen.

Und er würde sie einfach nicht angreifen! Er würde sich verteidigen, bis der Zauber verfiel!

Shan schenkte ihm ein mörderisches Lächeln, als er das Schwert in den Händen ließ. Erneut sprang sie auf ihn zu. Von erhöhter Position schlug sie auf ihn ein. Und ihr Schwert traf das seine. Metallisches Klirren erfüllte den Raum. Und Link parierte.

Der Druck, den Shan ausübte, war kaum auszuhalten. Kräfte wirkten, die er nicht verstand. Benutzte sie etwa Magie? Nein … das war doch nicht möglich, oder?

„Shan! Erinnere dich! Ich bin es – Link!“, rief er verzweifelt.

„Keine Angst“, gab sie zurück als sie einen Angriff beendete und etwas entfernt auf dem Boden landete, „Ich bin längst nicht so vergesslich wie deine kleine Freundin.“

„Was redest du da …?“, wollte er von ihr Wissen. Was …? Was nur? Wieso tat Shan all das? Wieso attackierte sie ihn? Wieso?

Shan streckte das Schwert von sich. Es zeigte direkt mit der Spitze auf Link. „Ich hätte dich schon damals töten sollen, als du nichts ahnend vor diesem Grabstein gestanden hast. Es wäre schnell gegangen und einfach gewesen“, ließ Shan mit kühlem Bedauern verlauten, „Es hätte mir vieles erspart.“

„Was … Wieso … Shan! Wer zwingt dich dazu? Wer? Wer ist Ganondorfs …“, wollte Link von ihr wissen. Doch er wurde unterbrochen.

„Diesen Fehler werde ich jetzt am besten nichtig machen!“, bestimmte sie, „Meister Ganondorf sollte immerhin ein erfreutes Erwachen genießen.“ Sie sprang schwebend auf ihn zu. Wäre er nicht auf den Boden gerutscht und an ihr vorbei gerollt, hätte sie ihn durchbohrt. Sein Schwert behielt er bei sich. Sofort erhob er sich wieder.

„Meister Ganondorf!?“, wiederholte Link schockiert, „Shan … Du redest …“

„Ich spreche die Wahrheit“, donnerte sie. Und mit ihrem Schwert vollführte sie den nächsten Angriff gegen Link. Er hob sein Schwert und beschützte sich damit. Sie war nahe bei ihm. Ihr vor Wut verzerrter Mund und ihre vor Zorn blitzenden Augen wirkten bedrohlich. Er erkannte sie kaum mehr wieder.

War sie wirklich die Frau, die ihn die letzten Wochen lang begleitet hatte? Die, von der er sich noch heute verabschiedet hatte? Sie wirkte so verändert … Wütend … Wütend auf ihn … Wie sie von Ganondorf sprach … Ihre Stimme. Ihre ganze Erscheinung. Alles war anders …

Weshalb?

„Lediglich die Wahrheit“, fügte sie entschlossen hinzu. Sie lenkte dabei mehr Kraft in ihr Schwert. Link rutschte zurück. Mit einem letzten Kraftstoß stieß sie sich von Link ab und erhob sich in die Lüfte.

Link hielt sein Schwert ein wenig über sich, um etwaige Angriffe aus der Höhe im Vorhinein abwehren zu können.

„Shan, komm doch zu dir!“, flehte er sie an, „Hör auf, mich zu attackieren … Ich … Ich bin es – Link!“ Er versuchte es erneut mit dem Zureden. Vielleicht wirkte auf sie derselbe Zauber wie auf Ilya … Aber sie wirkte so anders … An ihr wirkte alles so echt. Überzeugt .

Erneut fuhr sie mit dem Schwert herab. Diesmal holte sie zuvor aus, um den Schwung in ihren Schlag mit ein zubringen.

„Du bist wirklich naiv“, zischte sie, als ihr Schwert das seine erreichte. Weil er es in erhobener Position gehalten hatte, krachten sie aneinander. Er erwartete, dass Shan sich wie zuvor auf das Schwert stützen würde, um ihn niederzudrücken.

Doch sie änderte ihre Taktik. Sie schlüpfte unter dem Schwert hindurch und trat mit den Füßen gegen Links Brust. Dieser unverhoffte Schlag führte dazu, dass er stark zurücktaumelte und letztendlich fiel. Er lag am Rücken. Am Boden. Weil er für diesen Moment aus dem Gleichgewicht geriet, konnte Shan die Chance dazu nutzen, sein Schwert wegzuschlagen. Es klimperte, als es auf den Fliesen aufschlug. Es lag neben ihm.

Sie trat es achtlos zur Seite, sodass er nicht mehr an es herankam.

Dann stand sie vor ihm. Augen wie Stahl durchbohrten ihn.

Und sie hob das Schwert.
 

Terra befand sich in Azurs Welt. Doch die Verbindung bröckelte immer wieder.

„Azur!“, rief sie, wobei sie bemerkte, dass sie plötzlich viel aufgeweckter war als zuvor. Von den Verletzungen der anderen Welt spürte sie nichts mehr.

Yurai flog um eine große, dunkle, schwarze Mauer herum, die sämtliche Kräfte abblockte.

„Wie sollen wir sie hier herausholen?“, wollte Terra von ihm wissen, als er zu ihr flog.

Azur sah sie halb verzweifelt an. Seine Haare standen unordentlich von ihm ab und sein Gesicht war eine Mischung aus Wut und Sorge. „Sie ist verrückt!“, befand er aufgeregt, „Verrückt!“

Terra blinzelte ihn irritiert an.

„Sie kämpft immer und immer wieder gegen die Mauer! Doch dieser Mauer tut es einfach nicht weh, dass man sie berührt! Weder mit Körper noch mit Magie!“, beschwerte er sich, „Yurai verausgabt sich! Auch wenn in dieser Scheinwelt hier die Kraftreserven anders sind – sie können dennoch enden! Und sie weiß das!“

„Aber …“, begann Terra. Plötzlich befand sie sich wieder in der anderen Welt. Sie lag am Holzboden. Von Schmerzen übersäht. Kilass hatte sich mittlerweile von ihr abgewandt. Er starrte auf Yurai.

„Nicht …“, sprach Terra angestrengt zu ihm. Doch ihr Bewusstsein entfloh sofort wieder in die andere Welt.

„Wie bekomme ich das unter Kontrolle?!“, tobte Terra voller Energie. Sie glaubte, sie könne die Mauer auf der Stelle umreißen. Doch sie unterließ es, da sie sich der Täuschung bewusst war.

„Ich habe versucht, mit ihr zu reden“, machte Azur weiter, „Aber sie hört einfach nicht auf mich!“ Dann sah er Terra kühl an. „Ah, du bist wieder da.“

„Wieso könnt Ihr beständig hier bleiben? Hat das etwas mit diesem Tanz zu tun?“

Sie hatte ihm nicht gesagt, dass Kilass Yurai umbringen wollte. Er hatte auch noch keine Andeutungen gemacht, dass Terra gar nicht hätte hier sein sollen. Vielleicht glaubte er also nicht daran, dass Kilass einen Versuch unternehmen wollte …

Er sah kurz beleidigt zur Seite, wandte den Blick dann aber wieder ihr zu. „Dieser … Tanz – wie du ihn nennst - … er hat dazu gedient, Mauerreste zu finden“, erklärte er ihr ruhig, „Sodass ich meinen Weg zu Yurai finden konnte. Dabei habe ich Reste meiner Energie verwendet. Diese Energie liegt nun im Raum, in dem wir uns befinden … Und sie wird solange dort verweilen, bis jemand sie an sich nimmt.“ Er schwieg für einen Moment. „Ich will, dass Yurai sie erhält. Wenn ich hier für sie Stellung halte, …“

„Was?!“, fuhr Terra ihn an, „Nein!“ Sie sah ihn schockiert an. „Ihr … Ihr könnt doch nicht hier bleiben! Ihr habt ein Schiff zu lenken – ein Königreich!“

Er drehte sich von ihr weg. „Ich bin nicht zum Herrschen geeignet. Und Yurais Wohlergehen ist für die Welt wichtiger als das meine.“

„Aber … es gibt viele, die das anders sehen …“, wandte Terra betrübt ein.

„Kurzsichtige Narren“, kommentierte er, „Sie erkennen die Folgen nicht. Ein neuer König ist schnell gewählt. Die Geburt von Zwillingsschwestern kann ewig dauern. Und in dieser Zeit sind Feen stark ungeschützt. Für das Wohlergehen meines Volkes …“

„Nein!“, widersprach Terra. Sie umrundete ihn, „Nein! Ihr kommt gefälligst zurück!“, befahl sie, „Ohne Widerrede!“ Sie sah ihm entschlossen in die Augen.

Weiße Federn stoben nach unten und überschütteten Terra. Sie und Azur schauten gleichzeitig hoch. Und ehe sie sich versahen, stürzte eine weißhaarige Frau nach unten. Azur fing sie sofort auf, sodass sie nicht einmal den Boden berührte.

Die Fee keuchte angestrengt.

„Yurai!“, stellte Terra laut fest, „Bleibt gefälligst hier! Strengt Euch nicht zu sehr an …“

„Schweig“, fuhr sie sie an. Sie packte Azurs Schultern und drückte ihn nach unten, um sich selbst wieder in die Lüfte zu erheben. Ihre Flügel sahen sehr mitgenommen aus. Es war an sich bereits ein Wunder, dass sie überhaupt noch fliegen konnte. Sie benutzte den Druck, um sich wieder in die Luft zu stoßen. Erneut attackierte sie die schwarze Mauer, die sie von der Höhle abgrenzte. Sie waren vor der Höhle. Aber nicht in dem Zustand, in dem Terra sie verlassen hatte. Die Mauer war komplettiert. In der Zwischenzeit musste sie jemand wieder aufgebaut haben. Yurai hatte wahrscheinlich die Hoffnung, dass sie sie wieder zum Bröckeln bringen konnte …

„Yurai“, murmelte Terra, „Wieso …?“

„Sie möchte Mirai unbedingt retten … Aber sie glaubt, es sei zu spät. Darum möchte sie sich selbst ins Verderben stürzen“, klärte Azur sie auf, „Ich muss sie aufhalten! Sie weiß nicht, was sie tut …“

„Nein! Nein! Nein!“, rief Terra dann, „Das ist alles so falsch!“ Sie schüttelte den Kopf, „Alles ist so …“

Ein Zucken durchfuhr ihren Körper, weshalb sie wieder ihre Augen öffnete. Sie atmete schwer. Aber sie glaubte, dass ihr Körper sich bereits wieder erholte. Auf diesem Holzboden zu liegen, war keine feine Angelegenheit, aber je öfter sie das Bewusstsein verlor, desto besser schien es ihr danach zu gehen.

Sie schloss erneut die Augen. Terra fragte sich, ob sie Azurs Energie benutzen hätte können … Aber nein, eher nicht. Außerdem war sie für Yurai reserviert.

Sie selbst war zwar nicht gerade kräftig, aber auch sie hätte ihre Kraftreserven für Yurai aufwenden können. Immerhin brauchte sie sie in der anderen Welt nicht zwingend.

„Kilass?“, wisperte sie. Sie drehte den Kopf ein wenig zur Seite, um direkt zu ihm sehen zu können. Er hatte das Schwert wieder in der Hand.

Sein Blick traf auf sie. „Ich muss …“, hauchte er.

„Nein …“, widersprach sie ihm leise und stockend, „Nein … Du … Bitte … hilf mir … Hilf mir … und du hilfst Azur und Yurai …“

Kilass’ Augen weiteten sich. „Er hat schon wieder zu dir …“, erkannte er erschrocken.

„In etwa …“, wisperte sie bestätigend, „Bitte … Es könnte … das Schicksal der Welten bedeuten …“

Er hielt das Schwert in der Hand, während er aufstand und sich direkt neben sie stellte. Von oben sah er auf sie herab.

„Was?“, fragte er unfreundlich.

Terra lächelte. „Hilf mir bitte hoch … Ich … Ich muss zu … Yurai …“, murmelte sie.

Sein Blick verhärtete sich.

Angst machte sich in ihr breit. Was, wenn er wieder böse reagierte? Sie erneut schlug?

Aber er bückte sich und zog sie an den Händen auf.

Dank der Schändung ihrer Glieder, schmerzte diese einfache Bewegung vollkommen, doch sie biss mutig die Zähne zusammen und versuchte durchzuhalten. „Danke …“, flüsterte sie.

Als sie stand, lehnte sie sich an Kilass’ Seite, um ihn als Stütze zu benützen.

Er gab das Schwert nicht aus der Hand.

Aber sie ignorierte diese Tatsache und ließ sich von ihm zum wenig weit entfernten Bett geleiten.

Davor blieben sie stehen.

Terra sah Yurai an. Sie überlegte, wie sie Yurai am besten die Energie schenken konnte. Sie musste ihre Energie verlieren. Aber wie? Zum Herumtanzen hatte sie nicht die Kraft.

Sie lehnte noch immer gegen Kilass’ Körper, um aufrecht stehen zu bleiben. Sie zwang ihr Bewusstsein, anwesend zu bleiben. Sie musste erst die Kraftreserven loswerden. Dann durfte sie zurück. Azur musste Yurai derweil selbst besänftigen …

Sie hoffte, dass er das schaffte.

Kilass schaute währenddessen unentwegt in Yurais Gesicht.

Terra folgte seinem Blick. Das Gesicht war weiterhin schmerzverzerrt. Letztlich hatte Terra erfahren, was diese Fee so sehr quälte. Sie selbst. Sie selbst und der Glauben an einen Verlust … Und die verlorene Hoffnung auf einen Sieg.

„Wir müssen … ihr helfen“, bestand Terra, „Wir müssen.“

„Sie will sterben …“, hauchte Kilass, „Wahrlich … Sie will. Ihre Miene …“

„Nein …“, konterte Terra sogleich, „Nein, das ist ein Irrtum …“

Sie würde ihre Meinung nicht ändern. Sie würde Yurai beschützen. Komme, was wolle.

„Ich muss ihr Folge leisten …“, murmelte Kilass, „Sie ist meine Herrin.“ Das Schwert, welches er noch immer in der Hand hielt, schoss plötzlich nach oben. „Findet Euren Frieden …“

Er stach zu. „Yurai.“

Und ehe Terra es realisierte, reagierte ihr Körper. Sie schoss nach vorne. Sie fing das Schwert ab.

Mit ihrem Körper. Hindurch. Durch ihre Brust.

Sie kippte zurück.

Und rotes Blut besudelte das reine Weiß der Weißen Fee.

Mittsommer

Link starrte auf die metallene Klinge, die über ihm schwebte. Fest in Shans Griff. Und ihr war anzusehen, dass sie nicht zögern würde. Nein. Er konnte jetzt nicht aufgeben. Er durfte jetzt nicht aufgeben. Nicht, wo er so weit gekommen war.

Das Schwert fuhr hernieder.

Mit einer geschickten Seitwärtsbewegung wich er aus, obwohl er nicht so viel Freiheit hatte, da Shan mit ihren Beinen, die breit neben ihm standen, eine Art Grenze für ihn bildete. Das Schwert durchbohrte den Boden direkt neben Link. Bevor er zum Erheben ansetzte, begutachtete er kurz das Loch, das es hinterließ. So viel Kraft … Und mit dieser Kraft wollte sie ihn treffen?

Er hievte sich hoch, während Shan an ihrem Schwert zog, wobei er sich erst ein wenig zurück bewegen musste. Doch er wurde von ihr nicht abgehalten. Sie versuchte, ihr Schwert wiederzuerlangen. Aber es schien im Boden zu stecken. Dafür erntete er einen weiteren bösen Blick ihrerseits. Seine Chance war gekommen!

Er hastete zu seinem Schwert, hob es im Laufen hoch und eilte zurück zu Shan, welche noch immer vergebens an ihrem Schwert riss. Es mochte lächerlich sein, doch dabei wirkte sie erhaben. Es wirkte wie Kalkül und nicht wie Unglück. Es wirkte … gezielt.

Als er nahe an sie heran kam, drehte sie sich zurück zu ihm, um ihn unbegeistert anzusehen.

Er blieb kurz vor ihr mit erhobenem Schwert stehen. Er richtete es gegen sie.

„Ich greife dich an“, warnte er sie entschlossen vor.

„Damit kommst du aber früh“, gab sie unbeeindruckt zurück. Dabei zog sie erneut am Schwert.

Sie machte sich aber nicht einmal die Mühe, irgendwie in defensive Stellung zu gehen.

„Wirklich!“, beschwor er ihr.

Also gut – er musste es tun. Er musste sie außer Gefecht setzen! Er … Er musste sie angreifen. Er würde nicht ewig gegen sie kämpfen können. Er würde Zeit brauchen, Ganondorfs wahren Schergen zu finden.

Plötzlich trat ein herausforderndes Lächeln auf ihre Lippen. „Beweis es!“, forderte sie von ihm. Sie drehte sich von ihrem Schwert weg und stellte sich mit offenen Armen vor ihn. „Beweis es und greife mich an!“

Und plötzlich wusste er nicht mehr, was er tun sollte.
 


 

„Link!“, rief Ilya verzweifelt. Sie stand vor der gelben Mauer aus Magie und schrie seinen Namen. Aber er antwortete nicht. Ilya konnte nicht hinein sehen. Sie wusste nicht, was geschah. Doch sie hoffte, dass es Link gut ging. Sie hoffte es wirklich …

Diese … Diese Frau, die bei Link war … Ilya kannte sie. Sie war es, die sie in Ordon zuletzt gesehen hatte. Sie war es, die manchmal zu ihr kam und ihr irgendwelche Dinge ins Ohr flüsterte …

Zumindest glaubte Ilya das. Sie war sich nicht sicher, ob diese Erinnerungen echt waren. Jemand, der an ihren Erinnerungen herumzaubern konnte …

Sie erschauderte. Wie konnte das nur möglich sein?

Ilya war immer der Meinung gewesen, dass zumindest die Erinnerungen einem selbst gehörten – und verändert und rein …

Aber dieser Monat hatte ihr das Gegenteil beweisen … Nichts gehörte ihr wirklich. Gar nichts.

Sie faltete die Hände. „Bitte, Link … Lebe …“, wünschte sie sich leise flüsternd.

Nein. Einer Sache war sie sich sehr wohl sicher … Sie wollte, dass Link siegte und lebte.
 


 

Und wieder einmal hatte Zelda festgestellt, dass Nichtmagier sehr ängstlich auf Magie reagierten. Als diese Frau, Shan - die Midna so sehr ähnelte - das Magische Feld aufgezogen hatte, flohen die menschlichen Soldaten. Und viele der adeligen Zuschauer. Einige mutige, schaulustige Damen und Herren waren geblieben, doch sie mischten sich nicht ein.

Zelda schaute die Mauer aus Magie an. Link befand sich darin. Vermutlich kämpfte er.

Dieser Anblick rief Erinnerungen in ihr wach. Erinnerungen an den Kampf … Auch damals war sie für ihn nicht von Nutzen gewesen. Und schon wieder vermochte sie nichts Weiteres zu tun, als für ihn zu hoffen und zu beten.

Die Mauer umschloss den Halbkreis, den Links Freunde zuvor gebildet hatten und endete direkt am Rand des Podiums, das Ilya aufgestellt hatte. Und dieses Kraftfeld war stark. Sehr stark. Zelda vermochte es nicht zu berühren, ohne an Energie zu verlieren.

„Shan …“, murmelte sie leise.

Sie schloss die Augen. Sie erinnerte sich. Sie glaubte, ihre Erinnerungen wären wieder vollständig. Sie erkannte jeden wieder. Sie vermochte genau zu sagen, was geschehen war.

Alles …
 

Zelda saß auf ihrem Thron, umgeben von Wächtern und Beratern. Neueste Angelegenheiten gab es zu klären. Verschiedene Anlässe waren zu besprechen.

Also gab es kaum eine Veränderung. Das war soweit gut. Immerhin verhieß es Frieden.

„Die Feen sind in Aufruhr“, fuhr der nächste Sprecher fort, dem Zelda lauschte.

Zelda legte den Kopf schief. „In Aufruhr?“, wiederholte sie fragend.

„Man weiß nicht weshalb. Aber aus irgendeinem Grund benehmen sie sich äußerst seltsam“, beendete er seinen Bericht.

„Schickt einen Investitionstrupp zu ihnen. Ich möchte wissen, ob wir ihnen zur Seite stehen können …“, entschied Zelda nach kurzem Nachdenken. Die Feen in Aufruhr … Woran konnte das liegen?

„Entschuldigt, Eure Hoheit“; unterbrach ein anderer Berater ihre Gedankengänge, „Doch vielleicht bin ich in der Lage, den Grund für die Verhaltensänderung der Feen zu erklären?“

„Sprecht“, forderte sie ihn gebieterisch auf.

„Ihr habt ein Einladungsschreiben zur Hochzeit und Krönung des Feenprinzens Azuor und der gnädigen Dame Zherenh erhalten. Vermag dies als Grund zu genügen?“

Zelda nickte, um zu verstehen zu geben, dass sie ihn gehört hatte. Eine Hochzeit als Grund für einen Aussetzer, der sogar an ihre Ohren gelangte? War das nicht ein wenig zu übertrieben? „Ich möchte, dass die Untersuchung trotzdem stattfindet“, sagte sie, „Und ich bitte Euch, der Einladung zuzusagen. Es wäre mir eine Ehre …“

Ein Klopfen unterbrach ihre Worte.

Das Tor wurde geöffnet und ein ziemlich verwirrt dreinschauender Berater lugte hinein. „Eure Hoheit?“, begrüßte er sie, „Ein Gast … aus dem Schatten.“

Aus dem Schatten? Doch nicht etwa … Midna?

Nein. Eine Königin hatte doch keine Zeit … Nicht wahr?

„Gewährt den Eintritt“, erließ Zelda. Ihre zarten Finger, die unter Handschuhen versteckt waren, verkrampften sich. Wie gelangte ein Schattenbewohner in das Reich des Lichtes zurück. Hatte es etwas mit dem zerstörten Spiegel zu tun? Hatte jemand die Splitter zusammengetragen? War es auf Midnas Befehl hin geschehen? Weshalb?

Sie würde es hoffentlich erfahren.

Der Berater schubste das Tor zur Gänze auf.

Und nach einem kurzen Moment schritt jemand den Gang entlang. Ihr rotes Haar, das die Farbe von Feuer trug, versteckt unter einem Mantel nach dem Schnitt des Herkunftslandes. Freizügige Bekleidung und ein schelmisches Lächeln, welches von klugen Augen unterstützt wurde.

Graziös schritt die Frau voran. Selbstsicher und anmutig – genau wissend, dass sie hierher gehörte. Und doch umspannte sie eine Art Neugierde.

Zelda war sich sicher. Nicht nur, dass sie das Gesicht wieder erkannte – auch den Auftritt, die Ausstrahlung.

Sie erhob sich von ihrem großen Sessel und trat zwei Treppen nach unten, ehe sie mit einer Hand an ihr Herz fuhr und die andere Frau anlächelte.

„Midna!“, rief sie erfreut aus, „Ihr seid …“

Sie brach ab, als der Blick der Frau sie traf. Sämtlicher Humor war aus ihren Augen verschwunden. Mit einem Mal erkannte sie sie nicht wieder. Sie wirkte so verändert … So … böse. Das war nicht Midna.

Nein. Wieso sollte auch eine Königin sie besuchen?

Das war auf keinen Fall Midna.

„Wie seid Ihr hierher …“, fragte Zelda leise.

Durch das geöffnete Tor schritt eine weitere Person. Blondes Haar, smaragdgrüne Augen und ein betäubter Blick zeichneten jene kleine Frau aus, welche der Schattenfrau folgte.

„Eure Hoheit!“, rief ein Wachsoldat hinter ihr.

Sie wandte sich kurz um.

Doch der Mann sah nicht sie an. Sein Blick war auf den Neuankömmling gerichtet.

Zelda zog verunsichert die Stirn kraus. Was hatte das zu bedeuten …? Wer war diese Person? Sie kannte sie nicht …

Sie schaute erneut zu der Person die Midna so ähnelte.

Sie schenkte ihr ein zartes Lächeln. „Lügen sollen bestraft werden“, zitierte sie. Und mit diesen Worten wandte sie sich ab und ging auf die blonde Frau zu. Sie legte ihr einen Arm auf die Schulter und sagte: „Ich hoffe, Ihr wisst, was mit Eindringlingen geschieht.“ Dann löste sie sich in schwarzen Rauch auf.

Was passierte hier gerade?

Sie ging weitere Treppen nach unten.

„Wieso trägt diese Frau meine Kleidung und mein Diadem?“, begehrte die blonde Frau zu erfahren, als Zelda sich ihr näherte. Sie zeigte auf sie.

„Wachen, ich möchte, dass ihr diese Verräterin aus dem Weg schafft!“, befahl die kleine Frau, „Und gebt mir meine Sachen wieder.“

Zelda wurde an den Schultern gepackt und festgehalten.

Sie wollte sich wehren, doch ehe sie sich versah, stieß ihr jemand ins Genick. Bewusstlosigkeit brach über sie hinein.
 

„Du bist ziemlich zäh“, erklang eine sanftmütige Stimme. Sie wirkte weit entfernt. Doch sie schien sehr nah zu sein. Zelda öffnete verwirrt die Augen. Dunkelheit und Kälte umgaben sie. Wo war sie hier …?

„Ich glaube, dein Triforce beschützt dich“, erzählte sie weiter. Zeldas Augen suchten den Sprecher. Die Frau mit dem Feuerhaar … Was machte sie hier?

Sie hielt Zeldas linke Hand in ihrer eigenen. Sie schien sie zu begutachten … Ihr Triforce …

„Du liegst im Schlossgarten. Sie werden sich um dich kümmern. Wenn ich dich noch einmal bearbeite, solltest du dich an nichts mehr erinnern können“, erklärte sie unbesonnen, „Aber ich hoffe für dich …“ Ihr Tonfall nahm einen ernsten Klang an. „… Du erinnerst dich an folgende Worte.“ Sie machte eine kurze Pause. „Halte dich von diesem Ort fern!“

„Hey, da hinten liegt jemand!“, ertönte plötzlich eine weitere Stimme. Schritte wurden laut.

Die Frau löste sich erneut in schwarzen Nebel auf.

„Der Eindringling von vorhin!“, knurrte ein Wachmann, „Los, schmeißt sie raus!“
 

Und ihre nächste Erinnerung begann mit kaltem Wasser.
 


 

Terra erschien wieder vor der Dunkelheitsmauer. Ihre Gedanken waren vollkommen klar. Es war, als hätte sie ihre ganze Energie zurück gewonnen. Sie fühlte sich unbesiegbar. Unsterblich.

Sie lief über den Steinboden hinüber zu Azur. „Azur!“, schrie sie, „Ich bin wieder da!“, verkündete sie dann, „Ich hoffe, ich habe es auch geschafft, Yurai meine Energie drüben zu lassen.“

Er zog eine Augenbraue nach oben. „Ich bin positiv überrascht“, kommentierte er, „Ich glaube, ich werde dich befördern müssen. Aber …“ Er deutete nach oben. „… zuerst müssen wir zusehen, dass Yurai unser Opfer auch annimmt.“

Terra nickte. Weshalb auch immer sie jetzt so stark war … Es hatte sich gebracht! Sie fühlte sich, als könnte sie fliegen!

Vielleicht war es ihr auch möglich? Immerhin kämpfte sie gegen eine Mauer, wo keine Mauer mehr war. In einer Welt, in der sie erstarkt war, obwohl sie geschwächt wurde. Magie, die sie nicht verstand … Feen …

Warum sollte es also nicht möglich sein, dass sie plötzlich irgendetwas Abgedrehtes tat, das keinen Sinn ergab? Vielleicht konnte ihr Yurai das später erklären.

Nein.

Yurai würde ihr das später erklären. Und wenn sie sie dafür eigenhändig aus dem Bett schleifen musste!

Mit festem Blick starrte sie Yurai an, die noch immer sinnlos gegen die Mauer flog und immer wieder zurückgeworfen wurde – und wieder dagegen flog. Danach setzte sie wieder irgendwelche Magie ein, doch auch diese tat nichts weiter, als zurückzuknallen.

„Letztes Mal …“, begann Terra, als sie sich zurückzuerinnern versuchte, „Da hat sie mich gerettet und aus dieser Scheinwelt wieder heraus geworfen.“

Azur sah kurz zu ihr.

„Und dieses Mal werde ich uns alle hier herausholen!“, schwor Terra, „Diese Mauer bekommt mich nicht mehr klein!“

Und mit diesen Worten drückte sie sich vom Boden ab. Gegen jegliche ihrer wahren Erwartungen fiel sie nicht mehr zurück.

Sie blieb in der Luft. Kam immer weiter nach oben. Gelangte zu Yurai.

Das weiße Haar der Fee wehte bei jedem Angriff wild durch die Gegend. Ihr hübsches Gesicht war vor Anstrengung verzerrt. Wieder wurde sie getroffen.

Terra stellte sich hinter sie. Und wartete.

Es tat ein Krachen und Yurai wurde zurückgeworfen. Direkte gegen Terra. Wie erwartet.

Terra schnallte ihre Arme um die Hüften der Fee. Zwar bekam sie deren Federflügel ins Gesicht, doch es störte sie nicht weiter, während die beiden einige Schritte weiter zurück geworfen wurden.

„Lass mich los!“, befahl Yurai gebieterisch und begann unaufhaltsam zu zappeln.

„Wieso tut Ihr das?!“, wollte Terra von ihr wissen.

Egal, wie sich die Fee wehrte – Terra würde sie festhalten.

Sie ließ ihr den Ellbogen in die Rippen und versetzte ihr eine Rückwärtskopfnuss. Doch es fühlte sich für Terra nicht wirklich an. Also ignorierte sie es einfach.

„Jetzt hört mir zu!“, forderte sie von der störrischen Fee, die immer weiter um sich schlug.

Doch Terra hielt sie. Und sie würde sie immer halten. Bis sie zur Vernunft gekommen war. Sie wollte es nicht zulassen, dass sie sich weiter verletzte.

Nein. Jetzt nicht mehr.
 


 

Keine Spur von der Mauer. Und keine Spur von der Höhle.

„Aber … du hast sie doch auch gesehen, oder?!“, fragte Orb zum gefühlten tausendsten Mal nach, „Du hast doch!“

„Ja, ich habe sie gesehen“, antwortete Zherenh gelassen. Sie hatten sie gesehen. Diese Höhle. Sie hatten beide am Eingang gestanden, um zu überprüfen, ob die Mauer nicht doch weiter drinnen aufgezogen worden war. Doch nichts, was auf eine Barriere hingedeutet hätte, war dort. Nichts.

Nur die Höhle. Von ihrem Standpunkt aus hatten sie zweierlei Gestalten sehen können: Die Ganondorfs und die Mirais …

Es kostete sehr viel Überwindung, doch zu gehen.

Und jetzt war nicht einmal mehr der Eingang da.

„Und was sollen wir jetzt Azur erzählen?“, wollte Gardam wissen. Sie hatten die ganze Auskundschaftstruppe geholt, um ihnen die Höhle zu zeigen. Wie es ihnen aufgetragen worden war. Sie waren zu zweit gegangen, da ein Einzelgängerunternehmen zu gefährlich gewesen wäre.

„Kyrion“, verbesserte Zherenh ihn, „Sein Name lautet Kyrion.“

Gardam rollte genervt mit den Augen.

„Ich würde vorschlagen, dass bloß wir beide zu ihm gehen und ihm das erklären. Immerhin haben wir den Eingang noch gesehen“, schlug Orb vor, „Wie du mir zustimmst.“

„Du bist nicht verrückt“, fuhr Zherenh ihn an, „Der Eingang war da. Und jetzt hör bitte auf zu jammern.“ Ihr Tonfall war nicht gerade freundlich. Aber es irritierte auch sie sehr, dass dieser Höhleneingang von einem Moment zum nächsten verschwunden war.

„Wenn der Eingang in der Zwischenzeit wieder auftaucht …“, fuhr Orb dann fort, „… könnt ihr eure Arbeit erledigen und ihn durchforsten.“ Er ignorierte Zherenhs Zwischenrufe.

Schön.

Zherenh drehte sich weg und bahnte sich einen Weg an der Truppe vorbei. Orb folgte ihr.

„Verrückt …“, murmelte der Mann hinter ihr.

„Verrückt“, stimmte Zherenh ihm kühl zu. Wieso nur? Was war geschehen?
 

Nachdem Mydia diesen Anfall erlitten hatte und es ihr besser zu gehen schien, wirkte sie abwesend. In sich getaucht.

Miralle hoffte, dass es ihr gut ging. Dass alles in Ordnung war …

Alles hier war so seltsam. Als Link davon geredet hatte, die Welt zu retten, wollte Miralle eigentlich wirklich nicht so nah dabei sein. Vielleicht sogar etwas damit zu tun haben. Diese gelbe Mauer …

Sie saß neben dem Soldaten namens Claude und sah zu, dass er nicht verblutete. Bevor der Soldat, dem der Mann gegenüber gestanden war, die Flucht ergriffen hatte, hatte er sich die Zeit genommen, Claude mit der Faust ins Gesicht zu schlagen.

Scheinbar war Claude Soldat gewesen, ehe er sich für das Gastgewerbe entschied. Hatte er zumindest erzählt. Er sagte auch, dass er Shan kannte. Und dass er ehrlich nicht wusste, weshalb Link und sie plötzlich in dieser Mauer waren.

Miralle war in etwa gleich schlau wie er. Sie hatte keinen blassen Schimmer, was hier geschah.

„Kann ich Euch für einen Moment alleine lassen?“, fragte sie, dann reichte sie ihm ein neues Tuch, mit dem er sich das Blut abwischen konnte, „Es scheint ein wenig abgeklungen zu sein …“

Claude nickte, während er das Tuch dankend nickend annahm. „Selbstverständlich“, gab er ihr die Erlaubnis und kümmerte sich wieder um seine Nase.

Miralle mochte diesen Mann. Er wirkte ernsthaft sehr nett.

Sie erhob sich von ihrem Platz und schritt gemächlich auf Mydia zu, welche, im Gedanken versunken, direkt vor der Mauer stand. Als Miralle sie ansah, wirkte ihre Mitarbeiterin ziemlich verändert auf sie.

Doch was war anders? Ihr Auftreten? War etwas wie … Selbstsicherheit zu erkennen? Wissen?

„Mydia?“, fragte sie und stellte sich neben sie. Sie legte ihr eine Hand auf die Schulter, als sie den besorgten Blick in ihren Augen bemerkte. Sie schien durch diese Mauer hindurch sehen zu können. „Link und Shan schaffen das schon. Was auch immer da drinnen auf sie wartet … Sie packen es.“

Ihre Freundin nickte verstehend.
 

Shan stand noch immer wie am Silbertablett serviert da. Link sollte sie angreifen.

Ein Lächeln zierte ihre Lippen. Provokant und unfreundlich.

Doch … er konnte sich nicht dazu zwingen.

Sie hatte ihn begleitet. Sie hatte ihm Gesellschaft geleistet. Mit ihm gesprochen. Ihn zum Lachen gebracht. Ihm geholfen. Wie hätte er sie da angreifen sollen?

Auch nach dem, was sie getan hatte? Gut, sie hatte ihn attackiert. Aber er hatte es weitgehend unbeschadet überstanden. Sie war nicht sie selbst. Sie war nicht …

„Shan …“, begann er erneut, „Bitte, bitte – werde wieder normal!“, bat er sie flehend, „Ich … Ich kann nicht …“

Er ließ sein Schwert kraftlos fallen. Es klimperte, als es den Boden berührte und nicht sofort still liegen blieb.

Woher auch immer zuvor der Wille zu kämpfen gekommen war … er war verschwunden. Vielleicht war es auch kein Kampfeswille gewesen. Vielleicht war es lediglich die Hoffnung darauf, dass sie aufgeben würde.

Shans Augen verengten sich und durchbohrten ihn wütend. Aber dann setzte sie ein freundliches Lächeln auf. Und seit sie hier kämpften, war es das erste Mal, dass sie ihn ansatzweise wieder an die alte Shan erinnerte.

Doch ihr Blick strahlte nebenbei noch immer diese unzufriedene Kälte aus.

„Link“, sprach sie ungewohnt sanft und mitfühlend. Sie ließ ihre Hände sinken und lose neben ihrem Körper herbaumeln.

Und dann machte sie einen Schritt auf ihn zu. Ihr Schwert ließ sie im Boden stecken. „Link, Link, Link.“ Sie blieb direkt vor ihm stehen.

Er wich nicht zurück.

Er schaute zu ihr hoch. Direkt in ihre Augen. Und sie sah in die seinen.

Ernst sprach daraus. Ihr Lächeln wurde breiter.

Sie legte eine Hand an seine Wange und strich daran herunter. Es war die Wange, die sie mit dem Schwert getroffen hatte. Ein Schauer durchlief ihn. Gerade noch hatte sie ihn attackiert … und jetzt so etwas?

Wieso wollte sich sein Körper nicht wehren? Warum blieb er nur hier?

Ach ja … Weil er ihr vertraute.

Sie würde ihm nichts tun. Nicht jetzt.

Sie hatte immerhin nicht einmal ein Schwert.

Ihre Hand ruhte kurze Zeit weiter auf seiner Wange. Und dann bewegte sie sich langsam zu seiner Schulter hinab. Er vermochte nichts dagegen zu tun. Er blieb stehen. Während sie die Hand nach unten führte, setzte sie den Rest ihres Körpers ebenfalls wieder in Bewegung. Sie stellte sich direkt neben ihn. Und dann beugte sie sich hinunter zu seinem Ohr.

„Ilya hat es sehr weh getan, dass du sie vergessen hast“, hauchte sie.

Er spürte ihren Atem. Und er lauschte ihren Worten. Ja … das war wohl wahr … Er hatte sie vergessen … Ilya … Ob es ihr wieder besser ging?

„Und dir, Link …“, fügte sie hinzu, wobei sie mit ihrer Hand von seiner Schulter abließ und seinen Rücken entlang strich. Auch sie folgte ihrer Hand. Und stand hinter ihm.

Er fürchtete sich nicht davor, dass sie von hinten zu stach. Dass sie ihn jetzt leicht angreifen konnte.

