Zum Inhalt der Seite

Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil 2

Zwischen Gott und Teufel
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Nevars Geheimnis

Es dauerte laut Francesco zwei Tage, bis ich wieder vollkommen zu mir kam und es dauerte zwei weitere, bis mir bewusst wurde, wo genau ich mich befand. Wie meine Vermutung gewesen war, hatten sie mich in eine kleinere Schlafkammer gebracht, die eigentlich für Gäste gedacht war. Da aber über den Winter niemand so lange Reisen unternehmen würde, hatten sie mich dort untergebracht, in der Hoffnung, niemand findet mich.

Während der gesamten Zeit, die sich auf mehrere Wochen ausdehnte, verließ ich das Zimmer nicht und befand mich größtenteils im Bett. Francesco hatte mich gewaschen und in ein weißes Hemd gekleidet, wobei ich unsicher war, ob er das allein bewerkstelligte, denn er war weitaus kleiner als ich. Die Verletzungen, die mir von der Folter blieben, konnte man einfach zusammenfassen:

Stewart hatte mich größtenteils nur verprügelt, was etliche Blutergüsse, Schwellungen, Prellungen und blaue Flecken nach sich zog. Die schlimmsten Wunden waren jene, die er mir mit dem glühenden Eisen zufügte, aufgrund der Mixturen, mit denen er sie einrieb. Die Brandverletzungen heilten besonders langsam und schwollen an, was Entzündungen zur Folge hatte. Besonders mitgenommen waren meine Handgelenke gewesen, in die die Eisenhalterungen teils so tief schnitten, dass mir das Blut bis zum Ellenbogen hinunter gelaufen war. Das würde Narben hinterlassen, so viel stand fest und diese würden nicht so einfach zu verstecken sein, wie die restlichen an meinem Körper.

Das jedoch das war meine kleinste Sorge.

Meine größte war während der gesamten Tage: Was hatte ich nun eigentlich gesagt? Was hatte ich Stewart gestanden, was hatte ich ihm erzählt und was wusste er jetzt von mir? Hatte ich geäußert, dass mein Name Sullivan O'Neil war?

Ich musste mit Nevar sprechen, dringend. Ich verstand nichts von dem, was passiert war und am wenigstens die momentane Situation. Domenico hatte nicht gewollt, dass die Folter abgebrochen wurde, doch wieso?

Nevar kam während dieser Tage kein weiteres Mal und Francesco war durch und durch für mich verantwortlich. So weit ich es verstand, war er ein Gottesdiener, so erklärte er es mir zumindest. Das bedeutete, er war kein Mönch, aber auch kein Priester, sondern ein Diener direkt unter Gott, sprich unter Domenico. Er diente ihm innerhalb der Deo Volente, verließ also niemals das Gebäude, sondern durfte es nur mit Erlaubnis verlassen und sich dann auch niemals weiter als drei Meter entfernen. Angelegenheiten außerhalb dieser Wände gingen ihn nichts an und durften ihn nicht interessieren, sonst könnte er sehr große Probleme bekommen. Aus diesem Grund bat er mich, sämtliche Angelegenheiten bezüglich der Geschehnisse nicht mit ihm zu klären, denn er durfte und konnte nicht einmal etwas dazu sagen. Ich musste es hinnehmen und hatte keine andere Wahl, als meine Gedankengänge so lange mit mir herum zu tragen, bis Nevar zurückkehrte. Zudem wollte ich Francesco keine Probleme machen.

Ich mochte ihn, er war mir sympathisch. Ich lernte Francesco als einen sehr munteren und fröhlichen jungen Mann kennen, ganz anders als die katholischen Diener, die ich bisher gekannt hatte. Zwar redete er nie, außer, man sprach ihn an, aber meistens hörte man seinen Gesang durch die Deo Volente klingen, wenn er umher lief. Er war auch derjenige gewesen, der das Gebetslied gesungen hatte, während ich in Domenicos Zimmer gewesen war. Seine direkten Aufgaben bestanden darin, dafür zu sorgen, dass Domenico alles hatte, was er brauchte. Zudem sorgte er im Gebäude für Ordnung. Er trug die Schlüssel bei sich, entzündete und löschte die Kerzen, hatte Sorge zu tragen, dass jede Tür sorgsam abgeschlossen wurde und musste die anderen Bediensteten stets daran erinnern, ihre Aufgaben zu erfüllen. Durch ihn bekam ich direktere Einblicke in die Gilde und verstand ihren Aufbau und ihr System.

