Coming Closer
Shot through the heart
And you're to blame
(Bon Jovi – “You Give Love A Bad Name”)
Coming Closer
Samstag 03.09.XX
Sasuke war bei mir...
Ich meine – er war wirklich bei mir!
Werden wir uns wieder sehen?
Ich meine so wie wir uns heute früh gesehen haben...
Dann... am Montag in der Schule...
Wird alles noch so sein, wie heute Morgen?
Ich habe Schiss...
Sonntag 04.09.XX
Kann es nicht schon Montag sein?
Ich.
Will.
Ihn.
Wieder.
Sehen.
Sonntag 04.09.XX
Warum ist immer noch nicht Montag?
Gott!
Sag mir, dass es gestern wirklich passiert ist!
Bitte!
Sonst werde ich noch wahnsinnig!
Montag 05.09.XX
Überlebt... Irgendwie.
Aber mit einem Herzrasen vom Feinsten.
Ich konnte einfach nicht aufhören angespannt zu sein...
Die Leute waren besorgt, weil sie mich so noch nicht kennen; dachten, irgendein Haustier wäre gestorben, oder ein Verwandter.
Ich war wie in einem Traum gefangen, unfähig bewusst zu denken, denn meine Gedanken kreisten nur um Sasuke. Meine krampfhaften Versuche, nicht in seine Richtung zu schauen waren zwar von Erfolg gekrönt, aber was bringen sie mir bitte, wenn er mich gleich am selben Tag nochmal anspricht?
Ich kann es immer noch nicht glauben.
Ich saß auf meinem üblichen Platz im Lateinunterricht, immer schön darauf bedacht, meinen Kopf und meinen Blick nicht ständig nach links, zur Fensterseite schweifen zu lassen, wo ich natürlich Sasuke sehen würde, der wie immer konzentriert den erteilten Aufgaben nachging. Und ich hatte mich auch hervorragend im Griff, wie ich fand. Bis auf die Sache mit der Anspannung, aber die verband zum Glück niemand mit dem wahren Grund ihres Daseins.
Auch diese Stunde überstand ich zu meiner Verwunderung ziemlich heil. Mein Gehirn hatte keinen Schaden davon getragen, dass ich innerlich ständig in der Angst verweilen musste, der Lehrer könne mich aufrufen und das erste Wort, das meinen Mund verlassen würde, Sasuke wäre. Ich hielt meinen Körper auch recht gut davon ab, vor Anspannung zu zittern. Aber die Wogen der Zitteranfälle kamen immer dann, wenn ich sie am wenigsten erwartete – nämlich als ich seinen Blick auf mir spürte. Ich habe es kein einziges Mal mit meinen eigenen Augen gesehen, aber irgendwas ließ mich ahnen, dass Sasuke mich aus den Augenwinkeln immer mal wieder beobachtete. Mag sein, dass ich es mir nur eingebildet habe, in meinem benebelten Zustand, aber die Vorstellung ist trotzdem verdammt prickelnd!
Ich weiß nur noch nicht, wie ich damit umgehen soll – es kam alles so plötzlich, so unerwartet... Und ich war nicht vorbereitet darauf. Ich muss mich wohl langsam an den Gedanken gewöhnen, dass er alles weiß... Nichtsdestotrotz fällt es mir schwer daran zu glauben, dass Sasuke mich nicht für einen absoluten Vollidioten hält. Für einen Freak, einen Perversen... Ich meine, der bin ich doch eigentlich, oder? Ist das, was ich hier ständig schreibe, was ich des Nachts tue, wenn ich an ihn denke, nicht der hundertprozentige Beweis für meine mentale Inkompetenz? Allein schon die Tatsache, dass ich auf solche Worte, wie ‚Inkompetenz‘ überhaupt zurückgreife, zeugt davon, dass mit mir etwas nicht stimmt. Ich habe an schwierige Ausdrücke vor Sasuke kein einziges Mal gedacht und war nicht einmal fähig gewesen, diese in den Mund zu nehmen, weil sie schlicht und ergreifend nicht zu meinem gewöhnlichen Wortschatz gehören. Und nun sprießen sie förmlich wie von selbst!
Ich kann es nicht wirklich einordnen, was los ist. Aber wie es aussieht, hält mich Sasuke nicht für den, für den ich mich eigentlich selbst halte. Es ist faszinierend und absolut unverständlich zugleich. Ich bin immer noch der Meinung, dass ich lediglich träume. Das kann doch alles unmöglich passiert sein, oder?
