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Reqium of Darkness & Quiet Symphony

Walker x Kanda
von

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Verborgene Wut

Fürs erste schien es zu genügen. Es war nicht nötig, länger dortzubleiben, auch nicht nötig, sich weiter zu verausgaben und so kehrte ich zu meiner Ungestörtheit zurück und besuchte die Duschen. Letztendlich verging die Zeit ja doch. Der Mittag war recht nahe gerückt, als ich nach der nötigen Erfrischung und mit dem alten, oberflächlichen Wohlbefinden in meinen Raum zurückkehrte und mich umzog. Etwas mehr als zwei Stunden blieben bis zu jener Feier… für mich selbst also der gesamte Rest des Tages. Ich blieb meinem Entschluss treu. Es hatte nie zur Debatte gestanden, dass ich Komuis Bitte Folge leistete und mich blicken ließ. Selbst das Mittagessen konnte in diesem Fall warten. Bis die Feierlichkeiten zu Ende gingen und man den Speiseraum wieder nutzen konnte, ohne an einer Veranstaltung teilzunehmen. Entspannt streifte ich mir das schwarze Sweatshirt über, stieg in die Stiefel und rückte kurz am Bund der Hose. Es genügte wohl, die Uniform benötigte ich bis zum Abend nicht mehr und das nächste Ziel bereits vor Augen, kehrte ich in das Treppenhaus zurück und machte mich auf den Weg. Eine Sache, für die man sich hier zu selten Zeit nehmen konnte… für die man eigentlich keine Gelegenheit fand. Heute bot sie sich und so stattete ich der Bibliothek einen Besuch ab, ging vor den langen Regalen spazieren und suchte nach einem der Werke, die mich interessierten. Auch eine Möglichkeit, sich vor Grübeleien zu schützen und schnell wurde ich fündig. Ich war ein vertiefter Leser, schwer zu stören und durch die seltenen Gelegenheiten noch akribischer mit den Schriften.

Ich suchte mir einen abgelegen Platz, außerhalb des Hauptgebäudes und kurz vor der hohen Mauer, die das Gelände umrandete. Die schmale Treppe eines Hintereinganges wählte ich aus und wirklich war man hier draußen vor etwaigen Geräuschen geschützt. Nur das Rauschen der vereinzelten Bäume und so lehnte ich mich zurück, traf mit dem Rücken auf die steinerne Wand und hob das Buch. Ein letztes Mal blickte ich um mich, streckte die Beine von mir und begann zu blättern. Vor einiger Zeit hatte ich dieses Buch bereits begonnen… vermutlich hatte ich weit gelesen und es dauerte eine Weile, bis mir eine Textpassage unbekannt war und ich mich in sie vertiefte.

Und so blieb ich sitzen, beinahe völlig reglos blätterte ich nur um und verbannte meine Aufmerksamkeit aus der Realität. Nur einmal hörte ich weit entfernte Stimmen, bemerkte einen Wachmann, der auf der anderen Seite des Hofes seiner Wege ging, mich erspähte und kurz darauf in einer nahen Tür verschwand. Keine Störungen, die mich wirklich beeinflussten. Es war schwer, im Hauptquartier völlig ungestört zu sein. Nur hier war es erträglich und ich schenkte der Zeit keine Beachtung, blätterte und las, ließ alles an mir vorbeidriften und richtete mich nach einer scheinbar langen Zeit zum ersten Mal richtig auf. Ich schöpfte tiefen Atem, betrachtete mir teilnahmslos die Umgebung und betastete die Kanten des dünnen Buchumschlages.

Das nächste Kapitel… und langsam blätterte ich um, schob die Seite zurück und senkte die Augen zur neuen Überschrift. Ich mochte die japanische Literatur. Umso mehr, da sie mir hier nicht in rauen Mengen zu Verfügung stand. Jedes Einzelne war mir wichtig und abwesend begann ich die Unterlippe mit den Zähnen zu bearbeiten, ließ die Augen über die Absätze schweifen und vernahm irgendwann den weit entfernten, gedrungenen Ton einer Uhr. Nur undeutlich drang er in meine Wahrnehmung, eine weitere Zeile brachte ich hinter mich und ich bemerkte es kaum, doch der Inhalt der Nächsten drang kaum in mich ein.

Es schlug zwölf Uhr. Die Mittagszeit brach an und abrupt stoppte das Interesse meiner Augen, richtete sich auf das weiße Papier.

Es war schnell gegangen. Angenehm schnell und nachdenklich regte ich die Hände an dem Buch, zog es höher, ließ es sinken und blickte letztendlich erneut auf. Jäh holte mich diese Tatsache ein. Jetzt verstärkt, da der Zeitpunkt wohl gekommen war und ich wusste, was in diesen Momenten geschah.

Eine Überraschungsfeier…

Eine weitere von vielen. Geburtstage wurden hier gefeiert, das Eintreffen neuer Kollegen… man suchte sich seine Gründe, um etwas Spaß zu haben und grüblerisch spähte ich zu dem hohen Torbogen, der zum Haupthaus führte.

Eine Feier dieser Art war neu. Es handelte sich um den Jungen. Um seine Rückkehr, die man wohl aus ganz verschiedenen Perspektiven sehen konnte.

Sie würden ihm Aufmerksamkeit schenken… nur fragte ich mich, wie er all das auffasste.

An diesem Tag wirkte er nicht, als würde er…

Ich presste die Lippen aufeinander.

Wie würde er reagieren? Würde diese Feier ein gutes Resultat erzielen?

War er unter denen, die so eine Veranstaltung genossen?

Möglicherweise war sie für ihn sogar hilfreich?

Es lag mir völlig fern, selbst auf die Lösung zu kommen. Meine Vorstellung scheiterte kläglich an diesem Punkt. Dieser Junge hatte mich binnen der vergangenen Tage verwirrt… so sehr, dass ich jetzt völlig ratlos blieb und das Buch in meinen Händen vollends vergaß.

Er war ein völlig anderer… nur undeutlich nahm ich seine grundlegenden Wesenszüge wahr. Selbst an diesem Morgen hatte ich ihn nur bedingt wiedererkannt.

Was geschah, wenn man ihn in eine solche Situation drängte?

Wie würde er sich anpassen?

Täte er es überhaupt?

Mir entrann ein unwirsches Brummen und mir war unwohl zu Mute, als ich mich da so auf der Stufe regte, das Buch schloss. Ich konnte mir nicht erklären, weshalb ich mich so zu dieser Veranstaltung hingezogen fühlte, warum mir hier und jetzt die Ruhe fehlte, um das Buch einfach wieder aufzuschlagen. Ich brauchte nichts zu tun, um zu erfahren, wie es gelaufen war. Spätestens beim Abendbrot würde Lavi darüber sprechen. Ich käme überhaupt nicht drum herum, alles zu erfahren.

Ich blickte zu dem Buch, schöpfte tiefen Atem und hielt in jeglicher Bewegung inne.

Ich machte mir Gedanken…

Ich musste einfach dabei sein.

Und ohne zu zögern rappelte ich mich auf, kam auf die Beine und kehrte zum Haupthaus zurück.
 

Ich schien gut in der Zeit zu liegen. Ein weiterer Grund, weshalb ich mich keiner Hast aussetzte und das Buch in aller Ruhe dort verstaute, wo ich es herhatte. Ich hatte nichts dagegen, dass man ohne mich begann. Wenn die Veranstaltung in vollem Gange war, würde man bestimmt weniger Zeit haben, mir überflüssige Aufmerksamkeit zu schenken. Ich wollte mich im Schatten halten und auch genau in diesem bleiben. Ich wäre ein Zuschauer, nicht mehr. Ich wollte beobachten, wollte… ihn beobachten und mich möglicherweise von meiner Unruhe verabschieden.

