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Störfaktor Tea

Puzzleshipping
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Unterbrechungen (Yugis Wahrnehmung)

Kapitel 1: Unterbrechungen (Yugis Wahrnehmung)
 

„Okay Yugi, ganz ruhig. Du kriegst das schon hin“, sprach sich der Junge mit der seltsam anmutenden, dreifarbigen Stachelfrisur Mut zu.

„Es ist nichts Weltbewegendes. Ich wette genau jetzt, in dieser Sekunde, machen das mindestens tausend Leute.“
 

Das woran der Junge dachte und was ihn furchtbar nervös und hibbelig werden ließ, war ein Liebesgeständnis. Und als ob es nicht schon schwer genug wäre, jemanden seine tiefsten Gefühle zu offenbare, kam bei Yugi noch erschwerend hinzu, dass schwul war und das Objekt seiner Begierde logischerweise ein Junge war. Ein Junge, von dem Yugi nicht wusste, ob dieser auch auf das gleiche Geschlecht abfuhr.
 

So hatte er also nicht nur das Risiko abgewiesen zu werden, sondern wenn alles schief lief, auch vor der gesamten Klasse geoutet und bloß gestellt zu werden. Ganz zu schweigen davon, dass sein Traummann ihn hinterher wohl hassen würde.

Ein letztes Mal atmete der Junge mit der dreifarbigen Frisur tief durch. Er würde das schon packen – irgendwie.
 

Yugi betrat seine Klasse und seine violetten Augen suchten sofort den Raum nach einer bestimmten Person ab.

„Er ist noch nicht da“, schoss es ihm durch den Kopf und wenn Yugi ehrlich war, dann war er deswegen erleichtert. So konnte er dieses wichtige Gespräch – von dem er sich vorgenommen hatte, es unbedingt zu führen – noch etwas hinausschieben.
 

Er ging zu seinem Platz und wusste, dass ihm wie jeden Morgen viele neugierige Augenpaare folgten. Es lag an seinem Erscheinungsbild, dass war dem Jungen nur all zu bewusst. Als wären seine blond, schwarz und rot gefärbten, hochgegelten Haare nicht auffällig genug, trug er ein Nietenhalsband und ein enges, schwarzes Shirt unter der offenen Schuluniformjacke. Passend dazu hatte er eine eng anliegende Lederhose an.
 

Yugi wusste, dass wegen diesem Outfit eine Menge Gerüchte über ihn im Umlauf waren. Angefangen von der Schnapsidee er wäre in einer Bikergang, bis hin zu der wahnwitzigen Vorstellung er wäre Mitglied einer Sekte, die glaubte durch das tragen von Lederklamotten die ewige Erlösung zu finden, hatte er schon einen Haufen Blödsinn gehört. Der wahre Grund für diesen Aufzug war eigentlich sehr simpel: Yugi hielt so an einer Zeit fest, die sehr wichtig für ihn gewesen war.
 

Die Klingel läutete und mit dem Beginn dieses nervigen Geräusches, betrat die Person den Raum, mit der Yugi unbedingt sprechen wollte. Yami.

Er ging an dem Kleineren vorbei und lächelte ihm zur Begrüßung zu. Yugi lächelte zurück und seine Augen folgten seinem Mitschüler, als dieser sich an seinem Platz – zwei Tische hinter Yugi – setzte.
 

„In der Pause, da werde ich ihm sagen was ich fühle…wenn alles gut läuft, können wir ja nach der Schule zusammen ein Eis essen gehen oder so…“, ermutigte er sich im Stillen.
 

Der Biologielehrer kam in die Klasse und begann fast sofort mit einem monotonen und todlangweiligen Vortrag über die Vererbungslehre. Fünf Minuten lang versuchte Yugi den Ausführungen des Pädagogen zu folgen, dann gab er auf und ließ seine Gedanken schweifen. Der Rest der Klasse hatte sich bereits nach den ersten dreißig Sekunden geistig verabschiedet.
 

Seine Gedanken kehrten in die Zeit zurück, in der er die wichtigste Erkenntnis seines Lebens erlangte. Die Zeit, in der er feststellte, dass er auf Jungs stand. Es war vor etwa zwei Jahren gewesen, da hatte er bemerkt, wie schön die Augen seines besten Freundes Ryou waren. Das dessen Haut so blass und ebenmäßig war, wie die einer Porzellanpuppe. Die längeren silberweißen Haare, der zarte Körperbau und vor allem dessen blassrosa Lippen ließen Ryou so feminin wirken. So wunderschön, in Yugis Augen.
 

Er wusste nicht wie lange – wahrscheinlich waren es nur zwei Tage, doch dem damals Fünfzehnjährigen kam es vor wie eine Ewigkeit – war er besessen gewesen von dem Gedanken diesen Mund zu küssen. Irgendwann hatte er es nicht mehr ausgehalten und es einfach getan. Er hatte Ryou geküsst. Überraschenderweise hatte der Weißhaarige diesen Kuss erwidert.
 

Es war zwar Yugis erster Kuss gewesen, doch so besonders konnte er sich daran nicht erinnern. Aus dieser einzigen ungeplanten Berührung hatte sich eine Beziehung entwickelt. Eine, die von beiden Jungen geheim gehalten wurde.
 

Ryou war seine erste große Liebe. Er war der erste, dem er voll und ganz anvertraut hatte und nur durch ihn hatte sich Yugis Stil entwickelt. Wie dieser nämlich im Laufe ihrer Beziehung feststellte, stand der Weißhaarige auf „Bad Boys“. Deswegen stylte er Yugi nach seinen Vorlieben um. Dieser ließ es sich damals auch nur zu gern gefallen, ahmte Ryou ja mit den Lederklamotten nur den Stil ihrer beider Lieblingsband nach.
 

Die Heavy – Metal – Band hieß „The Thief’s“ und vor allem der Frontmann hatte es Ryou angetan. Sie hatten eine sehr schöne gemeinsame Zeit gehabt, bis Yugi auf die Idee gekommen war, ihm zu seinem sechzehnten Geburtstag Konzertkarten und einen Backstage – Pass zu schenken. An diesem Abend begann das Ende ihrer Beziehung…wie es so schön hieß.
 

