Kapitel 41
Tag 96
G-Dragon
Zum bestimmt zwanzigsten mal in dieser Nacht wälze ich mich seufzend von einer auf die andere Seite meiner Matratze. Wer auch immer diese Schlaftabletten erfunden hat, sollte bei Wasser und Brot im Keller eingesperrt und nie wieder ans Tageslicht gelassen werden. Ich fühle mich zwar entsetzlich müde und matt aber einschlafen kann ich nicht mehr. Ich werfe einen kurzen Blick auf die Leuchtanzeige der Uhr - gerade mal kurz nach vier Uhr am Morgen. Abermals seufzend lasse ich meinen Kopf zurück auf das Kissen sinken, als neben mir ein leises Gemurmel ertönt.
“Ji-Yong…? Bist du wach?”
“Mhm… Kann irgendwie nicht mehr einschlafen…”
“Wegen deiner Hand? Tut sie noch immer so stark weh?”
Während ich vorsichtig die Finger der besagten Hand bewege, höre ich, wie du dich langsam aufrichtest und mit deiner Hand das kleine Schränkchen neben dem Bett nach der Nachttischlampe abtastest. Es dauert einen Moment, ehe sich meine Augen an das Licht gewöhnen, das nun zumindest einen kleinen Teil des Zimmers beleuchtet. Auch du hältst dir einige Sekunden lang schützend eine Hand vor die Augen, ehe du dich wieder mir zuwendest und etwas näher rutschst.
“Darf ich sie mir mal ansehen? Ich bin auch ganz vorsichtig…”
Du breitest deine Hände vor mir aus und siehst mich abwartend an, weswegen ich meine Fingerübungen beende und meine Hand vorsichtig in deine lege. Vorsichtig ziehst du ein wenig an meinem Arm, um dem Licht einige Zentimeter näher zu sein, ehe du behutsam die geröteten Stellen abtastest. Immer wieder schweift dein Blick dabei von meiner Hand auf mein Gesicht, als wolltest du sicher stellen, dass ich es nicht schmerzerfüllt verziehe, sobald du mich berührst. Doch mein Blick bleibt völlig regungslos, gilt ganz alleine deinem Gesicht, das von einer fürsorglichen Mine geprägt ist. Wie könnte ich mich darüber beschweren, dass es hin und wieder leicht brennt, wenn doch allein die Tatsache, hier Hand in Hand mit dir im Bett zu sitzen, so unfassbar schön ist, dass ich dafür alle Schmerzen dieser Welt in Kauf nehmen würde?
“Ich glaube, dass du wirklich noch einmal mehr Glück als Verstand gehabt hast! Die Schwellung ist schon wieder fast komplett abgeklungen und weh tut es ja Gott sei dank scheinbar auch nicht mehr…”
“Ja… Gott sei dank…”
“Hm?”
Ich ignoriere den fragenden laut, lasse die Hand, die du inzwischen losgelassen hast, zurück auf die Bettdecke sinken und drehe mich mit dem Rücken zu dir. Du sollst nicht sehen, dass meine Mundwinkel sich zu einem bitteren Lächeln verzogen haben. Schlimm genug, dass dir scheinbar der ironische Unterton aufgefallen ist, den meine Stimme angenommen hat, als ich mich dafür bedankt habe, dass ich solch ein Glück hatte.
Glück.
Was ist Glück daran, dass man mir schon wieder das Einzige genommen hat, dass es mir möglich gemacht hat, dir nahe zu sein - dass es uns ermöglicht hat, uns gegenseitig näher zu kommen, ohne dass es aufdringlich wirkt? Was ist Glück daran, dass du nun, da du dich davon überzeugt hast, dass alles wieder gut ist, wieder aufhören wirst, dich um mich zu kümmern, mir Beachtung zu schenken und liebevoll mit mir umzugehen? Wenn das Glück ist, wünsche ich mir von Herzen, der größte Pechvogel der ganzen Welt zu sein.
Wäre das Unglück auf meiner Seite gewesen, hätte ich mir vielleicht beide Hände verbrüht oder zumindest die eine Hand so stark, dass es mir unmöglich gewesen wäre, meinen Alltag alleine zu bewältigen. Ich würde den ganzen tag auf dem Sofa sitzen, du würdest an meiner Seite wachen, dich um mein Wohl kümmern und alles dafür tun, um mir die Schmerzen erträglicher zu gestalten. Stattdessen liege ich nun hier - zwar mit nur leichten Schmerzen, dafür jedoch mit dem Wissen, dass der kurze Anflug von liebevoller Fürsorglichkeit schon wieder vorüber ist und der Angst davor, dass wir in wenigen Stunden wieder in unseren unbeholfenen und einsamen Alltag übergehen. Beim nächsten mal sollte ich auf jeden Fall beide Hän-…
Irritiert und ein wenig erschrocken halte ich inne und lasse mir meine letzten Gedankengänge noch einmal durch den Kopf gehen. Bin ich von allen guten Geistern verlassen? Warum denke ich solch einen Schwachsinn? So viele Menschen liegen mit schwersten Verbrennungen im Krankenhaus, würden alles dafür geben, diese Schmerzen nicht ertragen zu müssen und ich beschwere mich darüber, dass ich mich nur leicht verbrüht habe? Beinahe angewidert von meinen Gedanken und mir selbst schüttle ich den Kopf. Was ist nur los mit mir?