Wenn er lachte. Wenn er sich so zeigte, wie er es immer tat, einfach offenbarte, dass ihm die Gesellschaft der anderen wie immer gelegen kam. Einige Fragen in mir würden ersterben und ich die Feier verlassen. Weitaus ruhiger und entspannter, als ich zu ihr gekommen war.

Es war ein seltsames Gefühl. Annähernd belastend, als ich die Geräusche schon im Treppenhaus vernahm. Leises Raunen, das Klirren des Geschirrs und das allgemeine, noch gedämpfte Stimmengewirr. Es drang von weitem an meine Ohren und unbewusst wurden meine Schritte langsamer, je mehr ich mich näherte. Ich musste wohl wirklich hinein. Hoffentlich erregte ich nicht zuviel Aufsehen… hoffentlich kam ich zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Augen schon auf einem anderen ruhten. Langsam öffnete ich die Tür, schöpfte tiefen Atem und schob mich in den Speiseraum.

Jetzt, wo ich hier war, wirkte die Lautstärke plötzlich nicht mehr so, als hätte es bereits begonnen und kurz erstarrte ich in meinen Bewegungen, als sich die Köpfe regten, sich die Masse der Anwesenden umwandte und sich viele Augenpaare auf mich richteten. Ebenso war es um einiges stiller geworden und ein knappes Zucken zog durch meine Miene, als ich mir der Tatsache bewusst wurde, dass der Junge noch nicht hier war… dass man mich möglicherweise für ihn hielt und ich kläglich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit feststeckte.

Verflucht… ich schürzte die Lippen, spürte, wie sich meine Miene verfinsterte und die Augen strikt auf den Boden gerichtet, schlich ich mich zur Seite und fort von dem Eingang. Einfach in der Masse verschwinden und kaum hatte ich wenige Schritte getan, erhob sich das alte Murmeln und Raunen. Deutlich leiser… sie, die überraschen wollten, wurden gerade selbst überrascht und flüchtig wurde ich auf Komui aufmerksam. In den vordersten Reihen stand er, nicht weniger verdutzt, als die anderen und doch schickte er mir ein zufriedenes, glückliches Lächeln, unter dem ich mich murrend abwandte und mir meinen Weg in das Meer aus Anwesenden bahnte.

Sie hatten wirklich keine Mühen gescheut. Über ihren Köpfen baumelte ein Banner mit einem emotionalen Spruch. Luftballons, buntes Zeug und verzierte Platten mit allerlei Speisen. Machten sie das immer so? Nur einmal hatte ich all das erlebt. Wie ein dunkler Schatten umfing der Tag meines Eintrittes meine Erinnerungen. Eine plagende Abschreckung, bevor ich meinen Dienst begann.

Ich nutzte die Abgeschirmtheit durch die Mitarbeiter und den äußeren Rand des Saales, an welchem ich nicht sofort ins Auge fiel. Prüfend lugte ich zur Masse, als ich meinen unauffälligen Platz fand, mein Hemd zurechtrückte und erneut zu den mit zahlreichen Speisen gedeckten Platten spähte. Die Köche hatten ganze Arbeit geleistet und nach wenigen Augenblicken, in denen nichts geschah, trat ich an die Platten heran und lange nach einer Kanne Limonade. Wenn ich den Anschein erweckte, mit dieser Limonade beschäftigt zu sein, sprach man mich vermutlich nicht an und wirklich waren es nur stille Blicke, die ich spürte, als ich mir ein Glas füllte.

„Wo bleibt er denn?“ Ungeduldig wandte sich ein Wissenschaftler an den anderen und ich ließ es mir schmecken, nippte an dem Glas. „Wer hat ihn gerufen?“

„Linali hat ihm Bescheid gegeben“, nahm ich ein anderes Raunen wahr, betrachtete mir die Limonade und löste mich mit einem ziellosen Schritt von der Tafel. „Er sollte eigentlich vor zehn Minuten hier sein.“

„Vielleicht hat er sich verlaufen?“

„Ist das dein Ernst?“

„Uh… ups… Verzeihung…?“ Unsicher bahnte sich ein dunkler Lockenschopf seinen Weg durch die Massen und die Limonade im Glas schwenkend, nahm ich die Tür in Augenschein. Sie blieb geschlossen und die Lautstärke in der Halle angenehm gedämpft.

„Verzeihung…“ Auf der anderen Seite der Platte drängte sich eine schwarze Uniform durch die weißen Kittel der Wissenschaftler und kurz darauf starrte ich auf diese Frau, die sich keuchend auf den Tisch stemmte, sich nach dem anstrengenden Weg erst einmal zu erholen hatte.

Wie Komui es sagte. Selbst Lotto war zurück und unbeteiligt hob ich das Glas zum Mund, verfolgte, wie sie sich ächzend und angespannt die Speisen betrachtete, in einem Anflug von immenser Nervosität an dem Tischtuch zu zupfen begann.

„Hoffentlich kommt er bald… hoffentlich ist er gleich da.“ Beinahe weinerlich besah sie sich die Braten. Sie wirkte zerzaust und erschöpft, war vermutlich gerade erst angekommen. „Sieht das lecker aus…!“

Es war ihr Problem, wenn sie nicht zulangte… sich an die Etikette zu halten, füllte ihren Magen auch nicht. Bequem nippte ich erneut an dem Glas, mir gegenüber wurde die Nase hochgezogen und Stirnrunzelnd wandte ich mich ab. So etwas musste ich mir nicht antun und so näherte ich mich der Tür um wenige, ziellose Schritte.

Ein leises Raunen erhob sich in diesen Momenten, ließ mich sofort aufblicken und zu der Tür schauen. Und meine Vermutung wurde bestätigt. Sie öffnete sich erneut, abrupt endeten die Geräusche um mich herum und auch ich hielt inne, blieb stehen und ließ das Glas sinken. Und ich war aufmerksam, erspähte den weißen Schopf, verfolgte die Bewegungen, in denen der Junge die Halle betrat. Kurz hingen seine Augen noch am Flur. Die Hand auf der Klinke, wandte er sich dann aber nach vorn und das Bild, welches sich ihm bot, ließ ihn förmlich erstarren.

Die Überraschung war gelungen… dem jungen Gesicht entgleisten die Züge und mit offenem Mund starrte er auf dieses Banner, während sich beinahe zeitgleich die Stimmen der Anwesenden im heiteren Chor erhoben.

„Willkommen zurück!“, juchzte die Menge, rauschend erhoben sich die Stimmen und bunt rieselte das Lametta auf die Köpfe nieder. Ein Gruß, von welchem ich mich völlig abschottete, mich allein auf sein Gesicht konzentrierte und als regloser Zuschauer am Rand ausharrte.

Die Hand noch immer auf der Klinke, starrte er vom Banner zu der Masse. Völlig überrumpelt war er kaum zu einer Reaktion fähig, tat den nächsten Schritt nur stockend und unsicher.

Wenn es Freude in ihm gab, kam sie vermutlich erst später und inmitten des heiteren Klatschens, das sich allseits erhob, löste er sich endlich von der Tür, starrte von einem Gesicht zum anderen und war nicht dazu imstande, den Mund zu schließen.

„Allen!“ Es war Komuis Arm, der sich aus der Masse erhob. „Komm zu uns!“

Heiter erhob sich Linalis Lachen inmitten des Tumults und zögernd schloss sich der Junge dem mit einem knappen, scheuen Lächeln an. Brüchig und kurz zog es an seinen Lippen, während er sich der Masse näherte… sich flüchtig an der Wange kratzte und sich mit seinen Schritten alle Zeit ließ.

