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Reqium of Darkness & Quiet Symphony

Walker x Kanda
von

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Vermisst

Es kam selten vor, dass mich eine gewisse Unruhe plagte, mich das Erreichen des Hauptquartiers kaum erwarten ließ. Ich ließ es mir nicht ansehen… natürlich tat ich es nicht aber meine Augen suchten nach dem Ende des Tunnels, nach jedem Eingang und nach jeder Tür, die dem Erreichen unseres Zieles im Wege stand.

Ich ging ruhigen Schrittes, schlenderte neben Miranda, als sei dies ein Tag, wie jeder andere. Ein Tag, an dem ich nichts anderes erwartete, als den nächsten Auftrag und die nächste Rolle, die ich zu spielen hätte.

Und dabei plante ich soviel, war voller Erwartung… selbst ein Quäntchen Freude begleitete mich auf den letzten Metern, die uns von dem großen, steinernen Treppenhaus trennten. Zwei Tage hatte ich mir all diese Empfindungen aufgehoben, zwei Tage meine Erwartungen geschürt und nachdem wir die letzte Tür hinter uns ließen, legte ich den Hinterkopf in den Nacken, blickte auf zu den nächsten Etage und lauschte der Stille, die uns umgab.

Es war spät und unsere gemächlichen Schritte waren das einzige, was eine gewisse Atmosphäre ausmachte, als wir eine schmale Treppe hinaufstiegen.

Miranda war still, hielt sich entspannt an meiner Seite und machte sich bereits an ihrer Uniform zu schaffen. Uns war nicht viel abverlangt worden. Unsere und vor allem meine Ohren und Mund hatten die größte Leistung erbracht, während Mugen nicht ein einziges Mal zum Einsatz gekommen war.

Ein leises Knurren drang an meine Ohren, als wir eine steinerne Ecke hinter uns ließen. Augenblicklich erlagen meine Gedankengänge und als ich zu meiner Begleiterin lugte, hatten deren Hände in jeder Bewegungen innegehalten. Mit erhobenen Augenbrauen starrte sie zu ihrem Bauch hinab, verzog unter dem nächsten Gluckern das Gesicht und traf kurz auf meinen Blick.

„Oh.“ Ein nervöses Lächeln zog an ihren Lippen und rasch bettete sie beide Hände auf ihrem Bauch, versuchte ihn zum Schweigen zu bringen. „Es tut mir leid… so etwas.“

Meinetwegen…

Ich wandte mich nach vorn, rückte an dem Waffengurt.

„Ich sollte wohl dringend etwas essen.“ Sie räusperte sich verlegen und ich nahm einen schmalen Quergang in Augenschein. „Die Berichterstattung dauert bestimmt nicht la…“

Ihre Stimme versiegte, als ich abbog, von dem Weg abkam und mich lieber diesem hier widmete.

„Äh…“

Nur wenige Schritte ging ich, bevor ich inne hielt, mich lustlos umdrehte und sie nervös dort stehen sah. Die Hände noch immer auf dem Bauch, starrte sie mich mit großen Augen an.

„Ich esse jetzt“, erklärte ich es ihr knapp. Das machte ich meistens so und Miranda hob die Augenbrauen, presste unter der Verlockung die Lippen zusammen und spähte dennoch unentschlossen zur Seite.

„Aber Komui…“

„Der jammert schon nicht.“ Somit winkte ich ab und führte meinen Weg fort. Und hinter mir herrschte Stille.

„Denkst du, es wäre schlimm, wenn ich auch…?“ Sie schien wie erstarrt und ich schöpfte tiefen Atem, verdrehte die Augen.

Viel zu berichten gab es ohnehin nicht. Was stellte sie sich so an?

„Mach, was du willst.“ Mit diesen Worten erreichte ich auch schon das Ziel, tat es durchaus zielstrebig und strengte mich nicht an, meine Ungeduld zu verbergen, als ich die Klinke hinabdrückte und mich in den Speisesaal schob. Meine Erwartungen ließen sich glaubhaft hinter dem Hunger verstecken. Hunger, den ich nicht verspürte und ausgiebig blickte ich mich um, betrachtete mir die Masse der Essenden genau und wachsam.

Ich hatte ihn schon vor mir gesehen… ja, viele meiner Fantasien, die mich auf dem Weg beflügelten, ließen mich diesen Saal betreten und ihn erspähen. Nicht weit von mir hatte er sich niedergelassen, früh auf sich aufmerksam gemacht und ich war an ihm vorbeigezogen, ihm nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit geschenkt und mich nur bestätigt gesehen. Er war da gewesen… so, als hätte man ihn nicht vermisst und nun hier in der Realität, verlangsamte ich die Schritte, spähte bald fieberhafter um mich und tat es nicht sehr unauffällig.

Kein weißer Schopf…

Das Meer aus dunklen Schöpfen und hellen Kapuzen umgab mich, sowie das Rauschen der Stimmen und das Scheppern des Geschirres. Es waren viele hier und ich drehte mich zur Seite, fixierte mich bald nur noch auf die langen Tafeln. Vereinzelte Teller… niemand von den Anwesenden hatte einen besonders ausgeprägten Hunger… niemand von ihnen ließ mich aufatmen und als ich die letzte Tafel hinter mir ließ, tat ich es dennoch und aus einem anderen Grund.

Hier war er also nicht… es sollte mich nicht verwundern, denn selbst der Junge hielt sich nicht permanent hier auf. Es war spät…

Vermutlich schlief er. Vermutlich lag er in seinem Bett, wild in der Decke verfangen… still und beschützt, mit ruhigem Atem.

Ich spreizte die Finger, räusperte mich und kam vor der Theke zum Stehen. Ich bettete die Hände auf dem Holz und nahm die Küchentür in Augenschein.

Hier war ich an einem Punkt angelangt, an welchem mir Fragen beantwortet wurden. Hier würde ich erfahren, ob er schlief… ob er… hier war und still verfolgte ich die Bewegung der Tür. Jerry hatte mich rasch bemerkt, ebenso rasch, wie ich ihn studierte, als er sich auf den Weg zu mir machte. Zwischen den Händen ein Handtuch wendend, um sich von der letzten Feuchtigkeit zu befreien, die Augen flüchtig auf den Boden gerichtet und als er vor mir zum Stehen kam… seufzend… blieb mir nichts anderes übrig, als ihn anzustarren.

Er war doch hier…?

Er war es doch, nicht wahr?

Ich öffnete den Mund, tat es so unentschlossen, wie lange nicht mehr und schloss ihn wieder.

Hatte ich überhaupt noch eine Frage zu stellen?

Noch immer wurden die Hände bearbeitet und Jerrys Lippen verzogen sich nur brüchig zu einem Lächeln, als er meine Aufmerksamkeit erwiderte.

„Willkommen zurück, Kanda.“ Somit fand das Handtuch seinen Platz über seiner Schulter und ich verstrickte mich in ein knappes Blinzeln, lugte zur Seite. „Was kann ich dir bringen?“

Selbst Jerry hatte vermutlich seine Dinge, über die er sich sorgen konnte. Meine Assoziation in die Richtung des Jungen war unbegründet und sobald ich mir meiner Schweigsamkeit bewusst wurde, richtete ich mich auf, festigte meine Haltung.

„Das Übliche“, meinte ich dann nur, bekam ein mildes Nicken geboten und verfolgte argwöhnisch, wie sich der Koch abwandte und zur Küche zurückschlürfte. Hinter ihm fiel die Tür zurück in ihre Angeln und für wenige Augenblicke stand ich nur dort, bewegte die Finger auf dem Holz und bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen.

Das hier war nicht das, was ich erwartet hatte. Nicht die Atmosphäre, in die ich eintauchen wollte.

Kein weiterer Versuch Jerrys, ein heiteres Gespräch zu beginnen…

Sollte es mich auch nerven, sollte ich den Versuch auch zunichte machen…

Ich täte es erleichtert und würde mich so verhalten, wie ich es immer tat.

Ich senkte die Lider, schloss beinahe die Augen und langsam wandte ich mich um, kehrte der Theke den Rücken und blickte offen in die Masse der Hungrigen.

Diese Atmosphäre wollte ich nicht…

Nicht jeder kannte den Jungen, nicht jeder würde sich so immens den Sorgen hingeben, dass sie durch die äußere Hülle drangen. Die Anwesenden taten es auch nicht… sie kannten ihn nicht und ließen es sich schmecken.