Hinter der Bühne lernte Ryou nämlich Bakura kennen. Den Frontmann von „The Thief’s“. Zwischen den beiden knisterte es den ganzen Abend und am nächsten Tag stand der Sänger dann vor der Tür des Sechzehnjährigen. Ohne dass Yugi etwas davon erfuhr, trafen sich die Beiden immer häufiger. Sie gingen gemeinsam aus und unternahmen vieles zusammen. Irgendwann nach einigen Wochen erzählte der Weißhaarige ihm alles, denn er hatte sich in Bakura verliebt und wollte daher seine Beziehung zu Yugi beenden.
 

Es war seltsam, denn Yugi fühlte keinerlei Zorn – zumindest nicht im klassischen Sinne. Er war enttäuscht und verletzt. Nicht weil Ryou ihn als fester Freund betrogen hatte, sondern weil er ihn als bester Freund angelogen hatte. Dieser Vertrauensbruch hatte ihm sehr wehgetan. Wie hatte sein Freund ihm so etwas antun können? Doch was ihm am meisten zu schaffen machte, war dass der Weißhaarige ihm nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt hatte. Sie waren ja nicht nur ein Paar, sondern auch schon lange davor beste Freunde gewesen. Mit dem Ende der Beziehung hätte Yugi umgehen können. Das Ende ihrer Freundschaft, war schlimmer zu verkraften gewesen.
 

Yugi bereute es noch heute, dass er Ryou zum Abschied nur Schweigen entgegengebracht hatte, denn sein ehemals bester Freund hatte nach seinem Geständnis die Stadt mit Bakura verlassen. Wenn er ehrlich war, so spürte Yugi schon lange keinen Groll mehr wegen der kaputten Beziehung, denn er hatte die Beiden oft zusammen gesehen. Bei Interviews, bei öffentlichen Veranstaltungen und natürlich bei Konzerten. Der Sänger stand zu seinem Freund und hatte auch kein Problem damit, dass der Rest der Welt davon wusste. Yugi gönnte seinem Ex – Freund dieses Glück, auch wenn es ihn manchmal etwas traurig machte. Traurig deswegen, weil sein ältester Freund es nicht für nötig befunden hatte, ihm die Wahrheit zu sagen und weil Yugi sich selbst eine solche Beziehung wünschte.
 

Dieses eine Erlebnis, bei dem ein wirklich guter Freund sein Vertrauen missbraucht hatte, machte Yugi zu einem freiwilligen Außenseiter, da er es nicht mehr schaffte den Leuten in seiner Umgebung genügend Vertrauen entgegenzubringen.
 

Da der Biolehrer begann irgendein unwichtiges Diagramm an die Tafel zu zeichnen und einige wichtige Fakten zu dem besprochenem Thema – auch wenn keiner im Raum wusste, welches genau es war – daneben zu notieren, zückte auch der Punk seinen Stift, auf dem er bis vor Kurzem herumgekaut hatte. Mit einem Seufzer machte er sich daran das Tafelbild zu übertragen.
 

Das Abschreiben geschah schon fast mechanisch und das ewig monotone Gerede des Lehrers katapultierte Yugis Gedanken wieder in eine seiner Erinnerungen. An den Tag, als Yami neu in ihre Klasse kam. Nach seiner Trennung hatte er sich mit Tea angefreundet. Wobei…das Wort „angefreundet“ traf es eigentlich nicht wirklich. Das brünette Mädchen hatte sich irgendwann auf ihn gestürzt, als sie sah, dass der Teenager anscheinend Liebeskummer hatte. Je länger er so darüber nachdachte, desto mehr verglich er Tea mit einer Löwin, die sich auf das schwächste Tier im Rudel stürzte. Eigentlich ging es nicht um Yugis Liebeskummer, sondern nur um sie.
 

Yugi war ein viel zu freundlicher Mensch, denn er tolerierte das Mädchen und ihr sinnloses Geplapper. Warum sollte er sie auch vor den Kopf stoßen? Tea ging ihm zwar in neunzig Prozent der Fälle nur auf die Nerven, doch ihre schnell dahin geplapperten Nichtigkeiten lenken ihn in der ersten Zeit auch von seinem Verlust ab.
 

So war es auch zu der Zeit, als sie einen neuen Schüler in die Klasse bekommen sollten. Schon eine Woche vorher erzählte sie ihm, dass es ein Junge sein sollte und wie sehr sie hoffte, dass dieser gut aussehen würde. Den Rest der Klasse konnte man ja vergessen – was in der Übersetzung eigentlich nur hieß, dass sie von jedem einzelnen, männlichen Mitglied ihrer Altersstufe einen Korb bekommen hatte.
 

Als dann endlich der Tag kam, an dem Yami sich in der Klasse vorstellte, hoffte Yugi, dass nun endlich, das ständige Gelaber der Brünetten aufhören würde. Doch es passierte etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Er verliebte sich zum zweiten Mal in seinem Leben. Dieses Mal war es sogar noch viel intensiver als bei Ryou, denn diesmal traf ihn die Liebe wie ein Schlag ins Gesicht.
 

Yami war so etwas wie ein größeres Abbild seiner selbst. Die Frisur war die gleiche und das Lederoutfit stimmte auch eins zu eins mit Yugis überein. An Yami wirke es nur wesentlich cooler als an Yugi. Während Yamis einzigartigen rubinroten Katzenaugen, sein schlanker und athletischer Körper ihn wirken ließ, als wäre er der geboren Punk – Rocker und Rebell, wirkte das gleiche Outfit bei dem Kleineren, als hätte man einen Sonntagsschüler schlecht verkleidet.
 

Vom ersten Augenblick war der Violettäugige hin und weg. Es war als wäre die gesamte Luft elektrisch aufgeladen. Yugi hoffte, sein verträumter Blick und die Röte, die sein Gesicht immer zierte, wenn er den anderen Jungen ansah ihn nicht verraten würde. Nach der Pleite mit Ryou, fiel es ihm schwer jemandem zu vertrauen und zu seinen Gefühlen zu stehen.
 

Zu Yugis Verdruss labberte Tea ihn noch mehr zu. Sie wollte von ihm wissen, ob ihr das Kleid stand, das sie trug und ob es Yami eventuell gefallen würde. Sie erzählte ihm, wie unfair es war, dass so viele andere Mädchen sich für den Neuen interessierten.
 

Ein kalter Schauer rann seinen Rücken herunter und er musste sich schon fasst reflexartig schütteln, als er an das Gespräch von damals zurückdachte.

„Das ist sooo fies Yugi. Ich habe schon vor einer Woche gewusst, dass er zu uns kommt und alles Mögliche gemacht, um alles über den Neuen herauszufinden. Ich habe sogar extra im Mädchenklo randaliert, damit ich zum Direx ins Büro musste, nur um einen Blick in seine Akte zu werfen. Diese…diese hohlen Tussen hat das doch gar nicht interessierte der Typ doch gar nicht…aber jetzt wo sie sehen, dass er wirklich so heiß ist, wie ich erzählt habe…jetzt wollen sie auf einmal alle was von ihm. Schau sie dir doch nur an…wie sie ihn anhimmeln und sich an ihn ranschmeißen.“

„Ähm…Tea? Du hast randaliert?“ Natürlich war er so dumm gewesen zu fragen.

„Ja, hat sogar echt Spaß gemacht. Tracy, die dumme Kuh, die mir vor drei Monaten Hanso ausgespannt hat, war in einer der Toilettenkabinen, als ich angefangen habe die Spiegel zu Scherben zu verarbeiten. Ich glaube die hat den Schreck ihres Lebens bekommen“, meinte die Brünette mit einem diabolischen Grinsen.

„Aber hast du denn keinen Ärger dafür bekommen?“

„Doch. Am Anfang wollte Herr Toschi mich suspendieren, aber dann habe ich ihm was vorgeheult und jetzt habe ich nur zwei Mal die Woche Nachsitzen und ein Mal die Woche muss ich zum Schulpsychologen, aber das war es wert! Mit den Infos die ich über unseren Neuen habe, werde ich ihn mit Sicherheit für mich gewinnen.“

Das irrsinnige Glitzern in ihren Augen verfolgte Yugi noch heute in seinen schlimmsten Alpträumen.

Danach hatte Tea geredet ohne Punkt und Komma. Zwischendurch hatte sie dann doch ab und an mal inne gehalten, um Luft zu holen. Sie hat ihn nicht einmal richtig zu Wort kommen lassen und sich nur über die anderen Mädchen ausgelassen.
 

Wie sich später herausstellte, war Yami wirklich nett und zu dem tollen Aussehen, das Yugi von Anfang an fasziniert hatte, kam auch noch ein toller Charakter hinzu. Der neue Mitschüler war sportlich, kreativ und verstand sich auf Anhieb mit seinen neuen Mitschülern.
 

Nach einigen Tagen hatte sich Yami mit allen in der Klasse angefreundet. Mit allen bis auf Yugi, denn dieser hielt sich selbst außen vor. Selbst Tea, sie sonst immer gerne so tat als wäre sie seine beste Freundin ignorierte den Punk und setzte alles daran Yami zu umgarnen und zu erobern. Doch dass war den Violettäugigen so ziemlich egal. Er wusste, dass er anders war als die anderen Schüler. Er hatte schon eine sehr herbe Enttäuschung im Leben hinnehmen müssen und die starken Gefühl, die er Yami entgegenbrachte, ohne ihn wirklich näher zu kennen machten ihm Angst. Yugi hatte einfach eine fürchterliche Panik davor noch einmal verletzt zu werden.
 

Umso überraschter war er daher, als Yami das Gespräch mit ihm suchte. Der Ältere Junge fragte Yugi wo er denn seine Kleider kaufen würde.

Yugi konnte sich noch genau an den jedes einzelne Wort erinnern.
 

„Hey Kleiner…Yugi? Das ist doch dein Name? Wir haben uns ja noch nie unterhalten. Du siehst immer ein bisschen traurig aus, wenn du hier in den Pausen sitztst und liest…tut mir Leid, es geht mich wohl nichts an…“ Er schien nervös zu sein, denn er stotterte ein bisschen und lächelte auch ganz verlegen. Yugi konnte gar nicht richtig darauf antworten. Er schaute seinen Traummann nur verwirrt an und fragte sich warum dieser denn überhaupt mit ihm sprach. Yami wich seinem Blick nicht aus, sondern schaute mit diesen außergewöhnlichen Augen in die Seelenspiegel des Kleineren. Er lachte kurz und atemlos.

„Ich wollte eigentlich nur wissen, wo du dir deine Klamotten kaufst. Wir scheinen ja offensichtlich den gleichen Geschmack zu haben. Na ja, ich habe zu meinem Leidwesen noch keinen Geschäft entdeckt, in dem man die passenden Accessoires für meinen Look kaufen kann. Würdest…könntest du mir also vielleicht sagen, woher du dein cooles Nietenhalsband hast?“
 

Yami hatte diese Frage völlig ernst gemeint und versuchte nicht ihn zu verspotten oder Ähnliches. So entstand ihr erstes richtiges Gespräch. Aus diesem einen wurden viele mehr und schon nach kürzester Zeit waren sie die besten Freunde. Zwar hatte Yugi es geschafft sich der Blamage zu entziehen, Yami gestehen zu müssen, dass er das Halsband im ‚Haustierparadies’ kaufte, da es tatsächlich in ganz Domino keinen Laden gab, der so etwas führte, doch nun befand er sich in derselben Situation wie mit Ryou. Er war in seinen besten Freund verliebt.
 

Warum er trotzdem nochmals das Risiko eingehen wollte? Warum er Yami seine Gefühle beichten wollte?

Es war ein Entschluss, den er gefasst hatte, als er ein Live – Konzert von „The Thief’s“ gehört hatte. Es gab da einen Moment, als Bakura ihr neuestes Lied vorstellte und zärtlich ins Mikrofon sagte: „Diesen Song habe ich für die große Liebe meines Lebens geschrieben. Das ist nur für dich Ryou!“
 

Danach zeigten die Kameras eine Nahaufnahme von Yugis ehemaligem bestem Freund, wie dieser zu Tränen gerührt hinter der Bühne stand und lächelte. Er wirkte so glücklich. Das war der Moment, in dem Yugi beschloss, dass er selbst auch einmal solches Glück spüren wollte. Ihm war klar, dass er es wahrscheinlich nie fühlen würde, wenn er nicht aus sich herauskam und auch mal ein Risiko einging. Also wollte er es jetzt riskieren. Selbst ein Korb wäre besser, als die ewige Frage: „Was wäre passiert, wenn…“
 

Die Klingel läutete das Ende der ersten Stund ein. Yugi packte seine Sachen in die Schultasche und sah zum Fenster. Obwohl es erst kurz vor neun Uhr war, konnte man draußen bereits ein Hitzeflirren sehen und im Raum war es auch unangenehm heiß. Die Fenster zu öffnen lohnte sich nicht, da die Luft nicht zirkulieren würde.

Was sollte das noch für ein Schultag werden.
 

Gerade als sich Yugi dachte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, sah er Tea auf sich zukommen. Noch ehe er den Gedanken „Verdammt, was will sie jetzt schon wieder von mir“ zu Ende denken konnte, fing sie auch schon an zu reden.
 

„Yugi, du musst mir einen Gefallen tun. Es ist echt ganz wichtig“, forderte sie sofort mit weinerlicher Stimme. Noch bevor Yugi auf irgendeine Weise reagieren konnte, redete das Mädchen auch schon weiter.

„Weißt du, ich habe Yami heute auf ein Eis eingeladen, aber er hat zuerst ‚nein’ gesagt. Er ist zu schüchtern um direkt mit einem Mädchen zu daten…Gott ist das süß…“, brabbelte sie vor sich her. Der Ausdruck, den sie dabei auf dem Gesicht hatte, ließ sie nicht gerade intelligent wirken. Hätte Yugi sich nicht geräuspert, um endlich zu erfahren, was sie von ihm wollte, hätte es bestimmt nicht lange gedauert und sie hätte gesabbert.

„Wie kommst du darauf, dass er nur zu schüchtern dafür ist, vielleicht wollte er einfach nicht ausgehen“, fragte der Junge mit dem dreifarbigen Haar nach. „Na als ich zu ihm gesagt habe, dass du mitkommen würdest, weil es ja kein Date ist, war er sofort einverstanden. Deswegen glaube ich, er ist einfach nur schüchtern. Du verstehst dich doch so gut mit Yami, also begleitest du uns beide bis zur Eisdiele, bleibst da etwa fünfzehn Minuten und dann gehst du unter irgendeinem Vorwand und wir bleiben zu zweit noch da. Dann kann ich ihn endlich für mich gewinnen. Die anderen Mädchen hier werden schon sehen, was sie davon haben, sich mit Tea Gardner anzulegen. Denen werde ich einen Denkzettel verpassen! Yami und ich werden das tollste Paar überhaupt und alle anderen werden grün vor Neid werden…“
 

„Ich unterbreche deine Traumvorstellungen nur sehr ungern“, meldete sich Yugi zu Wort, „aber ich habe meinem Großvater versprochen, ihm bei der Inventur des Ladens zu helfen. Ich kann nicht mitkommen.“

Auch wenn es der Wahrheit entsprach, so gab es noch einen zweiten Grund dafür, dass er nicht mitkommen wollte. Tea machte ihm Angst. Sie war wie eine wild gewordene Psychopatin, die gerade aus der Anstalt entkommen war und nun ihre Freiheit genoss, in dem sie hilflose Menschen terrorisierte.
 

„Ach komm schon Yugi. Dein Großvater kann das auch allein. Das ist lebenswichtig. Außerdem bleibst du ja nicht lange…“

Tea wartete seine Antwort nicht ab, sondern ging zu ihrem Platz zurück. Im gehen drehte sie sich noch mal um und meinte: „Geh du doch einfach mit ihm vor. Ich sprinte nachher nur schnell nach Hause und ziehe mich um. Diese Uniform ist nicht gerade chic.“ Dabei deutete sie auf den rosafarbenen Blazer.
 

Yugi öffnete den Mund um zu widersprechen, doch das erneute Klingeln unterbrach ihn sofort.
 

********************
 

Die zweite Stunde war zu Ende. Alle packten ihre Sachen, da die Lehrer an diesem höllisch heißen Tag – das Thermometer zeigte bereits jetzt knappe 42° Celsius* – Erbarmen gezeigt hatten und die Schule nach der zweiten Unterrichtsstunde beendeten. ‚Hitzefrei’* hieß das Wort des Tages.
 

Die Klasse war bereits fast leer, als Yami an den Tisch seines kleineren Ebenbilds kam und diesen fragte: „In welche Eisdiele wollen wir denn gehen? Tea hat mir ausgerichtet, wir könnten vorgehen. Sie wollte noch nach Hause, um sich umzuziehen.“ Er lächelte Yugi dabei ganz sanft an.
 

Dieser schluckte hart. Er wollte auf diese Frage nicht eingehen. Stattdessen würde er Yami endlich sagen, was er schon den ganzen Tag vorhatte ihm zu gestehen.
 

„Yami, ich muss dir etwas sagen…“

Der Angesprochene sah Yugi erwartungsvoll an. Der Kleinere holte noch einmal tief Luft, dann sagte er: „Ich…“
 

„Yaaaaaaaamiiiii“, gellte ein schriller Schrei durch den Raum. Tea kam hereingestürmt. Die Jungs schauten verdattert drein. Eigentlich sollte das Mädchen unterwegs zu ihrem Haus sein. Keiner von beiden hätte damit gerechnet, sie hier noch zu treffen.
 

„Ich war schon unterwegs Heim, als mir einfiel, dass ich dich fragen wollte, ob ich lieber einen Rock oder ein Kleid anziehen sollte. Was würde dir besser gefallen?“

„Zieh dir an, was dir am Besten gefällt. Ich bin mir sicher beides steht dir gut“, antwortete Yami ruhig.
 

Das Mädchen nickte kurz und verschwand aus der Tür.

„Also was wolltest du gerade sagen?“

„Ich wollte etwas wicht…“

„Yami, was ist deine Lieblingsfarbe?“, hörten sie wieder Teas Stimme. Beide Jungs starrten zur Tür, wo eine dümmlich grinsende Tea stand.

„Warum fragst du?“

„Ich wollte nur etwas in deiner Lieblingsfarbe tragen“, antwortete die Brünette.

„Zieh doch einfach an, was auch immer du willst. Ich bin sicher es steht dir“, lächelte Yami in die Richtung des Mädchens und folgte ihr, bis sie wieder aus der Tür verschwunden war.
 

„Also noch mal von vorne, würde ich sagen.“

Yugi sah Yami an. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Er war sauer. Sauer auf Tea. Dieses Mädchen schaffte es echt in fast jeder Situation das falsche Timing zu haben. Er atmete daher noch einmal tief durch und probierte es noch einmal.

„Ich wo…“
 

„Yami?“

Wieder Tea. Die Augen des Kleineren begannen zu funkeln vor Zorn.

„Was ist denn noch Tea?“, fragte der Angesprochene ruhig und sanft nach. Yugis Blick wanderte zu Yami. Wie konnte der nur so ruhig bleiben? Das war doch nicht normal! Schockiert wurde sich Yugi des sanften, fast zärtlichen Blickes bewusst, mit dem der Größere das Mädchen betrachtete. In den rubinroten Katzenaugen zeigte sich ein Funkeln, welches Yugi noch zu gut von Ryou kannte. Dieses Blitzen in den Augen hatte er immer dann, wenn er die Bilder von Bakura betrachtet hatte oder über den Sänger geredet hatte.
 

War es möglich? War Yami vielleicht doch in die Brünette verknallt und einfach nur zu schüchtern?

Jäh wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als die penetrante Stimme von Tea zu Yami meinte: „Yugi wird dich zu der Eisdiele bringen. Der Name ist ‚Café Piccolino’. Da haben die das beste Eis. Yugi weiß, wo es ist…“
 

Da wurde es dem Jungen mit dem dreifarbigen Haar zu bunt. All der Zorn, weil er ständig unterbrochen worden war und die herbe Enttäuschung darüber, dass seine Gefühle wieder nicht erwidert wurden bahnten sich ihren Weg an die Oberfläche.
 

„Wir sehen uns dann da…“, verabschiedete sich Tea zum vierten Mal und wolle aus der Tür gehen.

„NEIN DAS WERDEN WIR NICHT!“, rief Yugi wutentbrannt. In seinem Zorn schlug er mit einer geballten Faust gegen die Tischplatte, dass dieser begann zu wackeln. „VERDAMMT TEA, HÖRST DU ÜBERHAUPT ZU, WENN MAN MIT REDET ODER STELLST DU AUTOMATISCH AUF DURCHZUG, WENN JEMAND ANDERES ALS DU REDET. ICH HABE DIR GESAGT, DASS ICH HEUTE ETWAS ANDERES VORHABE, ALS DIR BEI DEINEN PEINLICHEN FLIRTVERSUCHEN ZUZUSEHEN! DU HÄTTEST MICH VIELLEICHT VORHER FRAGEN SOLLEN, BEVOR DU EINFACH SO BESTIMMST, DASS ICH MITKOMME“, schrie er dem nervigen Mädchen entgegen. Yugi schulterte seine Tasche und funkelte die Brünette nochmals an, bevor er aus dem Raum schritt.
 

Hinter sich konnte er noch ein „Aber Yugi“ hören, dass eindeutig nur von Yami kommen konnte, denn Tea war so überrascht gewesen von seinem Ausbruch, dass sie mit offenen Mund und wie erstarrt dastand.
 

Yugi reagierte nicht auf das Rufen, denn die Tränen brannten ihn schon in den Augen. Er wollte sich nicht umdrehen. Wollte nicht das Gesicht seines Traummannes sehen. Er wollte nicht dass Yami ihn weinen sah. Das Einzige, was er wollte, war sich in sein Zimmer – in sein Bett – zu verkriechen und sein Kopfkissen vollzuheulen.
 

Wieso war es ihm nicht vergönnt glücklich zu sein?

Vielleicht war es ja besser, dass Tea sie andauernd unterbrochen hatte. Es wäre bestimmt schlimmer gewesen, wenn er erst nach seinem Geständnis erfahren hätte, dass Yami diese Nervensäge liebte. Yugi wischte sich mit der Hand über die Augen und lächelte bitter. Er war eindeutig nicht vom Glück gesegnet.

Unterbrechungen (Yamis Wahrnehmung)

Kapitel 2: Unterbrechungen (Yamis Wahrnehmung
 

In einem halsbrecherischen Tempo jagte Yami durch den Schulflur zu seiner Klasse. Eigentlich interessierte es den Jungen mit der auffälligen Frisur nicht, ob er zu spät zum Unterricht kommen würde oder nicht, doch seit einiger Zeit kam er immer überpünktlich in die Schule. Der Grund dafür war einer seiner Mitschüler. Yugi Muto.
 

Seit dem er es geschafft hatte, sich mit dem ruhigen Jungen anzufreunden, versuchte er so viel Zeit wie möglich mit diesem zu verbringen. Die Minuten vor Unterrichtsbeginn eigneten sich am besten dafür, denn sie waren am ruhigsten. Keine anstrengenden Lehrer, die bis in die Pausen überzogen oder diese einfach verkürzten, um mit ihrem Stoff voranzukommen. Keine lauten Mitschüler. Kein Haufen wild gewordener Mädchen, die ihn mit Fragen bombardierten, aber vor allem – und das war das Beste – KEINE nervtötende Tea Gardner, die mit ihrer schrillen Stimme sein Trommelfell fast zum platzen brachte.
 

Die ersten fünf Minuten, die Yami mit Yugi jeden Morgen in der Klasse verbrachte, waren sie ganz unter sich und das gefiel dem Siebzehnjährigen. Sie unterhielten sich dann über Gott und die Welt und der Kleinere war wesentlich offener und irgendwie befreit. Leider hatte es Yami an diesen Morgen, wegen seines dämlichen Weckers, nicht geschafft rechtzeitig aus den Federn zu kommen. So musste er also auf ein Gespräch mit dem Violettäugigen unter vier Augen verzichten.
 

„Ob Yugi überhaupt weiß, wie sehr ich diese ungestörten Momente mit ihm genieße?“, schoss es Yami durch den Kopf, als er pünktlich mit dem Klingeln in die Klasse schlitterte. Fast schon automatisch wanderte sein Blick zu dem Tisch seines kleineren Ebenbilds. Genau in diesem Moment hob Yugi seinen Kopf und schaute in Yamis rubinrote Augen. Dieser konnte nicht anders und lächelte fröhlich zur Begrüßung, als er zu seinem Platz ging.
 

Es war schon seltsam: Kaum sah er den Kleineren, schon hob sich seine Laune und er hatte das Bedürfnis die ganze Welt zu umarmen. Der bunthaarige Junge setzte sich an seinen Tisch und packte seine Sachen aus.
 

Eigentlich hatte es seine Vorteile, so kurz vor Unterrichtsbeginn aufzutauchen. Es ersparte ihm zum Beispiel die Horde der Mädchen, die ihn auf ein Date einladen wollten. Yami fragte sich nicht zum ersten Mal, wie oft man eine Abfuhr kassieren konnte, bis es endlich anfing zu dämmern, das der Gefragte wirklich kein Interesse hatte.
 

Am schlimmsten von all diesen Girlys, war aber Tea Gardner. Er konnte jetzt schon ihren bohrenden Blick im Rücken spüren. Das Mädchen saß schräg hinter ihm. In einer dunkleren Ecke der Klasse. Es schien so, als hätte der Lehrer, der die Sitzordnung gemacht hatte, daran gedacht, den anderen Pädagogen und den Schülern die nervtötende Präsenz des Mädchens so gut wie möglich zu ersparen.
 

Mit Mühe schaffte er es, das Erschauern zu unterdrücken, welches die gewöhnliche Reaktion seinerseits auf diesen Blick war. Schon jetzt wusste Yami, dass Tea ihm spätestens in der nächsten Pause auf den Keks gehen würde, wenn sie nicht versuchen würde ihm schon während des Unterrichts Zettelchen zukommen zu lassen. Doch nach der Blamage vom letzten Mal, als der Lehrer eine dieser ‚wichtigen’ Nachrichten entdeckt und laut vorgelesen hatte, zweifelte Yami eigentlich daran.
 

Der Biolehrer betrat den Raum und der Punk war noch nie im Leben so glücklich darüber gewesen, sich mit Lernstoff ablenken zu können. Er hatte nur nicht damit gerechnet, wie einschläfernd die Stimme des Lehrers war. Bereits nach einer halben Minute war das Einzige was er hörte, wenn er zu der Tafel sah, nur „bla bla bla“.

Da es sowieso keinen Sinn machte, dem endlosen Geschwafel zuzuhören, wechselte Yami zu seiner Lieblingsbeschäftigung über: Yugi beobachten.
 

Der Junge mit den markanten roten Augen sah von seinem Platz aus nur den Haarschopf des Kleineren, der seinem eigenem so sehr glich.

Wieder wurde ihm klar, wie sehr er Yugi doch mochte. Nein, dass war nicht ganz richtig, er mochte ihn nicht nur. Da war viel mehr.
 

War es narzisstisch, sich für jemanden zu interessieren, der einem selbst so ähnlich war? Wahrscheinlich! Doch dass sich ihr Style so glich, hatte den Grund, dass sie beide Fans derselben Band waren.

Yami wusste zwar, dass Yugi dieses Outfit trug, weil es eine tiefere Bedeutung für den Jungen hatte – und er ahnte auch welche es war – doch gab es dem Rotäugigen trotzdem das Gefühl, auf eine Art mit dem Kleineren verbunden zu sein.
 

„Ob Yugi sich wohl irgendwann daran erinnern wird, dass wir uns bereits getroffen haben, bevor ich in diese Klasse kam?“, sinnierte der Größere, während er dabei zusah, wie der Mittelpunkt seiner jetzigen Aufmerksamkeit begann das Tafelbild abzuzeichnen.

„Ich werde mir wohl mal seine Aufzeichnungen leihen müssen“, dachte sich Yami mit einem breiten Grinsen. Sah er doch darin die perfekte Möglichkeit um noch etwas mehr Zeit mit Yugi zu verbringen. Mit etwas Glück würde der Kleine ihn auch mal zu sich nach Hause einladen, denn obwohl sie mittlerweile Freunde waren, hatte Yugi das noch nicht getan. Natürlich wusste Yami, dass der Kleinere mit seinem Großvater in einer Wohnung über den familieneigenen Spielegeschäft wohnte und auch wo genau sich dieser befand, doch so richtig eingeladen hatte Yugi ihn noch nie.
 

Mit einem lautlosen Seufzer erinnerte sich Yami an den Tag, an dem er Yugi zum ersten Mal begegnet war. Das wirkliche erste Mal, nicht der Moment, als er in der Klasse stand und den anderen Schülern vorgestellt wurde. Wie schon bei ihrer ersten Begegnung viel ihm der Junge mit den sanften violetten Augen sofort auf. Er war enttäuscht, dass dieser sich nicht daran erinnern konnte, wer er war, wo doch für ihn jede Sekunde ihrer ersten Begegnung so unvergesslich war.
 

Yami hatte damals seinen Vater – den Manager eines größeren Automobilherstellers – zu einer Geschäftsreise nach Japan begleiten dürfen. Da der Termin von Mister King zufälligerweise in Domino City stattfand, hatte er seinen Sohn dahin mitgenommen, damit dieser seine Lieblingsband einmal live erleben durfte. Sein Vater war alleinerziehend, daher hatte er immer ein schlechtes Gewissen, wenn er, seiner Meinung nach, nicht genug Zeit für seinen Sohn hatte und dem entsprechend groß fielen dann auch die Entschädigungsgeschenke aus.
 

Yami konnte sich noch all zu gut an die Vorfreude und die Aufregung erinnern, bevor er vor der Bühne stand und die ersten Akkorde der Gitarre hörte. „The Thief’s“ waren zwar schon live ein Erlebnis für sich, doch alles, was er bis dahin für einmalig gehalten hatte trat in den Schatten, als er während einer Konzertpause praktisch über Yugi stolperte. Er hatte sich gerade eine Flasche Wasser bei einem der zahlreichen Stände gekauft und war auf dem Weg zurück in die riesige Menschenmenge, als er plötzlich gegen etwas prallte.
 

Yami konnte sich zwar selbst noch vor einem Sturz bewahren, doch das – oder in dem Fall der – gegen den er geprallt war, landete auf dem Boden. Als der damals Sechzehnjährige sich einigermaßen gefangen hatte, sah er sich die Person an, die vor ihm auf dem Boden saß.
 

Verwirrt dreinschauende, riesige, violette Augen waren das erste was er sah und vom ersten Moment an fesselten sie Yami. Als seine Augen dann weiterschweiften und die kleine, gerade Nase, die geröteten Wangen und den sanft geschwungenen Mund sah, war es um ihn geschähen. Er half dem Kleinen auf die Beine und bekam dafür ein strahlendes Lächeln geschenkt. Yamis Herz schlug ihm in dieser Sekunde bis zum Hals und als er dann das leise gehauchte „Danke“ hörte, war für ihn klar, dass er diesen niedlichen Jungen unbedingt kennen lernen wollte. Ironischer Weise versagte ihm gerade in diesem Augenblick die Stimme und der Punk konnte nur noch hinterher schauen, als sich die zierliche Gestalt des damals Unbekannten, aus seinem Blickfeld verschwand.
 

Erst dann kam Yami überhaupt auf die Idee, dem anderen zu folgen. Zuerst ging es zu dem Stand, an dem Yami vorher gewesen war. Der unbekannte Junge holte zwei Flaschen Limo und ging dann fast sofort wieder zurück in die Menschenmenge. Er folgte dem Kleineren, immer auf einen Moment achtend, in dem er diesen am besten ansprechen konnte. Der Junge hatte sich bis zu einem bestimmten Platz durchgekämpft und Yami stand genau hinter ihm. Er wollte dem Unbekannten gerade auf die Schulter tippen, als dieser, einem anderen Jungen, mit weißem Haar und braunen Augen einen innigen Kuss aufdrückte und ihm eine der beide Flaschen reichte. Selbst durch den Lärm hindurch konnte er den süßen Jungen fragen hören: „Na, wie gefällt dir denn bis jetzt dein Geburtstag?“ Auf die Antwort des anderen achtete er gar nicht.
 

Yami hatte kurzzeitig das Gefühl gehabt er würde den Boden unter den Füßen verlieren und fallen. Tief fallen. Was hatte er auch anderes erwartet? Natürlich musste so ein niedlicher und unschuldig wirkender Mensch schon lange vergeben sein! Er blieb an der Stelle stehen, an der er sich befand. Direkt hinter denjenigen, der es binnen Sekunden geschafft hatte sein Herz zu erobern. Auf die Band achtete Yami nicht mehr, er hatte nur noch Augen für sein jüngeres Ebenbild.
 

Jede Zärtlichkeit, die dieser mit seinem Freund austauschte, traf ihn wie ein Stich mitten ins Herz und trotzdem wand er nicht ein einziges Mal den Blick ab, aus Angst auch nur die kleinste Veränderung in der Mimik oder Gestik zu verpassen.
 

Als sein Vater ihn dann am nächsten Tag fragte, wie denn das Konzert gewesen war, wusste Yami nicht genau, wie er antworten sollte, denn es war gleichzeitig der tollste und der schrecklichste Abend seines Lebens. Der tollste, weil er sich sicher war, jemanden kennen gelernt zu haben, mit dem er glücklich werden könnte und der schrecklichste, weil diese schon vergeben war und er den Jungen wahrscheinlich nie wieder sehen würde. Am Ende erzählte er seinem Vater dann alles und dieser zeigte Verständnis. Er wusste, dass sein Sohn schwul war und auch wenn er am Anfang Probleme hatte es zu akzeptieren, so stand er heute voll und ganz hinter Yami. Wen oder was er liebte, änderte ja nichts daran, dass er ein Sohn war, auf den man stolz sein konnte.
 

So versuchte er Yami zu trösten, doch so ganz gelang ihm das nicht, denn dieser war nicht in der Lage diesen Unbekannten zu vergessen. Sein Vater schien sich wirklich Sorgen zu machen, daher war Yami auch immer noch nicht sicher, ob er den Job, hier in der Filiale seiner Firma in Domino, nur angenommen hatte, weil das die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass er diesen Unbekannten vom Konzert wiedertraf.
 

So ganz daran geglaubt hatte Yami nicht, doch nachdem er vor ihrem Umzug einige Interviews mit Bakura, dem Sänger von „“The Thief’s“ gesehen hatte und dieser sich dort ganz offen zu seiner Homosexualität und seinem Freund Ryou bekannte, keimte wieder Hoffnung in ihm auf. Der Junge, der dort als der Partner des Sängers vorgestellt wurde, war derselbe Weißhaarige, der mit seinem Traummann auf diesen Konzert gewesen war. Als dann auch noch erzählt wurde, dass die Beiden sich genau an diesem Abend kennen gelernt hatten, war sich Yami mehr als sicher. Er begann sich darauf zu freuen, nach Domino zu ziehen und für ihn stand fest, dass er alles in seinen Kräften stehende tun würde, um diesen Jungen zu finden und für sich zu gewinnen.
 

„Das Schicksal schien es gut mit mir zu meinen“, dachte sich der Rotäugige, „wenn man bedenkt, dass ich genau auf diese Schule gekommen bin und dann auch noch direkt in Yugis Klasse!“

Er sah hinüber zu dem Platz, an dem der Mittelpunkt seiner Gedanken saß. Ein Schauer durchzog den zierlichen Körper und Yami kam nicht umhin, sich zu fragen, woran er gerade dachte. Da er aber wohl auf eine Antwort verzichten musste – zumindest so lange, wie sie noch im Unterricht saßen – dachte er viel lieber an den Tag zurück, an dem er Yugi endlich wieder gesehen hatte.
 