„Macht den Champagner auf!“, erhob sich die Stimme eines Wissenschaftlers und als sich der Junge bei der ersten Reihe einfand, zischten schon die Flaschen. Schweigend hatte ich ihm nachgesehen.

„Erst einmal wollen wir anstoßen.“ Heiter wurde ihm ein Glas gereicht. Es schien Saft zu sein und nur stockend griff er danach, während das zitternde Lächeln vereinzelte Male erneut auflebte, kurz an seinen Mundwinkeln zog und er scheinbar damit zu kämpfen hatte, all das zu realisieren. Lächelnd und heiter fand sich Linali neben ihm ein, auch Lavi, der den teilweise erstarrten Körper spielerisch mit der Schulter anstupste, den Jungen zur Seite schwanken ließ.

Wirklich alle waren hier. Er stand vor einem Meer aus Aufmerksamkeit und es dauerte nicht lange, bis er sich am Kopf kratzte, sich räusperte und auf das Glas starrte, als sähe er ein solches zum ersten Mal.

„Jetzt aber erst einmal Ruhe!“ Wieder meldete sich Komui zu Wort. Entspannt erhob sich seine Stimme in der Masse und sofort verstummten die Geräusche, klangen aus mit einem leisen Glucksen, unter welchem Lavi den Verblüfften verspielt musterte. Die Aufmerksamkeit wurde nicht erwidert. Stockend blickte der Junge von seinem Glas auf, registrierte die Menge mit einer Mimik, als spüre er den Moment der Überraschung immer noch so intensiv, wie vor wenigen Momenten.

Er… ich tat einen Schritt, tat ihn leise und legte den Kopf schief.

War er bei vollem Bewusstsein?

Er wirkte so festgefroren… völlig gehemmt und war in diesen Augenblicken zu keinem weiteren Lächeln imstande. Nur seine Augen drifteten kurz zur Seite, schweiften über Linali hinweg und zurück zu Lavi, der ihn mit einer Kopfbewegung abermals auf Komui aufmerksam machen musste. Endlich war dieser mit der Ruhe zufrieden und genießerisch erhob sich das Seufzen, unter welchem er sich an den Zurückgekehrten wandte.

Ich hatte es nicht zu bereuen, hierhergekommen zu sein.

Es war seltsam, was ich hier zu sehen bekam.

„Also… Allen.“

Wie stolz er wirkte… liebevoll nahm Komui den Jungen in Augenschein, erhielt von ihm dieselbe Aufmerksamkeit.

„Dieser Tag gehört nur dir. Heute wollen wir deine Rückkehr feiern und dass alles so glimpflich ausgegangen ist.“

Stumm öffnete sich mein Mund. Ich spürte die kurze Regung meines Gesichtes und blickte zur Seite.

Der Junge unterdessen, hatte sich nicht geregt und wenn man von den düstersten Befürchtungen ausging, konnte sein Gesicht ebenso Entsetzen wie Verblüffung zum Ausdruck bringen. Eine seltsame Atmosphäre, unter der ich die Lippen aufeinanderpresste und die Stirn runzelte. Sanft bettete sich Linalis Hand auf seiner Schulter und kurz spähte der Junge zu ihr.

„Wir freuen uns, dass du wieder da bist.“ Lächelnd hob Komui seinen Champagner und unter einem allgemeinen, zustimmenden Raunen taten es ihm die anderen gleich. Die Gläser streckten sich in die Höhe. „Iss soviel du willst und amüsier dich. Jerry hat sich alle Mühe gegeben, deine Leibgerichte zuzubereiten. Heute wollen wir nur noch feiern. Auf Allen und darauf, dass er uns noch lange erhalten bleibt.“

Sofort erhob sich das Klirren der Gläser, eine leichte Bewegung kehrte in die Menge zurück und auch vor dem Jungen trafen die Gläser aufeinander. Sein Blick schien noch immer auf Komui zu ruhen und erst nach einem auffordernden Nicken hob er das Eigene und verfolgte mit offenem Mund, wie es sofort anderen begegnete. Jeder ließ es sich schmecken, jeder nahm einen Schluck, während das Glas des Jungen nur den halben Weg zum Mund bewerkstelligte, inne hielt und sinken gelassen wurde.

„Und?“ Behaglich seufzte Komui unter dem teuren Tropfen, hob darbietend die Hände. „Was sagst du? Ist uns die Überraschung gelungen?“

Man erwartete eine Antwort und so legte sich die Lautstärke abermals, reduzierte sich auf vereinzeltes Klirren. Eine abrupte Erwartung lebte auf, Augenpaare fanden zu dem Jungen zurück und ich meinte zu sehen, dass er Komui noch immer anstarrte und auch nichts anderes tat, als das. Das Glas gesenkt, die Lippen völlig reglos, verschwand er kurz hinter der Gestalt Linalis, die sich gespannt zu ihm neigte. Eine seltsame Stille brach über die Gesellschaft herein, schweigend erwartete man eine Reaktion… war wahrscheinlich sehr stolz auf sich.

„Alleeen.“ Es war Lavis Stimme, die die Stille durchbrach. Abermals schien er den erstarrten Jungen anzustoßen. „Schläfst du noch?“

„Eh…“ Nur undeutlich erhob sich das Raunen, überrumpelt erwachte der junge Körper zu altem Leben und mit einem gezielten Schritt zurück, verschaffte er sich einen gewissen Freiraum.

„Na?“ Ihm gegenüber wurde der Kopf schief gelegt und abermals drifteten die Augen des Jungen hinauf zu dem Banner. Ich meinte, eine Regung seines Halses zu erkennen. Ein Schlucken, auf das ein perplexes Blinzeln folgte.

„Ehm…“, sein Mund öffnete sich, schloss sich und kurz darauf blickte er mit einem Anflug eines ungläubigen Lächelns zurück zur starrenden Masse. „Ja… ich…“

Ihm schienen gänzlich die Worte zu fehlen und mit jedem Moment befürchtete ich stärker, diese Reaktion zu begreifen. Vermutlich würde ich auch nichts sagen können.

„… d-danke…“

Eine leise, unentschlossene Antwort, die trotzdem zufrieden stellte und während ich kaum zu einer Regung imstande war, reagierte die Masse heiter.

„Also dann?“ Schwungvoll kehrte Komui dem Jungen den Rücken. „Lasst uns feiern!“

Die folgende Antwort war weitaus ernstzunehmender. Mit einem Mal brach eine ungeheure Lautstärke aus. Gläser klirrten, die Menschen regten sich untereinander, viele Schritte führten zu den Speisen und flüchtig wurde die Gestalt des Jungen von der Masse und den wirren Stimmen verschluckt.

Es gefiel mir nicht… alles an dieser Situation und nachdenklich schöpfte ich tiefen Atem, hob das Glas zum Mund und wandte mich zur Seite.

Eine weitere, neue Facette seines Charakters, die sich mir hier bot.

Eine Reaktion, mit der ich nicht gerechnet hatte.

Wenn der Junge nicht nervös war… ich war es und langsam setzte ich mich in Bewegung. Schlendernd und ziellos zog ich durch die Masse. Meine Augen drifteten stets in dieselbe Richtung und noch immer sah ich ihn dort stehen. Den Saft nicht angerührt, hatte wenigstens sein Gesicht einen kleinen Teil der Festigkeit zurück. Von einem spähte er zum anderen, bald auch zu Jerry, der ihn galant erreichte.

