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Reqium of Darkness & Quiet Symphony

Walker x Kanda
von

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Ein neuer Auftrag

Irgendwann kehrte ein gewisses Bewusstsein in meinen Körper zurück, ließ mich eine allseitige Wärme wahrnehmen und ziellos die Lippen aufeinander regen. Mein Körper signalisierte mir, dass ihm noch nicht der Sinn danach stand, sich zu bewegen, also blieb ich liegen und schöpfte tiefen Atem. Es war bequem… nichts wirkte störend auf mich und willenlos trieb ich zurück in die warme, schwere Dämmernis, in der kein Geräusch herrschte, außer mein monotoner, tiefer Atem. Weich schmiegte sich die Matratze an meinen Bauch, warm lastete die Decke auf meinem Rücken, während meine eine Hand kein Gefühl offenbarte, keine Berührung. Ich schluckte, zog die Nase hoch und erkundete die seltsame Empfindung mit den Fingern, regte sie träge im Nichts. Sie hing im Freien, so wie mein Ellbogen auf der Kante der Matratze. Ich begriff diese Tatsache, tat sie ab und ließ die Hand hängen. Keine Gedanken wollten in mir aufleben, keine Erinnerungen. Alles in mir schien noch dem Schlaf verfallen und doch spürte ich die kitzelnde Berührung auf meiner Stirn deutlich. Es mussten Fingerkuppen sein und das Kitzeln zog sich über mein gesamtes Gesicht, als sie höher zu meinem Schopf glitten, eine lange Strähne zurückstrichen und im Haaransatz verharrten. Eine angenehme Art des Wachwerdens und ich blieb liegen, hielt die Augen geschlossen und empfing die neu auflebenden Eindrücke der Umwelt. Die Decke wärmte mich ab den Schulterblättern, setzte sich in Bewegung, kurz nachdem die Berührungen in meinem Schopf erstarben. Der Stoff wurde höher gezogen, sein Kitzeln ließ sich auf dem gesamten Körper spüren und wieder bewegte ich die Lippen aufeinander, befeuchtete sie kurz und faul mit der Zunge, bevor ich mit einem weiteren tiefen Atemzug mehr von der Realität kostete und meinen anderen Arm regte. Er hatte es mollig, lag bequem auf einer glatten Wärmequelle, die sich gleichmäßig hob und senkte. Es ähnelte einer Verlockung, in der ich der Wärme trunken und noch teilweise besinnungslos folgte. Die Bewegung fiel mir leicht. Mein Körper offenbarte die alten Kräfte, als ich den Arm von dem Bauch des Jungen hob, durchaus ungeschickt nach der Decke tastete und mich zu ihm schob. Blind folgte ich so meinem Ziel, zog den anderen Arm zu mir und die Decke über den Kopf, gleichzeitig, wie ich ihn auf dem anderen Bauch bettete, ihn abermals mit dem Arm umschlang und nun, die völlige Wärme genießend, wiederum still verharrte. Es gab Momente… nicht viele in meinem Leben, in denen ich mir wünschte, der Tag und die Pflichten würden noch auf sich warten lassen, sich annähernd ohne mich erfüllen. Momente wie diese, als ich den Arm unter meinem Leib vergrub, den sanften Druck einer Hand auf meinem Kopf spürte und mich einem tiefen Gähnen hingab. Ich spürte es in jedem Glied meines Körpers, verzog die Miene unter einem flüchtigen Jucken meiner Augen und schob den Arm weiter über den anderen Leib, bis ich unter meinen Fingerkuppen das vertraute Gefühl des Lakens wahrnahm. Hypnotisierend rauschte der gleichmäßige Atem des anderen unter meinem Ohr und unweigerlich passte ich das eigene Luftholen an, bis wir synchronisierten. Warm drang auch der eigene Atem an mein Gesicht, drang von der Decke aus zu mir zurück und erschaffte eine Atmosphäre, in der ich mich schwer fühlte. Reglos und auch nicht dazu imstande, etwas daran zu ändern. Weiterer Schlaf käme mir gelegen aber kaum war ich mir dieser Tatsache bewusst geworden, drang ein leises Glucksen an mein Ohr. Es hörte sich seltsam an und ich rümpfte die Nase, als ein Knurren folgte… sich ungewohnt laut und dumpf in meinen Gehörgang schlich. Allein die Fragen, die dieser Laut in mir hervorrief, ließen mich unweigerlich wacher werden und die Bewegungen der Hand auf meinem Kopf hielten inne. Nicht lange darauf öffnete ich die Augen, blinzelte trübe in den Tag hinein oder in das, was von ihm zu mir drang. Gedämpft erreichte mich das Licht durch die Decke hindurch und als würde ich zu lange brauchen, ertönte es wieder. Es klang leer und gequält und ich regte den Kopf, hob das Ohr von dem Bauch und tastete mich zu meinem Gesicht, um es mir zu reiben. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich rieb mir die Augen, rieb mir den Mund und tastete anschließend nach der Decke. Ich bekam sie zu fassen, zog sie von mir und ein langes Gesicht, als ich in die Helligkeit des Tages eintauchte und erst unter ihr blinzeln musste, bevor sich mir ein klares Bild bot. Den Arm unter dem Kopf, erwiderte der Junge meinen Blick sonnig, alles andere als schuldbewusst. Ich erkannte auch ein knappes Lächeln auf seinen Lippen, während die Strähnen wirr mein Gesicht bedeckten und ich verschlafen den Rest der Decke zurückdrängte.

„Mm…“, ein dumpfes Murren war alles, wozu ich vorerst imstande war und die Augen verdrehend, ließ ich mich auf seine Brust sinken, fischte mir das Haar aus dem Gesicht.

„Ich dachte schon, du wachst gar nicht mehr auf.“ Er hatte die Stimme schon besser unter Kontrolle. Sie erhob sich klar und gestärkt, seine Hand fand zu meinem Schopf zurück und erst jetzt bemerkte ich, dass mir das Band abhanden gekommen war. Trübe starrte ich auf den gegenüberliegenden Tisch, spürte, wie ein neues Gähnen in mir aufstieg. „Du atmest beängstigend wenig, wenn du schläfst.“

„Dafür höre ich umso besser…“, murmelte ich zurück und gähnte.

„Ah…?“ Er regte sich kurz, verstand es nicht. „Schön.“

„Mm.“ Endlich schien sich mein Körper mit dem wachen Zustand abzufinden. Ich lugte zu dem Fenster. Die Helligkeit des Tages lag bereits hinter den Scheiben. „Wie lange bist du schon wach?“

„Eine Weile.“

„Ist es schon lange hell…?“

„Mm-mm…“ Seine Brust bewegte sich unter einem tiefen Atemzug, ließ mich auf und ab sinken. Gut, jetzt war mein Bewusstsein komplett… ließ mich an all das denken, was für wenige Stunden nicht mehr existiert hatte. Ich sollte zu Komui, erinnerte ich mich. Besser zu früh, als zu spät und so machte ich mich daran, mich aufzurichten. Träge suchte ich mir festen Halt, stemmte mich auf und blieb vorerst neben ihm kauern. Meine Glieder enttäuschten mich nicht. Die alte Kraft machte mich zuversichtlich, es auch mit der nächsten Mission aufnehmen zu können. Ich strich mir mit beiden Händen das Haar zurück, suchte kurz nach dem Band und erspähte es. Es klemmte zwischen den dunklen Fingern seiner linken Hand, die unter seinem Kopf hervorragte. Es erklärte so einiges und ich zog es ins Freie, bevor ich mich der Kante des Bettes zuwandte, die Füße auf den steinernen Boden setzte. Es dauerte nicht lange, da richtete sich der Junge hinter mir auf. Die Decke mit sich ziehend, fand er Halt auf den Knien, kratzte sich im weißen Schopf und ließ sich auf den Hintern zurückfallen. So blieb er sitzen, während ich mein Haar mit den Fingern durchkämmte, mich daran machte, es neu zu binden.

„Wie lange bist du noch hier?“, erkundigte er sich, während ich das Band festzurrte, so einiges an Konzentration aufzubringen hatte, um es richtig zu knoten. Sobald diese Hürde überwunden war, sah ich mich nach meinen Kleidern um.

„Nach dem Frühstück kriege ich die nächste Mission.“ Die Sachen umgaben das Bett wild verstreut und ich langte nach meiner Hose, dem einzigen Kleidungsstück, das in erreichbarer Nähe lag. „Keine Ahnung, wie lange es dauert.“ Ich richtete mich auf, bewegte den Stoff zwischen den Händen, drehte und wendete ihn. „Du?“

„Heute Mittag“, antwortete er mir mit einer Stimme, die ein kommendes Seufzen vermuten ließ. Aber er tat es nicht, schob sich kurz darauf neben mir über die Kante der Matratze und kam auf die Beine. Den Fuß bereits im Hosenbein versenkend, lugte ich zu ihm, sah, wie er sich streckte, sich die Beine vertrat. „Dauert vielleicht zwei Tage“, ächzte er, als er die Arme fallen ließ, sich nach seinen Kleidern umschaute. Kurz beugte ich mich hinunter, kam auf die Beine und reichte ihm Hemd, sowie Hose, bevor ich die eigenen über die Taille zog. Auf den Knopf hatte ich vorerst keine Lust, schob den Fuß unter das Bett und zog mit ihm einen Stiefel hervor. Der Junge wurde weitaus schneller fertig, als ich. Als ich in den Stiefel stieg, stülpte er sich bereits das Hemd über, tauchte über dem Kragen auf und zupfte am Stoff, bis er die alte Beweglichkeit zurück hatte.

„Ich glaube“, hörte ich seine Stimme in meinem Rücken und stieg in den zweiten Stiefel, „ich springe dann in den Onsen.“

„Davor solltest du essen“, riet ich ihm und kratzte mir den Bauch, schon nach meinem Hemd Ausschau haltend.

„Was denkst du denn?“ Er klang fast empört. „Bestimmt ist Lavi auch schon da.“

Ja, ganz reizend…

Ich blähte die Wangen auf und bückte mich nach dem schwarzen Stoff. Als ich mich aufrichtete, zog er auch schon an mir vorbei. Er verschwendete keine Zeit, sobald er sich gewisse Ziele gesetzt hatte und nur kurz spähte ich auf, als er die Tür erreichte. Die eine Hand schon an der Klinke, hob er kurz die Andere.

„Bis dann“, verabschiedete er sich entspannt und nickend stülpte ich mir das Hemd über.

