Kapitel 43
Tag 97
G-Dragon
Gleichmäßig und warm kann ich deinen Atem auf meiner Wange spüren. Ohne meine Augen zu öffnen, weiß ich, dass du dich über mich gebeugt hast und versuchst, trotz der fast völligen Dunkelheit, die im Zimmer herrscht, einen Blick auf mein Gesicht zu werfen. Ich bemühe mich, langsam zu atmen, um den Anschein zu vermitteln, dass ich schlafe. Auf keinen Fall sollst du merken, dass ich wach liege - dass ich es war, der dich soeben durch ein ersticktes Schluchzen geweckt hat.
“Bist du wach? Hm...”
Ganz vorsichtig sinkst du zurück in deine Matratze und gibst ein wohliges Seufzen von dir. Ich kann das leise Rascheln deiner Bettdecke hören, vermutlich hast du dich bis zum Kinn darin vergraben und versuchst nun, wieder einzuschlafen. Tatsächlich höre ich bereits wenige Minuten später dein ruhiges, gleichmäßiges Atmen. Ich wünschte, ich würde auch endlich zur Ruhe kommen aber irgendetwas hält mich wach, lässt nicht zu, dass ich einschlafe.
Wie lange liege ich nun schon wach und denke immer und immer wieder über das Gespräch nach, das wir beim Abendessen geführt haben? Ein paar Minuten? Einige Stunden? Die halbe Nacht? Wie oft habe ich mir deine Fragen durch den Kopf gehen lassen, nach einem Auslöser gesucht, der dich dazu verleitet hat, sie mir zu stellen und mir den Kopf darüber zerbrochen, ob meine Antworten das waren, was du hören wolltest? Möglichst lautlos drehe ich mich auf die Seite, um einen Blick auf den Wecker erhaschen zu können - schon nach vier Uhr morgens.
Ob ich einfach aufstehen sollte? Welchen Sinn hat es, noch länger hier zu liegen, an die Decke zu starren und mir Vorwürfe zu machen? Das Einzige, das ich damit erreiche, ist, dass ich früher oder später wahnsinnig werde. Es ist schlimm genug, dass du bereits jetzt zu ahnen scheinst, dass ich noch längst nicht alles so gut verarbeitet habe, wie ich es immer wieder beteuere. Wenn ich dich nun durch ein unachtsames Seufzen oder gar ein leises Schluchzen wecken würde, könnte dies den Gnadenstoß für unsere Beziehung bedeuten. Und ich könnte es sogar verstehen - wer möchte schon Seite an Seite mit einem eifersüchtigen Häufchen Elend leben?
Leise rolle ich mich auf die Bettkante und setze mich auf. Die Matratze wackelt verdächtig, als ich das Bett verlasse, weswegen ich einen aufmerksamen Blick in deine Richtung werfe, doch du scheinst es nicht einmal zu bemerken. Es fällt mir schwer, meinen Blick wieder von dir zu lösen. Wie gern würde ich mich einfach ganz eng an dich kuscheln, meinen Kopf auf deine Brust betten und mich von deinem gleichmäßigen Atmen in den Schlaf singen lassen? Stattdessen liegen wir Nacht für Nacht - jeder auf seiner Seite des Bettes - nebeneinander, tunlichst darauf bedacht, auf der eigenen Hälfte der Matratze zu bleiben und den jeweils anderen nicht zu berühren. Es ist beinahe so, als würde man das Bett mit einem Fremden teilen.
Auf Zehenspitzen verlasse ich das Zimmer. Das Beste wäre wahrscheinlich, wenn ich mir einen Kaffee mache. Schließlich will ich später, wenn du aufwachst, nicht aussehen wie ein Zombie. Gähnend fülle ich Wasser in die Kaffeemaschine und betätige den Schalter, sobald ich das Pulver hinzugegeben habe. Ob ich gleich den Frühstückstisch decken soll? Ich habe schließlich sowieso nichts Besseres zu tun. Aber andererseits weiß ich gar nicht, ob du überhaupt mit mir Frühstücken möchtest. Ich will nicht erneut mit dir am Tisch sitzen und dir dabei zusehen, wie du jede Minute auf die Uhr blickst und dein Frühstück in dich hineinschlingst, nur, weil ich dich dazu zwinge, mit mir am Tisch zu sitzen. Ich weiß nicht, ob ich es noch einmal ertragen könnte, mich derart von dir zurückgewiesen zu fühlen, ohne total zusammenzubrechen.