Nein.

Viel mehr Furcht verspürte er darüber, was ihre Worte beinhalten konnten. Was sie bedeuten konnten.

Plötzlich bohrte sie einen Finger in seinen Rücken. „… hat es noch viel mehr Schmerzen zugefügt, erneut von ihr vergessen zur werden“, beendete sie ihren Satz mit ruhiger Stimme, „Unerträgliche Schmerzen …“, fügte sie flüsternd hinzu. Dabei drückte sie noch einmal zu. „Doch …“ Mit diesen Worten strich sie über die drückende Stelle, die von ihrer Attacke zurückgeblieben war, was ihm einen Schauer über den Rücken jagte. „…wie sehr würde es dich schmerzen, wenn Ilya sich nie mehr an dich erinnern könnte?“ Sie wartete einen kurzen Moment und verharrte regungslos hinter ihm. „Oder besser …“ Sie klang dabei gespielt überrascht. „… Wenn ihr euch nie mehr wieder sehen könntet?“ Sie kicherte kurz vergnügt. „Wenn Ilya in der Welt des Dämmerlichts gefangen wäre? Und du keinen Zugang hättest?“ Eine Pause schmückte ihre Worte. „Oder aber …“

Mittlerweile hatte Shan ihn bis zu seinem anderen Ohr umrundet. Sie führte ihre Lippen nahe zu diesem. „… wenn ein Schwert ihrem lieblichem Antlitz das Leben herausschneiden würde?“

Mitternacht

Yurai gab sich, als wäre sie ein kleines Kind! Sie hörte einfach nicht zu! Sie wollte nur ihren eigenen Willen durchsetzen! Was sollte sie nur mit ihr tun …?

„Yurai …“, bettelte Terra. Langsam hatte sie Schwierigkeiten damit, die zappelnde Frau zu halten.

„Terra!“, ertönte ihr Name von unten. Azur! Den hatte sie für den Moment total vergessen. Ihr Blick wanderte nach unten. Dank der neuen Position ihres Gesichtes, schlug Yurai direkt auf ihre Nase. Doch Terra ignorierte es einfach murrend. Ein Schlag auf die Nase … Was machte das schon?

„Komm herunter!“, forderte er sie auf. Er schaute zu ihr hoch.

„Gute Idee …“, gab Terra leise zu. Und sie sah zu Azur. Wie sollte sie jetzt runter kommen?

Sie versuchte, nach unten fliegen. Doch es gelang ihr nicht richtig – vor allem, da Yurai ihr immer wieder mit irgendwelchen Gliedmaßen in die Quere kam. Mittlerweile hatte die Fee auch zu schreien und zu quietschen angefangen.

„Beruhigt Euch bitte …“, bat Terra sie leicht verzweifelt. Sie bewegte ihre Beine in der Hoffnung, dass es irgendetwas auszulösen vermochte. Fehlanzeige.

Azur wirkte verwirrt. Wahrscheinlich dachte er, sie hätte ihn nicht gehört.

„Komm jetzt … Ich will runter …“, murrte Terra kaum vernehmbar, „Ich will zu Azur.“

Und ehe sie sich versah, befand sie sich im Sturzflug.

Sie schrie erschrocken auf, als sie sich urplötzlich im freien Fall befand. Doch es hinderte sie keinesfalls daran, Yurai festzuklammern. Sie war auch ihre Hoffnung. Wenn Terra aufschlug … tat Yurai es ihr gleich. Wie beruhigend.

Der Boden kam immer schneller näher und seine unendliche Bräune bemerkte Terra erst jetzt richtig. Sie wünschte sich, sie würde wieder auf diesem Grund liegen. Und würde nicht fallen. Eine Möwe, die fällt. Kein schöner Ausgang.

Sie schloss die Augen, um nicht mitzuerleben, wie sie am Boden aufschlug. Sie wusste nicht, wie sich das in dieser Welt auswirken würde. Aber es wäre ihr auch lieber gewesen, es nicht zu erfahren.

„Es tut mir leid, Yurai!“, entschuldigte sie sich. Sie riss gerade die Fee mit ins Ungewisse! Auf den Boden zurasend und- …

Terra fühlte irgendetwas unter sich. Für einen kurzen Moment wurde sie noch nach unten gerissen, doch dann ging es wieder kurz nach oben. Und schließlich regte sie sich nicht mehr.

Zögernd öffnete sie die Augen. „Sind wir … tot?“, mutmaßte sie.

Doch sie fühlte Yurai noch immer in ihrer Hand. Doch auch die Fee schien überrascht zu sein. Immerhin hatte sie aufgehört, sich unsäglich zu wehren. … Oder sie war auch tot.

„Nein, keine Sorge“, erklang eine sehr nahe, sehr männliche Stimme, die sehr nach Azur klang, „Meinen zweiten Kommandanten lasse ich so schnell nicht sterben.“

Jetzt schlug sie ihre Augen ganz auf.

Azur hatte sie aufgefangen.

Sie lächelte fröhlich. „Azur!“, stellte sie erfreut fest, „Vielen Dank!“

Yurai lehnte sich zurück.

Azur trug Terra mit beiden seiner Arme. Auf Terra lag Yurai. Jetzt ganz ausgestreckt.

Terra verlagerte ihren Kopf instinktiv auf Azurs Schulter, um Yurai mehr Platz zu geben.

Yurais Flügel waren verschwunden. Das war Terra zuvor nicht aufgefallen.

Vermutlich hätten sie wie eine kleine, glückliche Familie ausgesehen, wäre Yurai nicht viel zu groß für das Kind gewesen.

„Ich muss Euch leider wieder runter lassen“, kündigte Azur höflich an, bevor er in die Knie ging, „Aber zwei Damen sind doch eine zu viel …“

Terra lachte kurz.

Dann rutschte sie von seinem Arm und seinem Knie nach unten. Ihr Hintern landete am Boden, doch es tat ihr nicht weh. Yurai lag noch immer in ihren Armen. Die Augen weiterhin geschlossen.

„Yurai …?“, sagte Terra den Namen der Fee. Doch diese reagierte nicht.

Als Terra saß, wich Azur ein klein wenig zurück, um ihr mehr Platz zu machen.

„Danke, dass du sie nach unten geholt hast“, bedankte sich Azur ehrlich, „Du kannst sie mir jetzt übergeben …“

Sie nickte. Vorsichtig kroch sie unter Yurai hervor, die noch immer auf Terra saß. Es bedurfte einiger akrobatischer Künste, sich herauszuwinden, doch letztlich war es Terra gelungen, Yurai neben sich zu bringen, sodass Azur sie statt ihrer festhalten konnte.

„Habt Ihr sie?“, informierte sich Terra sicherheitshalber noch einmal, bevor sie die Fee losließ.

Der Kapitän nickte.

Daraufhin erhob sich Terra und schüttelte sich kräftig aus. „Mein Gott … Das war … Körperarbeit.“

Als Azur darauf nichts sagte, blickte sie nach unten und schaute in sein besorgt wirkendes Gesicht.

„Yurai“, sprach er ihren Namen aus, „Sprecht zu mir.“

Keine Reaktion.

„Bitte. Ihr müsst mit mir reden“, bat er sie, „Ich bin … Kyrion. Der Bruder Azuors, den Ihr hättet krönen sollen.“

Noch immer schenkte sie keinerlei Beachtung.

„Kommt schon …“, bettelte er, „Ich muss mit Euch reden! Wir müssen Euch hier herausschaffen! Mirai nützt ohne Euch nichts. Wir können sie nur mit Euch …“

„Mirai ist tot“, erklang die ruhige und leise Stimme der Fee.

„Nein, Mirai lebt!“, behauptete er, „Solange Ihr lebt …“

Yurai unterbrach ihn gleichgültig. „Mirai ist tot.“

„Das glaubt Ihr doch wohl selbst nicht“, keifte er sie an, „Sie kann nicht tot sein. Terra hat sie gesehen.“

Jetzt schlug Yurai zumindest ein Auge auf. Es fixierte Terra. „Terra hat Mirai gesehen?“

Terra blinzelte verwirrt. „Nun – ja?“, mutmaßte sie. Sprach Azur von dem Moment in dieser Welt, den sie mit Yurai beim Kampf gegen diese Mauer verbracht hatte.

„Terra hat Mirai gesehen“, gab sie ihm plötzlich Recht, „Und Terra hat Mirai getötet.“

Die Fee schloss das Auge wieder.

Verwirrung und Angst machte sich in Terra breit. Was? Was sagte sie da? Terra … Sie sollte Mirai umgebracht haben? Aber … Aber … wie? Wann? Weshalb?

Warum sollte sie so etwas tun? Sie hatte doch gar keinen Grund … Geschweige denn wusste sie, wie sie das tun hätte sollen …

„Habe … Habe ich das …?“, stotterte sie geschockt.

Wieder reagierte die Weiße Fee nicht.

Azurs Blick blieb auf Terra haften. Sie erwiderte seinen Blick überwältigt. Sie …? Die Schwarze Fee töten …?

Azurs Augen schienen dieselbe Frage zu stellen. Aber es hatte nicht den Anschein, als wäre er zu einer Antwort gelangt.

Plötzlich gaben Terras Knie nach. Sie krachte auf den Boden. Saß dort. Stützte sich mit den Händen.

„Ich … Ich habe die Schwarze Fee …?“, fragte sie erneut nach.

„Und ich entscheide, dass Mirais Tod gerecht sei“, fügte Yurai hinzu.

Mit ihren Worten konnte Terra nichts anfangen.

„Yurai“, machte Azur wieder auf sich aufmerksam, „Was meint Ihr damit?“

„Mirai soll dem Tod gehören“, antwortete sie gelassen.

Diese Gelassenheit war ein zähes Gegenstück zu ihrem vorherigen Aufruhr. Sie blieb unbekümmert in Azurs Armen liegen. Ihr weißes Haar fiel glatt auf den Boden und bedeckte auch Azur zum Teil.

Dieser schüttelte bloß den Kopf. „Yurai“, schalt er sie streng, „Wenn Ihr eine Möglichkeit kennt, Mirai zu retten, so sollt Ihr sie auch ergreifen!“

Terra nickte leicht. Sie wollte doch Mirai nicht töten! … Was … Was hatte sie nur getan?

„Bitte!“, fügte Terra verzweifelt hinzu, „Ich würde alles tun, um Mirai zu retten … Alles …“

Ein Kopfschütteln war die einzige Antwort von Yurai.

„Meine Schwester und ich … Wir fliegen bereits seit Jahrhunderten zusammen. Wir haben über viele Könige gewacht. Azuor wäre wohl war einer der besten gewesen.“ Nach einer kurzen Pause, in der sie auch die Augen aufschlug, die plötzlich einen Ausdruck von Traurigkeit annahmen, sah sie zu Azur. „Und Kyrion wäre ein ebenso guter Nachfolger gewesen.“ Sie seufzte hörbar. „Mirai und ich hätten gerne unseren Schutz über Euren Bruder gelegt …“

„Was ist geschehen?“, wollte Azur wissen, „Wir haben keine Information darüber erhalten …“

Sie unterbrach ihn mit einem Kopfschütteln. „Kein Mensch soll die tragische Geschichte einer Fee kennen, die Jahrhunderte überstanden hat …“

„Ich bin kein Mensch“, widersprach er ihr sofort, „Und das ist auch der nächste Punkt, über den ich …“

Erneut schüttelte sie beharrlich den Kopf. „Was Ihr wollt, mein junger König, das vermag ich besser zu sagen, als Ihr selbst.“

Erst sah er sie bestürzt an, dann schaute er betroffen zu Boden. „Werdet Ihr wieder versuchen, Euch selbst umzubringen? Wieso stürzt Ihr Euch gegen die Mauer?“

Diesmal wanderte ihr Blick zu Terra. Sie sah sie berechnend an. „Dank Euch sind meine Gedanken wieder klar … Nachdem ich weiß, dass meiner Schwester Glück winkt, will ich zufrieden sein …“ Sie seufzte. „So will ich ihre Seele dem Tod überlassen …“

„Nein!“, widersprach Azur erneut, „Ihr müsst Mirai zurückholen! Alle Feen, die noch am Leben sind, sind Menschen! Es würde das Ende des Feenvolkes bedeuten – für die nächsten hundert Jahre, die die neuen Zwillingsfeen für ihre Ausbildung benötigen!“

Um gestikulieren zu können, hatte Azur die Hände von Yurai genommen. Dadurch hatte er seinen Worten mehr Ausdruck verleihen können. Die Härte seiner Worte war bei Terra angekommen. Und die Sorge.

Die Sorgen eines Herrschers.

Yurai nützte den Moment, um sich zu erheben. Sie stand nun vor Terra und Azur, die beide am Boden saßen und zu ihr hoch blickten. Weiße Federflügel erschienen erneut auf ihrem Rücken.

„Ich würde alles tun, um Mirai zurückzuholen!“, bekräftige Azur erneut, „Alles!“

„Und ich würde ihm helfen!“, gab Terra ihm ihre Unterstützung.

Yurai lächelte die beiden traurig an.

„Ihr seid hartnäckig … Mirai.“
 


 

Wenn ein Schwert ihrem lieblichem Antlitz das Leben herausschneiden würde.

Shan … Wie … Wie konnte sie nur so etwas sagen? Wieso? Was erreichte diese Veränderung in ihr? Warum … Warum sagte sie so etwas?

Shan …

Er fuhr herum, ehe sie den Satz vollkommen zu Ende gesprochen hatte und packte ihre Hand, um sie von seinem Körper zu entfernen und in Sicherheitsabstand zu geben.

Zu allererst wirkte Shan doch überrascht, dann grinste sie ihn aber provokant an. „Jetzt wird es aber interessant!“

Er drückte fest zu, um sie Schmerzen erleiden zu lassen, während er sie auf Abstand brachte.

„Shan“, knurrte er, „Hör auf damit!“

„Wieso kannst du gegen mich nicht kämpfen?“, wollte sie von ihm wissen. Ihre Stimme klang hart wie Eis. Und genauso kalt. „Hast du dich etwa in mich verliebt?“, mutmaßte sie ohne einen klaren Ausdruck von Gefühlen zu zeigen.

Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Er schaute sie kurz verdutzt an. Dann wandte er seinen Blick zu Boden.

„Spar dir deine Lügen“, fuhr sie genauso kühl fort, „Spar dir deine Milde. Spar dir deinen Unwillen.“ Sie entriss ihm ihren Arm und wich zwei Schritte zurück. „Spar dir dein Mitleid.“ Letzteres Wort spuckte sie beinahe aus. „Akzeptiere es endlich, Link“, forderte sie ernst, „Akzeptiere, dass ich es war.“

Sie deutete mit beiden Händen auf sich. „ICH“, sie betonte das Wort sehr, „… habe sämtliche Erinnerungen gefälscht, gelöscht und bearbeitet.“ Sie machte eine kurze Pause.

„ICH habe Ilya entführt und sie zur Königin gemacht.

ICH habe Zelda abgesetzt.

ICH habe die Monster auf Hyrule losgelassen.

ICH habe all die Verletzten zu verschulden.

ICH, Link …“ Diesmal war die Pause länger, ihre Wortwahl wirkte bedachter. Und die nächsten Worte erklangen mit einem kalkulierten Triumph in der Stimme. „… habe dich die ganze Zeit betrogen.“

Links Augen weiteten sich.

Sie …? Shan …?

Shan behauptete wirklich …?

„Mein oberstes Ziel ist es, meinen Meister Ganondorf zurückzubringen. Ich muss ihn wiedererwecken, sodass er seine edlen Ziele erreichen kann.“ Überzeugung und Ernst klangen in ihrer Stimme mit. „Und du … Link … Auf dich bin ich besonders wütend.“ Diesmal zischte sie wieder. „Du hast meinen Meister getötet. Und meinen Kollegen. Du bist das größte Hindernis, das es auf dieser Welt für unsere Pläne gab. Und gibt.“

Das Schwert, das noch immer im Boden steckte, begann zu vibrieren.

Dunkler Nebel umgab Shans Hand.

„Ich hoffe, du hast es endlich verstanden“, drohte sie ihm, „Ich werde dich jetzt töten. Koste es, was es wolle.“ Sie verbeugte sich kurz. „Für meinen Meister.“

Nein … Nein …

Nein … NEIN … NEIN! Das konnte nicht sein …!

Shan … Sie war doch … Sie war doch immer auf seiner Seite. Gegen Ganondorf. Sie half ihm. Sie begleitete ihn … Sie … sie …

Erkennen ereilte ihn.

… Sie spionierte. Sie heftete sich an die Fersen ihres Feindes. In aller Seelenruhe wartete sie darauf, dass Ganondorfs Erwachen nahte – in dem Bewusstsein, dass Link es niemals erfahren würde. Immerhin hielt er sie für Freunde. Für Genossen. Für Kämpfer derselben Seite. Er hätte sie niemals verdächtigt.

Nie.

„Shan …“, hauchte er. Tränen stiegen in seine Augen.

„Du hast es mir versprochen“, fuhr sie unbeirrt fort. Das Schwert manifestizierte sich in ihrer geöffneten Hand. „Du hast mir versprochen, dass du gegen Ganondorfs Diener kämpfen wirst. Dass du ihn töten wirst.“ Sie grinste ihn schief an. „Ich dachte immer, zumindest Helden seien ehrlich.“ Das Grinsen verschwand. „Doch sie sind nichts weiter als Verräter.“

Und erneut sprang sie auf ihn zu. „Schwächliche Verräter!“

Nein …

Shan … Sie war … Ganondorfs …

Ehe er sich versah, schnellte er zu seinem Schwert und griff nach ihm, wobei er auf den Boden fiel. Er rappelte sich sogleich wieder auf.

Sie war Ganondorfs Scherge. Sie war sein Feind. All die Zeit … Die ganze Zeit hatte er sie vor Augen. Immer … Und nie hatte er sie verdächtigt. Niemals. Diesen ganzen Monat lang, den er mit ihr verbracht hatte. In dieser Zeit, in der er so viele Qualen durchlebt hatte.

Nicht nur er. Alle. Jeder, der ihm etwas bedeutete.

Und Shan war es.

Sie war diejenige, die all dieses Leid verschuldete. Sie alleine.

Sie als Scherge Ganondorfs.

Und er sprang ihr entgegen, wobei ihre Schwerter im Gefecht des Kampfes aufeinander prallten.

Wieso …?

Wieso nur hatte er es nie bemerkt?
 


 

Mirai.

Yurai sah Terra an, während sie diesen Namen aussprach. Sie sah sie an, als würde sie eine verlorene Liebe ansehen.

„Terra …“, hauchte sie zweifelnd, „Ich bin … Terra …“

Azur schaute genauso verwirrt, wie Terra sich fühlte. Warum … Warum glaubte Yurai, sie Mirai nennen zu müssen?

Sie lächelte. „Wollt Ihr es wirklich tun, Terra?“, fragte sie, „Wollt Ihr wirklich alles tun, um meiner Schwester das Leben zu ermöglichen? Wollt Ihr dafür Euer eigenes Dasein beenden?“

Terra riss ihre Augen auf. „Mein … Mein Dasein … beenden?“

Sie schüttelte den Kopf. „Kilass hat es nicht geschafft, mich zu töten“, bedauerte sie, „Ehe … ich es offenbare …“

„Kilass?“, fragte Azur überrascht, „Euch töten? Er meinte es ernst?“

Schuldbewusst schaute Terra zu Boden. Sie hatte noch nichts davon gesagt, dass er sie attackiert hatte. Dass sie ihn abgehalten hatte … Dass er ihr seine Zweifel beibrachte …

„Ich wollte, dass er meinem Dasein ein Ende setzt, sodass nicht einmal ein störrischer Prinz darauf kommen könnte, mich vor die Wahl zu stellen“, erläuterte Yurai streng, „Ich wollte, dass er mich tötet, sodass ich auf meine Schwester warten kann, bis ihre Zeit ebenfalls vollkommen endet, ohne jemanden zu beeinträchtigen … Sie ist ebenfalls zufrieden damit …“

Die Fee schüttelte den Kopf und trat einige Schritte zur Seite. Sie betrachtete die schwarze Mauer. „Diese Mauer … Sie ist der Auslöser des ganzen … Diese und ihre Besitzerin.“

„Wie meint ihr das?“, fauchte Azur. Er erhob sich schnell und machte einen Schritt auf Yurai zu. Er hatte eine grimmige Miene aufsetzt. „Wovon sprecht Ihr?“

Mit einem Mal drehte sich Yurai wieder um. Und sie schaute Terra an, die noch immer am Boden kniete.

„Ich habe Euch hierher gebracht, sodass Ihr dem Prinzen hättet Bericht erstatten können. Sodass die Feenmannschaft mir zur Seite hätte stehen können – im Kampf um meine Schwester.

Doch noch während meiner Reise zu Euch habe ich Kilass darum gebeten, mir den Tod zu gewähren, falls ich jemals in einen langwierigen Schlummer fallen hätte sollen. Denn dies wäre der Moment, in dem meine Schwester eine Art Tod ereilt hätte, die ich nicht akzeptieren konnte.“ Sie schüttelte wieder den Kopf. „Ganondorf hat sie entführt. Er absorbiert ihre Schwarze Magie, um sich selbst zu stärken. Erhält er die ganze Magie, die Mirai erfüllt hat, so ist er meiner ebenbürtig – wenn nicht stärker. Ein schwarzer Engel.“ Sie sah Azur mit festem Blick an. „Das hat niemals geschehen dürfen. Er wäre unbesiegbar gewesen, wenn er auch noch meine Energie geschluckt hätte. Durch meinen Tod wären meine Kräfte für ihn für immer verloren gewesen – und die Mirais wären irgendwann vollkommen verfallen.“

Sie ballte ihre Hände zu einer Faust. „Doch ich war töricht.“

Sie schaute Azur fest in die Augen. „Ich wollte nur meine Schwester retten.“ Sie faltete ihre Hände vor ihrer Brust. „Ich wollte nur diejenige retten, die ich am meisten liebte.“ Sie schüttelte den Kopf. „Und dafür … dafür wäre ich selbst zum Monster geworden …“

Sie schritt wieder auf Terra zu. Wenige Schritte vor ihr kam sie zum Stillstand. „Junge Terra … Ich hätte dich getötet. Ich hätte dir deine vollkommene Lebensenergie abgezapft, die dich mehr als nur in eine Bewusstlosigkeit geschubst hätte. Kyrions Opfer hätte dir kein Leben mehr ermöglicht, so sehr wie ich deine Energiequellen erschöpft hätte.“ Bedauern schwang in ihrer Stimme mit. „Meine Schwester hat uns bemerkt … Sie hat ihre Kraft verwendet, um in diese Welt zu gelangen … Genauso wie Ganondorfs Lakai. Um Euch, Terra, und mich zu retten, hat Mirai all ihre Energie aufgewendet. Sie hat den letzten Tropfen ihres Daseins in die Zerstörung der Dunkelheit gesteckt, sodass wir beide fliehen konnten.“ Ein humorloses Lachen folgte. „Aber es hat nichts genützt … Ihre Energie wurde fehlgeleitet … Weil ich so gierig war und Ihr dadurch beinahe energieleer, habt Ihr es geschafft, einen Großteil von Mirais Energie abzuzapfen. In Euch selbst lebt also ein Teil meiner Schwester. … Ich verblieb in dieser Welt, da ich den Tod meiner Schwester nicht ertragen konnte. In der anderen Welt wäre ich zu gefährlich gewesen. … So lag meine Hoffnung weiterhin auf Kilass’ Treue …“

Yurai gönnte ihr eine Pause.

Terra konnte nicht fassen, was sie da gerade gehört hatte. Sie? Eine Fee? Sie hatte die Energie der Schwarzen Fee gefressen? Und dadurch … getötet? Aber … Aber …

„Ich will sie freilassen!“, rief Terra sofort aus, „Ich will die Welt retten! Die Feen! Dafür brauchen wir Mirai …“

Azurs ungläubiger Blick durchbohrte Terra. Sie sah zu ihm. Er blickte in ihre Augen.

„Das geht nicht“, erklärte Yurai. Sie verschränkte die Arme und wandte den Blick ab. „Nur eine von Euch kann jetzt noch leben. Zu lange ist es her, dass Mirai ihrer Energie beraubt worden war … Es ist zu spät. Euer Körper hat sich bereits daran gewöhnt. Ihr müsstet sterben, sodass Mirais Kraft freigesetzt würde. Ihr müsstet vollkommen ausgelöscht werden.“

In Terras Augen sammelten sich Tränen an. „Was …?“, fragte sie leise. Die Tränen fielen ihre Wangen hinunter. „Was …?“, wiederholte sie, während die Tränen weiter flossen. „Was … sagt Ihr da …?“

„Mir obliegt dieselbe Entscheidung wie Euch“, knurrte die Fee, „Das Leben meiner Schwester … oder das Leben einer Fremden?“

Ihr Leben … oder das Leben einer Fee …?

Sie schlug ihre Hände vor ihr Gesicht und begann zu weinen.

Sie weinte bitterlich. „Ich … Ich will nicht sterben … Ich …“

„Nein!“, mischte sich Azur plötzlich ein, „Nein … Nein …“

Er schleifte sich betroffen zu Terra. Und er kniete sich vor sie. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Nein …“, hauchte er leise, „Ich … Ich kann nicht zulassen, dass du …“

Terra weinte weiter. Sie … Sie sollte sterben? Für das Wohl der Welt?

Aber … sie wollte nicht sterben … Sie wollte leben …

Leben!

„Wie ich sagte … Ihr würdet nicht alles dafür tun“, kommentierte Yurai gleichgültig, „Ich sagte doch … Ihr solltet meine Entscheidung nicht in Frage stellen … Meine Schwester ist mir das wichtigste. Ich hätte alles dafür getan. Alles. Wenn ich dafür … nicht ihr eigenes Opfer hingeworfen hätte …“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ist zwecklos … Ich kann von einem jungen Mädchen nicht verlangen, dass es meiner Dummheit wegen stirbt …“

Aber … Mirai … Die Welt brauchte Mirai …

„Die Welt braucht Mirai dringender als mich“, schluchzte sie dann, „… Sie … Niemand wird mich vermissen … Jeder glaubt bereits, ich sei tot … Ich würde keinem …“

„Schweig!“, fuhr Azur sie barsch an. Terra gehorchte.

Und plötzlich fand sie sich in einer Umarmung wieder. „Ich … Ich will nicht hören, was du sagst …“, fuhr er sanft fort. Er drückte sie fest an sich. „Ich … ich mag nicht hören, dass …“

„Für Euch, junger Prinz, wäre es ebenfalls ein Gutes gewesen, nicht vor diese Entscheidung gestellt zu werden“, behauptete Yurai mürrisch, „Für jeden von uns … Was seid Ihr auch solch ein trotzköpfiger Narr?“ Die Fee wirkte wütend. „Ich werde Euch zurücksenden. Beide. Eure Körper sollten sich noch heute regeneriert haben. Ich will, dass Ihr mein Leben mit einem Schwert beendet, um Kilass’ Aufgabe zu erfüllen. Dann müsst Ihr nicht weiter darüber nachdenken …“

„Was?“, rief Azur, „Ich … Ich kann nicht die Hoffnung meines Volkes töten …! Nicht die Weiße Fee!“

„Und Mirai wollt Ihr nicht befreien“, gab Yurai unfreundlich zurück, „Euer Starrsinn bringt Euch in eine arge Zwickmühle. Mit meinem Tod wären die Feen für die nächsten hundert Jahre zwar von menschlicher Gestalt, doch meine Nachfolgerinnen werden diesen Fehler beheben.“

„Aber mein Volk … es braucht mich – jetzt!“, rief er, „Aber … ich will Terra nicht hergeben … Terra …“

Sie weinte noch immer. Sie drückte sich gegen Azurs wärmende Umarmung und klammerte sich an ihm fest. Die Tränen hörten nicht auf zu fließen. Schluchzen ertönte. Sie wollte nicht sterben … Aber welches Recht hatte sie zu leben, wenn dafür die Welt starb?

Ganondorf … Sie war mit Link gereist. Link hätte niemals gezögert … Er hätte sein Leben sofort für das Wohl anderer geopfert … Er hätte jeden aus den Weg geräumt, der so egoistisch wie Terra war … Link … Warum konnte er ihr nicht die Entscheidung abnehmen?

Er war ein Held! Er konnte durchgreifen … Wieso …? Wieso nur …?

Wieso nur war sie hier?

Tränen flossen weiter.
 


 

Die Schwerter krachten aneinander, als sie einen geschickten Hieb nach dem anderen gegen den Gegner ausführten. Es war ein Kampf. Ein Kampf auf Leben und Tod.

Links Zögern war völlig verschwunden. Er wollte sie nur noch für ihren Verrat bestrafen. Wie konnte sie ihn nur so betrügen? So benutzen?

Er drückte ihr Schwert zur Seite. Beinahe wäre ihm ein Stich in ihre Flanke gelungen, doch sie drehte sich geschickt zur Seite und parierte gekonnt.

Sie wusste mit diesem Schwert umzugehen. Einen solch harten Kampf hatte er bereits lange Zeit nicht mehr erlebt. Seit damals … Seit er gegen Ganondorf angetreten war.

Und jetzt war er erneut hier. Dieser Verräter …

Wut flammte in ihm auf. Er stieß schneller zu. Nun war es an Shan, sich defensiv zu verhalten, während Link ihr das Leben schwer machte. Ein Hieb nach dem anderen – er wandte seine ganze Kunst an.

Der Kampf war – bis auf einiges gefluchtes Murmeln oder übliche Kampfgeräusche – stumm verlaufen. Keiner hatte dem anderen noch etwas zu sagen. Tod? Oder Leben? Wer würde siegen?

Es würde sich herausstellen!

Scheinbar hatte Shan ein Loch in seiner Taktik entdeckt. Es gelang ihr, der defensiven Haltung zu entsagen und erneut zum Angriff überzugehen. Link wich zurück.

Er würde nicht nachgeben.

Nein. Ihr gegenüber konnte er nicht nachgeben. Durfte er nicht.

Sie … Sie war sein Feind! Sein eiskalter Feind!

Trotz ihres Hiebes, der direkt auf sein Herz angesetzt war, sparte sich Link die Verteidigung.

Und dadurch, dass die aufgrund des Angriffes ungedeckt war, dadurch, dass Link sich entschied – wahrhaftig entschied -, dadurch, dass Link Tränen in die Augen stiegen, als er bemerkte, worin sein Ziel lag …

… dadurch glückte ihm der letzte Stoß.

Mit dir - Midna

Link stach zu.

Er fühlte, wie er gegen etwas Hartes stieß, etwas, was nachgab. Etwas, was zerbarst.

Er fühlte, wie er in etwas hinein gezogen wurde, etwas, was nachgab. Etwas, was zerbarst.

Er fühlte, wie er von Dunkelheit umgeben war, etwas, was nachgab. Etwas, was zerbarst.

Er glaubte, fliegen zu können – nein, er fiel. Er fiel in ein tiefes Loch.

Er glaubte, eingehen zu können. Doch wo hinein? Wo war er?

Bilder. Ausschnitte. Erinnerungen?

Seine Erinnerungen?

Dunkelheit umgab diese Erinnerungen. Nein. Diese Erinnerungen waren Dunkelheit.

Nein. Diese Erinnerungen waren in Dunkelheit.

Nein … Das war keine Dunkelheit … Es war …

Dämmerlicht …

Und mit dieser Erkenntnis schoss er auf die erste Erinnerung zu. Doch er fühlte sich nicht. Er wusste nur. Er bestand nur.
 

„Du bist so schwach!“, schalt das kleine Mädchen, welches genau genommen genau ihre Größe hatte, vor ihr sie, „Wirklich – unglaublich! Ich denke, ich muss dich wohl noch härter trainieren, um mich neben dir nicht schämen zu müssen!“ Sie grinste dann und tätschelte sanft ihren Kopf. Und ihre Stimme war plötzlich sanft und ohne Spott. „Kleiner Scherz. Du bist echt stark – wenn du nicht gegen mich spielst, zumindest! Aber das wird schon noch!“

Shan sah ihre Schwester an. Es hätte ihr eigenes Spiegelbild sein können, das sie da anschaute. Aber es war ihre Zwillingsschwester – Midna! Midna war so stark und so klug, obwohl sie genau gleich alt wie Shan war! Manchmal fühlte sie sich ein wenig dumm neben ihr. Doch niemand sagte etwas deswegen – nur Midna zog sie manchmal auf.

Sie lachte munter darüber. „Dann werde ich dich überholen!“, stimmte sie ihr zu.

„Midna?“

Shan schaute zu der Person, die näher auf die beiden Schwestern zukam. Es war ihr Magiemeister Leos. Er unterrichtete die jungen Bewohner des Dämmerlichts bereits in ihren magischen Fertigkeiten, sodass sie bereits kleine und große Wunder vollbringen konnten.

Midna sah ihn ebenfalls an.

Er blieb kurz vor ihnen stehen und schaute zwischen ihnen hin und her. „Midna?“, wiederholte er zögerlich.

„Midna ist anwesend!“, sagten beide zeitgleich – und grinsten ihn frech an.

Er seufzte. „Ihr beide seht einfach zu gleich aus!“, befand er übertrieben genervt – dann umspielte seine violetten Lippen allerdings ein belustigtes Lächeln, „Und ihr wisst es eiskalt auszunutzen.“

Die Mädchen kicherten.

Midna ergriff dann das Wort: „Ihr wollt mit Midna sprechen? Warum?“

Der Mann stemmte die Arme in die Hüften. „Ich habe gehört, dass Midna bereits wieder einen neuen Rekord gebrochen hat, was magische Leistung im Unterricht angeht – und dass sie soeben von Zanto überholt worden ist.“

Shan und Midna sahen sich schockiert an. „Schon wieder?“, wiederholte Shan, „Wieso sind Zanto und Midna so stark?“ Sie verschränkte beleidigt die Arme. „Ich will auch so stark sein!“

Leos lächelte aufmunternd. „Keine Sorge, Shan, irgendwann wirst du bestimmt ebenfalls stark sein.“ Danach wandte er sich wieder Midna zu. „Würdest du jetzt bitte kommen? Wir möchten gerne probieren, ob du und Zanto zusammen etwas Außergewöhnliches zustande bringen könnt.“

„Darf Shan mitkommen?“, fragte Midna dann.

„Natürlich darf sie das“, antwortete er, während er sich umdrehte und davon ging.

Kichernd liefen die beiden Mädchen mit demselben feurig orangen Haar hinter ihm her und liefen durcheinander, sodass er – falls er vorhatte, ein Gespräch zu beginnen – erst das Ratespiel durchnehmen musste.

Shan fand es aber trotzdem irrsinnig toll, dass Midna so berühmt war. Und sie war stolz auf ihre Schwester! Obwohl sie auch gerne so begabt gewesen wäre …

Aber die Zeit würde kommen, oder?
 

Shan … Midna … In ihrer Kindheit … Zanto …

Wo befand er sich hier …?

Doch ehe er sich weitere Gedanken machen konnte, zog die nächste Erinnerung an ihm.
 

Midna stand mit einem Bein auf dem Tisch und beugte sich dramatisch über ihr erhöhtes Knie, wobei ihr etwa rückenlanges, offenes Haar frei nach unten fiel und jedes ihrer wilden Worte zu unterstützen schien. Die Aufmerksamkeit aller galt ihr. Ihr Blick schweifte durch die Schülermenge, welche sich um den ganzen Tisch versammelt hatte, und ehrfürchtig zu Midna aufsah. Jeder hing an ihren Lippen – egal, was sie sagten.

Shan saß alleine auf einem Platz weit weg von Midnas Freundeskreis. Sie und Zanto waren die einzigen Schüler der Klasse, die sich nicht an Midna heranmachten, sobald sich ihnen eine Gelegenheit bot.

Doch ihre Beweggründe unterschieden sich.

Shan wollte ihrer Schwester nicht im Weg stehen.

Zanto wollte seiner Konkurrentin keinen Respekt zollen.

Ihr Blick wanderte zu dem Jungen in seiner Robe, der eifrig in ein Buch starrte. Er lernte schon wieder. Eigentlich hätte er das gar nicht nötig gehabt – doch Shan schien es, als wolle er die ganze Zeit über überall besser sein und alles wissen.

Er war ein mächtiger und begabter Magier. Er war ein schlauer Schüler. Und doch war er nur gleich gut wie Midna. Shan glaubte, dass ihn das enorm stören musste.

Doch … was sollte er dagegen tun?

Das Schicksal platzierte die Menschen, wie es sie platzieren wollte. Höher. Tiefer. Gleich tief.

In ihrer Brust schnürte sich etwas zusammen.

„Oder an letzter Stelle …“, murmelte sie - nur für sich selbst hörbar.

Sie erhob sich und ging ungesehen an der Schülermenge, die Midna umgab, vorbei – hinaus aus der Klasse.

„Und – oh wie hab ich ihn geschlagen!“, ertönte Midnas spannende und sehr dramatisch geschilderte Erzählung, „Den Magiemeister!“

Jubel und Glückwünsche ertönten.

Midna brach die Rekorde in allen Wellenlängen und Bereichen. Wo auch immer es einen Rekord gab, den man brechen konnte, brach Midna diesen Rekord. Und nachdem Zanto das mitbekommen hatte, übertrumpfte er ihn um ein kleines Stückchen.

Und wenn Midna es erneut versuchte, so vernichtete sie Zantos Rekord wieder um ein Bisschen.

Und das trieben die beiden wiederum solange, bis sie am exakt gleichen Punkt angekommen waren.

An einem Punkt, den vor ihnen nie jemand erreicht hatte. Ganz oben.

Sie schritt den Gang entlang. Was sollte sie in der Pause auch sonst tun? Immerhin sprach sowieso niemand mit ihr. Außer er verwechselte sie einmal wieder mit Midna. Aber sie war nicht Midna. Sie würde nie Midna sein.

„Midna? Was tust du denn hier? Ich dachte, du hättest gerade einen Rekord gebro …“, das Mädchen, das vor ihr stand, brach ab. Wahrscheinlich hatte Shans erzürnter Blick sie zum Verstummen gebracht.

„Tut mir leid!“, rief sie panisch aus und rannte schnell davon.