Die genaue Anzahl der Leute beschränkte sich auf sechs Personen:

Domenico, die führende Person des Hauses; Francesco, sein direkter Bediensteter; zwei Wachmänner, die Domenico begleiteten, wenn er es wünschte und drei Boten, die Nachrichten empfingen oder überbrachten. Die restliche Deo Volente befand sich laut Francesco außerhalb und konnte ein- und ausgehen, wie es ihr beliebte. Francesco kannte sie alle, sprach mit jedem und begrüßte jedes neues Mitglied herzlich, weswegen er sehr beliebt war. Menschen wie ich, erklärte er mir, kannte er jedoch meist nicht. Jene, die meine Position hatten, galten als Äußere Bruderschaft, da sie nicht offiziell zur Deo Volente zählten und somit nicht bekannt sein durften. Es war selten, dass Nevar jemanden aus der Äußeren Bruderschaft mitbrachte und ihm vorstellte. Auch er selbst gehörte laut Francesco dazu und war wahrscheinlich dafür zuständig, dass die innere und die äußere Bruderschaft nicht miteinander in Konflikt gerieten, genau verstehen tat er es aber auch nicht.

Ich bat ihn mehrmals, das Zimmer verlassen zu dürfen und wenigstens im Flur umher gehen zu können, aber Francesco lehnte jedes Mal ernst ab, mich ermahnend, dass das mein Tod sein könnte. Er verstand selbst nicht, worin genau das Problem bestand, aber wir sollten beide Nevar vertrauen und einfach warten, bis die Gefahr vorbei war. Mir blieb keine andere Wahl als auf meinem Bett zu sitzen und aus dem Fenster zu starren, aber selbst das durfte ich nur nachts. Francesco gab sich allerhand Mühe, mich irgendwie aufzuheitern und brachte mir öfters die unglaublichsten Leckereien mit. Es handelte sich dabei um Geschenke an Domenico, die er aber aufgrund seines Schwurs der Einfachheit nicht annehmen konnte, da er Geschenke nicht entgegen nehmen durfte. Und auch wenn ich diese kleine, positive Sache genoss, so war es mir dennoch unheimlich unangenehm, so unter Francescos Obhut zu leben. Man merkte, dass er es gewohnt war, wahrscheinlich diente er Domenico ebenso, aber es war ein seltsames Gefühl, zuzusehen, wie er meine Bettpfanne entleerte oder das schmutzige Besteck hinaus brachte. Ich fühlte mich schlecht, wenn er begann mein Bett zu machen, das Kopfkissen auszuschütteln oder die Kerzen gegen Abend löschte.

Ich begann mich im Zimmer zu fühlen, als wäre ich ein Gefangener und wenn mich Albträume über Stewart und meine Feuerprobe wachhielten, lief ich auf und ab und durchsuchte das wenige Mobiliar. Es beschränkte sich auf ein Bett, ein leeres Bücherregal und einen Tisch mit Hocker. Die Schublade im Tisch war ebenso leer wie alles andere in diesem Raum, nur mein Kopf war es nicht und das machte mir zu schaffen. Die Gedanken ratterten nur so umher und brachten mich fast um den Verstand. Es gibt nichts schlimmeres, als sich ununterbrochen die gleichen Fragen zu stellen und keine Antworten zu finden.

Fast noch schlimmer war die Tatsache, dass ich voll und ganz auf Francesco angewiesen war. Nur er konnte mich verarzten, nur er konnte die Kerzen entzünden, nur er konnte die Tür auf- und zuschließen. Ich erwischte mich bei dem Gedanken, ihn zu bestehlen oder gar niederzuschlagen, verwarf die Idee aber aufgrund meines schlechten Gewissens wieder. Jeden Mittag und Abend, wenn er zu mir kam, fragte ich nach Nevar und auch ihm fiel meine Ungeduld auf. Er begann ab dort jeden Abend eine Stunde bei mir zu bleiben. Dann setzte er sich auf den Hocker an mein Bett, erkundigte sich nach meinem Wohlbefinden und bot mir an, Fragen zu beantworten, die er beantworten konnte. Auf die meisten ging er nicht einmal ein oder er wusste nichts mit ihnen anzufangen. Ich wurde nicht schlauer, was Nevar betraf, seinen Auftrag,oder sein genauer Posten in der Deo Volente. Auch konnte er mir nicht sagen, wieso Domenico mir nicht hatte helfen wollen oder wieso man mir keinen Nachweis meines Standes gegeben hatte, so, wie es laut Stewart üblich war. Dafür lernte ich aber, wie die Deo Volente genau entstanden war.

