Zum Inhalt der Seite

Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil 2

Zwischen Gott und Teufel
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die ersten Schritte

Das „Wir bereden den weiteren Verlauf“ stellte sich als Essen und Trinken heraus. Kaum war ich unten und saß mit Serdon, Robin und Slade am Tisch, reichte man auch mir einen Bierkrug und wir ließen es uns gut gehen. Sie waren so nett, für mich zu zahlen und ich machte keinen Hehl daraus, dass ich beschloss, es zu genießen. Es gab Suppe und Fleisch, Brot, Bier und gute Unterhaltung.

Ich wagte es nicht, direkt zu fragen, ob Serdon und Robin Ächaten oder gar ehemalige Sklaven waren. Stattdessen versuchte ich es herauszufinden, ohne dabei zu offensichtlich vorzugehen. Robin erzählte mir, dass nicht sie allein ‚Die Gruppe’ waren und dass ‚Die Gruppe’ aus mehr Leuten bestand. Bei ‚der Gruppe’, was er immer sehr auffällig betonte, damit auch ich folgen konnte, handelte es sich ohne Frage um die Samariter. Der Mann machte mir deutlich, dass sie überall in Brehms verteilt waren. Das brachte einige Probleme mit sich, denn mittlerweile gab es so viele Anhänger und Halb-Anhänger, Schein-Anhänger, aber auch Feinde, dass man den Überblick verlor. Nicht nur, dass es gefährlich war, nein: Es war auch gänzlich uneffektiv.

Am Anfang, als ‚die Gruppe’ nur aus wenige Gelehrten bestand, war es sicher gewesen. Niemand hatte die Werke zurückverfolgen können, sie waren wie eine Art Schatten. Aber nun, bei einer so großen Anzahl, griff die Inquisition immer wieder Samariter auf, stellte ihnen Fragen und kamen letzten Endes hinter ihr Geheimnis und auch Vorhaben. Aus diesem Grund handelten sie verdeckter und man könnte sagen, dass alles etwas zum Stillstand kam. Zwar kopierten sie noch immer Bücher, aber noch mehr im Geheimen, als ohnehin schon. Das Hauptproblem waren ‚die Redner’, wie Robin sie nannte. Sie sahen sich selbst als Propheten, stellten sich auf die Straßen und begannen den Herrn zu preisen. Nicht nur, dass es mehr als nur offensichtlich war – nein, sie taten es im Namen der Samariter und des Herrn. Man musste sie nur festnehmen und wenn man Pech hatte, wussten sie alles, was es zu wissen gab.

Er selbst, ebenso Serdon und Slade, gehörten noch nicht lange ‚der Gruppe’ an. Sie waren erst seit einigen Jahren dabei, aber hatten bereits zwei solcher Fälle miterlebt. Die Menschen drehten einfach durch, erklärte er mir. Sie waren überzeugt davon, dass Gott sie schützen würde und dachten nicht mehr nach.

Das war wohl auch ein Grund, wieso ich kurzerhand genaustens ausgefragt wurde, woher ich kam und wie mein bisheriges Leben verlief. Unsicher, ob sie mich auch für so einen ‚Redner’ halten könnten, beschloss ich, meinen Glauben nicht zu sehr zu beteuern. Ich erzählte, dass ich in einem Kloster groß geworden war, es aber verlassen hatte, um zur See zu fahren. Irgendwie trieb es mich nach Brehms und hier arbeitete ich lange Zeit in einem Skriptorium. Auf die Frage, wieso ich mich nun für die Samariter entschieden hatte, sagte ich nur, dass ich etwas Sinnvolles machen wollte. Ich wollte etwas tun, das die Welt verändert. Etwas, dass dem Volk Freiheit, Glauben aber auch Ehrlichkeit bringen kann. Etwas, was mir geholfen hätte, als ich am Boden lag, denn die Inquisition hatte es nicht getan.

Da wir nicht zu laut über die Inquisition sprechen konnten, fing Slade ein Gespräch über Frauen an – sein Lieblingsthema und ungewollt wurde ich in sämtliche Niederlagen und Höhepunkte seiner Lebensgeschichte eingeweiht. Ich erfuhr von seiner ersten großen Liebe, die einen anderen heiratete, von seinem ersten Mal in einer Scheune, das unvergleichlich gewesen war und auch von seiner ersten Krankheit, als eine Dirne ihn förmlich gegen seinen Willen ritt. Wir lachten viel, denn mit jedem Krug Bier verschwand die Ernsthaftigkeit. Am Ende lachten wir mehr, als dass wir sprachen und erst, als die Müdigkeit sich über unseren Geist legte, wurde es ruhiger.

