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Post Blue

It's between you and me
von

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04:00

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Das hässliche Würgegeräusch hallt durch das kleine Bad, taucht ein in das Schummerlicht und prallt an den schmutzigen Fliesen ab. Der Auslöser hängt halb zusammengekrümmt über der Badewanne, zittert am ganzen Leib. Daneben ein Körper in ähnlicher Pose, vielleicht mit noch etwas mehr Anstand oder auch wahlweise nur Gesundheit.
 

„Ist... das entwürdigend.“
 

Mehr Keuchen als Satz.
 

„Die Frage ist, wie viel Würde man haben kann, wenn man kotzend mit seinem besten Freund über der eigenen Badewanne hängt.“
 

Manchmal hasst er Bela für diese Eigenschaft. Manchmal liebt er ihn aber auch für seine unverschnörkelten Konkretisierungen. Farin spürt neben der Übelkeit, wie ihm eine seiner wirren blonden Strähne vorsichtig aus dem Gesicht gehalten wird. Ein Blick nach oben zeigt ihm ein eher groteskes Lächeln seines besten Freundes, der mit der anderen Hand versucht seine eigene Haarpracht vor dem Erbrochenen zu schützen.
 

Kurzerhand greift Farin in den schwarzen Schopf und kämmt mit den Fingern die Strähnen zurück. Wobei Kämmen hier ein relativer Begriff ist, sind die Haare des Schlagzeugers doch verklebt mit Haarspray und anderen Pflegeprodukten.
 

„Was wird...“
 

Bela wird jäh durch seinen eigenen Brechreiz unterbrochen. Mit leicht angewidertem Blick, der so gar nicht in die Situation passt, beobachtet Farin seinen Freund. Die Hand behält er fest in der eh zerstörten Frisur, das Haarspray hätte ihm auch keine andere Wahl gelassen.
 

Nur Sekunden später übermannt Farin der Ekel. Hustend und keuchend fallen seine glorreichen ein Meter und fünfundneunzig in sich zusammen.
 

„Synchronkotzen.“, stellt der Schlagzeuger lakonisch fest.
 

Obwohl Farin sich dagegen sträubt, muss er kurz lachen. Heiser und mit Bitterkeit versetzt ist der Laut nur bedingt schöner als die vorangegangen Geräusche. Sekunden später schlägt seine Stimmung um, es gleicht fast schon Wehmut:
 

„Wenigstens weißt du, warum du dir die Seele aus dem Leib kotzt.“
 

Dieses Mal lacht Bela trocken. Farin hat in diesem Thema keine Antwort erwartet, braucht sie auch nicht.
 

Er hat vor Belas Sucht kapituliert, will eigentlich gar nicht mehr wissen, was der Schlagzeuger trinkt, spritzt oder sonst wie konsumiert. Unweigerlich krallt er seine Hand fester in die schwarzen Haare.
 

„Was hab ich für 'nen Grund? Wegen dem beschissenen Konzert in Kreuzberg klapp ich doch nicht zusammen. Ich hab danach nicht noch in dieser Bude gehockt und mich abgeschossen vor lauter Frust und Hass auf die Welt.“
 

Bela übergeht die Anspielung erneut gekonnt und murmelt nur leise:
 

„Geteiltes Leid ist halbes Leid...“
 

„Für dich mach ich das hier sicher nicht.“
 

Eine dreiste Lüge, das wissen sie beide. Farin würde alles für Bela geben. Wenn er das nicht sogar schon tut.
 

Das hier äußert sich in diesem Moment schon wieder, heftiger als zuvor. Zitternd verkrallt Farin seine freie Hand in dem weißen Porzellan der Badewanne, sucht Halt, wo es keinen gibt, bekommt ihn dann von einer langfingrigen, blassen Hand.
 

„Wieso mach ich überhaupt noch was? Wir sind nichts. Unbedeutender als jede andere Band in Berlin. 'Ne Karte für uns kauft man nur, weil man mal wieder nach Herzenslust lachen will...“
 

Kurzes Schweigen, unterbrochen von Belas Würgen. Als er sich wieder gefasst hat, schaut er fast beleidigt.
 

„Natürlich lachen sie. Jetzt noch. Die Betonung auf noch.“
 

„Willst du die Bühnen der Welt erobern?“, Farins Stimme trieft vor Sarkasmus. Der Schlagzeuger übt sich in Ignoranz.
 

„In ‘n paar Jahren spielen wir vielleicht in Stadien, nicht mehr in dreckigen Kreuzberger Clubs. Sind richtig auf Tour, verkaufen unsere Platten, haben Fans, haben Groupies. Sind 'ne Band.“
 

Beim letzten Wort versagt Belas Stimme, Farin kennt den Grund zu gut.
 

Eine echte Band beendete ihre Proben nicht mit Prügeleien zwischen dem Schlagzeuger und dem Bassisten.
 

Farin glaubt, dass sein Part des gegenseitigen Wundenleckens gekommen ist.
 

„Es gibt auch erfolgreiche Duos. Scheiß auf diesen Typ am Bass. Wir beide, das is' viel wichtiger. Wir beide können alles, wenn wir wirklich wollen.“
 

Leise, zittrig kommen die Worte über seine Lippen. Er versucht sie so ehrlich zu meinen, wie er aktuell nur kann.
 

Bela kauft sie ihm ab, ist einfach nur dankbar für den kühlenden Balsam, ignoriert die Hoffnungslosigkeit. Nur halb registriert Farin, dessen Welt sich immer noch dreht, wie Bela leicht schwankend aufsteht. Sicherheitshalber stützt er sich sofort wieder auf dem Rand des Waschbeckens ab, was sich jedoch als Fehler herausstellt.
 

Der Schlagzeuger muss direkt in sein eigenes, erbärmliches Spiegelbild blicken. In die kajalunterstrichenen, trüb-grünen Augen, in das blasse Gesicht, dessen Haut wie aus Papier wirkt. Er sieht die verfilzten schwarzen Haare, die dünnen, rissigen Lippen, die Schatten unter seinen Augen. Er sieht eine Person, die er niemals werden wollte.
 

Einer plötzlichen Eingebung und vor allem seiner aufkochenden Aggressivität folgend schlägt Bela mit einer Kraft, die er sich selber nicht zugetraut hätte auf das silberne Ebenbild ein. Das laute Klirren ist Musik in seinen Ohren, der Schmerz an seinen Handknöchel Beruhigung, das Blut zeigt ihm, dass er doch noch lebt.

Mit verächtlichem Blick betrachtet Bela die Scherben, die doch so bezeichnend sind für sein eigenes Dasein. In genauso viele ungleichmäßige Teile ist auch das zerbrochen, was der Schlagzeuger einmal Leben nannte.
 

Völlig in den bitteren Gedanken, in seinem Stimmungsumschwung gefangen, bekommt er überhaupt nicht mit, wie Farin mit der Duschbrause die Reste des Abends fortspült. Erst als er eine eiskalte Hand auf seiner blutverschmierten spürt, kehrt er zurück in die Realität.
 

„Genug Selbstverletzung für heute, mhm?“
 

Sanft wischt Farin das warme Blut von der bleichen Hand, wickelt grob etwas Mullbinde um die Verletzung, so gut wie es mit zittriger Hand eben geht. Er weiß, warum der Verbandskasten immer griffbereit im Bad steht.
 

„Schon vier...Wir sollten schlafen.“, murmelt Bela desorientiert mit einem verstohlenen Blick auf die Uhr über der Tür. Die Wut scheint ihn zusammen mit seinem Blut verlassen zu haben und was bleibt ist Fürsorge gegenüber Farin und absolute Gleichgültigkeit für den ganzen verdammten Rest der Welt. Die Schwankungen in Belas Stimmung würden jeden Statiker zum Verzweifeln bringen.
 

Farins Blick schweift von dem glitzernden Scherbenmeer, zu den kleinen Bluttropfen auf den Fliesen, bevor er sich bereitwillig vom Schlagzeuger in sein Zimmer schieben lässt.
 

An der Schlafstätte angekommen wiederholt sich ein allabendlicher Dialog. Wechselnde Spielstätte, aber immer der gleiche kurze und bündige Text.
 

„Kann ich...?“
 

„Ja, klar.“
 

Auch die darauf folgende Handlung ist allabendlich die gleiche. Farin schließt die Augen, belässt den Schlagzeuger in dem Glauben, dass er sicher im Land der Träume angekommen ist. Wie jeden Abend folgt der letzte prüfende Blick von Bela, der schüchterne Kuss auf die Wange, dann pumpen Alkohol und Drogen endgültig alle Kraft aus dem Schlagzeuger. Leise schnarchend rollt er sich auf der Matratze zusammen, vergisst wenigstens für ein paar Stunden alles.
 

Wie sehr Farin sich diese Fähigkeit auch wünscht.

Er liegt, immer noch zitternd, hinter Bela und starrt an die bröckelige Decke. Ziellos sieht Farin sich im Zimmer um, entdeckt einen Batmancomic und eine Pizzaschachtel, die definitiv nicht ihm gehören. Seufzend bleibt sein Blick schließlich an der bandagierten Hand hängen, wandert dann zu einem seiner Finger, an dem verkrustetes Blut seines Freundes klebt.
 