Ich verengte die Augen, tastete hinter mir nach dem Holz und legte den Kopf schief.

Trotzdem… es drang in mich ein. So auffällig, als bestünde diese Masse aus Trauermienen.

Es war so leer.

Und wieder blickte ich um mich, verstrickte mich noch intensiver in den Versuch, fündig zu werden. Ich suchte nach ihm, betrachtete mir jeden einzelnen näher. Tat es unbewusst, selbst, wenn es sich um einen Erwachsenen handelte.

Meine Sinne mussten mir einen Streich spielen… das, was ich wahrnahm, war ein Trug, der meine Hoffnungen verspottete.

Ich lag nicht falsch…

Die Küchentür klickte, die Schritte erhoben sich und ich riss mich von der Masse los und wandte mich an Jerry. Das Tablett, das er bei sich trug, erregte nicht meine Aufmerksamkeit. Auf sein Gesicht konzentrierte ich mich und ein tiefer Atemzug war mir dabei behilflich, einen Mut zu schöpfen, der meine Reserven überstieg.

Wieder dieses matte Lächeln, als er das Tablett abstellte und nur langsam tastete ich danach.

„Warum so fertig?“

Ich stellte eine Frage der Art, die nicht ein Teil von mir war. Ich erkundigte mich nicht nach solchen Sachen… ich tat es einfach nicht. Niemals.

Ein weiteres Seufzen erhob sich und sogar das Gesicht musste sich Jerry reiben, als er sich auf die Theke stemmte, ihm mein Blick angespannt folgte.

„Hält dich die Bohnenstange auf Trab?“

Er war nicht verwundert. Er tat, als stellte ich solche Fragen jeden Tag. Als würde ich mich bei jeder Begegnung nach seinem Gemütszustand erkundigen… ihm stand einmal nicht der Sinn nach Verwunderung und reglos verharrten meine Finger am Rand des Tabletts, als er nur den Kopf schüttelte, den Blick senkte.

„Ich wünschte, es wäre so.“ Seine Stimme war nicht mehr als ein permanentes Seufzen und Ächzen und vermutlich erbrachte ich keine sonderlich auffällige Reaktion. Ich spürte kaum eine Regung meines Gesichtes, blickte nur auf, als er sich aufrappelte, sich die Hände rieb.

Auch er machte diese Atmosphäre aus. Vor allem er.

„Der Junge ist nicht da.“ Beinahe hilflos sah er mich an, suchte nach einem Trost, den ich ihm nicht geben konnte. Jetzt nicht mehr, nicht noch einmal. „Ich würde ihm ja liebend gerne vierfache Portionen bereit machen… ich würde ihm wirklich gerne etwas kochen…“, er zuckte mit den Schultern und ich blickte zur Seite, schürzte die Lippen.

Er sagte mir nichts Uninteressantes… ich nahm Anteil, tat es so viel mehr, als ich es zeigte.

Ich wusste nicht, was ich dachte. Seine Worte versetzen mir einen Schlag, der mich innerlich erstarren ließ und für einen kurzen Moment wünschte ich mir nur, die Zeit zurückzustellen. Ich wollte zurück in den Flur… und ohne Umwege in mein Zimmer, um mir meine Hoffnungen für wenige, jämmerliche Stunden zu bewahren.

Doch ich war hier und Jerry schüttelte verzweifelt den Kopf, stemmte die Hände in die Hüften.

„Fünf Tage… das ist zuviel!“

Aus den Augenwinkeln sah ich ihn an, zog stockend das Tablett um ein Stück näher und war nicht einmal zu einem Nicken imstande.

„Tja…“, er versuchte sich in einem geplagten Lächeln. „Ich kann nichts machen.“

„Mm.“

Ich hatte nichts mehr zu sagen.

Was ich in Erfahrung bringen wollte, hatte er mir gesagt und so, wie er sich seufzend abwandte, nahm auch ich das Tablett an mich und suchte mir einen freien Platz.

Und ich war abwesend. Jede Bewegung tat ich automatisch, ließ mich nieder, ohne Wert auf meine Wahrnehmung zu legen und griff mechanisch nach den Stäbchen.

Zwei Tage hatten mich nicht in Unruhe versetzt… wie ich es sagte, es war keine bedeutende Zeit. Soviel anders wäre es nach insgesamt einer Woche…

War das so, ja?

Ich fühlte mich nicht danach, als wäre ich dazu imstande, gedanken- und sorglos weitere Tage hinter mich zu bringen. Was hatte ich mir da nur zugemutet?

Nur beiläufig bemerkte ich Miranda. Gemeinsam mit Linali hatte auch sie den Weg hierher und zur Theke gefunden. Und das Gespräch, zu dem ich nicht fähig gewesen war, wurde nun scheinbar mit Jerry geführt. Beinahe hörte ich sein Seufzen bis zu mir, verfolgte Mirandas Gestiken, studierte Linalis Haltung… und senkte die Augen zu dem Tablett.

Fünf Tage… und es wirkte soviel länger, wenn man die Nächte mitzählte.

Tatsachen über Tatsachen, nur selten fühlte ich mich mit der Realität so überfordert und in den ersten Augenblicken kreiste ich nur mit den Stäbchen in den Nudeln, verfolgte die Bewegungen abwesend und ansonsten reglos.

Auf einen solchen Fall war ich nicht vorbereitet und wie verfluchte ich mich für meine utopischen Erwartungen, für meine Blindheit, in der seine Rückkehr einfach außer Frage stand. Meine falsche Zuversicht, ihn gesund bei mir zu haben… und die folgende Nacht nicht alleine verbringen zu müssen.

Er war stark… er war es immer noch… und er war verschwunden.

Ich bewegte die Lippen aufeinander, blinzelte unter einer Strähne, die sich zu meinem Gesicht senkte.

Vielleicht… dachte ich mir trübe, ja, vielleicht war doch ein Anruf zu Komui durchgedrungen? Gerade eben erst und so kürzlich, dass Jerry es noch nicht wissen konnte?

So kürzlich, dass auch Linali…

Klirrend gingen die Stäbchen auf das Tablett hinab und ich stemmte die Ellbogen auf den Tisch, rieb mir den Mund. Hatte ich den utopischen Gedanken nicht abgeschworen?

Sollte ich nicht realistisch denken?

Wagte ich es mir…?

Ich starrte zur Seite, starrte zur steinernen Wand und kreuzte die Beine unter dem Tisch.

Was Komui wusste, wusste auch Linali.

Wie laut würde Jerry aufächzen… wie erleichtert würde er lachen…

Langsam drifteten meine Pupillen zurück zur Theke. Linali und Miranda waren zurückgeblieben, standen nahe beieinander und waren noch immer in Gespräche vertieft.

Ich zog die Nase hoch, regte die Hände am Mund und bekam einen Fingernagel mit den Zähnen zu fassen. Duftend zog der Dunst der Nudeln vor meinem Gesicht auf, raunend umgaben mich noch immer die Stimmen und Linali rieb sich das Gesicht, schüttelte den Kopf.

Abwesend begann ich den Fingernagel zu bearbeiten, verzog den Mund und senkte die Pupillen zum Tisch.

Man konnte hier nicht auf Allen verzichten.

Ich… konnte nicht auf ihn verzichten.

Mein Mund fühlte sich trocken an, ein kühler Schauer schien mich von Kopf bis Fuß zu durchlaufen und mein Körper setzte sich in Bewegung, als reiche mein Wille nicht aus, um mich von den düstersten Vorstellungen zu befreien. Ich schüttelte den Kopf, schloss flüchtig die Augen und folgte meinem Haar mit beiden Händen bis zum Zopf.

Oh Gott…

Die Wangen aufblähend, tastete ich nach den Stäbchen und räusperte mich laut. Nein, diese Richtung hatte ich zu meiden. Ich hatte bei klarem Verstand zu bleiben und beinahe gezwungen, versenkte ich die ersten Nudeln im Mund.

Ich aß nicht viel, ließ mir keine Zeit, als würde mir etwas Wichtiges bevorstehen. Der Genuss der vertrauten Speise blieb mir ebenso fern, wie die Ruhe und die Schale war gerade einmal um die Hälfte der Nudeln befreit, als ich auf die Beine kam, das Tablett mit mir zog und zurückbrachte.

Ich wusste nicht, was ich zu tun gedachte… was in meinen Möglichkeiten stand, doch der strikte Weg zu Komui erschien mir wie die Möglichkeit auf ein Stück Hoffnung.