Serdon sprach die ganze Zeit über kein einziges Wort. Es war mir unangenehm und machte mich nervös, doch er starrte mich immer wieder minutenlang an. Wann immer ich zu ihm sah, schien er zu mir zu sehen und wenn Robin oder Slade ihn ansprachen, brummte er lediglich oder stieß die Luft aus. Ich beschloss, ihm etwas aus den Weg zu gehen, um Problemen auszuweichen.

Ein sehr amüsanter Entschluss, wenn man bedachte, dass unsere Lager direkt nebeneinander waren. Als wir uns angetrunken und schrecklich erheitert zu unserem Zimmer begaben, legte er sich direkt neben mich und ich wünschte mich weit weg. Zwar war es dunkel im Zimmer, aber ich spürte, dass er selbst jetzt irgendwo in der Dunkelheit lag und mir entgegen starrte.

Slade hatte den Münzwurf gewonnen und machte es sich im Bett bequem, leise vor sich hin summend und stark betrunken. Robin hingegen wirkte völlig nüchtern. Während wir uns in unsere Decken wickelten, bereit zu schlafen, saß er noch eine Zeit lang am Tisch und las in einem kleinen Buch. Ich hörte zu, wie die Seiten leise raschelten, wenn er umblätterte und manchmal, wie er sich bewegte.

In meinem Kopf rotierte es.

Ich hatte nicht genug getrunken, um meine Gedanken zum Schweigen zu bringen. Stattdessen schienen sie ein Wettrennen zu veranstalten. Scheinbar war ich nun bei einer Randgruppe der Samariter gelandet, aber Robin versicherte mir, dass ich bald schreiben dürfte. Es gab regelmäßige Treffen und sobald sie sicher waren, dass sie mir trauen konnten, durfte ich daran teilnehmen. Bis dahin galt es, mich zu beweisen. Dass ich nicht von allein hier gelandet war, sondern dank Nevar, war ohne Frage von großem Vorteil. Sie schienen dem Mann zumindest zu einem gewissen Anteil zu vertrauen, somit hatte ich es nicht ganz so schwer.

Dennoch machte mich die Situation nervös. Ich lebte nun in einem Gasthaus, abhängig von mir völlig fremden Menschen und mit förmlich nichts in der Hand. Ich musste vertrauen, mehr blieb mir nicht übrig. Aber eine innere Stimme wollte mir einreden, dass ich es verlernt hatte, dieses Gefühl zu empfinden.

Ich musste es trotzdem tun. Das sagte ich mir immer und immer wieder, besonders, während Slade mich an manchen Tagen mit sich schliff, halfen tat es aber kaum. Wir schlenderten oft durch die Stadt und versetzten mich zurück in meine Kindheit. Es war Zeit, für Geld zu sorgen, erklärte er mir. Jeder musste einen Beitrag leisten und da weder er, noch ich Arbeit hatten, mussten wir uns anders welches beschaffen. Begeistert war ich nicht, aber trotzdem empfand ich unsere kleinen Abenteuer als aufregend. Anfangs lenkte ich die Leute unfreiwillig ab, während Slade die Beutel los schnitt oder hier und da einen Apfel mitgehen ließ, doch spätestens, als ich mein Glück versuchen sollte, weckte er das Kind in mir. In Brehms wurde Diebstahl oft mit dem Diebesturm bestraft, aber wenn man Pech hatte, mit dem Verlieren einer Hand. Abschrecken tat mich das jedoch nicht. Nach einigen Tagen begannen wir Wettstreits daraus zu machen, wer mehr bekam.