Schon klickte das Schloss und er schob sich nach draußen und in die Helligkeit des Treppenhauses, in dem völlige Stille herrschte. Keine Besonderheit zu diesen frühen Morgenstunden und bequem tastete ich nach dem Knopf der Hose. Für den Onsen blieb mir wohl keine Zeit. Eine Dusche würde genügen, bevor ich frühstücken ging. Und das hoffentlich nicht in zu anstrengender Gesellschaft. Noch schnell die Uniform auf den Tisch geworfen und die Fächer des Schrankes durchsucht, bevor etwas Frisches unter meinem Arm klemmte und ich mich selbst auf den Weg machte.
 

Erfrischt und vollständig wach betrat ich bald darauf den Speiseraum. Schon als ich die Tür öffnete, zogen mir die bekannten Geräusche entgegen. Besteck kratzte, Gläser klirrten und auch Gespräche wurden geführt, wie jeden Morgen. Es herrschte ein gewisser Betrieb, als ich mich in die Halle schob und mürrisch umblickte. Hatte man denn zu keiner Tageszeit seine Ruhe?

Selbst wenn man zu unmenschlichen Zeiten aß, gab es immer Finder, die schmatzten und störten. Permanent zur falschen Zeit am falschen Ort und zielstrebig machte ich mich auf den Weg, die Tischreihen zu durchqueren und den Tresen zu erreichen. Wortfetzen zogen an mir vorbei, so wie ich an den einzelnen Bänken. Durch die vereinzelten Gruppen der hellen Mäntel und mit zielstrebigen Schritten meinem Frühstück entgegen.

„Mm…!“ Ein genüssliches Seufzen stahl sich aus dem Meer der Geräusche, ließ mich flüchtig zur Seite spähen und jenen Jungen erkennen, der sich am öftesten und am längsten hier aufhielt. Und das immer wieder. Umgeben von so einigen Schüsseln, Tellern und Schalen, stach er aus der Menge hervor… und er war nicht alleine.

„Oh… hey, Yu!“ Sobald mich Lavi ins Auge fasste, geriet seine Tasse in Vergessenheit. Als er sie sinken ließ, präsentierte sich mir ein breites Grinsen, unter dem ich die Augen verdrehte und mich nach vorn wandte. „Hast du gut geschlafen? Du strahlst so eine Freude aus.“

„Halt die Klappe.“ Mir stand nicht der Sinn danach, mich auf sein dummes Gerede einzulassen. Eigentlich war es noch nie anders gewesen und während ich meinen Weg stur und finster fortführte, vernahm ich sein Lachen.

„Findest du nicht auch, dass er heute besonders strahlt?“

„Kann nicht reden… muss essen.“

„Bekomme ich deinen Salat?“

„Vergiss es.“

Die Wangen aufblähend, ließ ich die letzten Tische hinter mir und erreichte mein Ziel.

„Komme schooon!“ Wild wurde mit einem Handtuch gestikuliert, als ich die Hand auf den Tresen stemmte und kaum war ich zum Stehen gekommen, da tauchte Jerry auf der anderen Seite der Theke auf. Das nächste Grinsen wurde mir präsentiert und das Handtuch fand seinen Platz auf seiner Schulter, bevor er die Ellbogen auf das Holz stemmte, seufzend den Kopf schief legte.

„Was darf’s denn sein, der Herr?“, säuselte er mir entgegen und stemmte die Wange in die Hand. „Viel hat die Küche nicht mehr zu bieten, nachdem Allen hier aufgetaucht ist.“

Das war Unsinn und wir wussten es beide. Mit den Fingerkuppen der leichten Holzmaserung folgend, stemmte ich die andere Hand in die Hüfte.

Ich musste für lange Zeit satt werden. Wann ich das nächste Mal die Gelegenheit hatte, konnte ich nicht einschätzen.

„Mach mir einen Gohan mit Gemüse. Eine große Portion.“

„Oh!“ Seine Augen weiteten sich, die Hand sackte auf den Tisch zurück und ich verzog den Mund, als er sich über den Tresen zu mir neigte. „Da hat aber jemand Hunger!“

Genau das war der Grund, weshalb man aß und ich antwortete mit einem unwirschen Murmeln. Warum konnte er sich nicht einfach an die Arbeit machen? Ich wollte das Frühstück essen und nicht darüber diskutieren. Aber es dauerte nicht lange, bis er diese Tatsache begriff.

„Ich mache mich sofort ans Werk! Einen Moment!“ Somit wandte er sich ab und ich begann an meinem Gürtel zu rücken. Er saß komisch…

„Ah, Jerry! Warte!“

Fast suchte mich ein erschrockenes Zucken heim, als sich Lavi nach einem scheinbar hastigen Marsch neben mich stemmte. Er tauchte einfach und plötzlich auf und ich starrte ihn an, wich etwas zur Seite, als er sich durch die Annahme drängte und der Meinung wahr, mit dem gesamten Arm winken zu müssen, damit der Koch ihn wahrnahm.

„Darf’s noch etwas sein?“ An der Tür hatte Jerry entzückt inne gehalten und nachdem ich unter einem tiefen Atemzug die alte Beherrschung wiedererlangte, machte ich mich wieder an dem Gürtel zu schaffen.

