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A hard another life

Das Leben läuft manchmal nicht so, wie man es will.
von

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Verzweiflung und Vertrauen

Er stand am Rande der Klippe und hatte die Augen geschlossen. Zu beiden Seiten stürzten in jeder Sekunde tausende Tonnen an Wassermassen mehrere Meter in die Tiefe, bis sie unten im Talkessel mit einem riesigen See verschmolzen. Es gab nicht nur diese zwei Wasserfälle, durch die der See gespeist wurde. Nein, es stürzten am gesamten Talrand hunderte von Wasserfällen hinab in die Tiefe.

Wo das Wasser des Sees anschließend hin floss, vermochte man von oben nicht zu erkennen, denn es gab keinen einzigen Einschnitt im Talkessel, wo ein Fluss hätte durchfließen können. Der See war abgeschieden von der Welt und das Wasser floss unterirdisch ab.

Weiße Gischt stob von den Stellen auf, an denen die Wasserfälle mit voller Wucht auf der Seeoberfläche auftrafen. Die Wassertropfen in der Luft reflektierten das Licht der Mittagssonne so, dass über dem ganzen Tal tausende Regenbögen schimmerten und glänzten.

Doch diesen atemberaubenden Anblick nahm er in diesem Moment nicht zur Kenntnis. Er stand mit geschlossenen Lidern kerzengerade da und konzentrierte sich auf seine Atmung, denn, was er vorhatte, war gefährlich, auch wenn er es schon tausende Male getan hatte. Schließlich sollte man nie den Respekt verlieren, sonst bezahlte man es eines Tages mit dem Leben.

Noch ein, zwei tiefe Atemzüge, dann ging er in die Hocke, stieß sich mit einem kraftvollen und eleganten Sprung von der Klippe ab und stürzte kopfüber knapp an den Wasserfällen entlang in die Tiefe.

Nun hieß es, alle Körperbeherrschung aufzubringen, um nicht vom Kurs abzukommen, denn sonst würde er in die Wassermassen des Wasserfalles gelangen und nach unten gerissen werden. Doch er schaffte es und steuerte nun, immer mehr Geschwindigkeit aufnehmend, auf genau die richtige Stelle zu. Das sich in den Bergen befindende Tal hielt alle Winde ab, die ihm gefährlich werden konnten. Er flog so knapp an den Wassermassen vorbei, dass er nur den Arm ausstrecken müsste, um in sie einzutauchen. Doch er ließ seine Arme vor seinem Kopf direkt auf den See gerichtet.

Die Luft rauschte an seinem Gesicht vorbei und vermischte sich zusammen mit dem Dröhnen der Wassermassen zu einem unerträglichen Hämmern. Der See kam immer näher, bis sie nur noch ein paar Meter voneinander trennte.

Schließlich brach er mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht perfekt durch die Wasseroberfläche und tauchte tief ins Wasser ein. Das kühle Nass umschloss ihn liebevoll mit seinen feuchten Armen und hieß ihn wie einen alten Freund willkommen.

Noch immer lächelnd machte er eine elegante Drehung und schwamm mit kräftigen und schnellen Zügen zurück an die Wasseroberfläche. Hierbei nahm er seine wie Flossen geformten Füße zusammen und bewegte sie auf und ab. Rasend schnell nahm er Geschwindigkeit auf und brach erneut durch die Wasseroberfläche. Mit diesem Schwung katapultierte er sich mehrere Meter nach oben und machte in der Luft einen eleganten Rückwärtssalto, um anschließend wieder in den See zu tauchen.

Daraufhin drehte er ab und schwamm an das Kiesufer des Sees, wo kein Wasserfall herabstürzte und das Wasser ruhig war. Als es nicht mehr tief genug zum Schwimmen war, richtete er sich auf und steuerte auf einen großen Felsen zu, der sich am Rande des Wassers befand. Dort kletterte er hinauf und setzte sich auf den kühlen Stein, wovon er einen ausgezeichneten Blick auf die Umgebung hatte.

Der Blick aus seinen strahlend gelben Augen wanderte über den See und die herabstürzenden Wasserfälle. Tiefe Ruhe erfüllte ihn und er genoss die Einsamkeit.

Sein Name war Derio und er gehörte zum Volk der Xeno, welches auch als das Volk der Wassermenschen bekannt gewesen war. Ja, dies gehörte der Vergangenheit an, denn sein Volk hatte sich vor einigen Jahrhunderten aus seiner alten Heimat zurückgezogen und lebte nun in der Abgeschiedenheit dieses Tales. Wieso sie hier hingekommen waren, wusste Derio zu seinem großen Leid nicht. Der junge Xeno hätte liebend gern gewusst, was außerhalb seiner Heimat lag. Doch leider blieb ihm diese Erfahrung verwehrt.