Wir stahlen nicht viel, da es zu auffällig wäre, aber das, was wir bekamen, teilten wir gerecht. Währenddessen plauderten Slade und ich ein wenig. Neben seinen Frauengeschichten und Belehrungen, worauf man bei ihnen achten musste, erfuhr ich, dass er bereits sein ganzes Leben in Brehms war. Der Mann kannte die absurdesten Geschichten und Legenden, kannte jeden Winkel und fast jede Person, wenn auch nicht persönlich. Es machte Spaß, ihm zuzuhören, wenngleich ich mir all das, was er sagte, niemals merken könnte. Er liebte diese Stadt, seine Stadt und er war stolz, ein Brehmser zu sein. Kein Wunder also, dass er das Thema Annonce nicht ruhen lassen konnte. Wann immer sich eine Gelegenheit bot, nutzte er sie, um mir zu verdeutlichen, woher ich kam. Er versuchte, mir den Annoncer Akzent abzugewöhnen, gab aber nach gut einer Stunde kopfschüttelnd auf. Ich verstand nicht einmal, was genau diesen Akzent ausmachte, also wie sollte ich ihn loswerden?

Zum Nachmittag hin setzten wir uns dann oft in eine Unterführung auf den trockenen Boden, kauten altes Brot und beobachteten die Leute, die uns passierten. Die meiste Zeit, die ich im Vagabund lebte, verbrachte ich mit Slade und ich lernte, seine Art zu verstehen. Ich verstand seinen Humor, aber auch seinen Sarkasmus und wenn er Anspielungen machte, kam es immer öfter vor, dass ich ihm folgen konnte und andere nicht. Wir dachten oft zur gleichen Zeit dasselbe und so, wie er meine leicht frechen Sprüche mochte, mochte ich seine. Er hatte eine Art und Weise an sich, Dinge zu äußern, die dreist aber gleichzeitig amüsant war. Sicherlich gab es einige, die sich von seinem Verhalten angegriffen fühlen würden, aber wenn man ihn besser kannte, verstand man ihn.

Das Einzige, was ich an ihm hasste, war seine Gerissenheit. Manchmal spielten wir Karten oder er holte einen kleinen Beutel aus seiner Tasche. Diesen konnte man aufklappen und im Innern waren kreuzförmige Linien gezeichnet. Dieses Spiel machte mir besonders Spaß. Man musste mit kleinen Steinchen versuchen, die des anderen weg zu nehmen, aber er gewann fast immer und mit jedem Gewinn, war ich einen Teil meines Verdienstes wieder los. Dennoch ließ ich es niemals sein, ihn herauszufordern und als er mir eines Tages eine weitere Ausführung dieses Spiels schenkte, konnte ich es kaum noch lassen, jede freie Minute gegen ihn zu spielen.

In den zwei Wochen, in denen wir uns besser kennen lernten und das eine oder andere Mal vor den Blauröcken flohen, begann allmählich der Schneefall. Es war schon lange kalt gewesen, doch irgendwann rieselten die weißen Flocken vom Himmel und schmolzen auf den Steinen. Nun war ich bereits ein ganzes Jahr lang in Brehms, aber dieser Gedanke erfülltr mich nicht mit Traurigkeit oder gar Reue. Gut, laut Domenico wäre ich wohl etwa um diese Zeit ein freier Mann geworden und hätte meinen Dienst erfüllt, aber die Gedanken daran vergaß ich immer mehr. Ich dachte nicht darüber nach ‚Was wäre, wenn?’ Ich genoss mein Leben und fühlte mich frei, gesund und gut.

Slade zeigte mir absurde Schleichwege und ein verlassenes Haus, in denen Pflanzen wuchsen. Er kannte Tunnel, die kaum einer benutzte und Händler, die alles viel billiger verkauften. Der Dieb versuchte mir zu zeigen, wie man Messer so warf, dass sie nicht mit dem Griff abprallten und durch ihn verstand ich viel über den Aufbau der Stadt. Er zeigte mir das Brehms, das ich trotz meiner langen Zeit nie gesehen hatte: Das Brehms der Gesuchten, das Brehms der Freien. Ich lernte, diese Stadt wieder zu lieben und manchmal saßen wir auf den Dächern, beobachteten den Sonnenuntergang und ich dankte Gott dafür, noch immer hier zu sein.

Dennoch würde ich niemals behaupten, dass Slade und ich so etwas wie Freunde waren. Zwar verbrachten wir fast Tag und Nacht zusammen, außer, ich schlenderte allein umher, aber über ihn selbst erfuhr ich nie sonderlich viel. Ich gab nicht viel über mein eigenes Leben Preis und er schien das gleiche auch bei sich tun zu wollen – das respektierte ich. Schon, ich wollte wissen, woher sein geschlitztes Ohr kam, ob er einer Gilde angehörte oder was ihn dazu brachte, so ein Leben zu führen. Fragen tat ich aber niemals.