Tag 96
T.O.P
Erstaunt registriere ich, dass dein Platz im Bett bereits leer ist. Seit wann stehst du denn vor mir auf? Oder ist es bereits kurz vor Mittag und ich habe einfach nur außergewöhnlich lange geschlafen? Verschlafen drehe ich mich in Richtung der Uhr, die anzeigt, dass allenfalls früher Vormittag ist. Irritiert ziehe ich mir die Weste über, die ich am Vorabend über das Fußende des Bettes gelegt habe und schlurfe mit langsamen Schritten durch den Flur.
“Hey Schlafmütze! Auch schon wach?”
Es dauert einen Moment, ehe ich die, für die Morgenstunden schon viel zu aufgedrehte Stimme Seungri zuordnen kann. Viel zu groß ist die Überraschung darüber, den gesamten Rest von Big Bang in unserer relativ kleinen Küche sitzen zu sehen. Eilig fahre ich mir einige male mit den Händen durch die Haare, ehe ich versuche, mir den Schlaf aus den Augen zu reiben. Peinlich berührt wickle ich das Jäckchen enger um meinen Oberkörper, um zwischen all den bereits umgezogenen Personen in meinem Pyjama nicht wie ein völliger Idiot zu wirken.
“Ähm… ihr…?”
“Das heißt - Guten Morgen, ich bin glücklich euch zu sehen und freue mich darauf, jetzt eines von Daesungs leckeren Brötchen zu essen…”
“Ja, ich… äh… guten Morgen…? Was macht ihr hier?”
“Frühstücken.”
Ich verkneife mir jeglichen Kommentar zu Taeyangs dümmlicher Antwort, ehe ich mich nach einer Sitzgelegenheit umsehe. Du und der Zweitälteste haben auf deinem und meinem Stuhl Platz genommen, Daesung hat sich den Stuhl, den wir als Ablagefläche benutzen, frei geräumt und Seungri sitzt mit der einen Hälfte seines Hinterteils auf deiner und mit der anderen auf Daesungs Armlehne. Ob ich einfach auf der Arbeitsfläche Platz nehmen soll? Allerdings weiß ich, wie ungern du es siehst, wenn ich meinen Hintern dort absetze, wo du später dein Essen zubereitest. Aber wo soll ich denn sonst hin?
“Magst du… Willst du dich hinsetzen? Ich hab schon gegessen… Kaffee trinken kann ich auch stehend!”
Ohne eine Antwort abzuwarten, erhebst du dich und deutest mit deiner Hand auf den freien Platz. Obwohl ich natürlich verneine und dich sanft zurück in die Richtung des Tisches schiebe, setzt du dich nicht hin. Ich versuche noch ein letztes mal, dir den Platz anzubieten, ehe ich schließlich dankend Platz nehme, woraufhin du dich sofort einige Meter vom Tisch entfernst. Beinahe kommt es mir so vor, als wärst du geradezu froh darüber, einen Grund zu haben, aufstehen zu können. Ich glaube sogar, dich erleichtert seufzen zu hören, als ich endlich sitze.
“Sicher, dass du schon satt bist? Du hast doch höchstens dreimal abgebissen…”
“Du musst mehr essen! Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit am Tag!”
“Wenn er sagt, dass er keinen Hunger mehr hat, wird das wohl so sein… Ji-Yong weiß selbst am besten, was sein Körper braucht.”
“Aber…?”
“Nein, nichts ab-…”
“Ist schon in Ordnung, Seung-Hyun…”
Warum unterbrichst du mich? Schließlich habe ich nur versucht, dich vor den anderen zu verteidigen. Obwohl ich nicht verstehe, warum du nicht für mich, sondern den Rest der Band Partei ergreifst, gebe ich nach und lasse meinen Satz unvollendet im Raum stehen. Ich werfe dir einen fragenden Blick zu, doch du weichst ihm aus und widmest deinen Blick einzig und allein dem Fußboden, während du weiter sprichst.
“Sie haben ja recht. Ich glaube, ein bisschen Hunger habe ich wirklich noch…”
“Siehst du? Na los, auf Seung-Hyuns Schoß ist sicher noch ein Plätzchen für dich frei!”