Sie war nicht von Domenico gegründet worden, wie ich es angenommen hatte, sondern bereits vor gut fünfzig Jahren von einem Orden aus katholischen Priestern. Damals hatte die Inquisition noch nicht viel mit der Deo Volente zu tun gehabt und die Grundidee war gewesen, ein verbessertes Verhältnis in der Stadt zu schaffen. Das haben sie versucht umzusetzen, indem sie beispielsweise Essensausgaben organisierten und regelmäßige Spenden einsammelten, um Armen zu helfen. Leider verfügte Brehms damals noch nicht über solchen Ausmaß an Reichtum, weswegen es nicht wirklich ein Erfolg war und es entstand die Idee, eine Gilde zu gründen, in der sich sämtliche Katholiken gegenseitig unterstützen konnten. Die gesammelten Gelder, die die Mitglieder regelmäßig zahlten, wurden dann für Arbeits-, Armen- oder Krankenhäuser gespart, so wie für Waisenhäuser oder Kirchenrestaurationen, für katholische Kulturschätze, Klosterbauten und Bildung.

Nachdem die Deo Volente dann an Größe gewann, begannen auch andere, kleinere Gilden sich in die Deo Volente einzugliedern, Pakte zu schließen und diese zu unterstützen.

Man konnte also behaupten, dass es stimmte, was Domenico sagte:

Ohne die Deo Volente wäre Brehms heute noch immer eine Stadt, ähnlich wie Annonce.

Ich fand es erstaunlich, wie viel es bewirken konnte, wenn man sich für Gilden und Zünfte zusammen finden konnte. Wieso galt dann noch immer das Verbot in Annonce? Sah man denn nicht, was für unglaubliche Veränderungen das mit sich brachte?

Ich lernte in der kurzen Zeit viel von Francesco, denn er erklärte mir die verschiedensten Dinge. Nie zuvor hatte ich vermutet, dass die Inquisition auch in anderen Ländern existierte und noch weniger, dass dort in der Vergangenheit sogar Kriege herrschten. Mein Blick war nie über St. Katherine hinausgegangen und auch während meiner Zeit auf See, hatte ich nichts anderes gesehen, als den Annoncer Hafen oder ein unbedeutendes Niemandsland. Aber laut Francesco gab es Länder, in denen die katholische Kirche nicht anerkannt war und in welchen diese nun versuchte, sich durchzusetzen, um die Menschen auf den rechten Weg zu führen.

Mir kam der Gedanke, dass Nevar mit großer Wahrscheinlichkeit aus einem solchen Land stammte. Seine Schriftstücke verfasste er meist in einer fremden Sprache und selten flüsterte er ausländische Worte. Und was war mit meiner Zeit in dem Bauernhaus?

Stets war ich dort alleine gewesen, außer Nevar hatte nach mir gesehen, doch irgendwann kam es immer öfters, dass er nicht alleine war und dann vernahm ich Stimmen. Es interessierte mich nicht, mit wem er dort sprach, aber neugierig war ich trotzdem. So saß ich dann auf dem kalten Boden, starrte vor mich hin und lauschte, so gut es eben ging.

Nevar und seine Gäste sprachen stets in einer mir fremdländischen Sprache. Sie hatte etwas sinnliches und wirkte sehr emotional, da sie oft das R rollten und die Stimme besonders intensiv schwangen, aber gehört hatte ich sie zuvor noch nie.

Was war das für eine Sprache und aus welchem Land kam Nevar? Wieso kam er nach St. Katherine? Oder viel mehr: Was tat er bei der Deo Volente?

Auch das fragte ich Francesco an einem Abend und dieser nickte ernst, ehe er mir erklärte:

„Die Wenigsten wissen etwas über Nevar, das Gleiche gilt für mich. Er dient der Deo Volente bereits seit Jahren und ist ein enger Vertrauter von Domenico. Eigentlich ist er ein einfacher Spion, so wie Ihr, aber durch seine lange Zeit bei uns hat er sich inoffiziell einen hohen Rang erkämpft.“, Francesco saß wieder neben mir auf einem Hocker, ich saß in meinem Bett und sah ihn interessiert an. Er hatte mir gerade das Abendessen gebracht und wollte das Besteck hinaus bringen, als ich ihn bat, mir Gesellschaft zu leisten. Ohne zu fragen ging er der Bitte nach und ließ sich mit Fragen durchlöchern.

„Inoffiziell?“, hakte ich nach. „Ihr habt ihn Meister Nevar genannt, steht er etwa nicht über Euch?“

„Nun, das ist eine komplizierte Sache.“, der junge Diener sah nachdenklich vor sich und ich ließ ihn gewähren. Francesco war anders, als Nevar, er ignorierte Fragen nicht und wich ihnen nicht aus. Manchmal brauchte er einige Zeit, um die richtigen Worte zu finden, aber irgendwann ging er auf alles ein.

Nach einem kurzen Schweigen räusperte er sich und erklärte mir freundlich: „Ich stehe über alles und jedem hier, bis auf Domenico, denn ich bin Domenicos direkter Befehlsempfänger. Aber zugleich ist Nevar unheimlich klug und erfahren, deswegen habe ich großen Respekt vor ihm. In meinen Augen ist er ein Meister und steht weit höher als ich.“

„Das verstehe ich nicht ganz.“, gab ich zu.

Francesco nickte abermals und legte die Hände geduldig in den Schoß. Eine Geste, die er oft machte, wenn lange Erklärungen vor ihm standen. Er schien damit sagen zu wollen: Er würde so lange sitzen bleiben, bis alles erklärt und verstanden wurde, was es zu erklären und zu verstehen gab. Ich beneidete ihn um seine Geduld, denn meine Fragen wären dem einen oder anderen sicherlich lästig erschienen. Doch Francesco störte es nicht, er erklärte nur:

„Als ich ein kleiner Junge war und bei dem vorherigen Hausdiener in der Lehre, habe ich Nevar kennen gelernt. Es ist gut sieben Jahre her. Er kam hier her, so wie Ihr: Schwer verletzt. Bis dahin habe ich ihn nie gesehen. Der Hausdiener trug mir auf, mich um ihn zu kümmern, in diesem Zimmer hier.“, Francesco sah sich etwas verträumt um, ich folgte seinem Blick interessiert. „Er sah schrecklich aus, was geschehen ist weiß ich nicht. Nevar war einen ganzen Monat hier drin und ich habe ihm jeden Tag Essen und Trinken gebracht und ihn ausgefragt, was er so tut.“, sein Blick wechselte wieder zu mir. „Ihr müsst wissen, ich bin ein sehr neugieriger Mensch, auch wenn es mir nicht zusteht. Wir kamen das eine oder andere Mal ins Gespräch und irgendwie habe ich es im Laufe der Jahre nicht ablegen können, ihn so anzusprechen, als wäre ich weiterhin nur ein Lehrling.“

„Aber eigentlich steht er weit unter Euch, nicht andersherum, richtig?“

Der junge Mann nickte. „Richtig. Nevar ist ein sehr ernster und äußerst großzügiger Mensch, aus diesem Grund schätze ich ihn und selbst wenn ich Domenicos Stand erreichen würde, was niemals geschieht, ich würde ihn niemals als einen Bediensteten ansehen. Es ist vielleicht etwas übertrieben, aber Nevar war eine Zeit lang eine Art Vater für mich, wenngleich er offensichtlich nur Ketzersworte spricht. Ich denke, da ich eine Waise bin, habe ich diese Verbindung etwas übertrieben aufgefasst, doch so war es nun einmal.“

„Ich verstehe.“, Francesco schenkte mir noch einmal ein Lächeln, dann stand er auf und begann aufzuräumen. Er hatte mir ein Buch mitgebracht, in dem es um einige, uninteressante Kirchendinge ging, dieses stellte er mir nun ins Regal. Anschließend schob er den Hocker unter den Tisch und nahm die zweite Decke aus dem Schrank, um sie mir zu geben. Während er sie über meiner ersten ausbreitete, fragte ich: „Von wo stammt Nevar, Francesco? Er wirkt wie ein Ausländer auf mich.“

„Ihr interessiert Euch sehr für ihn.“, stellte er schmunzelnd fest. Ich ignorierte die Bemerkung und nachdem alles seine Ordnung hatte, ließ er sich wieder auf den Hocker sinken. „Nun, ich weiß nicht von wo er kommt. Aber dass er ein Ausländer ist weiß ich ebenfalls. Er hält es geheim und ich bin bemüht, dem gleichzukommen.“

„Er hält es geheim?“, ich sah ihn fragend an. Francesco nickte ernst und sah auf seine Hände.