Die einzig wirklich gute Sache an ihrem gemeinsamen Zusammenleben ist so entscheidend, dass sie der Grund für alles war und ist.
 

Ohne den jeweils Anderen wären sie schon lange mausetot.

05:00

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Vorsichtig hebt Farin die Bettdecke an, verlässt leise die wärmende Zuflucht. Wobei auch eine Horde lärmender Kinder den tief und fest schlafenden Bela nicht geweckt hätte. Farin registriert die Kälte des Bodens im Kontakt mit seinen nackten Füßen kaum. Genauer gesagt ist es der Kontakt zu irgendeinem Comic, da heute die Wahl auf das Zimmer des Schlagzeugers gefallen ist.
 

Die Zimmerwahl verfluchend tapst Farin unbeholfen durch das kreative Chaos seines Freundes, bedacht darauf, sich nicht zu verletzen oder gleich den Boden zu küssen.
 

Was bei aalglatten Comicseiten und einem original Batmobil nicht gerade einfach ist. Er zuckt wie jedes Mal zusammen, als die Plüschfledermaus, die von der Decke baumelt, seine Haare streift. Doch der nervige Zeitgenosse zeigt ihm auch, dass er es fast geschafft hat.
 

An der Tür angekommen, wirft er einen letzten Blick zurück, erkennt in dem wenigen Licht aber eh so gut wie nichts. Unordnung und ein schnarchender Schlagzeuger bleiben zurück, mit der Erkenntnis, dass Bela irgendwo immer noch ein gottverdammtes Kind ist.
 

Nur eine Tür weiter befindet er sich in wesentlich ordentlicheren Verhältnissen, genauer gesagt in seinem Zimmer. Seufzend lässt er sich auf sein Bett fallen, knipst das kleine Nachtlicht an. Routiniert greift Farin von seinem Schreibtisch das Notizbuch und den abgekauten Bleistift, um sich an irgendetwas Produktiverem als Wachliegen zu versuchen
 

Doch die Ideen bleiben wie sooft in den letzten Tagen aus. Unterbewusst kritzelt Farin auf einer Seite herum, meist nur unerkennbarer Nonsens statt geistreicher Textzeilen. Nur ab und verirrt sich ein Wort auf das Papier: „Wrack“, fett geschrieben, „Zukunft“, durchgestrichen, oder „Bela“, kaum sichtbar.
 

Selbst die kreative Energie ist mit seiner restlichen Energie verschwunden, ohne irgendein Lebenszeichen zu hinterlassen.
 

Farin fährt sich kurz über das Gesicht, kann sich vorstellen, wie dort die Augenringe prangen. Er sollte sich das Make-Up von Bela leihen, wobei selbst damit die Spuren seiner letzten Wochen nicht mehr zu vertuschen wären.
 

Er schläft so gut wie nicht mehr, er isst kaum noch, macht sich allgegenwärtig Sorgen um die Zukunft, sein Leben. Dazu sein bester Freund, um dessen Leben er stellvertretend ebenso bangen muss.

Begleitet wird er von den körperlichen Nebenerscheinungen. Sein Zusammenbruch bei der letzten Bandprobe war alles andere als harmlos, gleich wenn er ihn als solches herunter geredet hatte.

Farin will nicht, dass sich der drogenabhängige Schlagzeuger auch noch Sorgen um ihn machen muss, hat Bela doch nicht mal sein eigenes Leben, oder die Reste davon, im Griff.
 

Natürlich macht sich der Ältere trotzdem Sorgen. Was in diesen Sekunden lautstark bewiesen wird.
 

„Warum bist du schon wieder WACH?“
 

Farin zuckt zusammen, lässt den Stift auf die Matratze fallen, sieht in das wutverzerrte Gesicht seines besten Freundes. Jetzt ist wieder dieser Punkt gekommen, an dem Bela im Rausch hässlich wird. Wobei seine Wut mit ernsthaften Sorgen verbunden ist, somit ihre Lebensberechtigung hat.
 

„Weil ich nicht schlafen kann.“
 

Eine simple, aber wahre Antwort.
 

„Du schläfst überhaupt nicht mehr. Meinst du etwa, ich merk das nicht?“
 

Die Antwort „Ja“ wäre jetzt wahrscheinlich unangebracht, deshalb verkneift Farin sich alle weiteren Worte und lässt den Schlagzeuger weiter seinen Monolog fauchen:
 

„Du bist krank. Krank. Es ist Fünf Uhr früh.“
 

„Mhm... Und du bist ja die Unschuld vom Lande. Wer hat sich gestern Nacht nur zugedröhnt...“
 

Der Satz fällt absolut beiläufig und im gelangweilten Ton, leider bemerkt Farin seinen fatalen Fehler erst viel zu spät.
 

„Hör auf mit deinen beschissenen Gegenanschuldigungen.“, brüllt Bela ihm entgegen.
 

Er will definitiv Streit. Warum auch nicht? Die anderen Mieter würde es freuen.
 

„Ja ja, Anschuldigungen. Sieh dich doch an. Du bist nicht mehr du.“
 

„Was bist du dann? Halt, ich weiß die Antwort. Ein blondhaariger Wichser, mit dem ich zufällig zusammenwohne.“
 

Es wird wieder hässlich. Extrem hässlich, aber Farin nimmt es hin, jedoch nicht ohne zu kontern.
 

„Du gottverdammtes Arschloch. Zieh doch aus, wenn dir danach ist. Ach, ich vergaß... Du brauchst das Geld ja für den nächsten Trip.“
 

Die Ader auf Belas Schläfe pocht bedrohlich, der Indikator für das Folgende. Mit schnellen Schritten steht er direkt vor seinem immer noch sitzenden Freund, greift grob in den Haarschopf, nähert sich seinem Gesicht. Farin kann den immer noch alkoholisierten Atem riechen.
 

„Wenn du zu irgendeinem Seelenklempner gehen würdest...Hätten wir eindeutig weniger Probleme.“
 

„Dann kann ich dich gleich mitnehmen. Die wissen sicher nicht mal mehr, wo sie dich hin stecken sollen. Zu den Suizidgefährdeten, den Alkis oder doch den Drogenabhängigen?“, lacht Farin freudlos.
 

Sofort verschwindet die rabiate Hand, mitsamt ihrem Besitzer. Der letzte Blick spricht Bände, zeugt davon, was Farins Worte gerade eben erreicht und angerichtet haben. Fast traurig sehen die grünen Augen ihn an, sprechen millionen Vorwürfe aus, ohne ein einziges Wort zu sagen.
 

Ein Satz hat gereicht, um jegliche Streitlust Belas verpuffen zu lassen, Farin kann Worte zu tödlichen Klingen schärfen.
 

Vielleicht kommt es aber auch nicht auf den genauen Wortlaut an, sondern darauf wer den Satz wie ausspricht.
 

Unbeachtet dessen schließt Bela leise die Zimmertür, nicht einmal mehr den lauten Abgang beherrscht er gerade.
 

Somit ist er alleine mit seinem schlechtem Gewissen und dem Klopfen des Besens ihrer Untermieterin, die sich wie immer fruchtlos über den, dieses Mal im Vergleich wirklich eher harmlosen, Geräuschpegel aufregt.

06:00

Durch sehr dumme Umstände haben die Rechner von mir und Pudel beiden einen Virus und Post Blue konnte nur teilweise gerettet werden..Aber da ich diese FF wirklich mag, gehts trotzdem weiter und ich werde das Verlorene schon wieder zusammenschreibseln! The Show must go on...oder so. Viel Spaß wünscht euch die Mebell,entschuldigt die Wartezeit.
 

***
 

06:00
 

Farin starrt an die immer noch bröckelige Decke, liegt einfach regungslos da. Mittlerweile wechselt die Nacht schon wieder zum Tage, geschlafen hat er nur wenige Stunden, gehetzt von undeutlichen Albträumen. Das einzige Geräusch in der Wohnung ist das Klappern der Pfannen und Töpfe in der Küche, wie Farin überrascht registriert.

Was auch immer Bela jetzt schon wieder vor hat.
 

Die ganze Nacht ist der Schlagzeuger bei Farin geblieben, hat ihn beruhigt, wenn er schweißgebadet aufgewacht ist und am ganzen Leib gezittert hat, sich gekümmert so gut er konnte. Ungewöhnlich für den Schwarzhaarigen, der sonst lieber von Party zu Party rauscht, von Trip zu Trip. Danach ist er oft launisch, aggressiv, nicht mehr berechenbar, worunter sein Mitbewohner des Öfteren zu leiden hat.

Ist Bela stoned und Farin streitlustig, hört man ihr Gebrüll wahrscheinlich noch drei Straßen weiter. Glücklicherweise bleibt der Gitarrist meistens bei der Taktik der stummen Akzeptanz.
 

In den letzten Tagen hat er sich jedoch zusammengenommen, was selbst Farin nicht verborgen geblieben ist. Auch das unkontrollierte Zittern und die nicht vorhandene Konzentration sind ein Indiz dafür, dass er in der letzten Zeit Abstand von jeglichen Substanzen genommen hat und seine Sucht den Tribut fordert. Deshalb ist es mehr als fraglich, wie lange dieser Zustand bleibt.
 