“Oh, ja… Ich geh nur kurz… … Ich sehe kurz nach, ob jemand angerufen hat. Ich glaube, ich habe gerade mein Handy klingeln hören…”
Du lächelst entschuldigend in die Runde, ehe du auf dem Absatz kehrt machst und eiligen Schrittes durch den Flur eilst. Alle, ich eingeschlossen, sehen dir irritiert nach. Keiner sagt etwas, obwohl wohl jedem von uns die ein oder andere Frage auf der Zunge brennt. Ich zum Beispiel wüsste gerne, warum du es so eilig hattest, den Frühstückstisch verlassen zu können. Was ist vorgefallen, während ich noch geschlafen habe? Haben sie dich mit neugierigen Fragen gelöchert? Haben sie dich mit gut gemeinten aber leider nervigen Ratschlägen bombardiert? Haben sie dir gar Vorwürfe gemacht, weil du deine Aufgaben als Bandleader in letzter Zeit ein wenig vernachlässigt hast?
“Was soll das?”
“Ja, Seung-Hyun…! Wir geben uns alle Mühe, ihn dazu zu bewegen, ein bisschen mehr auf seine Essgewohnheiten zu achten und du stellst uns wie eine Bande Idioten hin!”
“Ich hab lediglich andeuten wollen, dass er alt genug ist, selbst über sich zu bestimmen. Ich finde es nicht richtig, ihn zu etwas zu drängen… Außerdem ist es ja nun wirklich nicht so, als wäre er nur noch Haut und Knochen - ich pass schon auf ihn auf! Es geht ihm wirklich gut… Gebt ihm einfach Zeit, ja?”
Ich lege das Messer auf dem Teller neben dem Brötchen ab. Irgendwie ist mir der Appetit vergangen. Kein Wunder, dass auch du nur wenige Bissen gegessen hast. Drei Augenpaare ruhen auf mir, geben mir das Gefühl, als wäre ich unter ständiger Beobachtung, als würden sie jede meiner Bewegungen genauestens überwachen und anschließend bewerten. Ich will gar nicht wissen, wie es für dich war, wenn es schon für mich so unangenehm ist. Du bist viel anfälliger für solche Dinge, als ich es bin.
“Was ist eigentlich mit seiner Hand passiert?”
“Und bitte sag jetzt nicht, dass dir nicht aufgefallen ist, wie rot sie ist…”
“Er hat sich gestern beim Wasserkochen verbrüht. Warum fragt ihr ihn nicht einfach selbst?”
Ich werfe einen irritierten Blick in die Runde. Taeyang wirkt nachdenklich, Seungri hat den Kopf gesenkt und starrt auf die Krümel in seinem Teller und Daesungs Blick wirkt seltsam abweisend. Wahrscheinlich ist er immer noch eingeschnappt, weil er das Gefühl hat, dass du und ich ihm und dem Rest der Band zu viel von uns verschweigen.
“Schon merkwürdig, oder?”
“Wie? Was meinst du?”
“Naja… Irgendwie leidet Ji-Yong momentan echt unter einer Pechsträhne. Ständig stößt er sich an Gegenständen, zieht sich Schrammen zu, dann hatte er diese schlimme Lungenentzündung… Und jetzt hat er sich auch noch die Hand verbrüht. Findest du das nicht ein bisschen komisch?”
Es dauert einige Sekunden, ehe ich begreife, worauf der Zweitälteste anspielt. Er meint doch nicht…? Beinahe ersticke ich mich vor Schreck und Empörung an meinem Kaffee, während ich nach den passenden Worten suche. Wie können sie dir nur unterstellen, dir diese Dinge selbst zuzufügen? Was denken sie, was du damit erreichen möchtest? Denken sie, du möchtest lediglich Aufmerksamkeit oder Mitleid? Sobald das heiße Getränk meine Luftröhre verlassen hat, erhebe ich mich schwungvoll von meinem Stuhl und blicke die drei Anderen von oben herab an.
“Was bildet ihr euch eigentlich ein?!”
“Seung-Hyun… Wir… es…”
“Ihr kommt in unsere Wohnung, setzt euch an unseren Tisch, wartet, bis Ji-Yong das Zimmer verlässt und habt dann nichts Besseres zu tun, als ihn einen Lügner zu nennen? Sagt mal, seid ihr noch ganz dicht?!”
“Wie? Aber… Hä? Aber so war es… Wir meinten nicht…”
“Wir wollten eigentlich… Also wir dachten eher, dass du… also… dass du…”
“Ach, ihr habt es nicht so gemeint? Wie dann? Ach - wisst ihr was? Es interessiert mich gar nicht! Raus!”
Tag 96
G-Dragon
“Hm…? Sind sie weg?”