„Ausländer sind hier nicht gern gesehen, abgesehen von Händlern und selbst die haben begrenzte Rechte, so weit ich es verstehe. Als Nevar damals hier her kam, hatte er Fieber und sprach wirres, ausländisches Zeug. Ich habe ihn nie darauf angesprochen.“

Ich zog eine Augenbraue hoch, dann öffnete ich das Fenster. Die Luft war im Laufe des Tages unerträglich geworden. „Ihr sagtet Ihr wart sehr neugierig. Ihr habt doch sicher gefragt?“

Francesco sah mir schweigend zu, dann gestand er leise: „Ich habe mich nicht getraut. Ich hatte Angst, es wäre ein Geheimnis was er dort redet und wenn er erfährt, dass ich es weiß, misstraut er mir. Ich hatte Recht damit, denn letztlich wissen nur die wenigsten davon, dass er nicht von hier ist. Er spricht sehr gut unsere Sprache und einen Akzent merkt man auch kaum. Nun, aber es gibt Gerüchte.“, sofort erweckte er meine Neugierde und das brachte ihn leicht zum Grinsen. Kopfschüttelnd fügte er hinzu: „Aber zu tratschen ist nicht meine Aufgabe.“

„Ich bin Spion.“, scherzte ich. „Ich lebe von Klatsch anderer.“

Das brachte Francesco zum Lachen. Es war ein schönes Lachen, ehrlich und aufrichtig. Er rückte etwas näher an mein Bett heran, wobei der Hocker laut über den Boden schabte und beugte sich etwas zu mir. „Nun gut, ich will Euch sagen, was ich vermute. Ausnahmsweise, da ich so Mitleid mit Euch habe. Aber von mir habt Ihr es nicht, in Ordnung?“, ich nickte nur und so begann er flüsternd: „Und zuvor muss ich noch etwas anderes erklären, damit ihr meinen Gedankengang verstehen könnt.

Wenn man mit dem Schiff fort segelt gibt es einen weiteren Kontinent, so sagt man. Da herrschten die heiligen Kriege, von denen ich Euch erzählte. Dort gibt es viele, gottlose Länder mit Unmengen an Völkern, bestehend nur aus Ketzern. Unter anderem gibt es dort eine Stadt, die direkt am Meer liegt und bekannt ist als großes Handelszentrum, sie heißt Osyla. Etliche Flüsse führen vom Landinnern aufs Meer hinaus und es gibt riesige Hafenbuchten. Die Kriege begannen dort in dieser Stadt, denn Anfangs beruhten die Unruhen nur auf Handel, indem man versuchte die heidnischen Waren abzufangen, ehe sie unser Festland erreichen konnten. Die Kirche belagerte Osyla, die Stadt wurde damals von den Asaharen regiert. Asaharen, das sind die Menschen aus dem Asaharischen Reich. Sie sind Heiden und lehnen den christlichen Glauben ab, sie haben teilweise sogar eigene Götter. Die Asaharen versuchten selbstverständlich die Katholiken zu vertreiben und verbündeten sich kurzzeitig mit dem Nachbarland, Sorelit. Den Sorelitern und Asaharen gelang es aber nicht, die Katholiken zu vertreiben, da die Soreliter die Asaharen hintergingen und so nahm die Inquisition das gesamte Land ein.“

Die Namen und Begriffe schwirrten nur so in meinem Kopf herum und ich versuchte alles zu ordnen, doch ganz gelingen tat es mir nicht. Verwirrt fragte ich: „Und weiter? Sind die Asaharen nun tot?“

Francesco schüttelte den Kopf. „Nein. Die Asaharen an sich zwar schon, aber es gibt einzelne Teilgruppen, die ihren Glauben weiterhin praktizieren. Das Land selbst gilt jetzt als Teil von Sorelit. Diese haben der katholischen Kirche das Land überlassen, im Gegenzug hat diese einen Eid geschworen, der Bevölkerung nicht weiter zu schaden. In der Folgezeit geschah es nun aber, dass die Asaharischen Gruppierungen sich vergrößerten und einen Pakt mit den umliegenden Nachbarländern gründeten, was die Kirche ihnen gleichtat und was letzten Endes in einem großen Krieg mündete.

Kurzzeitig geriet dieser Teil Sorelits, was ja zuvor das Asaharische Reich war, wieder unter die Kontrolle der Heiden, allerdings folgte daraufhin ein großer Kreuzzug. Diesen Krieg entschieden hat Selando Kora von Kolonnia, denn es gelang ihm die asaharischen Truppen und ihre Verbündete in das Bogarische Reich zurückzudrängen und sie zur Kapitulation zu zwingen, das gleiche galt für Sorelit, denn diese haben versucht während der Unruhen Teile von Gonorra einzunehmen, eines der Verbündeten und schwächeren Nachbarländer. Mittlerweile ist der katholische Glaube in den Ländern gefestigt, allerdings gibt es immer wieder einzelne und kleinere Gruppen, die versuchen das Christentum zu stürzen. Während der Zeit, in der das ehemalige Asaharische Reich wieder den Asaharen gehörte, empfanden die Heiden dies als Befreiung, da die katholische Kirche sämtliche Ketzereien bestraften, nun, wo sie aber wieder unter der Krone der Katholiken lebten, fühlten sie sich unterworfen. Einige unternahmen die Flucht in umliegende Reiche, unter anderem Sorelit und man begann, den Menschen die Auswanderung zu verbieten. Sorelit bekam keine zweite Chance und es wurde ein neues Land gegründet: Jeroba. Sorelit empfand dies als Beleidigung, zudem als Kriegserklärung. Frerosanches Donnaserro, der damalige Kaiser dieses Reiches, verstarb an einer Lungenkrankheit und sein ältester Sohn Gonzo Veranches Donnaserro übernahm die Führung des Militärs, um die asaharischen Ländereien zurückzuerobern. Das führte zu einer militärischen Katastrophe, denn er verbündete sich mit einigen, kleineren Städten, die dafür kämpften, Handel wieder frei betreiben zu dürfen. Jerobas König Alexander Sorades bat den Papst um Unterstützung gegen die heidnischen Truppen, um die christlichen Ländereien zu verteidigen. Die Soreliten und ihre Verbündeten schafften es nicht durch die katholischen Truppen durchzubrechen und die Invasion zerbrach bereits, als sie das Festland erreichten ganz und gar, weswegen nun auch Sorelit fiel.“

Ich starrte ihn an, als hätte Francesco die ganze Zeit in einer mir völlig fremden Sprache gesprochen. Ungläubig fragte ich: „Wozu so viel Aufwand? Für ein paar Ländereien?“

„Das habe ich Nevar auch gefragt, denn er erklärte mir das alles.“, sagte Francesco ernst und seine Stimme wurde zu einem verschwörerischen Flüstern. „Sorelit und das Asaharische Reich, diese kleineren Länder und viele mehr, lebten allesamt unter einer Glaubensrichtung und es drohte die Gefahr, dass diese durch den regen Handel zu uns getragen werden würde. Zwar gab es keine Handelsverträge zwischen ihrem und unserem Kontinent, aber abtrünnige Seefahrer brachten immer wieder Gerüchte und heidnische Utensilien mit zu uns. Und nicht nur das:

Man begann die fremden Völker zu versklaven und Sklaventreiber verkauften sie an unseren Kontinent. Nun gab es durch König Jonathan aus Esas das Gebot, dass frei gekaufte Sklaven ein Anrecht auf ein eigenes Leben hätten und dadurch begannen die Sklaven ihren heidnischen Glauben in die Köpfe der esarischen Bevölkerung zu pflanzen. Wie Ihr wisst ist Esas eines unserer Nachbarländer und es geschah, dass die Sklaven sich dort heimisch fühlten und Familien gründeten, zu Zeiten, als die Inquisition dort noch nicht so stark über Macht verfügte, also trugen sie ihren Irrglauben auch unter einfache Leute.

Die Inquisition erkannte die Gefahr darin, ließ sämtliche Heiden hinrichten, so, wie es Gottes Wille war und sandte Soldaten aus, um diese Verunreinigungen im Kern zu vernichten.“

Verwirrt zog ich die Stirn kraus. „Und was hat das mit Nevar zu tun?“

Francesco beugte sich noch weiter vor. Ich erkannte den Ernst in seinen Augen und auch, dass er ein wenig Furcht hatte, es laut auszusprechen. Er wartete einige Sekunden und zischte dann ganz langsam und so leise er konnte:

„Nun, ich glaube... Nevar ist ein Sorelit.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück