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Das Portal

Die Welt in dir
von

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Der Hexenkönig

Zwischen den Aschblonden langen Haaren thronte eine bläulich silberne Krone. Das Metall lag wie eine zweite Haut auf der hellen ebenen Stirn von Darjan. Fünf große spitze Zacken ragten aus dem silbernen Geflecht hervor und jeder Zacken wurde am Fuße mit einem blauen Saphir untermalt. Eine Krone die eines Königs würdig war. Wenn ich mir je eine eigene Vorstellung von einer elfenähnlichen Gestalt gemacht hatte, dann kam er ihr am nächsten. Die Alabasterhaut schien das Feuer des Kamins zu reflektieren und seine ganze Gestalt war elegant aber dennoch kantig genug, um nicht an Männlichkeit zu verlieren. Ein gekonnter Mix aus Legolas und Aragorn, dachte ich und musste innerlich Schmunzeln.

„Legolas und Aragorn? Ich hoffe für euch, dass es sich bei Beiden um einen angemessen Vergleich handeln mag.“, durchschnitt seine tiefe und glasklare Stimme meine Gedankengänge. Erschrocken fuhr ich zusammen.

„Darjan.“, begehrte Rahlan kurz auf und wollte aufstehen, doch eine einzelne mahnende Geste von Darjan, ließ ihn in der aufwärts Bewegung gefrieren. Ich fragte mich plötzlich ob es der Gehorsam oder die Furcht vor einer Strafe war.

„Nichts von beidem. Lediglich Respekt.“ Sein Grinsen wurde etwas breiter.

Erst jetzt begann ich zu begreifen, dass es meine Gedanken waren, die er stets beantwortete. Erschrocken blickte ich hilfesuchend zu Rahlan.

„Ich denke es ist Zeit, dass du mich mit unserem Gast allein lässt. Findest du nicht Rahlan?“

Es war keine Frage und auch keine Bitte. Es war ein Befehl. Nett und höflich formuliert aber mit einer Stimme vorgetragen, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ohne mir einen weiteren Blick zu schenken erhob sich der Krieger und verließ den Raum. Wir waren allein.

Sekundenland blieb der Hexer vorm Feuer stehen und begutachtete mich, als würde man ein Stück Fleisch auf seine Qualität prüfen. Ich wurde nervös, wollte verschwinden und diesen Menschen weit hinter mich lassen. Selbstsicher legte er den Kopf etwas auf die Seite und schien auf eine Reaktion zu warten. Was wollte er bloß? Sollte ich etwas sagen, sollte ich mich vor ihm verbäugen? Ich wusste es nicht. In meinem Leben war ich noch keinem König begegnet, dem man irgendwelche Höflichkeitsfloskeln oder Gebärden entgegen zu bringen hatte.

Der samtene blaue Umhang raschelte über den Steinboden und schwere Stiefel bewegten sich auf mich zu. Er verströmte einen Hauch von Lavendel und einem anderen herben Duft, den ich nicht zu deuten in der Lage war. Magier hatte ich mir immer zierlich und hager vorgestellt. Darjan war nichts dergleichen. Unter den feinen blauen Stoffen mussten ebenso trainierte Muskeln schlummern, wie bei jedem anderen der jungen Söldner, die ihr Dasein in diesem Schloss fristeten.

„Magie ist keine Entschuldigung den Körper ruhen zu lassen. Ist der Geist schwach, muss ich mich wie jeder meiner Söldner mit dem Schwert verteidigen können.“, lächelte er süffisant und ließ sich schließlich auf den Platz von Rahlan nieder.

Ich musste aufhören so viel nachzudenken.

„Was wollt ihr von mir?“, fragte ich und rückte ganz bewusst ein Stück von ihm fort.

„Ich wollte dich kennen lernen. Es ist selten das du uns besuchst.“, antwortete er und ich wusste nicht was er meinte. Erst jetzt ebbte sein Grinsen langsam ab. Durchdringend schaute er mich an und seine Mimik schien erstarrt. Plötzlich spürte ich es. Eine helle und kalte Hand schien in mich hinein zu greifen, durchwühlte meine Eingeweide und meine Gedanken. Ich rang nach Luft und stöhnte leise. Wollte er mich töten?

„Darjan… bitte.“, keuchte ich und hielt mir den Bauch. Es waren keine Schmerzen die ich fühlte, vielmehr ein unangenehmes Gefühl als hätten meine Innereien in einem Karussell Platz genommen, in dem nicht genügend Raum für Leber, Nieren und Lunge war. Vor meinen Augen drehte sich alles. „Darjan.“, stöhnte ich abermals und glaubte der Besinnungslosigkeit nahe zu sein.

„Darjan! Hör auf!“, bellte plötzlich Rahlans Stimme durch meinen Schleier aus Übelkeit und Schwindel.

Die unsichtbare Hand ließ mein Inneres los und verschwand aus meinem Körper. Laut pochend schlug mein Herz gegen meine Brust und mein Atem ging stoßweise. Benommen sackte ich nach vorn und wäre gestürzt, wenn mich nicht zwei Arme aufgefangen hätten. Ich erkannte aus den Augenwinkeln das helle Leinenhemd und roch wieder die Kombination aus Schweiß und Heu. Inständig hoffte ich er würde mich nicht wieder mit Darjan alleine lassen. Um ihm dies zu verdeutlichen, klammerte ich mich an seinem Arm fest. Beruhigend strich er mir über den Kopf.

„Was soll denn das? Bist du übergeschnappt?“, fauchte er Darjan an und schien seine Stellung dem König gegenüber völlig zu vergessen.

„Zügele deine Zunge mein Freund. Etwas mit ihr stimmt nicht. Sie kennt uns nicht, kennt diese Welt nicht. Vielleicht ist sie eine Spionin. Wir sollten sie erst einmal gefangen halten, bis die Larij bestätigen können ob es sich um eine Nyrva handelt oder nicht.“, argumentierte er kühl und ich hörte das Rascheln des Umhangs als er wieder aufstand.

Nyrva. Ich kannte das Wort. So hatte mich schon einmal jemand genannt. Das Wesen aus dem Meer.

„Ich bin eine Nyrva.“, prustete ich raus und hoffte so dem Kerker zu entgehen. Lähmende Stille breitete sich im Raum aus. Langsam schritt Darjan auf mich zu und ich drückte mich unweigerlich näher an Rahlan. Geschmeidig sank der Hexenkönig vor mir auf die Knie und hob vorsichtig mein Kinn an, so dass ich ihm in die eisigen Augen schauen musste. Ein herausforderndes Grinsen jagte mir einen Schauer den Rücken hinunter.

„Beweise es.“, forderte er mich auf und gab meinem Kinn einen groben Schubs ehe er sich wieder aufrichtete. Sekundenlang stand er vor mir und schien zu warten.

Hätte ich doch bloß meinen Mund gehalten, dachte ich und wusste nicht, was man nun von mir erwartete. Bereits das erste Mal als ich diesen Namen hörte konnte ich nichts damit anfangen und dies hatte sich auch nicht geändert. Unsicher klammerte ich mich noch ein Stück fester an Rahlan.

„Siehst du. Sie weiß es nicht und sie kann es nicht. Wer weiß was du hier angeschleppt hast. Vielleicht ist sie eine Bedrohung für uns alle. Xaron kennt meine Art von Magie. Er kann sie blocken wenn er will und mir würde jeder Kontakt einer Person zu ihm verborgen bleiben. Du weißt das Rahlan und bringst sie trotzdem hier her. Du verrätst uns alle damit.“, knurrte Darjan und war wahrlich zornig über das Verhalten des Söldners. Nur zu gern wollte ich beweisen, dass sie vor mir nichts zu befürchten hatten und damit Rahlan schützen. Aber wie?

„Bitte Darjan. Meinetwegen behalten wir sie hier, bis du Kontakt zu den Larij aufgebaut hast. Aber schick sie nicht in den Kerker. Leg eine Barriere an den Eingang, dass sie den Raum nicht verlassen kann. Ich werde hier bleiben und auf sie aufpassen.“, bot er beschwichtigend an und schob mich noch im selben Moment ein wenig von sich fort.

Was sollte das? Wollte er ihm beweisen, dass ich ihm egal war? Das er alles tun würde, um sein Volk zu schützen? Ich war mehr als verwirrt. Egal was er beabsichtigte, es schien zu wirken.

Wiederwillig nickte Darjan und der fein geflochtene lange Schopf des aschblonden Haares pendelte über dem blauen Umhang hin und her, als er den Raum verlassen wollte. Im steinernen Türrahmen blieb er stehen. Einen kühlen berechnenden Blick auf mich werfend, flüsterte er ein paar unverständliche Worte, legte einen Finger auf seine Lippen und dann an den Türrahmen. Als seine Haut den Stein berührte, sprang ein blauer Funken über und züngelte nach oben und nach unten am Türrahmen entlang.

„Nur damit du es weißt Rahlan, auch du kannst den Raum nicht verlassen bis ich es dulde. Solltet ihr es trotzdem versuchen…“, er machte eine Pause und lächelte charmant drohend. „Lasst es am besten einfach.“ Ohne ein weiteres Wort verschwand er und der Vorhang schwang wieder in zurück. Licht fiel durch das Fenster auf den Stoff und ließ ihn sanft Glitzern. Nichts deutete daraufhin, dass wir nun nichts weiter als Gefangene waren. So langsam aber sicher wünschte ich mir wieder aufzuwachen.

„Es tut mir Leid. Ich wusste nicht, dass ich dir solche Probleme bereiten würde.“, versuchte ich mich irgendwie bei ihm zu entschuldigen. Während ich sprach hatte er sich abgewendet und war aufgestanden. Ausdruckslos schritt er an das runde Fenster und versperrte der strahlenden Sonne den Zutritt zum Raum.

„Ich bin enttäuschter darüber, dass ich dich verwechselt habe.“, sagte er tonlos und stemmte die Hände gegen das grob geschmolzene Glas. Ein stolzer Mann, ein gehorsamer Mann, erfüllt von seinen Prinzipien, der Ehre und der Liebe zu einer Frau. All das hatte ich innerhalb von ein paar Minuten zu tiefst erschüttert. Was tat man in so einer Situation, was blieb noch außer sich zu entschuldigen. Was hatte ich einem solchen Menschen entgegen zu bringen.

Unzufrieden mit mir und meinem Leben hatte ich nichts, was ich anderen Menschen hätte schenken können, um ihnen Stärke, Selbstbewusstsein oder gar das Gefühl geliebt zu werden einzuflößen.

Andererseits warum machte ich mir solche Vorwürfe. Es war schlichtweg nur ein Traum, ein Traum in dem ich entscheiden konnte was ich wollte und was nicht, denn es kamen keine Konsequenzen auf mich zu. Wenn ich meine Augen wieder aufschlug war es nichts weiter als eine Erinnerung. Noch nicht einmal das stimmte tatsächlich. Was waren Träume? Sehnsüchte, Wünsche, Ängste. Dinge die uns im realen Leben beschäftigten. Dinge, wie die Sehnsucht nach Liebe und körperlicher Zuneigung. Wenn ich endlich mal ehrlich zu mir war, dann war es doch genau das was mir fehlte. Als Nanuk noch da war hatte ich eine Person an meiner Seite, eine Person die mir Halt gab und die mich liebte. Auf welche Art auch immer. Was war nun? Ich fühlte mich zu Matt hingezogen, weil er neu und geheimnisvoll war und ich mir innerlich erhoffte er könne Nanuks Platz einnehmen. Das war es was ich fühlte. Das war es, was ich mir einfach nicht eingestehen wollte.

Wann hatte ich das letzte Mal jemandem geholfen oder jemandem beigestanden? Ich wusste es nicht aber ich wusste, dass ich nun Schuld an Rahlans Situation und seiner Trauer war. Ich war es ihm und mir schuldig es wieder gut zu machen.

Unsicher ob ich das richtige Tat, schritt ich langsam an ihn heran. Es fühlte sich an als hätte ich eine innere Barrikade niedergerissen und neuen Mut gefasst, um die Dinge anders anzugehen. Rahlan rührte sich nicht und schien sich innerlich zurück gezogen zu haben. Ahnungslos ob es die Situation verbessern oder verschlimmern würde, machte ich einen weiteren zögerlichen Schritt an ihn heran. Sein Körper war nur noch wenige Zentimeter von dem meinen entfernt und abermals konnte ich ihn riechen. Anziehend animalisch. Alle Hemmungen und Gewissensbisse abwerfend legte ich vorsichtig eine Hand auf seinen Rücken und strich behutsam über den Leinenstoff. Meinen Blick gesenkt glaubte ich nicht daran, dass er wirklich darauf reagieren würde und wartete von ihm abgewiesen zu werden. Es war ein Traum. Was hatte ich zu verlieren.

Die Muskeln unter meiner Hand spannten sich, ehe sie sich wieder lockerten und er sich aufrichtete. Bedächtig drehte er sich Schritt für Schritt zu mir um. Ich traute mich nicht in sein Gesicht zu blicken und starrte stattdessen auf seine Brust. Auf der gegerbten Haut waren weitere Narben und frischere Verletzungen, die noch am heilen waren. Wie viele Schlachten musste er schon erlebt haben, musste er schon überlebt haben.

Mir wurde warm und mein Herz begann schneller zu schlagen. War das vielleicht der Punkt an dem ich erwähnen sollte, dass ich noch Jungfrau war, witzelte ich in Gedanken. Wollte ich meine Jungfräulichkeit wirklich in einem Traum verlieren? Die Entscheidung wurde mir abgenommen.

„Wer bist du Elizabeth? Und warum werde ich das Gefühl nicht los, dass ich mich zu dir hingezogen fühle?“, flüsterte Rahlan und hob behutsam meinen Kopf an. Sein Gesichtsausdruck war fürsorglich und liebevoll aber in seinen Augen konnte ich etwas erkennen, was nicht dazu passte. Hinter der braunen sanften Iris loderte ein Feuer hell und verheerend und ich wusste nicht ob es gut war dieses zu entfachen. Ich befürchtete mich zu verbrennen.

Das war der Moment an dem ich endlich mal meine Gedanken abschalten musste. Es war ein Traum und alles andere als ein Alptraum. Genieß es einfach Beth, dachte ich und atmete einmal tief durch. Mehrmals blinzelnd schaute ich ihn an und versuchte nach und nach Standfestigkeit in meinen Blick zu legen. Ich wollte nicht das kleine naive Mädchen sein, was nicht wusste was er von mir wollte.

So sehr ich auch alles los lassen wollte, spürte ich wie sich die Muskeln unter meiner Haut spannten. Nervosität konnte einen positiven als auch einen negativen Ursprung haben. Welcher in meiner Situation zutraf war mir leider schmerzlich bewusst. Ich war ein Angsthase. Ich konnte mich nicht fallen lassen, konnte mich nicht beruhigen lassen. Konnte ich überhaupt irgendwas? Ich atmete einmal tief durch und konnte seinen Blick nicht mehr ertragen.

„Du denkst falsches von mir. Ich habe nicht vor über dich her zu fallen.“, lächelte er. Sanft fuhr er mir über die Wange und strich eine Haarsträhne zurück hinter mein Ohr. Leise ausatmend lehnte er sich gegen den Fenstersims hinter ihm und blickte aus den warmen braunen Augen auf mich herab. Seine Art sollte mich beschwichtigen aber ich hatte eher das Gefühl ihn gekränkt zu haben.

Einen Schritt zurück tretend war ich wieder am Anfang der Szenerie von trauter Zweisamkeit angekommen. Unsicher, verwirrt, deprimiert. Ich drehte mich im Kreis.

„Woher kennst du den Begriff Nyrva?“, fragte er und schien sich wieder vollends gefasst zu haben.

Dankbar über die Frage, überlegte ich wie ich beginnen sollte. „Ich wurde schon einmal so genannt. Es ist schon eine Weile her. Er hat mir nicht gesagt was es zu bedeuten hat. Er meinte ich müsse das selber heraus finden.“ Während ich sprach ging ich ein wenig im Zimmer auf und ab und setzte mich schließlich auf das weiche Himmelbett. Die Bettwäsche raschelte unter mir und fühlte sich zu gleichen Teilen angenehm kräftig und weich an. Man würde bestimmt traumhaft darin schlafen können.

„Wer war es, der dich so nannte?“ Sein Interesse schien um Längen gewachsen zu sein. Ein Umstand der mich verunsicherte. War es klug ihm das alles zu erzählen? Warum interessierte man sich so dafür? Ich wusste ja selbst noch nicht einmal was es eigentlich bedeuten sollte. Vielleicht war es was Schlechtes in dieser Welt.

„Das ist schon so lange her. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern. Ist denn das so wichtig?“, versuchte ich auszuweichen und vielleicht im Gegenzug etwas von ihm zu erfahren.

Rahlan lehnte sich zurück und schaute mich sekundenlang regungslos an. Er schien selbst nicht sicher zu sein, was er mir sagen durfte. Die Sonne im Hintergrund verschwand nach und nach hinterm Horizont und färbte das Land des reitenden Kriegerclans in ein blutiges Rot. Was ich sonst als romantisch empfunden hätte, erschien mir nun bedrohlich.

„Weißt du eigentlich wo du hier bist?“, fragte er als sei das eine völlig selbstverständliche Frage. Neugierig legte er ein wenig den Kopf schräg und die braunen Augen ruhten wach und aufmerksam auf mir.

„Ich weiß nicht was du meinst.“, gestand ich und erhob mich wieder vom Bett. Langsam drängte sich mir der Gedanke auf herauszufinden, ob diese magische Barriere an der Tür nicht vielleicht nur eine Täuschung war.

„Nein es war keine Täuschung.“, ertönte wieder die klare eindrucksvolle Stimme Darjans im Raum. Mit einer einzelnen Berührung des steinernen Türrahmens, leuchtete das magische Feuer wieder auf und erlosch langsam. Ich erschrak, hatte ich nicht einmal im Ansatz sein Erscheinen gehört.

Die wachen kühlen Augen ruhten auf mir, stumm und ohne auch nur den Hauch eines Gefühls zu vermitteln. Sekunden verstrichen und keiner sagte etwas, ich glaubte sogar den Atem angehalten zu haben. Hieß das jetzt dass ich wieder gehen durfte?

„Du wirst nun mit mir kommen. Wir haben etwas zu besprechen.“, forderte er mich ausdruckslos auf. Rahlan machte einen energischen Schritt auf ihn zu, wollte etwas sagen und verlor seine Körperspannung wieder noch ehe er den Schritt vollends beendet hatte. Er wusste, dass Wiederworte jeglicher Art sinnlos waren, im schlimmsten Falle ihm sogar eine Strafe einbrachten. Es war nicht viel Zeit nötig, um diese eine Regel im Beisein von Darjan zu lernen.

Das beantwortete meine Frage ob ich das Zimmer nun verlassen konnte. Leider war mein Weg in die tatsächliche Freiheit wohl noch immer versperrt. Verunsichert schluckte ich den dicken Kloß in meinem Hals hinunter und ging auf Darjan zu. Das Feuer des Kamins strich mir wärmend über die Wange. Dumpf hörte ich von Draußen das Poltern von Hufeisen auf den gepflasterten Straßen der Burg. Alles hier fühlte sich so wirklich an, als würde ich mir die Hand im Feuer verbrennen können, Rahlans Berührung auch nach Stunden noch spüren. Ich lebte weiter obwohl ich schlief. In Träumen blieb einem oft ein kleiner Rest, den man unterbewusst selbst steuerte, in dem sich eigene Wünsche oder Ängste manifestierten oder einfach Dinge, die sich stets wiederholten. Hier war nichts davon der Fall. Alles war so fremdbestimmt, so willkürlich, so real.

Darjan ergriff meinen Oberarm und zerrte mich ruppig durch den Türbogen. Der schwere samtene Stoff streifte mein Gesicht und hinterließ ein elektrisierendes Gefühl auf meiner Haut. Für eine Sekunde sah ich ihn, den Mann, den Rahlan mir nicht zeigen wollte. Im Moment meines Verschwindens war er da und starrte mir hinterher. Gebrochen, verzweifelt, von Sehnsucht zerfressen. Das war der wahre Rahlan. Was für ein Verhältnis verband ihn mit Darjan, dass er ihm dennoch Freund und Untertan war.

Unsicher ob ich mir Sorgen machen musste, stolperte ich vor Darjan einen schmalen steinernen Gang entlang. Immer mal wieder erschien linksseitig ein rumpfgroßes rundes Fenster, durch das die sinkende Sonne ihren letzten Abendgruß in die Gemäuer entsandte. Unendlich schien sich der Weg vor mir zu erstrecken, ohne Türen, ohne Abzweigungen. War das der Weg in mein Verließ? Ich wurde langsamer.

Fast vollends hinterm Horizont verschwunden, konnte die Sonne kaum noch Licht spenden. Dunkelheit kroch die Wände empor wie zäher Sirup und entriss den Mauern der Burg jegliche Wärme und Behaglichkeit. Ich hatte das Gefühl, nun das wahre Wesen dieser Festung zu sehen. Keine romantische verträumte Kulisse mit edlen Pferden, die auf den Wiesen spielten.

Dies waren Gemäuer die mit Blut bezahlt wurden, besiedelt von Männer die nur das Dienen und den Krieg kannten, Hengste die dafür gezüchtet wurden schwere Rüstungen zu tragen, bis in den Tod. Der Punkt war erreicht an dem ich kein Gast mehr war.

„Warte.“, flüsterte Darjan plötzlich hinter mir und jagte mir einen Schauer den Nacken hinunter. Wie schockgefroren brachen meine Bewegungen ab.

Verstohlen strich er mit den Fingern merkwürdige Zeichen auf den rauen Stein. Sekundenlang tat sich nichts, bis ich ein leises Knirschen hörte und ein Stück der Wand nachgab. Es schob sich Zentimeter für Zentimeter tiefer in das Gemäuer und verschwand letztlich, so dass ein Gang sichtbar wurde. Die rechte Hand einladend nach vorne gestreckt, lächelte er mich charmant an und forderte mich auf dem neu erschaffenen Weg zu folgen.

Unweigerlich musste ich langsam schlucken aber der dicke Kloß in meinem Hals machte keine Anstalten zu verschwinden. Auf wackeligen Beinen schritt ich in die Dunkelheit. Plötzlich entfachte sich neben mir eine Fackel mit bläulichen Flammen von selbst. Sie schien der Startpunkt einer ganzen Reihe von Selbstentzündungen zu sein, die sich vor mir ereigneten. Alles um uns herum wirkte kalt und unnachgiebig. Ich fühlte mich wie in einer Feste aus Eis und Stahl, in den Tiefen einer gefährlichen Winterlandschaft. In den hintersten Ecken meiner Gedankenspielereien heulte ein Wolf auf, der der ganzen Fantasie noch die Krone aufsetzte.

„Das was du dir ausmalst ist die Stadt Lanza im Kristwald. Eine eisige Hochburg von seltsamen Magiern und Hexen, die selbst dem tapfersten Krieger das Blut in den Adern gefrieren lassen. Meine Heimat um genau zu sein.“

Um das breite hämische Grinsen auf seinem Gesicht zu erkennen musste ich mich nicht erst umdrehen. Die Luft im Gang wurde nach und nach wärmer. Ich nahm an, dass wir uns endlich einem Raum näherten. Sachtes Glimmen war in nicht allzu weiter Entfernung an den groben Steinwänden zu erkennen, dieses Mal jedoch nicht blau sondern rot. Meine Schritte wurden abermals langsamer. Wir waren allein. Es war niemand da, der mir hätte helfen können und ich glaubte nicht dran, dass mich hier irgendjemand schreien hörte.

„Ist ein weiter Weg um mich umzubringen. Das hättet Ihr auch schon am Anfang des Ganges tun können.“, witzelte ich mit etwas zittriger Stimme und hoffte inständig, dass er es lustig finden würde. Darjan sagte gar nichts. Angespannt richteten sich meine Nackenhaare auf.

Seine Schritte waren dicht hinter mir. Sie hörten sich sanft an, als würde er mit den schweren Stiefeln auf weichen Wolken und nicht auf hartem Stein gehen. Ob er das auch mit Magie tat, dachte ich und erschrak noch im selben Atemzug. Ich durfte nichts mehr denken, denn jeder Gedanke wurde von ihm durchleuchtet und meist mit einem bissigen Kommentar beantwortet. Da konnte ich gut drauf verzichten.

„Dann hör auf zu denken.“, knurrte er leise und schien von meinen inneren Monologen genervt zu sein.

„Wir wäre es meine Gedanken in meinem Kopf zu lassen.“, warf ich bissig zurück und versuchte stattdessen meine Umgebung zu fixieren. Noch zwei Schritte und wir hatten den rötlich flammenden Feuerschein erreicht. Es als ein einfaches Büro zu bezeichnen wäre maßlos untertrieben gewesen. Der Raum der sich vor mir auftat war riesig, pompös und dennoch mit Eleganz durchzogen, die ihn ansprechend und geheimnisvoll machten. Massive Meter hohe Holzregale Verdeckten rechts und links die Steinwände und waren gefüllt mit uralten Büchern, Pergamentrollen und anderen Dingen. Kristalle, Schädel, teilweise rostige alte Waffen. Es war nicht die Halle eines einfachen Gelehrten. Es waren die Gemächer eines stolzen wissbegierigen Königs. Am Ende des längliches Raumes säumte eine Fensterfront die Stirnseite und offenbarte die weiten Wiesen und den sich verdunkelnden Himmel, rings um die Burganlage. Vor den riesigen Fenstern stand ein mächtiger Schreibtisch, voll mit Bergen von Büchern und Schriftrollen. Der Geruch von Weihrauch und Tinte lag in der Luft. Die Halle nötigte es mir ab Darjan in einem anderen Licht zu betrachten. Er war kein stumpfer Kriegsherr, der nur die Schlacht kannte. Er war intelligent, stark, ein Stratege. All das machte ihn zu einem Gegner, den wohl niemand gegen sich haben wollte.

Vor dem Schreibtisch standen Feuerkörbe die sacht orange rot glommen aber keinen Ruß produzierten. Sie gaben Wärme ab und wirkten anziehend auf mich. Es war eine andere Wärme als die von einer Heizung oder einem Kaminfeuer. Das Glimmen erschien mir ungleich sanfter, angenehmer, nicht so sengend auf der Haut.

„Setz dich.“, forderte Darjan mich auf und deutete auf zwei Sessel, groß, mit Samt bezogen und sehr einladend, die vor dem Schreibtisch neben den magischen Flammen standen. Das nun folgende Gespräch würde kaum einem Kaffeekränzchen gleichen, eher einer Inquisition, schoss es mir durch den Kopf. Das Bild einer gehängten Hexe drängte sich mir auf. Es fröstelte mich.

Erhaben schritt er um den Tisch herum und nahm beiläufig ein Pergament an sich. Grob überflog er die Zeilen und strich mit den Fingern über blaue Wachssiegel am Ende der Schrift. Sein Gesicht verzog keine Miene aber ich glaubte ein wenig Anspannung erkennen zu können. Die Falten auf seiner Stirn, die durch den warmen Feuerschein nun sichtbar wurden, wirkten tiefer, die Schatten unter den Augen dunkler. Schwer ausatmend setzte er sich in den großen Sessel und ließ sich zurücksinken. Sekundenlang ruhte sein Blick auf dem Papier in seiner Hand, ehe er es weglegte als habe er festgestellt, dass es doch unwichtiger Natur sei.

„Nun denn.“, begann er leise. Der bedrohliche Klang in seiner Stimme hatte nachgelassen. Insgesamt erschlaffte seine Erscheinung unter dem Wissen, sich in seinen Gemächern sicher fühlen zu können. „Du weißt nichts über dich nehme ich an?“ Mit einem Mal hatte ich wieder seine volle Aufmerksamkeit. Neugierig betrachtete er mich, schien meine Gesichtszüge mit den Augen nachzuziehen.

„Ich verstehe nicht.“, antwortete ich knapp und fühlte mich von seinen eindringlichen Blicken peinlich berührt. Jetzt wo er zur Ruhe gekommen war, sah auch ich ihn in einem anderen Licht. Immer noch der erhabene König, der beherzte Krieger und der wissbegierige Hexer. Doch da war auch noch etwas anderes. Eine männliche Aura die so anziehend wie beängstigend war.

„Du weißt nicht was du bist und du weißt nicht was du kannst? Wo du hier bist ist dir auch völlig fremd?“ Es waren eigentlich keine Fragen. Es waren Feststellungen.

„Es ist ein Traum. Was spielt das für eine Rolle.“, sagte ich und musste Schmunzeln.

Darjan legte den Kopf schief. Die langen grau blonden Haare fielen zur Seite und sein Blick wurde nachdenklich. Er schien mit irgendetwas zu hadern. Unmerklich spannte sich seine Kiefermuskulatur und er schnaubte unzufrieden. Irritiert beobachtete ich ihn. Den Blick von mir abwendend begann er auf dem großen Schreibtisch zwischen den Büchern und den Schriften zu wühlen und zu suchen. Es dauerte lange und ich musste mich beherrschen, um nicht aufzustehen und ihm auf die Finger zu schauen, wonach er so akribisch Ausschau hielt.

„Du hast ein Amulett nicht wahr?“, fragte er. „Es sieht sehr alt aus. Mit einem pulsierenden eingefassten Stein.“

„Das stimmt.“, sagte ich erst verwundert und besann mich wieder darauf, dass es ein Traum war und sich die erdachten Personen natürlich an meinem Wissen nährten. „Was soll damit sein?“

„Du trägst es nicht. Sonst wärst du nicht hier.“, stellte er für sich fest und schob einen Stapel Bücher von einem schmalen Einband herunter. Das in feinem rot braunem Leder gefasste Werk schien mit Blattgold bearbeitet worden zu sein. Auf dem Einband waren schimmernde Buchstaben zu erkennen, ihren Sinn jedoch konnte sie nicht entziffern.

Langsam blätterte der Hexenkönig die alten raschelnden Seiten durch, bis er gefunden hatte wonach er suchte. „Ist sie das?“, fragte er und legte mir das Buch vor die Nase.

Ich erkannte sie sofort. Es war die Kette, die mir Nanuk überlassen hatte, die mich schützen sollte. Verunsichert nickte ich. Wieso nur fühlte ich mich so beklemmt und in die Enge getrieben, obwohl es doch nichts weiter als ein Traum war? „Was soll das bedeuten ich wäre sonst nicht hier?“, fragte ich plötzlich. Er wusste irgendetwas.

„Diese Kette…“, er brach ab und schaute mich nun mit seinen blauen Augen offen an. Er hatte Zweifel, Zweifel daran mir etwas darüber zu erzählen.

„Was ist mit dieser Kette?“, fragte ich nun mit etwas Nachdruck, auch wenn ich wusste, damit seine Ehre als König anzukratzen. Ich hatte einen Ton angeschlagen, der mir nicht zustand. Seine Reaktion jedoch verblüffte mich. Darjan lachte auf. Kurz und hell.

„Sie gehört eigentlich mir.“, antwortete er schließlich. „Sie wurde mir gestohlen, schon vor langer Zeit. Sie gehört nicht dorthin, wo sie gerade ist. Aber anscheinend gibt es Menschen, denen sie mehr Nutzen bringt als mir.“

Er sprach zwar die Wahrheit aber er sprach sie bewusst so, dass ich sie nicht verstand. „Wer hat sie gestohlen?“

„Jemand von euch. Ich weiß bis heute nicht wie und daher würde ich gern wissen, von wem du diese Kette hast?“ Seine Gesichtszüge verfestigten sich.

„Von einem Freund.“

„Wie lautet sein Name?“

„Den werde ich sicherlich nicht nennen. Was soll das hier? Ich hab die Kette geschenkt bekommen und man kann ja wohl kaum etwas aus meinen Träumen stehlen, um es anschließend mir zu schenken.“, höhnte ich und pfiff Luft durch meine fast geschlossenen Lippen.

Darjan beäugte mich auf eine prüfende und bohrende Weise, dass es mich schauderte. Meine Muskeln spannten sich unmerklich. Was hatte ich denn jetzt wieder gesagt? Hätte mich nun endlich mal der Wecker aus dieser Farce reißen können, dachte ich bitter und verspürte zum ersten Mal den Drang, aus einem Traum fliehen zu wollen. Raschelnd schmiegte sich der samtene Bezug des Sessels unter meine Bewegung an meine Haut. Ich hörte immer noch keinen Wecker.

„Ein Traum.“, wiederholte er ohne irgendeine Betonung in die Worte zu legen. Die breiten Kiefer malmten und auf seiner Stirn erkannte ich schmale Falten. „Ja. Ein Traum.“, sagte er abermals und seine Miene begann sich wieder zu erhellen, als habe er seinen Gedankengang mit einem zufrieden stellenden Ergebnis beendet.

„Was bedeutet Nyrva?“, fragte ich und wusste selbst nicht, wieso ich das gerade jetzt wissen wollte. Das Wort spukte so aufdringlich in meinem Kopf, dass ich erfahren musste, was meine Gehirnwindungen für eine Übersetzung anboten. Wieso hatte ich in meinem Träumen eigentlich eine so endlose Fantasie? Vielleicht hätte ich beginnen sollen, selbst Romane zu schreiben.

„Die Larij benutzen diesen Begriff für Wanderer. Sie streifen umher. Sehen Dinge, die anderen verborgen bleiben. Sie sind kein Teil dieser Welt und auch kein Teil einer anderen. Sie existieren zwischen zwei Knotenpunkten. Nur geht das nicht auf ewig. Irgendwann müssen sie sich für eine Seite entscheiden und dort für immer bleiben.“, er sprach ruhig, fast als würde er etwas wiederholen, was er schon lange eingeübt hatte. Und dennoch besah er mich mit einem Blick, als würde er auf eine bestimmte Reaktion warten. Vielleicht Erstaunen oder Verwunderung.

„Hört sich nach einer armen Seele an. An keinem Ort zu Hause zu sein, überall und nirgends umherzuwandern und sich letzten Endes für etwas endgültig entscheiden zu müssen. Wer möchte das schon.“, schlussfolgerte ich und dachte darüber nach, wie es wohl wäre in zwei Welten Daheim zu sein und letztlich einer den Rücken zu kehren. Das war als müsse man sich zwischen zwei Freunden entscheiden, die einem gleich viel bedeuteten. Ich atmete schwer. Keine leichte Aufgabe und sicherlich keine, die jemand gern fällen würde.

„Vermutlich.“, murmelte er und sein Blick ruhte nachwievor auf mir. „Ich denke es ist Zeit.“

Irritiert blickte ich den Hexenkönig an. Langsam richtete er sich auf und schritt mit erhobenem Haupt um den Tisch herum. Der Gang eines Tigers, dachte ich. Majestätisch aber genauso gefährlich wie schön. Hinter den riesigen Fenstern der steinernen Halle strahlte ein golden schimmernder Mond. Durch den Nachthimmel zog sich ein Band türkis funkelnder Sterne. Es war finster. Irgendetwas an der Nacht erschien mir anders, als die Nächte die ich kannte. Diese wirkte tiefer, dunkler und bedrohlicher.

„Für was ist es Zeit?“, fragte ich und spürte wie mir Panik in die Glieder kroch. Ruhig stand er nur vor mir und seine kühlen blauen Augen blickten mich von oben herab an.

„Zeit zu gehen.“, flüsterte er und das erste Mal sah ich den Anflug eines wohl wollenden Lächelns auf seinen Lippen. „Ich hoffe wir sehen uns nicht wieder.“ Bedächtig hob er seinen Arm und tippte mir kaum merklich mit dem Zeigefinger auf die Stirn.

Vor meinen Augen wurde es schwarz.



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