„Es gibt Mangopudding in rauen Mengen!“, hörte ich ihn seufzen und das Nicken des Jungen genügte bestenfalls, um Kenntnisnahme auszudrücken. Ihm fehlte etwaige Begeisterung und kurz sah er sich abgelenkt von dem Redeschwall, der aus Lavis Richtung gegen ihn prallte. „Soll ich dir ein Schälchen holen?“

„Was…?“

„Aber natürlich.“ Gewitzt neigte sich Lavi zu dem Jungen, ließ ihn spielerisch seinen Ellbogen in den Rippen spüren. „Unser Allen wäre doch nicht Allen, wenn er da nicht sofort…“

Nur beiläufig drängte der Junge den Ellbogen zurück und das Keuchen Jerrys ließ die Situation unbemerkt weiter fließen. Grinsend ließ Lavi von dem Jungen ab, schlürfte an seinem Saft.

„Keinen Appetit?“ Annähernd entrüstet wurde Allen in Augenschein genommen, schien selbst noch darin vertieft, an seinem Hemd zu rücken.

„Nun lasst ihn doch erst einmal seinen Saft trinken.“ Linali war es, die die letzte Versöhnung brachte und sofort wurde ihr lachend zugestimmt.

„Um den Pudding kümmert er sich schon noch.“ Das Glas des Rothaarigen richtete sich auf seinen Nachbarn. „Du wirst schon sehen. Der überlebt keine Stunde.“

„Ganz bestimmt.“ Lachend verbarg Linali den Mund hinter der Hand und inmitten des Lachens und Flunkerns wandte sich der Junge um, wurde auf die Wissenschaftler aufmerksam. Sie hatten sich ihren Weg zu ihm gebahnt und verbunden mit entspannten Begrüßungen wurde der Junge im Kreis der Freudigen eingeschlossen.

Ziellose Blicke in alle Richtungen. Plötzlich schien er nach einer verloren gegangenen Orientierung zu suchen und unruhig wendete sich sein Körper, bis er einen Schritt zurücktrat und sich zurück neben Lavi schob. Es schien, als wolle er sich den Rücken freihalten und wirklich wirkte er schon etwas entspannter, als er die Wissenschaftler vor sich hatte.

„Ach ne, na dann mache ich mich mal wieder an die Arbeit.“ Kapitulierend löste sich unterdessen Jerry aus der Menge, stahl sich davon und wurde nicht beachtet.

Die Stimmen erhoben sich in einem ungemeinen Durcheinander. Selbst zu allen Seiten des Jungen, da sich auch Lavi und Linali auszutauschen begannen. Er wurde den Wissenschaftlern überlassen und deren Euphorie.

Es war annähernd unangenehm, all das zu verfolgen. In gewissem Sinne schien ich die Emotionen des Jungen zu teilen und nach einem letzten Blick zu ihm, kehrte ich ihm den Rücken, hob das Glas und hielt inne. Nur knapp war auch Bookman zum Stehen gekommen, kurz bevor wir aufeinandertreffen könnten und in ständiger Bewegung, schwenkte seine Hand den Rotwein im Glas. Wenigstens er hielt sich bedeckt… Stirnrunzelnd starrte ich zu ihm hinab, erblickte dasselbe und lenkte meine Schritte in eine andere Richtung.

Wenn ich schon einmal hier war, konnte ich auch etwas gegen meinen Hunger tun. Das Training hatte mich Kräfte gekostet, die ich mir hier zurückzuholen hatte und kurz darauf stand ich vor der Platte, rechts und links genug Platz, um nicht in das Gedränge zu geraten. Der Ansturm war groß, zu allen Seiten schepperte das Geschirr und ich ließ mir Zeit, nippte an dem Glas und begutachtete die Speisen kritisch.

Soviel… ich kam mir etwas unentschlossen vor.

„Dass ich das mal noch erlebe!“ Keuchend schob sich der Rotschopf an mir vorbei, hatte es scheinbar sehr eilig gehabt und begann sich sofort auf den Tischen zu orientieren. Er lugte zu mir, kurz und verschmitzt, langte nach einer Schale. „Hatten wir uns nicht auf ein ‚unentschieden’ geeinigt? Was hat dich hierher verschlagen?“

„Geht dich nichts an.“ Somit ließ ich es mir wieder schmecken, verzog die Miene und begann an der Platte entlang zu spazieren. Das Glas war jetzt leer und beiläufig stellte ich es neben mir ab. Unweigerlich wurde ich auf einen Wissenschaftler aufmerksam… auf die Hast, mit der er sich einen gesamten Teller mit Pudding füllte. Kritisch starrte ich ihn an.

„Schon okay.“ Neben mir wurde nach einem Tablett gelangt. Auch Lavi hatte sich schon einiges zusammengesucht. „Aber wenn du schon einmal hier bist…“, ich spürte einen verschmitzten Blick, ahnte Schlimmes, „… magst du Allen nicht ‚Hallo’ sagen? Bestimmt freut er sich, der einzige zu sein, zu dessen Party du jemals gekommen bist.“

So, wie er sich über diese Party selbst freute?

„Ts.“

Wie albern und hinter mir ertönte ein leises Seufzen, als ich mich umwandte und weiterschlenderte. War er wirklich enttäuscht? Hatte er etwas anderes erwartet?

Ein weiteres Mal folgte er mir jedenfalls nicht. Nur aus den Augenwinkeln und von der gegenüberliegenden Seite der Platte sah ich, wie er sich mit einem gefüllten Teller auf den Rückweg machte… in eine nur zu offensichtliche Richtung.

Über mangelnde Gesellschaft könnte sich der Junge heute auf jeden Fall nicht beklagen.

Ich blieb stehen, starrte bald zurück auf die massigen Platten und Angebote und fühlte mich selbst durch den Anblick völlig gesättigt. Inmitten der quasselnden und lauten Masse blieb ich den Platten auch noch länger treu und langte letztendlich nur nach einem Stängel Weintrauben. Auch ein Stückchen Mango bekam ich zu fassen und gab mich damit zufrieden. Behaglich kauend, bahnte ich mir anschließend meinen Weg, nicht direkt zu dem Jungen und doch darauf aus, mir kurz einen weiteren Überblick zu verschaffen. Einen anderen Grund hatte mein Hier sein nicht, ebenso lag mir die Anspannung im Rücken und beinahe abwesend zog ich die einzelnen Trauben vom Stängel, führte sie zum Mund und schob mich durch die Gruppen der Anwesenden.

Und meine Augen suchten. Letztendlich war es nicht schwer, ihn auszumachen. Die größte Ansammlung hatte man zu suchen und ihn fand man anschließend mit Leichtigkeit. Es gab viele, die mit ihm sprachen, viele, die etwas zu sagen hatten und inmitten der lachenden Wissenschaftler blieb ich stehen. Dort war er und abwesend bearbeitete ich meine Zähne mit der Zunge, ließ die Trauben sinken.

Die Erstarrung hatte sich zu einer gewissen Unsicherheit weiter entwickelt… es war völlige Bekommenheit, in welcher er sich dort zwischen den Körpern regte, den Kopf von einem zum anderen wandte und kaum die Worte wahrzunehmen schien, die aus allen Richtungen an ihn gewendet wurden. Und ebenso wenig wie der Inhalt der Worte, schien auch das Tablett für ihn zu existieren. Gänzlich unbeachtet hielt er es auf dem Unterarm und sich selbst in stetiger Bewegung.

Nervosität durch und durch… sie schien jede Faser seines Körpers zu durchströmen und entgegen der Freude der Menschen, die ihm Gesellschaft leisteten, wurde er in ihrer Mitte eingeschlossen wie ein grauer Schatten, der nicht über seine Grenzen hinauskam.

Er genoss es nicht… er fühlte sich nicht wohl und für einen flüchtigen Augenblick sehnte ich mich danach, mir meinen Weg direkt zu ihm zu bahnen, ihn zu fassen und aus dem Meer der Worte zu ziehen. Wie er nach einem Standort suchte… vor trat, zurück trat, sich drehte und den Mund zumeist nur reglos geöffnet hielt. Es waren die anderen, die sprachen und nur selten formten seine Lippen Worte, die in ihrer Lautstärke nicht zu mir drangen.