Ich schüttle den Kopf, während ich eine Tasse aus dem Schrank ziehe. Zusammenbrechen - wie das schon klingt. Wenn ich selbst schon wie ein seelisches Wrack über mich spreche, wen wundert es dann, dass auch du und der Rest der Welt mich als ein solches sieht? Dabei versuche ich doch wirklich alles, um jeden vom Gegenteil zu überzeugen. Ich versuche, mich und meine Eifersucht zu beherrschen, versuche, mich dir gegenüber unbeschwert zu verhalten und habe sogar versucht, den Rest der Band lachend davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist, obwohl gleichzeitig alles in mir vor Verzweiflung geschrien hat.
Ich weiß einfach nicht, was ich noch tun soll und das Schlimmste daran ist, dass jedes mal, wenn ich versuche, alles richtig zu machen, alles nur noch verkrampfter wird. Und immer, wenn alles gut läuft, scheine ich es geradezu mit Gewalt kaputt zu machen. So wie jetzt: Wir lagen zusammen im Bett - ich könnte mich einfach wieder hinlegen, die Augen schließen und zumindest versuchen, noch ein bisschen zu schlafen. Stattdessen stehe ich hier in der Küche, in der Hand eine Tasse Kaffee, um den Schlaf, um den mich meine Ängste, Fragen und Selbstvorwürfe gebracht haben, auszugleichen und bin schon wieder kurz davor, einfach in Tränen auszubrechen.
“Ji-Yong, es ist erst kurz vor fünf Uhr… Was machst du schon in der Küche? Komm ins Bett…”
Vor Schreck bleibt mir der letzte Schluck, den ich aus der Tasse genommen habe, im Hals stecken. Hustend und nach Luft schnappend drehe ich mich um. Du hältst eine Hand vor deine Augen, so als würdest du versuchen, dem Licht der Küchenlampe damit zu verbieten, dich vollends aufzuwecken. Sobald ich wieder frei atmen kann, lösche ich das Licht, woraufhin du dankbar deine Hand sinken lässt. Erst jetzt ist es mir möglich, einen Blick auf dein Gesicht zu werfen. Du wirkst irritiert - ich weiß allerdings nicht, ob es die Tatsache, dass ich um solch eine Uhrzeit schon wach bin oder einfach nur die Restmüdigkeit ist, die dir diesen Ausdruck ins Gesicht zaubert.
Tag 97
T.O.P
“Leg dich doch einfach ein paar Stunden hin…”
“Ich bin nicht müde.”
“Nein, überhaupt nicht. Dein Gesicht besteht völlig grundlos zu neunzig Prozent aus Augenringen, hab ich Recht? Los, leg dich auf die Couch! Wir können den Rest auch später aufräumen.”
Mit sanfter Gewalt ziehe ich dir den Lappen aus der Hand und schiebe dich aus der Küche. Seit wann machst du solch ein Theater, wenn ich dich vom Putzen abhalten möchte? Wenn ich dich sonst mit einem Besen oder einem Geschirrtuch bewaffnet aufgesucht und um Hilfe gebeten habe, konnte ich gar nicht so schnell meine Frage stellen, wie du deine Schuhe angezogen und mit irgendeiner Ausrede die Wohnung verlassen hast. Doch heute scheinst du vor Tatendrang geradezu zu platzen. Eigentlich habe ich erwartet, dass du spätestens nach dem Abwasch nach einer Ausrede suchen würdest, doch du hast mir ebenfalls bei den Teppichen im Flur und dem Abstauben auf den Wohnzimmerschränken geholfen - und das alles völlig ohne Murren.
“Aber du machst nicht alleine weiter, oder?”
“Warum sollte ich? Wäre ja ziemlich blöd…”
Ich lasse mich lachend neben dir auf dem Sofa sinken und greife nach der Fernsehzeitung. Natürlich werde ich nicht ohne dich weiterputzen, was für eine Frage. So toll finde ich Aufräumen schließlich auch nicht. Ich werde dich einfach ein paar Stunden schlafen lassen, so lange ein bisschen im Internet surfen, irgendeine Talkshow ansehen und vielleicht später schon einmal das Mittagessen zubereiten. Oder ich nutze die Zeit, um mich bei unseren Freunden zu entschuldigen… Seit ich sie aus der Wohnung geworfen habe, hat sich keiner von ihnen mehr gemeldet und irgendwie habe ich ein schlechtes Gewissen ihnen gegenüber.