Als sie außer Sicht- und Hörweite war, seufzte Shan entnervt. Sie hatte längeres Haar als Midna. Sie hatte sich extra das Haar wachsen lassen. Wieso bemerkte es niemand?

Sie blieb stehen.

Warum sah sie niemand? Warum sah jeder nur Midna?

Sie ballte ihre Hände zu Fäusten.

„Weil Midna so umwerfend ist“, beantwortete sie sich wütend zischend ihre Frage.

Und der Gong kündigte das Ende der Pause an.
 

Link wurde aus dieser Welt herausgerissen, verließ Shans Erinnerung, trieb in die Dunkelheit, die Dämmerlicht war, und wurde in das nächste Ereignis gezerrt.
 

„Ach komm schon! So schlimm kann es doch gar nicht sein, für mich gehalten zu werden!“ Midna, noch immer in ihrer Schulmeisterrobe, grinste sie an, als hätte sie gerade einen unglaublich tollen Scherz gemacht.

„Wundervoll“, antwortete Shan mit so viel Negativität in der Stimme, wie sie aufbringen konnte.

„Hey, ich lass mir heute auch noch die Haare schneiden! Weißt du – diese Frisur steht mir einfach!“ Midna kicherte. „Ich bin so froh, dich als Vortester zu haben! So weiß ich immer, was zu mir passt und was nicht!“ Midna lächelte.

Shan sah sie schockiert an. Nein … bitte nicht … Diesen massiven Unterschied bemerkten immerhin die meisten … Die Verwechslungsrate war seit ihrem Haarschnitt ein wenig gesunken …!

Aber sie brachte die Worte nicht heraus. Wenn Midna sagte, ihr würde dieser Haarschnitt so gut gefallen, dass sie ihn selbst annehmen wollte, war es ein Kompliment. Ein Riesenkompliment. Und Shan würde dann ab Morgen Komplimente erhalten – solche, die an Midna adressiert waren.

„Ah, danke, dass du so viel in mir siehst“, entgegnete Shan scherzhaft. War es überhaupt ein Scherz? Sie wusste es selbst nicht genau. Es entsprach der Wahrheit. Was sah Midna in ihr? Sah sie einen wandelnden Spiegel? Oder sah sie Shan?

Sie sprach mit ihr, als sei sie mehr, als ein Schatten, mehr, als nur ein Spiegelbild …

Doch Shan kam nicht dazu, sie zu fragen. Sie konnte es nicht.

Sie hatte Angst.

Angst vor der Antwort.

„Du sagst mir dann, wie du die Frisur findest!“, befahl Midna amüsiert, „Dann siehst du auch einmal, wie du damit aussiehst.“ Sie lachte.

Shan lachte mit. Ja, sie würde es sehen …

Und ja, sie würde hören, wie andere es sahen …

Doch niemand würde sie sehen.


 

Die Empfindung „Schmerz“ packte Link. Und Verdruss. Und Neid. Eifersucht.

Doch die nächste Erinnerung ließ all diese Gefühle verschwinden, um ihn mit neuen Eindrücken zu erfüllen.
 

Shan saß in ihrer Magierrobe auf einer Holzbank neben einem Holztisch. Beides fiel im Dämmerlicht kaum auf. Sie hielt ein Buch in der Hand und las halbherzig darin. Es entsprach einfach nicht ihrem Geschmack. Doch was die Geschichtsmeisterin ihnen sagte, das musste getan werden. Ob es einem gefiel oder nicht. Ob es etwas zu lesen war oder nicht.

„Hey, Midna!“, rief jemand von weit her, „Hey! Hörst du uns? Bald ist die Exkursion! Du sagst uns dann doch, wie es gewesen ist, oder?“ Die beiden Schüler, die auf sie zu rannten, blieben vor ihr stehen. Sie konnte die Aufregung förmlich sehen, obwohl sie sich nicht die Mühe machte, aufzusehen. Sie kannte die Stimmen der beiden, die Namen allerdings nicht. Weshalb sollte sie sich auch die Mühe machen, etwas über sie herauszufinden? Sie bemühten sich auch nicht, ihren Namen zu lernen.

„Was ist los?“, fragte einer der beiden, „Redest du nicht mit uns?“

„Haut ab, ihr blinden Vollidioten“, zischte sie die beiden an – und widmete ihnen einen bösen Blick über den Rand ihres Buches.

„Oh“; war der einzige Kommentar, ehe die beiden das Weite suchten.

Sollten sie sie doch alleine lassen … Sie taten doch nichts lieber.

Nein. Eine Sache würden sie gerne mit ihr tun. Sie mit Midna tauschen.

Sie zu Midna machen. Dann gäbe es zwei Midnas. Dann gäbe es zwei perfekte Magierschulmeisterinnen.

Wütend klappte sie ihr Buch zu.

Wieso …? Wieso hatte sie nur diese Entscheidung getroffen, sie zu sein?

Wieso war sie, wie sie war? Sie zog die Beine an sich und legte ihren Kopf auf die Knie.

Warum konnte sie nicht wirklich Midna sein? Wieso musste sie diese nichts könnende Shan sein? Untalentiert. Unerträglich. Ungesehen.


 

Trauer und Komplexe umgaben Link. Er wünschte sich, fliehen zu können. Er wünschte sich, jemanden finden zu können, der ihn verstand. Doch die nächste Erinnerung ersparte es ihm, weiterhin diesen Schmerz der Einsamkeit zu empfinden.
 

Shan stand vor dem Spiegel, der sie scheinbar mit der anderen Welt dort oben – es hieß, dort würde die Sonne scheinen – verband. Ihr war es nicht erlaubt, in die andere Welt zu treten. Lediglich zehn Leuten war es vergönnt, in die Sonne zu treten.

Es waren diejenigen Leute, die über dem Durchschnitt lagen – beziehungsweise über dem besseren Durchschnitt.

Selbstverständlich waren Zanto und Midna ebenfalls dabei. Sie würden von der Sonne beschienen werden.

Die zehn Schüler waren bereits vor einer Weile losgegangen. Keiner erwartete ihre Rückkehr alsbald – immerhin war der Magiemeister bei ihnen. Sie waren die einzigen Schüler innerhalb von fünf Jahrgängen, welchen es erlaubt war, das Dämmerlicht je zu verlassen.

Es war nicht, weil die Ältesten ihnen nicht vertraut hätten – nein. Es geschah aus Sicherheitsgründen. Die Sonne war tödlich für sie.

Man brauchte bereits Energie, um zwischen den Welten zu wechseln. Aber man verbrauchte Unmengen an Energie, um dem Licht entgegenzutreten.

Für Midna und Zanto würde es kein Problem darstellen, sich abzuschirmen. Der Rest würde es auch überleben. Aber die anderen – der Durchschnitt, Leute wie Shan – würden es nicht ertragen können.

Sie waren schwach.

Die anderen der Schwächlinge waren derweil abgezogen. Sobald sich herumsprechen würde, dass Midna zurückgekehrt war, würden die Leuten Schlange stehen, um zu sehen, wie es ihr ging.

Shan wartete hier auf Midna.

Sie hatte es versprochen. Midna hatte ihr – nur ihr allein – anvertraut, dass sie große Angst vor der Sonne hatte. Shan verstand, was sie meinte. Sie waren im Unterricht durchgegangen, was bei starker Lichteinwirkung mit ihnen geschah. Sie würden verblassen – und letztlich daran sterben.

Sie waren Verfluchte des Lichts. Ihnen war es nicht erlaubt, je in das Licht zu treten.

Doch Shan wollte es so gerne. Sie stellte sich die Wärme der Sonne so einladend und bezaubernd vor – anders, als die Welt der immerwährenden Dunkelheit, die nicht einmal vollständig verdunkelt war. Eine Zwischenwelt. Eine unvollständige Welt.

Der Spiegel veränderte sich, als Shan ihn betrachtete – er leuchtete auf. Ein Schüler kam hervor. Er sah blass und fertig aus.

Dann sah er Shan. „Midna? Du bist schon zurück?“, fragte er schwach, dann lächelte er genauso schwach, „Huh, dann bin ich gar nicht so schlecht im Rennen …“, fügte er hinzu.

Sie zuckte mit den Schultern. „Midna ist noch nicht zurück.“

„Oh, tut mir leid“, entschuldigte er sich sofort, wobei er ein wenig errötete – und er eilte davon.

So fertig … Er ging nicht in ihre Klasse, doch sie kannte ihn. Er war eigentlich relativ stark und immer gut drauf … Es war wirklich verwunderlich, dass er so verletzlich wirken konnte.

Ob Midna ebenso verletzt wurde?

Sorge regte sich in ihr …

Aber … das Antlitz der Sonne … War dieser Anblick es nicht wert, sich so zu schwächen?

Immerhin gab es Menschen, die ständig dieser Schwäche unterlagen und die Sonne niemals zu Gesicht bekommen würden.

Menschen wie sie.


 

Das Bild der Sonne erschien, als Link die Erinnerung verließ. Doch das Bild zerbarst, als die nächste Erinnerung an ihm sog.
 

Midna saß am Rande des Dämmerlichts. Sie lehnte sich zurück, sodass sie danach mehr lag als saß. Shan setzte sich steif neben sie und schaute auf sie herab. Midna war die Anstrengung, der sie ausgesetzt war, anzusehen.

Doch ihre violetten Lippen umspielte weiterhin ihr schelmisches Lächeln. Ihre Augen blitzten hellwach und munter. Nur ihrer Hautfarbe erging es ein wenig schlechter als üblich. Aber bis die anderen Schüler eintrudelten, würde sich das lösen. Shan hatte Midna gleich mit hierher genommen, nachdem sie gekommen war. Zanto war länger geblieben als Midna, also würden die meisten noch glauben, dass Midna nicht bereits hier war.

„Leos hat gesagt, dass ich mich sehr gut gehalten habe! Ich bin immerhin den ganzen Tag – von Vormittag bis Abend – dort geblieben! Und so schlimm sehe ich gar nicht aus, hat er gemeint“, erzählte sie ihr locker, „Zu Zanto hat er das gleiche gesagt. Auch wenn er länger da war. Ich hätte es aber auch noch geschafft. Bestimmt.“ Dabei verzog sie das Gesicht ein wenig. „Es ist wirklich schlimm, wenn man sich von jemandem nicht abhebt.“

Shan wandte den Blick von Midna ab. Ja, Midna, das war ihr klar. Immerhin kannte sie diese Situation zu gut.

Doch Midna hob sich von Shan ab. Sie hob sich selbst in weite Höhen.

Shan konnte das nicht. Sie war eine kleine, schwache Version von Midna.

„Aber es war wirklich erstaunlich dort oben! Grünes Gras – das sieht ganz anders aus, als auf den Bildern! Von der Sonne ganz zu schweigen!“ Midnas Freude brachte Shan zum Lächeln.

Also war die Sonne doch schön.

„Aber mir ist diese Dunkelheit wirklich lieber …“, fügte Midna dann leise hinzu und sie setzte sich direkt neben Shan. „Ich hätte es dir wirklich vergönnt, wenn du die andere Welt auch gesehen hättest.“

Überrascht schaute Shan ihre Schwester an. „Tatsächlich?“

„Ja! Dann würdest du einmal wissen, was Anstrengung ist!“ Sie grinste.

„Ja, würde ich wohl“, pflichtete Shan ihr bei und unterdrückte ein Seufzen. Und sie dachte schon, dass Midna verstehen würde …

„Kleiner Scherz, Dummerchen“, fügte Midna ernst hinzu, „Es war ehrlich sehenswert. Ich glaube, dir hätte es sogar besser als anderen gefallen. Ich weiß ja, dass du die Schatten nicht ausstehen kannst … Oben war alles – von Licht durchflutet!“ Midna strahlte, als sie diese Worte aussprach. Dann zog sie eine Grimasse. „Aber es würde dir einfach zu sehr schaden, als dass wir einen verbotenen Versuch unternehmen könnten …“

Shan schaute ihre Schwester erstaunt an. „Du hast ehrlich mit dem Gedanken gespielt, mich hoch zu schmuggeln?“, rief sie verblüfft aus.

Midna nickte stolz. „Natürlich! Die zukünftige Königin wird immerhin keinen Ärger bekommen – aber mein Pflichtbewusstsein und die Sorge um meine liebe Schwester halten mich davon ab!“, ergänzte sie ihre Worte. Ein Lächeln entstand auf ihrem Gesicht.

Shan lächelte zurück. Ihr wurde warm ums Herz. Midna hatte sich ernsthafte Gedanken um sie gemacht.

In letzter Zeit – seit sich Midnas Magiekünste so sehr von allen abhoben – kam ihr Midna verändert vor. Früher, vor so langer Zeit, kam es ihr so vor, als wären sie dieselben Personen gewesen. Nicht nur äußerlich, auch innerlich. Dieselben Gedanken. Dieselben Worte.

Doch dann hatte Midna Freunde gefunden. Sie hatte Shan außen vor gelassen.

Shan verstand nicht, warum sie das getan hatte. Aber diese Freunde hatten es nur auf Midnas Ruhm abgesehen. Auf Gefallen, die die spätere Königin ihnen schulden könnte. Einige zumindest. Das hatte Midna ihr auch gesagt. Doch sie hatte auch zugegeben, dass es Spaß machte, mit diesen Leuten abzuhängen.

Aber sie hatte Shan nie angeboten, mit ihr zu kommen.

„Danke für deine Sorge“, sagte Shan lächelnd – und aufrichtig.

„Irgendwann wird es für dich sicher eine Möglichkeit geben!“, fuhr Midna selbstbewusst fort, „Immerhin wächst die Kraft mit dem Alter.“

„Wieso bist du dir dann so sicher, dass du die Königin wirst und nicht Zanto?“, wechselte Shan das Thema.

Midna zog die schön geschwungenen Augenbrauen zusammen – und wirkte mürrisch. „Weil Zanto Zanto ist. Er kann doch nicht wirklich etwas. Er ist ein Außenseiter, der einfach nur der Beste sein möchte. Ihm sind doch alle anderen völlig egal. Er möchte nur König werden, um zu demonstrieren, dass er mich schlagen kann. Aus Eigennutz – für nichts anderes!“

Shan zuckte mit den Schultern. „Es gilt aber das Gesetz des Stärkeren.“

„Dann muss ich mich wohl anstrengen, stärker zu bleiben!“, antwortete Midna optimistisch.


 

Seit er hier war, fühlte er zum ersten Mal wahre Freude. Glück. Es umfloss ihn. Und mit ihm Midnas Abbild.
 

Shan war alleine in ihrem Zimmer. Midna würde bald zur Königin gekrönt werden. Dann würde sie völlig einsam hier leben … Niemand würde hier bei ihr bleiben … Midna hatte ihr gesagt, dass es nicht in ihrer Macht liegen würde, ob sie sich eine solch schwache Beraterin zulegen durfte oder nicht …

Midna wollte sie doch auch nicht alleine lassen … Aber es musste sein …

Immerhin würde sie Königin werden. Sie erhielt sogar die Ausbildung dazu.

Shan seufzte, als sie sich vom Bett erhob. Dabei bemerkte sie, dass ein Zettel unter ihrer Matratze hervorlugte. Was das wohl sein würde?

Sie zog ihn hervor.

Es war ein Stück Papier …

„Wir verstanden uns gut. Vorzüglich sogar.

Manches erzählten wir uns, anderes verschwiegen wir.

Ist es denn nicht überall so?

Hat nicht jeder seine Geheimnisse?

Doch ich hasste niemanden mehr als sie.

Ihr alleine galt der Grundstein für meinen unsäglichen Hass.

Es war kein Hass, für dessen Stillung ich morden würde.

Ich mordete prinzipiell nicht.

Es war nur ein Hass, der in meiner Seele verankert war und nicht entkommen konnte.

Früher haben wir uns oft einen Spaß daraus gemacht.

Doch jetzt war es kein Witz mehr.

Mit dem Alter ändert man sich.

Und damit auch der Humor.

Ist das denn nicht witzig?“, las sie leise murmelnd vor, ehe sie verstand, was sie da in ihren Händen hielt. Sie drehte das Papier um. Auch auf der Hinterseite war noch etwas geschrieben. Sie hob ihre Matratze hoch und entdeckte auch den ganzen Rest ihres Zettelhaufens.

Es waren alte Aufzeichnungen von ihr. Sie hatte sie gemacht, weil sie ihre Gefühle festhalten wollte. Sie wollte nicht, dass irgendjemand sie je las – darum hatte sie sie in die Matratze gelegt … Jetzt wurde die Matte wohl langsam alt und gab Dinge preis, die niemand hätte sehen sollen …

Sie hoffte, dass niemand unter ihrer Matratze war, aber … Was sollte da auch jemand tun?

Sie war immerhin kaum eine Shan. Noch immer …

Nichts hatte sich geändert … Auch wenn Jahre seit ihrem letzten Eintrag vergangen waren … Es war dasselbe wie damals … Hass und Liebe … Unentschlossenheit … Midna …

Vielleicht würde sie ihre Gefühle irgendwann wieder auf diesen belanglosen Papieren festhalten, sie zerknüllen und unter ihr Bett werfen – in der Hoffnung, dass ihre Probleme über Nacht verschwinden würden … Aber … wenn Probleme so leicht gelöst werden würden, hätte sie sie schon längst gelöst …

Sie seufzte schwer. Wieso …?


 

Er fühlte Verdruss und Scham. Scham darüber, dass sie an Wunder glaubte … Doch er sah Bilder auf sich zukommen. Bilder einer älteren Shan … Einer Shan, die immer wieder neue solche Papiere herstellte …
 

„Heute ist der große Tag, meine Freunde, mein Volk!“, verkündete der ehemalige König des Schattens mit hoch erhobenen Armen, „Der Tag der Entscheidung ist angerückt!“ Er machte eine kurze Pause, sodass die versammelten Leute ihren Applaus abgeben konnten.

Das komplette Volk der Schatten war angetreten.

Der Thronsaal war völlig überfüllt. Auch die Säle dahinter schäumten vor Leuten über.

Doch jeder wollte diesen Tag erleben. Den Tag, an dem ihr neuer Herrscher gekürt wurde.

Midna. Oder Zanto?

Auch nach der Schulzeit waren die beiden immer noch stark. Gleich stark. Midna machte sich durch ihren offenen und lustigen Charakter immer mehr Freunde, sammelte Beliebtheit. Zanto hingegen überzeugte durch Wissensdurst und Intelligenz. Midna war natürlich ebenfalls so klug, doch sie konnte nicht jede Frage hundertprozentig beantworten – während Zanto fleißig lernte und studierte. Immer weiter. Auch nach der Schule. Bis er jede Frage beantworten konnte.

Aber er achtete nicht auf das Volk.

Midna hingegen schloss Freundschaft mit allen. Mit jeder Altersgruppe.

Denn sie sollte Königin werden.

Shan stand in keinem der Säle, sondern stand in einer Kammer neben dem Thronsaal. In Midnas Kammer. Die beiden Schwestern waren alleine dort. Zanto war vermutlich völlig einsam in einer anderen Kammer.

Die Worte des Königs waren deutlich zu hören.

Der alte Mann war krank. Er sorgte sich um einen Nachfolger. Darum war die Krönung vorverlegt worden.

Die Entscheidung würde vermutlich aber schon längst feststehen.

„Es ist ein unfairer Kampf“, platzte Shan heraus, als sie gegen die Steinwand gelehnt zu Midna sah.

Midna sah wunderschön aus. Sie hatte die zeremonielle Festtagskleidung angelegt – einen schwarzen Kapuzenmantel, der viel von ihrem Körper zeigte, und auf dem die Zeichen des Gelübdes eingenäht waren, welche auch auf ihren Handschuhen leuchteten. Und auf ihrem Kopf hatte sie genug Platz für das Kronengestell des Herrschers.

Sie wirkte ein wenig angespannt, sah aber überrascht zu Shan, als diese das sagte.

„Zweifelst du jetzt etwa an mir?“, fragte Midna und verschränkte die Arme.

Doch ihre Größe verlor sie nicht. Ihre Haltung blieb. Man sah, dass sie darin ausgebildet wurde, sich wie eine Königin zu benehmen.

Trotz Shans Ähnlichkeit zu ihr – die nicht verwirkt war, in all den Jahren nicht -, konnte sie mit der Autorität ihrer Schwester nicht mithalten. Mit der Größe allerdings schon. Auf den Zentimeter genau.

„Nein … Aber an der Methode“, fuhr Shan fort, „Zanto glaubt noch immer, er hätte eine Chance …“

„Zanto ist ein Einfaltspinsel – egal, wie weit sein Wissen reicht“, richtete Midna über ihn. Ihre Stimme klang kalt.

„Ja, schon …“, gab Shan – jetzt nicht mehr so mutig wie zuvor – zu, „Aber … er … er ist gefährlich, Midna!“

Jetzt grinste sie wieder und dieses schelmische Funkeln kehrte in ihren Blick zurück. „Gefährlicher als ich? Soll ich dir meine Magie demonstrieren?“

Shan schüttelte schnell den Kopf. „Nein, danke, nicht nötig! Aber … du solltest es Ernst nehmen … Er glaubt wirklich, dass er reale Chancen auf den Thron hat … Ich habe gestern mit ihm gesprochen … Er klang so überzeugt …“

Midna zuckte mit den Schultern. „Er hat es nicht verstanden. Und solchen Hohlköpfen muss man ihren Platz eben zeigen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Und sein Platz ist nicht am Thron.“

„Die beiden Anwerber, die ihr bestimmt kennt, sind gleich auf!“, rief der König draußen aus, „Zumindest, was ihre Stärke betrifft! Ein sehr seltenes Ereignis – und eine sehr schwere Entscheidung … Beide sind meine Kinder, bei denen mir scheint, ich hätte sie selbst großgezogen! Dies macht mein Vaterherz umso schwerer. Und deshalb muss ich differenzieren – ich muss des Volkes Glück wählen! Denn all mein Volk ist mein Kind! Deshalb fällt meine Entscheidung …“ Eine Spannungspause. „… auf Midna.“

Ihre Schwester grinste siegessicher, ehe sie aus dem Raum trat und ihre Danksagung begann.

Shan machte sich Sorgen. Midna nahm das zu locker … Sie vergaß, dass Zanto gleich stark war wie sie. Genauso gefährlich. Bloß, weil er keine Krone hatte …

Sie warpte sich selbst in die Kabine von Zanto.

Er war nicht da.

Wo war er bloß?


 

Link glaubte, den Rest der Geschichte zu kennen, ihm kam die Situation bekannt vor, aber …

Etwas war anders … Es war Shan … Wie passte Shan in diese Geschichte …?

Die Erinnerung riss an ihm.

Mit dir - Ganondorf

Vermutlich war Zanto jetzt sehr, sehr bestürzt. Der König hatte seine Entscheidung Kund getan. Eigentlich würde Zanto jetzt zum direkten Unterstellten gewählt werden. Doch diese Blamage würde er sich nicht antun – soweit kannte Shan ihn zumindest. Er würde sich Midna nicht unterordnen.

Doch was würde er dann versuchen?

Er war wahrscheinlich nach draußen gegangen … Weit weg von allen, die ihn auslachen konnten. Er war ein Einzelgänger, er war nicht sicher.

Und das, obwohl er sein Leben lang fleißig war. Er hatte immer geschuftet – und was war dafür sein Dank? Versagen. Verachtung.

Mitleid für Zanto machte sich in Shan breit. Dieses Mitleid empfand sie bereits seit ein paar Jahren. Nachdem sich genau herauskristallisiert hatte, dass Zanto gegen Midna keine Chance hatte … Aber er war zu verblendet von seinem eigenen Wissen, um es zu bemerken … An diesem Wissen mangelte es ihm einfach …

Shan hatte versucht, sich mit ihm anzufreunden – nach der Schule. Immerhin war er einer der wenigen, die sie nie mit Midna verwechselt hatten. Zanto war Midnas ärgster Konkurrent. Er kannte sie. Und er würde sie unter tausend Kopien genau erkennen.

Shan eilte aus der Kammer. Die Kammer war mit der Außenmauer verbunden – ein schneller Fluchtweg. Zanto hatte sich wohl nicht durch die Menge stürzen wollen. Also würde er diesen – etwas umständlichen – Weg gegangen sein.

Sie eilte ihm hinterher. Was auch immer sie vor hatte … Oder warum …

Zanto hatte ihre Freundschaft abgelehnt. Er wollte sie nicht um sich haben – na ja, sie war auch mit dem Gesicht seiner Peinigerin gebrandmarkt. Sie würde ihn jede Sekunde an Midna erinnern. So wie sie jeden an Midna erinnerte.

Denn Shan existierte auch nach zwanzig Jahren des „Lebens“ noch nicht.

Auch wenn ihre Mutter, damals als sie noch lebte, als Shan und Midna kleine Mädchen waren, sie immer auseinander halten konnte und ihnen immer Mut gemacht hatte – Shan immer Mut gemacht hatte … Ihnen immer Vorteile von Zwillingen genannt hatte … Shan hatte es zu nichts gebracht. Zu gar nichts …

Diejenige, die sie über alles hasste, war diejenige, die sie über alles liebte. Sie wünschte sich, dass jemand Midna schwächte, ertrug es aber nicht, wenn jemand Midna verletzte. Sie … sie konnte sich einfach nicht entscheiden …

Ihre einzige Bezugsperson … Die Einzige, der sie vertraute …

Ihr Leben war bereits gelaufen. Sie hatte nicht mehr die Hoffnung, dass aus ihr irgendetwas werden würde. Sie glaubte nicht daran, dass es für sie möglich sein würde, zu leben. Nein … so etwas war ausgeschlossen. Für sie.

Sie sah bereits das Dämmerlicht am Ende des dunklen Tunnels und schloss den Abstand. Von dieser erhöhten Position, auf der sie sich jetzt befand, aus, sah sie sich um. Wo konnte er nur hingegangen sein?

Sie ging willkürlich einen Schritt in irgendeine Richtung, als sie plötzlich von irgendetwas umschlossen wurde. Es schlich sich in ihr Herz … Es war dunkler Nebel, der ihren Geist umfloss, ihr Dinge zuflüsterte …

Dunkelheit. Sofort setzte sie ihren Schild ein, um diese Gedanken zu zerstören.

Woher kamen sie? Hatte Zanto etwa einen unerlaubten Zauber gesprochen? Wie sonst hätte er sie so beeinflussen können? So eine Magie war ihnen nicht vergönnt – nicht erlaubt! Es war … verboten! Was tat er nur?

Sie eilte schnell weiter. Je näher sie dem Herzen der Dunkelheit kam, desto anstrengender wurde es, den Schild aufrecht zu erhalten.

Als sie es kaum mehr aushielt, spielte sie mit dem Gedanken, Midna zu holen.

Aber … Midna würde ihr sowieso nicht glauben. Midna würde nicht glauben, dass Zanto gefährlich war … Sie würde ihr nicht glauben, dass Zanto verbotene Magie beherrschte …Midna … vertraute ihr nicht …

Also machte sie weitere mutige Schritte – bis sie um eine Ecke schritt.

Zanto lag am Boden, vor ihm schwebte ein … ein riesiger, gelber Kopf!

Zanto erhob sich schnell.

Sein Blick kreuzte den ihren. Und er schritt langsam auf sie zu.

„Zanto …?“, fragte Shan atemlos, „Was ist das …? Was hast du getan …?“

Er schien wie in Trance. Seine Schritte wirkten leblos, doch anmutig – herrisch.

Was war mit ihm passiert? Er verhielt sich eigentlich nicht so … Er …

Zanto blieb vor ihr stehen. Und er streckte einen Arm aus.

„Zanto!“, brachte sie hervor, als sie die Augen zusammenpresste, „Ich wollte dich als König!“

Er hielt inne.

Langsam öffnete sie ihre Augen erneut.

Seine großen, gelben Augen musterten sie forschend und kalkulierend.

„Wirklich …“, murmelte sie leise, jedoch mit Nachdruck, „Wenn Midna keine Königin wäre … sie wäre so wie ich! Allein … und nur für mich da …“ Sie sprach kaum verständlich.

Sie wusste nicht, weshalb sie ihm das erzählte. Aber ihr wurde klar, dass es sich dabei um die Wahrheit handelte. So wollte sie es. Wenn Zanto König geworden wäre …

Und plötzlich erkannte sie, dass dieses jahrelange Mitleid gar nicht Zanto gegolten hatte – es galt ihr selbst. Weil sie wusste, dass ihr Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde … Midna würde nicht zu ihr zurückkommen … Midna …

„Welch herzzerreißend arme Kreatur“, erklang plötzlich eine dritte Stimme.

Shan schaute sich ängstlich um, bis sie erkannte, dass der Sprecher der schwebende Kopf war.

„Von Einsamkeit geplagt, von Eifersucht zerfurcht und von Missgunst geleitet …“ Er lachte finster, aber amüsiert. „Und dazu bereit, zu zerstören, was nicht ihres ist, obgleich es der Blutsverwandtschaft Besitz darstellt. Welch Freude.“ Der Kopf grinste.

Shan wandte den Blick ab und flüchtete sich zu Zanto. „Wer ist das, Zanto? Was hast du mit ihm …?“

Zanto schritt weiter – an ihr vorbei. Und während er an ihr vorbeiging, murmelte er ihr folgende Worte zu. „Der wahre König hat mich auserkoren, denn ich soll es sein – der wahre Herrscher.“ Er ging an ihr vorüber. „Und ich werde mir holen, was mein ist.“ Und mit diesen Worten verschwand er.

Der Kopf schwebte derweil auf Shan zu. „Dein Herz vermag sich an alles zu klammern. Annehmen würde es eines jeden Hilfe. Es schlägt in größter Not. Welch armes Geschöpf, welches dieses Leid erträgt – verursacht von der Schwester Erfolg …“ Er grinste.

Shan konnte nicht anders, als ihn anzusehen.

Er schien ihr Herz zu lesen … Es war ihr, als würde er sie kennen. Als kenne er sie ganz genau … Als wüsste er alles über sie …

Alles …

Tränen stiegen in ihre Augen, doch sie hielt sie vom Abstürzen ab … Sie würde nicht weinen …

„Alles …“, murmelte sie vor sich her und führte ihre Hände an den Ort, an dem ihr Herz schlug.

„Dein wahrer Wunsch ist groß, doch der wahrste aller klein …“ Der Kopf schwieg. „Mein Name ist Ganondorf, Shan, König über Licht und Dunkelheit.“ Er schwieg für einen Moment. „Begib dich zum Schloss von Hyrule.“
 

Ganondorf – König über Licht und Dunkelheit.

… Shan … War alles, was sie je hören wollte, dass ein Fremder sie beim Namen nannte?

Shan …
 

i Shan war durch den Spiegel gegangen.

Zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie fühlte, dass für sie keine Gefahr bestand.

Sie wusste nicht, warum – doch sie glaubte, dass Ganondorf sie nicht betrügen würde.

Er würde ihr helfen …

Immerhin verstand er sie … Er kannte sie …

Er … Er … Konnte er ihr das Leben schenkte, das sie sich wünschte?

Zum ersten Mal in ihrem Leben warpte sie sich in ein ganzes anderes Land. Nach Hyrule.

Und als sie vor dem Spiegel der anderen Welt zu stehen kam, staunte sie nicht schlecht, als alles hell erleuchtet war. Die alte, braune Ruine, der Spiegel … Alles …

Die Sonne … So wunderschön …

Sie wagte es, in die Sonne zu sehen.

Und plötzlich glaubte sie, sterben zu müssen.

Schnell wandte sie das Warpen an, sodass sie an das Schloss von Hyrule gelangen konnte.

Eine Vorstellung davon reichte, um herüber zu kommen. Soweit hatte sie das Warpen sehr gut unter Kontrolle.

Im Schatten des Schlosses erging es ihr besser …

Jetzt konnte sie gehen …

Zu Ganondorf.

/i
 

Unsägliche Schmerzen trieben Link beinahe in den Wahnsinn, als die Sonne ihre Haut berührte und versengte. Schmerzen … Schmerzen, die beim Gedanke an Ganondorf sofort verblassten.
 

„Der Prinzessins Licht ist bereits erloschen“, verkündete Ganondorf, während er am Thron saß, welcher ursprünglich für Prinzessin Zelda gedacht war.

Sie stand mitten im Thronsaal. Außer Ganondorf und ihr war hier niemand zu sehen. Na ja, die einzigen Wachen waren auch Geschöpfe der Dunkelheit. Und diese konnte Ganondorf beschwören, sobald er es wollte.

„Wie weit ist Zanto im Dämmerlicht?“, informierte sich Shan. Sorge beschlich ihr Herz. Was, wenn er Rache an Midna genommen hatte …? Was, wenn er sie …?

„Er hat sich vorzüglich an die Anweisungen gehalten“, beantwortete Ganondorf ihre Frage, wobei er sich im Sessel zurücklehnte und sie aus kleinen, goldenen Augen ansah, „Sämtliche Mitglieder der Bevölkerung sind ausgeschalten. Er hat berichtet, dass der Großteil geflohen ist.“ Ein Grinsen schlich auf seine Lippen. „Wie es scheint, deine Schwester ebenso.“

Shan zog die Stirn kraus. Midna? Abhauen? Das hörte sich aber gar nicht nach ihr an … Ihre Sorge war es eigentlich, dass Midna sich Hals über Kopf in Gefahr stürzen würde, um Zantos Zug aufzuhalten … Sein Befehl war es, den Schattenbewohnern ihre Magie zu nehmen, sodass ihm eine leichte Übernahme möglich war. Zanto würde der Assistenzherrscher von Ganondorf werden.

Ganondorf würde ein Gottkönig sein – Herrscher über Licht und Dunkel, am Thron des Triforce. Zanto würde das Dämmerlicht übernehmen. Sie hatte herausgefunden, dass Zanto stärker war, als es schien, da ihm noch eine weitere Macht umgab: Er war vom Schicksal gesegnet. Ganondorf hatte ihr beigebracht, was es bedeutete, so auserwählt zu werden. Ein unverdientes Tief – er wurde kein König. Ungewollte hatte Midna ihn also erstarken lassen … ihren Feind … Die Tragödie über den Verlust seines Thrones …

„Du scheinst unzufrieden mit dieser Antwort, Shan“, erkannte Ganondorf, „Was bedrückt dich?“

Shan … Er hatte es schon wieder getan … Er sagte ihren Namen! Ohne Spott – ohne Verwechslung … Einfach … ihren Name. Shan. Weil er mit ihr sprach. Weil er mit ihr sprechen wollte. Mit ihr. Nicht mit Midna! Und er würde auch nicht mit Midna sprechen wollen, wenn sie hier wäre … Nur mit ihr … Mit Shan …

„Es hört sich einfach nicht nach meiner Schwester an, wegzulaufen … Mir scheint es mehr, als würde sie sich eine Deckung suchen – oder aber Verstärkung.“

Ganondorfs amüsiertes Kichern ertönte erneut. „Es wird eine interessante Vorstellung geben.“


 

Beim Anblick des lebendigen Ganondorfs durchlief Link ein eiskaltes Frösteln. Er selbst hatte auch Erinnerungen an ihn. Doch sie wirkten nicht annähernd so lebendig. Und schon gar nicht so erleuchtet … Shan musste wirklich an ihm gehangen haben …
 

Shan warpte sich in den Thronsaal, weil Zanto sie darauf aufmerksam gemacht hatte, dass es von Ganondorf Neuigkeiten gab. Zanto war unterwegs, die Welt in Dunkelheit zu stürzen und blieb ständig mit Ganondorf in Kontakt. Die beiden hatten ihre Kräfte verschmolzen. Dadurch war Zanto stärker geworden. Stärker als Midna.

Der stärkste Mann auf Erden – neben Ganondorf. Diese Stärke würde er auch brauchen, wenn er König werden wollte.

„Guten Tag, Shan“, begrüßte Ganondorf sie. Diesmal saß er nicht am Thron, sondern stand an einem Fenster und schaute nach draußen. „Du hattest Recht.“

Sie schritt durch den Saal auf Ganondorf zu. Ein wenig hinter ihm blieb sie stehen. „Recht?“, wiederholte sie verwirrt, „Womit?“

„Deine Schwester hat nicht den Rückzug ergriffen – sie hat sich Verstärkung gesucht.“ Seine Stimme klang nicht mehr sanft und lieblich, sondern ernsthaft besorgt.

Sie schloss – ohne lange nachzudenken – den Abstand zu ihm und sah ihn besorgt an.

Trotz ihrer eigenen Größe überragte Ganondorf sie noch immer bei Weitem.

„Ihr ist es gelungen, den verfluchten Triforceträger zu befreien“, eröffnete Ganondorf ihr, „Denjenigen, nach dem Zanto die Diener der Dunkelheit ausgeschickt hatte.“

Shan nickte. Sie wusste, wen er meinte. Es war ein Dorfjunge. Zanto hatte ihr erzählt, dass sein erster Auftrag darin bestand, diesen Jungen zu finden und zu beseitigen.

Ihr Blick wanderte zu Ganondorfs linker Hand, wobei sie die Narbe, die auf seinem Bauch klaffte, zu ignorieren versuchte. Ein Triforce – es war eine heilige Macht, die auf drei Personen aufgeteilt wurde. Prinzessin Zelda, welche eines trug, hatte Ganondorf eingesperrt. Unerreichbar für jeden. Link hatte er ebenfalls eingekerkert. Er hatte ursprünglich vor, die Macht der beiden an sich zu reißen. Dies war allerdings nur möglich, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt waren, welche er mit ihr noch nicht erörtert hatte.

„Und er traf auf Prinzessin Zelda“, fügte Ganondorf trocken hinzu, „Das Werk deiner Schwester, wie mir scheint.“

Shan verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. Ja, Pläne zu durchkreuzen, die eigentlich sattelfest waren, klang sehr nach ihrer Schwester …

Er schaute auf sie herab. Sein Blick ließ keine Gefühle durch. „Dir ist klar, dass sie deine Feinde sind?“

Shan verbeugte sich tief vor Ganondorf. „Ihr seid mein einziger König und ich würde für Euch sterben.“

Er legte eine Hand auf ihren Kopf. „Deine Loyalität erweist sich als nützlich, Shan.“ Er nahm die Hand von ihr. „Erhebe dich.“

Sie richtete sich auf und sah wieder zu ihm hoch. „Was soll ich für Euch tun?“

„Konserviere meine Kräfte“, befahl er ihr.