Was tat er da nur?

Was hatte ihm den Genuss genommen, unter Menschen zu sein?

Meine Finger begannen die Trauben zu bearbeiten, sie zwischen sich zu wenden und ich wollte kaum die Augen von dem Jungen lösen, bekam kaum mit, wie ich das Stück Mango in meinem Mund versenkte.

„Auf jeden Fall hat Johnny…“

„Hey, das muss er nicht wissen!“ Angespannt schob sich Johnny in Rivers Blickfeld. Wild gestikulierte er mit den Händen, während Linali noch immer nahe bei dem Jungen stand, heiter und offen in die Runde hineinlachte. Komui schien heute einen ausgeprägten Humor zu haben und nur kurz schloss sich der Junge der Belustigung an. Nur flüchtig streifte das alte, brüchige Grinsen seine Lippen… verblasste, sobald sich Komuis Aufmerksamkeit auf Linali richtete.

„Hast du schon davon gehört, dass…“

„Warum nicht?“ Verständnislos gestikulierte River mit seinem Glas, hinderte den Rotwein nur mit Mühe daran, nicht über den Rand zu schwappen. Vor ihm ächzte Johnny.

„Allen, sag doch auch mal was.“ Mit regem Nachdruck erhielt dieser weitere Aufmerksamkeit. Ebenso wie sein Hemd, an welchem verzweifelt gezupft wurde. Ein Augenblick, in welchem er sofort zu bisher vermisstem Leben erwachte, seinen Arm annähernd reflexartig von den fleißigen Fingern befreite. Selbst einen Schritt tat er… baute Distanz auf. „Man verrät keine peinlichen Sachen über andere!“

„Jetzt stell dich nicht so an.“ Seufzend nippte River an dem Rotwein und nur leicht traf die Schulter des Jungen auf einen Widerstand. Ein Schritt zuviel, bis er den Körper eines jungen Kochs streifte und beinahe vergaß ich das Kauen. Das Zucken der jungen Miene war selbst für mich ersichtlich. Nur mit großer Konzentration balancierte er den Teller aus, trat zur Seite, presste die Lippen aufeinander.

„Hast du gar keinen Hunger?“ Mit großen Augen wurde Komui auf den Teller aufmerksam. Nicht viel später schloss sich ihm auch Linali an und erst verspätet erhielten sie die Aufmerksamkeit des Angesprochenen. Wieder… er sicherte sich das Umfeld, pendelte in der Masse.

„Du hast noch gar nichts gegessen?“ Linali teilte die Verblüffung ihres Bruders. „Geht es dir nicht gut?“

„Was…?“ Die Stimme des Jungen erhob sich in einem Keuchen, als stünde selbst sein Körper unter immenser Belastung. Erst, als er auf den Teller starrte, schien er den Bezug zu begreifen und das nächste Lächeln war so brüchig, dass es einer Verzweiflungstat ähnelte.

Ein kühler Schauer durchfuhr mich, nur stockend schluckte ich hinter, nahm mein Umfeld selbst nicht mehr war.

„Ich…“, der plötzlichen Bewegung eines Wissenschaftlers hatte er auszuweichen, „… ich esse später.“

„Bestimmt hast du dich heute Morgen nicht zurückgehalten, hm?“ Die Augen suchend in der Masse, schickte Komui ihm nur ein knappes Lächeln.

„Dabei hat sich Lavi soviel Mühe gegeben“, seufzend wies Linali auf den Berg aus Speisen und Gebäck.

„… habe ihn nicht darum gebeten.“

Nur undeutlich drang sein Raunen zu mir, ebenso verschwommen, wie sich seine Mimik verhärtete und er beinahe zeitgleich, wie sich eine Hand auf seiner Schulter bettete, sie auch schon wieder von sich schob. Nur eine beiläufige, wenn auch zielsichere Berührung und doch stellte all das für mich einen Punkt dar, an welchem ich ihn nur ungern weiter dieser Masse überließ.

War ich der Einzige, der seinen Augen nicht traute?

Der Einzige, der von all der Euphorie nicht geblendet war?

Und wie nervös ich plötzlich selbst war… wie unruhig ich mir die Beine vertrat und die Trauben zwischen den Fingern rollte.

Es gefiel mir nicht.

Ich hatte ihn nicht gerettet, um ihn so einer Situation zu überlassen.

Was war los mit ihm?

Ich setzte mich in Bewegung. Zielstrebig, obwohl ich nicht wusste, was es zu tun galt.

Vorerst wollte ich nur dorthin.

„Aaallen!“

Ächzend wichen zwei Wissenschaftler zur Seite, machten dem Rotschopf Platz und seiner Eile, in der er den Jungen erreichte, bevor ich es wirklich registrierte. Lachend erreichte er sein Ziel, warf sich dem Jungen in den Rücken… sorgsam genug, den Teller vor dem Sturz zu wahren. Stolpernd wich der Jüngere nach vorn, die Wucht erfasste ihn jäh und schon schlossen sich die Arme des Freudigen um seinen Hals.

„Das musst du dir ansehen! Du wirst es nicht glauben aber da drüben…“

Nur leise durchdrang das Klirren des Tellers den Tumult der Feiernden, eine unübersichtliche Bewegung entstand im nahen Umkreis und flüchtig versperrte man mir durch erschrockene, wahllose Schritte die Sicht.

„Fass mich nicht an!!“

Die Stimme erhob sich gellend, durchschnitt in einem blitzartigen Zorn die Heiterkeit der Runde und brachte selbst mich ins Stocken. Ein Schlag, mit welchem die Lautstärke abrupt zu sinken schien und schon erfasste ich den roten Schopf des jungen Mannes, der zurückstolperte. Vereinzeltes Klirren, Stimmen versiegten und für kurze Zeit waren es nur die schallenden Schritte, die mich den Jungen ausmachen ließen. Das bislang gedrungene Keuchen erhob sich beinahe schallend in der annähernden Stille und als würde man sich alleine nach meinem Verlangen richten, stoben die Menschen aus meinem Sichtfeld. Murmelnd und verwirrt traten sie zurück, eröffneten mir das Bild eines Jungen, der in einer schier kopflosen Orientierungslosigkeit gegen einen Anwesenden stieß, hinterrücks gegen ihn schlug und das erschrockene Ächzen war spätestens jetzt das einzige, was die Laute innerhalb dieser Halle ausmachte.

Köpfe regten sich, die Anwesenden neigten sich zur Seite… viele Augen versuchten den Mittelpunkt des Spektakels zu erreichen, während die grauen Augen fieberhaft nach Freiraum zu suchen schienen.

„All…“ Linalis Stimme war nicht mehr, als ein tonloses Hauchen, das Scharren der Schuhe lebte zu meinen Seiten auf und nur für einen kurzen Augenblick wurde ich mir der Tatsache bewusst, dass ich die Trauben nicht mehr in der Hand hielt. Völlig frei regten sich meine Finger, ziellos, während die Bewegung Lavis meine Aufmerksamkeit bannte. Etwaige Euphorie schien von ihm gebröckelt, nicht weniger die Fassung, in der er nur zu einem unsicheren Schritt imstande war. Ein Schritt auf den Jungen zu, der sich zwischen den Mauern der Umherstehenden regte, als bestünden sie aus Feuer… als könnten sie ihn verbrennen.

„Hey…“, stockend suchte sich Lavi einen Weg zu ihm, nur langsam hob sich seine Hand, strebte dem völlig abgelenkten Jungen entgegen, „… Allen? Was ist denn los?“

Kaum erreichten die Finger ihr Ziel. Ich meinte, dass sie nur den Stoff des Hemdes streiften und die bleiche, angsterfüllte Miene des Jungen wurde von der alten Wut heimgesucht, als er herumfuhr. Laut ertönte der Schlag, mit welchem der den Arm des Rothaarigen von sich riss.

