Let me go and I will run
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Wann immer sich Devin Reynolds seine allererste Erinnerung vor Augen führte, schlichen sich viele kleine Gefühle in sein Herz. Er spürte zunächst Belustigung, dann eine winzige Spur von Verlegenheit über seine naive Vermessenheit, die sein vierjähriges Ich damals dazu hingerissen hatte, einen Nachbarsjungen mit wunden Knien an der aufgescheuerten Hand hinter sich her nach Hause zu ziehen. Er fühlte seinen Stolz darüber, dass er schon als freches Kind eine unverfälschte Form von Stärke besaß, die ihn daran hinderte, verloren Däumchen zu drehen, wenn sich jemand wehgetan hatte.
Allen Empfindungen voran jedoch erfüllte ihn die berauschende Gewissheit, dass er mit diesem Stückchen Lebensgeschichte einen der kostbarsten Schätze der Welt versteckte. Einen Schatz, den er wie viele ihrer wohlgehüteten Geheimnisse nur mit dem einen ganz besonderen Menschen, dessen kindliches Schluchzen von diesem Tag vor dreizehn Jahren noch immer ein neckendes Grinsen auf die Lippen des Retters zauberte, teilte.
Von der ersten Sekunde an, an der sich ihre schmalen Finger umschlungen hatten, so glaubte Devin ganz fest, waren er und Jeremy White beste Freunde auf immer und ewig geworden. Dass Jeremy, als er zu spüren begann, wie gern er Devin berühren und von ihm berührt werden wollte, etwas daran zu ändern versuchte, hatte ihre Bruderschaft auf eine heftige Probe gestellt. Dennoch hielten sie einander fest. Auch die auf die unglückliche Teilung der Reynolds folgende Distanz von 319 Meilen wurde von ihrer bedingungslosen Hingabe und ihrem tiefen Vertrauen zueinander überwunden.
Nun, das achzehnte Mal Thanksgiving in ihrer Jugend stand an, war aber Devin am Zug, an ihrem Bund für die Ewigkeit zu zweifeln. Nur zweifelte er nicht - er wusste, dass es vorbei war.
Ihr Ende begann mit verräterischen Geräuschen hinter seines Vaters Schlafzimmertür, die den knisternden Regen und Devins hysterisch pumpendes Herz so kraftvoll übertönten, dass er befürchtete, es sei ihm stehen geblieben. Ohne seinen starren Blick von der eisernen Klinke zu nehmen, rang er mit seinem dunklen Verdacht. Vielleicht irrte er sich. Es musste sich nicht um die Stimmen derer handeln, die sein Gehör ihm weismachen wollte. Wenn doch, existierten sicherlich etliche plausible Gründe für ihr ekstatisches Japsen nach Sauerstoff. Allerdings fiel Devin insgesamt nur eine Erklärung ein - keine gute, denn sie löste ein haltloses Zittern in ihm aus, welches durch ein ertapptes Zusammenzucken beim Ertönen einer Frauenstimme hinter ihm weggewischt wurde.
»Hast du deinen Dad schon geseh...«
Ehe Jeremys Mutter, die Devin vom Flughafen in Los Angeles abgeholt hatte, ihre Frage zu Ende formulieren konnte, hatten ihre Sinne sie schon eingeweiht. Sie imitierte die Reaktion des Jungen mit dem fatalen Unterschied, dass sie sich noch näher an den Tatort und waghalsig an den nächsten Schritt heranwagte. Etwas, was jeder von ihnen sofort bereute. Kaum hatte Cecilia White die beiden Männer auf dem täuschend weißen Bett, hervorgetreten hinter der wie in Zeitlupe aufgegangenen Tür, als ihren einzigen Sohn und den gesuchten Kevin Reynolds identifiziert, folgte der Zusammenbruch. Von allem.
»Oh, mein GOTT, JEREMY...!«
Der explosive Auftakt vom Untergang der Welt, dem gleich immer lauter werdende Echos nachsetzten, glich einem gnadenlosen Feuer. Während das Leben um Devin herum begann, bebend in die Luft zu fliegen, rührte dieser sich nicht, blieb einfach still. So still, dass die hasserfüllten Flüche und Schuldzuweisungen das helle, verlangende Stöhnen, was in seinem Kopf unablässig widerhallte, vielleicht verstummen lassen konnten. So ruhig, dass die lauten Schreie und brutalen Gesten sang- und klanglos an ihm abprallten und dass niemand bemerkte, wie schmerzhaft es unter seinen Augenlidern brannte. Dann konnte er bestimmt vergessen. Kein Vater, der ein Kind vögelte. Keine Schwachstelle, die einem den einzigen Helden auf der Welt wegnahm. Keine Enttäuschung, die ihm zeigte, wie sehr er immernoch an den zwei Schuldigen hing. Kein bester Freund, der ihn losließ. Kein Jeremy.
Doch die vom vielen Basketballspielen rauen Finger straften Devins Wünsche und Illusionen Lügen und schlossen sich flehend um sein Handgelenk, bis er nicht mehr verhindern konnte, sich dem tränenüberströmten Gesicht vor sich zu stellen. Viel zu oft schon hatte Devin in die tiefen, seegrünen Augen seines Gegenübers gesehen und darin starke Gefühle allein für ihn gefunden. Nur diesmal war es vollkommen anders. Von diesem Augenblick an schwammen für ihn Fremdkörper namens Schuld und Reue in den trüben Iriden, sodass Devin nicht einmal mehr wusste, ob er jemals wieder in ihnen tauchen gehen wollte. Denn das erste Mal hatte er das quälende Gefühl, in Jeremys Augen zu ertrinken.
»Devin...?«
Dieses leise Suchen nach ihm war Devins Kommando, die kalte Hand von sich zu stoßen und mit einhundertachtzig brennenden Gedanken aus den Resten seines Zuhauses zu flüchten. Ihm blieb nichts anderes mehr als zu rennen, weil es nichts mehr gab, was ihn da behielt. Er hatte losgelassen. Losgelassen, nachdem er losgelassen wurde. So suchte sich Devin einen letzten Halt an seinem Handy und wählte im Camouflage des Regens die Verzweiflung: 9 1 1.
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So, das war nun der Prolog von Shatterproof. Ich hatte ziemlich daran zu knabbern, weswegen ich hoffe, dass er euch trotz des Dickauftragens gefallen hat und ihr mir jetzt ganz exzessiv damit auf die Pelle rückt, wann es endlich weitergeht ! (:Wenn ihr mehr wissen und mir Fragen stellen wollt, schaut in meinen Weblog. Da stehe ich 24/7 für euch zur Verfügung. Okay, dreiste Lüge, aber so oft es geht.
Liebe vom Leben,
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