Über Robin und Serdon erfuhr ich genauso wenig. Wir trafen uns oft abends, aßen gemeinsam und tranken, gingen gemeinsam zu Bett und sprachen über belangloses Zeug. Wichtige Gespräche führte Robin mit uns nicht und ich bekam das Gefühl, dass er wesentlich höher stand, als Slade oder Serdon. Robin entschied, wann wir zu Bett gingen und Robin entschied, wann Slade und ich etwas kaufen sollten oder wann wir uns ausruhen durften. Serdon blieb auch weiterhin so ruhig, aber wo auch immer Robin war, dort war auch er. Als wäre Serdon ein übergroßer Wachhund. Ich mochte auch Robin mit der Zeit, denn ich kann mich an keinen Abend erinnern, an dem er nicht freundlich grinste oder einen Witz auf den Lippen hatte. Zwar war er ein sehr ernster Mensch und stets aufmerksam, betrank sich nie und behielt stets die Tür im Auge, aber dennoch war er auf seine Art sehr nett und ich schätzte ihn. Ich konnte spüren, dass auch Slade großen Respekt vor dem Mann hatte, wenngleich er ihn fast immer aufzog. Robin war der Kleinste von uns und manchmal fand er nicht die passenden Worte oder fluchte auf ächatisch, da er ein Problem mit unserer Sprache hatte. Auf der anderen Seite war er der einzige, bei dem der Alkohol so gut wie keine Wirkung zeigte und der Slade beim Spielen fast immer schlug.

Die interessanteste Verbindung allerdings bestand zwischen Robin und Nevar.

Des Öfteren kam es vor, dass Slade und ich ins Gasthaus zurückkehrten und den Mann in schwarz am Tisch sitzen sahen. Robin und er unterhielten sich dann leise, Serdon schweigend im Hintergrund und Slade und ich zogen uns aufs Zimmer zurück. Es schienen bedeutsame Gespräche zu sein, wenn der Dieb uns sofort weg führte. Ich fragte mich, worüber sie sprachen. Samariter-Dinge, ohne Frage, aber was für welche? Es kam auch nicht selten vor, dass Slade mit an den Tisch gerufen wurde – nur ich musste gehen. Es dauerte eine ganze, weitere Woche, bis man auch mich dazu rief und in mir herrschte fast sofort Aufregung.

Mittlerweile war der Schnee etwas liegen geblieben. Nicht viel und auf den Straßen war alles zertreten, aber die Dächer und Mauern Brehms’ waren weiß. Als Slade und ich in den Vagabunden traten, warfen wir unsere Blicke wie meistens zuerst zu Robins Stammtisch. Er saß oft dort, so wie auch jetzt und auch dieses Mal zusammen mit Nevar.

Ich wollte schon abdrehen und mich aufs Zimmer zurückziehend, wohl wissend, dass mich ihr Gerede nichts anging, doch Robin rief „Falc’dhe!“, also blieb ich unsicher stehen. Es war seltsam und vor allem ungewohnt. Was wollten sie denn von mir?

Nachdem ich ruhig am Tisch saß, während Slade es sich neben mir bequem machte, sah ich von einem zum anderen. Serdon starrte mich nur düster an und Nevar musterte seinen Bierkrug. Es schien fast, als hätten sie nur auf mich gewartet. Ich wollte nicht unsicher wirkte und nahm eine straffe und selbstsichere Haltung an, doch der Gedanke daran, wie Sardon mich anstarrte und dass Nevar mich gut genug kannte, um mich zu durchschauen, machte mich etwas unsicher. Ein kurzer Blick zu dem Mann in schwarz, dann zu Robin. „Was ist?“

Der Ächate zögerte, das merkte man deutlich. Er wich mir aus, indem auch er sein Bier musterte, ehe er mich wieder ansah und kurz zu überlegen schien. Unsicherheit. Hatte ich etwas falsch gemacht?

Slade spottete: „Hat es dir die Sprache verschlagen, Rob?“

„Ich überlege, wie ich es formulieren soll.“, der Ächate starrte in meine Augen, als wäre da irgendwo die Lösung für seine Probleme zu sehen. Nach einer Weile erklärte er ruhig: „Falcon, Ihr wart nun lange Zeit bei uns und ich denke, dass wir Euch mehr anvertrauen können. Möchtet Ihr noch immer für uns als Kopist arbeiten?“

„Ja!“, meine Antwort kam fast sofort und Robin lachte etwas.