Bela steht derweil in der völlig verdreckten Küche, hat es irgendwie geschafft, eine Pfanne und einen Topf zu säubern. Beim Schrubben kann er wenigstens seinen angestauten Aggressionen, der Folge des kalten Entzugs, freien Lauf lassen. Ohne dabei den angeschlagenen Farin als Angriffsfläche zu nutzen.

Lange wird der Schlagzeuger es aber nicht mehr in diesem hausmütterlichen Zustand aushalten, so viel steht fest.
 

Jetzt gerade aber ist er bemüht, irgendetwas Essbares zustande zu bringen. Die Lebensmittel machen entweder ihrem Namen alle Ehre oder sind nicht vorhanden, deshalb steht Bela leicht ratlos vor den Schränken.

Am Ende entscheidet er sich für Reis und Buttergemüse aus der kleinen Tiefkühltruhe, die sicher noch keine mittelschwere Magenverstimmung heraufbeschwören.
 

Leicht angewidert starrt er kurz auf den Abwasch, der gerade die schweren Zeiten einer Diktatur erlebt. Ihre große Pfanne schimmelt mit undefinierbaren, nicht gut riechenden Resten über allen anderen Tellern so dahin. Er übt sich in der scheinbar angeborenen Ignoranz und setzt das Wasser für den Reis auf.
 

Farin fragt sich erst gar nicht, warum sein Freund um Sechs Uhr morgens, wie ihm der Wecker verrät, anfängt zu kochen. Der biologische Rhythmus des Schlagzeugers hat seine eigenen Gesetze.

Stattdessen lauscht er dem Zischen und Brodeln, dem Fluchen Belas und dem lauten Klirren, als irgendein Teller auf den Fliesen ablebt. Eine tragische Tatsache, da die Zahl der sauberen Teller täglich dezimiert wird und der drohende Tag X des Abwaschs näher rückt.
 

Kurz muss er lächeln über diese Chaos-WG die sie führen, nur für einen kleinen Augenblick sieht Farin etwas Schönes in all diesem Wahnsinn. Leider nur für diesen winzigen Augenblick, danach überrollen ihn die Probleme mit all ihrer Schwere. Mit Pech muss Farin heute Nachmittag wieder einen Schlagzeuger von ihrem Bassisten bei der Bandprobe pflücken, mit Pech schlägt seine Stimmung wieder ins endgültig Bodenlose um, inklusive Reaktion seines Körpers, mit Pech ist Belas Abstinenz heute Abend schon zu Ende, mit Pech haben sie kein Geld für die bald fällige Miete, mit Pech muss er abwaschen.

Dazu sollte man wissen, dass Farin aktuell generell nur Pech hat.
 

Gerade als er sich die Decke über den Kopf ziehen will und in seinem Meer aus Selbstmitleid ertrinken will, stolpert Bela in sein Zimmer, in der Hand einen dampfenden Teller.

„Hier, ess´ mal was, bevor du vom Fleisch fällst.“

„Iss, das heißt Iss..“, murmelt Farin, gerade laut genug.

„Alter Klugscheißer.“, mit diesen Worten hält Bela ihm den Teller vor die Nase.

„Es ist Sechs Uhr morgens.“

„Da sollteste Schlafen. Tuste nicht. Also kannst du auch gleich was essen.“

Bestechende Schlagzeugerlogik.

Bela zuliebe nimmt Farin den Teller und besieht sich das Gericht genauer.
 

Matschiger Reis mit noch halbgefrorenem Gemüse, nicht gewürzt. Seufzend schiebt Farin sich einige Gabeln in den Mund, versucht einfach direkt zu schlucken und nicht zu kauen. Widerwärtig geschmacklos, aber er bemüht sich den Versuch halbwegs zu quittieren.

Nach ein paar Bissen muss er jedoch kapitulieren, auch, weil er eh keinen Appetit hat.
 

Bela brummelt nur, schnappt sich selber den Teller und probiert auch eine Gabel voll. Sekunden später befindet sich der Schlagzeuger hustend im Badezimmer und spuckt den pampigen Brei wieder aus. Als er wieder in Farins Zimmer tritt, kann dieser nicht anders als zu lachen.
 

„Komm schon her, du Meisterkoch.“

Noch lauter brummelnd lässt der Schlagzeuger sich auf die Bettkante fallen, erntet dafür zum Dank einen kleinen Kuss seines Freundes. Kurz, flüchtig, kaum spürbar.
 

Jedoch würde Bela für dieses Zeichen der Dankbarkeit ein Jahr lang jede Nacht an Farins Schlafstätte wachen.

07:00

Danke für die ganzen Kommentare und die vielen lieben Worte! :)
 

***
 

07:00
 

Bela tobt durch sein Zimmer wie ein mittelschwerer Orkan, rastlos auf der Suche, ohne Rücksicht auf Verluste. Laut klirrend stößt er einige leere Flaschen um, ein Comic muss eine Seite lassen, seine Fledermaus hängt jetzt im Sturzflug. Schlussendlich hat er aber das Gesuchte gefunden, triumphierend klaubt er einige Münzen, die unter einer Schallplatte lagen, auf.
 

Kurz starrt er auf das Kleingeld, überlegt wie viel er noch zusätzlich für einen in seinen Vorstellungen exzellenten Abend braucht. Als er sich bei dem Gedankengang erwischt, schließt der Schlagzeuger automatisch rasch die Faust um das bisschen Bargeld und beeilt sich, es seiner eigentlichen Bestimmung zuzuführen.
 

„Jan?“

Zaghaft klopft er an die geschlossene Zimmertür, irgendwann in der Nacht musste Farin sich wieder in sein Zimmer verkrochen haben. Eine Reaktion kommt nicht, kein Laut dringt auf den Flur.

Seufzend drückt Bela einfach die Klinke herunter, tritt in das Reich seines Freundes. Manch einer würde diese Tat als dreisten Bruch der Privatsphäre bezeichnen, doch für sie beide existieren diese Regeln nur aus reiner Gewohnheit. Automatismus in Perfektion. Wirklich beachten tut sie eh niemand.
 

Farin liegt auf seinem Bett, komplett angezogen, die Hände hinter seinem Kopf verschränkt. Sein Blick sagt alles und doch nichts, registriert aber nicht einmal den eintretenden Schlagzeuger.

„Du musst bald los, du hast Frühschicht.“ Fast schüchtern klingt Bela, zaghaft und unbeholfen.

Normalerweise ist es nämlich Farin, der den Älteren ordentlich maßregelt, wobei hier wahrscheinlich Hopfen und Malz verloren sind.
 

Hat Bela einen Job, kann man eigentlich sofort am ersten Tag Wetten abschließen, wann der Schlagzeuger unsanft vor die Tür gesetzt wird. Die Antwort: „Ich geb ihm zwei Stunden“ ist nicht selten. Er war in seinen bisherigen Jobs immer vorlaut, unpünktlich, unzuverlässig oder alles zur gleichen Zeit gewesen. Zu dem Thema Geldbeschaffung hat er seine eigene Meinung, trotzdem schafft er es immer wieder, aus dubiosen Quellen irgendetwas aufzutreiben.
 

Deshalb hat Farin das Los gezogen, regelmäßig ihre Haushaltskasse zu fluten.

Die Schichtarbeit in der Süßwarenfabrik bringt nicht wirklich viel Geld, ist anstrengend, vor allem wegen der zusätzlichen Belastung durch die Band, zudem muss Farin meistens zu der abgelegenen Fabrik radeln. Aber Geld ist nun mal Geld.

Heute jedoch scheint der Gitarrist völlig apathisch und sein Pflichtbewusstsein ist quasi im Urlaub.
 

Im Stillen betet Bela, dass dieser Zustand bloß nicht lange anhält. Sollten sie beide so lebensunfähig sein, würde die Sache in einem Desaster enden. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Schlagzeuger seine alten Muster wieder eins zu eins übernommen hat. Dann gab es niemanden mehr, der sich um Geld, Karriere oder den Haushalt kümmerte, sollte Farin weiter so leblos sein.
 

Mittlerweile hat der Gitarrist sich jedoch aus seinem Bett erhoben, sieht Bela nur kurz an.

„Heute gibt’s auch Lohn, oder?“

„Mhm.“, nur an dem Unterton kann der Schlagzeuger das „Ja“ erkennen.

Lustlos schlurft Farin in die Küche, überlegt sich irgendetwas zu essen zu machen, verwirft den Gedanken beim Beobachten des Biotops, auch Abwasch genannt.
 

„DU machst den Abwasch.“, droht Farin, es klingt wie „DU hängst heute Abend am Galgen.“

„Auf dem nächsten Konzert in nen paar Tagen werden wir entdeckt und dann leisten wir uns ne Putze. Nein...Wir ziehen gleich in ne Villa. Mit Pool.“

Farin schnaubt nur verächtlich.
 

„Gehen wir heut Abend ins Ballhaus?“

Bela setzt den allseits beliebten Tiere-Suchen-ein-Zuhause Blick auf, schiebt seine Unterlippe vor.

„Ich komm dich von der Arbeit abholen...Und dann machen wir uns nen schönen Abend.“

Wieder ein verächtliches Schnauben von Farin, kennt er doch Belas Vorstellungen von einem „schönen Abend“.