„Du sollst es lassen!!“

Nur selten hatte ich seine Stimme in dieser Gewaltigkeit wahrgenommen.

Im schweren Tumult der Kämpfe, in welchem er nach den anderen schrie… und es auch musste, um sie zu erreichen.

„Kapierst du es nicht?!“

Beinahe feindselig studierte er die Haltung seines Gegenübers, überzeugte sich lauernd davon, dass er wirklich stehenblieb. Und selbst ein fremder Atemzug hätte in der gespenstischen Stille Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nur in wenigen Momenten, in denen sein scharfes Keuchen versiegte.

Linali, selbst Komui… niemand schien eine Antwort zu kennen. Niemand ein Wort, das in dieser Lage hilfreich sein könnte und genau genommen, war es bei mir nicht anders, während ich dort stand und mir einen beinahe Fremden betrachtete.

Lavi selbst schien etwaigen Glauben verloren zu haben, wagte sich keinen erneuten Schritt in die verbotene Richtung und wurde kaum einen Augenblick aus den Augen gelassen. Wirr peitschte das weiße Haar in das bleiche Gesicht des Jungen, als er herumfuhr, um sich starrte, als wäre er von Feinden umgeben und selbst in größter Lebensgefahr.

¬¬¬¬Die Reaktionen der anderen… bislang schien es für ihn nur die nahen Vorgänge gegeben zu haben und permanent rauschte sein gehetzter Atem in der steinernen Halle, als er sich in der Aufmerksamkeit wand. Ein jedes Gesicht, das die Festigkeit verloren hatte. Ein jedes Augenpaar, das ihn mit Entsetzen betrachtete… mit einem Mal schien all das zu ihm zu dringen, während er die Rollen tauschte. Die Unsicherheit hatte er abgegeben, die Erstarrung von sich gestreift und sein ¬¬¬¬¬¬¬¬¬junges Gesicht zuckte in wuterfüllten Mimiken. Rasselnd schlitterte eine Scherbe des Tellers über den Boden. Unbewusst hatte er sie mit dem Fuß gestreift und mit einem Mal ballten sich seine Fäuste.

War es das?

War das der aufklärende Punkt, den ich unfreiwillig miterlebte?

Die Spannung war greifbar… die atemlose Stille flimmerte über den Köpfen wie knisternde Elektrizität und beinahe höhnisch strahlte das Banner über dem Jungen, der rasselnd nach Luft rang.

„Was soll das?!“

Eine Wucht, die sich entlud… eine Emotion, der die Worte kaum gewachsen waren und bebend brach sich seine Stimme. So wandte er sich an die Masse. Einfach an jeden der Anwesenden und wie gelähmt wirkte sie allein durch die Stimmgewalt des jungen Menschen.

„Was soll das?!“ Fahrig richtete sich sein Blick nach oben, streckte den Menschen die Arme entgegen, als würde er beinahe untergehen im bitteren Morast des Unverständnisses. Eine Verzweiflung, die sich allein in einem grenzenlosen Zorn manifestierte und ein leises, nervöses Scharren in der hintersten Ecke war die einzige Antwort, die er erhielt.

„Was steht ihr hier herum und tut so, als gäbe es etwas zu feiern!!“ Bebend neigte sich sein Körper unter dem Schrei, beschwörend fuhr er zur Seite. „Ihr habt einen Dreck getan, um mir zu helfen!! Sieben Tage, bevor ein Einziger auftauchte und das auch noch gegen euren Willen?!“

Er hatte davon gehört…

Ich biss die Zähne zusammen.

Tat es, ohne es zu beabsichtigen und stand selbst recht erstarrt dort.

„Wie großzügig ihr seid!!“ Schon jetzt wirkte seine Stimme beinahe heiser, ziellos und aufgebracht seine Schritte. „Gönnt euch ruhig etwas!! Lasst es euch schmecken!! Das…“, ein kraftvoller Schlag und unhaltbar wurde einem Nahestehenden die Schüssel aus den Händen gerissen, zersprang klirrend auf dem Boden, „… das habt ihr wirklich gut gemacht!!“

„Allen!“ Ein Einziger wagte es sich, erneut vorzutreten. Aus den Reihen der unsicher Zurückweichenden trat abermals Lavi hervor, obgleich es ihm trotzdem anzusehen war, dass er mit demselben Entsetzen zu kämpfen hatte. „Was…“

„Was willst du?!“ Kaum hatte sich seine Stimme erneut erhoben, traf ihn die unbegrenzte Aufmerksamkeit des Jungen. Wuterfüllt richteten sich die grauen Augen auf ihn. „Was willst du sagen?! Du warst auch nicht da!!“

Ein Schlag, der dem Rothaarigen die Entschlossenheit abrupt zu entreißen schien und keine Sekunde verging, bis man ihm auch schon wieder den Rücken kehrte.

„Ihr wart alle nicht da!! Woher wollt ihr wissen, dass es glimpflich ausgegangen ist?!“ Zielstrebig fuhr er zu Komui herum, taxierte ihn gnadenlos und erhielt keine Antwort. Das Gesicht des Abteilungsleiters wirkte erschüttert, reglos… während die geweiteten Augen jeder Bewegung des Jungen folgten. Er war es wohl, dem Worte am schwierigsten fallen würden, während Linali nahe bei ihm stand, den Mund mit beiden Händen verdeckte und selbst den Atem angehalten zu haben schien.

„Ihr könnt nur grinsen, weil ihr euch rausgehalten habt!!“ Fahrigen Schrittes zog er durch seinen freien Kreis, erweiterte ihn, je näher er den Beistehenden kam. Eine permanente, nervöse Bewegung umgab ihn. „Ihr konntet mich sieben Tage lang in Ruhe lassen… warum nicht jetzt auch?!“ Dumpf schrammte seine Schulter den Leib eines Wissenschaftlers. Orientierungslos hatte es ihn zur Seite gezogen, mit dem Rücken hinein in die Reihe und ein fassungsloses Ächzen erhob sich, noch bevor er das erste Hindernis von sich stieß. Hinein in die Menge und ein Laut zeugte von einem dumpfen Aufschlag. Eine gespenstische Kraft, die sich abrupt gegen die Anwesenden richtete und beinahe panisch setzten sich die Gruppen in Bewegung. Sie stoben auseinander, hasteten durch meine Sicht und einem wütenden Aufschrei des Jungen folgten weitere hektische Bewegungen, die allein von der völligen Eskalation zeugten.

Kaum mahnte mich mein Körper dem in meiner Brust erfrorenen Atem… der rasende Atem der Menschen drang an meine Ohren. Soeben noch in bester Stimmung, brachten sie sich hastig in Sicherheit und fieberhaft mischte ein weiterer Schrei unter den jäh zurückgekehrten Tumult.

„Allen!!“

Eine derbe Berührung traf meine Schulter, ließ mich um einen Schritt zurückstolpern. Ein Flüchtender hatte mich erfasst und mit einem perplexen Blinzeln kehrte ich endlich Stück für Stück zurück in die Realität.

Röchelnd sank ein Wissenschaftler auf die Knie. Eng umschlangen seine Arme den Bauch und kauernd blieb er zurück auf der freien Fläche, die sich rasch inmitten der Halle bildete. Meine Augen erfassten es wieder… verfolgten das Geschehen und die Bewegungen des Jungen, der sich blindlings auf jeden zu stürzen schien, der ihm zu nahe kam. Besser angreifen, als angegriffen zu werden. Ungebändigt und teilweise verstrickt in die alte Panik, schien sein Verstand inmitten der Berührungen und dem Gedränge schier zu kapitulieren und kopflos zog er an dem Verletzten vorbei, stolperte und kämpfte fahrig um das alte Gleichgewicht.