Nach Vermissten suchte man und ohne eine Leiche wurde niemand abgeschrieben. Achtlos ließ ich Linali und Miranda hinter mir und kurz darauf auch den Speisesaal. Meine Schritte waren soviel ruheloser, das Ziel mir umso wichtiger und ich ließ mich nicht aufhalten, umging jeden Umweg und klopfte bald darauf an die Tür des Abteilungsleiters. Ich hatte Bericht zu erstatten. Viel gab es nicht zu sagen und doch war ich auf ein Gespräch aus, einfach darauf, zu erfahren, was er zu tun gedachte. Er konnte weitaus mehr unternehmen, als ich.

Im Stuhl zurückgelehnt und auf dem Schoß eine Mappe, winkte er mich näher, schürzte die Lippen und wandte sich wieder den Unterlagen zu. Er entsprach meinen düstersten Erwartungen… offenbarte weder Entspannung, noch den Hauch eines Lächelns und schöpfte tiefen Atem, als er die Mappe schloss, sie noch etwas und unentschlossen zwischen den Händen bewegte. Hohe Bücherstapel ragten von jeder Ecke des Schreibtisches auf und er blickte von einem zum anderen, als wäre er allein durch den Anblick überfordert.

Ich erreichte unterdessen das Sofa, ließ es hinter mir und trat an den Schreibtisch heran. Komuis Hand hob sich, träge begrüßte er mich mit einem Wink und machte sich daran, sich aufzurappeln.

„Willkommen zurück“, meinte er auch und deutlich war ihm anzusehen, dass er sich zusammenriss, dass er sich festigte. Kurz rieb er sich den Hals, rückte sich zurecht und ich erwischte seine Augen dabei, wie sie sich erneut auf einen der Bücherstapel richteten. „Gab es Komplikationen?“

„Nein.“ Aufmerksam behielt ich ihn im Auge. „Die Einheiten wurden sicher übergeben, zu Gefechten kam es nicht.“

„Gut…“, er weitete die Augen, nickte in sich hinein, „… ja, das ist gut. Ähm…“ Er presste die Lippen aufeinander, starrte an mir vorbei und schien zu grübeln. Es fiel ihm schwer und während er nach den nächsten Worten suchte, brach meine Aufmerksamkeit vollständig ab. Ich entzog sie ihm, als ein leises Rascheln an meine Ohren drang. Hellhörig spähte ich zur anderen Seite.

„Geht es Cloud gut? Bevor sie uns den Brief zugestellt hat, habe ich eine Weile nichts von ihr gehört.“

Stirnrunzelnd lehnte ich mich zur Seite, folgte mit den Augen einer Bewegung.

„Ja…“, nur leise antwortete ich und lautlos taumelte ein kleiner Notizzettel zu Boden, „… ihr geht es…“

Ein Zucken durchfuhr mein Gesicht. Mein Körper kannte keine Grenzen mehr, bei dem Bild, das sich mir bei genauerer Betrachtung bot. Ich reagierte offensichtlich, ohne nachzudenken und keines weiteren Wortes fähig.

Raschelnd streckte sich der goldene Flügel des Golems hinter einem der Stapel hervor, selbst der dünne Schwanz rutschte über die Kante des Schreibtisches und mit einem Schritt musste ich mich überzeugen. Abrupt war die Stille zwischen uns eingetreten, als ich um den Tisch herumtrat, mich zu jenem Stapel neigte und auf Timcanpy starrte, der sich lebhaft zwischen den Papieren regte.

Den Mund einen Spalt weit geöffnet, war ich für wenige Sekunde zu keinem Blinzeln fähig.

Der Stuhl des Abteilungsleiters knarrte, als er sich zurücklehnte und es fiel mir wirklich schwer, mich von dem Golem loszureißen, stockend zu Komui aufzuspähen. Direkt trafen unsere Blicke aufeinander und ebenso schnell wandte Komui den Kopf, als bedauere er meine Aufmerksamkeit.

>Sag etwas!<, fauchte ich ihn still an. Jede Sekunde war eine Sekunde zuviel und er faltete die Hände ineinander, ließ den Hinterkopf gegen die Lehne sinken.

„Er kam gestern Abend zurück“, fand er dann endlich zur Sprache zurück und kurz starrte ich hinab, als der Flügel des Golems meine Hand streifte. „Die aufgezeichneten Erinnerungen sind undurchsichtig.“

„Undurchsichtig?“ Ich setzte mich in Bewegung, ließ den Bücherstapel hinter mir und fixierte ihn von der anderen Seite des Schreibtisches argwöhnisch.

„Mm-mm.“ Die Augen zu den Händen gesenkt, nickte Komui… längst war seine zurückeroberte Fassung gebröckelt und ich legte den Kopf schief, stemmte mich mit beiden Händen auf die Arbeitsfläche. „Auf Allens Mission ist es zu unerwarteten Kämpfen gekommen. Das Einzige, was wir gesehen haben, waren Explosionen und Angreifer.“ Er holte tief Luft, wies mit einer Kopfbewegung auf den Golem. „Während dieser Gefechte hat Tim Allen aus den Augen verloren und später nicht wieder gefunden. Und er hat zwei Tage nach ihm gesucht.“

Ich glaubte nicht, was ich hörte. Mit jedem Ziel, das ich hier erreichte, traf ich auf unzumutbare Nachrichten und gemeinsam ließen wir den Kopf sinken. Um die entronnene Beherrschung kämpfend, regte die Finger auf dem Schreibtisch und nahm ihn kurz darauf wieder in Augenschein.

„Was hast du unternommen?“, verlangte ich zu wissen, tat es, ohne meine Ungeduld vollständig zu vertuschen. „Seit gestern Abend.“

Er erwachte zum Leben. Seine besorgte Miene verzog sich zu undeutlichen Ausdrücken und kurz darauf zog er zischend die Luft durch die Zähne. Eine klare Reaktion, die ich zu deuten wusste und stockend richtete ich mich auf.

„Nichts?“, erkundigte ich mich argwöhnisch.

„Ich…“, ziellos gestikulierte er mit der Hand, rückte sich zurecht und abermals schöpfte ich vor Ungläubigkeit tiefen Atem, stemmte die Hände in die Hüften. Mir gegenüber war etwaige Ruhe abhanden gekommen. Beinahe schien es, als hätte ich Komui an etwas erinnert und unter meinem bestürzten Blick rieb er sich den Mund, blickte fieberhaft um sich. „Mir stehen nicht die Möglichkeiten zur Verfügung, die ich gerne hätte… ich habe meine Befehle und von ihnen so viele, dass ich unmöglich jemanden aussenden kann, um Allen zu suchen. Mir geht es damit nicht besser, als euch.“

Wie eine Rechtfertigung, pure Unsicherheit und ich ließ ihn nicht aus den Augen.

Mit dem Auftauchen des Golems gab es auch in mir kaum noch Fassung und keinen Glauben seinen Worten gegenüber.

„Ich kann nichts tun“, fügte er hilflos hinzu, als er auf meinen Blick aufmerksam wurde. „Denkst du, ich würde nichts unternehmen, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte?“

„Ich…“, hob ich bitter an, „… bekam Besuch von zwei der besten Exorzisten, als ich mich fast zwei Tage nicht gemeldet habe!“

Daran erinnerte er sich. Offensichtlich überfordert rieb er sich die Augen.

Allen selbst war mit Linali bis nach Griechenland gereist, ohne, dass für mich auch nur die geringste Gefahr bestand! Mit finsterer Miene neigte ich mich abermals über den Schreibtisch.