„Guck mal, mein Restkleingeld. Du kannst gleich Bus fahren!“

Es wird ernst, wenn der Schlagzeuger selbst seine geliebten Reste gibt. Natürlich weiß er nicht, dass Farin öfters, ganz im Zeichen des Punk, einfach ohne Ticket in den Bus steigt.
 

Wortlos nimmt Farin die Münzen, schaut kurz Bela an, schnappt sich seine schwarze Umhängetasche und verlässt die Wohnung, der letzte prüfende Blick auf die Uhr verrät, dass es gerade Sieben ist. Im Gegensatz zu seinem Freund denkt er daran, nicht aufgrund seiner Verspätungen aufzufallen.
 

„Bis um Vier dann“, brüllt Bela einmal quer durch das Treppenhaus, worauf ihre freundliche Mitmieterin die Tür aufreißt und von unten faucht:

„Elende Punker. Diese verdammten Jugendbewegungen!“
 

Bela schlägt die Tür mit allerhöchster Präzision zu, um die höchstmögliche Lautstärke zu erreichen.

08:00

Hey, nur 5 Monate nicht geupdatet *duckt sich vor Tomaten* Ähm, ja. Ich entschuldige mich mal nicht, sondern melde mich einfach mit schickem neuem (alten) Nickname zurück. Ihr könnt mich jetzt einfach Mefa nennen. Oder auch stylisch M.Farobel. *hust*

Auf einer heutigen Fahrt im Linienbus hatte ich im Übrigen die Erleuchtung, wieder auf Mexx aktiv zu werden. Ich laber schon wieder. Viel Spaß mit Acht Uhr, ist übrigens ungebetat, meine Betagötting hat gerade leider eine rote Blume. Muffins!
 

***
 

08:00
 

„Warum kriegt dieses Aas eigentlich ständig irgendwelche dummen Extrawürste?“

Bela trottet schimpfend durch die Straßen Berlins, bekommt dabei aber keine Beachtung von seinem Freund, der noch langsamer hinter ihm her läuft.
 

Die letzten Tage in der Fabrik hatten Farin noch mehr ausgelaugt, scheinbar wollten immer mehr Kinder fett werden und von Karies zerfressene Zähne besitzen. Dazu kommen noch die unmöglichen Zeiten ihrer Bandproben, die er einfach nur noch stillschweigend hinnimmt.

Wenn Sahnie später zur Uni muss, wird halt um Acht Uhr morgens geprobt. Da führt kein Weg dran vorbei, nach der Ansicht des Bassisten. Farin ist zu müde um sich darüber aufzuregen. Ganz im Gegensatz zu Bela.
 

Den kompletten Weg zu ihrem heruntergekommenen Proberaum überlegt Farin, wie er den hochexplosiven Schlagzeuger beruhigen kann, findet aber keinen brauchbaren Weg.

Er ist viel zu müde, um sich auch noch darüber den Kopf zu zerbrechen. Somit nimmt das Schicksal einfach seinen Lauf, als sie das Gebäude erreichen, vor dem Sahnie schon über irgendwelche Aufzeichnungen aus einer Vorlesung brütet.
 

„Da ist ja Mr. Oberschlau.“, faucht Bela.

Natürlich springt Sahnie sofort auf die direkte Einladung zu einem Streit an.

„Ach,Bela. Schlecht drauf, weil du gestern Nacht keine abgekriegt hast? Oder wars doch der miese Stoff?“

„Sahnie, ich warne dich nur einmal...“
 

Farin beobachtet den sich zuspitzenden Streit teilnahmslos, überlegt nicht einmal zu sagen, dass sie heute Abend ein Konzert über die Bühne bringen müssen. Stattdessen vergräbt er die Hände in den Taschen und starrt stur auf das unglaublich interessante Straßenpflaster.
 

„Wenn du dir dein Leben weiter so verbockst, erreichst du nie irgendwas.“, zischt Sahnie.

„DU verbockst dir dein beschissenes Leben mit deiner ganzen verschissenen Art.“, Bela brüllt schon wieder.

„Uuh zweimal verschissen in einem Satz... Unser kleiner Punk ist ja soo klug.“
 

Einen Moment später kugeln sich ein Schlagzeuger und ein Bassist auf dem dreckigen Pflaster, ein einziges Knäuel.

„Du verdammter Mistkerl!“, Bela betont seine Worte mit einigen Fausthieben direkt in die Magengrube.

Danach werden Worte unwichtig, es folgen nur noch Taten. Schlag auf Schlag rollen sich die beiden Streithähne über den Boden, unerbittlich.
 

Farin steht weiter teilnahmslos daneben und passt so gar nicht in die Situation. Ganz kurz streift sein Blick Belas, der scheinbar so etwas wie Hilfe sucht. Er wird getrost ignoriert, der Gitarrist kickt kleine Steinchen durch die Gegend. Ein bisschen fühlt er sich wie auf dem Schulhof, wo er damals als kleiner Junge auch immer ziemlich eingeschüchtert in der Ecke die Prügelein der Großen erlebt hat.
 

Plötzlich ein Schmerzensschrei, der selbst den abgestumpften Farin zusammenzucken lässt. Sahnie hat Bela mitten ins Gesicht getroffen und damit wenigstens für heute ausgeknockt.

Böse Verwünschungen murmelnd erhebt sich der Bassist schwerfällig, wirft einen strafenden Blick auf den doch eigentlich gänzlich unschuldigen Farin.

Danach dreht er sich ohne ein Wort der Verabschiedung um und taucht ab in eine der vielen Seitenstraßen.
 

Langsam hebt Farin den Blick wieder, erkennt ein Bild des Jammers. Der Schlagzeuger liegt mit blutender Nase, ebenso blutender Lippe und einigen blauen Flecken im Dreck. Seine Haare sind wirr, die grünen Augen sprühen förmlich vor Hass.

Gemächlich und immer noch völlig gelassen stapft Farin zu seinem Freund, will ihm die Hand reichen. Dieser schaut ihn verachtungsvoll an, schlägt die Linke des Gitarristen rabiat weg und erhebt sich mit größter Mühe selber.
 

Geräuschvoll spuckt er genau vor die Füße seines Freundes, rotzig und frech wie ein kleines Kind. Oder wahlweise der autonome Punker.

„Auf deine Scheißhilfe verzichte ich gerne.“
 

Es ist dieser ganz bestimmte Tonfall, wenn Bela wirklich tödlich beleidigt ist. Dann hilft überhaupt nichts mehr, außer sich vorsichtig aus der Situation zu manövrieren. Zum Glück übernimmt diesen Part der Schlagzeuger, der voller Trotz und Hass gegen die Welt in die übernächste Seitenstraße eher humpelt als geht.
 

Der zurückgebliebene Farin überlegt für einen Moment, ganz anarchistisch, gegen die vor ihm stehende Straßenlaterne zu treten. Sein Verstand sagt ihm aber, dass diese Aktion Schmerz bescheren würde.

Deshalb zieht er nur die Schultern hoch und stapft ziellos in die entgegengesetzte Richtung davon.
 

Was für eine erfolgreiche und nützliche Bandprobe.

09:00

A/N: *anklopf*...Interessiert die Story noch jemanden da draußen? Nach dem sie ewig in der Versenkung war, haben wir doch beschlossen sie weiterzuschreiben, bzw. vor allem ich. Pudel überarbeitet die Kapitel meistens nur und bringt den Plot dazu, der jetzt sogar fertig ist. Da ich noch eine Menge an Kapiteln hab & heut ein neues geschrieben hab...geht's jetzt weiter, ob ihr wollt oder nicht, unter altem neuen Namen :D Solltet ihr Interesse haben, bekundet es jederzeit gerne in euren lieben Kommentaren. Have fun! /Nerviges Gelaber off, Story on
 

***
 

09:00
 

Seit drei Tagen herrscht eine eisige Kälte in der gemeinsamen Wohnung. Niemand spricht mehr ein als ein Wort, die beiden Parteien beharren stur auf ihren eigenen Standpunkt. Die Bandproben sind vorerst abgesetzt und Sahnie wird, logischerweise, ebenso gemieden.Nur dass es diesem relativ egal sein kann, bekommt er die Konsequenzen nicht in der geballten Ladung in einem gemeinschaftlichen Leben ab.
 

Als Farin um Sechs wieder einmal nicht mehr schlafen kann, oder will, und eh erst Spätschicht hat, beschließt er die vergiftete Stimmung zu bereinigen, auch wenn er sich im absoluten Recht sieht. Schließlich ist er nicht dazu da, ständig irgendwelche Kindereien zu schlichten. Trotzdem erhebt er sich und macht sich an den ersten Teil seines perfiden Planes.
 

In der Küche überlegt Farin, was er sich für einen Schwachsinn ausgedacht hat. Kein Mensch auf der Welt ist diese Drecksarbeit wert. Schrubbend, keuchend, zwischendurch dreht sich sein Magen vor Ekel auf links. Aber immerhin hat er auch etwas von dieser edlen Tat, ganz ohne Eigennutz geht es nun doch nicht.
 

Er lässt sich von dem Schaum einlullen, konzentriert sich nur auf das Eliminieren der Verschmutzungen und Verkrustungen. Gegen Ende geht er so in der Tätigkeit auf, dass Farin fast etwas Schönes an der Handlung (Schimmelndes Geschirr blitzblank zu schrubben) finden kann. Beruhigend ist sie allemal.
 

So bemerkt Farin zwischen den letzten Tellern vor dem Ziel gar nicht, wie Bela tatsächlich schon aufgestanden ist und ihn ungläubig anstarrt, ungefähr so, als stünde der Papst mit Unterhose in ihrer Küche. Oder wahlweise Sahnie mit einem Strauß Blumen und einem Sechserpack Entschuldigungsbier.
 

Eine ganze Zeit lang glotzt er nur ungläubig auf Farin, der gerade die allerletzten Teller auf die Spüle stellt.
 

„Du hast abgewaschen.“ Eine Feststellung, voller Hochachtung. Dazu noch der erste halbwegs vernünftig gebildete Satz seit Tagen.
 

„Du bist schon auf!“, kontert Farin mit einem schiefen Grinsen und deutet auf die Uhr, deren Zeiger auf Neun stehen.
 

Bela sieht ihn verhalten an, aber immerhin nicht mehr mit seinem patentierten Massenmörderblick, bei dem man stetig in der Angst schwebte, jederzeit ein Messer in den Rücken gerammt zu bekommen.
 

„Wie wärs mit irgendwas Süßem zum Frühstück außerhalb? Dann beschmutzen wir auch keinen der schönen Teller...“
 

Der skeptische Blick des Schlagzeugers wandelt sich in ein Leuchten. Etwas besseres als ungesunden Süßkram gibt es zum Start in den Tag für ihn nicht. Farin würde die Zustimmung noch auf 100 Metern erkennen, befreit deshalb seine Hände von den Schaumresten und schnappt sich seine Jacke.
 

*
 

Sie schlendern nebeneinander durch ihren kleinen Stammpark, ohne wirkliches Ziel. Es scheint ein angenehm warmer Tag zu werden, die Luft ist klar, die Vögel singen – Ein Bilderbuchszenario.

Die Stimmung wird jedoch bald zerstört.
 

„Bitte bleib stehen und hör mir kurz zu.“, tönt es blechern auf dem Weg. Sofort verhärten sich Farins Gesichtszüge.
 

„Ich bin Robby, der freundliche Eisautomat. Möchtest du ein Eis?“
 

Durch diesen neumodischen sprechenden Eisautomaten büßt der ganze Park an Flair ein,seiner Meinung nach. Aber die Kinder lieben ihn natürlich. Genau wie infantile Schlagzeuger.
 

„Hast du Kleingeld?“

Kurz überlegt Farin seinen Versöhnungsplan über den Haufen zu werfen und einfach abzudampfen. Aber er bleibt stark, kramt in seiner Tasche nach dem benötigten Bargeld, drückt es dem grinsenden Bela in die Hand.
 

Freundlich bedankt sich der Automat und wünscht dem Schlagzeuger einen guten Appetit, wie Farin voller Entsetzen feststellt. Lachend aufgrund des Gesichtsausdruckes seines besten Freundes lässt Bela sich auf die gegenüberliegende Parkbank fallen und schleckt glücklich sein Eis.
 

„Sind wir jetzt wieder Freunde?“, fragt Farin halb im Scherz, halb ernst.
 

„Och...“, pfeift Bela, „könnte ich mir überlegen.“ Der Gitarrist verdreht die Augen, schüttelt den Kopf.
 

„Ne...Dein heutiges Aufopfern sehe ich als hohe Geste, auch wenn du ein wertvolles Ökosystem mit einzigartigen Lebensformen zerstört hast... Wenn du mir jetzt gleich noch nen Eis kaufst, können wir uns glaub ich auf Freunde einigen.“ Sanft wird Farin von dem Schlagzeuger in die Seite gepufft, bekommt eine Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen.
 

Immerhin ist dieses Problem fürs Erste aus der Welt geschafft. Ihr Bassproblem existierte leider noch, darüber will Farin sich aber gerade keine Gedanken machen. Er will nicht über seine Zukunft oder die Band nachdenken. Nein, er will einfach nur in der Sonne sitzen, dem selig lächelnden,Eis schleckenden Bela zu sehen und ein bisschen das Leben genießen. Was ab und an auch mal ganz schön sein kann.
 

„Krieg ich jetzt noch ne Mark? Hör doch mal, wie der arme Robby leidet.“, Farin wird abrupt aus seiner inneren Ausgeglichenheit gerissen.
 

„Wieso leidet?“
 

Wie als Antwort tönt auf ein neues die blecherne Stimmung des Roboters durch den Park, bringt einen von insgesamt sechs programmierten Sätze zum besten.
 

„Wenn ich nicht genug Eis verkaufe, werde ich geschrottet.“
 

Seufzend drückt er dem nervigen Etwas von Schlagzeuger erneut Geld in die Hand und lässt ihm seinen extrem infantilen Spaß, sinniert aber noch über Sinn und Zweck:
 

„Sein letztes Geld für krebsverursachendes Softeis ausgeben wo man nicht mal weiß ob man die nächste Stromrechnung bezahlen kann...naja, das ist ja auch irgendwie total Punk.“

10:00

A/N: Schön, dass ihr uns treu seid, ehrlich! :) Hier ist auch Nachschub, wie versprochen.
 

***
 

10:00
 

Die Tür fliegt lautstark auf, Farin zuckt am Küchentisch zusammen, lässt fast seine Tasse fallen. Vor ihm steht ein übernächtigter, aufgedrehter Schlagzeuger mit manischem Grinsen auf den Gesichtszügen.
 

„Guten Morgen Bela. Du kommst aber früh...“
 

Tatsächlich ist zehn Uhr eine neue Rekordleistung seines Freundes, wie Farin leider feststellen muss. Natürlich hat der Schlagzeuger nicht ewig an sich halten können, frönt somit weiter seinem alten Lebensstil.
 

Wobei er heute einmal alle Gründe dieser Welt bekommen hat, so richtig auf den Putz zu hauen, das muss Farin sich eingestehen.
 

„Endlich sind wa das dreckige Bassproblem los...Was für nen Freudentag.“, leicht schwankend dreht sich Bela im Kreis, droht immer fast zu kippen, hält sich gerade so auf den eigenen Füßen.
 

„Et ist weg, das kleine, kleine, miese Stück Dreck.“, die vom Alkohol kratzige Stimme grölt das „Dreck“ besonders lange. Farin beschließt die Sucht für heute Sucht sein zu lassen, ebenso wie die Probleme und Sorgen einfach Probleme und Sorgen sind. Ihre geliebte Untermieterin hat jetzt schon den Besen ausgepackt, also ist der Rest nun auch egal.
 

Schwungvoll stellt Farin seinen Teetasse ab, schlurft zu ihrer Musikanlage und legt irgendetwas sehr Lautes in den Plattenspieler. Sofort lässt Bela sich von den Tönen mitreißen, tanzt, hüpft, springt durch die kleine Küche. Die gute Laune ist wie eine Epidemie, nicht aufzuhalten oder zu unterdrücken.
 

Aus diesem Grund nimmt der Gitarrist die Hand an, die ihm hingehalten wird, eine Einladung zu ein paar Minuten ganz eigener Freiheit.
 

Die Gitarrenriffs im Hintergrund donnern durch die ganze Wohnung, laut und ungestüm, gemeinsam mit den beiden Freunden. Farin braucht keine Drogen oder Alkohol, nein, der Schlagzeuger in einer seiner Hochphasen reicht ganz allein für die berauschende Wirkung.

Gemeinsam entwickeln sie ihre eigene Art von Freudentanz, ganz sicher mit viel Pogo, auf jeden Fall auch etwas Headbangen, natürlich auch die hohe Kunst der Luftgitarre, eine Note von Samba und eventuell sogar ein klitzekleinesbisschen Walzer.
 

Dazu grölen, singen, schreien sie ihre Hass- und Freudenparolen, so laut, dass jeder in der Straße Bescheid weiß. Ab und an stiehlt sich einer einen Kuss vom Anderen, hilft dem Gegenüber auf, wenn er vor Ekstase stolpert. Es geht einiges mehr als nur Farins Lieblingstasse zu Bruch, aber die Scherben heizen ihnen nur noch mehr ein, lassen sie lauthals lachen.

In diesen Momenten kann Farin ein stückweit nachvollziehen, warum Bela das jede Nacht braucht. Wenn auch nur ein stückweit, es ist der Anfang von so etwas wie Verständnis.

Gerade aber sind sie beide gleich, ist eh alles egal, die besten Freunde zusammen, einfach nur glücklich.
 

Die Welt hätte untergehen können und es wäre unbemerkt an ihnen vorbei gegangen.
 

Irgendwann jedoch verlassen Bela die letzten Reserven, völlig verausgabt bricht er einfach auf seinem Freund zusammen, begräbt ihn mit sich auf den kalten Küchenfliesen.

Über ihnen donnern immer noch Gitarre, Schlagzeug und Bass, Farin spürt den ohnmächtigen, vielleicht auch schlafenden Bela auf seiner Brust.
 

Doch selbst das stört ihn nicht im Geringsten, er liegt einfach so da, spielt mit den zotteligen Haarsträhnen seines Freundes und grinst.

Bis der letzte Akkord verklungen ist, die hysterischen Schreie aus der Wohnung unter ihnen und das Klopfen des Besens ebenso.
 

Die Ruhe ist tödlich, saugt jegliches Gefühl von Lebendigkeit aus seinen Adern.

Alles, was Farin im vergangenen Augenblick glücklich gemacht hat beklemmt ihn auf einmal. Sein bester Freund liegt völlig stoned, betrunken, wahrscheinlich in einem äußert kritischen Zustand auf ihm. Sie haben keinen Bassisten mehr, ein Drittel der Band fehlt unwiderruflich. Sein Lohn wurde gekürzt, seine Schichten dafür länger und ihre Wohnung noch teurer. Seine psychischen Probleme treiben ihn mittlerweile fast dazu, auch mit Drogen in anderer Art und Weise anzufangen. Schlaftabletten sind eine feine Erfindung der Pharmaindustrie.

Außerdem haben sie immer noch keine Ahnung, wie sie die Zukunft gestalten wollen, leben zu sehr in der Gegenwart.
 

Reflexartig drückt Farin die zerbrechliche, schlaffe Hand Belas, klammert sich an sie. Egal wie, der Schlagzeuger gehört mit in diese ungewisse Zukunft.

Nur wird dieses Vorhaben auch sein Ruin sein. Er merkt zu oft, genau wie gerade, dass er die Stimmung seines besten Freundes eins zu eins widerspiegelt, egal ob dieser himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt ist. Wenn er das hier so weiter treiben würde, käme irgendwann der Tag X an dem nicht so etwas Harmloses wie ein Abwasch, sondern sein ganzes Leben auf dem Spiel stünde.
 

Aber was ist das überhaupt, sein Leben? Die nicht mehr wirklich existierende Band? Sein scheußlicher Job in der Fabrik? Sein Alltagstrott oder seine Träume? Hat er überhaupt noch Träume?

Er kennt die Antwort, in dem Moment als er die Frage nur halb gedacht hat, ist sie schon da gewesen. Hinterhältig kam sie aus der Ecke geschlichen, hat sich auf ihn gestürzt wie eine Raubkatze.
 

Sein Leben hängt ziemlich leblos auf ihm.

11:00

A/N: Danke für eure so lieben und lobenden Kommentare :) Die Stelle widmen wir dieses Mal Science, ohne sie und ihr Rechtschreibgen könnten wir nie so rasch updaten, Kuss an dich von uns!
 

***
 

11:00
 

Das schrille Klingeln weckt Farin aus seinen Tagträumen, lässt ihn von seinem Buch aufblicken, was er eh nicht richtig wahrnimmt. Aktuell wird ihm immer nur die Spätschicht zugeteilt, wenn Bela durch die Clubs von Berlin zieht, sitzt er an seinem Arbeitsplatz. Schlafen kann er trotz Erschöpfung immer noch nicht wirklich. Also versucht er es mit Ablenkung. Immer noch weniger erfolgreich.
 

Es klingelt erneut, bedächtig legt Farin sein Lesezeichen in das Buch und schleicht Richtung Tür. Sein müder Körper ist zu mehr einfach nicht mehr in der Lage.

Als er die Haustür jedoch öffnet ist Farin mit einem Schlag hellwach, starrt entsetzt auf seinen Gegenüber.
 

Bela riecht nach Schweiß,Kneipenluft,Alkohol und Drogen, vielleicht auch eine Note Sex. Die schwarze Haarpracht steht in jegliche Richtungen ab, der dicke schwarze Kajalstrich ist verlaufen, die Wangenknochen noch hohler als sonst, die Haut leichenblass, die Augen blutunterlaufen.

Das was da vor ihm steht ist nicht sein Mitbewohner oder sein bester Freund, sondern der personifizierte Tod, eindeutig.
 

Verunsichert krallt Farin sich in den Türrahmen, überlegt fieberhaft. Der Anblick versetzt ihm schwere Stiche in sein Herz, er will ihn nicht dulden. Auch wenn ihm meistens keine Wahl bleibt, er möchte sich noch einmal gegen dieses Monster in Bela aufbäumen, gegen diese so andere Persönlichkeit.
 

Mittlerweile versucht der Schlagzeuger sich an seinem Freund vorbei zuschieben, dieser bleibt jedoch stoisch in der Tür stehen.
 

„Du kommst hier nicht rein, Bela. Nicht SO.“ Seine Stimme ist fest, selbstsicher, obwohl in ihm die Zweifel nagen. Den Künstlernamen benutzt er ganz bewusst, als Pseudonym für das andere Ich.

Der Charakter vor seiner Tür ist nicht Dirk.
 

„Bis du... irgendwie bescheuert? Dit is meene Wohnung...Meene.“
 

„Unsere.“, sagt Farin mit aller Kälte die er aufbringen kann.
 

„Wenn du um Elf Uhr morgens stockbesoffen, sicher auch noch zugedrogt vor dieser Tür steht...Bleibt diese ab jetzt zu.“, erneut versucht Farin sich an der schützenden Selbstsicherheit.
 

„Freundschen...Ich bezahl das Loch hier mit.“
 

Farin muss freudlos auflachen, ganz unbewusst und unkontrolliert.
 

„Wer geht jede Nacht in diese Scheißfabrik und arbeitet sich halbtot? Und wer klaut Abends dann Geld für den nächsten Schuss aus der gemeinsamen Haushaltskasse?“
 

Er beginnt sich unwohl zu fühlen, vor allem weil er ahnt, wie die anderen Mieter schon das Ohr an der Wohnungstür haben oder direkt davor stehen und hochstarren. Popcornkino für lau.
 

Der Schlagzeuger spuckt auf den Boden vor sich, wankt einige Schritte zurück, Farin ist ihm direkt auf den Fersen.
 

„Stell dich nich als Opfer da... Ohne mich wärs du nur ein Häufchen Dreck. Wer hat dir um Sechse was zu Futtern besorgt,hm?“
 

Erneutes freudlosen, kaltes Lachen.
 

„Ick warne dir. Hör sofort auf damit. Gesteh dir ein, dass du ohne mich ein Nichts bis. Quasi nüscht einmal exis..exist..existierst.“
 

Das Blut in Farins Adern kocht, er hasst diese Person vor sich so abgrundtief, mit dem eigenwilligen Dialekt, den grausamen Worten, dem eiskalten Blick.
 

„Ich bin der einzige Grund, warum duu überhaupt noch hier lebst. Die Scheißarbeit...Die Scheißband...das machsu nur wegen mir. Ich bin dein verschissener kleiner Grund zum Leben.“
 

Farin bemerkt gar nicht, dass sie sich während ihrem „Streitgespräch“ im Kreis gedreht haben, wie rivalisierende Tiere. Der Zutritt zur Wohnung scheint Bela gerade nicht mehr zu interessieren, ist die Tür doch sperrangelweit offen und Gitarristenfrei, da dieser mit dem Rücken zur Treppe steht.
 

Das selbst Bela, der absolut nicht mehr zurechnungsfähig ist, sein eigenes, Farins, Leben noch so genau analysieren kann, schockt Farin dermaßen, dass er alle Vorsicht fallen lässt: „Und ich bin dein verschissener kleiner Grund, warum du noch nicht als Drogenleiche am Bahnhof Zoo vor dich hin verwest...“
 

Eindeutig der eine Satz, der zu viel war. Das Fass explodiert. Er bemerkt gar nicht, wie Bela ihm einen rabiaten Schubs versetzt und er die erste Treppe bis zur Zwischenetage fällt, dabei unsanft mit dem Gesicht bremst. Der metallische Geschmack von Blut klebt in seinem Mund, er sieht nur noch Farbsprenkel und spürt einen stechenden Schmerz.
 

Farin weiß nicht, wie lange es gedauert hat, bis er es geschafft hat, den Blick zu heben und die Situation zu realisieren. Es können Sekunden, Minuten oder auch Stunden gewesen sein.

Außerdem weiß er nicht, ob er jemals schon einmal so gedemütigt wurde. Mit schmerzenden Gliedern liegt er auf dem schmutzigen Boden, schafft es kaum den Kopf zu heben und sieht von unten hinauf zu dem Täter, alias sein bester Freund oder das andere Abbild davon.
 

Das Erste was er erblickt, sind die eiskalten, unerbittlichen Augen dieser Person eine Etage über ihm.
 

„Wenn du dich für diesen verfickten Satz entschuldigst, helf ich dir eventuell.“, der Schlagzeuger grinst geradezu sardonisch.
 

„Es...tut mir Leid, Bela.“
 

Farin weiß nicht, warum er das tut. Zum einen Teil ist es die Angst vor der Gestalt vor ihrer Wohnung, sicher zudem auch die Überforderung mit der Situation und die völlige Hilflosigkeit.
 

Zum anderen Teil kapituliert er wieder einmal vor dem Zweiten Ich, vor der alles einnehmenden Abhängigkeit. Und nicht nur vor der eigentlichen Abhängigkeit, sondern auch vor dieser ganz speziellen Art einem Menschen regelrecht hinterher zukriechen, akzeptiert diese Form der Erniedrigung und des Brauchens stumm.
 

Tatsächlich schwankt Bela die Treppe herunter, droht beinahe selber zu stürzen. Eher schlecht als Recht hilft er seinem benommenen Freund auf, schiebt ihn das kurze Stück wieder hinauf. Mit einem Schlag ist all die Kälte verschwunden, aus irgendeiner seiner Jackentaschen zieht er ein schmutziges Taschentuch und tupft Farin das frische Blut von den Lippen.
 

Als er ihn die Wohnung schiebt, wirkt Bela ein bisschen wie eine besorgte und vorwurfsvolle Mutter, die gerade ihren Sohn aus einer Schlägerei gezerrt hat.

12:00

Danke für die rege Rückmeldung, wir sind total baff. Ihr seid klasse!
 

***
 

12:00
 

In den letzten Tagen ist kein einziges Mal das Wort „Entschuldigung“ von der richtigen Seite gefallen, etwas anderes ist aber auch nicht zu erwarten gewesen.

Farin akzeptiert stumm das erneute Tal, in das sein bester Freund gerauscht ist, schuftet weiter für ihr Geld. Auch ihre Band, die eigentlich nur noch ein Duo ist, wird wieder halbwegs auf Kurs gebracht, durch entsprechende Mühen Farins.

Ein neuer Bassist, der aber einfach nur das Instrument und nicht das Bandmitglied ersetzen soll, ist auch schon gefunden.
 

Etwas Gutes hat die ganze Arbeit aber, sei es die zwischen den Süßwaren oder an neuen Songtexten: Farin denkt so gut wie gar nicht mehr. Der Versuch wäre auch fatal ausgegangen, ist Bela in der vergangenen Zeit doch mehr als sonderbar.
 

Party folgt auf Party, nichts Neues, außer, dass sein Konsum sich noch einmal maximiert hat. Statt auf Drogen aber einfach nur noch nutzlos und ein Klotz am Bein des Gitarristen zu sein, verhält Bela sich nun völlig anders.

Wüsste Farin es irgendwo nicht doch besser, würde er sagen, der Schlagzeuger kümmert sich um ihn. Auf seine eigene Art und Weise.
 

Wenn Bela halbschwankend am frühen Morgen durch die Tür tritt, wiederholt sich jeden Tag ein Ritual. Erst das besorgte, halb gelallte: „Jaaahan?“, dann der strafende Blick und der Tadel, liegt Farin nicht ordnungsgemäß im Bett, manchmal versucht der Schlagzeuger sogar noch ein Frühstück zuzubereiten, was öfters in einem Desaster endet. Gott sei Dank steht ihre Wohnung noch und ist nicht komplett ausgebrannt. Ist Farin nicht daheim, lässt der Schlagzeuger es sich nicht nehmen, einfach bei seinem Arbeitsplatz anzurufen und sich nach dem Wohlbefinden seines Freundes zu erkunden.

Dummerweise riskiert er damit aber ihre einzige regelmäßige Einnahmequelle, weshalb Farin sehr bemüht ist, ihm diese Angewohnheit auszureden.
 

Die wenige Zeit in der Bela sich zusammen reißt, lässt sich mittlerweile an einer Hand abzählen, ist dafür aber umso schöner. An diesen Tagen läuft der Schlagzeuger manchmal aus Ermanglung anderer Wege zu der Fabrik, holt den Gitarristen von seiner Schicht ab. Ist dieser noch halbwegs brauchbar, feilen sie im Proberaum weiter an ihrer Karriere. Eigentlich ist Farin nach der Arbeit nie noch ansatzweise brauchbar, körperlich völlig ausgelaugt, aber die Band und sein bester Freund, sein wirklicher bester Freund, sind ihm wichtiger als seine Grundbedürfnisse.
 

Sein Ruin wird ihn bald überholen, aber glücklicherweise kann er gerade nicht darüber nachdenken. Nur ab und an, wenn er wieder schlaflos im Bett liegt oder sich wahlweise Stress übergebend im Bad befindet, fragt Farin sich, wie lange er das noch aushält.
 

Als er heute um Zwölf, pünktlich zur Mittagszeit, seinen Arbeitsplatz verlässt, gibt es leider keine Spur von Bela. Wahrscheinlich liegt dieser Zuhause und schläft seinen Vollrausch von gestern erst einmal ordentlich aus.

Seufzend fährt Farin wieder illegaler weise Bus, seine Tasche fühlt sich an, als wäre sie voller Backsteine.
 

Daheim empfängt ihn ein monotones Schnarchen, was schon als Ruhestörung zu bezeichnen ist und eine Überraschung auf dem Küchentisch.

Drei neue Plektren liegen darauf, mit einem schmierig gekritzelten, kaum lesbaren Zettel. Mit Ausnahme der Fledermausunterschrift, die natürlich gestochen scharf unter der Sauklaue prangt.
 

„Damit wir noch besser klingen und du nicht die Hälfte der Zeit bei der Bandprobe verschwendest um über dein abgewetztes Plek zu meckern...“

Zum ersten Mal seit einiger Zeit bekommt Farin ein ehrliches Lächeln auf die Lippen, ist die kleine Geste doch irgendwo so unglaublich niedlich.

Leider erinnert ihn der Lärm im Hintergrund daran, dass der aktuelle Zustand des Schlagzeugers mal wieder nicht niedlich und harmlos ist, sondern eher ohnmächtig.

Aus der bekannten Ratlosigkeit heraus lässt er sich an dem Tisch nieder und dreht eines der Plektren zwischen seinen Fingerspitzen, während er sich in Tagträumen verliert.

13:00

13:00
 

Unter dem abwesenden Blick Farins, dreht der Sekundenzeiger unermüdlich seine Runden. Die große Uhr zeigt genau genommen 13 Uhr und fünf Sekunden an.

Sie befinden sich in irgendeinem viel zu warmen Büro, in irgendeinem viel zu hohen Hochhaus irgendwo in Berlin und ein stetig so dahin plätschernder Wortschwall eines Managers ergießt sich über die beiden Freunde. Während Farin jedoch eher in sich gekehrt ist, hibbelt Bela wie ein Schulkind auf seinem Stuhl herum und grinst hyperaktiv.
 

„Okay, dann bräuchte ich nur noch Ihre Unterschrift...“
 

Bela reißt dem armen Mann förmlich den angebotenen Kugelschreiber aus der Hand, aus dem Augenwinkel erkennt Farin, dass der Schlagzeuger es zum Glück geschafft hat, sich hier seine Fledermaus zu verkneifen. Zuzutrauen wäre es ihm.
 

Mit leuchtenden Augen reicht Bela den Stift weiter, Farin weiß nicht, wann sein Freund das letzte Mal so euphorisch und glücklich war. Langsam nimmt er den Stift, setzt schnell seine Unterschrift unter das Stück Papier, will nicht darüber nachdenken.
 

„Die Kopie und alle Restunterlagen schicke ich Ihnen per Post, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“
 

Endlich kann Farin seine eingeschlafenen Beine wieder bewegen, schiebt den Stuhl an den Schreibtisch und verabschiedet sich höflich. Bela schleift er mehr oder weniger mit aus dem Büro, bevor dieser zu peinlich für seine Umwelt wird.
 

„Wir haben gerade unseren neuen Plattenvertrag unterschrieben!“
 

„Mhm.“
 

Die Gegensätze in den Stimmlagen sind geradezu erstaunlich.
 

„Diese Unterschrift ist unsere Zukunft,Baby. Nen neues Album, neue Tour, neue Fans...“, sein Blick wird glasig.
 

„Dachten wir das beim letzten Mal nicht auch?“, setzt Farin an.
 

Der Schlagzeuger bleibt mitten auf einer Treppe stehen, ungeachtet der geschäftigen Mitarbeiter, die beinah in ihn rein laufen.
 

„Das ist ein Neuanfang! Alles auf Null, im Prinzip nur wir beide. Und jetzt freu dich verdammt nochmal wenigstens ein bisschen über den Vertrag!“
 

„Ich hab da so meine Zweifel.“
 

„Fick die Zweifel, wir werden berühmt!“, das letzte Wort brüllt Bela peinlich laut, voller Glückseligkeit. Er ist wirklich ein kleiner Schuljunge im falschen Körper.
 

„Aber eigentlich brauchst du die Zweifel gar nicht zu ficken. Spätestens in ein paar Monaten kannst du dann eine hübsche Blondhaarige aus der Ersten Reihe vögeln... Bis dahin muss du mit mir vorlieb nehmen“, der Schlagzeuger spricht immer noch viel zu laut und grinst wie ein Honigkuchenpferd.
 

Die gesamten Mitarbeiter ihres neuen Labels lachen möglichst verhalten, um nicht aufzufallen. Farin wird dementsprechend puterrot.
 

„Bela...Komm jetzt, wir wollen doch später den Anlass feiern...“
 

Beim Wort „feiern“ wird Bela hellhörig und lässt sich brav mitziehen, Farin ist noch nie so heilfroh gewesen, ein Gebäude verlassen zu haben.
 

*
 

Irgendein etwas besserer Club, Farins ganzes Monatsgehalt, inklusive dem Gitarristen, und ein betrunkener Schlagzeuger. Bela war den ganzen Nachmittag schon ohne Alkohol schlimm genug, aufgedreht und völlig neben der Spur. Singend war der Ältere durch die Straßen Berlins gehüpft (das Verb ist wortwörtlich zu verstehen), hatte sich in den buntesten Farben ihr Rockstarleben ausgemalt und dabei war das Grinsen die ganze Zeit wie fest getackert.
 

Farin hatte sich wirklich bemüht, den Schlagzeuger einfach auszuhalten oder brav an seinem Pessimismus zu klammern. Er steht auf erfolglosem Posten, die Euphorie hat ihn unaufhörlich in ihren Sog gezogen. Der gute alte Spiegel funktioniert noch immer tadellos, ist glasklar.
 

So steht Farin an der Theke, beschützt seinen Orangensaft vor „Ausrutschern“ von Vodka Flaschen, lässt die dröhnend laute Musik auf sich prasseln und beobachtet den derzeit pogenden Schlagzeuger mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.
 

Ziemlich verschwitzt schwankt dieser am Ende des Liedes auf ihn zu, grinst immer noch unaufhörlich. Ehe Farin sich versieht hat Bela seine Arme um den Hals des Gitarristen gelegt und sich an dessen Brust geschmiegt. Der Alkoholpegel hat jetzt die Kuschel-Phase erreicht, bei der Farin nie weiß, ob er leiden oder sich freuen soll.
 

„Ey...Die werden sich soo freuen, dass die noch mit mir gepogt haben...Wenn mein Gesicht auf der Bavo klebt und jeder mich kennt...Jeder.“
 

Als Antwort für seinen Größenwahnsinn erntet er ein liebevolles Tätscheln auf den Hinterkopf von Farin.
 

„Aber jetze...Hab ich Lust rauszugehen.“
 

Kaum sind die Worte verklungen, zerrt Bela seinen besten Freund durch die Menschenmenge aus der stickigen Luft nach draußen.
 

Die laue Sommerluft tut so unglaublich gut, riecht frisch und so sehr nach ihrer Heimatstadt. Allein durch diese kleine Tatsache klettert auch Farins Laune emsig weiter nach oben.

Sie stehen auf dem kleinen Hinterhof des Clubs, keine Menschenseele treibt sich hier herum, was eigentlich eine Verschwendung des atmosphärischen Platzes ist.
 

Bela presst sich erneut an seinen Freund, hat seine Hände wieder im Nacken Farins verschlungen, strahlt ihn an. Vorsichtig hebt dieser seine Hand, legt diese ebenso bedacht auf die bleiche Wange Belas. Er ist so schön in dem schummrigen Hinterhoflicht, die Schatten malen sich auf sein Gesicht, geben ihm etwas verschlagenes.
 

Farin ist egal, dass der Schlagzeuger alkoholisiert ist. Es ist ihm auch egal, dass er eigentlich nicht an diese Form der Zukunft glaubt. Noch mehr egal sind ihm seine eigenen Probleme. Jetzt zählt nur dieser ganz besondere Mensch vor ihm.
 

„Ick könnt dich jetze einfach so küssen...“
 

Bei den Worten kommen die schmalen Lippen nah, so nah, dass er den Atem fühlt, den typischen Bela Geruch einatmen kann. Ein bisschen riecht er wie immer nach seiner letzten Party, da ist aber noch eine ganz andere Note, vielleicht beschreibbar mit dem Duft flüssiger Schokolade.
 

„Warum tust dus dann nicht?“
 

Just in diesem Augenblick pressen sich die warmen Lippen auf seine, spürt er eine gierige Zunge, die Einlass will. Niemand auf dieser Welt küsst besser als der Schlagzeuger, so hungrig, aber doch irgendwie liebevoll. Seine Küsse wecken Erinnerungen, beschwören Gedanken, rauben den Atem, lassen die Umwelt vergessen.
 

Er könnte sein ganzes Leben lang einfach nur Bela küssen und wäre glücklich dabei.
 

Natürlich bleibt es nicht bei diesem einen Kuss, sanft schiebt der Schlagzeuger Farin in Richtung der kleinen Mauer am Ende des Hofes. Dort angekommen lässt Farin sich bereitwillig gegen diese drücken, genießt die Hände, die unter sein T-Shirt fahren und unsichtbare Spuren malen.
 

Zärtliche, kurze Küsse wandern über sein ganzes Gesicht, Bela greift nach der Hand seines Freundes und legt auch dort seine Fährte aus Liebkosungen.

Seufzend gibt sich Farin ganz den verwöhnenden Lippen hin, erkennt kein Gestern, kein Heute und auch kein Morgen mehr.
 

Nur Bela.



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Kommentare zu dieser Fanfic (39)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Jasina
2011-09-26T05:23:00+00:00 26.09.2011 07:23
Das ist soooooo wundervoll!!!!
Ach ich bin richtig am schwärmen^^
Aber natürlich wieder an der spannendsten Stelle aufgehört -_-
Na gut ich werde warten .... und freue mich schon wenn es weiter geht.:)
LG
Von:  Toozmar
2011-07-15T16:55:59+00:00 15.07.2011 18:55
ich kann dazu gar nicht so viel schreiben, außer das ich am Ende eine sehr angenehme Gänsehaut hatte.

Danke und bitte mehr davon!!!!!
Von:  Slythericious
2011-05-25T14:36:53+00:00 25.05.2011 16:36
awww
hach...
sie sind alle so niedlich XD
was würde ich für ein foto von dieser szene hinter dem club geben... ^___^

ich bin nahezu schockiert, dass es jetzt immer so schnell weitergeht. nicht, dass ich mich beschweren will, aber es ist ungewohnt Ô_o
Von:  YouKnowNothing
2011-05-25T11:08:35+00:00 25.05.2011 13:08
o.o
Oi, was ist das denn?
Versöhnliche, schöne Töne? Oder nur die Ruhe vor dem Sturm? ;)

Was auch immer es ist, es ist sehr, sehr... ja, 'schön' ich nutze auch mal dieses Wort ;) & es hat meine kleine Mittagspause doch erheblich versüßt <3

Danke! =3
Von:  aerith_rikku
2011-05-25T06:45:40+00:00 25.05.2011 08:45
Ein Wort: schön!
so ein positives kapitel... nun ja, mehr oder weniger.
Bela is wieder glänzend drauf und farin war ein kleines deppressives wesen was ich irgendwie auch sehr niedlich finde.
schön schön :-))
Von:  YouKnowNothing
2011-05-18T13:02:56+00:00 18.05.2011 15:02
"Mit Ausnahme der Fledermausunterschrift, die natürlich gestochen scharf unter der Sauklaue prangt."
Greife ebenfalls mal diese Zitat heraus & betitele es als meinen persönlichen Höhepunkt des Kapitels ^.^
Niedlich, was für kleine Details manchmal die besten sind <3

Auch wenn die Vorstellung, dass man über so was einfaches wie Pleks glücklich sein kann (&ich kann es voll und ganz nachvollziehen!) hat mir den Tag wieder ein wenig versüßt ^~^

Ich freu mich auf mehr, auch wenn ich mich mehr und mehr frage, wie das eigentlich noch zu retten sein soll oO
Bin gespannt & freue mich sehr auf weitere, kleine, erfreuliche, versüßende Details & Kapitelchen ^.^

Grüße!
Von:  aerith_rikku
2011-05-18T08:18:09+00:00 18.05.2011 10:18
ach ist das süss. besodners die schon oben erwähnte fledermaus utnerschrift! sehr sehr niedlich. ich mag deinen/euren(MEINEN) Bela überhaupt wahnsinnig gerne, egal in was für einer evrfassung er ist.

Aber dieses kapitel war einfach nur schnucklig.
überhaupt find ich es ziemlich bewundernswert wie man eine so an sich eigentlich graue und ausweglose situation so verpacken kann dass es doch wieder niedlich ist. :)
Von:  Slythericious
2011-05-18T07:30:20+00:00 18.05.2011 09:30
"Mit Ausnahme der Fledermausunterschrift, die natürlich gestochen scharf unter der Sauklaue prangt."
joa... ich würd mal sagen: prioritäten setzen ^___^

schade, dass es ein so kurzes kapitel ist, aber so ist das eben. so macht man die leute wuschig. gib ihnen was sie wollen, aber immer nur in so geringen mengen, dass sie brav dranbleiben^^

macht hinne, ich will weiterlesen!^^
hab ja sonst nüscht zutun^^"
Von: abgemeldet
2011-05-16T19:24:10+00:00 16.05.2011 21:24
ganz wundervoll mal wieder! sehr schön geschrieben & sehr nachvollziehbar das alles, also fu's gefühle und gedanken und auch bela's. ich freu mich sehr drauf wenn's weitergeht :)
Von:  Toozmar
2011-05-15T15:37:37+00:00 15.05.2011 17:37
aaaaahhh, geil...
„Bis du... irgendwie bescheuert? Dit is meene Wohnung...Meene.“
der Satz ist genial... jetzt grins ich vor mich hin, obwohl der arme Farin da blutend rumliegt... ein dramatisches Ende...
da kann ich nur auf eine schnelle Fortsetzung hoffen...


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