Jedes Denkvermögen schien ihn verlassen zu haben…!

Noch nie zuvor sah ich einen solchen Zusammenbruch in diesen Reihen und selbst zurückgekehrt in meine Fassung, setzte ich mich in Bewegung. Er verletzte, er tobte und inmitten des Ächzens und Stöhnens waren es seine Schreie, die die verlorene Kontrolle am besten zum Ausdruck brachten. Seine Beine boten ihm nicht viel des alten Haltes, schienen schier zu zittern unter dem rasselnden Atem und ungelenk stieg er über einen weiteren hinweg.

Schnelle Schritte erhoben sich unterdessen… in einer Distanz, die ich noch nicht erreicht hatte. Wieder war es dieser eine, der zu sich kam, der handelte und den Jungen mit einem Satz einholte. Mit plötzlicher Hast traf Lavi abermals auf den Jungen, beinahe schlitterte er an ihm vorbei und doch waren es seine Hände, die das Ziel nicht verfehlten. Heftig versenkten sich die Finger in dem Stoff des schwarzen Hemdes, kurz zwang er dem Jungen die eigene Wucht auf und stolpernd verlor dieser sein Ziel. Ein Koch war es gewesen, der vor ihm kauerte und letztendlich war es nur die schwarze Hand des Jungen, die sich ihm entgegenstreckte, bevor der Rothaarige ihn mit sich zerrte, zur Seite zog… ihn mit allen Mitteln zu bändigen versuchte.

„Reiß dich zusammen!!“ Selbst Lavis Stimme erschallte völlig aufgelöst und keuchend versuchte er einen Blick in das Gesicht des Jungen zu werfen, an den er sich klammerte. „Verdammt, komm zu…“

Eine unerwartete Gegenwehr ließ seine Stimme versiegen. Kaum zu verfolgen war die Bewegung des Armes, mit dem sich der Junge mit Leichtigkeit des Griffes entledigte. Haltlos rutschten die Finger aus dem Stoff, den sie soeben noch krampfhaft umschlossen und der Hals des Rothaarigen war einzig noch zu einem gedrungenen Laut imstande, als die schwarze Faust auf sein Gesicht traf, es rücksichtslos zur Seite schmetterte. Er schien etwaigen Boden unter den Füßen zu verlieren… gepackt von der neuen Wucht wurde er einfach zur Seite geschleudert und nur ein kurzes Stolpern des Jungen machte darauf aufmerksam, dass eine Hand den Griff krampfhaft beibehielt. Kaum schlug Lavi auf dem Boden auf, wurde auch der jüngere Leib hinabgezerrt und mit einem letzten Satz hatte ich den Verwundeten hinter mir gelassen, etwaige Gedanken abgestellt und den Jungen erreicht. Ich kündete mich nicht an, fixiert blieben meine Augen einzig und allein auf seinen Rücken und meine Hände waren die ersten, die ihn erreichten. In seine Seiten schlug ich sie, mich nicht mit dem Stoff zufrieden gebend, drängte ich mich kurz darauf auch schon gegen den Rücken des stolpernden Jungen und zog ihn zurück.

Ich hatte ihn…!

Von Beginn an in einem sicheren Griff und sofort verlor auch Lavis Hand den Halt. Ich hatte den Weg unter seine Arme mit Leichtigkeit gefunden. Sie waren in einer Bewegung gewesen, die es mir leicht machte und entgegen der sofortigen Gegenwehr des aufgebrachten Körpers, blieb ich selbst so kontrolliert, wie ich es in dieser Lage sein konnte. Fest verkeilten sich meine Hände in seinem Nacken, fixieren tat ich ihn vor allem mit meinem Körper und annähernd heiser erhob sich der ungläubige Schrei, unter welchem er sich sofort in meiner festen Fixierung zu winden begann.

Selbst sein Körper… mir strömte eine solche Abneigung entgegen, eine solcher Widerstand, dass ich kurz selbst um das Gleichgewicht zu ringen hatte, den Griff meiner Hände ineinander nur noch verfestigte und die Zähne zusammenbiss.

Eine Nähe solcher Art wollte ich nicht… mich selbst erschütterte der Umgang, zu dem er mich zwang und peitschend streifte sein Haar mein Gesicht, als er den Kopf zur Seite riss, mit allen Mitteln gegen mich anzukommen versuchte.

„Lass mich los!!“ Haltlos schrie und tobte er selbst noch in dieser Lage, schrie selbst gegen die Mauer der Entsetzten, als wolle er ihnen selbst dadurch noch schaden.

„Reiß dich zusammen!!“ Kühle Schauer überkamen mich bei jedem seiner Laute, selbst in seinem Körper spürte ich die tief verankerte Stimme und so erhob sich meine nicht weniger aufgebracht. Schallend übertönte sie seine in Wut getränkten Schreie und kurz erstarben seine Bewegungen stockend. Ein Röcheln drang aus seinem Hals, am eigenen Atem schien er sich zu verschlucken und fahrig fuhr sein Gesicht zur anderen Seite. Seine Augen versuchten mich zu erreichen, zuckend begehrte sein Körper ein weiteres Mal auf und mich selbst an die eigene Kontrolle klammernd, stemmte ich mich gegen ihn, stemmte mich in seinen Nacken und drängte den bebenden Oberkörper nach vorn, drängte ihn leicht hinab.

Keine Möglichkeit, mich mit den Ellbogen zu erreichen. Trunken bewegten sich seine Beine zwischen meinen, als er hinabgezwungen wurde und ein verbittertes Fauchen war der letzte Zeuge der unterjochten Tobsucht. Wie er bebte… sein gesamter Körper zitterte unter dem fahrigen Atem. Seine Hitze strömte mir entgegen und keinen einzigen Augenblick bezog ich die Umwelt in mein Handeln ein.

Derzeit gab es nur ihn und die Schranken, aus denen er ausgebrochen war.

Er hatte mich nicht erwartet… niemanden, der ihm die alten Schranken zeigte und doch machten seine verhärteten Muskeln nicht auf die nahe Kapitulation aufmerksam.

„Beruhige dich…“ Nur undeutlich lösten sich meine Worte aus dem Keuchen, drangen als bebendes Hauchen in seinen Nacken und wieder schien er zu erstarren, einen Teil seiner Blindheit zu verlieren. „Ganz ruhig.“

Vorsichtig regte ich mich, umfasste meine Hände erneut und sicherer… und nahm das dumpfe Schlagen meines Herzens wahr. Nahe an seinem Körper, der annähernd erschrocken in sich zusammenzuzucken schien. Ein langer, zitternder Atemzug drang durch das wirre Haar des gesenkten Kopfes, ziellos hob sich die Hand, tastete im Nichts.

Diese Härte… sein Leib schien nur schleppend an ihr zu verlieren und kurz standen wir dort, reglos auf unserem Punkt… bis sich das Gewicht in meinen Armen zu verstärken schien, er sich annähernd kraftlos sinken ließ. Nur ein Stück, doch selbst das starre Zittern seiner Glieder schien abzuschwächen und vorsichtig spreizte ich die Finger, hob den Kopf und rang in diesem Moment selbst nach Atem.

Eine langsame Bewegung.

Sein Körper drängte sich leicht zur Seite. Seine Schultern regten sich in meinen Armbeugen und einen letzten Moment gab ich mir selbst, um sicherzugehen. Dann löste ich den Griff, löste die Hände voneinander und er sich sofort von mir. Zwischen meinen Armen schob er sich hindurch und mit einem stolpernden Schritt vorwärts. Er näherte sich der Menge, schien sie jedoch nicht anzusehen und nur undeutlich war die Bewegung seines Armes, mit welchem er sich über das Gesicht fuhr, dieses beinahe ohnmächtig senkte und kurz reglos vor den Starrenden stand.