“Ich bin mal eben kurz draußen, ja? Bis du wieder aufwachst, bin ich wieder zurück!”
“Hm…? Och bleib hier…”
“Um dir beim Schlafen zuzusehen? Also wirklich… Du bist weder krank, noch ein Schlafwandler, noch ein Baby - ich glaube nicht, dass du jemanden brauchst, der über deinen Schlaf wacht…”
Scheinbar scheinen dich meine Argumente überzeugt zu haben, da du zu keiner schnippischen Antwort ansetzt, sondern lediglich zurück auf das Sofa sinkst und die Decke tief in dein Gesicht ziehst. Ein paar verabschiedende Worte von mir gebend, schlüpfe ich in meine Schuhe. Wen ich wohl zuerst besuchen soll? Oder soll ich sie alle auf einen Fleck bestellen? Nein, am Besten wäre es wahrscheinlich, sie einfach dem Alter nach aufzusuchen. Damit wäre also Taeyang der Erste.
Aber was soll ich ihm erzählen? Dass ich da wohl etwas überreagiert habe? Dass es mir Leid tut, dass ich dich verteidigt habe? Dass ich einfach nicht verstehen kann, wie sie so etwas über dich denken können? Wenn ich das Gespräch so beginne, wäre ein neuer Streit quasi vorprogrammiert. Überhaupt habe ich das Gefühl, als würde so ziemlich jede Unterhaltung, die ich in letzter zeit mit den Bandmitgliedern geführt habe, damit enden, dass ich sie belüge, sie mir oder uns Vorwürfe machen oder wir uns völlig grundlos in Diskussionen verstricken.
Aber damit ist bald Schluss. Sobald es dir wieder richtig gut geht, laden wir die Drei einfach zum Essen ein. Wir werden uns einmal richtig aussprechen, jeder kann sich bei den Anderen entschuldigen und anschließend können wir uns alle gegenseitig vergeben und endlich wie Freunde miteinander umgehen. Es würde keine Geheimnisse mehr geben, keine Missverständnisse und vor allem keinen Streit mehr. Es wäre einfach so wie früher - so wie es sein soll.
Das Vibrieren in meiner Hosentasche und das anschließende Klingeln meines Handys reißen mich aus meinen Überlegungen. Hoffentlich ist es Taeyang, dann wäre die größte Hürde - nämlich die erste Kontaktaufnahme nach einem Streit - schon überstanden und ich müsste lediglich noch über meinen Schatten springen und mich für mein garstiges Verhalten entschuldigen. Doch auf dem Display leuchtet nicht der gewünschte, sondern dein Name auf.
“Was ist denn los? Du sollst doch schlafen…”
“Ich kann nicht einschlafen, hab Kopfschmerzen… Wie lange brauchst du noch?”
“Ähm… Ich bin doch gerade erst gegangen… Vielleicht eine Stunde? Oder zwei? Keine Ahnung…”
Du erwiderst lediglich ein Seufzen, ehe wir uns gemeinsam anschweigen. Ich überlege, ob ich das Gespräch beenden soll, während ich langsam die Straße entlang gehe. Noch immer ertönt keine Silbe aus dem Mobiltelefon, weswegen ich mich kurz räuspere. Hätte mir vor wenigen Tagen jemand erzählt, dass es Telefonate gibt, die noch unangenehmer sind als die eifersüchtigen Verhöre es waren, hätte ich darüber gelacht. Doch nun muss ich zugeben, dass es viel schlimmer ist, wenn du einfach gar nicht antwortest.
Ich kann überhaupt nicht einschätzen, woran ich nun bin. Vorhin schien doch noch alles in bester Ordnung zu sein. Bist du jetzt sauer? Oder bist du enttäuscht? Hast du einfach nur Kopfschmerzen und darum keine Lust, viel zu sprechen? Aber warum hast du dann überhaupt angerufen? Oder bist du schlicht und einfach müde?
