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Twice upon a Time

von

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Der Geruch verbrannten Holzes lag schwer in der Luft. Der Regen hatte die Feuer löschen können, doch den Rauch hielt er nicht ab.

Stören ließ sich davon niemand. Kaum waren die letzten Flammen besiegt, packten sie alle mit an. Schutt und verbrannte Teile wurden weggeschafft, die Straßen gefegt und Schäden beseitigt. Zwar wurden viele verletzt, doch nur wenige getötet. Viel schlimmer war die Verwüstung, die hinterlassen worden war.

Keiner wusste, wie lange der Wiederaufbau dauern würde, doch alle waren sie froh, dass es vorbei war. Jeder half jedem, denn sie wussten, dass in solch schweren Zeiten Zusammenhalt wichtig war.

Nach außen hin wirkte alles so fest, stabil, gar glücklich. Doch verborgen im Schatten lag die Wahrheit – und nicht jeder war blind.

Sophie stand mitten auf dem Platz und sah zu, wie einige Männer Kisten auf einen Pferdekarren hievten. Es herrschte Aufbruchsstimmung: Binnen kürzester Zeit hatte man entschieden, dass die Stadt nicht mehr sicher war. Viele Kinder und Frauen sollten deswegen fort geschafft werden, hinaus aufs Land; zumindest dort sollten noch Sicherheit und Frieden herrschen, wie man sagte.

Das Mädchen reichte ein Bündel Decken an die Frauen auf dem Karren. Es waren nicht mal ein halbes Dutzend, denn viele wollten nicht fort. Keiner wollte Mann und Heim einfach so im Ungewissen zurück lassen. Den Kindern ging es im Grunde nicht anders, doch viele ließen sich letzten Endes mit dem Versprechen auf warme Mahlzeiten und ein festes Dach über dem Kopf fort locken.

Mit gemischten Gefühlen sah Sophie also zu diesen Menschen hoch, und sie fragte sich, wie sie sich wohl an ihrer Stelle fühlen würde. Könnte sie einfach alles zurück lassen?

Sie verspürte einen Stich, als es ihr wieder einmal klar wurde: Da war nichts. Sophie hatte nichts, was sie hätte zurück lassen können. Ihre ganze Existenz war ihr aus den Händen gerissen worden. Was ihr blieb, waren nur ein Name und der angeborene Hochmut ihrer Klasse. Und innerhalb weniger Minuten sollte auch dies ihr nun genommen werden.

Als käme er aus dem Nichts, tauchte auf einmal Clive neben ihr auf. „Traurig, nicht wahr?“ murmelte er, den Blick ebenfalls auf den Frauen. Einige von ihnen nutzten die letzte Chance, sich von ihren Männern und Söhnen zu verabschieden. Alles, was eine Waffe halten konnte, sollte zurück bleiben und ihre jämmerlichen Reste des Viertels gegen den Adel verteidigen. Sophie hob die Schultern: „Sie wissen nicht, ob sie sich jemals wieder sehen. Sie lassen Männer, Brüder und Söhne zurück. Ich weiß nicht, wie ich empfinden würde.“ „Hast du Geschwister?“ Sophie war von dieser persönlichen Frage überrascht. Trotzdem antwortete sie: „Nein. Aber ich denke, meine Eltern hätten sich einen Sohn an meiner statt gewünscht. Vielleicht wäre die Familienehre dann länger bestehen geblieben.“ „Pah, Ehre.“ Clive spuckte sich vor die Füße. „Die wissen doch nicht einmal, was wahre Ehre bedeutet.“ „Und du? Weißt du es, Clive?“ Für einen Moment sahen sie sich an, doch er blieb ihr eine Antwort schuldig. Stattdessen nickte er wieder zum Karren. „Sie werden neu anfangen müssen.“ „Jeder Neuanfang ist schwer.“ „Vielleicht. Auf dem Land ist der Umgangston rau, und wer nicht arbeiten kann wird auch nicht gebraucht. Aber es fallen so viele Aufgaben an, dass sich eigentlich für jeden Etwas finden lässt.“ „Pöbelarbeit.“ Erwiderte Sophie schlicht und zuckte die Schultern. Sie war einmal mit ihren Eltern über die ländlichen Gegenden gereist, damals auf ihrem Weg ins Sommerhaus der Familie. Doch dort draußen gab es nichts, bloß ödes Weideland und bestellte Felder. Die Menschen waren von der Sonne braun gebrannt, oder aber bis auf die Haut verschmutzt von Staub und Erde – der Unterschied war meist gar nicht genau auszumachen.