Derios Körper glich dem eines Menschen, wies aber auch einige entscheidende Unterschiede auf. Seine Haut hatte größtenteils die Farbe von weißlichem Blau, doch er hatte an seinen kräftigen Beinen und in seinem Gesicht tiefblaue Muster, die in ihrer Form und Größe bei jedem Xeno unterschiedlich waren. Seine Füße waren zudem nicht das einzige Flossenartige. So hatte er sowohl an den Schultern und an den Ellbogen ebenfalls Flossen, die ihm bei der Steuerung im Wasser behilflich waren. Zudem besaß er zwischen seinen Fingern hauchfeine Schwimmhäute.

Derio hatte auch keine Haare. Stattdessen befanden sich an seinen Kopfseiten zwei längliche Auswüchse, die so beweglich wie Haare waren und an den spitz zulaufenden Enden mit einem blauen Band, das in einer Feder endete, umwickelt waren.

Außerdem hatte der junge Xeno sowohl auf der Brust als auch an seinem Hals Kiemen, die er nur unter Wasser benutzen konnte. Für das Atmen an Land nahm er den Sauerstoff durch die flache Nase auf.

Obwohl das Volk der Xeno aufgrund seiner speziellen Haut nicht auf Kleidung angewiesen war, trug Derio eine blaue Weste aus speziellem Algengewebe, das mit Tinte eingefärbt war. Um seine schlanke Hüfte hing ein normaler Gürtel, an der er Taschen befestigen konnte, und ein Waffengürtel, an dem auf seiner rechten Seite ein kleiner Dolch mit rotem Griff aus Korallen steckte.

Derio musste lächeln, als er auf seine Waffe hinabblickte, denn obwohl er erst 15 Jahre alt war, war er ein ausgezeichneter Nahkämpfer und konnte exzellent mit dem Dolch umgehen. Nur die Handhabung mit der traditionellen Fernwaffe der Xeno bereitete ihm Schwierigkeiten. Bei dem Gedanken daran schob er den Arm nach hinten und holte aus einer Halterung an seinem Rücken zwei handflächengroße Scheiben heraus, die aus Korallen und speziellen Steinen gefertig waren. Diese tropfenförmigen Scheiben wurden Siku genannt und waren an den Rändern mit grausamen Zacken versehen. Nur an einer Stelle waren die Ränder glatt, sodass man sie bequem halten konnte.

Diese Waffe wurde von den Xeno bevorzugt gewählt, da man mit ihr selbst unter Wasser über große Distanzen hinweg mit wenig Kraft viel Schaden anrichten konnte. Außerdem konnte man sie trotz komplizierter Bauweise schnell herstellen und der Umgang mit ihr war ziemlich leicht, sodass bereits sehr junge Xeno mit ihnen kämpfen konnten.

Missumutig grummelnd holte Derio mit dem Arm aus und warf das Siku über den Kiesstrand auf den See zu. Es erreichte nicht einmal das tiefere Wasser, sondern trudelte schwankend gen Boden und ließ ein leises Schäppern hören.

Hätte Derio es richtig gemacht, so wäre die Scheibe pfeilschnell und um die eigene Achse rotierend mehrere Meter auf den See hinaus geflogen. Doch nun lag sie vor dem Felsen auf dem Kies im Wasser. Derio machte nicht einmal Anstalten, aufzustehen und sie zurückzuholen.

Stattdessen saß er weiterhin auf dem Fels, drehte das zweite Siku in der Hand und stieß einen langen Seufzer aus.

„Ach, das wird nie was, wenn ich mich weiterhin so ungeschickt anstelle!“, murmelte der junge Xeno vor sich hin und dachte an die Tatsache, dass er schon das Training schwänzte, damit die anderen Kinder aus seinem Volk ihn nicht auslachten und demütigten.

„Na, schwänzt du schon wieder den Unterricht, Derio?“

Fast wäre Derio seitlich vom Fels gefallen. Nur durch größte Anstrengungen schaffte er es, sich doch noch oben zu halten, indem er das Gewicht schnell auf die andere Seite verlagerte. Die in ihm aufwallende Panik bekämpfend, drehte er sich langsam zu demjenigen um, der ihn angesprochen hatte.

Als sein Blick auf eine junge Xeno in seinem Alter fiel, die ihn mit einem breiten Grinsen betrachtete, verebbten sein Schock und die Panik sofort. „Ach, du bist es, Nanja!“, brachte er heraus und man konnte die Erleichterung aus seiner Stimme heraushören.

Währenddessen stieß Nanja ein leises Kichern aus. „Hab ich dich erschreckt?“, antwortete sie und in ihrer Stimme lag keine einzige Spur von Reue oder Mitgefühl. Im Gegenteil, sie schien sich prächtig darüber zu amüsieren.

„Schadenfroh wie eh und je“, murmelte Derio und langsam zeigte sich auch auf seinem Gesicht ein kleines Lächeln.

Nanja ging zum Fels, kletterte darauf und setzte sich neben ihn. Ihr Blick glitt über den See und die Regenbögen in der Luft.

„Warum bist du nicht am Trainingsplatz und machst bei unserem Unterricht mit?“, fragte sie ihren Freund und blicke nun ihn an.

Derio hingegen hatte die Augen noch immer auf den See gerichtet. „Dasselbe könnte ich dich auch fragen, Nanja.“

„Ach, komm schon! Du weißt, was ich meine! Außerdem war ich ja bereits am Trainingsplatz. Also, weshalb-“, sie brach mitten im Satz ab, als sie das am Boden liegende Siku bemerkte. „Ist es wegen ...?“, fragte sie vorsichtig mit sanfter Stimme.

Derio öffnete den Mund und wollte ihr schon antworten, doch er brachte kein Wort über die Lippen. Somit schloss er ihn wieder und nickte nur. Tränen der Verzweiflung schimmerten in seinen Augen.

„Ach, Derio.“ Sie legte ihm tröstend einen Arm um die Schultern. „Es ist doch nicht schlimm, dass du noch nicht richtig mit dem Siku umgehen kannst! Du musst es halt noch lernen und brauchst etwas länger als die anderen. Das ist doch kein Grund, den Kopf hängen zu lassen!

Außerdem kannst du dafür andere Sachen viel besser als sie. Du bist einer der besten Dolchkämpfer und kannst es auf diesem Gebiet sogar mit den besten Kämpfern unseres Volkes aufnehmen. Zudem kommt noch, dass du zu den besten Schwimmern zählst und eine ausgezeichnete Körperbeherrschung besitzt. Ich habe gesehen, wie du vorhin wieder einmal vom Talrand herunter gesprungen bist, obwohl man uns so etwas verboten hat. So ein Sprung wäre selbst für uns Xeno tödlich, aber dennoch schaffst du es immer wieder, ihn unbeschadet zu überstehen. Dies und noch ganz viele andere Tatsachen machen dich zu etwas Besonderem.“

Während Nanjas Ansprache stahl sich ein kleines Lächeln auf sein Gesicht. Sie hatte Recht, er gehörte wirklich zu den besten Nahkämpfern ihres Clans. Außerdem hatte er es nur der Tatsache, dass er sich über all die Jahre eine herausragende Körperbeherrschung angeeignet hatte, zu verdanken, dass er die tödlichen Sprünge jedes Mal aufs Neue ohne irgendwelche Verletzungen überstand. Diese gute Körperbeherrschung führte auch dazu, dass er unter Wasser selbst dem schnellsten Siku ausweichen konnte.

Doch plötzlich verfinsterte sich sein Blick. „Das ist ja alles schön und gut, was du da sagst, aber es ändert noch lange nichts an der Tatsache, dass mich Ribo und die anderen immer damit aufziehen oder mich anderweitig ärgern!“, brachte er nun endlich heraus.

Als Derio Ribo, den größten und gemeinsten Störenfried in ihrer Altersklasse erwähnte, verfinsterte sich nun auch Nanjas Blick.

„Tse, über die Meinung dieses Idioten und seiner Bande brauchst du dir überhaupt keinen Kopf zu machen. Der ist doch höchstens genau so klug wie jeder einzelne Kieselstein dieses Strandes! Außerdem bist du der Sohn unseres Oberhauptes und es steht ihm nicht zu, dich zu kritisieren.“

„Aber genau das ist es ja!“, rief Derio erbost und gestikulierte wild mit seinen von Schwimmhäuten besetzten Händen. „ICH bin der einzige Sohn von Lored, dem Oberhaupt unseres Clans, und, da ich dazu bestimmt bin, eines Tages die Nachfolge meines Vaters anzutreten, erwarten alle von mir, dass ich zu einem großen und mutigen Xeno heranwachse, der sein Volk vor allem Bösen beschützen kann und der Nachfolge somit würdig ist.

Aber das BIN ich nicht. Ich kann nicht mit unserer traditionellen Waffe umgehen, geschweige denn weise Entscheidungen treffen oder jemanden beschützen. Ich bringe es nicht einmal übers Herz, einen Gnufisch oder irgendein anderes Lebewesen, das für unser Überleben wichtig ist, umzubringen. Ich bin in allem, was ich bin oder mache, total ungeeignet, in die Fußstapfen meines Vaters, einer der größten Xeno unserer Geschichte, zu treten.“ Derio wollte noch weiter reden, doch ein großer Schluchzer aus seiner Kehle ließ ihn innehalten.

Dicke Tränen quollen aus seinen Augen und tropften auf den grauen Fels. Tiefe Stille erfüllte den Strand. Nur das raue Dröhnen der nahen Wasserfälle drang zu ihnen herüber.

Als sich der junge Xeno schon fragte, ob Nanja überhaupt eine Reaktion auf seinen Gefühlsausbruch zeigen würde, rutschte sie näher an ihn ran und umarmte ihn kurz. „Oh, Derio. Ich wusste gar nicht, wie sehr dich diese ganze Sache zu schaffen macht! Es tut mir leid, dass ich nicht selbst darauf gekommen bin. Ich muss eine wirklich schlechte Freundin gewesen sein!“, meinte sie und Derio konnte sehen, dass sie ihn verstand und mit ihm litt.

Derio wischte sich die Tränen aus dem Gesicht „Ach was, schon allein die Tatsache, dass du dir meinen Mist anhörst und mir zur Seite stehst, macht dich zu der besten Freundin, die je einer haben kann!“ Derio war ihr wirklich dankbar, dass sie sich seine Sorgen anhörte und ihm somit beistand.

In Nanjas Augen blitze ein schwaches Lächeln auf, das aber sofort wieder verschwand. Ernst legte sie eine Hand auf seine Wange und zwang ihn somit, direkt in ihre himmelblauen Augen zu blicken. „Hör zu, ich verspreche dir, dass ich immer für dich da sein werde! Dass du deines Vaters nicht würdig seiest, finde ich als totalen Unsinn, schließlich gab es viele großartige Krieger und Oberhäupter, die zunächst von ganz unten anfangen mussten. Ich werde dir auf jeden Fall helfen, ein mindestens genau so großer Xeno wie Xenpa Lored zu werden, auch, wenn das bedeuten würde, dass ich mit dir stundenlang üben muss, mit einem Siku zu kämpfen!“, sagte sie mit fester Stimme.

Derio wusste nicht, weshalb, aber irgendwie schienen ihre Worte ihn zu beruhigen. Ihm war auch, als sei ein großer Stein von seinem Herzen gefallen, da er sich nun endlich jemandem anvertraut hatte, der ihm wirklich helfen wollte.

Plötzlich stand Nanja auf und sprang von ihrem Sitzplatz herunter. Anschließend ging sie zu seinem fallen gelassenen Siku, hob es auf und reichte es ihm. „Komm, lass uns ein wenig trainieren, mein Freund!“, sagte sie mit aufmunternder Stimme. Derio hob den Blick und betrachtete sie für heute das erste Mal eingehend.

Sie hatte einen schlanken und – für weibliche Xeno in ihrem Alter – recht großen Körperbau. Ihre Hauptfarbe war nicht wie bei Derio bläulich, sondern wies einen sanften Lilaton auf. Dies war einer der Unterschiede, die es zwischen den Geschlechtern der Xeno gab: Die Frauen hatten entweder eine rote bis rosa Färbung, wobei es ganz selten zu lila Exemplaren kam, während die Männer von Schwarz bis Hellblau alle Farbtöne aufwiesen.

Auch Nanja besaß wie alle Xeno keine Haare, sondern ebenfalls mehrere längliche Auswüchse an den Kopfseiten. Allerdings waren diese bei ihr um einiges länger und bogen sich leicht nach hinten. An jedem dieser Auswüchse hing ein Glöckchen, das bei jeder Erschütterung sanft klingelte. Kleidung hatte sie keine, denn Derios Weste zeichnete ihn als Sohn eines Oberhauptes aus und war nur solchen vorbestimmt. Stattdessen trug auch sie zwei Gürtel, an denen sie ihre Siku trug. Eine Nahkampfwaffe hatte sie keine, denn es war den Frauen verboten, sich zu nah an einem Kampf zu beteiligen. Sie durften nur aus der Ferne angreifen. Somit hatte sie neben den Siku noch Wurfmesser und –sterne, die auf geringe Distanz großen Schaden anrichten konnten.

Als Derio ihr Gesicht betrachtete, konnte er sehen, dass sie ihr typisches breites Grinsen aufgesetzt hatte und ihn immer noch erwartungsvoll ansah.

Übergroße Freude überkam ihn und er nahm ihr – ebenfalls mit einem breiten Grinsen – das Siku aus der Hand. „Danke, danke dass du für mich da bist, Nanja“, brachte Derio heraus und sprang nun ebenfalls vom Fels.

Anschließend gingen sie Seite an Seite zum See und tauchten in das kühle Nass. Mit ein, zwei kräftigen Schwimmzügen nahmen sie rasch an Geschwindigkeit zu und glitten geschmeidig durch das Wasser. Dabei halfen ihnen natürlich die Schwimmhäute und die flossenförmigen Füße, die sie wie Fischflossen für den Antrieb und die Navigation nutzten.

Zwar bot das Tal bereits über Wasser einen atemberaubenden Anblick mit den Regenbögen, den Wasserfällen und den einzigartigen Gesteinsformationen, doch erst unter Wasser eröffnete sich einem eine ganz andere und faszinierendere Welt als an der Oberfläche.

Fische der unterschiedlichsten und ausgefallensten Arten schwammen sowohl einzeln als auch in Schwärmen unter und über ihnen. Da waren zum Beispiel Schwärme von Schimmerschuppen, deren Schuppenkleid, wie der Name schon sagte, in den unterschiedlichsten Farben leuchtete. Aber es gab auch Pelzlachse, Grünlanzen und Gnufische, auch Onji genannt. Besonders die Onji waren für die Xeno von besonderer Bedeutung, denn sie bildeten eine wichtige Nahrungsgrundlage für das fischessende Volk. Doch auch die Knochen, Flossen, Schuppen und Hörner ließen sich zu vielen nützlichen Dingen verarbeiten. Dies hatte zur Folge, dass die Xeno sich besonders auf die Jagd der großen Gnufische spezialisiert hatten.

Außerdem musste jeder junge Xeno, der das Erwachsenenalter erreichte, eine Prüfung ablegen, in der er einen Onji zusammen mit anderen Gleichaltrigen erjagen und zerlegen musste. Dies war kein leichtes Unterfangen, denn dieser eigentlich friedliebende Fisch war sehr familienbezogen und verteidigte selbst den kränklichsten Artgenossen des Schwarms vor Angreifern. Somit erforderte es viel Geschick, Teamfähigkeit und eine gute Taktik, um einen Gnufisch erjagen zu können.

Nanja und Derio waren beide zwar noch weit entfernt von dieser Prüfung, doch schon jetzt mussten sie sich einem harten Training und einigen Zwischenprüfungen unterziehen und sich somit darauf vorbereiten. Besonders für Derio war dies nicht leicht, denn von ihm wurde aufgrund seiner Stellung Höchstleistung bei der Prüfung erwartet.

Doch neben all diesen friedlichen Fischen gab es auch einige Arten, die selbst für die Xeno gefährlich waren. Da gab es zum einen den Aalhai, dessen länglicher Körper von tausenden Stacheln bedeckt war, oder auch den Schlammglobu, ein plumper und dicker Fisch mit einem breiten, zähnebesetzten Maul, der sich im Schlamm vergrub und seine Beute mit Hilfe von Pflanzenimitaten, die ihm am Rücken wuchsen, anlockte. Ist diese Beute nah genug, so schnellt der Schlammglobu aus seinem Versteck und verschlingt seine Beute augenblicklich.

Doch Nanja und Derio brauchten sich keine Sorgen wegen dieser blutrünstigen Fische zu machen. Regelmäßige Patrouillen von Kriegertruppen ihres Volkes verhinderten das Eindringen solcher Gefahren in das von ihnen bewohnte Gebiet. Somit konnten sie ungestört in diesem Teil des Gewässers schwimmen.

Es war aber nicht nur der Anblick der abertausenden Fische, der den See zu etwas so wunderbaren machte. Es waren die Pflanzen, die in Abermillionen Formen und Farben wuchsen und das Leben in diesem riesigen Ökosystem erst möglich machten. Neben Sauerstoff und Nahrung boten die Pflanzen viele Verstecke, in denen sich Fische, Krebse und andere kleine Wasserbewohner aufhielten.

All diese Lebewesen und das einfallende Licht machten den See unter der Wasseroberfläche zu einer gänzlich anderen Welt. Eine Welt, die Derio sein Zuhause nannte.

Der kleine Xeno glitt sanft durch das Wasser und genoss das Vorbeigleiten des kühlen Elements auf seiner Haut. Dank des außergewöhnlichen Tastsinns, den alle Xeno besaßen, konnte Derio jede einzelne Schwingung des Wassers im Umkreis von hundert Metern spüren.

Neben ihm schwamm Nanja. Er blickte zu ihr und lächelte sie breit an. Sie erwiderte das Lächeln und schwamm nun etwas schneller.

Auch Derio beschleunigte sein Tempo und schon bald gelangten sie an ihr Ziel: Der Trainingsplatz aller jungen Xeno. Dieser Platz befand sich sowohl über, als auch unter Wasser. Statt eines flachen Ufers verband eine drei Meter hohe Klippe diese beiden Bereiche, sodass man augenblicklich zwischen Land und tiefes Wasser wechseln konnte.

Überall befanden sich Xeno, die sich sowohl einzeln als auch in Gruppen den unterschiedlichsten Übungen unterzogen. Nanja und Derio schwammen an ihnen vorbei und die wenigen, die sie bemerkten, neigten Derio gegenüber kurz den Kopf, wie es die Etikette verlangte.

Der kleine Herrschersohn erwiderte jede Geste mit einem kleinen Lächeln. Diese Begrüßung war etwas, das Derio überhaupt nicht gefiel. Es zeigte ihm, dass er nie unter das Volk gehen und ein normales Leben führen konnte, ohne gleich erkannt zu werden. Außerdem behagte ihm so viel Aufmerksamkeit nicht. Doch dies war nun einmal sein Schicksal und er gab sich diesem brav hin, wie sein Vater es von ihm verlangte.

Als sie an der Klippe waren, katapultierten sich die beiden mit drei kraftvollen Schwimmzügen aus dem Wasser, sodass sie über den Rand des Felsens und somit an Land gelangten.

Auch an Land gab es einige trainierende Xeno. Ihre Gruppe war ebenfalls anwesend und wurde gerade von ihrem Meister namens Zen unterrichtet.

Derio wollte sich schon zu ihnen gesellen, doch Nanja packte ihn am Arm und zog ihn zu einem Feld, auf dem sich in unterschiedlichen Abständen Zielscheiben befanden: Das von ihm gehasste Übungsfeld für Fernwaffen. Er verzog das Gesicht, ließ es aber zu, dass seine Freundin ihn zehn Meter vor einer Zielscheibe platzierte und sich neben ihn stellte.

Nanja stemmte die Hände in die Hüften. „Gut, dann lass uns beginnen. Wirf all deine Siku auf diese Scheibe!“, befahl sie mit ernstem Tonfall.

Derio gehorchte, schob die Hand in die Halterung an seinem Rücken und holte ein Siku heraus. Anschließend stellte er sich schräg zur Zielscheibe hin, fixierte fest sein rundes Ziel und holte mit der Waffe, die parallel zum Boden in seiner Hand lag, aus. Sein Arm schnellte nach vorne und er ließ das Siku los. Es gab zwar verschiedene Wurftechniken, doch diese war die einfachste, wenngleich Derio sie nicht beherrschte.

Die Flugbahn des Siku überraschte Derio schon lange nicht mehr. Es trudelte zu Boden und blieb dort fünf Meter von der Zielscheibe entfernt liegen. Obwohl es vorhersehbar war, zuckte er innerlich zusammen und er hoffte, dass ihnen gerade keiner zusah. Resigniert seufzend holte er das nächste Siku und warf auch dieses, das auch zu Boden ging. Dies wiederholte er weitere acht Male, bis alle seine Siku vor ihnen auf dem felsigen Boden lagen. Keines von ihnen hatte die Zielscheibe nur ansatzweise erreicht.

Entschuldigend lächelnd wandte sich Derio zu Nanja. „Ich sagte doch, ich bin eine hoffnungslose Niete!“

„Ach was! Ich weiß, dass du es kannst! Du bist nur etwas zu steif und lässt das Siku zum falschen Moment los! Komm, heb sie wieder auf. Ich zeig dir, wie du es machen musst“, gab sie mit ruhiger Stimme als Antwort und lächelte ihn aufmunternd zu.

Derio wollte schon etwas erwidern, doch er zuckte daraufhin nur mit den Schultern und schritt zu seine Siku. Er ging in die Hocke und klaubte eines nach dem anderen vorsichtig auf, damit er sich nicht an den scharfen Kanten verletzte.

Plötzlich schob sich ein schwarzer Fuß in sein Blickfeld und Derio hielt inne. Sein Körper spannte sich in sekundenschnelle an. Sein Magen verkrampfte sich, denn er wusste genau, zu wem dieser Fuß gehörte. Schwer schluckend hob er den Kopf und blickte geradewegs in das höhnisch grinsende Gesicht von Ribo.

„Na, du kleiner Abschaum! Was machst du denn hier unten? Wühlst im Dreck und sammelst das Zeichen deiner Ungeschicktheit und deines miserablen Talents auf! Wenn du schon mal hier unten bist, kannst du mir ja gleich mal die Füße waschen!“, sagte der Fiesling und jedes Wort donnerte wie Hammerschläge auf Derio herab.

Dieser ballte die Fäuste und wollte schon antworten, doch er überlegte es sich anders und sagte kein Wort. Schon viel zu oft wurde er eines Besseren belehrt, dass man Ribo nicht widersprach.

Eigentlich hätte sich Derio wegen Ribo keine Sorgen machen müssen, doch er war der stärkste und größte Xeno seiner Altersklasse und überragte Derio um zwei Haupteslängen. Dadurch war der junge Xeno bei einer direkten Konfrontation im Nachteil, das er schon viel zu oft am eigenen Leib gespürt hatte.

„Hat es dir die Sprache verschlagen? Na los! Antworte gefälligst! Sonst...“ Ribo brach mitten im Satz ab, denn während er gesprochen hatte, zischte etwas haarscharf an seinem Kopf vorbei und bohrte sich hinter ihm in die Zielscheibe.

Erstaunen und Schrecken blitzten in seinen Augen auf, als er den Blick von Derio nahm und sich zu Nanja wandte.

„Lass ihn gefälligst in Ruhe! Keiner hat dich nach deiner Meinung gefragt! Tu uns den Gefallen und besudle unser Training nicht mit deiner dreckigen Anwesenheit!“, sagte Nanja und der Zorn war ihr buchstäblich ins Gesicht geschrieben.

Erst schien es, als brachte Ribo kein Wort mehr über die Lippen, doch dann zischte er wütend und knurrte: „Da hast du noch mal Glück gehabt, Derio! Sich von einem Weibsbild beschützen zu lassen, pah! Das wird ganz sicher ein Nachspiel haben. Man sieht sich, kleiner Abschaum.“ Mit diesen Worten machte Ribo kehrt und stapfte zu den anderen zurück.

Schnell sammelte Derio die restlichen Siku auf und eilte zurück zu Nanja. „Danke, dass du ihn vertrieben hast. Ich glaube, ohne dich wäre ich nicht so glimpflich davon gekommen“, sagte er zu ihr. Er zitterte noch von der ganzen Anspannung, die nun von ihm abfiel.

Seine Freundin verzog spöttisch das Gesicht. „Ach, nicht der Rede wert! Dieser laufende Haufen Dummheit soll dich ja nicht noch einmal in meiner Gegenwart so anpflaumen, sonst sehe ich mich gezwungen, etwas dagegen zu unternehmen“, antwortete sie sanft. Derio rechnete ihr diese Einstellung hoch an. Es war ein tolles Gefühl, sich in ihrer Nähe sicher fühlen zu können.

„So, aber wir sollten nicht blöd herumstehen, sondern trainieren. Sieh her und schau mir ganz genau zu“, fügte sie noch an und begann, ihrem Freund die richtige Wurfhaltung zu zeigen.

Derio machte es ihr nach und er war wirklich froh, dass sie ihm alles geduldig erklärte. Er genoss die gemeinsame Zeit mit ihr und ein kleines Lächeln schlich sich auf sein Gesicht.

Danke, dass du für mich da bist, Nanja! Du bist wirklich die Beste!
 


 

~Verzweiflung und Vertrauen - Ende~
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Puh, nun endlich ist das Kapitel hochgeladen! =) Durch das viele Betalesen hat sich das alles jetzt doch etwas verzögert. ^^° Hierbei ein dickes Dankeschön an meine super Betaleserinnen. =) Ich finde es toll, wie gut wir zusammenarbeiten!

An dieser Stelle möchte ich mich auch bei allen entschuldigen, die ein weiteres Kapitel über meinen Hauptprotagonisten Sam erwartet hätten. Ich weiß, es ist gemein von mir, an dieser spannenden Stelle einfach einen Szenenwechsel zu machen, aber ich konnte nicht widerstehen, einen neuen Charakter auftreten zu lassen. =D Natürlich ist der liebe Sam nicht in Vergessenheit geraten!
Außerdem möchte ich mich ganz herzlich bei der lieben chibimieze bedanken, die mir das tolle Charaktersheet zu Derio erstellt hat! Ich bin dir wirklich dankbar, dass du ihn so super und genau nach meiner (kranken) Vorstellung gezeichnet hast! Er ist einfach perfekt. ;) Auch sollst du wissen, dass ich dir dieses Kapitel widme, schließlich ist Derio ein von dir erstellter Charakter. =)
Soo, das war nun alles von mir! *euch umknuddel*

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Okiro
2012-07-25T09:04:31+00:00 25.07.2012 11:04
Eieiei ist ja schon peinlich, dass da noch kein Kommentar von mir da ist. >,< Tut mir leid!

Das Kapitel ist echt klasse. Ich mag Derio total. Er ist so ein kleiner Fürstensohn, wenn ich es mal so nennen darf. Sam findet alles doof und so, aber er kümmert sich sehr um seine Freunde und mit der Rolle, die er später mal einnehmen wird. ^^ Die zwei sind sehr unterschiedlich, dennoch haben sie vieles gemeinsam! höhö das Alter höhö XD Joke beseite.

Ich mag es wie du die Siku beschrieben hast! Das ist mal ne interessante Waffe! Aber ich bin mir fast sicher, dass er diese Waffe eines Tages mal beherrschen wird!
Ich finde es übrigens auch toll, dass du so eine neue Rasse erfunden hast. Das kostet schon viel Überwindung ein neues Fantasywesen zu erfinden, was nicht vorher schon mal i-wo aufgetacht ist, um keine Ideen zu stehelen. Ich bin gespannt, was noch so für Wesen in deiner Geschichte vorkommen.
Nanja ist so wie eine große Schwester für Derio. XD Also was das beschützerische angeht. Ich mag sie!

Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel
LG Oki >,<
Von:  LightSasu
2012-04-23T10:23:34+00:00 23.04.2012 12:23
Sooo...ich muss auch sagen ich war sehr überrascht darüber, dass es nicht mit Sam weiter gegangen ist :). Trotzdem finde ich das eine willkommene Abwechslung, da man ja jetzt nicht weiß wie es mit Sam weiter gehen soll.
Ich finde du hast diese Welt unter der Wasseroberfläche mit seinen Bewohnern sehr gut beschrieben. Ich konnte die Sachen richtig sehen im inneren Augen und fühlte mich sofort wohl in den geschriebenen Worten. Auch wie du die Charaktere beschrieben hat gefällt mir wahnsinnig gut.

Ich bin wahnsinnig gespannt darauf, in welchem Verhältnis Sam und Derio stehen oder stehen werden oder ob es überhaupt zu einem Treffen kommen wird. Und ich freu mich schon auf das nächste Kapitel mit dem du uns bereichern wirst :)

Hab dich superdoll lieb
Deine Biene >:D
Von:  _Saliona_
2012-04-21T19:42:08+00:00 21.04.2012 21:42
Puh, ich hätte echt gedacht, es ginge mit Sams Storyline weiter! Das war jetzt sehr überraschend. ^^
Ich mag es, wie du von Derio erzählst und gleichzeitig in die Welt der Xenos einführst. :) Derio selber mag ich auch, er ist mir total sympatisch. ^-^ Ich finds toll, dass der Häuptlingssohn solche Probleme/Schwächen hat, mit solchen Figuren kann man sich ganz schnell indentifizieren. Oder wie sagt man dazu? Anfreunden? Weiß ich jetzt grad nicht. XD
Also der Talkessel, wo die Xenos leben, erinnert mich schon mal sehr an Zelda TP Zoras Quelle; so ähnlich stell ich mir den zumindest vor. ^^
Ich finds auch total genial, wie Nanja den blöden Ribo zusammenscheißt!! XDDD Was für coole Schimpfwörter sie ihm an den Kopf wirft, haha! :D Übrigends find ich sie auch voll cool, möcht jetzt voll gern ein Bild von ihr sehen. ^^
Es ist auch schön, was für Namen dir so einfallen, wie z. B. Siku und Nanja. Total cool. ;D
Aber du scheinst ein Faible für den Ausdruck "kleines Lächeln" entwickelt zu haben. XDD Naja jeder hat so seine Lieblingswörter. ^^
Also, ein echt schönes Kapitel. Bin sehr gespannt, wie es mit Derio und/oder Sam weitergeht! *-*
Und bitte lass uns diesmal nicht wieder so lange warten, wenns irgenwie möglich ist. >.<
Hdgdl!
Sali ;}


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