“Ja, ich… Sie sind gerade gegangen.”
Obwohl du vor wenigen Minuten, als du die Küche geradezu fluchtartig verlassen hast, noch so ausgesehen hast, als wärst du froh, wenn dieses Frühstück endlich vorüber ist, siehst du nun irgendwie traurig aus. Hoffentlich denkst du nicht, dass es an dir liegt, dass sie so abrupt aufgebrochen sind. Ich weiß, dass es nur fair wäre, dir zu erzählen, dass es meine Schuld ist, dass sie ohne eine Verabschiedung und völlig überstürzt die Wohnung verlassen haben aber ich habe Angst, dass du mir dann Fragen stellst. Fragen, die ich dir nicht beantworten kann - die ich dir nicht beantworten will.
“Sie hatten es sicher eilig… Seungri hat erzählt, dass er unbedingt vor allen anderen ein Shirt aus dieser neuen Kollektion kaufen möchte. Er will es als Erster haben, es sofort anziehen und den ganzen Tag durch Seoul marschieren, damit auch wirklich jeder weiß, dass er ein Trendsetter ist…”
“Sieht ihm ähnlich…”
Wirklich überzeugt wirkst du nicht, das sehe ich deinem Blick an. Ich weiß auch selbst, dass ich ein ziemlich miserabler Lügner bin. Du warst schon immer besser darin, dir Ausreden einfallen zu lassen. Allerdings sehe ich auch, dass sich ein zaghaftes Lächeln um deine Lippen legt. Wahrscheinlich stellst du dir gerade bildlich vor, wie der Jüngste hoch erhobenen Hauptes durch die Innenstadt stolziert und so ziemlich jedem Passanten erklärt, dass keiner vor ihm jemals dieses T-Shirt getragen hat. Leider währt dieses Lächeln nur wenige Sekunden, ehe sich wieder ein Schatten über dein Gesicht legt.
“Ich hab laute Stimmen gehört… Habt ihr gestritten?”
“Ach Quatsch… Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit. Das haben sie morgen sicher schon wieder vergessen.”
“… wegen mir? Haben sie dich angemeckert, weil du ihnen vorhin widersprochen hast?”
Ich schüttle mit dem Kopf und nicke anschließend in Richtung des Stuhles, der nun frei ist. Hoffentlich ist dieses Thema nun für dich beendet. Ich kann dir einfach nicht erzählen, worüber wir gestritten haben. Ich hatte doch gerade erst das Gefühl, als würdest du langsam deine Selbstständigkeit und das Vertrauen in dich selbst zurückerlangen. Wie könnte ich dir da erzählen, dass deine Freunde hinter deinem Rücken solche Dinge über dich denken. Das würde alles wieder kaputt machen.
“Und du? Sag bloß, du lässt dir von Seungri den Titel als Trendsetter streitig machen? Willst du dir keines von diesen T-Shirts holen?”
“Weiß nicht…”
“Na los! Das würde er dir für immer und ewig unter die Nase reiben… Außerdem weiß ich doch, wie sehr du Einkaufen liebst. Und ein bisschen frische Luft schadet dir sicher auch nicht!”
Noch immer wirkst du nicht überzeugt. Dabei weiß ich doch, wie gerne du durch die Geschäfte läufst, alle möglichen Klamotten anprobierst und anschließend mit zig Tüten beladen die Kasse verlässt. Früher hat mich dein Shopping-Wahn sogar manchmal regelrecht genervt, doch jetzt im Moment wäre es das Schönste für mich, dich mit vor Begeisterung rosigen Wangen durch die Einkaufsläden gehen zu wissen.
“Ich glaube, ich bleibe daheim…”
“Ach Ji-Yong…”
“Nein wirklich… Ich hab gar keine Lust, einkaufen zu gehen…”
“… auch nicht, wenn ich dich begleite? Ich möchte sowieso noch jemanden besuchen. Das Einkaufszentrum liegt nur ein paar Minuten entfernt. Ich bring dich hin und ruf dich an, wenn ich wieder zurück gehe - dann können wir zusammen nach Hause laufen, falls du auch schon fertig eingekauft hast…?”
Ich muss gar nicht darauf warten, dass du antwortest. Schon lange bevor die Worte deine Lippen verlassen, kann ich an deinem Blick entnehmen, dass dieser Vorschlag ganz nach deinem Geschmack ist. Und tatsächlich ziert wenige Sekunden später ein vorfreudiges Lächeln deine Lippen, als du einwilligst, während du die schmutzigen Teller und Tassen in die Spülmaschine räumst.
“Wen besuchst du denn?”
“Ach, nicht so wichtig… Kennst du nicht. Ich will mich eigentlich auch nur kurz für etwas bedanken…”