„Drei von uns hast du geschickt, um nach zweifelhaften Informationen einen Tagebau zu inspizieren! Fünf weggeworfene Tage, ohne Erfolg!“ Ich stemmte mich ab. „Als sich Linali um vier Stunden verspätete, hast du durch die halbe Welt telefoniert und vor nicht einmal zwei Monaten traf ich während einer Mission auf zwei Exorzisten, die völlig tatenlos auf Anweisungen warteten!“ Verbittert presste ich die Lippen zusammen und das Einzige, wozu Komui fähig war, war ein stummes Kopfschütteln. „Und jetzt schickst du Miranda und mich nach Frankreich, obwohl es sich nicht um eine Sache höchster Dringlichkeit handelte? Nein, Komui… ehrlich.“ Tief atmete ich durch, richtete mich um ein Stück auf. „Erzähl mir nicht, dass es auf der ganzen Welt nicht zumindest einen fähigen Exorzisten gibt, den du mit der Suche beauftragen kannst.“

„Es bleibt mir nichts anderes übrig, Kanda.“ Vergrämt und selbstquälerisch kämpfte er sich durch die nächste Rechtfertigung und war dabei so voller Selbstzweifel. „Außer Linali, Miranda und dir ist gerade keiner mehr hier. Es gibt so viele Anliegen“, mit einem müden Wink machte er mich auf einen Stapel schwarzer Mappen aufmerksam, „… um die ich mich einfach kümmern muss.“ Sein Ellbogen traf auf die Armlehne, sein Leib sank zur Seite und ächzend stemmte er das Gesicht in die Hand. „Die Finder vor Ort suchen immer noch nach ihm.“

„Die Finder.“ Fassungslos weitete ich die Augen und mir gegenüber wurde gestöhnt. Ich konnte ihn nicht schonen… ich konnte keine Rücksicht üben. Er war der Einzige, der überhaupt eine Wahl hatte! „Walker braucht keine Finder, Komui! Die zur Unterstützung zu schicken, heißt niemanden zu schicken!“

„Gut, dann sag mir, was ich tun soll.“ Mit jedem Moment wirkte er zermürbter und als er sich aufrichtete, konnte man schlaflose Nächte erahnen. „Sag mir, was ich als Befehlshaber in schweren Zeiten für Möglichkeiten habe. Meine Vorgesetzten verlangen schnelle Resultate, die mich derzeit dazu zwingen, jeden von euch permanent einzusetzen.“ Trübe nahm er mich in Augenschein und ich schluckte schwer, schwankte zwischen meinem Zorn und der eigenen Machtlosigkeit, die ich nicht akzeptieren konnte. „Ich bin in keiner anderen Lage, als du. Ich muss Befehle befolgen.“

Ein geräuschvoller Atem kam über meine Lippen, ziellos wandte ich mich ab und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Eine knappe Stille brach über uns herein und Komui machte sich wieder an seinem Gesicht zu schaffen.

„Das heißt“, resignierend betrachtete ich mir den Golem, der sich flatternd in die Lüfte erhob und sich auf dem Stapel niederließ, „… dass du nichts wirklich Produktives unternimmst, dass es einfach weitergeht und wir auf ein Wunder hoffen?“

Es war ein Alptraum, zu dem Komui nichts mehr beizusteuern hatte. Ich erhielt keine Antwort, betrachtete mir diesen herrenlosen Golem und dachte an nichts.

Meine Hoffnungen waren närrisch gewesen und diese Situation so festgefahren, dass mir das Atmen für einen kurzen Moment schwer fiel. Ich rang nach Luft, hielt den Mund fest verschlossen und senkte das Gesicht.

„Komui, es gibt keine Wunder.“ Ich sprach das aus, was niemand hören wollte, betrachtete ihn mir aus den Augenwinkeln. Entgegen den Worten des Marshalles. Das hier war meine Situation, meine Meinung. Von ihren aufmunternden Worten war ich an diesen grauen Ort zurückgekehrt. „In der Welt, in der wir leben, passiert so etwas nicht.“

Ich hatte nichts zu verkünden.

Es war keine Neuigkeit und Komui sich alldem überaus bewusst.

Und so schien es zu enden.

Mein Gang in sein Büro, an den ich so viele Erwartungen knüpfte und auf keine von diesen traf. Hoffnung gab es hier nicht. Ich fühlte mich benommen vor Hilflosigkeit, in der ich in dem darauffolgenden Schweigen bald den Kopf senkte, ihn einfach schüttelte und zu keinem weiteren Wort mehr fand.

Befehle genügten, um ihn aufgeben zu lassen?

Hatte er nicht immer eine Lösung gefunden? Gab es keine Pläne für den Notfall?

Was geschah hier? Was waren das für Zeiten und erbärmliche Zufälle!

Die Hände in die Hüften gestemmt, sah ich diesen Golem an, tat es trübe und für diese Augenblicke selbst kapitulierend.

„Du kannst gehen.“

Ein weiteres Mal blickte Komui nicht zu mir auf. Die Augen auf wahllose Unterlagen gerichtet, regte er sich auf seinem Stuhl, rückte an einer Mappe und rieb sich die Nase.

Das, was ich ihm gesagt hatte, wollte er nicht hören. Natürlich nicht. Ebenso wenig, wie es mir leicht fiel, es auszusprechen.

Und nun schickte er mich fort, um in seiner Tatenlosigkeit allein zu sein.

Mir fehlte der Glauben. Diese Augenblicke wirkten so irreal, als entsprangen sie einem Alptraum, der uns höhnisch verlachte! Unsere Hände waren gebunden, unsere Schritte an Anweisungen geknüpft. Wir alle hatten zu gehorchen!

Die Lippen aufeinandergepresst, starrte ich ihn nur an, bevor ich mich abwandte und finsteren Blickes das Büro verließ. Weitere Worte hätten nur weitere Vorwürfe gebracht, möglicherweise Ausdrücke, die ich nicht beabsichtigte und so wählte ich das Schweigen und beschränkte das Wüten auf mein Innerstes. Durchaus geräuschvoll schlug die Tür hinter mir in die Angeln und nachdem ich die Wissenschaftsabteilung durchquert hatte, tat es auch die Zweite.

Dumpf traf meine Faust auf das dunkle Gestein des Ganges und rieselnd bröckelte es zu Boden, als ich auch schon weiter zog, den Blick finster auf den Boden gerichtet und während der ersten Schritte mit keinem festen Ziel vor Augen.

Hier und jetzt war der Punkt, an welchem sich meine Hoffnungen der Realität stellten und sich meine Ruhe verflüchtigte. Zuversicht, die sich unter diesen Umständen als Selbsttrug entpuppte. Ich war mir so sicher gewesen… so voller Erwartungen, dass ich die schlimmsten Vorstellungen nicht akzeptierte, nicht für mich annahm.

Kein Hohn Lavi gegenüber aber vielleicht dennoch die kleine Notiz in einer Akte. Unauffällig und bald vergessen. War das die Rolle, die er hier spielte? Bis vor fünf Tagen?

War es das, was Komui in ihm sah? Eine Angelegenheit, für die er sich keine Zeit nehmen konnte?!

Ich war so aufgebracht…

Es hatte sich soviel in mir angestaut. So viele Befürchtungen, so viele Ahnungen mit dem finstersten Ausgang, den man sich vorstellen konnte. Zweifel, Vorstellungen… soviel, das ich hinter die Hoffnung gestellt hatte und dem ich mich nun offen ausgeliefert sah.
 

Gerne und durchaus ermüdet ließen sich meine Augen gern schließen, sich mein Körper gern auf dem steinernen Boden postieren, auf welchem ich kauern blieb. Inmitten einer kleinen Trainingshalle und dem schummrigen Licht weniger Lampen, die an den steinernen Wänden flackerten. Es kam oft vor, dass ich mich dem öffentlichen Tumult einfach entzog. Oft aus keinen besonderen Gründen, eher aus einer Gewohnheit heraus, aus dem Wunsch nach Abgeschiedenheit.

Ein Ort, der mir stets Wohlbehagen und Ruhe brachte… ab heute wäre er in meinen Erinnerung ein Platz, den ich so dringend benötigte, wie die Luft zum atmen und in dem ich doch nur saß, um in meiner aufgezwungenen Tatenlosigkeit vor mich hinzusiechen.

Leer und kühl erstreckte sich die Halle vor mir, als ich die Beine kreuzte, mich in den Schneidersitz schob und mich unter einem tiefen Atemzug aufrichtete. Ich war nicht geübt darin, meinen klaren Kopf zu verlieren, hatte keine Erfahrung darin, mit den Gedanken nicht am rechten Ort zu sein. Ziellos und wirr streiften sie umher, drängten mich in ein betäubendes Gefühl der Benommenheit, in dem ich mich zu einer Meditation zwang.

Wie auch immer es weiterging… mein Denken hatte klar zu sein, meine Aufmerksamkeit ungebrochen und auf die Gegenwart gerichtet. Ich konnte keine Entscheidungen treffen, wenn ich mich selbst nicht mehr erkannte und erneut atmete ich gegen diesen Zorn an, stieß die Luft aus und mir ihr einen Teil meiner Anspannung. Beherrschung, Ruhe… und ich lenkte meine Meditation in diese Richtung, behielt die Augen geschlossen und tat es entspannt. Zielstrebig fanden meine Hände zu meinen Knien, suchten sich flüchtig den richtigen Halt und verharrten reglos, sobald mein Körper es vollends bequem hatte.