Ich hörte, wie Nevar schmunzelnd sagte: „Habe ich es Euch nicht gesagt? Er kann es kaum erwarten, die Feder zu schwingen.“

Machten sie sich etwa über mich lustig? Ich warf Nevar einen kurzen Blick zu, aber es schien nicht so, als wäre das der Fall. Viel mehr, als müsste Robin sich erst davon überzeugen, dass er diesen Schritt wirklich gehen wollte. Er murmelte: „Ich habe entschieden, Slade mitzunehmen, aber er ist verhindert. Darum kam mir der Gedanke, dass Ihr mich begleiten könntet.“

Ich versicherte: „Das würde ich sehr gern.“, und nickte, um meine Worte etwas zu verdeutlichen. Der Mann vor mir jedoch wog nur den Kopf.

„Ihr müsst verstehen, dass ich sehr vorsichtig sein muss.“, erneut nickte ich, denn natürlich konnte man das verstehen. Aber wie sollte ich ihm vermitteln, dass es bei mir keinen Grund zur Vorsicht gab?

Diesmal war es Slade, der sprach. Er setzte sich aufrecht, bewegte beim Sprechen etwas die Hand und wollte wissen: „Denkst du etwa, Falcon ist ein Spion? Das ist albern. Gut, ich kenne ihn nicht sehr gut, aber: Bitte, er ist Annoncer durch und durch! Ich habe ihn die letzten Wochen lang fast permanent gesehen. Er würde nicht mal als Spion taugen, wenn er unsichtbar wäre.“

„Es ist aber Fakt...“, stellte Robin ungerührt fest. „,...dass er fast ein Jahr lang der Deo Volente diente und uns kein einziges Wort davon gesagt hat.“

Ungewollt schreckte ich zusammen und sah Slade an. Damals, auf dem Platz des alten Henrys, hatte ich verneint, als er mich mit der Deo Volente in Verbindung brachte. Wieso hatte Nevar Robin davon erzählt? Ich hatte es geheim halten wollen!

Der Dieb neben mir wirkte aber alles andere als überrascht. Er zuckte nur mit den Schultern und spottete: „Na und? Jeder von uns hatte schon mal was mit den Pfaffen am Hut, sonst wären wir nicht hier an diesem Tisch. Und seien wir ehrlich: Würdest du es herumposaunen, dass du vor Domenico kriechen musstest, um seine Stiefel zu lecken?“

„Ich bin nicht vor ihm gekrochen.“, verteidigte ich mich. „Und ihm die Stiefel geleckt habe ich erst Recht nicht. Ich habe eine Zeit lang auf seine Kosten gelebt, das ist alles. Es war mein Leben, jederzeit.“

Nevar schmunzelte abermals und bewegte den Krug, so, dass das Bier sich kreisartig bewegte. Aufmerksam sah er zu und schwieg, als würde ihn das Gespräch nicht ansatzweise interessieren.

Robin lachte nur trocken und kratzte sich an der Schläfe. „Aye, gu mahath, das kann gut möglich sein. Meinetwegen kann er auch vor Domenico auf Knien rum gerutscht sein, bis sie bluten. Es geht darum, dass ich davon nichts wusste.“, als er ausgesprochen hatte, drehte Robin sich zu mir, beugte sich ein Stück vor und klopfte leicht auf den Tisch. Ernst flüsterte er: „Falc’dhe, ich habe Euch bereits am ersten Tag gefragt, wie Euer Leben verlaufen ist. Ihr hättet mir das sagen müssen! Wie soll ich Euch trauen, wenn Ihr alles vor mir geheim haltet?“

Kühl entgegnete ich: „Ich bin auf Euch angewiesen, Robin und dennoch weiß ich nichts über euch. Trotzdem muss ich Euch trauen. Ich denke, wenn es keinen gefährdet, dann kann dies ruhig auf Gegenseitigkeit beruhen. Vertrauen baut man auf – man erkauft es sich nicht, indem man mit Ehrlichkeit prahlt. Und seien wir realistisch: Hätte ich von anfangan gesagt, wer ich bin, woher ich komme und was ich erlebt habe, wärt Ihr nur erst Recht misstrauisch geworden.“