„Allen hat so einen Obstsalat… machst du mir auch so einen?!“

„Auch eine dreifache Portion?“

„Eh… nein, eine Normale!“

„Aber natürlich!“

„Danke!“ Nach einem flüchtigen Salut ließ sich der Rothaarige seufzend auf den Tresen sinken, war unglaublich erleichtert und bettete die Wange auf den weit von sich gestreckten Armen. Ich vermied es, zu ihm zu schauen, zog den Gürtel enger und wandte mich beiläufig ab. Ich musste nicht den Anschein erwecken, als hätte ich Lust, mit ihm zu sprechen…

„Holst du dir auch Obstsalat?“… kam aber letzten Endes nie drum herum.

Neugierig spähte er zu mir, war allen Ernstes auf eine Antwort aus und rappelte sich etwas auf, als ich die Hände in die Hüften stemmte, missmutig zur Küchentür starrte.

Eigentlich idiotisch, dass ich mir immer noch Hoffnung machte.

„Ich hasse Obstsalat.“

„Also nicht.“ Unter demselben Grinsen rückte er an seinem Stirnband, stemmte sich seitlich gegen die Theke. Ich spürte, wie er mich verspielt musterte. „Dabei beruhigt Obst die Nerven… hab ich mal gehört.“

„Sehe ich so aus, als hätte ich so etwas nötig?“, gab ich fauchend nach und er stieß ein perplexes Keuchen aus. Ich sprach doch mit ihm… es ging nicht anders. Allein aus dem Grund, dass er mir permanent das Gefühl gab, gewisse Seiten an mir nicht ernst zu nehmen.

„Na, ich denke schon. Bestimmt bist du vor Wut andauernd verspannt.“ Er regte darbietend die Schultern. „Aber du weißt bestimmt selbst, was gut für dich ist, Yu.“

Meine Hand zuckte zum Gürtel… griff ins Leere. Aber Mugen hatte ich nicht dabei und ein kühler Schauer überkam mich, als mir nichts anderes übrig blieb, als die Hände zu Fäusten zu ballen.

„Noch einmal…!“, stieß ich aus und Lavi hob die Braue.

„Höh?“

„Dann stopf dir die Stäbchen soweit in den Rachen, dass du nicht einmal mehr winseln kannst!“

Wenn sich Jerry beeilte, hatte ich sogar sehr schnell Gelegenheit dazu.

„Fuhh… ist ja gut.“ Erschüttert stemmte er die Wange in die Hand, knabberte auf der Unterlippe. „Du solltest den Salat wirklich kosten.“

„Du…!“

„Vooorsicht!“ Ein voll gestelltes Tablett balancierend, schob sich Allen an dem Rothaarigen vorbei. Nur kurz kam er durch mein Blickfeld, bis ich mich wieder auf Lavi fixieren und ihn mit allen stummen Flüchen belegen konnte, die mir einfielen. Ein Scheppern erhob sich, als das Tablett auf die Theke traf und unter einem kapitulierenden Augenrollen wandte ich mich ab, starrte zu dem Dritten im Bunde. Dem reichte es auch nicht, das Tablett loszuwerden.

An diesem Morgen war mir alles zuviel.

„Jerry?!“ Er reckte den Kopf, beugte sich durch den Ausschank. „Ich hab immer noch Hunger! Hörst du?! Ich brauch Nachschla…!“

„Stell dich gefälligst hinten an!“, unterbrach ich sein Lamentieren und sofort erwachte auch Lavi aus seiner trägen Erstarrung.

„Aber echt“, richtete er sich mit ehrlicher Entrüstung auf und nur kurz streifte mich der gleichgültige Blick des Jungen, bevor er zu dem Rothaarigen fand. „Du bist seit fast einer Stunde am essen und Yu ist schon ganz schwach vor Hunger!“

„Pöh!“

„Nicht schwach genug, um dir das Maul zu stopfen!“, fauchte ich unterdessen und Allen stemmte sich seufzend auf den Tresen, streckte die Beine von sich.

Die Situation war festgefahren… es wert, später als purer Fluch benutzt zu werden und das Einzige, wozu meine Nerven noch fähig waren, war, ein leises Zischen auszustoßen und mich abzuwenden. Ruppig verschränkte ich die Arme vor dem Bauch und glücklicherweise war Jerry schnell genug, damit sich der gefräßige Junge nicht zu weiterem Gebrüll gezwungen sah. Erleichtert sah ich mein Frühstück herannahen und neugierig wurde auch Allen darauf aufmerksam. Er reckte die Nase, während Lavi etwas Unverständliches murmelte und ich mir keine Zeit ließ. Direkt aus Jerrys Händen nahm ich das Tablett entgegen und ließ es mir nicht nehmen, einen Pfad zu wählen, der mich nahe an Lavi vorbeiführte. Nahe genug, damit er mir im Weg war und ein erschüttertes Ächzen erhob sich neben dem sofortigen Gequassel des Jungen, als ich ihn grob zur Seite drängte, ihm einen letzten, vernichtenden Blick schickte. Für diesen Tag genügte es und er sollte nicht auf die Idee kommen, an diesem Tag noch ein Wort an mich zu richten.
 

„Geh ruhig rein.“

River verfügte über eine immense Aufmerksamkeit. Ich hatte nur einmal an der Tür des Abteilungsleiters geklopft… hatte wenige Momente dort gestanden, ohne eine Antwort zu erhalten, da lehnte er sich schon aus seinem Stuhl, gestikulierte mit wirren Unterlagen.