Wenigstens für die nächsten Stunden, fort von der Realität und hinein in Gefilde, die Reserven für mich bereit hielten, mir eine Hilfe sein würden im Umgang mit all den Problematiken.

Ein letztes Mal bewegte ich die Lippen, regte auch die Schultern und sank unter einem langen Atemzug in mich zusammen.

Fort von der Realität, fort von der Kälte dieser Halle und lange hatte es nicht mehr solange gedauert, bis ich mich dem Hier und Jetzt mit Körper und Geist entzog. Der harte Boden unter mir verlor an Existenz, selbst der eigene Atem schien in meinen Ohren zu verstummen und immerzu den stummen Spruch meditierend, näherte ich mich dieser Dunkelheit, dem endlosen Nichts, das vollendete Losgelöstheit mit sich brachte. Ich schwankte in dieser angenehmen Finsternis, schwebte in ihr, sowie ich auch festen Boden spürte, einen sicheren Stand.

Und still zog die Zeit an mir vorbei, ohne, dass ich ein Teil von ihr war. Ich war losgelöst, war nicht mehr irgendwo und auch nicht irgendwann. Das Gefühl des Körpers erstarb, die Hülle gab Etwaiges frei, das in mir herrschte und beinahe kam mein Atem zum Erliegen. Nur ein Quäntchen Sauerstoff nahm ich ihn mir auf, lautlos atmete ich aus und leise drang ein Scharren in mein Bewusstsein.

Es war nicht vielmehr, als ein Echo… nur eine Vermutung und doch begann ich aufzutauchen, mich von dem Nichts zu trennen. Automatisch, jedoch nicht aufgeschreckt und bald selbst verwundert darüber, dass mich ein so geringer Laut erreichte.

Von der Befreiung zurück zur vollendeten Ernüchterung. Es hatte mir die Konzentration gefehlt, mich vollends abzuschotten. Es gab Zeiten, da öffnete und schloss man dröhnend die blecherne Tür, ohne, dass ich es wahrnahm und unter einem ersten tiefen Atemzug kam ich zu mir. Die alte Kälte, die mir vom steinernen Boden entgegen zog, auch die Kälte der Halle und noch immer in meiner Haltung erfroren, hob ich etwas die Lider und blinzelte zur Seite. Nur kurz, bevor ich die Augen abermals schloss.

Eigentlich eine überflüssige Sache. Es gab nur einen Menschen, der mir bei meinen Meditationen Gesellschaft leistete. Wenn auch aus anderen Gründen als aus dem Wunsch, sich einen klaren Kopf zu verschaffen. Wieder erhob sich das leise Scharren… direkt neben mir und ich spürte das flüchtige Zucken meiner Stirn.

Ich war wach… war es vollends und sofort wurde es registriert.

Die alte Still brach herein, durchdrungen nur von den leisen, gleichmäßigen Atemzügen neben mir.

Unauffällig regte ich die Finger, verzog die Brauen…

„Es tut mir leid.“ Annähernd lautlos erhob sich ein Flüstern. „Ich… wollte dich nicht stören.“

Natürlich…

Abermals öffnete ich die Augen, blinzelte zur anderen Seite und lauschte der zurückgekehrten Stille.

Sie störte mich nicht… bislang hatte ich kein Problem darin gesehen, ihr zuzuhören. Auch, wenn ich mir die Frage stellte, weshalb ich es war, den sie zuhören ließ… von dem sie etwas erwartete.

Doch nun… langsam ließ ich die Hände von den Knien gleiten, umfasste sie in meinem Schoß und senkte den Kopf. Es gab viele Dinge, die sie beschäftigten. Viele Sorgen, die sie zu mir führten. Viele Einflüsse, die sie beunruhigten. Oft konnte ich erahnen, was sie auf dem Herzen hatte… und diesmal war es nicht anders. Ernüchternd, denn diesmal war ihr Problem auch meines. Ein Problem, für das ich selbst noch keine Lösung gefunden hatte.

Ich musste keine Fragen stellen.

„Mm…“, ich nahm eine unentschlossene Regung neben mir wahr, spürte, wie sich scheu zwei Augen auf mich richteten, „… Kanda…?“

Ja, ich war munter und schweigend blickte ich zur anderen Seite der Halle, rieb die Hände aneinander und richtete mich auf so einiges ein.

Ich hatte keine Ratschläge.

Ich brauchte sie selbst.

Und mein Gesicht verharrte reglos. Ich wirkte wohl nicht anders, als sonst. Unwirsch, da man mich um meine Meditation gebracht hatte und doch nicht abweisend und Linali schloss sich kurz meinem Schweigen an, auch meiner ziellosen Beobachtung.

„Weißt du…“, ihre Stimme schwankte zwischen Absenz und Besorgnis, als sie sich erhob, „… ich weiß, dass du oft mit Allen streitest… dass ihr oft verschiedener Meinung seid.“

Still ließ ich ihre Worte auf mich wirken und sie dennoch nicht zu tief dringen. Sie begann bei den Wurzeln… an einem Punkt, der es mir nicht leichter machte und rechnete vorerst mit keiner Antwort.

„Aber wenn du sagst, dass man sich keine Sorgen um ihn zu machen braucht… dass er mit alldem fertig wird…“, sie senkte den Kopf, ihre Hände rieben die Oberschenkel, „… dann wirkt es trotzdem nicht so, als wäre er dir egal. Es ist, als hättest du wirklich deine Gründe für diese Meinung.“

Hatte ich die?

Es war albern gewesen und das, was sie hörte, nicht viel mehr als eine vergängliche Sicherheit. Ich hatte sie nicht mehr hier. Ich saß hier ohne jede Festigkeit und zeigte es nicht, kontrollierte meine Miene. Sie meinte, es wäre ihr Problem… vielleicht konnte ich sie in diesem Glauben belassen.

Wenn sie nicht zu sehr an mir rüttelte…

„Ich möchte diese Sicherheit auch haben.“ Abrupt wandte sie sich mir zu, auch ihre Stimme erhob sich in einer gewissen Entschlossenheit und müde kehrte ich ihr den Hinterkopf, starrte zu einer steinernen Brüstung.

Diese Situation war… schwer.

Mit nichts anderem gleichzusetzen, als einer erdrückenden Enge, in der ich mich wand.

„Ich mache mir immer sehr viele Sorgen.“ Sie kämpfte um Festigkeit und trotzdem schenkte ich nicht einmal ihrer Stimme Glauben. Unter ihrer Fassade bröckelte sie. Tat es schon längst. „Um jeden von euch, wenn etwas passiert. Und…“, sie suchte nach Worten, „… vielleicht lade ich manchmal auch Sorgen auf mich, die gar nicht berechtigt sind? Vielleicht übertreibe ich manchmal…? Ich weiß es nicht.“

Und ich starrte noch immer auf dieses Gestein, hielt mich aufrecht und nur bedingt beteiligt. So, wie ich es immer war. Ich hörte ihr zu, ließ sie reden und erbrachte letztendlich eine Antwort, die sie zufrieden stellte.

„Ich meine, ich weiß, was auf Missionen schiefgehen kann. Es ist soviel, ohne, dass es wirklich gefährlich wird… nicht wahr?“

War ich diesmal nur ein Vorbild dafür, wie man sich am besten selbst belog?

Meine Hände übten einen kurzen Druck aufeinander auf, entspannten sich… und ich senkte die Augen zum Boden, ließ sie warten.

Und sie tat es… wartete auf eine Antwort und ergab sich unter einem leisen Seufzen der Ungeduld. Es gab soviel, das sie loswerden wollte.

„Allen ist stark… wir alle entfalten uns und wir alle haben auch seine Entwicklung verfolgt. Sie ist so immens… er ist so gewachsen, soviel mehr, als ich. Und genauso, wie du und die anderen, ist er ein so wichtiger Teil meiner Familie. Ich will ihn nicht verlieren. Ich will keinen von euch verlieren.“

Längst war das Bild des dunklen Bodens vor meinen Augen verblasst. Ich starrte nur auf einen nicht existenten Punkt, wirkte so abwesend und war dennoch so tief im Geschehen, wie sie es sich nicht vorstellen konnte. Mein Mund fühlte sich trocken an und ich schluckte… fühlte mich so beengt, da sie das aussprach, vor dem ich mich mit Meditationen scheute.