Und die Anleitung folgte.


 

Link fühlte Aufregung, Spannung … und Liebe …

Ehrfurcht …

Shan wollte bei Ganondorf sein … Für sie war nur Ganondorf wichtig …

Und sie hätte alles dafür getan, um Ganondorfs Glück zu gewährleisten …

Alles …
 

Shan war ins Dämmerlicht zurückgekehrt. Ihre Gestalt hatte sie den anderen angepasst. Viele waren wirklich nicht mehr übrig und alle waren genauso hässlich und klein und schwach wie sie. Amüsiert erkannte sie, dass einige der zehn Auserwählten, damals von solch großer Stärke umwoben, ebenfalls so klein und schwach vor ihr standen. Aber sie erkannte niemand.

„Wo ist Prinzessin Midna?“, jammerten einige, „Wo ist sie?“

„Der König ist tot – wo ist seine Nachfolgerin?“

„Hat Midna uns im Stich gelassen?“

Shan äußerte sich zu keinem der Worte. Sie beobachtete lediglich die Dunkelheit, die sie umgab. Dann schwebte sie flink davon, an eine Stelle, die niemand einsehen konnte.

Sie hatte neue Ausstattung erhalten. Geschenke – von Ganondorf. Für die Konservierung …

Ihr Blick fiel auf den Ring auf ihrem Finger. Ein roter, kleiner Rubin glänzte darauf. Er war von Silber umgeben und funkelte glücklich dahin. Er passte sich dem Zauber, mit dem sie sich selbst jedes Mal belegte, wenn sie hierher kam, an und schrumpfte, sodass die anderen ihn nicht bemerkten.

Sie berührte den Finger und atmete tief durch. Diesmal musste sie es richtig machen. Sie musste am richtigen Ort landen.

Sie hatte einfach keine Übung damit. Ganondorf hatte ihr gesagt, dass sie einfach oft genug zwischen den Welten reisen musste, um ihn richtig kontrollieren zu können.

Sie öffnete das Tor, das der Ring beinhaltete und wählte ihren Zielort aus. Dort konnte sie das nächste Schmuckstück ausprobieren.

Die Dunkelheit des Rings umgab und verschluckte sie. Während er sie transportierte, verwandelte sie sich in ihre ursprüngliche Gestalt zurück. Doch dieser Trick irritierte die Magie des Ringes nicht.

Er ließ sie wieder frei und sie sah sich um.

Sie war am Hyrule-Feld gelandet. Nicht genau da, wo sie eigentlich sein wollte, sondern anderswo, aber das war ihr egal. Immerhin schien auch hier die Sonne fleißig.

Sie blickte direkt in die leuchtende Scheibe.

Das gleißende Gold, dessen Strahlen tödlich sein sollten, konnte ihr nichts anhaben.

Sie lächelte und umfasste dabei die Kette, an deren Ende ein Rubin befestigt war. Ein roter Rubin – gemacht aus Energie und Blut. Aus Ganondorfs und ihrem Blut.

Sie umklammerte ihn fest und drückte ihn an sich.

Er vertraute ihr. Er vertraute ihr wahrhaftig.

Nicht so wie Midna.

Er … er vertraute ihr diese Macht an …

Ungeheure Kräfte … Sie fühlte, wie diese Kräfte gegen sie schlugen. Wie sie sie verzehren wollten. Doch sie konnte widerstehen. Das lag an ihrem Blut, welches dahinein gemischt wurde. Ganondorf hatte es gesichert …

Er wollte von ihr, dass sie auf seine Kräfte aufpasste. Sie durfte Teile davon verwenden, um sich selbst in Notsituationen zu verstärken. Immerhin hatte er so viel davon, dass diese wenigen Tropfen Energie nicht viel Unterschied machten.

Er erzählte ihr, dass zwischen ihm und Zanto etwas Ähnliches geschehen sei. Aber Zanto war sein Auge. Shan war seine Hüterin.

Sie warpte sich auf normalem Wege in das Schloss von Hyrule und setzte sich dort auf eine Treppe. Ganondorf hatte noch nicht nach ihr gerufen.

Sie hatte Information erhalten, dass Link und Midna bereits wieder am Weg waren, die Dunkelheit, die Zanto unter viel Anstrengung angebracht hatte, aufzulösen …

„Und ich dachte … du würdest die Dunkelheit mehr mögen als das Licht …“, murmelte Shan verbittert. Sie würde Midna bekämpfen, wenn es sein musste … Doch es musste nicht sein. Ganondorf würde gewinnen. Egal, was er glaubte. Egal, was er sagte …

Sie schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu vertreiben, doch seine Worte hallten in ihrem Kopf wieder. Als er sich nah zu ihr gebeugt hatte, um zu vergewissern, dass wirklich nur sie es hören konnte …

Sie schlug die Hände auf ihr Gesicht, als die Erinnerung hoch kam … An ihr Herzrasen, an ihre wirren Gedanken … und an seine zerstörenden Worte …

„Sie sind eine Gefahr … ich möchte, dass du meine Kräfte nimmst und sie aufbewahrst, bis der wahre Zeitpunkt gekommen ist. Sie könnten die Macht haben, mir mein Leben zu nehmen. Zwar bezweifle ich dies, doch sie haben bisweilen mehr angerichtet, als ich von ihnen erwartet hätte … Weitere Informationen- …“

Sie vertrieb das Nachhallen seiner Stimme aus ihren Gedanken und sah die Rubinkette besorgt an. Sie würde sie nicht bewahren müssen. Er würde siegen. Er war so gut … So stark … Ein Mann in Rüstung … Der Mann, auf den sie all die Zeit gewartet hatte … Er brauchte sie … Sie allein … Nicht Midna … Wieso konnte er nicht einfach glücklich sein …?


 

Link fühlte das Leid, das Shan empfand, als sie damit konfrontiert wurde, dass Ganondorf sterben konnte – und es als reale Chance betrachtete. Und das durch die Hand ihrer Schwester …

Aber … das hatte dann jemand anders erledigt …
 

„Sie haben Prinzessin Zelda vernichtet?“, rief Shan erstaunt aus, als sie davon erfuhr. Ganondorf saß auf seinem Thron. Zanto stand neben ihr. Auch er wirkte irritiert.

„Ich habe den Wächtern befohlen, besser auf Zelda aufzupassen“, beschwor Zanto, „Sie sagen, sie hätten niemanden bemerkt.“

In Ganondorfs Augen blitzte kurze Ärger auf, doch mit einer wegwischenden Handbewegung war seine entzürnte Laune vorbei und ein Grinsen schlich auf seine Züge. „Eine interessante Herausforderung …“, befand er, „Äußerst interessant.“ Er erhob sich und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.

„Zanto. Sie werden nach Vergeltung verlangen. Folge meinem Befehl und zerstöre den Verbindungsspiegel zum Dämmerlichts.“

Zanto und sie sogen die Luft scharf ein.

„Den Spiegel, Euer Hoheit?“, fragte Zanto, „Doch wie …?“

Er grinste. „Der König des Dämmerlichts soll in seinem Licht bleiben“, befand er, „Sodass er sein Volk regieren kann … Dir wird es wohl nicht ein Anliegen sein, auf die verbliebenen, erkrankten Reste der Prinzessin erneut zu treffen, wo du ihren treuen Hund dermaßen verkrault hast?“

„Selbstverständlich nicht!“, pflichtete Zanto ihm bei.

Shan hatte gehört, dass Zanto Midna eine letzte Chance gegeben hatte. Sie hätten sie als Machtspender für Ganondorf benutzt. Midna war stark – sogar in ihrer geschwächten Form. Sie hätten sie einfach Ganondorf übergeben … und sie wäre dann ausgesaugt worden.

Ein tragisches Schicksal für ihre Schwester … doch ein würdiges … Vor allem, da sie immer jeden Plan zunichte machte!

Doch egal wie sehr Shan sich darauf fixierte, dass es gut für sie war, wenn es Midna schlecht ging … Sie war noch immer ihre Schwester … und es erfüllte sie mit tiefer Trauer, wenn ihre Schwester litt … Das Licht eines Lichtgeistes zu überleben …

Dafür hatten Link und Midna Zelda vernichtet … Sie hatten das getan, was Ganondorf mit Midna vorgehabt hatte. Midna hatte Zeldas Macht vollkommen absorbiert, um selbst wieder ins Leben treten zu können – um ihre Macht häufen zu können … Shan hatte nicht geglaubt, dass Midna so kalt hätte sein können …

Ihr Blick wanderte zu Zanto, welcher mit Ganondorf über geeignete Methoden sprach, den Spiegel zu zerbrechen, ohne sich auszusperren.

Zanto hatte ebenfalls ein wenig von Ganondorfs Macht erhalten. Dadurch war Ganondorf ein Teil von Zantos Seele geworden.

In Shans Fall war es anders. Ganondorfs Seele war ein Teil des Rubins, den sie um den Hals trug. Sie konnte seinen Geist immer bei sich spüren, war aber nicht direkt von ihm betroffen – und sie konnte auch nicht auf ihn einwirken …

Sie wusste nicht, ob Ganondorf Zanto von den Sicherheitsvorkehrungen für eine etwaige Niederlage erzählt hatte.

Doch Ganondorf wirkte ganz und gar nicht besorgt …

Shan glaubte daran, dass er gewinnen konnte.

Was mochte dieser Link schon mehr sein als ein Hund?


 

Link fühlte einen Hoffnungsschimmer … doch die Angst nagte noch immer an Shan …

Diese Unsicherheit …
 

„Er hat Zanto mit dem Masterschwert bekämpft. Deine Schwester hat ihn endgültig besiegt“; erklärte Ganondorf ihr, als er nachdenklich am Thron saß, „Was sagst du dazu, Shan?“

Shan hatte sich auf die Treppe gesetzt, um ebenfalls nachzudenken.

Zanto war tot … Midna hatte ihn mit ihrer Kraft besiegt … Wie stark war sie wirklich?

In ihrer derzeitigen Form hätte sie eigentlich … unterliegen müssen …

„Ob sie Zeldas Kraft mitbenutzt hat, um Zanto zu töten?“, fragte Shan leise, „Dann … wäre sie stärker gewesen als Zanto … Zelda war immerhin ebenfalls stark …“

„Es mag so scheinen …“, sagte er.

Sie hörte das Klimpern seiner Rüstung, als er sich erhob. Deshalb sah sie zu ihm hoch.

Er trat die Treppen nach unten. Zu ihr.

Er stellte sich auf dieselbe Stufe auf der sie saß.

„Ich möchte, dass du dieses Schloss verlässt“, verkündete Ganondorf.

Sie schaute ihn schockiert an. „Was …?“, rief sie verblüfft aus.

„Es ist hier zu gefährlich für dich. Du musst ein sicheres Versteck finden, bis das Ende dieser Tortur feststeht.“

„Ganondorf … Ihr …“, stockte Shan.

… Ihre Augen waren geweitet und sie schaute noch immer ungläubig drein … Er verbot es ihr, das Ende zu sehen … Er wollte, dass sie floh …

„Ich … Ich kann mich doch hier … Ihr … Ich habe immerhin Eure Kräfte … Wenn es eng wird- …“

Er unterbrach sie, indem er ihr eine Hand auf die Schulter legte. „Diese Kräfte sind für einen anderen Zug bestimmt – falls es zu einem neuen kommen muss. Wenn ich mit den meinen Kräften jetzt keinen Sieg erziele, so kann ich mit weitaus mehr Kraft das nächste Mal zuschlagen – in einem Moment der Überraschung.“ Er lächelte siegessicher.

„Ganondorf …“

Er hatte ihr kurz vor Zantos Kampf gegen Link und Midna Anleitungen gegeben. In einem Buch über Verbotene Magie stand beschrieben, wie man einen Toten zum Leben erwecken konnte … Einen Toten …

Sie erhob sich schleunigst und drückte sich verzweifelt an Ganondorfs Rüstung – ohne lange nachzudenken. „Ich will nicht, dass ihr sterbt!“, rief sie aus.

Ganondorf wirkte für einen Moment überrascht. Doch Shan war das egal. Sie wollte ihn nicht loslassen. Nein … wenn sie ihn losließ … Wenn sie das tat … dann würde er doch sterben …

„Wo verbleibt dein Glauben an mich, Shan?“, fragte er sanft, wobei er ihr erneut eine Hand auf die Schulter legte, „Glaube an mich und mein Sieg wird unbestreitbar sein.“ Mit diesen Worten beugte er sich nach unten und schenkte ihr einen Kuss auf die Stirn. Ein Zeichen … für … ein Versprechen …

„Ganondorf …“, hauchte sie unfassbar, aber auch kaum hörbar …


 

Hilflosigkeit überkam Link … Shan fühlte sich so hilflos … Zwar hatte sie die Macht, etwas zu ändern, doch benutzen konnte und durfte sie sie nicht … Angst beschlich sie immer und immer wieder … Es fühlte sich für sie wie ein Versagen an …
 

Das Schloss war gesprengt worden.

Midna war nicht zurückgekehrt. Midna …

Ganondorf kämpfte gegen Zelda und Link – zu Pferd …

Shan stand ein wenig entfernt. Sie stand auf einer Erhöhung und wünschte sich, nichts mit ansehen zu müssen. Doch sie schuldete es ihr selbst … Sie musste es sehen …

Das Ende …

Midnas Ende konnte sie schon nicht miterleben …

Die Tränen waren noch immer nicht vertrocknet. Immer wieder flossen weitere aus ihren Augen … Ihre Schwester … Ihre Schwester war tot … Midna … Solange hatte sie sie nicht mehr gesehen … und jetzt …? Jetzt konnte sie sie nie wieder sehen … Nie … Niemals … Nie mehr …

Sie wischte sich erneut über das Gesicht, um die Tränen verschwinden zu lassen …

Aber Ganondorf … Er würde es schaffen … Midna hatte verloren …

Da konnten dieser Dorfjunge und die schwache Prinzessin …

Ganondorf hatte Angst vor dem Triforce. Das Triforce war das erste, was er zerschlagen hatte … Und jetzt kämpften beide Triforceträger Seite an Seite … gegen ihn …

„Bitte … Ganondorf, siege … Siege …“, bat sie leise schluchzend, „… Siege …“

Sie wusste nicht mehr, was genau sie denken sollte. Ganondorf … er … er war derjenige, dem ihr Herz gehörte … Sie würde ihm überall hin folgen … Tun, was er verlangte … Sie wollte bei ihm sein … Sie wollte, dass er bei ihr war … Sie wollte nur seine Aufmerksamkeit, mehr brauchte sie nicht … Ganondorf … er sollte siegen … Wenn schon Zanto nicht mehr hier war … er musste doch Zanto rächen … Wenn Ganondorf siegte, konnten sie Zanto aus Ganondorf heraus wieder reanimieren … Er würde König werden können … Wie er wollte …

Sein Wunsch würde erfüllt werden … Sein Wunsch …

Aber Midna war so überzeugt von Link und Zelda, dass sie dafür gestorben war … die beiden waren einfach irgendwann durch ein Warpen aufgetaucht … Dahinter konnte doch nur Midna stecken … Sie hatte sie beschützt … Sie hatte Ganondorf wahrscheinlich soweit geschwächt … Midna … Midna war tot …

Tot …

Ganondorf verlor dieses Gefecht.

Der nächste Kampf folgte.

Ganondorf erschuf Barrieren, um ein Einmischen zu verhindern … Wenn er das eine Triforce zerstören konnte, war das andere kein Problem mehr … Ganondorf … Er sollte diesen Link töten … Töten …

Dieser Link … er hatte doch kein Recht zum Leben … sterben sollte er …

Sie fochten mit den Schwertern. Das Schwert der Geister gegen das Schwert der Meister …

Schlag folgte auf Schlag. Stich. Hieb.

Ganondorf hatte ihr selbst beigebracht, wie man diese Barrieren erschuf. Er hatte sie auch oberflächlich in die Schwertkunst eingeweiht … Sie würde beides brauchen, hatte er gesagt …

Ganondorf … er … er rechnete doch nicht etwa … damit zu sterben, oder? … Bitte … bitte nicht … Ganondorf …

Ein Fehler. Ein Hieb.

Ein Stoß.

Und das Meisterschwert steckte in Ganondorfs Körper.

„Nein!“, hörte sie sich selbst laut aufkreischen.

Doch niemand sonst sollte sie hören …


 

Diese Art von Verzweiflung, die Shan verspürte, kam Link fern bekannt vor … Unfähig etwas zu tun – nicht zu wissen, wer Freund oder Feind war … Shan selbst hatte ihm letztlich dieses Gefühl beschert …
 

Die Lichtgeister … Sie waren da … Und sie brachten Midna … In ihrer wahren Gestalt … Gott sei Dank … Midna … Sie war am Leben …!

Lange Zeit hatte Shan darauf gewartet, dass Ganondorf sich wieder rührte. Doch nichts. Auch der Geist in ihrem Rubin war erloschen. Doch sie hatte etwas gesehen … Etwas, was vielleicht kein anderer bemerkt hatte … Nicht Link hatte Ganondorf letztlich getötet … Es war Zanto selbst … Zanto …

War er eingeweiht in die Pläne, die Ganondorf und sie entwickelt hatten? Wusste er, dass es eine Revanche geben würde? Dass Ganondorf beim nächsten Mal so viel stärker sein würde?

War ihm das klar?

Sie wusste es nicht …

Mithilfe des Rings warpte sie sich zu Ganondorfs Körper.

Reglos hatten sie ihn hier stehen lassen … Als Trophäe vielleicht …

Wahrscheinlicher hatten sie aber bereits Truppen losgeschickt, um seinen Körper abzuholen …

„Ganondorf …“, hauchte sie, als sie direkt vor ihm stand. Sie sah in seine Augen, die starr geradeaus blicken. Starr auf das zerstörte Schloss. Sein Werk …

„Habe ich nicht genug geglaubt?“, fragte Shan erstickt, „Oder hast du dein Versprechen gebrochen?“ Sie brachte die Worte kaum heraus. Doch sie wollte zu ihm sprechen … Sie wollte doch nur eine Antwort … eine … eine einzige Antwort …

„Du bist doch der König des Lichts und des Schattens! Du bist doch derjenige, der Tag und Nacht gleich hell erstrahlen lassen möchte! Und gleich dunkel ebenfalls … Tag und Nacht … im genauen Gleichgewicht …!“, rief sie, „Wieso …? Wieso hast du versagt?“ Die klagende Verzweiflung war ihr unschwer anzuhören. Sei wollte nicht mehr … Er … Er war tot … Er würde ihr nicht … Er würde ihr nicht antworten … „Ganondorf …“, schluchzte sie …

Sie hielt sich davon ab, zu Boden zu fallen. Niederzuknien … Zu versinken …

Er … er konnte sich sogar im Tod aufrecht halten … Sie lebte noch … Sie lebte …

Sie war seine Hoffnung. Sie schaute in seine Augen. „Ich … Ich soll es sein, nicht wahr?“, fragte sie ihn ungläubig, „Ich … Ich bin es, auf die Ihr wartet …“, schloss sie erstickt, „Ich … ich will Euch nicht enttäuschen …“

Er hatte ihr aufgetragen, sein Diadem zu nehmen, sodass es nicht von dreckigen Fingern beschmutzt wurde. Es sollte nur von einem wahren König getragen werden. Von jemandem, der veränderte.

Sie schwebte nach oben und entnahm es ihm, auch wenn es schmerzte, es zu tun. Sie nahm ihm etwas … sie beraubte ihn … und nichts davon fühlte er … Nichts … denn …

Sie landete wieder am Boden. Von weitem ertönte Hufgetrampel.

„Bitte, Ganondorf, wartet auf mich …“, bat sie ihn leise. Sie umarmte ihn kurz – am Schwert vorbei, „Bitte, gebt die Hoffnung nicht auf … Ich werde tun, was ich kann, um Euch zu retten …“

Und damit warpte sie sich davon.

Mit dir - Link

„Shan!“, rief Midna, welche auf ihrem Bett gesessen hatte, laut, als Shan zurückkehrte. Sie war wirklich wieder in ihrer wahren Gestalt … Shan ebenfalls. Sie hatte sich bereits gedacht, dass alle Zauber aufgelöst worden waren. Also war sie gleich in die richtige Rolle zurückgerutscht.

Ganondorfs Diadem hatte sie in ihrer Manteltasche. Sie trug wieder dasselbe Gewand wie an dem Tag, an dem Midna gekrönt worden war. Viel Zeit war seither vergangen …

Midna stand auf, rannte stürmisch auf sie zu und umarmte sie. „Du bist wieder da!“, rief sie erfreut aus, „Ich habe schon nach dir gesucht! Ich wusste doch, dass du auf mich warten würdest!“ Sie drückte sie fester an sich, „Ich habe dich so vermisst …“

Shan spürte, wie Tränen in ihre Augen stiegen. Midna … Sie hatte an sie gedacht … Und sie …?

Shan erwiderte die Umarmung und drückte Midna fest an sich. Sie lebte … Midna war …wirklich zurück … Wirklich …

Und sie hatte sich verändert.

Nein … sie hatten sich beide verändert …

Nach kurzer Zeit ließen sie einander los, wagten es aber nicht, ihre Hände loszulassen, welche die jeweilige Hand der anderen fest hielten.

Midna lächelte sie an. „Ich bin jetzt wirklich die Prinzessin des Dämmerlichts … Weißt du, Shan … Ich habe es nicht vergessen – du hast mich vor Zanto gewarnt … Du hattest Recht … Wenn ich …“

Shan glaubte, sich zu verschauen, doch glitzernde Tränen sammelten sich in Midnas Augen an.

„Midna …“, hauchte sie erstaunt.

„Wenn ich nur auf dich gehört hätte …“, brachte aufgelöst Midna hervor, die Tränen verlierend, „Dann … Dann …“ Erneut umarmte sie Shan stürmisch – nur dass sie diesmal zu schluchzen begann.

Midna weinte … vor ihr … Nur vor ihr … Auch wenn sie ihre Schwester war … Midna weinte nicht. Midna war stark. Selbstbewusst … Immer glücklich … und jetzt … jetzt weinte sie …

Shan drückte ihre Schwester fest an sich. Und ihr selbst stiegen erneut Tränen in die Augen.

Und so standen die beiden Schwestern in ihrem Zimmer und weinten bitterlich.


 

Shan war erneut zwiegespalten … Was sollte sie tun? Ganondorf helfen, wie sie es versprochen hatte, oder sollte sie doch an Midnas Seite bleiben? … Beides würde nicht ewig halten …

Link fühlte die Trauer … die unsägliche Trauer … Er glaubte, sogar Midnas Gefühle spüren zu können …
 

„Und als letzte Zutat – die Energie der Schwarzen Fee“; las sie aus dem Buch vor, welches sie danach sorgfältig wieder in ihre Tasche steckte.

Shan befand sich in einer Höhle, fernab von Hyrule, dort wo die Zutaten gelagert waren – und doch oben in der Welt des Lichts. Die Sonne machte ihr keine Probleme. Sie war jetzt immerhin beinahe fünf Jahre hier oben zugegen. Sie hatte alle Zutaten der Reihe nach besorgt.

Es hatte sich viel einfacher angehört, als es wirklich war. Einige der Mittel, die sie brauchte, musste sie stehlen. Andere musste sie sich erkämpfen … Sie erkannte, weshalb Ganondorf ihr das Fechten näher gebracht hatte. Sie hatte im Geheimen auch geübt. Bewohner des Dämmerlichts benutzten eigentlich keine Waffen – sie waren Magier.

Um Zutaten – wie die Schwarze Fee – zu finden, musste sie sehr viel recherchieren. Oftmals handelte es sich um Geheimnisse, die auch besser geheim bleiben sollten … Doch wenn der Schatten sein Begleiter war, hatte man es viel einfacher, an Informationen zu gelangen.

Sie atmete tief durch.

Auf in ihr Versteck …

Wenn sie die Schwarze Fee dann gefangen hatte, musste sie das Feenvolk angreifen. Es war ein Warnhinweis in einem Buch gewesen. Die Weiße Fee – die sie nicht berühren durfte, wenn sie die Schwarze Fee in ihrer Hand hatte – konnte mit anderen Feen in Kontakt treten und sich somit erstarken … Sie würde eine ernsthafte Gefahr sein.

Sie erinnerte sich noch genau an Ganondorfs Worte: „Gehe jeder Gefahr aus dem Weg. Vernichte die Gefahr, bevor sie die Chance hat, zu einer Gefahr zu werden.“

Sie wusste, was zu tun war. Ganondorfs Erwecken war ihr oberstes Ziel.

Dieses Versprechen …

Sie musste es einlösen!

Und damit warpte sie sich in die Höhle, die nur schwer gefunden werden konnte, wenn man nicht wusste, wo man suchen sollte. Doch Shan wusste es. Sie wusste es nur zu genau. Sie hatte sich jedes Wort der Beschreibung angesehen und eingeprägt …

Mirai – die Schwarze Fee …

Der Ort, an dem sie mithilfe ihres Ringes landete, war ein einfacher Saal aus Stein. Mehr eine Höhle. Doch es war völlig ruhig. Kein Geräusch war zu hören.

Bis Shan einen Schritt ging. Ihr Schritt hallte und hallte – immer wieder und wieder …

„Wer wagt es, uns zu stören?“, erklang plötzlich irgendwo eine Stimme.

„Shan aus dem Dämmerlicht“, antwortete sie ohne zu zögern. Diese Stimme musste einer der Feen gehören.

Plötzlich erschienen vor ihr zwei wunderschöne Gestalten. Ihre Flügel waren mit Federn versehen – die Flügel der weißen Fee weiß, das reine Licht, die unendliche Reinheit … Die Flügel der Schwarzen Fee Pechschwarz … wie die Dunkelheit … Sie waren Teile der Verkörperung von Nacht und Tag.

Sie waren ultimative Gegensätze. Und es war sehr gefährlich, eine von ihnen zu entfernen. Doch Shan musste es tun … Für Ganondorf …

„So, so … Shan aus dem Dämmerlicht?“, wiederholte die Weiße Fee amüsiert – sie war auch zuvor die Sprecherin, wie Shan erkannte.

„Aber wie kommt jemand wie du an diesen Ort?“, mischte sich die Schwarze Fee nachdenklich und äußerst ruhig ein, „Dies ist doch ein Geheimnis …“

Shan sah ihr in die Augen. „Ich muss einen … einen Freund retten …“, erklärte Shan vorsichtig, „Ich brauche Eure Hilfe … Mirai …“

Yurai sah sich vorsichtig um, dann schaute sie Mirai an. Und letztlich wieder Shan. „Wenn dem so ist – woran leidet jener Freund denn?“

„Er liegt im Griff des Todes …“, erzählte Shan bedrückt – und klang dabei so aufrichtig wie möglich. Sie faltete die Hände. „Bitte, Ihr müsst ihm helfen … Ihr müsst mit mir kommen …“

Yurai war eindeutig misstrauisch.

Mirai hingegen nur besorgt.

„Ich gehe“, beschloss die Schwarze Fee ohne zu zögern.

„Nein, du bleibst …! Du weißt nicht, wer sie ist – oder woher sie weiß, wer wir sind!“, entgegnete Yurai und starrte ihre Schwester erbost – und bekümmert - an.

Ihre Chance.

Shan feuerte schnell einen schwarzen Blitz auf Mirai. Yurai warf sich – wie vermutet – vor sie.

Der Blitz lähmte Yurai. Sie krachte auf den Boden. Dunkelheit bekam einer weißen Fee nicht. Und einer schwarzen noch weniger. Und schon gar nicht Ganondorfs Magie, welche verboten und deshalb nicht in der Reichweite der Feen war, konnten sie abwehren. Mirai sah erschüttert zu Yurai, welche sich nicht rührte.

„Keine Sorge, sie lebt noch“; beruhigte Shan die verängstigte Fee. Mirai war ihrer Größe beinahe ebenbürtig – doch so angsterfüllt wirkte sie richtig klein.

Shan sandte einen viel kleineren dunklen Blitz auf Mirai. Die Fee ließ sich treffen. Sie versuchte nicht einmal, auszuweichen …

Der Blitz entnahm Mirai bereits Energie.

Shan wusste, dass sie mit keinem großen Kampf zu rechnen hatte. Es stand genauso beschrieben. Diese Geheimniskrämerei war ein Schutz für die Feen. Durch ihre Eigenschaften als Gegengewichte konnten sie sich nicht im Kampf erproben. Sie waren schwach. Wichtig, aber schwach …

Sie seufzte … Mirai verkleinerte sich immer weiter, bis sie nur noch eine winzige, kleine Fee war. Pechschwarz, aber ansonsten normal – wie Feen eben aussahen …

Shan widmete Yurai noch einen Blick. Gut, es schien mit ihr alles in Ordnung zu sein … Noch …

Sie hoffte, dass sie keine Weltordnung durcheinander brachte, indem sie diese Feen trennte … Doch bereits Leute vor ihr hatten Tote erweckt … Und die Welt war noch in Ordnung …

Sie hob die kleine, schwarze Fee auf und legte sie sanft auf ihre Hand. Sie umschloss sie vorsichtig, um sie vor Schaden zu bewahren.

„Tut mir leid, Yurai …“, murmelte sie noch, als sie sich davon warpte.

Die weiße Fee reagierte nicht.


 

Die Vorbereitungen waren letztlich abgeschlossen. Wenn nichts dazwischen kam, dann würde sie es schaffen – in etwa einem Monat würde Ganondorf wiedererweckt werden!

… Aber es gab weiterhin Gefahren, die sie ausschalten musste …

Zelda – und Link.

Midna wurde bereits das letzte Mal von Ganondorf besiegt. Sie stellte keine Gefahr da … Nein … das tat sie nicht … Sie brauchte nicht Hand an ihre Schwester zu legen … Das … das würde Ganondorf doch verstehen, oder?

Ein Bild des Mannes tauchte in ihrem Kopf auf … Von seinen leeren, starren Augen, welche gerade aus auf Vernichtung starrten … Vernichtung … Sie würde sie wieder hervorrufen …

Aber … Ganondorf … Er verdiente es doch, oder?

Er war es doch, der ihr geholfen hatte … Der erste Mensch, der sie geschätzt hatte … Derjenige, der ihr einen Zweck gegeben hatte – derjenige, der ihr Sinn verschafft hatte … Sie … Sie musste das alles doch tun, oder?

Sie stand in ihrem Zimmer und kramte in Midnas alten Sachen herum, von welchen einige noch immer hier waren. Sie hätte nie gedacht, dass sie einmal froh sein würde, ganz alleine zu leben. Niemand bemerkte je, wenn sie nicht da war. Keiner bemerkte, dass sie verschwinden konnte. Niemand wusste, dass sie nun die Einzige von ihnen war, die die Sonne betrachten konnte … Niemand anders – nur sie …

Sie fand das Festtagsgewand, welches Midna, dadurch, dass sie Königin war, nicht mehr gebrauchen konnte. Sie streifte es sich über. Dazu noch die Handschuhe, die Schürze …

Für diesen Link sollte es ein unvergesslicher Abgang sein.

Von einer Kopie erschlagen zu werden … Von Midna erschlagen zu werden … Er würde sie nicht auseinander halten können. Niemand konnte das. Auch heute nicht … Wie sollte er es können? Fünf Jahre waren verstrichen, seit er Midnas Gestalt gesehen hatte … Er wusste wahrscheinlich nicht, dass es Shan überhaupt gab … Er würde ihr unvorsichtig in die Falle gehen. Wie jeder andere es tun würde.

Für einen kurzen Moment verkrampfte sich ihr Herz. Midna hatte ihr alles erzählt … Alles über die Reise … Einige Aspekte hatte sie bereits im Vorhinein gekannt … Aber andere … Zelda hatte Midna ihre Kraft geschenkt … Midna wäre also schon viel früher gestorben, wenn es Zelda nicht gegeben hätte … Sie konnte Zelda nicht töten … Zelda … Zelda hatte doch Midna gerettet …! Aber einzusperren nützte ihr nichts …

„Sie muss vergessen …“, erinnerte sich Shan selbst an ihre früheren Überlegungen, „Sie muss sich selbst vergessen …“ Sie hatte herausgefunden, dass Erinnerungen der Schlüssel zu allem waren. Ganondorf hatte die Freiheit als ultimative Waffe gesehen. Doch es waren die Erinnerungen … Ihre Erinnerungen an Ganondorf hielten ihre Träume und Wünsche wach … So würde Zelda, wenn sie sich selbst vergaß, keine Gefahr darstellen … Zumindest hoffte Shan das …

Aber sie benötigte noch einen Ersatz für Zelda …

Sie wusste nicht genau, wen sie nehmen sollte … Es sollte jemand Fähiges sein … Jemand, der herrisch sein konnte … aber gut. Gutmütig – dem Volke treu. Wie Midna … Aber Midna war bereits Königin … Sie brauchte jemanden, der seine Vorteile hatte … und der leicht zu kontrollieren war …

Sie ging zu ihrem Bett und hob die Matratze auf, aus welcher sie in danach das Diadem zog, welches Ganondorf ihr anvertraut hatte … Sie würde Midnas Diadem nicht bekommen … Aber … dieser Link würde es wohl erkennen, oder? Ganondorfs Diadem – das Zeichen des Königs des Lichts und der Dunkelheit. Er würde glauben, Midna hätte sich gegen ihn verschworen … Irgendetwas … Irgendetwas, was ihm Schmerzen bereitete, sollte ihm widerfahren … Immerhin hatte Shan auch fünf Jahre lang gelitten … Er hatte ihr Ganondorf genommen … Sie würde ihm sein Vertrauen nehmen! Und sein Leben … Er stellte einfach eine zu große Gefahr dar … Sie wollte noch immer nicht töten … Doch für Ganondorf …

„Alles …“, hauchte sie. Sie würde alles tun … Und so schnallte sie sich das handliche Diadem um den Kopf und verließ ihr Zimmer mit Hilfe ihres Rings.


 

Ordon. Das war das Dorf, in dem dieser Link lebte. In all der Zeit, die sie mit dem Sammeln der Zutaten verbracht hatte, hatte sie nie die Zeit gefunden, diesen Ort aufzusuchen. Sie fragte sich, ob der kleine Held gewachsen war … Ob er überhaupt noch lebte … In ganz Hyrule gab es Siegeshymnen über ihn … Über den Bauern, der zum Helden wurde und sich für das Bauerndasein entschieden hatte … Und darum kaum Kontakt zur Außenwelt hatte.

Ordon war wirklich ein niedlicher Ort … Klein …

Und die Sonne schien hier bestimmt immer wundervoll … Sie stellte sich vor, wie es sein musste, in der Sonne zu sitzen – am Flussufer … Sie hätte Ordon gerne einmal bei Tageslicht gesehen. Aber bei Tageslicht wäre sie auch gesehen worden. Und sie wollte nicht gesehen werden. Nicht von irgendwem. Nur von Link.

Sie sprang vom Hang, auf dem sie stand und schwebte nach unten. Sie wusste nicht genau, wo er lebte – oder wo er war. Sie musste ihn suchen.

Als sie den Weg entlang ging – keine Menschenseele war unterwegs, obwohl es noch gar nicht allzu spät war -, fühlte sie etwas Seltsames. Etwas, was an ihr zog …

Sie wusste nicht, was es war. Dennoch folgte sie diesem Ziehen. Es führte sie zu einem Haus … Einem kleinen Laden, wie ihr schien … Sie schaute durch das Fenster. Ein Mädchen, welches sich um eine Katze kümmerte, stand alleine darin.

Was bedeutete …?

Ihre Augen weiteten sich, als ihr dämmerte, woher sie diese seltsame Macht kannte.

Schicksalskind.

Genau hier …

In Ordon …


 

Sie hatte das Problem mit Zelda gelöst. Dieses Schicksalskind war der perfekte Ersatz für sie. Sie würde sich erst Link entledigen, dann würde sie sich um diese Ilya kümmern … Im Augenblick wusste sie nicht, wie Link auf ihren Zauber reagieren würde … Immerhin war er stärker, als man glauben durfte. Sie musste auf der Hut sein. Es hätte ihr leicht passieren können, dass er eine Immunität entwickelte …

Link war beim Friedhof. Das hatte sie herausgefunden – er wollte sich dort mit Ilya treffen.

Sie hatte Ilya derweil aus dem Laden entfernt, an einen sicheren Ort gebracht, sodass sie nicht auf die Idee kommen konnte, Links und ihr Treffen zu stören – egal wie kurz es werden würde. An diesem bestimmten Ort hatte Shan auch ihre Gedanken gelesen.

Ilya war ein Schicksalskind – es geschah, als sie hilflos mit ansehen hätte sollen, wie der Prinz der Zoras, Ralis, sterben hätte sollen.

Shan beneidete dieses Mädchen … Sie konnte das Schicksal bezwingen … Sie konnte Link im richtigen herbeirufen – und das, obwohl sie sich damals nicht einmal an ihn erinnert hatte … Außerdem war sie in Link verliebt. Schicksalskinder hatten immer Glück – vor allem in dieser Hinsicht. … Je mehr ihnen jemand bedeutete …

Sie musste also sehr vorsichtig sein, wenn sie Link und Ilya zu trennen versuchte … Es war riskant. Beinahe genauso riskant wie bei den Zwillingsfeen …

Doch wenn Link nicht mehr lebte – was sollte ihr dann noch im Wege stehen?

Sie warpte sich zum Friedhof in Ordon. In den letzten fünf Jahren hatte sie sich stark im Umgang mit Ganondorfs Magiemitteln gebessert. Sie hatte hart trainiert … Sie wollte, dass Ganondorf stolz auf sie sein würde …

Vor ihr stand er also … Der Mann mit der grünen Mütze …

Derjenige … derjenige, der Ganondorf …

Haltung. Sie musste Haltung bewahren … Midna … Sie war Midna …

Nein! Wie kam sie nur dazu, so etwas zu denken? Sie …

In diesem Moment hasste sie sich selbst dafür. Für alles. Weshalb tat sie es? Es würde nichts bringen … Nichts, außer eine tiefe Wunde … Aber es war zu spät für einen Rückzieher.

Sie bemerkte, dass er gar nicht vor dem vereinbarten Grab stand. Er begutachtete … ein anderes Grab …

Stillschweigend und lautlos schwebte sie in Links Richtung. Vor wessen Grab stand er?

… Weshalb interessierte sie das überhaupt? … Vielleicht … war es für Midna wichtig? Sie würde ihr irgendwann erzählen müssen, was alles vorgefallen war … Wer sie wirklich war … Was sie getan hatte …Sie würde ihr auch beichten müssen, dass sie den Mann, in den sie verliebt war, getötet hatte … Im Gegenzug zu dem Opfer, was jener Mann von ihr verlangt hatte … War das … gerecht?

Midna würde es entscheiden müssen.

„Das sind deine Eltern?“, stellte Shan leise fest. Es war seltsam, ihn sofort mit „du“ anzusprechen, als ob sie sich schon ewig können würden. Doch noch furchtbarer war es, ihn so anzusprechen, als wäre nichts zwischen ihnen vorgefallen …

„Raito und Kyrie“, antwortete er ihr – wobei er sehr abwesend klang.

„Sind sie schon lange tot?“, informierte sie sich … Wenn ja – dann würde sie ihm sicher einen Gefallen tun, dass er sie endlich sehen durfte, oder? … Wie oft in diesen fünf Jahren hatte sie sich einfach gewünscht, einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen … Wenn sie ein Heilmittel nicht ausfindig machen konnte … Wenn sie die Hoffnung aufgab … Ganondorf …

Erst nachdem er ihr diese Frage beantwortet hatte, sah er sie an. Und sein Blick sprach Bände. Sie unterdrückte ein triumphierendes Lächeln. Er hielt sie für Midna!

Doch er löste die Erstarrtheit, die ihn gefangen genommen hatte und begann, auffällig zu blinzeln. … Wollte … Wollte er sie etwa vertreiben …? Fand er sie unglaubwürdig? Weshalb benahm er sich so, als wollte er aus einem Traum aufwachen?!

„Hat mein Auftauchen dir etwa die Sprache verschlagen?“, fragte sie lächelnd, „Oder bist du immer so schüchtern, wenn dir des Nachts eine Dame am Friedhof begegnet?“ Sie versuchte, so keck wie Midna zu klingen. Midna zu imitieren … Midna … Vor zehn Jahren noch hätte sie sich dafür umbringen können … Und jetzt? Jetzt machte sie es freiwillig … Sie stellte sich sozusagen als Midna vor … Wie sehr die Zeit sie verändert hatte … Die Situation … alles …

Shan war verblüfft, als sie die Antwort vernahm.

„Eigentlich … bin ich erstaunt … hier überhaupt jemanden zu begegnen …“

Eine vorsichtige Antwort …

… Zweifelte er tatsächlich daran, dass sie Midna sein konnte? Was fiel ihm ein? Sie … Sie war doch Midna! Sie sah aus wie Midna – sie redete wie sie … Was fehlte ihr?

„Verstehe …“, sagte sie langsam und unsicher, „Bist du oft hier?“, wechselte sie dann das Thema. Was sollte sie sonst sagen? Er war … er würde ihr nicht glauben, dass sie Midna war, wenn sie ihn jetzt umbringen würde! Es … es war einfach nicht richtig, ihn jetzt zu töten …

Es …

„Nein“, folgte die sehr kurz gehaltene Antwort.

Er blockte. Wollte er wirklich, dass sie verschwand? Oder brauchte er Zeit zum Überlegen … Wieso? Einmal in ihrem Leben wollte sie, dass jemand sie für Midna hielt – zweifellos! – und dann …?

„Ist heute ihr Jahrtag? Ich kann diese Schriftzeichen nämlich nicht lesen – also verzeih die Frage“, sagte sie geradeheraus, wobei ihre Begründung erlogen war. Natürlich konnte sie diese Zeichen entziffern … Aber wenn sie schon beim Thema waren …

„Nein“, antwortete er erneut – genauso geradlinig.

Wieder nur so knapp … Was … Was fiel ihm bloß ein?

Daraufhin schwieg Shan. Was sollte sie noch sagen? Es war offensichtlich, dass er nicht zum Reden aufgelegt war … Weshalb konnte er sie durchschauen?

Warum gelang es ihm …? Bei ihrem ersten Treffen …

Er tat es nicht wie Ganondorf … Er konnte ihr Herz nicht sehen … Er kannte ihre Gefühle nicht … Er würde ansonsten auf den Hass reagieren, den sie gegen ihn empfand … Er hatte Ganondorf getötet …

Warum nur konnte er nicht einfach das tun, was man von ihm erwartete?

„Kennst du mich?“, fragte sie danach. Sie erwartete keine positive Antwort mehr. Aber die Wahrheit … Was dachte dieser Mann nur?

„Warst du bereits bei Zelda?“, fragte er ausweichend.

Ja, er zögerte. Er wusste nicht, ob sie wirklich Midna war … Eine interessante Angelegenheit … Wahrlich interessant …

Insgeheim beantwortete sie seine Frage – nein, noch nicht. Aber wenn sie es war, würde er es bemerken – denn dann würde er diese Frage nicht mehr stellen können.

„Prinzessin Zelda? Nein. Weshalb sollte ich auch zu ihr gehen, wo meine Zeit hier doch begrenzt ist?“, stellte sie ihn auf die Probe. Wenn er sie für Midna hielt, dann würde er doch darauf reagieren – darauf, dass sie ihn vermisste!

„Um ihr zu berichten, dass es einen neuen Zugang gibt. Nicht nur ich war schmerzlich davon betroffen, dass der Spiegel sein Ende gefunden hat“, erklärte er ihr sachlich.

… Ah, jetzt hatte er auf ihre Anspielung geantwortete, ohne seine Unsicherheit zuzugeben … Geschickt … Warum war er bloß Bauer geblieben? Dieser Mann hatte Talent für ein Königdasein … Er dachte strategisch … In diesem einen Moment erinnerte er sie an Ganondorf …

Wahrlich …

Nein – Nein! Was dachte sie da? Er war doch nicht … Er war nicht Ganondorf … Er hatte Ganondorf sogar getötet … Er war … böse.

„Wie kommst du auf die Idee, dass jemand anderer außer mir den Zugang nutzen kann?“, wollte sie von ihm wissen, nachdem sie ihm einen sehr bösen Blick zugeworfen hatte. Er war nicht Ganondorf …

„Es gibt einen Tunnel durch die Welten allein für dich?“, kombinierte er – er klang misstrauisch.

Was sollte sie tun? Sie … Sie musste ihn umbringen … Aber … es erschien ihr so … falsch … Aber er war nicht Ganondorf! Woher kam ihre Scheu …? Was … was war nur los …? All die Jahre lang war sie so entschlossen! Und jetzt – jetzt, wo es darauf ankam … zögerte sie?

Schwächling. Verräter.

Kein Wunder, dass sie es nie zu etwas gebracht hatte …

Ehe sie sich versah, fummelte sie an ihrem Ring herum – und dann hob sie die Hand. Sie erklärte ihm, dass es mit diesem Ring möglich war, durch die Welten zu reisen.

Er wirkte überrascht – und doch hatte er noch immer die Geistesgegenwart, nichts Falsches zu sagen. „Es gibt nur dieses eine Exemplar?“, wollte er schließlich von ihr wissen.

Wieso war er so gerissen?

„Meiner Information nach schon. Und ich habe es genutzt. Lediglich um dich zu treffen, Link von Hyrule“, erzählte sie ihm – und versuchte, dabei aufrichtig nett und aufopferungsvoll zu klingen. So, als wolle sie ihm damit verdeutlichen, dass er keine Scheu haben brauchte. Sie war Midna.

Nein! Nein! Nein!

Sie war nicht Midna – sie wollte nicht Midna sein!

Shan … Ihr Name war Shan! Und sie … sie hatte keine Zeit, sich ewig mit Link herumzuschlagen. Sie musste ein Königreich umstürzen und vorbereiten. Sie musste sich noch auf die Suche nach Ganondorfs Leichnam machen. Ja … sie … benötigte ihn … Die wirklich letzte Zutat … Die allerletzte … Und in etwa einem Monat würde ihre Welt erneut strahlen können …

Ehe er zu einer – vermutlich erneut sehr schlauen – Antwort ansetzen konnte, hob Shan ihren Finger und legte ihn auf Links Mund, um ihn damit zum Schweigen zu bringen. Doch diese Geste hatte auch noch eine andere Bedeutung: Es war eine Warnung … „Komm mir nicht in die Quere“, sagte diese Warnung aus …

„Es ist zwecklos“, beschloss sie, „Ich bekomme dich nicht heran, Link. Du bist … wohl wirklich so schlau, wie sie sagt“, gab Shan zu. Damit hatte sie jetzt also verraten, dass sie nicht Midna war.

Nachdem es ihr also nicht gelungen war, ihn auf diesen Weg zu täuschen, brauchte sie einen anderen Weg …Link musste büßen. Büßen für das, was er getan hatte.

„Ich sagte doch gleich, es sei eine blöde Idee. Du würdest sie bereits zu gut kennen. Ein Held vergisst niemanden, erzählt man sich bei uns. Also brachte es wohl von Anfang an nichts, mich nicht vorzustellen. Du bist nicht darauf hereingefallen“, log sie ihm eiskalt ins Gesicht – und klang dabei erschreckend ehrlich.

Er würde wissen wollen, wie sie Midna so ähnlich sehen konnte … Er würde also einen Teil der Wahrheit benötigen.

„Du hast Recht darin getan, dich nicht zu irren. Du hast es vermieden, mich bei ihrem Namen zu nennen oder auf meine Falle zu antworten. Aber nein wolltest du auch nicht sagen. Das ist es wohl, was man von einem Helden zu erwarten hat.“ Sie machte einige Schritte von ihm fort. „Du sprachst die Wahrheit, indem du nichts sagtest, Held von Hyrule.“

Hoffentlich würde er sie jetzt nicht abweisen. Noch mehr abweisen … Sie sollte lieber auf Nummer sicher gehen … Er musste ihr vertrauen … Er durfte zumindest nicht über sie nachdenken …

Sie hob die Hand und der Ring strahlte ein Leuchten aus. „Ich bin nicht meine Schwester. Ich bin nur diejenige, die dir Folgendes ausrichtet: Verlasse Hyrule auf der Stelle!“

Und mit diesen Worten verschwand sie in einem gleißenden Lichtblitz.

Die Blitze erzeugte sie selbst mit Hilfe der Blitze der Dunkelheit. Dadurch wirkte es viel heller – und Helligkeit deutete doch auf „gut“ hin, oder? Und sie musste gut wirken.

Sehr gut sogar …

Immerhin war dies ihre erste Aufgabe gewesen.

Ihre erste wirkliche Aufgabe …

Und sie hatte kläglich versagt.

„Verlasse Hyrule auf der Stelle“, wiederholte sie für sich allein, als sie vor Ilya landete, welche noch immer schlief.

Weshalb hatte sie das gesagt? … Wollte sie … Wollte sie ihn beschützen?

Ganondorf belügen? … Ihm sagen, dass Link tot wäre … Und dabei wäre doch nur anderswo?

Wo auch immer er sein würde … Er würde ihr nicht in die Quere kommen können.

Und dies war doch ihre Aufgabe … Ihn zu verscheuchen …

Er … er erkannte Midna wirklich.

Und … würde er Shan ebenfalls kennen können?

Würde er sie sehen können?

Ihr Herz schlug wild vor Aufregung.

Aber sie wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte …

Nein … Sollte sie nicht.

Wahrlich nicht …

Sie hatte so kläglich versagt …

So kläglich …


 

Link erinnerte sich. Das erste Treffen mit ihr … Es war … wundersam … Mystisch …Unglaublich … Er wollte es wirklich nicht wahr haben … Aber er fand auch die Bestätigung … Es war sie … Sie … die ganze Zeit …

Shan …

Weitere Bilder flogen ihm entgegen.

Shan in der Höhle. Shan bei ihm. Shan bei Terra. Wieder in der Höhle. Sie weinte …

Sie verriet Link an Ilyas Wachen. Shan hatte Taros Gedanken gelesen und seine Erinnerungen verändert … Ilyas, Taros … Alle … Thelma war auch in ihrer Erinnerung … Sie hatte Claudes und Thelmas Erinnerungen verschoben, sodass sie glaubten, Shan sei die ganze Zeit bei ihnen gewesen … Sie hatte aber gekämpft … Anderswo. Bei dieser Höhle … Gegen … Terra? Und gegen diese Weiße Frau … Diese Höhle ... Dort fand alles statt … Dort kam alles zusammen … Dort …

Jetzt erkannte Link, weshalb die Weiße Frau ihm gegenüber so feindselig war … Es galt eigentlich nicht ihm. Es galt Ganondorfs Schergen.

Shan.

Immer … immer wieder … stellte Shan ihm die Hürden. Wenn sie einen Fehler seinerseits entdeckte, verstärkte sie ihn – dadurch war er zum Beispiel nicht auf den Goronenberg gelangt, wie ursprünglich vorgehabt … Doch dies war kein Fehler … Nicht wirklich …

Shan hatte all diese Fäden gezogen … Diese Stricke … und diese Stricke hatten sich verdichtet.

Doch nicht um seinen … nein …

um ihren schön geschwungenen Hals …

Mitte

Mit einem Mal beschleunigten sich alle Erinnerungen. Was er zuvor detailreich und aus ihrer Sicht gesehen hatte, verschwamm nun in ihm. Verschiedene Bilder verflossen ineinander, Eindrücke, Gefühle und Emotionen schwappten ineinander über und ein Bild des Chaos erschloss sich vor ihm.

Link glaubte, er würde sterben müssen. Trauer, Wut, Freude – alles fühlte er gleichzeitig. Und doch fühlte er gar nichts. Entschlossenheit, Hass, Liebe … Vertrautheit, Einsamkeit, Verzweiflung … Nichts.

Alles endete im Nichts.

Ganondorf, Ilya … Zelda, Arithmeta, Taro, … Thelma, Ilya … Ilya … Ganondorf … Zanto … Er … Er selbst.

Link … er sah sich selbst. In jener dunklen Gasse. Wut keimte auf.

Und sie erlosch mit dem Bild. Das Chaos lichtete sich nicht – einige Gedanken errangen Oberhand. Immer wieder entkamen Bildausschnitte und Gefühle.

Und plötzlich erhob sich Stillstand.

Nichts. … Alles war schwarz.

Schwarz wie die Nacht.

Tiefschwarz.

Nichts.

Aus diesem Schwarz heraus, in dem er sich gerade befand – nicht fähig, sich zu rühren -, entstand etwas. Licht … Er erkannte Licht.

Sein Bewusstsein rückte zu diesem Licht.

Doch ehe er beim Licht ankam, entstand etwas aus dem Licht. Ein Himmel.

Ein strahlend blauer Himmel. Der Himmel befand sich über dem Meer. Möwen zogen ihre Kreise. Schiffe segelten stolz umher.

Eine Mauer vor dem Ufer bildete sich.

Genau, Stein für Stein, konnte er abzählen, woraus sie bestand.

Und als dieses Bild des Meeres ihn einholte, verschwanden alle Gefühle – sogar das Nichts.

Nein … Nein, sie verschwanden nicht.

Sie kehrten zurück. Aber nicht ihre Gefühle. Seine. Seine ureigenen Gefühle gehörten wieder ihm. Er fühlte sich wieder wie Link … Er konnte wieder Link sein.

Link schaute an sich nach unten – und er entdeckte, dass er seine derzeitige Kleidung trug. Dass er wirkte, als wäre er noch im Ballsaal. Doch er war es nicht. Nein. Er war am Meer.

Wie gelangte er hierhin?

Er wandte seinen Blick vom Meer ab und sah sich um.

Als sein Blick wieder dorthin zurückfiel, wo sein Ausgangspunkt war, entdeckte er eine Veränderung.

Jemand saß dort.

… Shan saß dort.

Er schritt auf sie zu.

Doch sie sah nicht zu ihm auf. Sie saß auf dieser Mauer und schaute unbeteiligt ins Meer. Nicht einmal würdigte sie ihn eines Blickes.

Was sollte er jetzt tun?

Shan … Was sie getan hatte …

Sie wollte ihn töten. Dem war er sich jetzt ganz sicher. Der Wille, ihn zu töten, war klar und deutlich zu spüren – vor allem in diesem Chaos an Gefühlen, dem er zuletzt ausgesetzt war. Er erinnerte sich noch klar und deutlich daran – er fühlte es beinahe wieder.

Schnell drängte er diesen Hass zurück. Er wollte sich nicht selbst hassen …

Er schloss den Abstand zu ihr und stand direkt neben ihr. Doch sein Blick fiel nicht auf das Meer. Er blieb auf Shan hängen. Sie trug nicht mehr Midnas Kleidung. Im Gegenteil – sie trug das Ballkleid, das Miralle ihr vor ein paar Wochen zur Verfügung gestellt hatte. Er wusste, dass ihr dieses Kleid sehr gefiel …

„Shan“, stellte er fest. Er ließ keine Emotion durchdringen. Nichts, was er fühlte. Nichts von dem, was er dachte. Er wollte lediglich in ihre Augen sehen.

Er wartete geduldig. Er glaubte, hier viel Zeit zu haben. Weshalb sollte er sie also zu einer Antwort nötigen?

Er wusste nicht, wie viel Zeit er damit verbracht hatte, einfach neben ihr zu stehen und auf eine Antwort zu warten – es hätten Sekunden aber auch Stunden sein können, die Zeit war hier nicht anwesend -, als er sie schließlich erhielt.

„Ich mag es nicht, wenn sich jemand in meinen Erinnerungen herumschleicht“, ertönte ihre Stimme. Doch jeglicher Humor, jeglicher Spott, jegliche Emotion waren daraus verschwunden. Übrig blieb ihre Stimme. Eine ähnliche Tonlage wie die seine. Gefühllos.

„Ich habe mich nicht eingeladen“, antwortete gerade heraus und ließ sich dann neben sie fallen. Er ließ seine Füße hinunter taumeln und bemerkte, dass das kühle Wasser ein wenig nach oben spritzte. Doch es interessierte ihn herzlich wenig.

Eine Weile saßen sie da und starrten gemeinsam ins Meer.

„Möchtest du nicht langsam etwas sagen?“, erklang dann Shans Stimme – emotionslos.

Er sah zu ihr und bemerkte, dass sie ihn anschaute. Allerdings wirkte ihr Blick anders auf ihn als sonst. War etwas wie … Bedauern in ihrem Blick? Wollte sie sich entschuldigen?

„Was erwartest du, von mir zu hören?“, wollte er dann ehrlich von ihr wissen. Danach schaute er wieder zurück in den Ozean. „Vorwürfe?“, mutmaßte er ruhig.

„Vorwürfe?“, wiederholte sie leise, „Weshalb solltest du mir etwas vorzuwerfen haben?“

Er zog die Stirn kraus und wandte seinen Blick wieder ihr zu. Diesmal hatte sie ihn abgewandt. „Die Frage lautet wohl eher … weshalb keine Vorwürfe?“, erklärte er in einem tadelnden Ton, der dennoch als Frage aufzufassen war.

Ihr Mund verzog sich kurz zu einem Lächeln. „Also bist du doch wütend.“

Erneut schaute er nach vorne. „Wütend …“, wiederholte er nachdenklich, „Nein.“

„Huh?“, machte sie überrascht.

„Das ist der falsche Ausdruck“, erklärte er, „Eher … bitter enttäuscht … von mir selbst.“

„Von dir selbst?“, fragte sie kritisch, „Bist du dir sicher?“

„Ich hätte dahinter kommen müssen. Es war doch eindeutig“, antwortete er leichthin.

Sie murrte daraufhin: „Dabei war ich stolz darauf, es geheim halten zu können.“

„Ich denke, ich wollte es einfach nicht sehen“, vermutete er zögerlich, „Einfach … ausblenden, was so offensichtlich war …“

„Man kann Vergangenes nicht ändern“, rief sie ihm ins Gedächtnis, wobei sie ernst klang. „Ob man es möchte oder nicht.“

„Damit hast du recht“, stimmte er ihr zu, wonach er seufzte. „Aber es wäre sehr vorteilhaft, wenn es möglich wäre …“

„Ganz recht …“, murmelte sie ruhig.

Schweigen breitete sich erneut zwischen ihnen aus.

Zeit zum Nachdenken. Zeit …

Shan sah in ihrem Handeln also keinen Fehler. Zumindest behauptete sie das …

Wäre das nicht ein Grund, wütend zu sein? Immerhin … hatte sie ihn betrogen. Arg betrogen. Hinterlistig verraten.

Aber konnte man es tatsächlich so nennen? Hätte er von Anfang an auf sie gehört, so wäre die Zukunft anders geworden. Sie hätte ihn nicht betrogen. Sie hätten sich kaum gekannt. Aber seinetwegen musste sie auf ihn aufpassen. Weil er so stark war. Weil er eine Gefahrenquelle war.

Für Ganondorf.

Andererseits hätte er dann aber nie wieder seine Erinnerungen an Zelda und Ilya zurückerlangt … Er hätte sie für immer verloren … Weit weg von Hyrule …

All das hätten sie beide sich erspart, wenn sie am Anfang nicht gezögert hätte.

Darum hatte sie es am Ende nicht mehr getan. Weil sie den Anfang bereute. Link fragte sich, ob ihr eigener Fehler alles war, was sie an der kompletten Situation bereute …

„Wieso das Meer?“, lenkte Link das Thema ab. Er brauchte mehr Zeit zum Nachdenken … Was sagten ihm seine wahren Gefühle?

Was sollte er ihr sagen …? Wo war er hier überhaupt? Vielleicht würde sie ihn aufklären …? War die hier anwesende überhaupt die wahre Shan?

Ja. Ja, natürlich. Diese Situation hatte noch nie existiert. Oder zumindest konnte Link sich nicht daran erinnern. Also gab es sie nicht.

„Das könntest du mir bestimmt auch beantworten“, antwortete sie ruhig und sah ihn daraufhin an. Ihr Gesicht war zu einer Grimasse verzogen. „Elender Gedankenspion.“

„Die Sonne kann ich mir mittlerweile wirklich erklären sowie deine Kleidung … Aber das Meer … Ich hatte nicht den Eindruck, dass du es so berauschend fandest …“, richtete er über ihre Erinnerungen. Wenn sie ihn schon direkt danach fragte …

„Hm“, machte sie, wobei er nicht einschätzen konnte, ob es positiv oder negativ gemeint war, „Ich finde es wunderschön“, erzählte sie ihm dann, „Und ich finde es sehr schade, dass ich es erst durch Terra so gesehen habe, wie ich es im Moment sehe. Als Ozean. Als großes Ganzes … Als Reflexion der Sonne … Das Meer … die Sonne … Alles hier ist so idyllisch … So hell. Und so berauschend“, schwärmte sie, wobei sie viel glücklicher wirkte als zuvor, „Als ich alleine in dieser Höhle war … habe ich es nicht gesehen … Für mich war es lediglich Wasser … Aber dieses Mädchen …“ Shan stützte ihre Arme auf ihren Beinen ab und beugte sich vor. „Sie hat mir die Augen geöffnet …“

„Scheinbar nicht weit genug“, kommentierte Link ihre Aussage. So sehr liebte sie also die Sonne? So sehr, dass alles, was von der Sonne berührt wurde, in ihren Augen wundervoll war?

Ja, Link musste wirklich zugeben, dass hier ein wundervoller Ausblick war. Idyllisch – es war das richtige Wort. Aber … nichts konnte ewig so idyllisch sein. Irgendwann würde auch im schönsten Meer ein Sturm aufkommen und die Sonne würde von der Nacht verschlungen werden …

Jetzt kicherte sie – ohne jeglichen Humor. „Wie wahr, wie wahr …“, stimmte sie ihm zu, „Ich hätte nicht so lange warten sollen …“

Link verschränkte die Arme. „Du wolltest mich wirklich umbringen?“, schloss er daraus.

Sie nickte bestimmt. „Es ist meine Pflicht. Du bist – wie man sieht – derjenige, der jeden ausgefeilten Plan zunichte machen kann …“

„Das ist meine Pflicht“, gab er angewidert zurück, fügte dann aber wesentlich ruhiger hinzu: „Als Triforceträger.“

„Ganondorf hat deine Pläne nicht zerstört.“

„Jeder Kampf erfordert einen Gewinner und einen Verlierer“, erklärte Link nüchtern.

„Es scheint so“, gab sie zu.

Wieder beseitigte Schweigen ihr Gespräch, doch Link sprang auf das nächste Thema über.

„Was ist das?“, wollte er wissen, „Dieser Ort hier – alles … Warum habe ich deine Erinnerungen sehen können?“

„Wir befinden uns in meinem Herzen“, antwortete Shan bedächtig, wobei sie ihn interessiert musterte, „Wie du hierher gekommen bist, kann ich mir noch nicht ganz erklären …“

„… Aber du hast einen Verdacht“, schloss Link ihren Satz für sie. Er wusste es einfach. Scheinbar hatte er diesen Gedanken in dem Chaos am Ende aufgeschnappt. Und jetzt war er in ihm aufgekommen.

„Welchen du dann wohl kennst“, fügte Shan seinen Worten hinzu, wobei sie ihn anlächelte.

„Du wolltest einfach nur, dass ich dich verstehe?“, fragte er sie gerade heraus, „Du wolltest, dass ich deine Gefühle kenne? Hast du mich darum hinein lassen?“

Sie wandte sich von ihm ab. Danach zuckte sie mit den Schultern. „Ich bin mir nicht sicher“, gestand sie zögerlich, „Du hast Recht – du erkennst meine Motive … doch … die Möglichkeit, dass es nur deshalb funktioniert hat, ist bescheiden gering.“

„Ich weiß“, antwortete er leise, „Aber … Shan …“

Sie sah ihn wieder an, als er ihren Namen sagte. Nein, sie sah ihn nicht an … Sie musterte ihn. Ganz genau. Sie behielt ihn im Visier …

„Ja?“, fragte sie, als er nicht weiter sprach.

„Warum das Ganze?“, wollte er von ihr wissen, „Ich … Ich weiß, was geschehen ist … Aber …“ Er suchte nach den richtigen Worten. „… Warum hast du nachgegeben? Du wusstest, dass deine Taten schlecht waren. Du hattest Mitleid mit deinen Opfern. Du wolltest niemandem eine falsche Erinnerung aufzwängen. Und doch …?“ Er brach ab.

„Und doch habe ich es getan“, führte sie seine Gedanken fort. Diesmal seufzte sie. „Ich bin mir immer noch bewusst, dass es den Menschen, auf die ich Einfluss hatte, gegenüber nicht allzu gerecht war, aber … es war Ganondorfs Wille.“

„Und du wolltest ihm helfen. Du wolltest seinen Stolz. Du wolltest, dass er sieht, dass du kein Fehlgriff warst …“, mutmaßte Link streng, „Du bist egoistisch.“

Sie sah ihn noch für einen kurzen Moment an, und sah dann nach unten. „Ich bin egoistisch“, gab sie zu, „Doch … deine Gründe sind nur der Teil einer Wahrheit. Alles, was ich wollte, war sein Glück …“, fügte sie leise hinzu, „Und sein Dank …“

Link nickte verstehend. Er hatte es also falsch gedeutet … Und doch auf eine bestimmte Weise richtig …

„Ich möchte nichts weiter, als wieder bei ihm zu sein …“, gestand Shan ihm plötzlich, „Ich möchte nichts weiter, als wieder in sein Antlitz sehen zu können … in sein lächelndes Antlitz …“, fügte sie – bei letzterem Gedanken lächelnd – hinzu. „Und seinen Dank zu spüren …“

„Aber … nur deshalb … du darfst doch nicht einfach …“, brach Link unsicher ab.

Sie war immer so alleine gewesen. Und dann hatte es plötzlich eine Person gegeben, die sich speziell für sie interessierte … Sie griff einfach nach diesem einen Halt … Aber … Midna war doch auch für sie da …

„Immerhin gab es auch Midna … Midna hat sich immer um dich gekümmert“, beschied Link, „Sie war gut zu dir. Aber du warst undankbar.“ Diesmal war alle Unsicherheit – aber damit auch die Freundlichkeit – aus seiner Stimme verschwunden. Warum war sie nicht einfach bei Midna geblieben?

„Ja …“, hauchte Shan leise, „Ja … Midna war gut zu mir“, betonte sie, „Aber … sie war einfach nicht genug …“ Shan schüttelte den Kopf. „Sie hat sich von mir abgewandt … Sie hat mich nicht in ihre Welt lassen … sie hat …“

Link unterbrach sie barsch: „Midna hat dich die ganze Zeit über beschützt. Midnas Welt ist eine Lüge. All diese Leute, die sie nicht einmal von dir unterscheiden haben können – sie waren keine Freunde. Du warst bestimmt ebenfalls eine ihrer einzig wahren Freundinnen.“

Shan starrte ihn verwirrt an. Ihr Blick schien durch ihn hindurch zu gehen. „Link …“, murmelte sie, „… Wieso …? Wieso weißt du das …?“ Sie sprach kaum hörbar.

„Ich bin mir sicher, dass sie all die Zeit von deinen Gefühlen wusste. Sie wusste, dass du jemand brauchst, der sich um dich kümmert. Darum hat sie dich vor diesen ausnützenden Leuten beschützt. Sie hat alle Aufmerksamkeit auf sich gelenkt …“ Gegen Ende nahm seine Stimme einen sanfteren Ton an. „Sie hat es dir zu liebe getan … Sie war doch noch immer für dich da …“

Shans Blick wanderte wieder zu Boden. Sie schwieg kurz. Dann fuhr sie fort: „Sie hat es nicht getan, wie Ganondorf es getan hat … Er … Er hat wirklich nur mich gebraucht, er hat mir vertraut – mir geglaubt … Mich wirklich beschützt … Vor dir …“

Link fiel ihr ins Wort: „Glaubst du wirklich, er hätte dich deinetwegen weggeschickt?“

Jetzt sah sie entrüstet aus. „Willst du mir etwa einreden, er sei nicht gut zu mir gewesen? Ich solle mich von ihm abwenden?“ Ihr Gesicht war eine Maske der Wut.

Sie schien das zu bemerken und legte wieder einen ruhigen Ausdruck auf. Doch in ihren Augen funkelte noch immer Zorn. Zorn über seine Worte.

„Genau.“ Er hatte keinen Grund, es zu leugnen. „Ganondorf ist böse, Shan. Er ist ein Egoist, der die Welt in Dunkelheit stürzt, nur um seinem eigenen Zweck dienlich zu sein. Und Leute, die Unglück erfahren haben, sind seine beliebtesten Opfer – sie manipuliert er, indem er ihnen Hoffnung schenkt! Alles, was er dir eingeredet hat, ist eine Lüge!“, behauptete Link.

Er war davon überzeugt. Während er Shans Erinnerungen erlebt hatte, war er zu dem Schluss gekommen. Es war nicht falsch, die Welt von Ganondorf zu befreien. Er brauchte sich seines Todes wegen kein schlechtes Gewissen zu machen.

Nicht wegen sich selbst. Und nicht wegen Shan.

Midna hatte es geschafft, Shan vor den Leuten im Dämmerlicht zu retten. Doch es war ihr nicht gelungen, Shan vor Ganondorfs Einfluss zu bewahren.

Fassungslosigkeit stand auf Shans Gesicht geschrieben. Einfach nur Ungläubigkeit. „Was … was redest du da?“, fragte sie erstickt, „Ganondorf … er hat mir seine Kraft gegeben … Mir alles anvertraut …“ Sie brach ab und setzte ihre Worte nach einer kurzen Pause fort: „Er hat mich gerettet … Du hättest mich doch genauso getötet wie ihn, wenn …“

„Ganondorf hat dir seine Kräfte gegeben. Und er hat dich mit seinen Kräften weggeschickt. Er wollte sich nur seine zweite Chance sichern – es geht ihm nicht um dich!“

„Das … das ist nicht …“, redete sie dagegen, „Das ist doch nicht wahr … Er hat …“

„Er hat was?“, forderte Link kalt zu wissen, „Dich … geliebt?“ Seine Stimme wurde sanfter. „Shan“, ermahnte er sie freundlich, „Jemand wie er kann nicht lieben. Er ist ein Wesen, das aus der Dunkelheit geboren wurde … Er kennt nur Dunkelheit.“

„Und was bin ich?“, entgegnete sie, wobei sie sich schnell erhob und von oben herab auf ihn hinunter schaute, „Was … was als eine Kreatur des Schattens bin ich?“

Link stand ebenfalls auf – erheblich langsamer, ruhiger.

„Du bist Shan“, sagte er ihr, als er stand. Er musste immer noch zu ihr hoch sehen, doch er fühlte sich ihr ebenbürtig, „Du bist im Dämmerlicht geboren. Und du gehörst dorthin. Dort gibt es jemanden, der wirklich auf dich wartet. Der dich wirklich zurückhaben möchte. Midna wird dir verzeihen. Ich bin mir sicher.“ Er lächelte sie an. „Immerhin habe ich es auch geschafft.“

„Nein!“, rief sie aus.

Damit verblüffte sie ihn wirklich. Was meinte sie damit? Warum … warum …?

„Nein“, wiederholte sie gefasst, „Nein, du verzeihst mir nicht. Du sollst mir nicht verzeihen“, knurrte sie wütend, „Du solltest mich verstehen. Du solltest meine Taten anerkennen. Aber … wenn du mir verzeihst … Was bleibt mir dann?“ Sie wirkte verloren. Ihre komplette Gestalt wirkte verloren.

„Shan, du …“, begann er, doch dann beobachtete er, dass sie auf die Knie fiel.

Der Himmel wurde mit einem Mal dunkler.

Nun kniete sie vor ihm und starrte in den Boden. „Was soll ich ihm sagen, Link?“, fragte sie verzweifelt, ohne ihn anzusehen, „Was?“, wiederholte sie, „Soll ich ihm etwa sagen, dass ich alles nach Plan getan habe, am Ende verloren habe und dass sich nichts geändert hat? Dass er für immer verloren ist? Dass niemand ihn mehr retten können wird?“

„Shan – was redest du?“, fragte er sie.

Er kniete sich zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Er lächelte sie aufmunternd an. „Du wirst mit mir kommen. Wir werden einen Weg finden, gemeinsam zu Midna zu gehen. Und du wirst es ihr erklären. Midna wird dir verzeihen. Das weiß ich.“

Shan lachte humorlos auf. Dann funkelte sie ihn kalt an. „Mitkommen?“, höhnte sie plötzlich leise, woraufhin ihre Miene aber wieder sanfter wurde. „Ich werde nirgendwohin mitkommen. Ich sterbe, Link … Ich bahne mir meinen Weg zu Ganondorf, indem ich hier bin …“

„W- Was?“

Diesmal war das Erstaunen seine Arbeit. Wie meinte sie das? Dass sie … dass sie starb?

Aber … weshalb? Warum starb sie?

Sie war doch …

Er … er hatte ihr das Schwert durch den Körper gebohrt … Jetzt war er hier …

„Nein!“, brüllte er plötzlich, wobei er seine Hand erschrocken zurückschnellen ließ, „Nein! Nein! Nein!“, wiederholte er entschlossen, „Du stirbst mir hier bestimmt nicht! Ich werde dich retten, Shan! Ich werde dich heilen!“

Sie lächelte ihn sanft an. „Das ist also die Strafe, die mir dein Verzeihen kostet?“, fragte sie verstehend, „Wie grausam.“

„Ja, aber gerecht!“, erklärte Link, „Du sollst das Leben kennen lernen – mit Freunden, die an deiner Seite sind. Du sollst mit Midna sprechen! Ihr seid doch Schwestern! Wie könnt ihr nur so aneinander vorbeireden?“ Er schüttelte irritiert den Kopf. „Wie nur …?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Wenn die eine ignoranter als die andere ist …“, mutmaßte Shan lächelnd, „Aber … gib es auf, Link … Du wirst mich nicht mehr am Leben erhalten können …“ In ihrem Lächeln leuchtete eine Art Triumph auf. „Deine Strafe wird fehlschlagen.“

„Nicht, wenn ich es verhindern kann!“, murrte Link, „Ich will dich am Leben erhalten – ich erhalte dich am Leben!“, behauptete er bestimmt, „Ich werde dich von dieser irrsinnigen Idee mit Ganondorf abbringen!“

Shan schüttelte entschieden den Kopf. „So etwas wird dir nicht gelingen, Link …“, entgegnete sie, „Niemals … auch …“ Der Triumph verflog, doch das Lächeln blieb. „Auch wenn ich mich … darüber freuen würde … aber es ist nicht möglich …“

„Sage so etwas nicht!“, ermahnte er sie barsch, „Du kommst mit mir! Wir sind Freunde!“

Jetzt sah Shan wieder auf. Ihre Augen waren geweitet. Doch je länger sie ihn ansah, desto weiter schloss sie sie wieder. Und lediglich ihr Lächeln blieb. „Grüße Midna von mir.“

„Nein!“, brüllte er, „Du grüßt sie gefälligst selbst!“

„Und … bitte rette Terra …“, fügte Shan hinzu, „Dafür musst du in die Höhle gehen, die du aus meiner Erinnerung kennst … Dort wirst du sie sterbend vorfinden … Ihr ergeht es im Moment wohl ähnlich wie mir … Gefangen in einer Welt, die auf bloßen Gedanken aufbaut … Auf meinen Gedanken …“ Sie lächelte. „Du befreist uns bitte. Doch – ich bitte dich … Für wen von uns beiden du dich entscheiden wirst, ist doch offensichtlich.“

Shan erhob sich wieder. Sie hielt ihm die Hand hin, als er es ihr nicht sofort gleich tat.

Er ergriff ihre Hand.

„Ich rette dich“, versprach er, als sie ihn aufzog.

Sobald er stand, lächelte Shan erneut. „Nie im Leben.“

Link legte seine beiden Hände auf ihre Schultern, drückte sie ein klein wenig nach unten und beobachtete, wie sie sich vor ihm hinkniete, sichtlich in fragender Erwartung, was jetzt kommen möge.

Mit einer Hand nahm er sanft Ganondorfs Diadem von ihrem Kopf.

Und dann schenkte er ihr einen Kuss auf ihre Stirn.

Er umarmt sie daraufhin sanft, indem er sich auf ihre Höhe stellte. „Ich rette dich“, hauchte er ihr zu, „Versprochen.“

Sie erwiderte die Umarmung. „Das letzte Mal, als mir jemand auf diese Weise etwas versprach …“

„… Ich bin nicht Ganondorf“, wies er sie sanft hin, „Mir bedeuten Versprechen etwas.“

„Grüße Midna von mir“, bat sie ihn noch einmal.

„Wir begrüßen sie zusammen“, antwortete er erneut.

Sie lachte leise. „Wir werden sehen … Link …“

Sie löste sich aus der Umarmung und lächelte ihn noch einmal an. „Man sieht sich, Link.“

Ehe er reagieren konnte, färbte sich der Himmel tiefschwarz und die Welt begann, sich in tausend Scherben zu teilen, zu zerspringen.

Link fühlte, wie er selbst ebenfalls zu Scherben wurde – und wie die Scherben sich zerstreuten.

Er wurde zurückgezogen.

Weggezogen.

Nach draußen. Als Scherben.

Zurück in die Mittsommernacht.

Mitwirken

Und die Mauer bröckelte.
 

Ihre Tränen flossen weiter. Und ehe irgendjemand zu einem Wort ansetzen konnte, erbebte die Welt.

Terra schreckte auf und sah sich verwirrt um. Irgendetwas zog an ihr. Zog so fest … Und doch ließ Azur sie nicht los … Was war es? Was fühlte sich nur so an?

So zerrend, so fordernd, so unnachgiebig und bestimmend … Etwas …

Ein lauter Krach folgte. Ein Knallen.

Etwas brach. Ihr Blick fiel auf die Mauer aus Dunkelheit, die sie die ganze Zeit vom Eingang abgeschnitten hatte. Die Mauer, die in dieser Welt stand und Yurai hier beschäftigt gehalten hatte.

Sie fiel.

Die Mauer fiel.

Das Schwarz durchzuckte ein greller Lichtblitz und im nächsten Moment zersprang sie.

Doch niemand der hier Anwesenden kam in die Verlegenheit, von einem Stück getroffen zu werden. Ehe sie auch nur annähernd weit genug flogen, lösten sie sich in Nichts auf.

Staunen setzte sich in Yurais Gesicht ab.

„Das kann nur bedeuten …“, hauchte die Weiße Fee abwesend – doch sofort danach schnellte ihr Blick zu Terra, „Azur, Ihr müsst verschwinden“, forderte sie im Befehlston, „Die Welt hier wird Euch keinen Nutzen mehr bringen. Der Weg sollte nun gefahrlos frei sein.“ Ihr Blick blieb an Terra hängen. „Lebt für ein Mirai ein glückliches Leben.“

„Was ist mit Euch, Yurai? Ihr – ihr wollt doch nicht etwa ernsthaft hier bleiben?“, schnauzte Azur sie an, wobei er Terra fester an sich drückte, „Ich weigere mich, Euch zu töten.“

„Ganondorfs Scherge ist tot. Doch meine Schwester lebt in Terra. Es gibt für mich kein vollkommenes Leben mehr. Ich will sterben. Alleine wäre ich ohnehin nicht mächtig genug, Eurem Wunsch nachzukommen. Mein Leben hat keinen Sinn.“

„Azur …“, murmelte Terra.

Sie hatte sich entschieden. Die Mauer war gefallen. Bedeutete das, dass Link gewonnen hatte? Wen auch immer Link bekämpft hatte – er musste Ganondorfs Scherge gewesen sein. Derjenige, der Mirai getötet hatte. Derjenige, wegen dem Terra jetzt in dieser misslichen Lage war … Link hatte es geschafft. Mutig. Ohne Zögern.

Also war sie bereits gerächt. Außerdem … Sie wollte wirklich nicht mit dem Gewissen leben, allen Feen ihre Wesensart zu nehmen, nur dass … nur dass sie lebte …

Ihr Traum war in Erfüllung gegangen. Sie hatte alles erlebt, was sie erleben sollte. Alles gesehen, was sie sehen wollte. Zwar hatte sie einen neuen Traum erlangt …

Doch dieser Traum war ebenfalls wahr geworden.

Azur hätte auf ewig ihr Traum sein sollen. Doch diese Ewigkeit war kurz. Jetzt, wie er sie hielt … Es war dieses Gefühl, das sie einmal nur spüren wollte … Sie glaubte, sie liebte ihn. Nein. Sie wusste es. Es war Liebe.

Und … wie konnte sie ihre Liebe mehr beweisen, als für sein Glück zu sterben? … Wobei sie nicht starb. Sie gab sich nur auf. Mirai würde die Oberhand erhalten.

„Ich … Ich habe mich entschieden“, fügte sie leise hinzu, „Ich will, dass Mirai …“

„Nein!“, weigerte Azur sich sofort, „Nein, Terra! Wir finden eine andere Möglichkeit …“

„Ihr wärt ohnehin mein Vorgesetzter …“ Sie lächelte in sich hinein, „Und eine Fee – ich bin ein Mensch … Ich …“

„Ich bin auch ein Mensch, Terra! Solange du Terra bist …“

Sie unterbrach seinen Protest. „Ja, hier liegt das Problem“, gab sie zu, „Ihr seid in Wahrheit eine Fee und an eine Lüge gefesselt. Ich will nicht, dass Euer Volk und Ihr nur meines Egoismus’ wegen leidet.“ Sie sprach leise. Sie wusste nicht, ob Yurai sie hören konnte oder nicht … Sie wusste nur, dass ihr Herz ihr sagte, dass es das Richtige war. Sie wusste aber auch, dass ihr Herz zerbrechen wollte, wenn sie nur daran dachte, Azur zu verlassen. „Außerdem seid Ihr ein König … Ihr habt Pflichten …“

Er hielt sie fest. Und er antwortete nicht sofort. Aber dann legte er seinen Kopf an ihre Schulter und flüsterte nur für sie hörbar. „Ich würde meine Pflichten für diejenige, die ich liebe, vernachlässigen …“

Sie wollte nun selbst protestieren, doch er fuhr fort: „Doch … mein Volk soll es sein, welches ich liebe … Nicht wahr? Das willst du mir jetzt sagen.“

„Ja …“, stimmte sie ihm leise zu.

„Du willst tatsächlich für mich sterben – für mein Volk?“, wollte er von ihr wissen – mit gedämpfter Stimme.

„Ja“, antwortete sie ihm ehrlich. Und sie konnte ihre Ruhe selbst kaum fassen.

„Ihr wollt mir tatsächlich diese Last aufbürden … dass ich Euch nicht beschützen konnte?“, fuhr er kaum hörbar fort.

„… Ich muss. Ansonsten hätten wir beide eine Last zu tragen, die alle betrifft … So … So können wir den Kreis der Betroffenen klein halten … So … ist es am besten …“, bestimmte Terra ruhig. Sie wusste nicht, wie sie es schaffte, so ruhig zu bleiben.

Sie würde sich aufgeben. Sie würde Mirai alles überlassen. Terra wäre nicht mehr existent. Sie würde … sich auflösen … Nur noch eine Erinnerung sein …

„Wie viele Opfer möchte Ganondorf mir noch abverlangen?“, fragte Azur leise - verbittert.

Dann richtete er sich auf, wobei er Terra mit sich nahm, ohne sie loszulassen.

Sie fühlte sich so geborgen bei ihm. So sicher … Und doch war sie gerade dabei zu entscheiden, ihre letzten Sekunden bei ihm zu verbringen …

„Ich würde es lieben, meiner Schwester wieder begegnen zu können“, sagte Yurai sachlich, als Terra wieder stand, „Doch würde meine Schwester es hassen, dieses Opfer ihretwegen angenommen zu haben. Den Feen entsteht kein Schaden.“

„Sogar die loyalsten Feen, die ich habe, diejenigen, die mit mir am Schiff waren, um Euch zu finden …“, begann Azur ruhig, „Sogar sie haben es bedauert, Mensch zu sein … Nun bedauere ich es, Terra in all dies hineingezogen zu haben … Es ist meine Schuld. Alles. Jede Entscheidung ist die falsche. Und doch entscheide ich.“

„Als König muss man weise Entscheidungen fällen, um für das Wohlsein des Volkes garantieren zu können“, stimmte Yurai ihm zu, „Ihr wollt Mirai wirklich ihre Kräfte zurückgeben und dafür das Mädchen, das Ihr liebt, opfern?“

Das Mädchen, das er liebte … Sie … Terra ...

„Nein“, kam Terra Azur zuvor, „Er opfert mich nicht. Ich will den Fehler, den ich gemachte habe, rückgängig machen. Ich will, dass Mirai frei sein wird.“

„Ihr scheint anderen Leuten gerne Schuld aufzubürden“, schloss Yurai daraus, „Anstatt Euch selbst damit zu belasten …“

„Ist es feige oder mutig?“, fragte Terra daraufhin, ohne sich zu ihr umzudrehen. Sie hatte der Fee noch immer den Rücken zugewandt, da Azur sie im Arm hielt. Sie sah zu ihm hoch. Seine azurblauen Augen sahen sie besorgt und untröstlich traurig an. Und doch hatte er Entschlossenheit im Gesicht stehen. Er würde es ihr erlauben zu sterben … Er würde es ihr schwer machen … Doch … Er war ein König. Sie musste sterben. Das Ende war klar.

Er würde sich ewig die Schuld daran geben. Yurai und Mirai ebenso … Doch … War es besser, drei Leuten eine Schuld aufzubürden, für die sie gar nichts konnten, oder einem ganzen Volk ein Leben abseits ihrer Welt aufzuzwingen? Wäre das etwa eine kleinere Schuld?

Nein. Terra musste es tun.

Yurai lachte leise. „Welch weise Frage …“, kommentierte sie seltsam bedrückt, aber auch ein wenig amüsiert, „Aber die Antwort, die ich Euch lediglich geben kann, lautet: grausam.“

Grausam. Das richtige Wort. Zur richtigen Tat. Nicht wahr?

„Damit habt ihr recht“, gab Terra zu. Danach lächelte sie Azur aufmunternd an. „Ihr werdet der beste König sein, den die Feen jemals hatten.“

„Du bist die mutigste Frau, die mir je begegnet sein wird“, antwortete er leise, „Danke, Terra … Ich … Ich danke dir von ganzem Herzen … Deine Entscheidung … sie …“

Sie unterbrach ihn, als er stockte: „Ihr braucht nicht weiterzureden …“, erklärte sie ihm lächelnd, „Ich … Ich glaube, ich weiß, dass Ihr mir dankt und …“

„Jemand, der so viel mehr Mut beweisen kann, als ein anderer sonst … Jemand, der bereit ist, solche Entscheidungen zu fällen … er braucht vor niemandem zu knien“, beschloss er.

„Ich danke dir“, bestätigte sie ihm erfreut, „Ich … liebe dich …“

Sie liebte ihn. Wirklich. Von ganzem Herzen.

„Terra …“, sagte er leise, bekümmert, wobei Tränen in seine Augen stiegen.

„Ihr habt Euch wahrhaftig entschieden“, stellte Yurai leicht erstaunt fest. Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Ich danke Euch, Terra … Vielen Dank …“

Sie drehte ihren Kopf zu Yurai um und lächelte. Dann bemerkte sie, dass der Weißen Fee Tränen in den Augen standen, obwohl ihr Mund glücklich nach oben gezogen war.

Sie lehnte ihren Kopf an Azurs Brust und genoss diesen Augenblick für einen kurzen Moment. „Vielen Dank, Azur …“

„Du brauchst dich nicht zu bedanken …“, murmelte er, „Du wirklich nicht …“

Sie lachte kurz und leise darüber. „Natürlich muss ich … Und ich muss mich entschuldigen …“ Sie ließ ihm keine Zeit für eine Antwort. „Es tut mir leid, dass ich nicht bei dir bleiben kann.“ Und mit diesen Worten schnellte sie auf und küsste ihn auf die Lippen.

Er erwiderte den Kuss.
 

„Terra, komm schon – komm schon!“, bettelte Entari, welcher sich schon die ganze Zeit über sie gebeugt hatte. Sie hatte das Mädchen auf den Boden gelegt, um mit einfachen Reanimationsmaßnahmen zu beginnen und sie zu versorgen.

Zherenh wandte den Blick von der Szenerie ab.

Azur hatte keine äußeren Verletzungen … Sie wussten nicht, weshalb er einfach nicht erwachte … Und Yurai ebenfalls nicht. Es waren nur beide voll mit Blut. Über und über … bedeckt mit Terras Blut, immerhin war nur Terra verletzt. Sie hatte viele Prellungen … aber am schlimmsten war die Stichwunde.

„Sie hat sich vor Yurai geworfen … Sie hat nicht vor Schmerz zurückgeschreckt … Sie …“, wiederholte Zherenh fassungslos, „Sie war doch nur ein Mensch! Wieso hat sie das getan?“ Sie fühlte sich ohnmächtig. Während sie herumgestanden hatten, um einem verschwundenen Eingang nachzutrauern, hatte sich eine Außenstehende für ihr Volk geopfert.

Kilass war in etwa gleich erschüttert wie sie. Er sah zerstört aus. Völlig am Ende.

Es hatte seine Zeit gebraucht, bis sie ihn überhaupt dazu bringen konnte, ihr etwas zu erzählen.

Er hatte die Bordwachen benachrichtigt. Sofort waren sie mit medizinischer Versorgung zu Terra gekommen.

„Wenn wir nur Feen wären!“, zischte Zherenh angewidert, „Es wäre kein Problem! Nicht der Hauch eines kleinen Problems!“ Sie fühlte sich, als müsste sie etwas zerstören, um sich wieder zu beruhigen. Es war Verzweiflung …

Was sollten sie tun? Was nur?

Kilass weinte ununterbrochen, seit er die Geschichte mit Terras tragischem Opfer beendet hatte. Sein Tun tat ihm aufrichtig leid ... Kein Zweifel daran.

Terra … Azur … Yurai …

„Zherenh!“, ertönte eine Stimme von der Tür.

Sie wandte sich um. Es war Gardam.

„Was ist …“ Er stockte, als sein Blick auf die Szenerie am Boden fiel. „Oh, ihr Göttinnen! Retro!“ Er sah zu Zherenh. „Was hat das …? Wieso …?“

Er wirkte ehrlich betroffen. Geschockt.

„Eine lange Geschichte“, sagte Zherenh kühl. Es durfte kein Unmut verbreitet werden. Es war schon genug, dass die Wachen Kilass’ Aktion nicht bemerkt hatten. Es war auch genug, dass sie alle, die wussten, was sich hier abspielte, sich tierische Sorgen um die drei machten. Es brauchte nicht auch noch der Trupp in Sorge gestürzt werden.

Orb kam hinter Gardam hinein. „Zherenh, der Eingang ist wieder da.“

Wenn Orb sowieso herkam … Wieso nahm er dann Gardam mit? Sie hatten sich darauf geeinigt, dem Trupp nichts von ihrer Entdeckung zu erzählen, bis es vorbei war!

Wahrscheinlich hatte er darauf bestanden, dass es alleine zu gefährlich für Orb war. Gardam eben. Aber … besser er, der Nerven beweisen konnte, als jemand, der sofort in Panik ausgebrochen wäre.

„Und?“, hakte sie nach. Zumindest eine gute Nachricht. Ihr Blick fiel auf Azur, den sie auf eine Matte gelegt hatten, sodass er bequemer liegen konnte.

„Ganondorf und Mirai sind dort. Wir haben die ganze Höhle durchforstet – keine Spur von einer Mauer oder von einer anderen Gefahrenquelle. Ganondorf ist weiterhin tot.“ Er holte tief Luft. „Sollen wir ihn …?“

Zherenh schüttelte den Kopf. „Nein … Ich glaube nicht, dass dies unsere Bestimmung ist“, wandte sie unsicher ein. „Hoffen wir, dass Azur bald erwacht … Oder noch besser: Yurai …“

„Zherenh“, erklang Orbs Stimme fest, „Mirai ist tot“, brachte er schwer über die Lippen.

Sie fuhr herum und starrte ihn entsetzt an. „Was?“

„Mirais Herz schlägt nicht mehr. Ihr Körper ist tot. Sie ist lediglich ein kleines Feenwesen, kaum mehr als eine Faust groß … Ihre Augen sind geschlossen … Nichts deutet darauf hin, dass sie noch am Leben ist …“ Er wirkte bestürzt.

Gardam, Orb und sie sahen synchron zu Yurai. „Ist das der Grund, weshalb sie nicht mehr erwacht?“, hauchte Zherenh leise.

„Es ist der Grund, weshalb ich sie töten musste …“, wandte sich Kilass plötzlich ein. Seine Stimme wirkte fest, im Gegensatz zu seinem Gesicht, das noch immer Trauer und Entsetzen widerspiegelte, als Zherenh ihn ansah.

Er hatte ihr seine ganze Geschichte erzählt. Sie konnte verstehen, weshalb er so gehandelt hatte. Er hatte Terra verletzt. Er behauptete, er hätte es getan, dass sie endlich wegging. Er leugnete nicht, dass er sie nicht ausstehen hatte können … Doch er beschwor auch, dass er sie niemals hätte wirklich töten wollen. Dass sie … einfach vor sein Schwert gesprungen war, als ihn die Verantwortung wieder gepackt hatte. Er hatte scheinbar nur nicht wollen, dass sie Yurais Tod mit ansehen musste – oder dass sie den Befehl sogar durchkreuzte. Was ihr wohl gelungen war.

Doch zu welchem Preis?

„Nein … Wir können die Weiße Fee nicht töten“, sagte Zherenh ruhig, „Was auch immer sie sagt … Wir dürfen nicht. Der Feenkönig soll entscheiden, ob es geschieht. Und solange wir keinen König haben …“

„Was, wenn er mit ihr gefangen ist?“, wollte Gardam wissen, „Was, wenn wir ihn nur erwecken können, indem wir sie töten?“

„Lasst uns hoffen, dass dem nicht so sein möge.“

„Zherenh …“, sagte Orb leise und unsicher, „Ohne die Zwillingsfeen … Werden wir jemals wieder …?“

Sie senkte den Blick zu Boden. Sie wusste es nicht. Sie wusste nicht, ob sie jemals wieder zu Feen werden konnten. Sie wusste es nicht …

„Kyrion!“, erklang Entaris überraschte Stimme.

Und zwanzig Augen standen auf den König der Feen gerichtet, welcher sich erhob.

Weinend.
 

Taro hatte es aufgegeben, auch nachdem Colin wieder weg war. Bettys Blick hatte ihm alles erklärt: Link. Link und noch einmal: Link!

Konnte Betty nicht einfach damit zufrieden sein, dass Link Ilya heiraten würde oder zumindest die Dämonenfrau, die …

Die Taro getroffen hatte.

Taro hatte sie gesehen. Damals.

Lange war es her – bestimmt schon einen Monat.

Seit Link verschwunden war. Der Tag, an dem er so wütend war.

Warum hatte er das vergessen?

Link! Er musste ihn warnen! Diese Frau konnte Gedanken lesen … Wenn sie gut war – warum hatte sie ihn dann nicht einfach gefragt? Warum hatte sie ihm außerdem seine Wut auf Link genommen? Gut, das sprach für Güte, aber …

Wenn er nicht wütend auf Link war, dann war er für einen hinterlistigen Plan viel effizienter, da man ihm die Aufgabe über Boros Stein anvertrauen hätte können.

Boros Stein.

Ilya.

Warum hatte er nach Boros Stein suchen müssen, wenn er doch Boro …

Hatte diese Frau ihm etwa seine Erinnerungen an Boro gestohlen?!

Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Nicht an Boro.

An Ilya.

Ilya. Sie war nicht im Laden. Sie war nirgendwo.

Einen ganzen Monat lang … Sie war …

Prinzessin Ilya.

Es gab keine Prinzessin Ilya. Ihr Name war Zelda.

Zelda. Nicht Ilya.

Wie … Warum?

Alles war nur auf diese schwarze Person zurückzuführen! Auf diese Dämonin, die Link mitgebracht hatte! Dieser Link! Alles machte er kaputt! Er war so ein Idiot! So ein verdammter Narr! Immer bekam er alles, obwohl er alles vernichtete! Hätte er sie nicht eingeschleust – Ilya wäre hier gewesen! Link wäre hier gewesen! Link hätte Ilya geheiratet, Betty wäre für ihn frei geworden!

Dieser verdammte Link! Er hasste ihn so sehr!

Er sprang vom Bett auf, zog sich seine Sachen an und marschierte nach draußen. Weder Maro noch seine Eltern schienen etwas zu bemerken. Zumindest sagte niemand etwas. Gut so.

Vor seinem Haus kam er zum Stehen. Er würde sie jetzt wohl zweifelsohne wecken.

Doch es war es wert.

Und er rief: „Link, ich hasse dich!“

Es tat gut, so etwas zu schreien.

Er war immer nur zornig auf Link. Aber dieser Hass … Er fühlte sich einfach gut an. Dieser Hass auf jemanden, den man hasste. Der freie Hass. Nicht mehr unterdrückt.

„Und Ilya ist fast so heiß wie Betty!“, fügte er hinzu. Er lachte laut.

„Und unsere Prinzessin heißt Zelda! Zelda, hört ihr das, ihr alle? Zelda ist ihr Name!“

Er kicherte – dann grinste er spitzbübisch.

Er fühlte sich komplett.

Sein Blick fiel auf das … Geisterhaus. Es war Ilyas Haus. Dort hatte sie mit Boro gelebt, bis dieser gestorben war.

„Taro!“, erklang eine Stimme von weiter Ferne.

Er machte Colins Stimme aus. „Ilya!“, rief Taro als Antwort, „Ilya ist wieder da!“ Taro grinste noch breiter. Er konnte sich an Ilya erinnern. Ilya hatte sich immer um ihn gekümmert. Er verdankte ihr seine guten Manieren. Oder zumindest das, was davon übrig war.

„Was?!“, rief Colin überrascht, „Sie ist wieder hier?! Wo!?“

Jetzt lachte Taro lauthals. „Du Idiot!“, beleidigte er seinen Freund scherzhaft, „In meinem Kopf!“

Colin rannte über die Brücke zu Taro. „Du solltest leiser verrückt sein, Taro“, gab er ihm ruhig den guten Rat, als er ihn erreichte, „Es ist spät. Du weckst Lin auf. Und …“ Jetzt grinste der Junge auch. „Ja! Sie ist wieder da! Es war so seltsam ohne Ilya, weißt du … So leer – als würde etwas sehr Wichtiges in meinem Leben fehlen!“ Jetzt lächelte er. „Ich konnte es nicht benennen … Aber jetzt …“

„Ilya“, stimmte Taro ihm zu, „Sie ist wie eine Schwester für mich. Und für Link ist sie die perfekte Ehefrau. Ich hoffe, die beiden werden glücklich.“

„Du willst doch nur Betty für dich haben“, kommentierte Colin seine Worte schelmisch lächelnd.

„Wa – was?!“, fragte Taro stotternd. Er fühlte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Woher wusste dieser Knirps davon?! Was bildete er sich ein!? Er … und … Er … er …

„Jeder weiß es, Taro“, sagte Colin wissend, „Sogar Betty.“

Wie peinlich …!

„Aber …“, protestierte Taro zögernd.

Doch Colin unterbrach ihn und sah ihn an wie ein Lehrmeister seinen Schüler: „Sie wird auf dich zurückkommen, wenn Link Ilya geheiratet hat.“

„Denkst du, es wird bald soweit sein!?“, fragte Taro aufgeregt.

Colin zuckte mit den Schultern. „Ich kenne Meister Links Gefühle nicht so gut, wie ich es mir wünschen würde“, sagte Colin bedacht, „Doch … Ich denke, er wird nicht mehr lange warten. Vor allem, da er sie jetzt gerettet hat …“ Er lächelte. „Eine dramatische Rettung ist doch immer ein guter Grund für eine Hochzeit, oder?!“ Jetzt hatte Colin all seine Würde wieder verloren und wirkte munter, aufgeweckt und hibbelig wie immer. Seltsam.

Aber Taro nickte – ebenfalls bedächtig. „Wenn du das sagst …“

Er würde bei Betty landen! Er würde! Was für eine Nacht!

Wenn Colin das sagte, musste das doch stimmen!

Moment.

Seit wann hörte er auf Colin?
 

Der Körper fiel ihm entgegen. Reflexartig fing er ihn auf, obwohl Link geistig noch nicht ganz da war. Alles wirkte so verschwommen. Unwirklich. Doch nicht einmal halb so unwirklich wie das Gesehene. Die Erinnerungen …

Shan …

Er sah auf den Körper in seinen Armen. Unverkennbar. Der Nebel verschwand. Die Sicht wurde wieder klar.

Shan lehnte an ihm, ohne sich zu regen. Sie wurde nur von ihm gehalten.

In ihrem Körper steckte ein Schwert. Sein Schwert. Blut klebte an seinen Händen. An seinem Schwert. An seiner Kleidung.

Ihr Blut.

„Shan!“, rief er entsetzt, „Shan, wach auf!“

„Link!“, erklang Ilyas Stimme. Plötzlich stand sie neben ihm. „Die Barrieren sind gefallen …! Was ist …?“ Scheinbar war ihr Blick auf Shan gefallen. „Oh nein …“

„Wir müssen ihr helfen!“, rief Link bestürzt, „Schnell!“

Ein Mann kam zu Link herüber. Er nahm ihm Shan ab. Doch Link ließ sie sich nicht so einfach nehmen. Er half dem Mann.

Zusammen hoben sie Shan hoch und transportieren sie vorsichtig zur Tribüne. Sie setzten sie ab. Ohne dass es ihr jemand vorschlug, setzte Ilya sich auf den Boden vor ihnen, sodass sie Shans Kopf auf ihren Schoß stützen konnten. Zelda war ebenfalls herbeigeeilt.

Zelda.

Sie würde ihr helfen können. Würde sie doch, oder?

Sie hatte auch Midna helfen können … Doch der Preis …

Link wollte nicht daran denken.

Er musste sich ablenken. Musste etwas tun. Doch was?!

Link schaute den Mann an. Er kannte ihn. Es war der Wachmann, der Shan einst erschossen hatte. Claude war sein Name. Sein Blick durchforstete den Raum.

Thelma, Feconi … Sie sahen ihn betrübt an, standen vor ihm. Dann schauten sie zu Shan. Thelma kannte Shan … Claude kannte sie. Miralle, Arithmeta.

Alle waren da. Regena, ihre Enkelin … die blonde Krankenschwester und das Schwertmädchen. Jeder hier kannte Shan. Alle erkannten sie.

Alle …

Nur Terra fehlte. Dann wären seine Reisekumpane komplett.

Er sah zu Shan.

Sie fehlte. Sie musste überleben! Sie durfte nicht sterben! Er hatte ihr versprochen, dass er sie hier behalten würde! Das war sie ihm schuldig.

Zelda hatte sich neben Shan gekniet. Das Triforce auf ihrer Hand leuchtete.

„Ich bin Krankenschwester!“, rief die Blondine, „Ich helfe …“

Sie lief zu Shan hinüber. Hinter ihr trotteten das Mädchen, das Geisterwächterin gespielt hatte, und Regenas Enkelin her. Die beiden erhielten einen Befehl von Ilya. Sie halfen.

Regena selbst stand in der Nähe und schüttelte den Kopf. Jeder der Leute, die sich hier versammelt hatten, schien nur auf einen Auftrag zu warten.

Sie wollten Shan helfen. Ihm helfen …

Die Frauen kümmerten sich um Shan. Wie konnte er ihr helfen …? Wie …?

Terra. Shan hatte von Terra gesprochen. Terra war in Gefahr. Was hatte sie gesagt …?

„Für wen ich mich entscheide …“, murmelte er, als er sich an Shans sanfte Worte erinnerte.

Er schüttelte hastig den Kopf. „Für wen ich mich entscheide!“, rief er leicht wütend, wodurch ihm die Aufmerksamkeit aller außer der Heilerinnen gebührte, „Für wen soll ich mich deiner Meinung nach entscheiden!? Ich entscheide mich nicht zwischen Freunden!“, schrie er in Shans Richtung, „Ich werde euch beide retten! Nein – euch alle!“

Miralle ging zu Link. „Link … Was auch immer passiert ist … Es scheint dich mitgenommen zu haben …“, stellte sie mitfühlend fest, „Doch … du scheinst gesiegt zu haben! Und Shan bekommen wir auch wieder hin. Ganz sicher …“

Sie meinte es nur gut. Aber sie schien gar keine Ahnung zu haben! Er war es – er hatte Shan so zugerichtet! Es war seine Schuld, dass sie jetzt so da lag. Sterbend.

Dass sie sterben wollte. Dass sie starb … Dass … dass sie enttäuscht war …

Link war wütend. So wütend. War es Ohnmacht, was er fühlte? Was war es? Er war so wütend! Warum … warum musste er sich entscheiden? Warum musste alles so weit kommen?

Shan … Terra …

„Ilya?“, fragte er – Miralle ignorierend. Er wusste nicht, was er ihr sagen sollte.

Seine Freundin schaute auf. Sie wirkte besorgt. „Ja, Link?“

„Bitte – bitte sorgt dafür, dass sie lebt!“

Ilya lächelte daraufhin zuversichtlich. „Natürlich! Wir werden alles geben!“

„Was habt Ihr jetzt vor?“, wollte Claude von ihm wissen, welcher seinen Weg zu Miralle gefunden hatte, die ein wenig bedrückt wirkte.

„Ich muss eine andere Freundin retten. Terra …“

„Terra retten?“, fragte ein anderer. Als Link sich zu ihm drehte, erkannte sie Terras Vater, welcher bei dessen Eltern stand, „Was ist mit Terra?“

Er schüttelte den Kopf. „Shan hat mir erzählt, dass Terra in Gefahr wäre. Ich muss ihr helfen.“

„Wenn Terra …“, begann die Großmutter – Tearra? – giftig, doch Maunten unterbrach sie barsch: „Bitte sorge dafür, dass meiner Tochter nichts widerfährt.“

„Ich verspreche es“, sagte Link kühn, entschlossen und aufrichtig.

Und der Ring zeigte seine zauberhafte Wirkung.

Mit vereinter Kraft

Diejenigen, die arg damit beschäftigt waren, Terras Leben zu retten, ließen sich vom Erwachen des Kapitäns nicht stören. Sie arbeiteten hart an ihrer Aufgabe weiter.

Die anderen, die anwesend waren, scharten sich allerdings um ihren verlorenen König.

Zherenh ging ebenfalls auf ihn zu – dicht gefolgt von Orb und Gardam.

„Kyrion – Ihr seid wach“, stellte Zherenh sichtlich erleichtert fest. Er saß aufgelöst auf seiner Matte. Mit den Händen stützte er sich auf. Doch stumme Tränen flossen weiterhin aus seinen azurblauen Augen.

Langsam erhob er sich. Während er dies tat, strich er sich langsam mit einem Ärmel über das Gesicht. Als das Gewand dieses verließ, erkannte man keine Salzspur mehr. Gar nichts von seinen vorherigen Gefühlsregungen. Er wirkte beinahe kalt. Gefühllos.

„Kyrion, was ist geschehen?“, wollte sie wissen, als er sie ansah.

Er verzog den Mund zu einer Art erzwungenen Lächelns. „Yurai und Mirai werden zurückkehren.“

Ah, also hatte er Yurai erreichen können. Aber … Mirai war doch tot … War doch nicht das der Grund für das Wegbleiben der Fee?

„Mirai scheint verstorben zu sein“, wandte Gardam leicht verwirrt ein, „Sie regt sich nicht.“

„Ihr habt ihren Körper gefunden?“, schloss Kyrion daraus. Er schüttelte den Kopf. „Wo ist Terra?“

… Er hatte wirklich nichts mitbekommen. Nichts von Kilass’ Aktion …

„Terras Überleben ist nicht gesichert“, antwortete Orb anstatt ihr, „Sie …“

„Ihr wird es gut gehen …“, murmelte Azur leise. Etwas trat in seinen Blick. Eine Art Bedrücktheit … Was war dort passiert, wo er war? So einen Ausdruck …

Er erinnerte sie an sich selbst. Jedes Mal … Immer wenn sie in den Spiegel geschaut hatte, nachdem sie zum Menschen geworden war … Immer wenn sie an ihn gedacht hatte … An Azuor … Es war dieser Ausdruck der Betrübtheit, der unendlichen Trauer des unüberbrückbaren Verlustes … Jemand, der noch nie etwas Derartiges erlebt hatte, konnte diesen Ausdruck vermutlich nicht erkennen. Oder zumindest nicht definieren …

Was nur war mit ihm geschehen?

„Ihr habt die Höhle untersucht?“, wollte er daraufhin entscheiden wissen. Der Ausdruck verschwand. Eine Härte – oder mehr eine Art Entschlossenheit – trat in seinen Blick, „Wir müssen warten, bis Yurai ebenfalls erwacht. Sie sollte bald nachkommen. Sie wird Mirai erwecken.“

Der Thronfolger erhob sich nun ganz. Er stand autoritär und herrisch wie immer da. Doch etwas fehlte ihm. Diese Freundlichkeit, die ihn sonst immer umgeben hatte. Dieses Einladende.

Es war verschwunden.

„Ist der Investitionstrupp bereits zurückgekehrt?“, wollte er betont wissen, „Oder nicht?“

Erst jetzt realisierte sie, dass ihm niemand geantwortet hatte. Orb und Gardam schienen auf ihre Antwort zu warten.

„Die Höhle wurde auf magische Fallen hin untersucht. Nichts hat uns gefährdet. Ganondorfs Körper und Mirais Überreste haben wir entdeckt. Der Trupp selbst befindet sich noch in der Höhle. Wir warten auf Euren Befehl, was wir mit dem Fund tun sollten.“

Sie musste mit ihm sprechen … Er würde nicht vor seiner Mannschaft weich werden. Aber vielleicht vor ihr. Man sah ihm an, dass er etwas loswerden wollte. Dass ihn etwas arg bedrückte. Beinahe, als würde er etwas bereuen …

Sie musste ihm helfen.

Sie hatte es seinem Bruder versprochen …

„Was gedenkt ihr mit Kilass zu tun?“, fragte Orb unvermittelt, „Immerhin hat er eine Mannschaftskameradin verletzt. Auch wenn sie keine Fee war – es soll nicht ungesühnt bleiben. Trotz des Versehens … Ohne sie wäre Yurai tot.“

Azurs Augen weiteten sich mit jedem Wort, das der andere Mann sprach.

Idiot. Hatte er kein Feingefühl? Er hatte doch keine Ahnung, was Azur widerfahren war … Aber er konnte vermutlich nichts dafür. Er kannte diese Stimmung nicht. Wenn man jemanden verlor, den man gern hatte …

„Terra“, hauchte Kyrion entsetzt, „Was ist mit ihr?“

Erst jetzt schaute er sich um – und sein Blick blieb am Mädchen am Boden hängen, welches verbunden und umsorgt wurde, aber keinerlei Regung von sich gab. Lediglich ihre Haut nahm immer mehr an Farbe ab.

Schneller als sie je einen Mann hatte laufen sehen, kniete Kyrion neben Terra, als ihm Entari Platz machte. Zherenh folgte ihm erheblich langsamer.

„Terra! Verdammt … Wieso …? Warum … Wie nur?“, flüsterte er ungläubig – und verzweifelt. „Wie nur!?“ Er wurde lauter. Plötzlich schaute er sich um. „Wie konnte das geschehen?!“ Sein Blick traf sie. Sie fühlte sich, als würden seine Augen sie durchbohren.

Sie wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Kilass hervortrat. „Dies ist mein Werk“, gab er leise zu, „Terra hat sich vor Herrin Yurai geworfen …“

Kyrions Augen wurden noch ein Stück größer, dann atmete er entsetzt aus und drehte sich sofort zurück. „Yurai, verdammt! Wach auf! Wecke Mirai! Ihr könnt sie heilen! Ihr könnt es, ich weiß es! Ihr seid noch immer mächtig! Ihr könnt nicht beide sterben lassen!“ Er schrie in Richtung der Weißen Fee, welche noch immer am Bett lag.

Niemand hatte es gewagt, sie zu bewegen. Man hatte geschaut, ob sie keine Verletzung davon getragen hatte. Nichts war gewesen – sie hatten sie liegen lassen.

„Kyrion …“, murmelte Zherenh leise.

„Verdammt! Wach auf! Sie hat sich für dich geopfert! Hilf ihr! Lass ihr Opfer nicht umsonst sein!“ Er klang wütend und verzweifelt.

Was meinte er? Zherenh verstand einfach nicht, wovon er ausging … Er musste es erklären …

Mit einem Mal erhob sich die Weiße Fee. Zwei prächtige, weiße Schwingen standen aus ihrem Köper ab. Federn zierten sie. Und Licht umgab sie. Die ganze Gestalt war in Licht getaucht. Der Raum wurde in Licht getaucht.

Alles war erfüllt. Erfüllt von Licht … Dieser Geborgenheit des Lichtes … Licht …

Trotz der strahlenden Helligkeit und des leuchtenden Glanzes vermochte Zherenh zu erkennen, wie die Weiße Fee ihre hellen Augen öffnete.

Sie war zurück.

Yurai war zurück! Sie würden wieder Feen werden können! Sie würden Terra heilen können!

Langsam wandte die Fee ihren Kopf ihren Untertanen zu. Die Heiler ließen sich auch vom gleißenden Licht nicht davon abhalten, Terra zu helfen.

Kyrion starrte die Fee an. Sein Gesicht war noch immer vor Wut verzerrt.

Doch irgendetwas strahlte in seinen Augen. War es … Hoffnung …?

Zherenh stand neben ihm. Ihr Blick fiel wieder auf die Weiße Fee, welche jetzt einen Arm hob.

„Danke für Eure Mühe …“, erklang ihre weiche, sanfte Stimme, „Meine Schwester wird Dank Eurer Hilfe überleben …“ Sie lächelte.

Dann wandte sie ihren Blick Kyrion zu. Die Blicke der beiden kreuzten sich für einen Moment. Doch Zherenh erschien dieser Moment ewig. Die Fee wirkte reumütig – als hätte sie etwas zu verschulden. Als wäre etwas geschehen, was sie gerne hätte rückgängig machen wollen … Und doch glänzte eine Freude in ihren Augen. Etwas, das auf Hoffnung für die Zukunft hindeutete.

Plötzlich wurde das Licht von Dunkelheit durchdrungen.

Zuerst war Zherenh erschrocken über den plötzlichen Lichtwechsel, dann fragte sie sich, ob Ganondorfs Nähe etwas damit zu tun hatte … Doch dann erkannte sie, dass dieser dunkle Nebel, der aufstieg, von Terra ausging.

Auch diese hob plötzlich einen Arm, was die Heiler ein wenig zurückschrecken ließ.

„Terra!“, rief Kyrion, wobei er den Blickkontakt zu Yurai durchbrach und sich rein auf das Mädchen vor ihm konzentrierte.

Zherenh beugte sich ebenfalls über Terra, um zu sehen, was geschah.

Und plötzlich schlug sie die Augen.

Und in diesem Moment erfüllte sie eine unglaubliche Macht.

Eine Macht, nach der sie sich schon lange wieder sehnte.

Als ihre ein Paar Flügel aus dem Rücken wuchsen, erkannte sie, was Kyrion gemeint haben könnte.

„Die Zwillingsfeen sind zurück“, erklärte Yurai hörbar lächelnd.
 

Schwarzer Nebel umgab Link. Als sich der Nebel lichtete, verschwand er. Ilya war überrascht darüber. Wie hatte er das gemacht? Aber jetzt war es egal. Sie hatte etwas Wichtigeres zu tun.

Sie blickte in das Gesicht der Frau, deren Kopf auf ihrem Schoß abgelagert war.

Ilya wischte mit einem Handschuh über ihr Gesicht, um letzte Blutstropfen daraus entfernen zu können. Ein so schönes Gesicht … so verunstaltet von Schmerz und Blut …

Schrecklich …

Aber dieses Gesicht … hatte sie nicht auch Schreckliches getan? War es nicht sie, die sie aus dem Laden von Ordon genommen hatte? War es nicht sie, die sie zur Königin gemacht hatte? Sie … die sie gegen Link aufgehetzt hatte …?

Warum hatte diese Frau es getan? Hasste sie sie so sehr? Oder hasste sie Link so sehr …?

Ihr Blick fiel auf Zelda. Die Prinzessin hatte die Augen geschlossen. Das Zeichen auf ihrer Hand leuchtete strahlend hell.

Sie hatte den Platz von Zelda eingenommen gehabt. Sie hatte ihre Leute befehligt … Sie hatte einen halben Krieg gegen Monster angezettelt … Sie hatte heiraten wollen … Ganondorf heiraten. Ganondorf, der so ein schlechter Mann gewesen war … Ganondorf, der …

Die Krankenschwester, die sich zu ihnen gesellt hatte, bereitete den Körper der Frau so vor, dass man das Schwert entfernen konnte, um danach die Wunde entsprechend zu verbinden.

„Macht euch keine Mühe …“, erklang plötzlich eine leise, aber feste Stimme.

Ilya sah überrascht nach unten.

Die Frau hatte die Augen aufgeschlagen.

Rote, dämonische Augen. Doch sie wirkten schwach … glasig …

„Wir lassen hier niemanden sterben, Frau Shan“, wies die Krankenschwester sie freundlich hin, „Einmal haben wir Euch bereits gerettet – da wird es wohl ein zweites Mal gelingen.“ Die Frau machte unbeirrt weiter.

Shan … Das war also ihr Name … Ja, Ilya erinnerte sich … Sie glaubte, sie hätte sich einmal vorgestellt … An ihrem ersten Tag als Königin …

„Ich verdiene den Tod“, setzte Shan hart durch, „Lasst es.“ Es klang befehlshaberisch …

„Nein“, hörte Ilya sich selbst sagen, „Wir lassen niemanden sterben.“

Sie fing den überraschten Blick der Frau auf. Diesmal hatte sie die violetten Lippen zu einem Lächeln verzogen.

„Seht bitte zu, dass Zelda sich meinetwegen nicht übernimmt“, bat Shan sie, „Mein Körper ist von Dunkelheit durchtränkt … Es könnte gefährlich für sie sein.“

Ilya schaute besorgt zu Zelda. Sie bemerkte, dass Umstehende das auch taten.

„Nein, nein, Schätzchen – so geht das aber nicht.“ Erst jetzt sah sie Thelma darunter … Thelma … Sie hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. „Lass die Prinzessin ihr Ding durchziehen, sie weiß, was sie tut.“

„Ha“, machte Shan amüsiert, „Ihr scheint sie weniger gut zu kennen, als ich es tue … Sie hat ebenfalls diesen Heldendrang.“

„Ihr wart Links Begleiterin …“, stellte Ilya fest.

Shan sah sie an. „Ihr seid Links Prinzessin“, erwiderte sie trocken.

„Für das, dass Euch ein Schwert im Körper steckt, habt Ihr eine ziemlich spitze Zunge“, wandte ein Mädchen ein, dessen Haar blond war … Neben ihr stand eine alte Dame. War das nicht … Arithmeta? Und ihr Lehrmädchen?

„Habe ich mich je angemessen für das Kleid bedankt?“, fragte Shan das Mädchen, das gesprochen hatte, „Ich denke nicht … Vielen Dank dafür … Es ist wunderbar …“ Sie lächelte ehrlich erfreut.

Und plötzlich erkannte Ilya etwas.

Egal, was diese Frau getan hatte … Sie war noch immer ein Mensch. Und sie durfte nicht einfach so sterben. Sie mussten alles daran setzen, sie zu retten. Sie würde ihre Strafe erhalten – im Leben. Sie hatte jeden betrogen. Alle getäuscht.

Sogar Link.

Und Link … Link machte sich aufrichtige Sorgen um sie.

Sie hatte es gesehen. Sein Blick sprach Bände. Der Blick, dem er dieser Frau zuwandte … Wie unsicher er auch sein mochte – er liebte diese Frau. Und ihr Leben war ihm sehr viel wert. Es war jener Blick, mit dem er auch sie betrachtet hatte ... In ihrem Zimmer … Als er in einem Kleid gesteckt hatte … Bevor er aus dem Fenster …

Sie wandte den Blick wieder zu Shan.

Ilya wollte Link töten lassen. Auf Shans Geheiß hin. Doch sie … sie war es, die …

„Hasst mich ruhig“, hörte sie Shan sagen, „Ich denke, Ihr habt das größte Recht dazu. Immerhin wart Ihr diejenige, die am meisten Leid erfahren musste … Ihr, Zelda und …“

Link.

Sie wollte Link sagen. Link hatte sie als Freundin betrachtet – und sie verloren.

Ilya wusste nicht, weshalb Shan es getan hatte. Ilya wusste gar nichts. Sie wusste nur, dass ihr Kindheitsfreund dadurch schwer verletzt wurde. Nicht körperlich. Aber seelisch. Es schmerzte ihn. Und er wollte Shan hier behalten.

Er musste etwas in ihr sehen.

Etwas, was es wert war, ihr Leben zu sichern.

„Denkt nicht einmal daran, zu sterben!“, murrte Ilya daraufhin, „Wir werden Euch behandeln!“

Die Krankenschwester nickte zustimmend. Ihre Freundinnen kamen derweil mit verschiedenen Utensilien zurück.

Shan lächelte erheitert. Und dann schloss sie die Augen.

„Hey, bleibt!“, schalt Ilya sie.

Doch sie wusste nicht, ob ihre Nachricht angekommen war.
 


 

Sie schwebte im Dämmerlicht, nachdem sie einige Bilder aus der Vergangenheit dieser Frau erfahren hatte.

„Ach, ihr Hyrulaner … Ihr seid so neugierig …“, grollte Shan leise, „Verschwindet aus meinem Körper. Ich möchte schlafen.“ Sie sah niemanden.

War nur im Dämmerlicht.

„Ich möchte Euch behalten“, erklang die sanfte Antwort der Prinzessin, „Ihr dürft nicht sterben.“

„Bei Ganondorf schient Ihr nicht so von Mitleid geprägt zu sein“, gab Shan scharf zurück.

„Ihr habt eingesehen, dass Eure Taten falsch waren. Er hingegen …“ Die Prinzessin führte ihre Erörterung nicht weiter fort.

„Könnt ihr mir nicht einfach meine Ruhe gönnen? Zwar habe ich lange genug Unfrieden gestiftet … Doch ich sehe ein, wenn ich verloren habe. Ich nehme den Preis auf mich.“

Zelda lächelte. „Mich freut Euer Mut, Shan … Hiermit ähnelt Ihr Eurer Schwester sehr.“

„Ihr hieltet mich zu Anfang doch auch für Midna“, erwiderte Shan angewindert.

„Wie wahr. Der Fehler, der so vielen unterlaufen war, war auch der meine … Ich bitte Euch um Vergebung, Shan …“ Zelda verbeugte sich vor ihr – gedanklich.

„Pah, darauf kann ich verzichten …“, murmelte Shan daraufhin ablehnend.

„Seid Ihr gerade aufgewacht, um meiner Präsenz zu entfliehen?“, wollte Zelda von ihr wissen.

„Ihr wisst es doch … Ich wäre schon längst nicht mehr am Leben, wenn …“

„Wenn Euch nicht immer jemand aufhalten würde“, beendete Zelda den Satz für sie.

„Richtig. Ich will sterben“, sagte sie.

„Wir haben versprochen, Euch am Leben zu erhalten“, wandte Zelda ein.

„Menschen versprechen viele Dinge. Am Ende wird man nur enttäuscht. Lasst Eure Gutherzigkeit sein, Prinzessin Zelda“, riet Shan ihr, „Und lasst mich alleine …“

„Ich danke Euch, dass ich einen Teil Eurer Erinnerungen einsehen habe dürfen“, sagte Zelda danach, ohne auf Shans Worte einzugehen.“

„Ich danke Euch dafür, dass Ihr mich verlasst.“

Plötzlich schnitt sie eine dunkle Welle.

Etwas, das nicht von Shan herrührte. Eine andere Macht …

Ehe sie sich versah, war sie wieder in der wahren Welt. Draußen aus Shans Gedanken.

Sie hielt die Hand der Frau noch immer fest.

Die Hand war zur roten Rubinkette gewandert, die voller Blut war.

Shans Hand lag lasch in ihrer Hand. Regungslos.

Tot.
 


 

Der Ring zog ihn mit seiner Magie an den Ort, den er sich ersehnt hatte.

Die Höhle, die Shan ihm gezeigt hatte. Die Höhle, in der Terra scheinbar in Gefahr war.

Die Höhle, in der Ganondorfs toter Körper lag … Die Höhle … in die Shan immer wieder zurückgekehrt war, um ihren Traum zu verwirklichen …

„Wer bist du?“, fragte plötzlich eine Stimme hinter ihm, „Bist du etwa Ganondorfs Scherge?!“

Link wandte sich um. Ein großer Mann stand vor ihm. Flügel zierten seinen Rücken. Er wirkte missmutig.

„Ich bin Link – aus Ordon“, stellte er sich vor.

Der Mann machte große Augen. „Der Link aus Ordon?! Der Retter?!“

Link zuckte mit den Schultern. „Kennt Ihr ein Mädchen namens Terra? Ich habe gehört, sie wäre hier … und dass sie in Gefahr schwebte …“

„Terra? Na ja, Retro eben.“

… Was?

Er schaute den Mann verständnislos an. Was war er überhaupt? Eine … Fee?

Dabei erinnerte sich Link an die große Fee, die ihm einst begegnet war. Feen konnten also so groß werden wie dieser Mann … Aber …

„Retro hieß doch Terra, oder?“, wollte der Mann wissen. Doch diesmal war es an einen anderen Mann gewandt. Dieser stand plötzlich neben dem Mann.

Wo war der jetzt hergekommen?

„Du Idiot – wenn er Ganondorfs Scherge wäre, wäre er schon längst tot! Mirai und Yurai sind zurück! Sie hätten ihn … du weißt schon!“ Der Mann wirkte glücklich. „Ja, Retro ist Terra.“

Yurai und Mirai waren zurück?

Die beiden Feen, die Shan getrennt hatte … Sie hatten ohne einander überlebt … Die Weiße Frau und ihre Schwester … Was für ein Glück … Plötzlich erinnerte sich Link daran, dass Shan auch das Feenvolk angegriffen hatte, „Ihr seid Feen!“, stellte Link erstaunt fest, „Ihr habt überlebt!“

Die Männer zuckten mit den Schultern. „Knapp, aber … ja … Aber – Link aus Ordon!“ Der Mann flog auf ihn zu und strahlte dabei, als würde er sich über das Fliegen freuen, wie ein Mann über sein erstes Pferd, „Geh doch zum König! Er ist ebenfalls wieder zurück! Er wird dich willkommen heißen! Dass du hier bist – das bedeutet doch, dass du Ganondorfs Machenschaften zerschlagen hast, nicht wahr?“

Der zweite Mann lächelte ihn zuversichtlich an.

„Wer spricht vom König?“, erklang eine Stimme hinter Link.

Er wandte sich um.

Ein Mann stand dort. Umringt von drei Frauen.

Und eine davon war …

Terra!

„Terra!“, rief Link überglücklich aus, „Du lebst! Dir geht es gut!“

Erst jetzt bemerkte er, dass ihre Kleidung mit Blut beschmiert war.

Was war geschehen?

„Link aus Ordon“, übernahm Yurai das Wort, „Es freut mich, Euch wieder zu sehen. Ich hoffe, Ihr konntet etwas mit meinem Hinweis von damals anfangen. Ich war leider nicht zu mehr in der Lage, ohne mein eigenes Dasein zu sehr zu gefährden.“

Er sah die Frau an, die gesprochen hatte, und erkannte, dass es die Weiße Frau war. Die Weiße Fee. Diejenige, die solchen Hass Shan gegenüber verspürt hatte. Aber er erkannte die Schwarze Fee nicht. Wo war sie nur?

Der Mann und die blonde Frau sahen ihn interessiert an. „Hier kennt auch jeder jeden“, stellte die blonde Frau trocken fest.

Der Blick des Mannes ging von ihm ab und er sah auf Terra hinunter, welche nur geradeaus starrte, ohne etwas zu sagen.

… War wirklich etwas nicht in Ordnung …? Was war passiert? ... Er war wohl hoffentlich nicht zu spät gekommen! Aber Shan sagte etwas davon, dass es Terra ähnlich wie ihr erginge. Sterbend ... Er betrachtete das Blut. Meinte sie das damit?

Jemand hatte Terra also seiner statt gerettet?!

Der Mann schien den Blick nur sehr schwer wieder von Terra weg zu bekommen. Dann schaute er Link in die Augen. Irgendetwas in den Augen des Mannes erfüllte Link mit Mitleid. „Terra ist nicht mehr“, sagte der Mann dann kühl, „Es tut mir leid, falls Ihr erwartet habt, sie anzutreffen.“

Was …? Was redete er da …? Er konnte sie doch sehen! Sie stand vor ihm! Direkt vor ihm ...!

„Es tut mir Leid, Link von Ordon“, wandte sich die Weiße Frau wieder an ihn, „Aber Eure damalige Freundin hat sich dafür entschieden, sich Euch anzuschließen und der Welt größte Ehre zu erweisen.“

… Wie bitte? Von was sprach sie? Was war mit Terra? Link wollte … Link sollte … Er sollte doch zusehen, dass ihr nichts passierte …!

„Ich bin Mirai“, stellte sich die, die wie Terra aussah, vor, „Die Schwarze Fee.“ Sie hatte sogar Terras Stimme. Link erinnerte sich an diese Stimme. Doch die Lebensfreude fehlte ihr. Sie wirkte einfach … tieftraurig.

Die beiden Feen, die hinter ihm waren, schienen in etwa so baff zu sein wie er, als sie Mirai aus Terras Körper sprechen hörten.

Er verstand gar nichts mehr.

Gar nichts.

Zur Aufklärung erhielt er eine Erklärung von Kyrion, welcher scheinbar der neue König der Feen war. … Ein König der Feen … Von so etwas hatte Link noch nie gehört.

Doch die Geschichte, die er ihm erzählte, war noch viel unglaublicher …

Und dass Terra …

Nachdem sie die Geschichte beendet hatten, sah er zu ihr. In ihre grünen Augen, die sonst immer vor Vorfreude und Neugierde geglänzt hatten, vielleicht auch mit einer Spur von Melancholie untermauert … Diesmal war lediglich tiefe Traurigkeit zu sehen. Und Dankbarkeit.

Kyrion und Yurai waren also gegen Terras Opfer gewesen … Doch ihr Wille hatte gesiegt.

Es war eine arge Kurzfassung des Geschehens, so viel war Link klar, doch er verstand nicht alles, was sie ihm erzählten … Er würde sich später damit befassen müssen … Damit … und mit allem anderen ebenso … Mit Terra …

„Wo ist Ganondorf? Wir müssen zusehen, dass sein Körper vernichtet wird“, befand Link. Er hatte eigentlich erwartet, dass dieser Befehl ihm schwer fallen würde. Immerhin kannte er Shans Gefühle für diesen Mann … Doch … Dieser Mann war für alles verantwortlich.

Er hätte nicht nur um ein Haar Shan von ihm genommen … sondern seine Fäden hatten auch Terra erwürgt.

Sie war tot … Für immer … Weil sie eine legendäre Fee gerettet hatte …

„Also seid Ihr dafür?“, informierte sich Kyrion, „Wir werden ihn mit unserer Magie zerstören. Wir werden Euch als Sprecher für Hyrule gelten lassen. In Eurem Land hat er gewütet – es soll auch Teil Eurer Entscheidung werden.“

Link nickte. Er war sich nicht sicher, was Zelda davon halten würde. Aber er wusste eines: Vor fünf Jahren war er zu unvorsichtig. Er hatte sich nicht darum gekümmert, was aus Ganondorfs Überresten wurde. Niemand hatte das getan. Niemand hatte daran gedacht, dass sich aus dieser Nachlässigkeit eine neue Geschichte hätte entwickeln lassen können … Niemand …

Sie standen auf.

„Mirais alten Körper haben wir bereits vernichtet. Wenn wir Pech gehabt hätten, hätte Ganondorf diesen als Energiezufuhr verwenden können … und er wäre erwacht. Die Dämonin hatte wirklich saubere Arbeit geleistet“, erklärte Yurai.

Sie wirkte wahrlich glücklich. Doch Link war sich sicher, dass sie nicht vor Glück über den vereitelten Versuch von Ganondorfs Wiederkehr strahlte, sondern weil sie ihre Schwester zurück hatte, obwohl sie nicht damit gerechnet hatte.

Link hoffte, dass ihm dieselbe Art von Freude ebenfalls widerfahren würde … wenn er in Hyrule war …

Yurai und Mirai gingen voran. Zherenh und Kyrion folgten ihnen. Neben Kyrion schritt Link einher. Er bemerkte, dass der König der Feen Mirai nachdenklich anschaute, Mirai hingegen ließ einfach den Kopf hängen.

Zherenh blickte ihren König ebenfalls sentimental an.

Link bemerkte, dass Mirai und er die Einzigen ohne Flügel waren … Seltsames Gefühl …

Doch neben den prachtvollen, weißen Federschwingen von Yurai wirkten die durchsichtigen, Membranflügel der anderen Feen wie lasche Dekoration. Und trotzdem waren sie wunderbar … Wunderbar schön. Und sie hatten sie zurück erhalten – diese schönen Flügel. Aber nur Dank Terras Opfer …

Aber Terra …

Das letzte Mal, als er sie gesehen hatte, hatte sie ihm einen Kuss gestohlen … Es war ein Abschiedskuss gewesen.

Und wie es schien auf ewig.

Sie erreichten den Ort, an dem Shan Ganondorfs Leiche eingebettet hatte. Er lag auf einem Steinpodest, auf dem eine Decke ausgebreitet war. Daneben lagen viele unterschiedliche Dinge. Viele davon erkannte Link wieder. Es waren jene Sachen, die sie sorgsam fünf Jahre lang gesucht hatte, um sein Wiedererwecken in die Wege zu leiten.

„Zerstört die Utensilien ebenso“, herrschte Link sie an. Es war gefährlich, alle Zutaten für eine Erweckung dabei zu haben. Es war überhaupt gefährlich, dass jemand über das Wissen einer Erweckung verfügte ... Aber ... was sollte er tun ...? Jeden aufspüren, der ahnte, dass man Menschen wiederbeleben konnte? ... Nein. Bestimmt nicht. Aber er musste hier aufräumen.

Sie würden Ganondorf mit Magie zerstören, wie sie auch bereits Mirais Körper vernichtet hatten.

Yurai und Mirai hielten einander die Hände.

Kyrion und Zherenh streckten die ihren nach vorne aus.

Link konnte nichts dazu beitragen.

Er hätte nicht einmal eine nützliche Waffe gehabt … Wie hätte er ohne diese überhaupt vorgehen wollen? Er hatte wohl selbst Glück ... Glück. Pah, dass er nicht lachte ...

Und plötzlich flammte eine Explosion vor Link auf.

Und die Luft wurde von einem grellen Lichtblitz erhellt.

The Midsummernight-Princess

Ganondorf würde jetzt nie wieder jemandem schaden können. Sein Körper war in der Explosion völlig vernichtet worden.

Er war tot. Endgültig.

Genauso wie Terra. Doch es gab einen Unterschied zwischen den beiden: Link vermisste Terra. Link fühlte etwas, wenn er daran dachte, dass Terra gestorben war … Und er wusste, dass er es ihrem Vater diesmal sagen musste.

Denn diesmal … war es die Wahrheit …

Aber ihr Vater würde Grund dazu haben, stolz auf seine Tochter zu sein. Sie hatte ihr leben geopfert. Für die Welt. Was mehr - außer einer lebendigen Tochter - konnte sich ein Mann wünschen?

„Es ist vollbracht“, erklärte Yurai, nachdem alle schweigend auf die Brandflecken geschaut hatten, die einst Ganondorf und die Utensilien gewesen waren, „Nie mehr wird er jemanden hinreißen können.“ Die Weiße Fee trat vor ihr kleines Publikum. Mirai stellte sich teilnahmslos neben sie. „Wir haben noch viel zu tun. Viel zu richten … viel zu berichtigen …“ Sie lächelte entschuldigend. „Wir werden uns verabschieden …“ Dann wandte sie ihren Blick zu Kyrion. „Entsendet eine Botschaft, wenn Ihr für die Krönung bereit seid. Es wird uns eine Ehre sein, Euch zu krönen. Ihr habt Euren Mut bewiesen. Ihr habt bewiesen, dass Ihr es wert seid.“ Nach einer kurzen Pause widmete sie sich Link. „Ihr werdet Maunten davon berichten wollen, nicht wahr?“

Nach einem kurzen Überraschungsmoment, in dem Link nicht wusste, wovon sie sprach, nickte er. „Ja. Er ist immerhin ihr Vater.“

„Wir werden es übernehmen“, bot sich Yurai an, „Es ist allein unsere Schuld. Wir werden es ihm erklären. Ihm beichten. Ihm unser Beileid wünschen.“

Er dachte darüber nach … Es musste für Maunten ehrlich seltsam klingen, wenn Link es ihm erklärte. Zwillingsfeen, das Feenvolk, eine Seefahrt mit Piraten … Einen Teil davon schien der Mann bereits zu wissen, doch …

„Einverstanden“, murmelte Link leise. Er wusste nicht, wie er reagieren würde, wenn er die bestürzten Gesichter erneut sehen müsste. Und diesmal unwiderruflich. Diesmal musste er feige sein … Vielleicht würden die Feen einfühlsamer reagieren …

Er konnte es nicht einschätzen … Doch diese Last von ihm genommen zu haben …

Es war … erleichternd.

„Vielen Dank“, sagte Yurai lächelnd. Dann hob sie zum Abschied kurz ihre Hand. Und ihre Flügel breiteten sich aus. Sie nahm Mirai mit sich. Und die beiden Feen verschwanden.

Die Männer, die Link zuerst getroffen hatte, verabschiedeten sich ebenfalls von ihm.

Übrig blieben der König und Zherenh.

„Das Schicksal zieht seltsame Fäden“, sagte der König plötzlich. Sein Blick war hart – und auf Link gerichtet.

„Ich bin erfreut, den Helden einmal kennen gelernt zu haben“, sagte die blonde Frau dann lächelnd, „Es war wunderbar, mit Euch Bekanntschaft zu machen. Ich denke, Ihr seid in den Feenlanden willkommen, sollte es Euch einmal dorthin ziehen.“

„Vielen Dank für das Angebot …“, sagte Link leise. Er lächelte kurz. „Aber … ich muss zurück. Eine Freundin von mir könnte im Sterben liegen … Ich … ich muss zu ihr …“

Es waren seltsame Worte, die er über die Lippen brachte, nachdem er gerade vom Tod einer anderen Freundin erfahren hatte. Sie beide wären freiwillig gestorben. Doch ihre Motive waren andere.

Zherenh wirkte betroffen. „Viel Glück. Ich wünsche Euch sehr viel Glück dabei …“

„Auf Wiedersehen“, sagte der König förmlich. Danach drehte er sich weg und schritt graziös davon. Link fiel auf, dass er seine prächtigen Flügel nicht benutzte.

Sie schaute ihm nach, wobei sie sehr nachdenklich wirkte. „Oh Terra …“, lamentierte die Frau abwesend, „Was hast du uns hier nur zurückgelassen …?“ Sie schüttelte den Kopf und flog ihrem König hinterher.

Link war alleine.

Hier. In dieser Höhle …

„Ich hasse diesen Ort“; murmelte er verdrossen.

Und damit umrahmte ihn der Nebel des Rings.
 

Link manifestierte sich. Doch seine Gedanken waren noch bei Terra. Shan hatte ihm aufgetragen, sie zu retten.

Er hatte versagt.

Eiskalt versagt.

Terra war tot.

Wie sollte er das Maunten erklären, ohne den Feen die Verantwortung darüber zu nehmen …? Sollte er sich überhaupt dazu äußern?

Als er realisierte, dass er bereits wieder angekommen war, fand er alle Blicke auf sich gerichtet vor.

Alle Blicke.

Claude stand dort, Miralle umarmend, welche sich an seine Brust drückte und durch Schluchzen leise Bedauern ausdrückte.

Thelma und Feconi standen verlegen dort und behielten eisernes Schweigen bei. Als sich ihre Blicke mit dem seinen kreuzten, wandten sie sich von ihm ab. Alle beide.

Arithmeta und Regena sahen ihn lediglich bemitleidend an.

Terras Familie stand abseits.

Die Krankenschwester blieb bei ihren beiden Freundinnen. Alle drei sahen betroffen drein und blickten ihn an, als würde ihnen etwas furchtbar Leid tun.

Und als sein Blick immer näher zu Shan kam, traf ihn Zeldas Blick. Aus diesem sprach pures Mitleid. Nein. Trauer. Bedauern. Ihr Blick sprach Bände. Er erzählte ihm, was passiert war.

… Nein … Nein, das durfte nicht … Das hieß, dass Shan …? Nein …

Schnell rettete er sich vor ihrem Kummer, indem er zu Ilya sah.

Und ihre Augen brachen ihm sein Herz. So viel Mitleid, Klage, Sorge, Trauer …

Urplötzlich fühlte er sich an Boros Tod erinnert. Am Tag, an dem Ilya davon berichten musste, dass er verschieden war … Er hatte sie in die Arme geschlossen und sie hatte bitterlich geweint.

So sehr … So sehr …

Tränen stiegen in seine Augen.

Warum weinte er? Boro war doch schon lange …

Die Tränen flossen.

Und Terra … er hatte sich doch so gut beherrscht …

Er zwang sich, einen Schritt vorwärts zu gehen …

Aber … nein …

Die Tränen fielen langsam zu Boden.

Und plötzlich rannte er los.

Er wusste nicht genau, warum er es tat.

Er wusste lediglich, dass es so war.

Er lief den kurzen Weg hinüber zu Shan.

Ihr Körper lag regungslos an derselben Stelle, an der er sie zurückgelassen hatte.

Nur Ilya hatte sich von ihr entfernt.

Alle hatten sich von ihr entfernt.

Niemand war mehr dort … bei ihr …

Dabei hasste sie es doch so, alleine zu sein!

Er fiel auf die Knie. Er landete direkt neben ihr. Stieß beinahe ihren Körper an … Ihren toten Körper …

„Shan …“, hauchte er ungläubig, „Shan …“ Er selbst vermochte seine Stimme kaum zu hören, so leise sprach er. Shan … Er konnte es nicht fassen … Shan …

Er ließ seinen Kopf hernieder fahren. Er kam auf ihrem Herzen zum Stehen. Er beugte sich über sie.

Die Tränen fielen auf ihren leblosen Körper.

Tot …

Sie war … tot …

„Bitte … tu mir das nicht an …“, brachte er zwischen den Tränen erstickt hervor. Wie konnte sie nur? Wieso nur? Wieso?

Er hatte sie umgebracht.

Er war es.

Es war seine Schuld.

Seine Schuld allein …

„Wie willst du das jetzt noch Midna erklären?“, knurrte er, „Wie nur?“ Die Ungläubigkeit in seiner Stimme war leicht herauszuhören. Sie war da. Überall. Besetzte ihn.

Sie sollte leben!

Leben!

Wieso musste sie nur sterben? Warum nur? Es war … Es war nicht fair! Sie waren doch Freunde geworden! Hätte Shan einen einzigen Freund gehabt … Nichts wäre ihr widerfahren – Nichts!

Und jetzt hatte sie ihn … und er hatte sie verloren … Getötet …

An seinen Händen klebte ihr Blut … An seinen … Nicht an Ganondorfs …

Er … er hatte es zu verantworten …

Er schaffte es, seinen Kopf ein wenig zu heben. Er fühlte, wie seine Wangen voll von getrockneten Tränen und dem bitteren Salz waren, das sie hinterließen. Wieso nur …?

Link sah in ihr Gesicht. Ihr wunderschönes Gesicht … Ihre Lippen waren zu einem kleinen Lächeln verzerrt, ihre Augen friedlich geschlossen … Insgesamt wirkte sie nicht unglücklich, aber …

Sie war tot … Sie hätte noch so viel erledigen können … So viel … Sie hatte so viel zu tun … Sie hatte Link so sehr geholfen … Sie hatte sich todesmutig vor ihn geworfen … Sie hatte … sie hatte so viel riskiert und vor allem … Entgegen aller Logik hatte sie ihn nicht getötet … Sie hatte gezögert … Aber er?

Eiskalt.

Leise ertönten zögerlich Schritte hinter ihm. Gewand raschelte.

Arme schlangen sich um seinen Hals. Und Ilyas Gesicht drückte gegen das seine.

Auch ihre Wangen waren ein wenig durchnässt. Und doch strahlte sie eine Art Ruhe aus …

Ruhe … Das, was er jetzt brauchte.

„Warum …?“, fragte er leise, ohne eine Antwort zu erwarten.

„Link …“, sagte Ilya ruhig und einfühlsam, „Sie … sie wollte es …“

„Aber ich nicht!“, entgegnete er mit zitternder Stimme, „Sie hätte hier bleiben sollen …“

„Ich verstehe, wie du dich fühlst …“, murmelte Ilya leise, „Es muss sehr hart für dich sein … Du findest den Lauf der Dinge unfair. Du willst alles ändern. Du gibst dir selbst die Schuld daran …“ Kaum merklich schüttelte sie den Kopf. Sie hatte ihr Diadem abgelegt, wie er gerade deshalb bemerkte. „Nichts hält ewig, Link … Das Leben ist so ungerecht … Und doch ist alles richtig, wie es geschieht … Denn … die Vergangenheit kann man nicht ändern …“ Ihre Stimme war immer noch nicht mehr als ein Wispern. Doch ihre Worte drangen in ihn ein. Ihre Worte … Sie kannte seine Gefühle … Boro … Natürlich. Ihr Vater war tot …

„Aber sie … sie hätte alles ändern können“, erwiderte Link leise, „Sie hätte …“

„Link“, forderte Ilya erneut sanftmütig, „Shan wollte es so. Ihr tat Leid, was sie getan hatte. Und trotzdem hatte sie sich sehr gefreut, dich kennen gelernt zu haben.“ Sie beugte sich ein wenig vor, sodass er in ihr Gesicht sehen konnte, welches zu einem freundlichen Lächeln verzogen war, „Du bist das Beste, was ihr je passiert ist.“

Dieses Lächeln … Ilya … Wieso nur konnte sie so gut verstehen? Wieso kannte sie ihn nur so gut …? Shan … Warum konnte sie so in ihren Gefühlen lesen …?

„Ilya …“, murmelte er, „Ich … Ich danke dir …“

Jetzt umarmte sie ihn noch einmal offen. Sie drückte ihn fest an sich. Sie hielt ihn fest. So fest … Diese Sicherheit … Sie behütete ihn …

Sie würde ihn beschützen … Ilya …

„Beruhige dich, Link …“, flüsterte sie leise, „Shan ist stolz auf dich.“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Und ich bin es auch.“

Stolz … Ilya …

Ilya …

Er konnte nicht anders. Unter Tränen umarmte er sie zurück. Er drückte sie fest an sich, wobei er ein wenig herumrücken musste, um Shans Körper nicht zu belästigen.

„Danke … Ich danke dir so sehr …“, murmelte er, „Danke …“

Sie lächelte. „Link, ich danke dir …“

Er lächelte. „Danke …“
 


 

Und die Orks ritten über Hyrule-Feld, ohne die Menschen eines Blickes zu würdigen. Von jener Nacht an belästigte nie wieder ein Monster einen Passanten.

Der Frieden war zurück.
 

The Legend of Zelda – Twilight Princess: The Midsummernight Princess.
 


 

Thelma stand in der Schneiderei von Arithmeta. Sie wartete noch, bis der derzeitige Kunde bedient war. Miralle und Arithmeta hatten seit Mydias … Zeldas … Abwesenheit wieder sehr viel Stress, da sie die Kundenanzahl zu zweit anstatt zu dritt zu bewältigen hatten. Aber früher hatten sie es auch geschafft.

Wieso dann nicht jetzt?

Feconi stand mit verschränkten Armen neben ihr und schnaubte wütend. Ihre Blicke schienen alles zu erstechen. Wenn Blicke töten könnten …

„Und du schreibst dein verdammtes Testament jetzt auf der Stelle!“, fuhr ihre Nichte sie an, „Und zwar sofort! Und du lässt mich aus jedem verdammten, kleinen Satz aus! Ich will nichts –und zwar so was von gar nichts und überhaupt nichts – je wieder mit irgendeinem von deinen kleinen, verdammten, schmutzigen Geschäften irgendwie zu tun haben – kapiert?!“

„Wie wir in den letzten Tagen bereits dreimal geklärt hatten – ja. Du bekommst nichts. Außer du heiratest Claude. Aber damit bist du zu spät dran.“ Thelma kicherte.

Ehe Feconi zu einem Schlag ausholen konnte, stand Arithmeta bei ihnen.

„Ach, Feconi, du wärst bestimmte eine sehr gute Schneiderin“, begrüßte Arithmeta sie.

Und ehe irgendjemand etwas dagegen hätte einwenden können, machte die Rothaarige am Absatz kehrt und verschwand wütend murmelnd aus dem Geschäft. Die Tür knallte zu.

„Oh, da ist jemand aber gut drauf“, stellte Arithmeta trocken fest, wonach sie ihren Blick Thelma zuwandte, „Kann ich dir helfen?“

„Ja, ich möchte bitte zehn Kleider bestellen. Bei euch gibt es einfach die besten. In Kakariko haben sie einfach keinen …“

Arithmeta unterbrach sie: „Was? Du gehst nach Kakariko zurück?“ Die Frau wirkte irritiert.

Thelma grinste keck. „Natürlich! Hat dir Miralle es noch nicht erzählt?“

Der älteren Dame klappte beinahe die Kinnlade herunter. „Was? Miralle verlässt mich?“

Daraufhin kicherte sie vergnügt. „Ach was! Claude und ich haben einen Vertag unterzeichnet! Er schließt seine Bude an mein Geschäft an – wir verkaufen unter demselben Namen! So … als eine Art Markenzeichen. Dafür übernimmt er meine Standardkneipe und ich erhalte dafür sein Wirtshaus in Kakariko.“ Jetzt lächelte sie.

„Ah, ah! Ich verstehe! Du gibst also nicht auf!“ Arithmeta lachte kurz. „Hach, du bist schlimmer als ein Knoten. Einmal verknotet, bekommt man ihn nie mehr wirklich los!“

„Das ist mein Markenzeichen“, klärte Thelma sie selbstverständlich auf.

Nach einem kurzen Moment des Nachdenkens, kam Arithmeta wieder auf ein altes Thema zurück: „Miralle bleibt jetzt also hier, weil Claude hier bleibt?“

Thelma faltete ihre Hände und verbeugte sich kurz. „Auf dass den beiden ewiges Glück vorherbestimmt sei.“

Ein Niesen von einer anderen Ecke war zu hören. „Gesundheit“, antwortete eine Dame. Als Thelma hinüber schaute, um nachzusehen, wo Miralle denn blieb, erkannte sie die Dame. Es war die Gerüchtefrau.

Aber um die brauchte sie sich jetzt nicht mehr zu kümmern. Nie mehr!

„Na ja, in Kürze wird es die ganze Stadt wissen“, erklärte Thelma leichthin.

„Das ganze Land“, fügte Arithmeta hinzu.

Die Tür wurde erneut geöffnet und eine Kundin trat ein.

„Feconi fängt sogar ganz bestimmt hier an“, erläuterte sie für ihre alte Schneidersfreundin, „Vom Servieren hat sie genug – aber Nähen mag sie bestimmt noch immer. Aber lass sie lieber nicht zu Kunden – sie geht Leuten gerne an die Gurgel.“

Arithmeta kicherte. „Da kenne ich aber jemanden, der in diesem Alter genauso war!“

Thelma winkte ab. „Ach, wer wird denn so sein!“

„Na dann, auf Wiedersehen und viel Glück in Kakariko, Thelma!“ Mit diesen Worten lief die Frau der neuen Kundin entgegen und begrüßte sie höflich.

Thelma grinste.

Nichts hätte besser sein können.

Wenn sie in Kakariko war, könnte sie sich auf wieder mit Regena treffen, welche angekündigt hatte, gerne bei Wirtshäusern vorbeizuschauen. Damit hatte sie wohl schon eine Stammkundin gewonnen. Ihre in Feen vernarrte Enkelin und deren Freundinnen waren ebenfalls schon wieder abgereist, um ihr Studium über … Feen abzuschließen. Scheinbar waren jetzt wieder vermehrt Feen aufgetaucht. Was auch immer daran so erstaunlich war – Thelma kümmerte es nicht! Sie war wieder in Kakariko anzusiedeln.

Auf nach Kakariko!
 


 

Zelda saß auf ihrem Thron. Gerade eben waren ihre Berater verschwunden.

Kurz atmete sie leise durch, um wieder klare Gedanken fassen zu können. Aber dieses Mal war es weniger schlimm gewesen. Es war nicht das halbe Schloss auseinander gestürzt. Sie hatte den Leuten diesmal nur erklären müssen, was geschehen war. Überblicksmäßig, verstand sich. Immerhin hätte niemand die gesamte Tragweite der Geschehnisse wahrlich erkannt.

So war es einfach … besser …

Das ganze Schloss war aufgeräumt worden und die Zeichen der Mittsommernacht eines nach dem anderen verschwunden. Sie hatte Ilya noch eine Zeit lang bei sich behalten, um sich über alles zu informieren, was diese aufgetragen hatte.

Sie musste es wissen, um etwaige Fehler zu korrigieren.

Aber es gab keine Fehler. Das war bemerkenswert. Ilya hatte alles richtig gemacht.

Sie hatte die Stadt vor den Monstern verteidigt und die Zahl der Opfer hatte sich in Grenzen gehalten … Wahrlich erstaunlich …

Zelda wollte Ilya helfen. Ihr irgendwie entgegen kommen. Sie hatte ihre Macht nicht ausgenützt. Sie war am Boden der Tatsachen geblieben. Gefälschte Tatsachen, wohl wahr, doch nicht weniger Tatsachen.

Und jetzt war Zelda wieder die Regentin. Jetzt war das Volk wieder ihre Aufgabe. Und sie würde es schaffen.

Immerhin hatte sie es auch geschafft, zu nähen.

Instinktiv fasste sie sich an ihre linke Hand. Sie trug wieder Handschuhe, wie es sich laut dem Protokoll gehörte. Doch darunter waren lauter kleine Kratzer und Stiche. Sie hatte sich mit Nadeln verletzt, als sie … Mydia war …

Arithmeta hatte sich vielmals bei ihr entschuldigt. Sie hatte ihr gesagt, dass dies nicht von Nöten war – die Frau hatte ihr dennoch einen Vertrag ausgestellten, Dank dem sie ihre Kleidung ein Jahr lang gratis beziehen konnte. Sie hatte Arithmeta gesagt, dass sie die Arbeit bei ihr geschätzt hatte und es eine sehr gute Erfahrung für sie selbst gewesen war. Sie bezweifelte, dass die Frau dies verstehen würde …

Aber dies war nicht mehr ihr Blickpunkt … Sie musste ihren Blick wieder nach vorne richten. Nach vorne – in die Zukunft Hyrules.
 


 

Ilya saß alleine auf der Weide. Der Wind wehte durch ihr Haar. Sie fragte sich, wann es so weit sein würde … Wollte sie überhaupt weg?

Dieser Monat, den sie nicht hier verbracht hatte, erschien ihr so unendlich lang … Und doch waren es nicht einmal fünfzig Tage gewesen …

Sie war Herrscherin gewesen. Sie hatte Macht besessen. Sie hatte alles haben können …

Und doch war ihr nur das Volk das Liebste …

Zelda hatte sie aufgrund dessen gelobt … Mit ihr gesprochen …

Sie auf eine bestimmte Weise auch aufgemuntert.

Ihr tat es so leid, dass sie der Prinzessin den Thron genommen hatte. Dass sie … dass sie für alles verantwortlich war … Wenn sie nur stärker gewesen wäre …

„Ilya?“, ertönte eine Stimme von hinten.

Sie schaute zurück. Colin.

Er setzte sich neben sie. Seine Haltung erinnerte sie an Link.

… Link …

„Warum betrachtest du die Ziegen?“, wollte er von ihr wissen, während er ihrem Blick folgte, stur geradeaus schaute, die Beine leicht angewinkelt hatte und sich insgesamt lässig über diese gebeugt hatte.

„Ich glaube, ich habe sie einfach vermisst“, antwortete sie leise. Sie lächelte ihn an.

Er widmete ihr kurz einen Blick, schenkte ihr ebenfalls ein kleines Lächeln und wandte sich dann wieder den Tieren zu.

„Ja, wir haben dich auch vermisst“, sagte er leichthin. Nach einem kurzen Moment schaute er sie panisch an. „Also nicht, dass du eine Ziege wärst oder so …!“

Sie kicherte über seine Reaktion. „Ach, ich weiß es doch … Ich habe euch auch vermisst … Ich habe diese Leere nicht so sehr gefühlt, wie ihr, da ich eine andere, gefälschte Vergangenheit erhalten hatte, aber … Ich wusste, dass mir etwas fehlt.“

„Ilya …“, murmelte er, „Na ja, aber jetzt kannst du wieder auf Epona reiten, im Laden helfen, mit den Erwachsenen mitreden und meinen Vater zurechtweisen …!“ Er lächelte.

Sie erwiderte es. „Weißt du, manchmal glaube ich, ich wäre hier die Stadtwache.“

„Glaub mir, das bist du.“ Er grinste. Dann wurde er schlagartig wieder ernst. „Na ja, jetzt bist du es ganz sicher …“

„Denkst du, ich sollte das Dorf verlassen …?“

Er sah sie kurz verständnislos an. Dann trat erkennen in seine Augen. „Stimmt, du hattest doch vor, nach Hyrule-Stadt zu gehen …“

„Ich kenne dort drüben jetzt ein paar Leute … Ich glaube, ich könnte jetzt wirklich Arbeit finden … Im Krankenhaus …“, sagte sie gedankenverloren, brach dann aber ab.

„Im Krankenhaus?“, wiederholte Colin interessiert, „Das wäre doch eine sehr gute Zukunft! Und wenn jemand von uns krank ist, kannst du uns hier besuchen und gesund machen!“

Ilya blinzelte ihn an. Ja … Auf diese Weise könnte sie dem Dorf von Nutzen sein, obwohl sie gar nicht da war … Ja … Diese Idee … Sie gefiel ihr.

„Danke, Colin!“, rief sie erfreut aus, „Das freut mich sehr!“

„Aber …“ Er wirkte ernst. „… Willst du nicht doch noch warten?“

„Drei Tage ist es her …“, murmelte sie, „Drei Tage, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen habe …“ Sie schüttelte kurz den Kopf. „Ich … ich kann es nicht erklären, Colin … Wirklich nicht … Aber …“ Sie schaute dem Jungen in die Augen. „Ich weiß, dass er nie mehr zurückkommen wird. Nicht zu mir. Nicht nach Ordon. Nicht nach Hyrule.“

„Du meinst doch nicht, dass er …?“ Colin beendete seine Frage nicht.

Ilya wusste, wonach er fragen wollte. Er wollte wissen, ob sie glaubte, dass Link gestorben wäre.

„Nein, bestimmt nicht“, erwiderte sie überzeugt, „Es würde sich ganz anders anfühlen … Ich bin mir sicher, dass er im Moment sehr glücklich ist.“ Sie lächelte. „Und wenn er glücklich ist, bin ich auch glücklich.“

„Du bist der wunderbarste Mensch, den ich kenne“, hauchte Colin verblüfft, „Einmalig und wahrhaftig …“

Sie lächelte erfreut. „Vielen Dank, mein Kleiner …“ Sie machte eine kurze Pause. „Wobei klein untertrieben ist … Immerhin steckt in dir bestimmt die Kraft, ein neuer Held zu werden. Der neue Held.“ Sie legte ihm eine Hand auf den Kopf. „Nicht wahr?“

Er kicherte vergnügt, als sie ihm durch die Haare strich.

„Na klar doch!“

Dank ihm wusste sie jetzt, dass Ordon sie nicht mehr so dringend brauchte. Moe würde ein perfekter Bürgermeister sein. Er würde alles wunderbar machen. Manchmal würde er nach Hyrule kommen, um am Hof etwas abzugeben. Dann konnten sie sich sehen. Sie würde nie den Kontakt zu Ordon verlieren. In Hyrule-Stadt waren Miralle und die anderen … Mit ihnen konnte sie sich treffen … Zelda war ebenfalls dort …

Sie konnte noch immer kaum glauben, dass die Prinzessin ihr erlaubt hatte, sie zu besuchen … Ihr sogar Rat zu erteilen … Sie fühlte sich geehrt.

War es nicht zu viel für ein einfaches Mädchen wie sie?

Aber … es zog sie einfach in die Mitte der Stadt …

Und hier … sie wusste einfach, dass mit diesem letzten Besuch alles geklärt wurde. Ordon benötigte sie nicht mehr. Jetzt konnte sie in ihre eigene Zukunft starten.

Taro und Betty würden sich in Zukunft wie ein Ehepaar verhalten. Colin würde das Dorf beschützen. Lin würde wachsen … Und die anderen Einwohner würden einfach so sein, wie sie waren und damit sehr glücklich werden.

Sie wusste es einfach.

Und sie wünschte es sich.

Aus ganzem Herzen.

Aber was sie noch mehr hoffte, war, dass Link glücklich wurde. Wohin auch immer er gegangen war. Was auch immer mit ihm geschehen war. Weshalb auch immer er nicht zurückgekehrt war …

Sie wollte, dass er sein Glück fand.

Was auch immer es dazu brauchte. Wen auch immer er gefunden hatte.

Sie wollte sein Glück.

Denn sein Glück war ihr Glück.

Epilog

„Ich muss es ihr sagen … Ich muss …“, erklärte er den Anwesenden, die ihn fragend anblickten, als er Shans Körper hochhob und sie damit zu tragen begann. Sie ließ sich hängen. Sie ließ sich tragen.

Denn sie war tot.

Ilya sah ihn mit großen Augen an. „Link … Sei vorsichtig“, wünschte sie sich von ihm.

„Ich habe die Möglichkeit“, beharrte er leise, mehr zu sich selbst sprechend, als zu jemand sonst, „Was auch geschieht … Ich nutze sie.“ Danach schaute er zu Zelda. „Seid Ihr einverstanden?“

Die Prinzessin verbeugte sich kurz. „Entrichtet Ihrer Hoheit Grüße, wenn Ihr dazu kommen möget …“ Sie wirkte einerseits fröhlich, andererseits aber noch immer deprimiert.

Genauso, wie er sich fühlte.

Er schaute dorthin, wo seine Hand hätte sein sollen. Doch er sah sie nicht, da er Shan hielt.

Das Schwert war noch hier im Raum. Ihm war egal, was damit geschah. Er wollte es nie mehr wieder sehen müssen.

„Na dann …“, murmelte er abschließend, „Auf Wiedersehen?“, verabschiedete er sich. Er schenkte jedem ein kurzes Lächeln. „Vielen Dank für Eure Hilfe … Ohne euch …“ Er schüttelte kurz den Kopf. „Ich hätte es niemals geschafft. Ich verdanke euch so viel.“

Verlegenes Murmeln war die Antwort auf seine Worte. Dies brachte ihn erneut zum Lächeln.

Sein letzter Blick galt Ilya.

Sie hatte ihn dazu gebracht, dies zu tun. Sie hatte ihm gesagt, dass er es Midna sagen müsse. Dass er Shan dorthin bringen solle, wo sie hingehörte … Dorthin, wo sie nicht fremd war … Er hatte ihre Erinnerungen gesehen. Doch war er nicht einfühlsam genug, wie Ilya zu denken … Shan zurückzubringen … Sich Midna zu stellen …

Der Ring aktivierte erneut seine Kraft.

„Vielen Dank“, sagte er ihnen lächelnd.

Und damit verschwand Link.
 


 

Midna lag lässig auf ihrem breiten Thron. Sie hatte gerade die letzten Aufgaben des Tages erledigt. Spät dran wie immer, aber was sollte es schon? Am nächsten Tag würden wieder Aufgaben auf sie zukommen und sie würde sie wieder erledigen.

Die Berater, die um sie herumstanden, zogen Grimassen der Willenlosigkeit. Je später es wurde, desto grimmiger wurden sie immer.

Da musste sie immer besonders breit lächeln, sodass sie alle schnell wieder ihre Lust zum Arbeiten fanden. Aber heute war kein Grund mehr zum Arbeiten geblieben. Sie war vollkommen fertig geworden. Aus und vorbei.

„Ihr könnt gehen“, bot sie ihnen an.

Aufgrund des plötzlichen Brechens des Schweigens zuckten einige zusammen. Darüber grinste Midna kurz. Wie schreckhaft sie manchmal waren.

„Vielen Dank, gute Nacht“, verabschiedete sich der erste. Daraufhin verschwand er durch sein Warpen. Die anderen folgten brav.

Sie kicherte darüber. Dann setzte sie sich normal auf ihren Stuhl. Wie sich gewöhnliche Leute eben auf Stühle setzten. Aber wenn man den ganzen Tag nur dort saß, dann schlief einen einfach irgendwann der komplette Körper ein und … man war schlaff und lustlos … Wie ihre Berater. Ob sie ihnen einmal vorschlagen sollte, sich ebenfalls quer über einen breiten Sessel zu pflanzen?

Über ihre Gedanken grinste sie kurz. Es würde einen Versuch wert sein.

Langsam erhob sie sich, als der letzte Berater ebenfalls verschwunden war. Dann konnte sie ihren Thron jetzt wohl auch alleine lassen.

Schnell fuhr sie sich über ihr Diadem, um zu überprüfen, dass es richtig saß – dann sprang sie auch schon lebhaft die Treppen nach unten. Wenn keiner hinsah, musste man sich auch nicht beherrschen.

Nachdem sie die letzte Treppe übersprungen hatte, streckte sie sich kurz. Anstrengend. Aber amüsant. Das waren ihre Tage als Königin eben.

Auch wenn die letzten Wochen durch einen kleinen Schatten ein wenig überdeckt waren … Ihre Schwester war schon seit einiger Zeit nicht mehr aufgetaucht …

Aber sie war wohl alt genug, um auf sich alleine aufzupassen … Zumindest redete Midna sich das ein. Eigentlich wollte sie, dass sie schnell zurückkehrte. Sie brauchte unbedingt wieder jemanden, mit dem sie ehrlich und ohne Fassade reden konnte … Das war dann wohl das dunkle Los des Königssein: Man musste Haltung bewahren.

Niemand würde sie offen herausfordern. Sie war einfach die Stärkste. Aber … je mehr Leute auf ihrer Seite waren, desto weniger waren gegen sie. Und je kleiner die gegnerische Seite war, desto besser war es für das Gesamtbild. Zwar konnte sie keine Gedanken lesen, doch wusste sie, dass einige dazu bereit waren, in Zantos Fußstapfen zu treten.

Sie schickte sich immer wieder an, solchen Leuten Saures zu geben, dass sie es nicht einmal mehr wagten, an dieses gelbäugige Ekel zu denken … Doch immer wieder ließen sich die Leute eines Besseren belehren. Wer nicht hören wollte, musste wohl oder übel fühlen.

Das hatte sie in den letzten fünf Jahren sehr genau gelernt.

Und ihre Untertanen verstanden wohl endlich, dass sie dabei keinen Spaß verstand. Bei niemandem.

Sie ging weiter. Den Gang entlang. Sie hätte auch einfach warpen können. Sie hätte auch ihr Zimmer neben dem Thronsaal besetzen können … doch sie wollte einfach eine Runde spazieren gehen. Ihre Muskeln waren angespannt … Irgendwann würde sie schrecklich steif sein, wenn sie sich nicht genug bewegte. Und das wollte sie nicht.

Nur flexible Personen konnten mit Untertanen wie den ihren arbeiten. Sie hoffte, dass sie nicht allzu schnell alt wurde. Das würde dann grausam werden.

Als sie einen Schritt auf die Tür zu machte, welche sie vom nächsten Saal abgrenzte, ertönte hinter ihr ein Geräusch. Plötzlich nahm sie eine seltsame Präsenz wahr.

Sofort fuhr sie herum.

Und traute ihrem Blick kaum.

Vor ihr stand er. Seine Statur. Vielleicht größer. Vielleicht kräftiger.

Doch noch immer derselbe.

„Li- Link?“, fragte sie verwirrt. Es war wirklich eine Frage.

Jedoch nicht nach seinem Namen. Es war mehr etwas wie eine Frage nach dem Grund für seinen Aufenthalt, nach seinem Ankunftsmittel, nach … nach …

Wie kam er hierher? Weshalb?

Sie sah, dass er sich anspannte.

Sie ging einige Schritte auf ihn zu, als er sich nicht zu ihr umwandte. „Hey, hast du mich jetzt etwa ganz …“, wollte sie lässig fragen, doch als sie näher kam, verschlug es ihr die Sprache. Link hielt … Link … In Links Händen war …

Shan …

Shan … Ihre Schwester … Sie lag dort … ruhte dort … In seinen Händen …

„Shan …“, hauchte sie verwirrt, „Shan …“

Sofort umrundete sie ihren alten Freund und sah in das Gesicht ihrer Schwester. Es war bemerkenswert blass. Die Augen waren geschlossen.

Doch sie … sie lächelte …

„Shan, oh nein!“, rief sie, „Schnell, Link, wir brauchen einen Heiler, einen …“, stieß sie schrill hervor, wie versteinert auf das Bild vor sich sehend.

Sein Kopfschütteln, welches sie aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm, unterbrach sie.

„Nein … Es ist zu spät …“, bedauerte er leise. Er ging in die Knie. Und sanft legte er den Körper ihrer Schwester ab.

Er verharrte so einige Sekunden.

Und Midna starrte ihn nur an. Sie vermochte nicht mehr, als ihn lediglich anzustarren.

Was sonst hätte sie tun sollen, als ihn anzustarren?

Es … Es … Ihre Schwester … Shan …

Sie war da und … sie … sie war …

Sie sank hinab in ihre Knie.

Und war nun fast auf selber Höhe wie Link …

Und zwischen ihnen lag sie. Lag ihre Schwester. Lag Shan. Allein …

Sie führte eine Hand auf die Stirn ihrer Schwester. Kälte.

Nichts Warmes ging mehr vom freundlichen Gesicht ihrer Schwester aus.

Nichts … rein … gar nichts …

Midna wusste nicht, was sie tun sollte. Ihre Gefühle überschlugen sich. Sie … sie war machtlos. Machtlos. Schwach. Hilflos … Allein … Und doch …

Link … Er war wieder da … All die Jahre … all diese Jahre war er fort und jetzt …war er zurück … Mit ihrer Schwester … tot … Wie … wie nur …?

„Wie …?“, fragte sie kraftlos, „Wie …?“

Und Link startete mit seiner Erzählung.

Mit seiner ganzen, schmerzvollen, schmerzhaften, leidvollen, qualvollen Erzählung …

Diese Erzählung, wie Shan zu ihm kam … Sie …

Als Ganondorfs Scherge.

Mit diesem Ring.

Und dieser Kette …

Und wie sie sich einsam fühlte … und verlassen … und …
 

Midna lag dort. In Links Armen. Sie schluchzte. Sie weinte.

Und doch fuhr er fort. Mit jedem Wort fühlte er, wie er selbst von Trauer erfüllt wurde. Und wie er sich wünschte, diese Trauer zu bekämpfen.

Er hatte Midna vergessen. Und er hatte Shan als ihren Ersatz angesehen. All die Zeit über. Und dann … dann waren sie Freunde geworden … Und er hatte erfahren, was Shans wahres Ziel war …

Alles schien sich zu überschlagen. Alles … Jeder Winkel seines Körper drehte völlig durch. Wie nur? Wie konnte er es so lange übersehen haben?

Er drückte Midna fest an sich, als er fortfuhr, ihr zu erzählen, wie sie Terra gerettet hatten, wie sie nach Marine gegangen waren. Er erklärte ihr, was es mit den Zwillingsfeen auf sich hatte. Was alles geschehen war seither …

Die ganze Geschichte … Jeder Tag hätte gestern sein können … Jeder Tag hätte heute sein können … Und er hätte jedem Tag gedankt, der heute gewesen wäre …

Shan war tot.

Er hatte sie getötet.

Und er würde es Midna gestehen müssen.

Shan war Ganondorfs Scherge. Sie hatte ihn dazu gebracht, ihn zu töten. Und sie hatte ihm gesagt, wie er alles aufhalten konnte, was sie in Gang gesetzt hatte.

Sie war mutig. Sie war tapfer.

Und vor allem war sie verzweifelt.

Shan … war Midnas Ebenbild …

Und doch waren sie so verschieden …

So sehr …
 


 

Midna hatte sich an Links Brust gelegt. Sie konnte nicht anders. Sie wusste selbst nicht, wie, wann, wo und ob sie diesen Weg zurückgelegt hatte ... War Link zu ihr gekommen? Sie zu ihm? Sie wusste es nicht. Es war ihr egal ...

Link ... Shan ...

Die Tränen quollen aus ihr heraus. Weiter und weiter … Nichts war mehr übrig von ihrer Selbstbeherrschung … Link hatte sie gesprengt. Er hatte alles gesprengt.

Alles … Sie wollte ihm alles anvertrauen, was sie wusste. So wie er auch ihr alles erzählte.

Sie erfuhr von Shans Gefühlen. Von Shans Ängsten. Davon, was Shan durchgemacht hatte … Ihre eigene Schwester …! Er konnte ihr mehr von Shan sagen, als sie selbst …

Nein … nein …

Das … das war nicht wahr …

Diese Erkenntnis brachte einen neuen Tränenschwall mit sich.

Es war nicht wahr. Alles war nur eine Lüge. Eine Lüge … von ihr selbst an sich selbst. Sie wusste doch davon! Diese Kette … dieser Anhänger … sie hatte ihn gesehen … und sie hatte es gewusst … Außerdem Shans Notizen … Alle Gefühle waren ihr bekannt … Und sie …?

Sie hatte sich nicht einmal um ihre eigene Schwester gekümmert! Abgeschirmt hatte sie sie … Abgeschirmt … vor anderen … und vor sich selbst …

Niemals war sie ihr richtig ehrlich begegnet. Nie konnte sie ihr sagen, was sie fühlte … Nie konnte sie sie trösten, was ihre Einsamkeit anging … Sie hatte angenommen, dass die Zeit, die sie mit ihr verbrachte, ausreichen würde … Ausreichen … Und …?

Was hatte sie jetzt von ihrer Sparsamkeit?

Ihre Schwester! Sie war tot … Tot … Sie atmete nicht mehr … Sie würde nie wieder etwas anderes tun als zu lächeln … Nie mehr wieder … Shan … Wieso nur …?

Wieso nur …?

„Und … wir waren am Mittsommernachtsfest von Ilya …“, flüsterte er ihr leise zu. Seine Stimme war so angenehm … So beruhigend … und gleichzeitig war jedes Wort, das er sprach, ein Zertrümmern ihres Herzens … Alles … „Ich war bereit, mich Ilya zu stellen … doch dann … kam Shan hinzu … Und wir … wir haben gekämpft, ich …“ Plötzlich versagte seine Stimme. Er brach ab. Und er drückte sie fester an sich.

„Sie … sie hat mich provoziert … und … ich …“

Seine letzten Worte gingen in einem Schluchzen unter. Er beteuerte sein Mitleid, seine Schuld … Er verstand, dass Midna ihn hassen würde … Immerhin tötete er ihre Schwester …

„Nein …“, unterbrach sie seine Schimpfparabel ihm gegenüber, „Nein …“, brachte sie leise schluchzend hervor, „Nein … Ich … ich hasse dich nicht … Bestimmt nicht …“ Sie drückte sich enger an ihn, legte ihren Kopf an seine Brust, lehnte sich gegen ihn ... wollte nie mehr weg von ihm ... Er war ihr Halt. Ihre Stütze. Wieso ...? Wieso nur wollte er jetzt weg?

Und die Tränen flossen hinab. „Nein … Du … du hast sie so glücklich gemacht … so glücklich … Ohne dich … Ihr Lächeln …“ Weiter kam sie nicht. Ihre Stimme brach ab. Einfach ab. Und sie endete in endgültigem Schluchzen.

Ihre Schwester hatte gelächelt … Sie war … lächelnd verstorben … Link hatte sie dazu gebracht … Link. Nur Link … Sie wusste es … Link war es, der sie glücklich gemacht hatte … Link …

Nur Link …

Denn Link … Link gab ihr, was sie ihr so lange verwehrte … Aufmerksamkeit, Fürsorge, Freundschaft … Liebe … Midna wollte es ihr geben.

Wirklich. Sie wollte sich um ihre Schwester kümmern, doch … zuerst musste sie sie beschützen … und ehe sie sich versah, war sie dem Thron verschrieben – und Shan im Gegenzug dazu Ganondorf … Sie hätten sich nicht mehr gefunden … Nein, egal was sie sich einredete …

Es war zu spät für sie.

Aber Link hatte es geschafft, er …

Sie umklammerte Link mit aller körperlichen Kraft, die sie im Moment aufwenden konnte. „Danke, ich danke dir so sehr“, fuhr sie weinend fort, „Ich … ich bin so glücklich, dass du sie gefunden hast … Danke …“

Sie fühlte, wie er sie ebenfalls zärtlich an sich drückte.

„Ich danke dir“, murmelte er leise.

Und ehe sie sich versah, küsste er sie innig. Sie erwiderte.
 

Link hielt den roten Rubin in seinen Händen. Irgendetwas stieß an seine Gedanken, sobald er ihn berührte. Er konnte sich aus Shans Erinnerungen heraus denken, dass es sich dabei um Ganondorfs verbliebenen Geist handelte. Er umklammerte das Artefakt kräftiger. Hoffentlich zerbrach es.

„Wir müssen es zerstören“, befand Midna, welche am Thron saß und es beäugte.

Er stand direkt neben ihr und hielt ihr den Stein hin.

„Ja“, stimmte er ihr zu. Dieser Rubin war der letzte verbliebene Rest von Ganondorf. Wenn er zerstört wurde …

„Solange er existiert, besteht die Möglichkeit, ihn in einen anderen Körper wiederzuerwecken“, erklärte Midna weiter, „In etwa wie die Geschichte mit den Zwillingsfeen und Terra.“ Sie schüttelte den Kopf. „So viel Energie … er hatte sie all die Zeit verfügbar. Auch Shan hatte sie zur Stelle … Wenn er diese Energie damals schon gehabt hätte …“ Sie sprach nicht weiter.

Link wusste, was sie sagen wollte: Sie hätten keine Chance gehabt.

„Glücklicherweise hat er mit einem Verlust gerechnet“, meinte Link – irgendwie optimistisch.

„Fühlst du sie?“, wechselte Midna das Thema, „Die Seelen, die darin schweben? Die Energie derer, die sich dazu entschieden haben, ihr Blut dahinein zu vergießen?“

„... Es ist nicht nur Ganondorfs Seele darin?“, stieß Link verwundert aus – und sofort lockerte er den Griff.

„Ganondorf, Zanto … Shan …“, murmelte Midna leise, „Ich kann ihre Seelen wahrnehmen, wenn ich mich auf diesen Stein konzentriere …“

Links Augen weiteten sich. „Shans Seele? Wir können sie retten?“

Midna stieß ein belustigtes Lachen aus, welches aber alsbald verstummte. „Nein“, beschwor sie hart, „Der größte der Teil der Macht darin gehört Ganondorf. Egal, wie viele andere Seelen dort hinein gefunden haben … Wenn man den Mechanismus anwendet, wird dieser zuerst auferstehen. Vermutlich würde er die anderen Kräfte einfach verschlingen, um sich noch weiter zu stärken.“

„Aber …“, brachte Link ein, verstummte jedoch sofort wieder, als Midna ihm einen bestimmenden Blick zuwandte.

„Ein Herrscher muss tun, was ein Herrscher tun muss – zum Wohl des Volks“, ermahnte sie ihn streng und verschränkte daraufhin die Arme.

Das hätte sie ihn nicht zu sagen brauchen. Fünf Jahre lang hatte sie sich deshalb von ihm abgeschottet. Zum Wohl ihres Volks. Zum Wohl der Welt. Als Herrscherin.

Und doch hatte Shan es geschafft, all die aufgebauten Barrieren zu durchbrechen und zu ihm zu gelangen … Und dank ihr war er hier.

Hier, bei der Person die er mehr als alles andere auf der Welt liebte.

Nichts, was er bei einer anderen gespürt hatte, kam den Gefühlen für Midna näher. Dieser Kuss, den er ihr vor Tagen geschenkt hatte und den sie für ihn erwidert hatte, war nur der geringste Beweis. Sein Herz sprach mehr als tausend Worte. Es flatterte, wenn er an sie dachte. Er fühlte sich sicher und behütet, wenn er bei ihr sein durfte …

Und er liebte ihren Anblick. Zu wissen, dass sie sicher war, war alles, was er begehrte …

Sie lehnte sich dann entspannt zurück und schloss die Augen. Ihre Züge wurden weicher. Dann lächelte sie. „Wir sollten uns beeilen“, schlug sie vor.

Er nickte, obwohl sie das gar nicht sehen würde.

Heute würden sie Shans Bestattung durchführen. Link wollte dieser beiwohnen. Es war anders als bei ihnen. Es gab keine Gräber. Er wusste nicht, wie es ablief.

„Ich hoffe, sie ruht in Frieden“, fügte er hinzu.

Midna nickte. „Sie ist jetzt bestimmt bei Ganondorf und ihr wird die Lektion zuteil, die sie verdient.“ Es schien ihm, als würde Midna schmollen, weil Shan sich auf die gegnerische Seite gestellt hatte. Aber er wusste, dass sie es lediglich vorgab. Sie vermisste ihre Schwester. Sie fühlte Mitleid und Trauer über deren Leiden. Sie hasste diesen Verlust.

Ein Blick in ihre Augen reichte, um all dies zu erfahren. Aber wenn sie ihn dann ansah … dann lächelte sie plötzlich.

Und er lächelte zurück. Darum lächelte er im Moment. Weil sie ihn ansah.

Weil sie bei ihm war.

„Du willst aber nicht ernsthaft so in die Öffentlichkeit gehen?“, fragte sie neckend.

„Gefällt dir das nicht?“, entgegnete er gespielt schmollend.

Sie erhob sich. „Du wirst heute dem Volk vorgestellt – da solltest du zumindest annehmbar aussehen“, schalt sie ihn lächelnd.

Dann packte sie seine Hand und zog ihn fort.

Wären jetzt Berater hier gewesen, hätten sie bestimmt irritiert geschaut. Das hatten sie auch getan, als sie Link und Midna bei Shans Leichnam gesehen hatten … Ineinander verschlungen und weinend.

Sofort war ein Arzt gerufen worden. Aber er hatte lediglich Links Worte wiederholen können: Sie war nicht zu retten gewesen.

Sie nahmen Shan die Kette ab und sie wurde weggebracht. Link wusste nicht wohin. Midna wollte es ihm nicht sagen.

Sie marschierten zielstrebig durch das Schloss, wobei Link die einzelnen Säle natürlich wieder erkannte. Er war immerhin schon seit drei Tagen wieder hier. Drei Tage …

Er fragte sich, wie es seinen Freunden zuhause erging.

„Oh, stimmt – schöne Grüße von Zelda“, richtete er ihr verspätet aus. Im ganzen Trubel hatte er das vergessen … und noch weitere Grüße … Die vermutlich wichtigsten … Die Entschuldigung hatte er natürlich abgegeben … Aber …

„Danke sehr! Wenn du sie mal wieder siehst …“ Die Herrscherin grinste ihn von der Seite her an, „… sag ich es ihr selbst.“

„Ich komme wirklich nie mehr wieder zurück?“, wollte er wissen, wobei er einen Blick auf den Ring an ihrem Finger warf. Es war Shans Ring.

„Ich könnte ihn dir schon wieder leihen“, bot sie an, „Aber … ich denke, es würde Unruhe im Herzen des Volks stiften. Du weißt doch, wie das mit dem Neid ist.“

„Ja … Jemand musste ja unbedingt den Spiegel zerstören“, sinnierte er – halb scherzhaft, halb ernsthaft. Er wäre wirklich gerne zurückgekehrt … doch er wusste, dass dies nicht möglich war.

Nie mehr wieder.

Sie sah ihn gespielt beleidigt an. „Bring deine Kritik woanders an.“ Dann lächelte sie keck.

„Und schöne Grüße von Shan“, fügte er noch hinzu.

Midnas Mundwinkel zuckten noch ein wenig weiter nach oben und ein sanfter Blick trat in ihre Augen. Sie lächelte glücklich. „Danke sehr …“

Und so machten sie sich auf, sich korrekt zu bekleiden und gingen daraufhin gemeinsam zu Shans Himmelsfahrt. Sie lebten gemeinsam glücklich im Dämmerlicht.

Zwischen Licht und Schatten.

Dort, wo alles begann, dort wo alles endete.

In der Mittsommernacht.
 

Midsummernight-Princess – Ende.



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Kommentare zu dieser Fanfic (78)
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Von:  BienchensLullaby
2015-04-01T20:17:41+00:00 01.04.2015 22:17
Also ich bin jetzt durch....und ich muss dir einfach sagen....DAS WAR EINE DER BESTEN GESCHICHTEN DIE ICH JE GELESEN HABE!!!!! Ich habe gelacht, geweint...es War einfach alles mit dabei. Die Welt die du um feinen Charaktere aufgebaut hast und auch die Geschichte an sich war so lebendig und fesselnt, dass ich zeitweise dachte ich lese einen Bestseller !!!!! Das meine ich wirklich ernst. wie kommt auf so eine toll und Vorallem verschachtelt Geschichte? Alles in allem Spannend und lesenswert bis zu Schluss und das Ende ist echt süß aber auch bißchen traurig *.* :') *Freudentränen heul*
Antwort von:  RhapsodosGenesis
02.04.2015 10:04
OMG!!! OMGOMGOMG!!!
Du machst mich gerade so gluecklich TwTb Danke fuer deine Worte!! Vielen, vielen Dank!! Ich freu mich dermassen darueber, dass du sie gelesen hast, sie dir auch noch gefallen hat - und das scheinbar so gut! Danke fuer das liebe Kommi!!

Ich bin echt froh, dass du das so siehst *^* Da habe ich das Gefuehl, diese Geschichte hat ihren Zweck erfuellt! Und ich freue much, dass du sie mitreissend findest >w<

Also vielen lieben Dank fuers Lesen und Kommentieren <3 Du hast meinen Tag verschoenert ... und die Woche! Und das in den Ferien *-*

Danke! *Freudentraenchen mitheul*

Liebe Gruesse
Geni, die jetzt mega gluecklich ist! Und das v o r dem Fruehstueck! *-*
Von:  AtriaClara
2013-07-14T15:56:31+00:00 14.07.2013 17:56
Einfach.
Nur.
Fantastisch.

Ungelogen, am Ende musste ich echt weinen.
Am Anfang hast du noch etwas oft "informierte sich" geschrieben, aber das legte sich mit der Zeit.
Dann kann ich nur das oben Gesagte wiederholen.
LG AtriaClara
Antwort von:  RhapsodosGenesis
17.07.2013 11:03
Wow! Vielen Dank! Vielen, vielen, VIELEN Dank!
Dein Kommentar freut mich total! *__*
Also, es freut mich nicht, dass du weinen musst, aber dass du WEINST TTwTT
Danke sehr :33

Oh, das sollte ich beheben mit der Wortwiederholung >.<
Von:  fahnm
2013-02-28T21:07:45+00:00 28.02.2013 22:07
Spitzen Kapi^^
Von:  -Ciel_Phantomhive-
2013-02-28T16:40:34+00:00 28.02.2013 17:40
Nun jetz bin ich dir doch sauer.
Midna un Link war ja wohl klar. ey echt das ist mies...
ich weine sogar weil Ilya durfte Link nie küssen T////T
*schnief* ;___________________;

Nja alles in allem eine tolle Story un so...
kennst ja meine Antwort zu der Geschichte un so.~

Liebe Grüße -Ciel_Phantomhive-

Von:  fahnm
2013-02-22T22:25:24+00:00 22.02.2013 23:25
Hammer Kapi^^
Von:  -Ciel_Phantomhive-
2013-02-22T09:05:04+00:00 22.02.2013 10:05
Also ich versteh so gut wie gar nix mehr xD
Shan UND Terra sind Tod? O_O
Echt Drama eh ;_; Nja und Link der Feigling haut ab, wie im Game... Ja Ja -.- Nja war eh klar des du NIEMALS Ilya und Link zusammen bringen würdest =)
Du mochtest die beiden ja net zusammen (Ich meins net Böse ^^) Ich finds einfach schade fast die einzige zu sein die das Pairing mag.... ;_;
*schnief*
Wie immer ein tolles Kapitel und ich bedenk ja des das Letzte jetzt bald kommt. ;__; Ich werd es vermissen die Geschichte zu lesen... Aber alles in allem hoff ich auf ein wirklich schönes Happy End -_-
Nun da warte ich mal wie es endet, auch wenn ich Angst hab lesen zu müssen wie Link mit ner andren vlei. glücklich is ...........

Liebe Grüße dein -Ciel_Phantomhive-

Von:  fahnm
2013-02-16T21:13:15+00:00 16.02.2013 22:13
Klasse Kapi^^
Von:  -Ciel_Phantomhive-
2013-02-15T20:47:03+00:00 15.02.2013 21:47
So Kommi 70.~

Ich finde es wie immer spannend und freue mich aufs nächste. Auch wenn ich einfach weiß das du NIEMALS Link und Ilya zusammen kommen lässt. .__________.
Ich warte ma gespannt aufs nächste Kapitel. <33

Liebste Grüße dein -Ciel_Phantomhive-

Von:  fahnm
2013-02-09T00:52:55+00:00 09.02.2013 01:52
Spitzen Kapi^^
Von:  -Ciel_Phantomhive-
2013-02-08T14:28:05+00:00 08.02.2013 15:28
Nun vielleicht sollte Ilya etwas passieren, denn dann wären alle glücklich -.-
Denn sie scheint Link ja eh grad egal zu sein. Denkt er doch nur an Shan oder Terra...
*sfzt*
Nun ja dennoch wieder ein tolles Kapitel und wie immer warte ich aufs nächste.

Liebe Grüße -Ciel_Phantomhive-



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