„Er ist da.“

Das sollte er auch, wenn er mich zu sich bestellte und ohne zu zögern griff ich nach der Klinke, drückte sie hinab und betrat den Raum. Wahllose Unterlagen knitterten unter dem Holz, als ich die Tür hinter mir schloss, nach einem knappen Umschauen jedoch inne hielt. Leer präsentierte sich mir der Stuhl des Abteilungsleiters hinter dem Schreibtisch und kurz blieb ich stehen, rümpfte die Nase. Ein ausgeprägter Sinn für Humor… und ich umschloss die Klinke fester, runzelte die Stirn… und unterdrückte den in mir aufkeimenden Fluch, als ein leises Geräusch das Geheimnis lüftete. Wieder fanden meine Augen zu dem Schreibtisch, eher noch zu der Rückenlehne des Sofas, aufmerksam reckte ich den Kopf und vernahm es nur ein weiteres Mal. Das konnte doch nicht wahr sein und mir entrann ein dumpfer Atemzug, als ich die Türe endlich hinter mir schloss und mich auf den Weg machte. Durch das Meer des Chaos bis hin zu dem Sofa, vor dem ich die zielstrebigen Schritte verlangsamte, mit säuerlicher Miene über die Lehne spähte. Wieder… ein leises Schnarchen zog mir entgegen, ließ mich die Lippen aufeinander pressen und annähernd reglos verharren. Das Polster schien bequem zu sein, jedenfalls nutzte Komui es derzeit für eine eingehende Ruhepause. Ausgestreckt und gemütlich lag er da. Die Hände in den langen Ärmel seiner Uniform verborgen, die Baskenmütze tief in das Gesicht gezogen, zeugte nur sein tiefer Atem davon, dass er noch am Leben war.

Unglaublich und ich öffnete den Mund, ohne zu wissen, was ich sagen sollte. Für manche Situationen gab es keine Worte mehr und auch ein lautes Räuspern holte ihn nicht aus seinem Tiefschlaf. Schlaf benötigten wir alle aber letztendlich bot sich die Nacht eher an, als die Morgenstunden, in denen er mich auch noch zu sich bestellte.

Ungläubig saugte ich an meinen Zähnen, spähte flüchtig um mich. Ein stummes Kopfschütteln brachte meine Sprachlosigkeit zum Ausdruck aber letzten Endes könnte ich noch lange hier stehen. Beherzt trat ich also um das Sofa herum, senkte die Hand zu seiner Schulter, berührte sie erst nach einem kurzen Zögern aber dafür umso nachdrücklicher.

„Hey.“ Lustlos rüttelte ich an ihm und gab ihm kurz eine Gelegenheit, aufzuwachen, bevor ich die Augen verdrehte. „Hey!“

Wieder bewegte ich den schlaffen Körper. Hoffentlich blieb es dabei und damit ich sichergehen konnte, gab ich mir allerlei Mühe, zog ihn beinahe über die Kante des Sofas, bevor er zum Leben erwachte.

„Mm…?“, drang ein wirres Murmeln durch den Stoff der Mütze. Ziellos hoben sich seine Hände und ich richtete mich auf, schöpfte tiefen Atem und gab mich einem dumpfen Stöhnen hin. Es musste eine Verschwörung sein. Noch nie war der Morgen vor der Instruktion so kompliziert gewesen und nie hatte ich für eine Mission so etwas auf mich nehmen müssen. Nach wenigen Augenblicken schaffte er es, sich die Mütze aus dem Gesicht zu ziehen und nur knapp lugte ich zu ihm. Skeptisch und unzufrieden starrte ich auf ihn hinab, starrte in eine trübe, verschlafene Miene, umgeben von Haaren, die etwas in Mitleidenschaft gezogen worden waren.

„Hah?“ Von mir drifteten seine Augen weiter, bis er die Umgebung erkannte und irgendwie schaffte er es dann auch, sich aufzurappeln. Schwerfällig kämpfte er sich in eine aufrechte Haltung, kratzte sich im Schopf und gab sich einem beherzten Gähnen hin, als er endlich saß. Die Uniform war zerknittert, umständlich stülpte er sich auch die Mütze über, bevor er endlich ansprechbar schien… und mich wiederum anstarrte. Es war nicht schwer zu erraten, dass er keine Ahnung hatte, was ich hier tat und ich stemmte die Hände in die Hüften, wandte mich genervt zur Seite.

„Ja…?“

Wie erwartet und ich rümpfte die Nase.

„Kanda… was kann ich für dich tun?“

„Wach werden und mir meine Mission geben!“

„Mission…?“, wiederholte er unbeholfen und weitere Erklärungsversuche konnte ich mir wirklich sparen. Ich ließ ihm Zeit und mir die Gelegenheit, meine alten Nerven zu sammeln. Ihn vorerst unbeachtet lassend, senkte ich die Augen zu dem Waffengurt, begann ihn gemächlich zu straffen, auch den Sitz der Uniform überprüfte ich flüchtig und kaum war ich damit fertig, ließ sich etwas mit Komui anfangen.

„Ah, natürlich.“ Sein Gesicht erhellte sich, als ich zu ihm spähte. Mir stand nicht der Sinn nach Euphorie und so schnitt ich nur eine flüchtige Grimasse, als er auf die Beine kam. Er streifte die Müdigkeit mit annähernd gruseliger Schnelligkeit von sich und kurz darauf zerrte er auch an seiner Uniform, zog doch noch etwas schwankend an mir vorbei. „Ah… tut mir leid. Das ist mir lange nicht mehr passiert.“

Ich vernahm ein leises Seufzen, als er seinen Platz erreichte, an dem Stuhl zu rücken begann. Nun machte es den Anschein, als könnten wir beginnen und sobald ich auch mit mir zufrieden war, zog ich um das Sofa herum und ließ mich auf dem Polster nieder.

Es war noch warm… irgendwie seltsam und während Komui ziellos in den Unterlagen zu wühlen begann, rückte auch ich etwas herum, rutschte zur Seite und fand endlich eine bequeme Haltung. Wir hatten genug Zeit verschwendet. Genau dieser Meinung war ich aber als ich mich aufrichtete und meine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte, da saß er wieder still und hatte scheinbar nichts gefunden. Seine Zähne bearbeiteten die Unterlippe und er starrte auf das Telefon, als erwarte er einen wichtigen Anruf, auf den er sich stürzen würde. Er wirkte wie erstarrt, schien zu grübeln und ich hob die Brauen, stemmte die Ellbogen auf die Knie. Ich war bereit… aber plötzlich griff er nach dem Hörer. Mit seiner versöhnlichen Handgeste war nichts begradigt und lautlos öffnete ich den Mund, als er eine Kurzwahl tippte und wartete.

Ja… langsam faltete ich die Hände zusammen, senkte den Kopf und benötigte einen weiteren tiefen Atemzug. Bei so manchen Missionen war es besser, rechtzeitig aufzubrechen und ich vertraute seiner Zurechnungsfähigkeit derzeit nicht genug, um mir sicher zu sein, dass es sich nicht genau um so eine Mission handelte. Er könnte es einfach vergessen haben…

„Kaffee…“, erhob sich da sein gebrochenes Seufzen und ich schloss die Augen, als er sich da so seinem Telefonat hingab, „… ich flehe dich an, sei so gut…“ Seine Stimme neigte sich gefährlich einem peinlichen Jammern entgegen und ich räusperte mich still. „… doch, ich habe wirklich gar keine Zeit… bitte, bitte… Kanda nimmt mich gerade total in Anspruch.“

Jetzt war es erreicht und ich hielt mich davon ab, mir die Augen zu reiben. Letzten Endes brachte mir das auch nichts und so richtete ich mich auf, lehnte mich zurück. Es konnte dauern und Komui klammerte sich an den Hörer, machte es zu keinem Mysterium, mit wem er sprach. Er presste die Lippen aufeinander, lauschte in den Hörer… und es dauerte nicht lange, da erhellte sich sein Gesicht, wurde heimgesucht von einer triumphalen Festigkeit.

„Flott, flott“, verabschiedete er sich rührselig, bevor der Hörer auf die Gabel zurückfand und mir nichts anderes übrig blieb, als ihn anzustarren. Schuldunbewusst und völlig entspannt schien er sich nun endlich Zeit für mich zu nehmen und ich achtete auf meine Mimik, bevor sie Fragen oder überflüssige Erklärungsversuche heraufbeschwor. Es gab Dinge, die wollte ich gar nicht verstehen und jede Befürchtung wurde ich spätestens dann los, als ich die schwarze Mappe erspähte. Das weinerliche Verhalten war er ebenso rasch losgeworden, wie die Müdigkeit und unter einem leisen Räuspern rückte er sich zurecht, bettete die Ellbogen auf dem Schreibtisch.

„Es tut mir leid, dass ich dich schon wieder einsetzen muss.“ Er schien eine Rechtfertigung für nötig zu halten, ich währenddessen nur meine Pflichten. Schweigend regte ich die Finger aneinander, hoffte, er würde schneller zum Wesentlichen kommen, wenn ich nicht antwortete. Und ich hatte Erfolg, denn er langte wieder nach der Mappe und reichte sie mir. Ohne Umschweife nahm ich sie auch entgegen, bettete sie auf meinen Knien und schlug sie auf. „Es handelt sich um eine sehr wichtige Mission, die ich nicht jedem anvertrauen will.“

Ich überflog die Zeilen und meine Miene verzog sich, als ich umblätterte, mir auch die Karte betrachtete, die sich mir anschließend bot.

„Bei seiner letzten Mission in dieser Umgebung fiel Crowley dieser Wissenschaftler auf…“, ich nahm eine Handbewegung wahr, blätterte um und hatte schon das Foto eines älteren Mannes vor mir, „… den wir durch intensive Recherchen eindeutig als Broker identifizieren konnten.“

Der Name, die Merkmale… ich hatte alle Informationen vor mir. Mehr, als ich benötigte, wie ich kurz darauf erfuhr. Erwartungsvoll fixierte ich mich wieder auf Komui.

„Bis jetzt haben wir noch nichts gegen ihn unternommen, da uns Beweise vorliegen, dass sich seine Arbeiten seit geraumer Zeit ausschließlich auf die Erforschung des Innocence im Zusammenhang mit dem menschlichen Körper beziehen.“

Ich runzelte die Stirn, doch Komui fuhr fort, bevor ich eine Frage loswerden konnte.

„Wir haben einen Finder eingeschleust“, verriet er. „Dadurch erhielten wir die sichere Bestätigung, dass er zu so einigen Einsichten gekommen sein soll. Weiß Gott, woher er den Antrieb und die möglichen Informationen hat. Wir werden auch nicht danach fragen.“ Er lehnte sich zurück, fixierte mich ernst. „Das einzige, was uns interessiert, sind die Unterlagen und Aufzeichnungen. Es ist fraglich, ob er unserem Wissen voraus ist aber wiederum nicht, dass er dieses Wissen nicht zu vertiefen und sich weiterhin damit zu beschäftigen hat.“

„Ich soll mich um ihn kümmern“, schloss ich daraus und an diesem Punkt wirkte diese Mission nicht wie etwas Außergewöhnliches. Mit Brokern hatte man oft zu tun. Nur kurz, und anschließend nie wieder. Aber Komui schüttelte den Kopf, stemmte sich auf die Armlehne.

„Dein Auftrag ist es, die Unterlagen an dich zu nehmen. Das hat höchste Priorität. Um den Broker wird sich ein Anderer kümmern.“

Ein Diebstahl…?

Ich runzelte die Stirn.

„Warum kann ich nicht beides übernehmen?“

Aber es schien sich um eine gut durchdachte Sache zu handeln. Sofort schüttelte Komui den Kopf.

„Um ein Wagnis einzugehen, sind die Unterlagen zu wichtig. Selbst das kleinste Wagnis ist mir zu groß. Es ist besser, wenn du dich nur um die Unterlagen zu kümmern hast. Die andere Arbeit wird dir abgenommen, damit du möglichst nicht in brenzlige Situationen gerätst.“

„Mm.“ Ich blätterte um, fand dort aber nichts Interessantes, weshalb ich die Mappe schloss und nickte. „Ist gut.“

Kaum hatte ich ausgesprochen, da nahm ich ein Geräusch wahr. Die Mappe zwischen den Händen wendend, erspähte ich Linali. Auf dem Unterarm ein Tablett, betrat sie das Büro.

„Oh.“ Ihr Lächeln vertiefte sich, als sie auf mich aufmerksam wurde, sich auf den Weg machte. „Guten Morgen, Kanda.“

„Morgen.“ Somit wandte ich mich doch wieder der Mappe zu und vertiefte mich in die Landkarte. Unterdessen wurde Komui mit dem Nötigsten versorgt.

„Bitteschön.“ Seufzend überreichte Linali die Tasse und ebenso seufzend wurde sie entgegen genommen.

„Ich hab dich doch nicht bei etwas gestört, oder?“

„Nein, nein… schon in Ordnung.“

„Wann soll ich mich auf den Weg machen?“ In die Karte vertieft, sprach ich aus, was ich dachte, verschaffte mir einen näheren Überblick. „Das Ziel erreiche ich in zwei Stunden.“

„Mm.“ Komui konnte nicht sofort antworten. Er nippte an dem Kaffee und bequem machte sich Linali auf den Rückweg. „Ah… danke!“ Winkend verabschiedete er sie, bevor er für meine Frage offen war, die Tasse sinken ließ.

„Wir befürchten, dass der Finder in nicht allzu langer Zeit enttarnt werden könnte und wir sollten dem Wissenschaftler nicht die Möglichkeit zur Flucht geben, also solltest du dir nicht zuviel Zeit lassen. Auch vor Ort…“, wieder nippte er und ich blickte auf, „… verschaff dir nur den nötigsten Überblick, bevor du handelst. Wo die Aufzeichnungen gelagert sind, findest du ganz hinten.“ Er wies mit der Tasse auf die Mappe aber diese Seite hatte ich bereits gefunden und studiert. „Vor Ort nimmst du Kontakt zu dem anderen Exorzisten auf… auch das findest du in der Mappe. Der genaue Zeitpunkt der Durchführung und die Planung hängen von euch ab. Handelt nach eigenem Ermessen.“

Die Tasse traf auf den Schreibtisch und beiläufig nahm sich Komui Zeit, seine Mütze zu richten. Unterdessen war die Mappe wieder geschlossen und ich nicht darauf aus, weitere Fragen zu stellen. Das schien es also gewesen zu sein. Die Anweisungen waren deutlich und dennoch wurde ich ein letztes Mal intensiv in Augenschein genommen.

„Unterschätzt die Mission nicht. Wir wissen nicht, über welche Mittel das Zielobjekt verfügt.“ Er hob die Brauen, blickte auf, als ich auf die Beine kam, die Mappe sinken ließ. „Wenn möglich, umgehe die Kämpfe… die Unterlagen sind wichtiger.“

„Verstanden.“ Und schon setzte ich mich in Bewegung, machte mich daran, ihm den Rücken zu kehren und erkannte ein seltsames Lächeln auf seinen Lippen, bevor ich es tat. Es ließ sich nicht definieren und trotzdem sah ich es oft. Die Mappe sicher in der Hand, verließ ich so sein Büro und schloss die Tür hinter mir.
 

„Zwei Tage… höchstens.“ Die Mappe unter den Arm geklemmt, zog ich die Handschuhe unter dem Gürtel hervor, sicherte auch den Sitz Mugens und blickte auf. Die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte er mit dem Rücken an der steinernen Wand. Die Beine gekreuzt, schien er meine Worte kurz zu überdenken, bevor er die Schultern in der robusten Uniform bewegte.

„Du verschätzt dich ziemlich oft“, murmelte er und ließ skeptisch die Augen zur Seite schweifen.

Ich hatte ihn in einem schmalen Gang getroffen und wieder begegneten wir uns, um uns voneinander zu verabschieden. Ich zuckte nur mit den Schultern, versenkte die Hand im ersten Handschuh und zog ihn fest.

„Ich müsste nicht schätzen, wenn du nicht darauf bestehen würdest, es zu wissen“, antwortete ich und spreizte die Finger. Ich spürte den sicheren Sitz des Stoffes, ebenso seinen Blick, der aus den Augenwinkeln zu mir zurückfand. Er fixierte mich still, während ich noch mit meinen Händen zugange war. „Du erwartest zuviel.“

„Ts.“ Der Laut verriet ein Grinsen und wirklich zog ein solches an seinen schmalen Lippen. Er legte den Kopf schief, bettete ihn an dem Gestein und hielt meinen Augen spielerisch stand. „An Herausforderungen wächst man.“

Ein letzter Griff und auch der zweite Handschuh saß. Unter einem wortlosen Kopfschütteln ließ ich so die Mappe sinken und richtete mich auf. Noch immer hatte er nicht das Interesse an der Musterung verloren. Selbst das Grinsen hatte kaum etwas an Intensität eingebüßt, ließ den Anschein entstehen, als wüsste er, dass ich darauf keine Antwort hatte. Prioritäten. Diese Momente waren zu kurz, um sie mit einem nutzlosen Dialog zu verschwenden und nun drifteten sie auch schon ihrem Ende entgegen. Ich hatte ihm Bescheid gegeben, hatte ihn erneut gesehen. Ich musste mich auf den Weg machen.

„Lass dich einfach überraschen.“ Die Gedanken bereits auf das bevorstehende Vorhaben konzentriert, trat ich so an ihn heran. Ein Schritt genügte, um ihn zu erreichen und nur kurz spürte ich die Regung seiner Lippen, als ich sie flüchtig küsste und es somit für mich nichts Weiteres zu sagen gab. Für einen kurzen Moment blieben unsere Blicke aneinander hängen aber ich wandte mich schon ab. Zu längeren Abschieden kam es nie. Für längere Abschiede fehlte es uns stets an Zeit. Missionen kamen unerwartet und dringend und der weiße Schopf glitt aus meinem Sichtfeld, als ich den ersten Schritt tat. Leise hallte er an den steinernen Wänden wider und bei diesem einen blieb es auch. Seine Bewegung war kaum in meine Wahrnehmung gedrungen… nur seine junge Hand, die mir nachschnellte… und seine Finger, die sich in meiner Uniform versenkten. Er zog mich zurück… mit einer Kraft, die in solchen Momenten überraschend kam und mein Mund war vorerst zu keinem einzigen Ton imstande, bevor sich seine Lippen gegen ihn pressten, er mich fest küsste. Er reckte sich mir entgegen, bestimmt behielt er den Griff in den robusten Stoff bei und ein forderndes Drängen brachte mich ohne Umschweife dazu, ihn weiter gehen zu lassen. Warm drang sein Atem über mein Gesicht, als ich den Druck erwiderte, seiner Zunge spielerisch den Übermut nahm, indem ich den Kopf schief legte, ihn gleichzeitig zurück an die Wand trieb. Zu gewissen Zeiten unterlag er gerne… mit einem weiteren Griff in meine Schulter bäumte er sich ein letztes Mal auf, bevor er mir den Vortritt gab und sein Keuchen in meinen Ohren rauschte.

Nur kurz und ich entzog mich seiner völligen Nähe, ohne zuviel von ihr zu kosten. Es war eine Verlockung, die mir derzeit nicht gelegen kam und seine Lippen ließen vollständig von mir ab, als meine Hand zu seiner Brust fand, seinen Leib gegen das Gestein stieß.

Und wieder… als ich die Lider hob, präsentierte er mir seine Zähne unter einem breiten Grinsen. Die Hand noch immer auf seiner Brust, spürte ich, wie seine von mir abließen, er sie träge sinken ließ.

„Ich hab nichts gegen Überraschungen“, meinte er kurz darauf. „Und du scheinbar auch nicht.“

„Ts.“ Meine Zähne bekamen die Unterlippe zu fassen und ein letztes Mal stemmte ich ihn gegen das Gestein, bevor ich die Hand von seiner Brust hob, den Zeigefinger flüchtig und verabschiedend auf sein Kinn setzte und mich abermals abwandte.

Entspannt blieb er lehnen und seine Augen an mir hängen.

„Pass auf dich auf.“

„Was?“ Ein weiteres Mal hielt ich nicht inne. Im Gehen wandte ich mich kurz um, spähte argwöhnisch zu ihm zurück. „Kümmere dich um deine eigene Gesundheit, Bohnenstange!“

„A-l-l-e-n!“ Auch sein Gesicht verfinsterte sich binnen weniger Augenblicke, als er sich von der Wand löste. „Ich bin nur aufmerksam! Wie sollst du eine Gefahr kapieren, wenn ich dich schon seit Ewigkeiten wegen dieser einen Sache belehre!“

„Belehre dich selbst, keinen Blödsinn mehr zu reden!“

„Pah!“

Ich hatte mich bereits abgewandt, war nun kurz davor, aus seinem Blickfeld zu verschwinden. Eine Ecke würde den völligen Abschied darstellen und bewusst blickte ich nicht zurück, bevor ich sie hinter mir ließ. Nur die Hand hob ich zum flüchtigen Salut, bevor ich die Richtung wechselte und in das Treppenhaus hinaustrat.

„Idiot!“, vernahm ich noch seine Stimme, bevor ich die Schritte verschnellerte, eine schmale Treppe erreichte und diese hinab stieg.
 

~*tbc*~



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