Aber wenn es so ist, wenn ich wirklich nur träumen sollte, dann – oh Gott – lass mich nie wieder aufwachen! Denn es würde wohl meinen sofortigen Tod bedeuten, wenn ich die Augen in dem Wissen öffne, dass er nicht bei mir gewesen ist... dass er nach der Lateinstunde nicht aufgestanden ist und, als fast alle aus dem Klassenraum verschwunden waren, meinen Namen nicht gerufen hat.
Diese Stimme, verflucht nochmal, diese Stimme!
Sasuke, du bist ein verdammter Bastard, habe ich es nicht schon erwähnt?
Weißt du? Jede dieser Zeilen ist doch eigentlich immer noch an dich gerichtet, egal aus welcher Perspektive ich diesen Text verfasse. Und doch – soweit ist es schon – ich kann von dir nicht einmal mehr in der dritten Person schreiben! Habe ich es, verdammt noch mal, überhaupt jemals aufrichtig gekonnt? Ich musste mich regelrecht dazu überwinden, den oberen Absatz nicht ständig mit ‚dir‘ und ‚du‘ zu füllen. Haha – wie auch immer. Ich denke, ich sollte mich nicht mehr zwingen, es so wie einen gewöhnlichen, kitschigen Tagebucheintrag aussehen zu lassen und genau das machen, was ich schon die ganze Zeit gemacht habe – nämlich für dich und an dich zu schreiben. Ob du willst, oder nicht. Ob du es zu Gesicht bekommen wirst, oder nicht.
Komme, was wolle – deine Stimme bleibt die gleiche und ich will diese leeren Blätter nicht länger davon abhalten, die Erinnerung daran aufzubewahren, wie deine Stimme sich anhört.
Wie so vieles, ist die Stimme verdammt schwer zu beschreiben und bei der Beschreibung der Deinen muss und will ich mir noch zusätzlich viel Mühe geben.
Unbeschreiblich ist sie aufs erste Hinhören.
Und heute war sie noch unbeschreiblicher, als all die Male, die ich sie vorher gehört habe. Unbeschreiblich, weil es sich nur oberflächlich mit Worten ausdrücken lässt. Aber das, was in ihr drin steckt, das ist wie Nebel, den man versucht mit der bloßen Hand zu fassen.
Unfassbar. Unfassbar und unbeschreiblich ist es, wie du meinen Namen heute gesprochen hast!
Moment – ich lüge...
Als du mich am Samstag gebeten hattest, dich zu berühren... da war sie am unfassbarsten und am unbeschreiblichsten...
Sie war deutlich, schön und so leidenschaftlich, wie ich es noch nie erlebt habe. Es hat mich wahnsinnig gemacht, hatte mich gezwungen, den Verstand schließlich doch noch zu verlieren für einen klitzekleinen Moment... Aber es war schneller aus, als gedacht. An diese Enttäuschung will ich mich ganz und gar nicht erinnern... Viel lieber koste ich den heute stattgefundenen Moment aus.
Ein einziges Wort – mein Name – und schon hattest du mein Blut heute dazu gebracht mit mindestens 200 Sachen kochend durch meine Adern zu rasen. Es hat für mich und meinen Körper wie ein Befehl geklungen. Wie ein verflucht unwahrscheinlicher Befehl, dich wieder zu berühren. Beinah wäre ich ihm nachgegangen nachgegangen.
Es war wohl die Priese tödlichen Ernstes in deinem Tonfall, die mich letzten Endes an all das glauben ließ, was heute geschehen ist. Jene Priese, die von dir sonst immer so großzügig bei deiner Wortwahl eingestreut wird, sei es Umgangssprache, oder irgendwas Trockenes und Fachmännisches.
Heute war es anders – heute habe ich mir eingebildet, mehr herausgehört zu haben. Einen heftigen „es war kein Traum, Naruto"-Hauch, begleitet mit diesem Erinnerungen wachrüttelnden Blick...
Deine Stimme...
Formal und oberflächlich beschrieben: eher mitteltief, leicht dumpf aber kräftig vom Ton.
Jedes deiner Worte hört sich wie ein eitler Befehl an, egal ob es ein harmloses „Entschuldigen Sie die Verspätung“ ist (was eh so gut wie nie vorkommt), oder eine Art nettigkeitsarme Bitte wie „Aus dem Weg“. Aber all diese Befehle haben freilich ihre Wirkung.
Und nun stell dir vor...
Stell dir vor, wie es sich angefühlt hat, als du mir sagtest:
„Berühr mich endlich!“
Verflucht sei die Leidenschaft, die darin mitschwang.
Und genau diese Stimme, die du diesmal ziemlich kühl und teilnahmslos klingen gelassen hattest, um dir rein gar nichts anmerken zu lassen, rief heute knapp und eher gedämpft meinen Namen, als ich dabei war, den Raum zu verlassen. Ja, kühl, als wäre keine Leidenschaft von Samstag darin enthalten, und doch trug es so viel Bedeutung in sich. So viele von diesen schwerwiegenden Erinnerungen.
Ich schwöre dir, ich hatte das Gefühl, als würdest du mich im nächsten Moment am Oberarm zu dir herum drehen und am Kragen packen, aber als ich meinen Kopf im völligen Unglauben wendete, sah ich, dass du gar am anderen Ende des Klassenraumes, nahe deines Platzes standest.
Einige der noch zusammenpackenden Klassenkameraden sahen uns an und ich merkte, wie die Spannung stieg.
Es war der erste offizielle Kontakt sozusagen.
Der erste überhaupt! Noch nie hattest du mir nämlich während der Schulzeit deine Aufmerksamkeit direkt geschenkt. Und genau das war es, was jeder ganz genau wusste.
Ich sah dir tapfer in die dunklen Augen, du schautest unverwandt zurück, ungeachtet der Leute, die wiederum uns anschauten.
Ich hielt es nicht mehr aus, wechselte kurz verwirrte Blicke mit den Anwesenden und fragte dich: „Was ist?“
Du hieltst nur knapp einen Hefter in die Luft, würdigtest die anderen keines Blickes und gingst mit deiner Tasche, die du dir über die Schulter gehängt hattest zu mir rüber, um mir kurz darauf mit dem Hefter einen Klaps auf den Haarwirbel zu geben – leicht, kaum spürbar – als wäre es ein Windhauch. Und doch hätte es jeden anderen mit Sicherheit in Ehrfurcht versetzt.
„Der Mathelehrer hat mich darum gebeten“, hattest du knapp gesagt, ehe du deinen Blick geradeaus an mir vorbei richtetest und mit jeder deiner Bewegungen zu signalisieren schienst, dass ich mitkommen sollte.
Dachtest du, ich würde es nicht tun?
Oder hattest du damit gerechnet, dass ich es tun würde?
War es die Wahrheit, was du mir gesagt hattest?
Oder nur ein Vorwand, um mit mir die Pause zu verbringen?
Hast du auf mein Schreiben angespielt? Nachhilfeschüler?
Was war es, Sasuke?
Natürlich bin ich dir gefolgt.
Aber ich war so aufgeregt, so verkrampft, dass ich vor lauter Hirnlosigkeit vergessen hatte, mir etwas in der Cafeteria zu essen zu kaufen.
Ich lief dir einfach nur nach, wie ein verwirrter, treuer Hund, der gar nicht anders kann, außer dem Menschen nachzurennen, dem er gehört.
Und dann saßen wir zusammen da – uns halb gegenüber hinter der Sporthalle, wo sich keine Sau aufhält, weil dort zu wenig Platz ist, und weil die Fenster des Lehrerzimmers einladend hinzeigen. Es war so klar gewesen, dass es dein Stammplatz ist – da hattest du deine Ruhe vor nervigen Fangirls und rumorenden Kindern, genauso wie vor heimlichen Rauchern, Trinkern oder Kiffern. Was sollten die Lehrer dir – dem Überflieger schlechthin – schon antun?
Wir saßen auf der Treppe zum Hintereingang der Turnhalle, schweigend, während du in dem Hefter blättern musstest, um mir irgendwelche Aufzeichnungen von dir zu geben. Ich sah und hörte dir dabei nur gebannt zu, ohne auch nur einen Mucks von mir zu geben. Mein Augenmerk war gepinnt an jede deiner noch so kleinen Rührungen.
Ich fraß es auf, so wie ich Ramen auffressen würde.
Im Ernst – mir lief das Wasser im Munde zusammen. Aber es war so, als ob vor der riesengroßen Schüssel Ramen eine undurchdringbare Mauer aus Glas stehen würde. Und all mein Wille reichte nicht aus, um diese zu brechen. Grauenvoll und ungerecht!
Oh nein, ich glaube, es war sogar schlimmer als bei dem genannten Beispiel gewesen. Als ob ich solch einen Hunger bei Ramen verspüren würde! Ich meine, ja, natürlich – ich liebe Ramen über alles! Aber verdammt noch mal – trotz des physischen Hungers, den ich verspürte, verschwendete ich keinen einzigen Gedanken an Ramen. Ich merkte nicht einmal, dass mein Bauch knurrte, was dich allerdings wahrscheinlich dazu veranlasst hatte, aufzuschauen und in dein komisches Vollkornbrötchen vorerst nicht hineinzubeißen, das du vor deinen Lippen hieltst. Du hattest mich dann mit einer gehobenen Augenbraue gemustert und ohne großes Hin und Her mit dem wohl knappsten Nicken von all deinen Kopfbewegungen zu deiner schlichten Papiertüte vom Bäcker gedeutet. Das war der Moment, in dem ich merkte, dass auch dein Körper ausschließlich in Befehlen spricht. Dein wortloses Angebot duldete keine Widerrede und ich fügte mich diesem Befehl, weil es mir peinlicher gewesen wäre vor dir mit knurrendem Magen zu sitzen, statt mich dir bei dieser Sache unterzuordnen.
Glaub ja nicht, dass es auch weiterhin so läuft, Sasuke!
Ich nahm mir also ebenfalls so ein Brötchen aus der Tüte und war gerade im Begriff, hinein zu beißen, ohne zu hinterfragen, was das für ekelhaft gesundes Zeug war, das du dir da geholt hattest, als mein Blick wieder an dir haften blieb.
Und plötzlich spielte deine Stimme, die versuchte mir gerade irgendetwas über die nächste Matheklausur näher zu bringen, gar keine wirkliche Rolle mehr. Ich sah nur noch sie: deine Lippen, wie sie sich ein Stück weit voneinander spalteten, um nach den gesagten, jedoch von mir unerhörten Worten den ersten Bissen deines Essens zu empfangen. Und dann sah ich deine filigranen Finger, wie diese sich deinen Lippen näherten. Ich sah deine Zähne... deine Zunge... und ich verschlang es. Ich verschlang alles. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wie ich was von dem Brötchen in meiner Hand abgebissen habe, ich weiß nur, dass ich wie eine Somnambule schon seit einer geschlagenen Minute auf dem Zeug im Schneckentempo rumkaute, unfähig, dir meinen Blick zu entreißen und unfähig auch nur ein einziges Mal zu blinzeln.
Ich sah es wie in Zeitlupe ablaufen.
Jede Bewegung deines Mundes, deiner Lippen, deines Kiefers – all das so nah, wie bisher nur einmal zuvor, weil ich es jetzt anstarren durfte. Dass du mein Schreiben gelesen hast und deine Reaktion darauf waren für mich wie eine Erlaubnis, ein Einverständnis! Und ich nutzte es aus!
Ich starrte dich an und verschlang dich, vollkommen überwältigt von deiner Präsenz, von deiner Nähe.
Und natürlich hattest du es bemerkt.
Wäre auch schön blöd, wenn nicht – so bekloppt, wie ich dich angaffte.
Du hattest es also bemerkt, hattest wieder aufgeschaut, diesmal den Kopf nur leicht seitlich anhebend, mich aus den Augenwinkeln betrachtend, und erstarrtest – nein – besser gesagt, du warst von der plötzlichen Erkenntnis über meine Beobachtung gezwungen, all deine Bewegungsabläufe zu drosseln. Dein Blick brannte in meinen Augen.
Er brannte und fror zugleich alles nieder.
Er stach und zerquetschte und zerrieb.
Und er lockte mich unwillkürlich, in deiner Nähe zu versinken.
Du wolltest den nächsten Bissen nehmen, doch meine psychopathisch dreinschauenden Augen musste dich wohl eingeschüchtert haben, also hieltst du knapp vor deinem leicht offenen Mund inne.
Diese Lippen, verflucht nochmal, diese Lippen!
Aber du hattest beschlossen, das mit dem Essen sein zu lassen und das Brötchen landete nach einem minimalen Zögern wieder in der Tüte.
„Es... wird gleich läuten“, hast du dann eher gehaucht als gesagt „Ich habe dir die wichtigen Blätter kopiert. Wiederhol sie zu Hause, Trottel...“
Damit lag ein kleiner Stapel Blätter neben mir, den ich nicht beachtete.
Und dann läutete es tatsächlich.
Du warst schnell weg. Bist aufgestanden, als hätte dich der Blitz getroffen und warst einfach verschwunden. Einfach weg. Um die Ecke der Sporthalle gebogen und weg.
Und ich saß dort noch lange, ungeachtet der Lehrkräfte, die alle Zeit und Ruhe der Welt hatten, durch die Fenster des Lehrerzimmers zu beobachten, wie ich unverwandt in die Ferne starrte und die nächste Schulstunde schwänzte.
Montag 05.09.XX
Nachtrag.
Ich habe es wirklich versucht.
Heute den ganzen Tag, ehrlich!
Ich schwöre, ich habe mich hingesetzt und habe versucht, mir den Stoff von Mathe durchzulesen und ihn zu verinnerlichen.
Aber alles, woran ich denken konnte, warst du, Sasuke.
Wegen deiner verdammt ordentlichen Schrift wohlgemerkt.
Wegen deiner verdammten, blassen Hand, die diese Schrift beherrschte.
Und wegen der verdammten Symbolik, die ich mit einer rechten Hand verbinde.
Diese Haut, verflucht nochmal, diese Haut!
Ich weiß, ich bin unverbesserlich...
Der Klausurstoff will allein beim Anblick deiner Schrift nicht in meinen Kopf reingehen...
Vielleicht bin ich zu bescheuert dafür...
Vielleicht bin ich aber auch so raffiniert, dies als Anlass dafür zu sehen, morgen bei Gelegenheit noch einmal deine Lippen beobachten zu dürfen...
Dienstag 06.09.XX
Manchmal denke ich, es wäre besser, sich wenigstens ein kleines Bisschen zusammenreißen zu können...
Als ich heute in der Pause vor deinem Tisch stand, mir den Nacken gekratzt habe und mindestens sieben Anläufe gebraucht habe, um dir mein Anliegen zu schildern, habe ich mich gefühlt wie einer deiner nervigen Fans. Das kotzt mich zwar immer noch tierisch an, aber Scheiße, Mann – es ändert nichts an der Tatsache, dass ich es doch schließlich geschafft habe!
Ich war unglaublich aufgeregt gewesen und ich hatte meinen typischen Schmollmund, den ich immer hatte, wenn irgendjemand von dir sprach, nur mit viel Mühe auf meinen Lippen bewahren können. Eigentlich habe ich dieses Spielchen satt, aber weder du noch ich wollen, dass irgendwas auffliegt. Du bestimmt sogar mehr als ich. Ich will mir gar nicht erst ausmalen, wie unangenehm es dir wäre, wenn es jemals rauskommen würde, was vor einigen Tagen in meiner Küche passiert ist. Und mir meinerseits wäre es peinlich wenn irgendwer von den Schriften hier erfahren würde. Sie waren ursprünglich doch nicht einmal für deine eigenen Augen gedacht. Aber es ist anders gekommen.
Jetzt weißt du alles.
Alles.
Und ich kann mich jetzt einfach nicht mehr zusammenreißen, nachdem du mich gebeten hast, dich zu berühren.
Ich gerate nach und nach außer Kontrolle, Sasuke.
Sieh zu, dass du mich rechtzeitig stoppst.
Denn wenn mein Mut erst an Kraft gewinnt, dann weiß ich nicht, was kommen mag. Fakt ist nur, dass irgendwann irgendetwas kommen wird. Und ich garantiere nicht dafür, dass es von der Unschuld höchst persönlich gemeißelt sein wird.
Hüte dich, denn mein Mut ist mit meiner heutigen Tat erwacht.
Ich stand also vor dir, während du auf deinem Platz in deinen Unterlagen für die nächste Stunde blätternd gesessen hast. Einige Blicke unserer Klassenkameraden lagen auf uns, andere Schüler waren in ihre Lebensgeschichten vertieft. Ich schob mit meiner Hand die Mathehausaufgabe zu dir rüber und schaffte es irgendwann alles in eine einzige Wortkonstellation zu verpacken, nachdem ich darin versagt hatte, dich um deine Hilfe zu bitten.
„Versteh‘ ich nich‘...“, hatte ich gemurrt, woraufhin, du deinen Blick über das Blatt schweifen gelassen hattest. Deine Augenbraue hob sich in die Höhe.
„Du hast doch noch nicht einmal versucht die Aufgabe zu lösen, Usuratonkachi“, war deine Skepsis erfüllte Erwiderung. Ich rechtfertigte mich nur mit einem sehr nichtüberzeugenden „Doch“.
„Ich nehme an, ich soll es dir erklären“, war deine leicht spöttische Frage und ich wollte schon zu einer Art bejahender, aber nicht sofort zustimmender Antwort ansetzen, mich über das dreiste „Usuratonkachi“ ärgernd, aber mir wurde eine Hand auf die Schulter gelegt und ich war gezwungen, mich herumzudrehen.
Kiba.
Ich könnte mich immer noch darüber aufregen, warum ich ihn nicht schon vor einigen Monaten verprügelt habe, als er Scherze darüber gemacht hatte, wie verschieden du und ich doch seien. Aber ich hatte ihn verschont – sein Glück. Heute hatte ich dagegen das Gefühl, als sollte ich ihm auf der Stelle eine reinhauen, weil er mich von meinem Ziel abhielt. Ich konnte vor ihm ja schlecht zugeben, dass ich dich sozusagen um Hilfe bei der Aufgabe bitten wollte.
Es endete alles mit einer Enttäuschung. Ich konnte keinen geeigneten Moment mehr finden, in dem ich dich ansprechen würde und die Zeit flog vorüber.
Beinah wäre der Schultag ereignislos vergangen, aber es kam anders...
Verflucht nochmal!
Warum kann ich nicht für dich schreiben, ohne dabei einen Ständer zu kriegen, hä?!
ᢁ ᢁ ᢁ
Ich bin untröstlich. Es soll langsam mal aufhören. Ehrlich, ich kann mir doch nicht ständig einen runterholen, denke ich mir, als ich an mir mit leicht geweiteten Augen runter sehe.
Ich versuche es ja schon zu unterdrücken irgendwie, aber sobald ich an dich denke ist dieses beschissene Kribbeln wieder da.
Unsanft schmeißt meine Hand das Notizbuch zusammen mit dem Stift auf den Boden und ich rufe mir deine heutige Gestalt, wie sie sich an die Spindreihe lehnt, in den Kopf. Nein – viel eher geschieht das von ganz allein.
Dein pseudo-cooles Benehmen macht mich wahnsinnig, Bastard!
Fast schon wütend schiebe ich die Hand unter meinen Hosenbund, nachdem ich mich aufgesetzt habe. Die Augenlider fallen mir zu und die Augenbrauen ziehen sich wie immer zusammen.
Wie kannst du es nur aushalten, hm?! Ich würde es auch gern können.
Meine Handbewegungen sind diesmal sofort energisch.
Ich bin verdammt verärgert, weißt du?
Ja, Ungeduld ist mein zweiter Vorname, Sasuke. Und? Hast du was dagegen, hm?
Aber die nachfolgenden Erinnerungen stimmen mich wieder etwas zahmer. Zu himmlisch ist die Vorstellung deines Gesichtes, das mir heute wieder zugewandt war.
Du hattest die Arme vor der Brust verschränkt, schautest wartend in eine unergründliche Ferne und ich wusste sofort, dass du auf mich gewartet hattest. Der Flur der Schule war inzwischen leer nach Schulschluss, Der Lehrer hatte mich ironischerweise noch lange mit seinen langweiligen Predigten über meine schlechte Ausdrucksweise in Klausuren aufgehalten, weshalb ich dir genau ansehen konnte, dass du genervt von dem langen Warten warst.
Ich ging auf dich zu, oder besser gesagt habe ich versucht es so aussehen zu lassen, als ob ich eigentlich an dir vorbei gehen wolle, aber meine Füße widersetzten sich mir in meinem Vorhaben. Mein Rucksack hing auf einer Schulter und meine Hände krampften sich innerhalb meiner Hosentaschen immer stärker zusammen, je näher ich dir kam. Dann legte sich dein wie immer messerscharfer Blick auf mich, sodass ich mich erst vergewissern musste den Kopf kurz um mich drehend, ob du auch wirklich mich angesehen hattest, naiv wie eh und je glaubend, dass es doch einfach nicht sein konnte, von dir so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Dann steuerte ich also doch noch direkt dich an. Du warst einfach zu verlockend, wie immer.
Unwissend, was ich sagen sollte, war ich vor dir stehengeblieben etwas auf den Füßen auf und ab wippend wegen der Aufregung davor, deinen Blick auf mir zu tragen.
Unspektakulär aber doch voller nie fortgehender Spannung verbrachten wir unzählige, viel zu lange Sekunden damit, einfach nur voreinander zu stehen. Ich musste ständig deinem Blick ausweichen und visierte deswegen irgendwelche uninteressante Oberflächen an. Dann wurde es mir zu blöd.
Was erwartest du jetzt, hm?“, fragte ich ungeduldig aber ehrlich nicht wissend, was du nun eigentlich wolltest. Nun war es an dir endlich den stechend-bohrenden Blick von mir zu nehmen. Du löstest deine Arme aus der Verschränkung und stecktest sie in die Hosentaschen.
„Nichts“, kam es leise von dir und ich triumphierte innerlich über diese kleine Unsicherheit in deiner Stimme.
„Willst du irgendwas Bestimmtes?“
Ich bekam mit, wie du von meiner mehrdeutigen Frage leicht zusammengezuckt bist. Deine langsam steigende Anspannung war für mich, der dich so genau beobachtete, ob direkt oder indirekt, deutlich sichtbar.
„Willst du, dass ich irgendwas Bestimmtes will?“
Diese Zweideutigkeit!
Und ohne, dass ich es hätte aufhalten können, hauchte ich ein deutliches „Ja.“
Du blicktest zur Seite. War da eine leichte Verfärbung deiner Wangen? Oder bildete ich es mir nur ein?
Fuck, macht mich die Erinnerung daran an! Und jetzt, beim Sitzen auf meinem Bett auch noch ganz besonders!
Deine Oberlippe befeuchtete dezent deine Untere und ich konnte nicht anders als dir noch einen Schritt näher zu treten. Ein Schritt weiter und ich stand dir so nah, wie damals bei mir zu Hause. Doch du bist nicht zurückgewichen.
„Und was willst du?“, machte ich einen neuen Anlauf, deine Gedanken zu erfahren. „Ich meine, weshalb solltest du sonst hier auf mich warten?“
„Mathe“, kam es hastig aus deinem Mund. „Du wolltest, dass ich dir etwas erkläre, oder nicht?“
Oh, welch liebliche Ausrede, Sasuke!
Ich grinse in meinen Erinnerungen schwelgend. Du weißt genau, dass ich weiß, was dir eigentlich durch den Kopf fliegt, wenn du solche Ausreden benutzt. Das ist jedenfalls das, was ich glaube zu wissen.
Es ist noch heißer alles von Anfang an in meinen Kopf zu rufen, ehe ich zu meinem Höhepunkt gelange. Auch, wenn es mich viel Selbstbeherrschung kostet.
„Ah, verstehe. Wie zuvorkommend von dir, Mister Klassensprecher!“
„Wie ich sehe, hast du also Zeit, wenn du sie für‘s Klopfen frecher Sprüche verschwenden kannst.“
Touché!
„Die Schulbibliothek hat noch offen.“
Was du nicht sagst, Sasuke!
Ein Ort, den ich normalerweise nicht mal in meinen Alpträumen besuche, bekam plötzlich einen gewissen heißen Touch. Vielleicht werde ich ja ab jetzt öfters hingehen. Meine blühende Fantasie drehte wieder ihre Runden.
„Mathe...!“, hattest du noch einmal etwas deutlicher eingeworfen, „da kann ich dir Mathe erklären...“ – als ob du meine Gedanken gelesen hattest.
„Ja... genau... Mathe...“, wiederholte ich verträumt.
„Ich meine es ernst, Uzumaki!“
Und ich erst!
Du bist scharf, wenn du aufgeregt und unsicher wirst, Sasuke. So sehe ich dich selten. Diese Emotionen von dir sind so neu und unergründet für mich und eröffnen mir noch mehr Tore für den Fluss meiner Fantasie.
Ich schnappe gierig nach Luft und ein vor Erregung geräuschvoller Atemzug erfüllt mein Zimmer. In meinem Kopf gehst du im Schulflur vor, während ich dich von hinten ansehe und dir wieder widerstandslos nachlaufe.
Du hast mich fest an der Leine, egal wie rot deine Wangen sind und egal wie aufgeregt du bist.
Dein Nacken und dein Hals locken mich mit ihrer reinen Blässe. Ich hole auf, neige meinen Kopf zu deiner Halsbeuge, ziehe deinen Geruch tief in meine Lunge, senke die Lippen zur angespannten Sehne und hauche mit geschlossenen Lidern einen sachten, sinnlichen Kuss auf deine leicht erhitzte Haut. Meine Lippen werden versengt und ich stürze in den Wahnsinn meines Höhepunkts bei den Vorstellungen des Darauffolgenden.
Okay, ja, schon gut – Letzteres hatte ich mir zu Gunsten meiner abendlichen Beschäftigung gerade ausgedacht...
Ich gebe es mir zu, weil die Situation natürlich anders verlaufen ist, als in meinem Kopf. Gefüllt mit Mathe und unerotischen Gesprächen darüber. Ist doch klar, dass ich mir so was nicht vorstellen will, während ich mir mal wieder einen runterhole.
Aber sag mir eins, Sasuke. Warum dieser Abstand? Wir waren schon einmal weiter, als uns in einer Bibliothek nur gegenüberzusitzen. Und du weißt es, denn du warst derjenige, der es initiiert hatte. Und du weißt genau, dass ich nicht mehr so reagieren würde, wie damals bei mir.
In der Bibliothek saß ich vor dir wie eine geladene Knarre und ich bin mir sicher, dass du es gespürt haben musstest. Da gab es diesen einen kniffligen Moment, in dem du aufgeschaut hattest, um nachzufragen, ob ich deine Erklärung verstanden habe, den Zeigefinger immer noch auf die Vorrechnung einer Matheaufgabe aus dem Buch deutend. Und da hattest du meinen Blick sicher wieder identifiziert – denselben, wie bei der Situation mit den Brötchen vor ein paar Tagen. Da war keine Barriere, kein Widerstand mehr bei mir. Du weißt, ich hätte in dem Moment alles getan, was du mir gesagt hättest.
„komm her.“
„berühre mich.“
„küss mich.“
Alles!
Aber du hattest nur geschwiegen bis der Moment wieder verflogen ist, weil irgendein Geräusch ertönte.
Würdest du diesen Verlauf bereuen, wenn du meine Gedanken in diesem Moment lesen könntest?
Oder schreckt dich etwas ab?
Irgendetwas...
Zu gern würde ich es ausmerzen.
Wird es dir helfen, wenn ich dich darauf anspreche?
Oder soll ich abwarten?
Weiter abwarten, bis du wieder die Initiative ergreifst...
ᢁ ᢁ ᢁ
Freitag 09.09.XX
Die Woche ist um.
Und nichts.
NICHTS ist passiert!
Ich halte es nicht mehr aus, diese Spannung!
Ich halte es wirklich nicht mehr aus!
Warum habe ich dich nicht wenigstens nach deiner Handynummer gefragt?
Warum habe ich mich nicht mehr getraut, dich anzusprechen?
Warum hast du mich seit Dienstag nicht mehr angesprochen?
Warum, warum, warum?!
Was hält dich zurück weiter zu gehen?
Ist es meine verdammte Unsicherheit?
Ja, natürlich bin ich unsicher! Ich prolle in meinen Gedanken dauernd rum, dass ich dich will und das alles. Dass ich dir näher kommen möchte, dass ich nur darauf warte, dass du mir die Erlaubnis gibst, über dich herzufallen, oder so... aber was denkst du bitte, wer ich bin?
Ich bin doch nur ein dummer Trottel ohne Wissen, ohne Erfahrung. Denkst du, es ist leicht für mich, die Initiative zu ergreifen? Denkst du, ich bin so mutig, wie ich immer tue?
Was möchtest du?
Sag es mir doch einfach. Sag mir endlich was du willst!
Ich habe doch sonst nichts, außer meiner Fantasie.
Freitag 09.09.XX
Verdammt, ich will dich!
Samstag 10.09.XX
Ich will dich!
Ich will dich!
Ich will dich!
Sonntag 11.09.XX
ICH WILL DICH!
Montag 12.09.XX
Ich war bei Sasuke...
Ich meine – ich war wirklich bei ihm!
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lange ist's her. Deswegen habe ich beschlossen
das Kapitel zu unterteilen, um euch nicht mehr so lange
warten zu lassen.
Fieser Cliffhanger, aber was will man machen?
GOTTHEIT~