„Ein Punkt für den Annoncer.“, lachte Slade, griff dann Robins Krug und nahm einen tiefen Schluck. Dieser brummte nur und fuhr sich über das Gesicht, während Nevar amüsiert sagte:

„Was habt Ihr zu verlieren, Robin? Gebt ihm eine Chance.“, erst jetzt sah er auf und stellte sein eigenes Getränk auf den Tisch zurück. „Ich habe ihn nicht hierher gebracht, damit Ihr ihm Taschenspielertricks beibringt.“

„Das ist mir bewusst.“, der Ächate seufzte leise, ehe er mich erneut anstarrte und nachzudenken schien. Scheinbar war die Sache sehr ernst, aber ich war kein Verräter und zeigte ihm das auch, so gut es ging. Entschlossen sah ich ihm entgegen und wich seinem Blick nicht ansatzweise aus. Er sollte keinen Grund haben, mir zu misstrauen, ganz gleich, wie viel ich zu verbergen hatte.

Nach einer Weile brummte der Gruppenführer, sah zu Serdon und fragte etwas in einer fremden Sprache. Dieser – er hatte den Blick bisher kein einziges Mal von mir gelöst – gab nur ein tiefes Brummen von sich. Wieder ausländisches Gemurmel von Seiten Robins, ehe er zu mir zurück sah und erklärte: „Also schön, Ihr dürft mich anstelle von Slade begleiten. Wir werden sehen, was daraus wird. Seid morgen bei Sonnenuntergang wach, wir müssen sehr früh los.“

Mir wurde heiß vor Aufregung und ich nickte knapp. Ich durfte mit?! Nach so vielen Wochen hatte ich endlich die Gelegenheit, die eigentliche Arbeit der Samariter zu sehen? Als ich zu Slade sah, grinste dieser und zeigte mir, dass er sich für mich freute. Er hatte nicht an mir gezweifelt, das spürte ich deutlich.

Nevar hingegen wirkte eher unbeteiligt. Er murmelte etwas, sehr leise und zu meinem Erstaunen gab Robin etwas ächatisches zur Antwort. Der Attentäter schien es zu verstehen, denn er stieß abfällig die Luft aus und erhob sich. Ich sah zu, wie er die Schenke verließ und auch, wie Robin ihn begleitete, gefolgt von Serdon. Scheinbar hatten sie noch etwas zu besprechen, außerhalb unserer Hörreichweite, aber das war mir gleich.

Stolz erfüllte mich und eine Art innerer Aufruhr. Wenn Robin mich wirklich mitnehmen würde, dann hatte ich die Chance, mich zu beweisen und zu kopieren. Ich konnte endlich zeigen, was ich konnte! Ich hatte schon sehr lange nicht mehr mit Feder und Tinte gearbeitet, trotzdem war ich kaum unsicher. Ich wusste, dass ich nur etwas üben musste und schon würde es wieder einwandfrei funktionieren!

Slade schlug mir freundschaftlich gegen die Schulter, schob mir Nevars Bierkrug zu und griff sich Robins. Wie meistens sah er nicht ein, selbst Geld dafür auszugeben und grinste mir mit seinem Goldzahn entgegen. „Jetzt seid Ihr dabei, hm?“

„Ja, endlich.“, ich hielt das Bier zwar in den Händen, trinken tat ich jedoch nicht. Zu sehr nahmen die Gedanken meinen Kopf ein. Ich sah Regale voller Bücher, Männer an Tischen die schrieben, Papierstapel über Papierstapel und mehr, vieles mehr.

Der Dieb lachte, denn er merkte, dass ich langsam abdriftete. Mit einem dumpfen Laut landete sein Spielbeutel auf dem Tisch. Er faltete ihn auf, verteilte die Steinchen und sagte: „Wir spielen darum, wer wem das nächste Getränk ausgibt.“

Und für diesen Moment war es mir sogar egal, dass ich nun wahrscheinlich für die nächsten drei Stunden sämtliches Bier zahlen musste. Ich war viel zu abgelenkt, um ein ernsthafter Gegner zu sein – was ich ohnehin so gut wie nie war. Ich starrte zur Tür oberhalb der kleinen Treppe, durch die die drei Männer verschwunden waren und begann zu grinsen.

Robin gab mir eine Chance. Er misstraute mir, ja, aber er war dabei, diese Tatsache zu ändern.

Und ich würde ihm keinen Grund geben, diese Entscheidung zu bereuen!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück