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Kyokos Märchenstunde

Wenn Märchen wahr werden... ;)
von

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Rotkäppchen: Gehorsam - jedenfalls meistens

Ein kleines Mädchen saß weinend auf einer Wiese. Niemand war bei ihm und tröstete es, denn es war allein. Doch das war die Kleine mit den schwarzen Haaren, welche sie zu zwei Zöpfen gebunden hatte, gewohnt. Wer sollte sich auch um sie kümmern?

Freunde hatte sie keine, außer dem Sohn des Wirtes, ihrem Märchenprinzen. Doch dieser war nie in der Lage sie zu trösten, sondern ignorierte diese Tatsache stets geflissentlich und stand stocksteif in der Ecke.

Ihr Vater? Der war bereits vor langer Zeit verschwunden, niemand wusste wohin. Eines Tages war er aus dem Wald einfach nicht zurückgekehrt.

Ihre Mutter? Nun, sie war der Grund, warum sie weinte. Es gelang ihr einfach nicht, ihre Mutter zufrieden zu stellen. Arbeitete sie zu Hause, so fuhr sie sie an, dem Wirt mehr zu helfen. Arbeitete sie bei diesem, so wurde ihr vorgeworfen zu wenig zu Hause zu helfen. Nie hatte sie ein Lob gehört, immer nur wie faul, unnütz und dumm sie doch sei.

So weinte sie nun allein, an diesem Ort, zu dem nie einer kam. Hier konnte sie ihren Tränen freien Lauf lassen, ohne, dass es jemand bemerken würde, ohne, dass sie jemandem Sorgen bereitete - ohne, dass jemand für sie da war.

Plötzlich hörte sie ein Knacken im Wald. Erschrocken sah sie auf. Was war das? Stets war sie gewarnt worden, es sei gefährlich allein herum zu streifen. Würde sie jetzt ein wildes Tier angreifen? Doch als sie sich noch einmal umsah, erblickte sie kein wildes Tier - sondern einen Jungen. Strohblondes Haar fiel ihm ins Gesicht, das nur wenige Jahre älter schien als das ihre, während er sie stumm betrachtete.

"Wer bist du?" Staunend sah sie ihn an, als wäre er plötzlich einer Märchenwelt entstiegen. "Kuon. Und du?" Plötzlich erinnerte sie sich wieder an ihre Erziehung. Sie sprang auf und verbeugte sich hastig. "Ich bin Kyoko-chan." "Und warum weinst du allein?" Immer noch ungläubig sah sie ihn an - wollte er es tatsächlich wissen? Kümmerte es ihn? Als sie den Ausdruck in seinen Augen sah, wusste sie, wer da vor ihr stand - eine Person, die ihr zuhören würde. Die sie trösten würde. Die da war.
 

Wenige Wochen waren seit jenem Treffen vergangen, doch das Mädchen mochte seinen Freund nicht mehr missen. Täglich sahen sie einander. Er tröstete sie, wenn sie wegen ihrer Mutter weinte, half ihr wieder zu lachen. Doch nun war zum ersten Mal er der Grund, warum sie weinte. "Koon, warum musst du denn gehen?"

Ein Lächeln trat auf seine Lippen, wie immer, wenn er hörte auf welche Weise sie seinen Namen aussprach. "Ich hab es dir doch erklärt Kyoko-chan. Meine Eltern ziehen in ein anderes Dorf, weit fort von hier."

"Aber ich will nicht, dass du gehst!" Sie sah ihn mit tränenverschmierten Gesicht an, und ein Ausdruck von Schmerz trat in seine Augen. "Ich will doch auch nicht gehen Kyoko-chan, aber ich muss nun mal. Aber jetzt wein bitte nicht mehr. Schau, ich hab hier etwas für dich."

Aus seiner Jacke zog er ein rotes Stück Stoff, welches er ihr überreichte. "Was ist das?" Sie starrte gebannt auf das Tuch in seinen Händen, als enthielte es alle Mysterien der Welt. "Eine Kappe, man trägt sie auf dem Kopf. So setzt du sie auf und bindest sie unter dem Kinn fest."

Sie ließ ihn machen. Als er fertig war, rannte sie zum Wasser und betrachtete ihr Spiegelbild. "Die ist schön. Vielen Dank Koon." Sie drehte sich um und umarmte ihn fest. Sie ging ihm noch nicht einmal bis zur Schulter, aber das machte nichts. Sie wollte ihm nur zeigen, dass sie ihn wirklich gern hatte.

"Und immer wenn du weinen musst, dann denkst du an mich und dass ich dich in Gedanken immer trösten werde, einverstanden?" Sie nickte schniefend. Dann sah sie, wie er fort ging...
 

Sie erwachte abrupt. Immer noch leicht desorientiert sah sie sich um, merkte jedoch dann, dass ihr Freund nicht da sein würde. Er war fort und das einzige was er zurückgelassen hatte, war das rote Tuch, welches auf einem Stuhl neben ihrem Bett lag. Vorsichtig, beinahe ehrfürchtig nahm sie es in die Hand. Es bestand aus einem ihr unbekannten Stoff, der sich anfühlte wie Wasser, das einem durch die Finger rann. Die Spuren der Abnutzung zeigten deutlich, dass sie es bereits mehr als einmal getragen hatte.

Nicht umsonst wurde sie von den Gassenjungen und auch von der bürgerlichen Jugend als Rotkäppchen verspottet. Aber ohne den Stoff fühlte sie sich, als fehlte ihr etwas, als wäre sie ungeschützt.

Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr, dass bereits die Sonne aufging. Es war an der Zeit aufzustehen. Nachdem sie für ihre Mutter das Frühstück zubereitet hatte und selber etwas zu sich genommen hatte, machte sie sich auf den Weg zum Markt.

Sie wohnten in einem anderen Ort, als jenem, in welchem sie Koon getroffen hatte. Sie war mit ihrer Mutter vor gerade mal einem Jahr hierher gezogen. Kurz nachdem der Sohn des Dorfwirtes sie verraten hatte - was aber alle ignoriert hatten. Die Verlobung der beiden war einfach stillschweigend aufgelöst worden, nachdem er sich strikt geweigert hatte sie zu heiraten und sogar fortgelaufen war um diesem Schicksal zu entkommen.

Noch immer wurde sie wütend, wenn sie an die Scham die sie damals gefühlt hatte, an die halb mitleidigen halb hämischen Blicke der dortigen Dorfbewohner dachte.

Ihre Laune besserte sich auch nicht, als sie sah wer ihr entgegenkam. Es war der Lehrling des Jägers - und die Person die es sich zum Ziel gesetzt zu haben schien sie mindestens drei mal am Tag auf die Palme zu bringen. Sie wechselte schnell die Straßenseite, doch er schien sie bereits entdeckt zu haben.

"Weißt du, das ist nicht sehr höflich Kyoko-chan...", seine Stimme war leise, schien für sie jedoch ein angsteinflößendes Drohen. Sie drehte sich auf dem Absatz um und verbeugte sich. "Es tut mir leid Tsuruga-san, ich habe Sie wohl übersehen."

"Ach wirklich?" "Also... ähm...", es fiel ihr schon immer schwer zu lügen. Als sie dann aufsah und sein gemeines Lächeln erblickte, war es um ihre Fassung geschehen.

"Es tut mir leid, ich dachte Sie wollten mich einfach wieder triezen." Sie sah förmlich wie eine Metamorphose einsetzte, an deren Anfang dieses furchterregende Grinsen stand - und die ihr Ziel in einem warmen Lächeln hatte. "Weißt du, du solltest nicht so viel Angst vor mir haben. Es gibt schlimmere Dinge."

"Und die wären?"

Erschrocken sah er sie an. War er wirklich so schrecklich zu ihr?

"Nun, im Wald treibt sich etwas Böses herum. Du solltest ihn meiden, bis wir es erlegt haben, ok?" Sie nickte, das schien ihm zu genügen. "Ich muss weiter. Einen schönen Tag noch Kyoko-chan." Auch als er bereits gegangen war, musste sie, wie immer, über sein Verhalten grübeln. Einerseits ärgerte er sie andauernd - andererseits war er manchmal wirklich nett. Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm.

Seufzend setzte sie ihren Weg fort. Sie hatte wirklich besseres zu tun, als über den jungen Mann zu grübeln – wenn sie nämlich vom Einkaufen nicht rechtzeitig nach Hause kam, gab es richtig Ärger.
 

Mit einem schweren Seufzen schloss Ren die Tür zur Jagdhütte. Sein Freund, der Geselle des Jägers, sah ihn fragend an. „Ist irgendetwas passiert?“

Stumm schüttelte der Jüngere den Kopf. „Sag mal… bin ich eigentlich böse?“

Ein Grinsen breitete sich auf dem Gesicht seines blonden Gegenübers aus. „Lass mich raten, du hast Kyoko-chan getroffen?“

Fast unmerklich stieg in Ren die Verlegenheitsröte auf. Er mochte Yashiro wirklich, aber manchmal war es nervend, wie gut der andere ihn durchschaute – vor allem wenn es um das Mädchen ging.

„Lass es mich so ausdrücken: Es wundert mich manchmal schon, dass sie bei deinem Anblick nicht einfach schreiend davonläuft.“

Die Kinnlade des so Beurteilten klappte herunter. Er wusste ja, dass er sie manchmal ein wenig zu sehr ärgerte, aber das geschah doch nicht aus böser Absicht. Es fiel ihm einfach schwer, sich nicht wie ein kompletter Idiot zu benehmen, wenn sie in der Nähe war.

Gut am Anfang hatte er sie mit voller Absicht getriezt, aber doch nur, weil sie ihn nicht erkannt hatte. Und das nahm er ihr inzwischen nicht einmal mehr übel. Immerhin war sie erst sechs gewesen und ihre Begegnung schon über 10 Jahre her. Außerdem war ihm aufgefallen, wie oft sie das rote Tuch trug – das rote Seidentuch, welches er ihr geschenkt hatte.

„Meinst du sie würde mir jemals glauben, wenn ich ihr sagen würde, dass sie sich vor mit nicht zu fürchten braucht?“

„Vielleicht, wenn du dich anstrengst“, antwortete der Blonde nur schulterzuckend. Doch trotz seiner unbeteiligten Miene, beobachtete er aus dem Augenwinkel die nachdenkliche Reaktion des Lehrlings. Und er hoffte wirklich, dass dieser es endlich mal schaffen würde etwas vernünftiges bezüglich seines Liebeslebens auf die Beine zu stellen.
 

„Wieso kommst du so spät? Hast du deine Zeit wieder mit Schwatzen verschwendet? Du sollst arbeiten, nicht rumstehen und reden. Wofür habe ich dich eigentlich großgezogen?“

‚Eine gute Frage’, dachte Kyoko bei sich, während sich bei der kreischenden Stimme ihrer Mutter immer wieder zusammen zuckte.

Sie hatte es zwar pünktlich zurück geschafft, aber natürlich war das noch lange kein Grund, dass ihre Mutter das auch so sah. Schon längst hatte das Mädchen erkannt, dass sie es dieser Frau niemals würde recht machen können, egal was sie tat. Und trotzdem…

Ihre Hände kneteten das rote Tuch, welches sie im Haus immer abnahm. Ungeachtet der Tatsache, dass sie genau wusste, dass ihre Anstrengungen nicht im Geringsten honoriert werden würden, versuchte sie trotzdem stets ihr Bestes zu geben. Denn einmal, nur einmal wollte sie sehen, wie ihre Mutter sie anlächelt, wie sie ihr sagte, dass sie etwas gut gemacht hatte, wie sie stolz auf sie war.

Die Tirade schien in diesem Moment beendet, denn ihre Mutter wandte sich von ihr ab. Kurz vor der Tür wandte sie sich noch einmal zu ihr um: „Übrigens, ich brauche für den Ball morgen noch ein Kleid – sieh zu, dass du etwas ordentliches zurecht machst.“ Und mit einem Knallen fiel die Tür zu.

Kyoko strengte sich an um die Tränen zu unterdrücken. Das war ja klar gewesen, wieso hatte sie sich eigentlich auch nur Hoffnungen gemacht, irgendwann Zeit zu finden, um sich selbst mal etwas Hübsches zu nähen? An ihr wäre hübscher Stoff schließlich sowieso verschwendet gewesen – eine Vogelscheuche blieb eine Vogelscheuche, und wenn man sie in noch so hübsche Gewänder hüllte.

Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie den Sonnenstand. Wenn sie sich beeilte, würde sie es noch in den Schneiderladen schaffen um etwas Stoff zu besorgen, bevor es Zeit wurde die Hühner zu füttern. Vorher würde sie noch einmal die Kleider ihrer Mutter durchgehen – für ein neues blieb bei weitem nicht genug Zeit, sie würde also ein altes Gewand umnähen müssen.
 

Stocksteif stand er mit zur Seite gestreckten Armen da und unterdrückte das dringende Bedürfnis sich zu bewegen. Schließlich wäre es bald vorbei. Sein Lehrmeister, Rory Takarada, hatte ihn zum Schneider geschickt, damit er sich eine neue Jägersuniform anpassen ließ. Er fand seine alte Kleidung zwar noch ausreichend, aber nach Meinung des über 40jährigen stand diese bereits kurz vorm Auseinanderfallen.

Er war gerade wieder in eben diese alte Uniform geschlüpft, als SIE den Laden betrat. Er musst ein debiles Grinsen unterdrücken – sie gleich zweimal am gleichen Tag zu treffen, war ein seltenes Glück.

Da sie aus dem hellen Tageslicht direkt in die schummerige Schneiderstube trat, musste sie ein paar Mal blinzeln, um etwas erkennen zu können.

„Hallo Kyoko-chan“, begrüßte er sie aus dem Schatten heraus, bevor sie Gelegenheit hatte ihn zu entdecken und wieder auf dem Absatz umzudrehen. Sie wandte sich ihm zu, ein gequältes Lächeln auf dem Gesicht. „Guten Tag Tsuruga-san. So schnell sieht man sich wieder.“

Er nickte nur stumm und suchte nach Worten. Es fiel ihm schwer etwas zu finden, mit dem er sich nicht wieder über sie lustig machte. Yashiro hatte recht, er musste sich anstrengen, wenn er nicht wollte, dass sie bis an ihr Lebensende vor ihm floh.

Während sie ihre Bestellung aufgab, mehrere Ellen verschiedener Stoffe, fiel ihm endlich etwas ein. Sobald sich die Schneidersfrau in den Lagerraum begeben hatte, um das Gewünschte zu holen, trat er direkt neben sie.

„Gehst du morgen auch zum Ball?“ Er hätte sich für seine zittrige Stimme schlagen können, aber so war es nun mal, wenn er sich ganz normal mit ihr unterhalten wollte.

Aber anscheinend hatte er es trotz aller Überlegungen geschafft etwas Falsches zu sagen, denn ihr Gesicht verdunkelte sich für einen kurzen Moment.

„Nein.“

Er wartete auf eine Erklärung – er wusste genau, dass der Bürgermeister auch ihre Mutter eingeladen hatte– aber sie kam nicht. Und ihm selbst fiel beim besten Willen kein Grund ein, warum sie nicht gehen sollte.

Zwar war ihre Familie gerade erst hergezogen, aber ihre Mutter hatte keine Mühen gescheut um so schnell wie möglich gute Kontakte zu den einflussreichen Familien zu knüpfen und hatte es so geschafft eingeladen zu werden.

Jede Mutter des Ortes würde alles dafür tun um ihre heiratsfähige Tochter in der Gesellschaft zu präsentieren – warum tat es Saena also nicht?

Nicht, dass er sich darüber freuen würde, wenn Kyoko einen dieser laffenhaften, langweiligen, arroganten Söhne aus gutem Hause heiraten müsste. Aber ihre Mutter war Witwe, die Mitgift gering, und der Adelstitel das Pergament kaum wert, auf dem er geschrieben stand. Die einzige Hoffnung für eine „gute Partie“ wäre ein Schwiegersohn aus reichem Bürgershause, der für den Adelstitel über fehlende materielle Vorteile hinwegsehen würde.

Und Saena war eine ehrgeizige Frau. Nie würde sie die Gelegenheit ungenutzt lassen zu Reichtum zu kommen. Warum also führte sie Kyoko nicht in die Gesellschaft ein?

„Darf ich fragen warum?“

Sie warf ihm einen Blick zu, als zweifle sie an seinem Geisteszustand. Dann krallte sie die Hände in den Stoff ihres einfachen, grauen Kleides, dem man ihr adeliges Blut nicht ansah. „Warum wohl? Ich habe nichts anzuziehen?“

„Aber…“ mit einer Geste deutete er auf ihre Umgebung. Kaufte sie denn nicht gerade Stoffe, um sich etwas zu nähen?

„Für meine Mutter“, war ihre nahezu emotionslose Antwort.

„Will... Will sie dich denn nicht in die Gesellschaft einführen?“

Wenn Blicke töten könnten, so müsste er jetzt eigentlich auf der Stelle antworten. Was aber viel mehr schmerzte als die Wut, war die Trauer die dahinter steckte.

„Was soll eine Vogelscheuche auf einem Ball? Meine Mutter wird sich doch nicht mit so was wie mir blamieren.“

War er eigentlich verflucht? Egal wie er es anstellte, er schien sie stets dazu zu bringe sich am Ende ihrer Gespräche schlechter zu fühlen als vorher. Wie waren sie denn von so einem harmlosen Thema wie dem Fest auf ihre Mutter und deren mangelnde Fähigkeit zur Liebe gekommen?

„Also... ich... finde nicht, dass...“

Die Rückkehr der Schneidersfrau mit den Waren unterbrach seine verzweifelte Suche nach den richtigen Worten.

Sie hatte nicht viel feinen Stoff gekauft, anscheinend wollte sie nur ein altes Kleid aufbessern, aber es waren auch mehrere Ballen robustes Leinen dabei, welches sie wohl zu neuen Alltagskleidern vernähen wollte. Es war nicht sehr viel, aber nichtsdestotrotz ziemlich schwer. Er hielt seine Chance für gekommen und bevor sie die Ballen auch nur berühren konnte, hatte er sie bereits sich selbst aufgeladen.

„Tsuruga-san, Sie…“ Ihr Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass sie protestieren wollte.

„Ich trag das“, schnitt er ihr kategorisch das Wort ab. „Wo kämen wir denn da hin, wenn ich ein Mädchen das alleine tragen ließe.“

Kurz wurde ihre Miene weicher, aber sofort schien sie wieder ablehnen zu wollen. „Aber ich kann Sie doch nicht meine Einkäufe tragen lassen.“

Er ignorierte sie einfach und trat hinaus auf die Straße. Sie bezahlte eilig und lief ihm dann hinterher. „Tsuruga-san, ich kann das wirklich nicht…“

„Doch, du kannst es annehmen. Oder hasst du mich so sehr, dass ich dir nicht mal helfen darf?“

„Nein, das ist es nicht, nur… warum machen Sie das?“ Vollkommenes Unverständnis zeigte sich auf ihrem Gesicht.“

„Weil ich es möchte.“ Ihr Blick sagte deutlich, dass sie mit solch einer Antwort alles andere als zufrieden war, aber sie fragte nicht weiter nach.

„Gehen Sie denn zum Ball?“

„Warum duzt du mich eigentlich nicht?“ Er würde jetzt NICHT mit ihr über das Fest sprechen, nicht wenn sie selbst wegen ihrer Mutter nicht hingehen könnte.

Ein brennendes Rot zierte ihre Wangen. „Das gehört sich nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil… weil… Ihr älter seid als ich.“

„Ja“, stimmte er schnaubend zu, „ganze fünf Jahre. Das meinst du doch nicht ernst, oder? Da komm ich mir ja vor wie ein Greis.“

„Sie kommen sich nur so vor?“

Empört wollte er auffahren, sah aber den Schalk in ihren Augen blitzen und zügelte sich. Ein Grinsen legte sich auf sein Gesicht. „An und für sich hast du ja recht. Im Gegensatz zu mir bist du wohl wirklich noch ein Kind.“

„Was soll dass denn jetzt heißen?“, fauchte sie. Schmunzelnd beobachtete er die dunkle Aura, welche sich um sie herum aufbaute. Sie hatte ihn reizen wollen – nun, das Spiel konnte er auch.

„Du sollst Erwachsene doch nicht anfauchen.“

Er konnte sehen, dass sie tief durchatmen musste, um ihm nicht an die Gurgel zu gehen. Mit ihrem wütend geröteten Gesicht und den blitzenden Augen sah sie sogar noch hübscher aus als sonst.

„Du brauchst zum Fest doch gar nichts anzuziehen“, murmelte er. Egal was sie trug, sie würde in allem niedlich aussehen.

„Wie bitte?“ Ihre Wut schien verflogen und stattdessen zeigten sich nun verwirrte Falte auf ihrer Stirn.

„Was?“

„Wie bitte.“

„Was?“

Die Falten vertieften sich. „Ich meinte damit: Was habt ihr gesagt.“

„Wie gesagt?“

Ein resignierter Seufzer entrang sich ihr. „Na eben, was habt ihr da gemeint mit dem Fest?“

Erst jetzt fiel ihm auf, dass er seine Gedanken wohl laut ausgesprochen hatte. „Nichts, nichts.“

Abwartend sah sie ihn an, doch er schwor eisern zu schweigen. Glücklicherweise kam soeben ihr Haus in Sicht und erlöste ihn von einer Antwort. Hastig legte er die Ballen auf die Bank vor ihrem Haus. „Auf Wiedersehen“, sagte er noch, während er davoneilte – bevor ihm noch einmal so etwas rausrutschte.
 

Nun, das war… seltsam gewesen. Sie hatte gewusst, dass er auch nett sein konnte – immerhin schwärmte der Großteil der weiblichen Dorfbewohner nicht ohne Grund für ihn – aber es war selten, dass sie dies auch am eigenen Leibe erfuhr.

Immer noch mit gerunzelter Stirn sah sie auf die Stoffe, die er ihr getragen hatte. Ihr schlechtes Gewissen meldete sich. Auch wenn er ihr keine Wahl gelassen hätte, sie hätte das nicht so einfach annehmen dürfen. Nun, dafür war es zu spät. Aber sie musste sich unbedingt noch bei ihm bedanken, sobald sie ihn das nächste Mal traf.
 

Müde rieb sie sich über die Augen. Die Sonne war schon lange untergegangen und sie setzte im schummrigen Licht einer flackernden Kerze die letzten Stiche am Kleid ihrer Mutter. Mit den Zähnen biss sie den Faden ab, schüttelte das Kleidungsstück einmal und hielt es am gestreckten Arm von sich um ihr Werk zu begutachten.

Innerlich gratulierte sie sich selbst.

Sie hatte eines der Kleider, welche ihre Mutter seid Jahren nicht mehr angezogen hatte genommen und es umgenäht. Es hatte jetzt noch einen zusätzlichen eleganten Unterrock, dessen blaufarbener Saum unterm Überrock hervorblitzte. Aus demselben Stoff hatte sie noch eine kurze Jacke mit langen Ärmeln genäht, welche farblich sehr gut zu dem dunklen Lilaton des eigentlichen Kleides passte.

Den Ausschnitt hatte sie mit fein getriebener Spitze gesäumt, ebenso wie die halblangen Ärmel. Und sozusagen zur Abrundung hatte sie noch ein paar Stickereien hinzugefügt.

Wenn ihre Mutter damit nicht zufrieden war, dann wusste sie auch nicht weiter. Obwohl… ihre Mutter wäre garantiert nicht zufrieden. Sie wusste nicht was für einen Fehler diese Frau finden würde, aber in ihren Augen war nichts makellos.

Seufzend hängte sie das Kleid an die Schranktür und strich es noch ein letztes Mal glatt. Manchmal wünschte sie sich dieselbe Figur wie ihre Mutter zu haben – dann könnte sie zu mindestens heimlich deren Kleider anprobieren.

Allerdings könnte sie sich genauso gut wünschen selber auf dem Ball tanzen zu dürfen – es gab eben Dinge, die sich nie im Leben erfüllten.
 


 

Fassungslos starrte sie ihre Mutter an. Sie hatte sich damit abgefunden, nicht zum Ball gehen zu können – aber sie hatte gehofft wenigstens am Fest vor dem Rathaus teilnehmen zu können. Das war zwar nicht dasselbe wie ein Ball, aber wenigstens war es gesellig und wenn der durchschnittliche Alkoholspiegel stieg wurde sogar gesungen, jedenfalls hatte ihr das die Bäckersfrau heute erzählt.

Die ganze Stadt feierte also – und sie? Sie ging für ihre Mutter auf einen Botengang in den Wald. Und dann auch noch ausgerechnet zu Kamio-san!

Sie sagte ungern etwas Schlechtes über die Bekannten ihrer Mutter, aber als Geduld und Nettigkeit verteilt wurden, hatte diese Dame bestimmt nicht in der ersten Reihe gestanden.

Stattdessen hatte sie in den Bereichen Zickigkeit, Nervigkeit und Unhöflichkeit ordentlich zugegriffen.

Und genau diese Kamio-san hatte sich ihren Fuß verstaucht, weshalb sie nicht zum Fest erscheinen konnte. Stattdessen wurde nun Kyoko den mindestens eine Stunde langen Fußmarsch zu ihr geschickt um ihr ein Fläschchen Wein, einen dicken Schinken, gebratene Entenkeulen und einen Haufen Pasteten vorbeizubringen. Damit die „arme Kranke“ auch ein bisschen was von der Feier hatte – ob ihre eigene Tochter was davon hatte, schien Saena nicht zu interessieren.

„Und dass du dich ja beeilst, damit Kamio-san nicht zu lange warten muss. Wehe du trödelst! Am besten nimmst du die Abkürzung. Und sei ja höflich zu ihr, letztes Mal hat sie sich über dich beschwert. Das war mir so peinlich, dass ich ihr fast nicht in die Augen sehen konnte!“

Oh ja, die Beschwerde. Diese Frau hatte sich beschwert, dass Kyoko sie beim Haarkämmen geziept hatte! Sie konnte froh sein, dass das Mädchen ihr überhaupt dabei geholfen hatte! War sie ihre Zofe, oder was?

„Warum stehst du noch hier herum? Na los, geh schon!“ Freundlich wie immer beendete Kyokos Mutter ihre Litanei.

Stumm trat die siebzehnjährige vor die Haustür. Mit sorgenvollem Blick sah sie in den Himmel, zur dräuenden Nacht empor. Wenn sie jetzt eine Abkürzung mitten durch den Wald nahm, würde sie sich hoffnungslos verirren. Andere Mütter sagten ihren Töchtern, sie sollten nicht vom Wege abkommen und gut auf sich aufpassen. Ihre Mutter schickte sie hingegen mit der Anweisung los, mitten durchs Unterholz zu trampeln.

Grimmig wandte sie sich zu Seite, in Richtung des allgemein benutzten Pfades. Und wenn sie erst spät ankam, war ihr das auch egal. Irgendwie musste sie ihre schlechte Laune rauslassen, und wenn es nur durch diesen sinnlosen, unmerkbaren, rebellischen Akt gegen ihre Mutter war.

Als sie unter die tiefhängenden Äste der Linden trat, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Was hatte Tsuruga-san… nein, Ren-san gesagt? Etwas Böses triebe sich hier rum?

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und zog den Kopf zwischen die Schultern. Ganz ruhig, es würde gewiss nichts passieren. Sie ging dauernd durch diesen Wald, warum sollte er heute gefährlicher sein als sonst? Sie würde einfach zu Kamio-san gehen, ihren gut gefüllten Korb abgeben und dann schnell wieder nach Hause.

Vielleicht war das Fest dann ja immer noch im Gange?

Sie lächelte bei dem Gedanken. Wenn gesungen wurde, wurde bestimmt auch irgendwann getanzt. Und was gab es schöneres als im flackernden Schein des Lagerfeuers über den Boden zu wirbeln?

Sie war so sehr in Gedanken versunken, dass sie die Gestalt gar nicht bemerkte, die sich ihr von hinten näherte.

„Wohin denn unterwegs?“

Ein kleiner Aufschrei entschlüpfte ihren Lippen, angesichts der plötzlichen Stimme.

Eben diese Stimme quittierte ihre Reaktion mit einem leisen Lachen – allerdings klang es in ihren Ohren alles andere als fröhlich.

Sie schallte sich selber eine schreckhafte Närrin und drehte sich zu der fremden Person um. Verwundert stellte sie fest, dass sie den Mann noch nie gesehen hatte.

Er war relativ jung, nicht viel älter als sie und höchstwahrscheinlich jünger noch als Ren. Seine Haare fielen ihm offen und lang über die Schulter und waren so hell, dass sie in der zunehmenden Dunkelheit nahezu silbern wirkten. Gekleidet war er ganz in dunkles Leder, und an seinem Gürtel steckte ein etwa zwanzig Zentimeter langes Messer in einer ebenfalls ledernen Scheide.

Was Kyoko aber innerlich zittern lies, waren seine Augen. Sie waren von einem durchdringenden Blau, welches einem bis auf die Seele zu schauen schien, während es gleichzeitig vollkommen emotionslos wirkte.

Er lächelte – besser gesagt zog er seine Mundwinkel hoch, ein Lächeln war eigentlich wärmer – und ließ dabei zwei Reihen blitzweißer Zähne erkennen. Die Eckzähne wirkten seltsam spitz und schienen eher zu einem Wolf als zu einem Menschen zu passen.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“ Stur verbarg Kyoko ihre Angst hinter der ihr anerzogenen Höflichkeit.

„Nun, ich würde gerne wissen wohin du gehst?“ Sein Blick war so lauernd, dass sie sich wie ein leckeres Stück Fleisch vorkam.

„Warum sollte Euch das interessieren?“

„Oh, es interessiert mich immer, wo ein Mädchen wie du hingeht… und warum du nicht auf dem Fest bist?“

„Beides ist für Euch nicht von Belang. Und nun entschuldigt mich bitte, ich muss weiter.“ Sie wandte sich ab und ging mit schnellen Schritten davon, fort von diesem unheimlichen Typen – nun jedenfalls lautete so die Theorie.

Leider hielt er sich nicht an diese und folgte ihr.

„Aber Kyoko, warum denn so kalt?“

Sie fühlte sich, als kippe ihr jemand einen Eimer voll Eis über den Rücken. Woher kannte dieser Kerl ihren Namen?

„Nun, vielleicht weil ich euch nicht kenne?!“

„Ach mein kleines Rotkäppchen…“ Sie hätte ihm am liebsten die Hand abgeschlagen, mit der er an ihrem Tuch zupfte. Leider besaß sie dazu weder die Kraft noch die Skrupellosigkeit.

„Habe ich mich noch gar nicht vorgestellt? Du darfst mich Reino nennen. Noch magst du mich kaum kennen, aber ich weiß so viel über dich… armes kleines Mädchen, die Mutter so gemein, der Vater lange tot…“

Sie spürte förmlich wie sie bleich wurde und beschleunigte ihre Schritte. Sie wusste absolut nicht wie sie reagieren sollte. Wenn sie normalerweise etwas störte, schluckte sie ihren Ärger einfach runter – oder wurde wütend.

Aber dieser Reino war anders. Er ärgerte sie nicht in dem Sinne. Stattdessen machte er ihr Angst. Sehr viel Angst.
 

Gesprächsrunde der Hybie-sans, die von den Hybie-sans für diese Fanfic abgehalten wird

Hybie-san3: *grinst debil und singt dabei* „Freiiiheit, Freiiiheit, ist das Einzige was zählt...“

Hybie-san1: *kopfschüttelnd* „Ich wusste es...“

Hybie-san2: „Was wusstest du? Dass er durchgeknallt ist? Dass er sich wieder Waschpulver durch die Nase gezogen hat? Oder dass er irgendwelche anderen Dinge genommen hat, die eventuell drogenähnliche Wirkungen haben können?“

Hybie-san1: „Nein, er war auf Freiheitsentzug.“

Hybie-san2: „Ich verstehe warum sie ihn so schnell wieder entlassen haben – ich hab manchmal auch Angst, wenn wir uns im gleichen Gebäude aufhalten.“

Hybie-san1: „Nein, bei ihm bezieht sich das auf die Geschichten. Die Autorin hat in letzter Zeit so selten veröffentlicht, weshalb er nur wenige Auftritte hatte.“

Hybie-san2: „Ach, daran dass wir uns jetzt dieses Geträller anhören dürfen ist also die Autorin Schuld, was?“ *böser – aber vorsichtiger – Blick zur Autorin*

Autorin: *pfeift auffallend unschuldig* *hält sich als Sichtschutz ein Biochemiebuch vors Gesicht*

Hybie-san2: *erhält einen Geistesblitz* *entsetzter Gesichtsausdruck* „Das ist jetzt also immer so, wenn sie nicht oft genug schreibt?“

Hybie-san1+2: *blicken zu Hybie-san3*

Hybie-san3: *hat irgendwo Mikrofon gefunden in das er nun schluchzt* *schwenkt mit beiden Händen Feuerzeuge* *steht deshalb kurz davor jeden Moment ausversehen die Bude abzufackeln*

Hybie-san2: *versteckt sich im Brunnen* *ruft durch den Schacht nach oben* „Und wie lange müssen wir bis zur nächsten Veröffentlichung warten?“

Hybie-san1: *wendet sich resigniert von seinen beiden Kollegen ab* „Nur ein paar Tage, der zweite und damit auch letzte Teil von Rotkäppchen ist schon so gut wie fertig.“

Hybie-san3: *lässt Gesang langsam ausklingen* „Was machst du denn im Brunnen Hybie-san2?“

Hybie-san2: „Wasser brennt nicht.“

Hybie-san3: „Das wollen wir doch mal sehen...“

Hybie-san1: „Liebe LeserInnen, danke, dass sie bis hierher durchgehalten haben. Die folgenden Szenen werden wahrscheinlich nicht ganz gewaltfrei und fluchfrei ablaufen, weshalb wir sie Ihnen gerne ersparen möchten. Auf ein baldiges Wiedersehen.“ *macht Licht aus und schaltet Schalldämpfung ein*



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kyoko-Hizuri
2009-12-02T23:39:20+00:00 03.12.2009 00:39
gefällt mir ausgesprochen gut^^
nur weiter so, ich freue mich schon auf das nächste Kap^^
hoffe Ren/Kuon kommt mit Kyoko zusammen...*grins*
Kyo-Hizu


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