Nur Tatsachen… sie war nicht die Einzige, der es so ging.

„Aber es sind beinahe sechs Tage…“

„Komui kann nichts unternehmen.“ Sicher, wenn auch etwas gedämpft… ich unterbrach sie, blinzelte mich aus der Absenz und spähte zu gegenüberliegenden Wand zurück.

Es ähnelte einer Feststellung… einer Äußerung, die darauf schließen ließ, dass ich bei Komui all die Grenzen sah und über diese hinaus keine Möglichkeit. Doch letztendlich waren das die Gedanken, die mich selbst am meisten beschäftigten, die ich unbewusst vor ihrer Aufmerksamkeit tarnte.

Schwermütig nahm sie mich in Augenschein.

„Es ist niemand da… in zwei Stunden wirst du hier der Einzige sein… und morgen ist keiner mehr hier. Es passiert soviel… wir werden gebraucht.“

Eine Tatsache, hinter der auch sie nicht mit Akzeptanz stand. Eher etwas, das sie gezwungenermaßen auf sich nahm, ohne Fragen zu stellen… ohne aufzubegehren.

Natürlich wurden wir gebraucht. Permanent benutzt und auch nicht mehr. Für soviel, für alles… nur nicht für einen wichtigen Mitstreiter? War er der Einzige, der uns nicht brauchte?

„Meinem Bruder geht es auch sehr schlecht damit“, hauchte sie. „Er würde gerne soviel tun.“

Ich hob die Brauen… nickte. Vielmehr sarkastisch, als verständnisvoll und neben mir kroch Linali in sich zusammen. Sie zog die Beine an, schlang die Arme um die Knie.

„Kanda… was passiert hier gerade? Wie geht das alles aus? Ich kann seit zwei Nächten nicht mehr schlafen.“

Und ich spähte zu ihr. Zum ersten Mal und betrachtete sie mir dennoch nur flüchtig. Ihre sorgenvolle Miene, ihre zusammengepressten Lippen.

„Alle vermissen ihn… alle machen sich Sorgen… alle sind hilflos.“ Sie zog die Nase hoch, wandte sich zu mir sowie ich mich nach vorn. „Aber du wirkst trotzdem so kontrolliert und ruhig. Wie machst du das?“

Wie erbärmlich… und ich war nur zu einem unentschlossenen Kopfschütteln imstande, löste die Hände voneinander und strich eine Strähne von meiner Wange.

Ich tat gar nichts… war weder kontrolliert, noch ruhig. Nicht einmal während der Meditation.

Sie sah in mir eine Hoffnung, die ich ihr nicht geben konnte und beinahe furchtsam deutete sie mein Schweigen.

„Du… weißt doch sonst immer Rat...?“, flüsterte sie. „Kannst du mir diesmal nicht wieder etwas sagen, das mich beruhigt?“

Sie fragte nicht, sie flehte und ich rieb mir auch die Stirn, löste mich unter einem tiefen Atemzug aus meiner Haltung und stemmte mich zurück. Ihre Aufmerksamkeit löste sich nicht von mir, folgte mir angespannt und erwartend.

Und sie wusste gar nichts…

Wusste nicht, wie ich zu diesem Jungen stand… wie diese Fragen auf mich wirkten. Ebenso wenig ahnte sie meinen Entschluss, mich dieser Situation so zu entwinden, dass wir beide etwas davon hatten. Ich meine Zurückhaltung und sie ihre Beruhigung.

Ganz spontan kam es mir in den Sinn. Was wäre es für sie, wenn ich, der immer von Ruhe und Zuversicht predigte, auf Besorgnis und Zustimmung überlief?

Es war keine Lösung… nicht einmal annähernd, doch alles, wozu ich in diesen Momenten imstande war. Ich konnte ihr nicht die Wahrheit sagen. Sie war der Mensch dafür, nicht ich und vor allem nicht jetzt.

Ich achtete auf meine Miene. Tat es so sehr, wie lange nicht mehr. Legte Wert darauf, mich nicht zu verraten und glaubwürdig zu klingen, während ich die Lügen hervorwürgte, wie giftige Galle.

„Ich halte mich an meine Worte.“ So begann ich die Antwort der Art, die sie brauchte und sie lauschte mir aufmerksam, während ich mich auch mit dem zweiten Arm zurückstemmte. „Eine Woche ist immer noch nicht vergangen und in zwei Tagen kann viel passieren. Wie du es gesagt hast“, ich lugte zu ihr, erblickte eine erwartungsvolle Miene, „… es kann viel passieren, viele Außerplanmäßigkeiten, mit denen man trotzdem fertig wird.“

Ihr Brauen hoben sich, sie nahm meine Worte in sich auf, wie den Sauerstoff, den sie zum Überleben brauchte, während jedes Wort mich mehr und mehr erdrückte.

„Ich denke, dass er mit vielem fertig wird und dass man erst Grund zur Sorge hat, wenn weitere Tage vergehen. Du musst ihm einfach vertrauen. Du kennst seine Fähigkeiten.“ Stockend nickte sie und ich senkte das Kinn zur Brust. „Er ist nicht so zerbrechlich, wie er aussieht…“ Beinahe lautlos fügte ich es hinzu. Als wolle ich doch einen jämmerlichen Versuch unternehmen, meine Worte für mich selbst in ein glaubhaftes Licht zu rücken. Ein Scheitern auf ganzer Strecke und während ich schwer und trocken schluckte, schöpfte sie tiefen Atem.

„Du meinst also, dass ich wieder zu voreilig mit meinen Sorgen bin?“

„Ja“, stimmte ich zu und erstickte beinahe daran. „Geh auf deine Mission, mach sie ordentlich und wenn du zurückkommst…“, wie lächerlich, es war meine gescheiterte Hoffnung, „… dann ist er bestimmt wieder hier.“

„Mm.“ Linalis Gesicht verzog sich angestrengt. Konzentriert versuchte sie diese Haltung zu verinnerlichen und ich vertiefte mich in die Beobachtung der Tür. „Gut…“, sie atmete tief durch, fächelte sich mit den Händen Luft zu und rieb sich das Gesicht. „… gut…“, ächzte sie wieder und ich schürzte die Lippen. „Danke.“

Aber immer doch.

Mir war elend zumute.
 

Längst die Hoffnung auf eine nützliche Meditation verloren, verließ ich die Halle kurz darauf mit ihr gemeinsam. Sie wirkte so bestärkt… gezwungen zuversichtlich und doch noch etwas unsicher in dieser Rolle. Wie sie ihre Haltung sicherte, ihre Mimik kontrollierte… es glich einem Drama und ich sagte nichts dazu, spielte mich auf, wie der, der ihre Sorgen ein weiteres Mal zunichte gemacht hatte und das völlig gerechtfertigt.

Doch letztendlich hatte ich nur eines erreicht. Dass sie ihre Sorgen los war und ich sie zu meinen legte, zu meiner eigenen Last. Eigentlich ein gutes Ende, sehr wohlwollend ihr gegenüber und ein wirkliches Ende, als ich bald darauf mein Zimmer betrat und die Finsternis vor den Fensterscheiben erblickte. Eine wirklich dunkle Nacht und ich verbrachte sie kaum mit Schlaf, kaum mit Ruhe, saß lange auf meinem Bett, bevor ich mich hinlegte und doch nur die Konturen des Gesteins in der Dunkelheit auszumachen versuchte.

Keine Müdigkeit, kein Willen, es darauf anzulegen. Die Lage hielt mich gefangen, einfach alles an mir und stundenlang suchte ich nach Auswegen, nach Möglichkeiten… einfach nach irgendetwas, das eine Veränderung hervorbrachte. Eine Positive natürlich, an etwas anderes wollte ich immer noch nicht glauben.

Und die Nacht verging, zog an mir vorbei und machte mich erst darauf aufmerksam, als ich unter dem ersten Licht der aufgehenden Sonne blinzelte. Den Arm unter dem Kopf, die Beine von mir gestreckt, lag ich so, wie ich mich niedergelassen hatte und starrte an dieselbe Decke, die ich die gesamte Nacht hindurch erforschte. Jede Kontur, jede Unebenheit, ohne mir etwas Passendes dabei zu denken.

Grübeleien und Überlegungen… eine endlose Suche, die wenig erfreuliche Resultate mit sich brachte. Ich fühlte mich unfähig, nicht bereit, loszuziehen und alles daran zu setzen, die nächste Mission erfolgreich zu erfüllen. Ich fühlte mich gehemmt, überwand einfach nicht diese Hürde, die mich von klaren Gedanken und Konzentration abhielt. Ein Überwinden hieße das Überwinden der Sorgen. Ich war nicht zu allem fähig.

Nur langsam richtete ich mich auf, stemmte mich nach oben und blieb sitzen. Träge das Haar zurückgestrichen, benommen die Lippen aufeinander geregt und schon starrte ich wieder um mich.

Das zweite Resultat… vielleicht eine Hoffnung.

Sie ruhte allein auf Komui, auf dem Vertrauen zu ihm und den Erwartungen, die ich an ihn stellte. Man konnte doch auf ihn bauen? Er lebte nicht nur für seine Schwester.

Seine Tatenlosigkeit konnte nicht anhalten und verstrickt in diese Gedanken, streifte ich mir die Uniform über, kleidete mich ein und verließ das Zimmer.

Ich akzeptierte keine aussichtslosen Lagen. Ich hatte es noch nie getan.

Auswege gab es immer.

Man musste nur nach ihnen suchen und jede Schwierigkeit auf sich nehmen, die damit verbunden war. Natürlich wäre es nicht einfach aber was auf dieser Welt war das schon?

Tag sechs.

Ich öffnete die Tür zum Speiseraum, registrierte Jerrys Niedergeschlagenheit und tat es dennoch nicht offensichtlich. Nur ein knappes Nicken, bevor ich ihm mit meinem Tablett den Rücken kehrte und mein Frühstück aß.

Und wirklich… nur Wissenschaftler und Finder leisteten mir Gesellschaft. Auch Ärzte, Handwerker… viele, die hier tätig waren. Viele, die dazugehörten und doch trug ich hier den einzigen schwarzen Mantel. So, wie Linali es gesagt hatte. Alle anderen waren unterwegs.

Ich war der Letzte und begegnete diesem Tag mit einer ungewohnten Menge an Respekt, die einer ansteigenden Unruhe ähnelte. Keine Müdigkeit, keine Schwäche… die Nacht hatte keine Spuren hinterlassen und ich stärkte mich mit meinen Nudeln, starrte vor mich auf den Tisch und schwankte zwischen Erwartungen und Befürchtungen. Was brachte mir dieser Tag?

Was brachte mir mein Glaube in Komui?

Ich schwieg in mich hinein, tat es noch finsterer, als sonst und ließ mich durch nichts ablenken. In mich gekehrt, nahm ich kaum den Geschmack des gewohnten Frühstückes wahr, versenkte die Stäbchen mechanisch in den Nudeln und führte sie ebenso gedankenlos zum Mund.

Wo war die Lösung…!

Wo hatte ich nach ihr zu suchen!

Ich war nicht in der Position, eigene Entscheidungen zu treffen!

„Kanda?“

Ich rückte mich auf der Bank zurecht, fuhr mir flüchtig über den Mundwinkel und griff nach meinem Becher. Seit Minuten war meine Aufmerksamkeit nicht über diesen Tisch hinausgegangen und sinnierend nahm ich einen Schluck.

„Kanda… Verzeihung?“

Was…?

Abrupt entgleisten mir meine Gedanken, laut drang das Rauschen der vielen Stimmen in mein Bewusstsein, das Klirren des Geschirrs und durchaus überrascht wandte ich mich um. Ein Finder war es, der neben mir stand. Ein Tablett in den Händen, starrte er mich an und kurz spähte ich an ihm vorbei.

„Komui möchte Sie sehen.“

Sofort fanden meine Augen zu ihm zurück, doch er beließ es bei einem Nicken und machte sich auf die Suche nach einem freien Platz. Und meine Augen hafteten immer noch an ihm, folgten ihm annähernd perplex.

So plötzlich…?

Die Stäbchen, soeben noch auf dem Weg zu meinem Mund, wurden sinken gelassen und als der Finder in dem Meer aus hellen Mänteln verschwand, riss ich mich los.

Nach dem Frühstück hätte mich mein Weg ohnehin zu ihm geführt.

Ich schürzte die Lippen, saugte an meinen Zähnen und wendete die Stäbchen zwischen den Fingern. Es war ein seltsames Gefühl, das mich überkam… eine Unruhe, in der ich die Stäbchen auf dem Tablett ablegte, nach diesem griff und auf die Beine kam.

Was war das für ein Zufall?

Ich ließ mir keine Zeit.

Da drifteten meine Hoffnungen beinahe allein in Komuis Richtung und schon bestellte er mich zu sich.
 

In den letzten Stunden hatte mich nichts anderes beschäftigt und doch fühlte ich mich umso intensiver mit der Realität konfrontiert, als ich das Büro Komuis betrat und wieder diesen Golem sah. Er hatte sich auf einem der Bücherstapel niedergelassen und spreizte die Flügel, als ich die Tür hinter mir schloss und von ihm zu Komui.

In der Zwischenzeit stand ich jeden Erwartungen recht kritisch gegenüber. Ungläubig, da nichts eintrat, was ich mir erhoffte. Trotzdem… der Tatsache, dass ich hier war, gab ich ihre Gründe.

Hatte er in der letzten Nacht eine Entscheidung getroffen?

Wollte er endlich handeln? Mit meiner Unterstützung?

Ich trat an seinen Schreibtisch und wurde müde begrüßt. Viel Schlaf schien er wirklich nicht gehabt zu haben und ich straffte die Schultern, ließ mir nicht ansehen, dass es um mich nicht anders stand und verfolgte seine matten Bewegungen, als er nach seinem Kaffee langte. Raschelnd regte sich Timcanpy neben mir und nur kurz spähte ich zu ihm, bewegte die Lippen aufeinander und blieb stumm.

Es war an der Zeit… er musste es einfach begreifen.

„Habe ich dich beim Frühstück gestört?“ Zerschlagen blickte er mich über den Rand der Tasse an, nahm noch einen Schluck und sah mich den Kopf schütteln.

Was tat das zur Sache?

War es wichtig und hatten wir Zeit, über so etwas zu sprechen?

„Was gibt es?“, erkundigte ich mich also, um weiteren, sinnlosen Worten und Fragen aus dem Weg zu gehen. Mir gegenüber wurde die Tasse abgestellt und tief durchgeatmet.

„Mm… ja…“ Orientierend sah er sich auf seinem Arbeitsplatz um, schenkte Timcanpy keine Beachtung… für wenige Sekunden nicht einmal mir. Ich spreizte die Finger, ballte entspannte Fäuste und vertrat mir an Ort und Stelle die Beine.

Ich wusste nicht, was er zu tun gedachte. Welche Möglichkeiten es gab… nur einer Sache war ich mir bewusst: Komui war auf dem Tiefpunkt. Soviel offensichtlicher, als ich. Wenn er jetzt nicht kapitulierte, wann dann?

Keinen Moment lang löste ich die Augen von ihm, wartete und tat es so ungeduldig. Er sollte den Mund aufmachen, sofort. Es dauerte mir zu lange aber er rieb sich erst noch das Gesicht, bevor er zu den Fakten zu kommen schien.

„Gut.“ Nickend tastete er nach einem Stapel, schob wenige Papiere zur Seite… und stockend folgten meine Augen der schwarzen Mappe, die er hervorzog. Die mit Anstrengung aufrecht erhaltene Fassung bröckelte aus meinem Gesicht und ich bewegte mich vorerst nicht, als er sie mir reichte.

„Es handelt sich um eine Langzeitmission.“ Er streckte mir die Mappe entgegen, unterdrückte sichtlich ein Gähnen. „Vermutlich wirst du eine ganze Zeit unterwegs sein.“

Wortlos hatte ich den Mund geöffnet, ihn eine lange Zeit nur ungläubig angestarrt, bevor ich die Hand hob und die Mappe entgegennahm, ohne mich für sie zu interessieren.

War das sein Ernst…?

Meine Reaktion entging ihm völlig. Wichtig war ihm nur der Kaffee und er nahm ihn wieder an sich, bevor er sich im Stuhl zurücklehnte, mit einer knappen Kopfbewegung auf die Mappe wies.

Ich hatte sie sinken gelassen, spürte eine flüchtige Regung meines Gesichtes, bevor ich dieses abwandte, einfach zur Seite starrte und auf die Massen der Bücher.

Er schickte mich weg?

Es fiel in sich zusammen… meine ohnehin wackeligen Erwartungen, gemeinsam mit meinem Hoffen, hier an dem Punkt angelangt zu sein, an welchem sich etwas veränderte!

An dem Punkt, an welchem er handelte!

„Ich schicke dich zur Unterstützung zweier Exorzisten, die in Kürze ein Innocence sicherstellen könnten und mit schweren Gefechten rechnen.“ Nur undeutlich erhob sich Komuis Stimme, während ich noch immer auf die Bücher starrte, die Lippen aufeinanderpresste.

Enttäuschung, Wut… es rumorte so viel in mir und meine Finger schlossen sich fester um die Mappe.

„Es wäre gut, wenn du sofort…“

Und er redete weiter… redete von dieser Mission, als würde er nichts daran in Frage stellen, während die Lage auf mich annähernd irreal wirkte. Es geschah einfach nicht. Einen solchen Sarkasmus konnte es nicht geben und ich blieb mit meiner Meinung alleine. Keine Regung meines Gesichtes fand seine Beachtung, kein Blick auf ein Entgegenkommen. Vielleicht nur zufällig… vielleicht bewusst. Er sah mich nicht an und seine Lippen bewegten sich.

Was sollte ich tun?

Was konnte ich tun?

So, wie ich hier stand und in genau diesem Moment…?

Mein Leib schien sich zu verspannen. Ich spürte das Krampfen bis in meine Fingerspitzen, als ich mir diese rasenden Fragen stellte und selbst still und unauffällig tobte.

Was erwartete er von mir…!

Was sollte ich sagen…!

Mit gegenüber bewegten sich Komuis Lippen noch immer. Wirkliche Worte drangen nicht zu mir und langsam senkte ich den Kopf und betrachtete mir diese Mappe, die all meine Vorhaben in den Boden stampften… mich auf einen so falschen Weg schickten.

Wie war das möglich…?

Dieser Augenblick stürzte mich in so eine Verwirrung, dass ich nur dort stand, auf den schwarzen Umschlag starrte und nicht vielmehr tat, als das.

„Kanda…?“

Der verwirrende Tumult in meinem Kopf erstarb, die Mappe verlor meine Aufmerksamkeit und als ich aufblickte, offenbarte sich mir auf der anderen Seite des Schreibtisches eine skeptische Miene.

„Hörst du mir eigentlich zu?“

Tat ich das…?

Ich traf hier jeden Tag auf bislang noch nie vorgekommene Situationen. Es war noch nie passiert, dass ich hier stand und mich diese seltsame Atmosphäre regelrecht erdrückte.

Ich öffnete den Mund, brachte keinen Ton hervor und Komui richtete sich auf, behielt mich im Auge und wirkte dabei nicht viel gefasster.

Perplex blinzelte ich ihm entgegen, verzog die Brauen und spähte zur Seite.

Wenn man davon ausging, dass man hier und an diesem Punkt auch eigene Entscheidungen treffen konnte…?

Eigentlich war es keine Eventualität. Es stand einfach nicht nur zur Debatte und bisher war ich mir dieser Tatsache niemals bewusst geworden. Weil mir gänzlich der Grund dazu fehlte.

Aber wenn man wirklich davon ausging…

Und plötzlich wurde es klar.

Abrupt entspannte sich meine Miene. Es lag alles so deutlich vor mir, wenn ich gewisse und alltägliche Fakten einfach verwarf und auf eine Art und Weise dachte, wie ich es noch nie getan hatte.

Aber… natürlich… es war so einfach… und meine Schultern senkten sich unter dem Atemzug, mit dem ich auch diese Mappe sinken ließ und somit jede Erwartung, die in mich gestellt wurde. Bis hierhin und nicht weiter und es war noch immer still um uns, als ich aufblickte.

Meine Hoffnungen waren vergebens, wenn ich sie auf andere lenkte. Meine… aber nicht die der anderen. Sie alle waren fort, zu weit entfernt und abgekapselt von dem, was hier vor sich ging. Schweigend erwiderte Komui meinen Blick und raschelnd regte sich Timcanpy neben uns.

Ich war loyal…

Meine Finger regten sich auf dem schwarzen Umschlag, sowie ich die Mappe hob und sie auf dem Schreibtisch niederlegte. Irritiert verfolgte Komui meine Bewegungen, saß annähernd reglos in seinem Stuhl.

Ich befolgte Befehle…

Meine Hand löste sich von der Mappe. Ich ließ sie liegen und wurde abermals in Augenschein genommen.

Ich war meinen Kollegen gegenüber loyal.

Und ich befolgte auch Befehle, die niemals ausgesprochen wurden.

„Ich lehne diese Mission ab.“

Es war noch nie vorgekommen und ein knappes Zucken durchfuhr Komuis Miene. Ich wusste es nicht zu deuten, trat um einen Schritt zurück und straffte die Schultern.

Er sagte nichts…

Die alte Stille hielt an und ich schenkte ihr kaum Beachtung. Ein plötzlicher Richtungswechsel, der mir eine verlorene Entschlossenheit zurückbrachte, mir eine Sicherheit schenkte, in der mir mein Handeln leicht fiel.

„Ich verweigere deinen Befehl und trage die Konsequenzen… wenn ich zurück bin.“ Schon streckte ich die Hand nach dem goldenen Golem, bekam ihn sicher zu fassen und nahm ihn an mich. „Mit oder ohne Walker.“

Mehr musste nicht gesagt werden. Auch für Komui wäre es wohl besser, wenn er nicht mehr zu Wort kam. Diese Besprechung endete abrupt und frühzeitig und mir gegenüber hielt die Stille an, als ich mich abwandte, dem Schreibtisch den Rücken kehrte und somit Komuis gesamter Befehlsgewalt. Diesmal keine schwarze Mappe. Mich erwartete ein Auftrag in eigener Angelegenheit und lange waren meine Schritte, in denen ich die Tür erreichte, nicht mehr so zielstrebig gewesen. Sicher hielt ich den goldenen Golem in der Hand, drückte die Klinke hinab und schob mich durch den Türrahmen.

„Kanda…!“ Plötzlich rief er mich, auf einmal hatte er seine Stimme zurück und als ich mich umwandte, hatte er sich aufgerichtet. Beide Hände auf den Schreibtisch gestemmt, stand er vor seinem Stuhl und senkte das vor inneren Konflikten verzerrte Gesicht. Er rang mit sich, ließ mich warten, während sich in meinem Rücken bereits die Stimmen der Wissenschaftler erhoben, die Geräusche ihres Treibens.

„Pass auf dich auf.“ Inständig blickte Komui auf, ballte die Hände zu matten Fäusten und presste die Lippen aufeinander.

Wir verstanden uns…

Das, was hier geschah, war offensichtlich und nicht nur mir tat ich hier einen Gefallen.

Ich regte die Hand auf der Klinke, zog sie mit mir und trat in den Arbeitsraum der Wissenschaftler hinaus. Flatternd und unruhig wehrte sich der Golem gegen meinen Griff, als ich an den Schreibtischen vorbeizog, geradewegs zur nächsten Tür, auf dass ich das Hauptquartier so schnell wie möglich verließ. Und mir folgte eine ungewohnte Aufmerksamkeit. Vereinzelt verstummte das Rascheln der Blätter, Tassen wurden sinken gelassen und ich schenkte den Blicken keine Beachtung, wechselte den Golem in die andere Hand und rückte an dem Waffengürtel. Ich vermute, ich war bereit, sofort aufzubrechen, jeden Umweg zu meiden. Vor allem jetzt, da mir nichts mehr im Weg stand und ich endlich die Möglichkeit hatte, nach meinem Ermessen zu handeln. Ganz gleich, was es nach sich zog.
 

~*tbc*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2010-11-30T19:25:12+00:00 30.11.2010 20:25
Oh scheiße!
wie spannend!
Von: abgemeldet
2010-11-25T12:59:24+00:00 25.11.2010 13:59
Irgend einer muss doch nach allen suchen! die können ihn doch nicht einfach hängen lassen!!!!!
Von:  Saturnmieze
2010-11-15T18:37:53+00:00 15.11.2010 19:37
armer kanda er steht total neben sich vor sorge um Allen
aber das er denn entschluss gefasst hat Allen zu suchen (vor spannung fast platz)


Übrignes geile story so manches mal konnte ich mir ein grinsen nicht verkneifen (was sehr sehr oft wahr)




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