Eine Atmosphäre, die sich nicht greifen ließ… die man nicht greifen wollte und ich wusste nicht, auf welchen Punkt meine Augen gerichtet blieben, als er sich aufrichtete. Alles andere als kraftvoll, alles andere als kontrolliert und tief durchatmend starrte auch ich an ihm vorbei, als er der Masse den Rücken kehrte, sich in die alten, unsicheren Schritte vertiefte. Strauchelnd zog er an mir vorbei, scheinbar müde auf den Knien… und trotzdem ließ er sich wenig Zeit. Die Halle wollte er verlassen, ohne Umwege zu dieser Tür gelangen und letztendlich war dieser Weg nicht lang. Leise schallten die Schritte in meinem Rücken, schweigend folgten die Augen den Bewegungen und irgendwann erhob sich nur das leise Quietschen der Tür. Ein Laut, der seine nächsten Schritte verschlang und uns in völliger, betretener Stille zurückließ.

Mein Körper… wie sehr spürte ich mit einem Mal, wie sehr meine Hände kribbelten, wie mein Atem raste und ich selbst in meiner Haltung erstarrt zu sein schien. Stockend spähte ich hinab, spähte zu meinen Händen und als ein leises Scharren in meine Wahrnehmung drang, zu der Masse zurück, der ich gegenüberstand.

Nur unentschlossene Regungen gingen durch das Meer aus Gesichtern. Sie wandten sich einander zu, stille Blicke wurden ausgetauscht und immer noch kauerte der Rothaarige zu ihren Füßen. Sein Blick war es, auf den ich kurz traf. Ich las diese Erschütterung, spähte über das Blut hinweg, das seine Lippen glänzen ließ und spreizte die Finger.

Ich musste wach werden, diese Lage begreifen, in der ich hier steckte. Letztendlich war ich in diesen Augenblicken der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit und mir dessen nach einem knappen Blinzeln durchaus bewusst. Es war falsch… einfach alles an dieser Situation und abrupt senkte ich den Blick, starrte nur auf den Boden und verzog das Gesicht. Es war wie ein bitterer Geschmack auf meiner Zunge… alles an dieser Situation widerte mich an und ohne den Gesichtern Beachtung zu schenken, wandte ich mich ab und kehrte all jenen den Rücken. Ich machte den Anfang, tat das, wonach sich vermutlich viele sehnten und verließ die Halle in zielstrebigen Schritten. Ich floh nicht… entzog mich einfach dieser Angelegenheit und schob mich hinaus in den kühlen Gang.

Dumpf schlug die Tür hinter mir in ihr Schloss zurück, verschluckte mögliche Geräusche und brachte mir endlich die gewünschte Abgeschnittenheit. In dieser alten Freiheit gönnte ich mir ein tiefes, geräuschvolles Durchatmen, hob auch die Hände und rieb mir das Gesicht, während ich einfach auf meine Beine vertraute und mich ziellos von ihnen führen ließ.

Was dachte ich?

Alles in mir war so aufgewühlt, so verbittert und ratlos. So viele Fragen, die mich in diesem Moment restlos überforderten und ich kapitulierte, sah ein, dass ich mich hier und jetzt nicht mit ihnen befassen konnte. Dass es nichts bringen würde.

Frische Luft… danach stand mir der Sinn und strikt bog ich nach rechts und stahl mich durch einen schmalen Gang davon.
 

Die frische Luft erreichte mein Gesicht mit einer wohltuenden Kälte und ächzend fuhr ich mir über die Stirn.

Das konnte alles nicht wahr sein und kopfschüttelnd entfernte ich mich von dem unauffälligen Hintereingang, schlürfte über den trockenen Boden und näherte mich den dicht beieinander stehenden Bäumen, die den Turm rauschend umgaben. Allein durch das Verlassen des Gebäudes schienen meinen Gedanken schon eine gewisse Freiheit zuzukommen und abermals atmete ich tief durch, als ich in den kleinen Wald eintauchte, während der nächsten Schritte auch die Augen schloss und die verspannten Arme von mir streckte.

Distanz… das Geschehene lag nun hinter mir und hinter den Mauern und ich versuchte mich in dieses Gefühl zu vertiefen, trat träge über eine Wurzel hinweg, tastete mich über die Rinde des Baumes, den ich hinter mir ließ. Meine Schritte verlangsamten sich. Ich musste nicht fliehen, ich hatte es nicht vor und den nächsten Baum, den ich erreichte, nutzte ich als Stütze. Ein dumpfes Ächzen entrann mir, als ich ihn mit der Schulter schrammte und mich an ihn lehnte. Die Beine von mir streckend, ließ ich auch den Hinterkopf auf die Rinde treffen und in den nächsten Momenten starrte ich hinauf zu den Wipfeln.

Was ging hier vor?

Wie einfach war es, den Verstand zu verlieren!

Tiefe Atemzüge waren meinem Körper eine große Hilfe, brachten ihm die Entspannung, in welcher er einfach erschlaffte und mich klarer denken ließ.

Was für eine Feier… er hatte sich wirklich nicht gefreut und war damit all meinen Erwartungen gerecht geworden. In besonderem Maße und beiläufig kratzte ich mir den Bauch, starrte hinab zu meinen Stiefeln, die den Waldboden abwesend zu bearbeiten begannen.

Was für ein Irrsinn, was für ein Irrsinn…

Wie eine Endlosschleife raste dieser Gedanke in meinem Kopf.

Entsetzt war ich auch gewesen. Natürlich, eine andere Reaktion wäre undenkbar. Es war keine Zeit für Gedanken geblieben. Es war knapp gewesen… gefährlich. Um ein Eingreifen wäre ich nicht herumgekommen.

Ich wollte mir nicht vorstellen, wie es weitergegangen wäre, hätte man ihm seinen Spielraum gelassen. Es war soviel anders, als wenn ein normaler Mensch den Verstand verlor. Die Wut war in den Händen eines Schwachen eine so unnütze Sache, jedoch so vernichtend, wenn sie über jemanden hereinstürzte, wie er es war.

Unverantwortlich. Fatal.

Er, der jeder Gefahr so kontrolliert gegenüberstand.

Er, der trotzdem viel aufs Spiel setzte.

Er konnte sich so etwas nicht erlauben…!

War es Wut, die plötzlich in mir rumorte?

Ein knappes Zucken durchfuhr meine Miene und wie in der Hilflosigkeit selbst, räkelte ich mich an diesem Baum, löste mich murrend von ihm und erwischte einen nahen Stein mit einem trägen Tritt.

Die Fortsetzung meiner vorherigen Verfassung? Ich hatte ihn schon seit gestern mit anderen Augen gesehen. Ich hatte viel vermutet und nichts begriffen. Blind war ich diesem Geschehnis entgegengetaumelt, das mir meine Ratlosigkeit, mein völliges Unverständnis dem Jungen gegenüber, nur noch deutlicher vor Augen führte!
 

~*tbc*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2010-12-14T14:51:21+00:00 14.12.2010 15:51
WILLST DU MICH UMBRINGE??? Das war der schock meines Lebens!! QQ
Von:  Shuu_san
2010-12-11T16:09:07+00:00 11.12.2010 17:09
wow...allen tickt aus O.O *unter tisch robb*..... na hoffentlich wird dass wieder...hatt schon recht, ich glaube ich währe auch nicht begeistert an seiner stelle *nick*
...du stellst doch bald wieder was hoch oder *glubbsch*


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