“Ich… Ähm, ich bin jetzt gleich da. Ist es okay, wenn wir Schluss machen? Ich meld mich, wenn ich fertig bin, okay? Ruh dich schön aus!”
“Ja… Ist okay…”
“Gut, dann bis nachher!”
“… Oh! Könntest du auf dem Heimweg an der Apotheke vorbeigehen und irgendwelche Fieber hemmende Medikamente besorgen? Irgendwie fühl ich mich nicht gut… Danke!”
Noch ehe ich mich erkundigen kann, ob du lieber Tropfen oder Tabletten möchtest und wie hoch du das Fieber schätzt, ertönt das Freizeichen. Du hast einfach aufgelegt und lässt mich überrumpelt und ratlos zurück.
Tag 97
G-Dragon
“Ich bin mal eben kurz draußen, ja? Bis du wieder aufwachst, bin ich wieder zurück!”
“Hm…? Och bleib hier…”
Eilig richte ich mich wieder auf, um dir einen bittenden Blick zuwerfen zu können. Der Tag war gerade so perfekt - wir haben den gesamten Vormittag gemeinsam den Flur geputzt, haben beim Geschirrspülen herumgealbert und zusammen die Wohnzimmerschränke vom Staub befreit. Und das alles in einer völlig entspannten Atmosphäre, einfach wie ein normales Pärchen. Schlimm genug, dass wir die Arbeit unterbrechen, weil du mir Ruhe gönnen möchtest, musst du jetzt auch noch gehen? Warum kannst du nicht einfach hier neben mir sitzen bleiben? Warum kannst du nicht einfach für immer ganz nah bei mir bleiben?
“Um dir beim Schlafen zuzusehen? Also wirklich… Du bist weder krank, noch ein Schlafwandler, noch ein Baby - ich glaube nicht, dass du jemanden brauchst, der über deinen Schlaf wacht…”
Deine Lippen ziert ein freches Grinsen, doch ich schaffe es einfach nicht, auch nur darüber zu lächeln. Natürlich ist mir klar, dass du lediglich einen Witz machen wolltest aber fällt dir nicht auf, dass du genau das gesagt hast, was ich schon lange fühle? Merkst du nicht, dass die einzigen Augenblicke, an denen ich wirklich das Gefühl habe, dass ich dir etwas bedeute, die sind, an denen du dir Sorgen um mich machst? Nur dann nehmen deine Augen diesen fürsorglichen Glanz an, nur dann wagst du es, mich zu berühren und gibst mir damit das Gefühl, geliebt zu werden.
Aber natürlich spreche ich diese Gedanken nicht aus. Wahrscheinlich würdest du mich auslachen und für völlig verrückt erklären, wenn du wüsstest, was in meinem Kopf vor sich geht. Also lasse ich mich einfach wieder sinken und bedecke den Großteil meines Gesichtes mit der Wolldecke, um zu verhindern, dass dir der verbitterte Gesichtsausdruck auffällt. Doch bereits wenige Minuten später wird mir schmerzlich bewusst, dass dies nicht einmal nötig gewesen wäre. Du hast dir nicht einmal die Mühe gemacht, dich anständig von mir zu verabschieden, sondern lediglich ein paar Worte durch den Flur gerufen, ehe ich das Schließen der Türe vernehmen kann.
Hast du eigentlich erwähnt, was du vorhast? Ich glaube nicht. Ob du wieder die gleiche Person wie gestern besuchen möchtest? Noch immer weiß ich nicht, um wen es sich dabei gehandelt hat. Warum machst du solch ein Geheimnis daraus? Meine Freunde sind auch deine Freunde und umgekehrt genauso - zumindest war das früher so. Ob ich dir peinlich bin? Ist es dir unangenehm, deinem Freund einen solchen Partner vorzustellen? Wer kann es dir verübeln? Ich muss nicht einmal in den Spiegel sehen, um zu wissen, dass ich gerade ein ziemlich erbärmliches Bild abgeben muss.
Eigentlich hättest du einen Orden dafür verdient, dass du überhaupt noch bei mir bleibst. Schließlich hast du dich damals in einen Jungen verliebt, der auf sein Äußeres geachtet hat, einen, den man stolz präsentieren konnte und keinen, der mittags noch immer seinen Schlafanzug trägt, tiefe Ringe unter den Augen hat und eher an den Hauptdarsteller eines Horrorfilmes als an einen strahlenden Popstar erinnert.
Als ob ich damit irgendetwas retten könnte, streiche ich mir die Haare glatt. Erst jetzt fällt mir auf, dass meine Hände zittern. Ich sollte einfach aufhören, mir solche Gedanken zu machen und versuchen, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Ich kann spüren, dass mein Herz in einer geradezu beängstigenden Geschwindigkeit gegen meinen Brustkorb hämmert. Ich sollte einfach an etwas anderes denken aber ich kann nicht. Es ist beinahe so, als hätte ich keine Kontrolle mehr über seinen Kopf. Außer dem Gedanken daran, dass du es früher oder später leid sein wirst, dich mit dem kläglichen Abbild deines Freundes abzugeben, ist mein Kopf völlig leer.
Wie automatisch greift meine Hand nach dem Telefon, das auf dem Tischchen liegt. Nur einen kleinen Anruf. Ich möchte nur kurz deine Stimme hören, nur ein paar belanglose Worte mit dir wechseln, nur wissen, dass es dir gut geht. Bestimmt fühle ich mich besser, wenn ich mit dir gesprochen habe. Eilig tippe ich deine Nummer ein. Es klingelt mehrere male, doch du hebst nicht ab. Warum nicht? Ich höre kein Klingeln, also musst du dein Handy bei dir tragen. Willst du nicht mit mir sprechen? Oder kannst du nicht? Bist du zu beschäftigt, um einen Anruf entgegenzunehmen? Was treiben du und der Unbekannte, das so fesselnd ist, dass du es nicht einmal für ein kurzes Gespräch mit deinem Freund unterbrechen kannst?
“Was ist denn los? Du sollst doch schlafen…”
“Ich kann nicht einschlafen, hab Kopfschmerzen… Wie lange brauchst du noch?”
Kopfschmerzen? Ich schüttle mit dem Kopf. Eine dämlichere Ausrede hätte mir nicht einfallen können. Wenn man Schmerzen hat, möchte man doch erst recht seine Ruhe. Und was sollte die blöde Frage, wie lange es noch dauert? Wie lange bist du weg? Zehn Minuten? Fünfzehn Minuten? Ich bin so ein Idiot. Am liebsten würde ich mir selbst eine Ohrfeige verpassen. Auch du scheinst von der Frage leicht erstaunt zu sein, da du einige Sekunden schweigst, ehe du schließlich ein irritiertes Geräusch von dir gibst.
“Ähm… Ich bin doch gerade erst gegangen… Vielleicht eine Stunde? Oder zwei? Keine Ahnung…”
Erleichtert seufze ich auf. Scheinbar hast du dich schon so sehr an meine dummen Fragen gewöhnt, dass du dir nicht einmal mehr die Mühe machst, mich auf deren Sinnlosigkeit hinzuweisen. Ich weiß nicht einmal, warum mich das erleichtert. Eigentlich sollte es mich traurig machen, mich beschämen. Jetzt herrscht eine bedrückende Stille in der Leitung. Wahrscheinlich wartest du auf eine Antwort, doch in meinem Kopf herrscht gähnende Leere.
“Ich… Ähm, ich bin jetzt gleich da. Ist es okay, wenn wir Schluss machen? Ich meld mich, wenn ich fertig bin, okay? Ruh dich schön aus!”
“Ja… Ist okay…”
“Gut, dann bis nachher!”
“… Oh! Könntest du auf dem Heimweg an der Apotheke vorbeigehen und irgendwelche Fieber hemmende Medikamente besorgen? Irgendwie fühl ich mich nicht gut… Danke!”
Beinahe erschrocken beende ich das Gespräch und starre auf das Telefon, das noch immer fest von meiner Hand umklammert wird. Was war das denn? Fieber? So ein Schwachsinn! Warum erzähle ich dir, dass ich mich krank fühle? Bin ich völlig gestört? Ich weiß gar nicht, was plötzlich über mich gekommen ist. Ich habe dich einfach angelogen - völlig grundlos. Und das Schlimmste daran ist, dass es sich gut anfühlt. Wie kann eine Lüge falsch sein, wenn sie lediglich dazu dient, dass du bei mir bleibst?