„Du solltest dringend deine Prioritäten ändern, Blondie. Wenn du nicht gleich damit beginnst, bin ich mir nicht sicher, ob selbst der lange Weg aufs Land für eine Änderung der Grundeinstellung bei dir reichen würde.“ Clive schnalzte ungeduldig mit der Zunge, doch das half auch nichts: Sophie hatte nicht ein Wort verstanden.

„Aber da draußen wirst du genug Zeit haben, über dich und dein Leben zu philosophieren.“ Da fiel der Groschen. „Mo-Moment. Du meinst doch nicht…“ „Doch. Du gehst mit ihnen.“ „WAS?!“ „Du hast mich schon verstanden.“ „Nie im Leben!“ Vollkommen entgeistert starrte Sophie ihn an, durchbohrte ihn mit ihrem Blick als könne sie die Ironie seiner Worte entdecken.

„Dir bleibt keine andere Wahl. Deinesgleichen haben dich verstoßen und es wäre zu gefährlich, dich in der Stadt zu behalten. Und zu zeitaufwändig natürlich.“ Er warf ihr einen missbilligenden Blick zu. „Das kannst du nicht machen!“ „Es war nicht allein meine Entscheidung.“ „Ach, also die deiner… Sippe?“ Sie sah, dass Clive diese Bezeichnung nicht gefiel, doch er ging nicht darauf ein. Stattdessen erklärte er: „Du hast uns hinterher spioniert und nach unseren Gesetzen bedeutet das deinen Tod. Du kannst also froh sein, dass du überhaupt noch am Leben bist.“ „Froh? FROH?! Hättest du mich nicht aus dem Wasser gezogen, müsste ich jetzt wohl nicht so tun als wäre ich DANKBAR!“ „Und wärst du nicht so feige, wärst du nicht ins Wasser gesprungen.“ Sophie sah ihn an, machte den Mund auf, schloss ihn wieder. In ihr kochte die Wut – so sehr, dass es ihr die Sprache verschlag.

Plötzlich trat zu ihnen ein bärtiger Mann: „Wir sind so weit.“ Clive nickte ihm zu, bevor er sich wieder an Sophie wandte. Mit verschränkten Armen sah er sie an, das Gesicht zu einem unverschämten Grinsen verzogen. „Es gibt zwei Arten, das jetzt zu lösen.“ „Es gibt einen ganz einfachen: Ich werde NICHT gehen.“ „Ich dachte mir, dass du das sagst. Hör zu Prinzesschen.“ Er nickte zum Karren hinüber. „Entweder du steigst da jetzt freiwillig drauf, oder ich zwing dich dazu.“ „Achja?“ Trotzig verschränkte Sophie die Arme und ließ sich wie ein kleines Kind auf den Hintern fallen. „Ich G-E-H-E nicht weg.“ Clive jedoch seufzte nur genervt: „Schön. Du wolltest es nicht anders.“

Bockig sah Sophie dabei zu, wie er sich die Ärmel hochkrempelte und dann – ohne dass sie es im ersten Moment begriff – einfach packte und hoch hob. „LASS MICH RUNTER!“ Doch Sophie konnte so viel schreien und schimpfen so viel sie wollte. Mit ihren kleinen Fäusten hämmerte sie gegen Clive, drückte sich mit ihrem vollen Körpergewicht gegen ihn – alles umsonst. Sophie hatte keine Chance gegen seine Kraft.

Während sie sich noch immer wehrte, trug er sie zum Karren und verfrachtete sie ziemlich unsanft auf der Ladefläche, mitten zwischen all der anderen Frauen und Mädchen. Durch den Stoß biss sich Sophie auf die Zunge, und sogleich schmeckte sie den bitteren Blutgeschmack in ihrem Mund. „Passt gut auf, dass sie nicht runter springt. Wenn sie nervt, haut ihr ruhig einfach eine runter.“ riet Clive den Frauen. Sophie kraxelte derweil schon wieder vom Karren, doch Clive schob sie einfach zurück. „Soll ich dich festbinden?“ Sophie blieb stumm. Sie sah ihn einfach nur an, sah ihm tief in die leuchtenden, grünen Augen und ließ ihn nur durch diesen einen Blick all ihren Hass spüren.

Schließlich senkte sie den Blick. „Brav. Und jetzt versprich, dass du diesen Leuten nicht auch noch Ärger machen wirst. Wenigstens, so lange ihr weit genug von der Stadt und den umliegenden Ländereien entfernt seid. Was du dann mit deinem Leben anfängst, ist mit ehrlich gesagt egal. Aber reite nicht noch andere mit in die Scheiße, klar?“ Sophie starrte auf ihr Knie, umging seinen mahnenden Blick. Sie hörte, wie Clive seufzte. „Ach komm schon, Blondie. Das hier ist nicht dein Ende, weißt du? Es hätte schlimmer kommen können.“ Sie sah durch ihre Wimpern, wie er um den Karren herum ging.

„Komm, mein Kind.“ Eine warme Hand legte sich auf einmal auf ihrer Schulter. Als Sophie aufsah, blickte sie in das rundliche Gesicht einer Frau mittleren Alters. „Setz dich her. Es wird eine lange Reise, und dort zu knien ist sicher alles andere als angenehm.“ Sophie sah zur Frau, dann auf den Platz vor ihr. Dies war ihre Möglichkeit. Sie konnte noch fliehen. Wohin wusste sie nicht. Aber fort? Fort aus der Stadt, irgendwo hin wo sie niemanden kannte, wo sie auf sich allein gestellt war?

„Alles klar, ihr seid soweit.“ Clive war wieder da. Er sah kurz zu der Frau, die Sophie noch immer aufhelfen wollte. Ein müdes Lächeln umspielte seine Lippen, doch er sah nicht noch einmal zu Sophie. Stattdessen ließ auch er den Blick über den Platz streifen, bevor er meinte: „Jemand hat mal gesagt, um im Leben fortfahren zu können, müsse man verstehen, warum man all das erlebt hat. Gefühlt hat. Und warum es keinen Grund mehr gibt, sich noch länger so zu fühlen.“ Ihre Blicke trafen sich kurz, doch Sophie sah sofort wieder weg; sie hielt diesen grünen Augen einfach nicht stand.

Von vorne ertönte Pferdewiehern, begleitet von Hufgeklapper. Es ruckelte einmal, dann setzte sich der Wagen ganz langsam in Bewegung.

„Nun komm.“ Der Druck auf ihrer Schulter verstärkte sich, doch Sophie ließ sich endlich aufhelfen und setzte sich an den Rand der hölzernen Bank.

Der Wagen fuhr im Schritttempo, und Clive lief hinter ihnen her. Während sich einige Frauen noch vom Wagen aus von ihren Angehörigen verabschiedeten, starrte Sophie schon wieder auf ihre Knie. „Nutz‘ die Chance, hörst du? Häng nicht deiner Vergangenheit nach. Und leb' weiter, Sophie.“

Wie aus Trance erwacht sah Sophie auf. Clive war stehen geblieben, doch er lächelte ihr zu.

Sie mochte ihn hassen, ja. Dafür, dass er sie ohne ihre Zustimmung wegschickte, dass er grob und unhöflich war, ohne Manieren und gute Sitte. Und dafür, dass er ihr so einfach die Entscheidung über Leben und Tod genommen hatte.

Doch in diesem einen Moment, wo er dastand – die Hände in den Taschen seiner schmuddeligen Hose und ein schiefes Grinsen auf den Lippen – da verspürte Sophie kurz einen Anflug aufrichtiger Dankbarkeit. Dafür, dass es in dieser Welt einen Menschen gab, der ihr doch eine Chance zu geben versuchte. Auch wenn sie ihrer Auffassung nach niemals eine gebraucht hätte.

Noch lange dachte Sophie über Clives Worte nach. Sie tat es auf ihrer Reise und auch noch einige Zeit danach. Teile dieses letzten Gesprächs hatten sich derart in ihr Gedächtnis gebrannt, dass einige Worte auch über die Jahre nicht an Gestalt verloren.



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