Er betrat die Klasse und stellte sich neben das Lehrerpult. Alle Augen waren auf ihn gerichtet und der junge Punk konnte das Aufseufzen einiger Mädchen hören, doch das alles interessierte ihn nicht. Bei seinem kurzen Blick durch die Klasse, hatte er sofort die Person entdeckt, die ihm schon so lange im Kopf herumspukte. Diese herrlichen violetten Augen würde er überall wieder erkennen. Zwar war ihr erstes Treffen mittlerweile fast vier Monate her gewesen, doch der Kleine hatte sich überhaupt nicht verändert. Nun, zumindest nicht äußerlich.
 

Da war dieser Ausdruck in den außergewöhnlichen Seelenspiegeln, der von tiefer Trauer zeugte. Hatte er diesen weißhaarigen Typen wirklich so sehr geliebt? Kam er über dessen Verlust so schwer hinweg? Sollte das, was er in den Interviews gehörte hatte, wahr sein, so hatte sich Yugis Ex – Freund bei diesem Konzert in Bakura verliebt und wenn das stimmte, dann war das Leben mehr als nur ironisch, denn wer denkt schon daran jemanden so zu verlieren?

Allem Anschein nach hatte Yugi ja damals die Karten für das Konzert besorgt. Als Geburtstagsgeschenk. So viel hatte sich Yami dann doch aus dem Gespräch, das er damals belauscht hatte, zusammenreimen können.
 

Auch wenn er beleidigt gewesen war, dass Yugi sich nicht mehr an ihn erinnerte oder ihn wieder erkannte, so musste er sich eingestehen, dass er das von ihm ja auch nicht erwarten konnte, immerhin war der Kleine ja damals in einer festen und allem Anschein nach, auch glücklichen Beziehung gewesen.
 

Von dem Moment an, als ihm das wirklich bewusst wurde, entschloss er sich den schüchternen Jungen dazu zu bringen, sich in ihn zu verlieben. Zu Beginn wollte er dem Schicksal seinen Lauf nehmen lassen, doch diese Idee verwarf er spätestens dann, als er sich nach etwa einem Monat in der Schule mit fast jedem angefreundet hatte, außer mit demjenigen, auf dessen Freundschaft er so gehofft hatte. Daher änderte er seinen Plan.
 

Doch was hatte er auch erwartet. Schon damals auf dem Konzert hatte Yugi auf ihn den Eindruck eines schüchternen und ruhigen Menschen gemacht. War es da verwunderlich, dass er sich außen vor hielt? Was Yami jedoch etwas stutzig machte, war die Tatsache, dass der Kleine anscheinend mit niemandem befreundet war. Er saß immer allein und machte auch nicht den Eindruck, als wollte er daran etwas ändern. Immer verkroch er sich in einem Buch oder einer Zeitschrift und dieser traurige Ausdruck in seinen Augen verschwand auch niemals. Nicht ein einziges Mal sah Yami sein Ebenbild lächeln, dabei wusste er doch wie schön dieses war. Es brachte das süße Gesicht richtig zum strahlen.
 

So entschloss Yami nach einem altbekannten Spruch zu handeln: ‚Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg’.

Also ging er auf Yugi zu und sprach ihn an. Er nutzte dabei die mehr als fadenscheinige Erklärung, er wolle sich erkundigen, woher Yugi seine Klamotten herbekam. Eigentlich interessierte es ihn nicht wirklich, doch irgendwo musste man ja einen Ansatz für ein Gespräch finden.
 

Sie freundeten sich dann auch relativ schnell an, doch Yami brannte eine Frage auf der Seele: Was war genau passiert, nachdem sie sich begegnet waren? Es schien ihm nicht so, als ob Yugi seinem Ex nachtrauern würde. Es war etwas anderes, was ihn so tief verletzt hatte und der Punk war entschlossen herauszufinden was es war.

Tea Gardner – die Nervensäge vom Dienst und sein persönlicher Stalker – half ihm dabei ohne es mitzubekommen. Von ihr erfuhr Yami, dass Ryou und Yugi vorher die besten Freunde gewesen waren, zumindest bis sich herausstellte, dass Ryou schwul war.

„Und wer hätte gedacht, dass der kleine Zwerg sich gleich einen berühmten Sänger schnappt“, hörte er in Gedanken immer noch die laute Stimme des Mädchens. „Es wusste also niemand, dass Yugi und der Weißhaarige nicht nur beste Freund waren…“, schlussfolgerte Yami nach dieser Aussage. So wie es schien, war der kleine Fast – Albino direkt nach dem Bekannt werden seiner Beziehung zu Bakura weggezogen.
 

Das Pausenklingeln riss den Jungen aus seinen Gedanken. Er starrte auf ein völlig leeres Blatt und hätte nicht sagen können, was im Unterricht behandelt wurde, selbst wenn sein Leben davon abgehangen hätte. Ein berechnendes Grinsen schlich sich auf sein Gesicht.

„Tja, sieht so aus als ob ich Yugi wirklich wegen seiner Aufzeichnungen belästigen müsste“, dachte er sich.
 

So schnell wie das Grinsen auf seinem Gesicht aufgetaucht war, so schnell verschwand es auch wieder, als er hochblickte und direkt in die blauen Augen seines höchstpersönlichen Stalkers schaute. Tea hatte sich mit einem fast irrsinnig wirkenden Lächeln aufgebaut.
 

„Hi Yami“, begrüßte sie ihn mit ihrer schrillen Stimme. „Du warst heute aber spät dran…ist was passiert?“

„Ähm…n…nein. Habe nur den Wecker nicht gehört“, antwortete er stockend, während sein Herz versuchte, sich von dem Schock ihres plötzlichen Auftauchens zu erholen. Eigentlich hätte er ihr gerne gesagt, dass sie sich dahin verziehen möge, wo der Pfeffer wächst, doch sie war die Einzige, zu der Yugi zumindest ab und an mal Kontakt hatte und von daher war sie seine einzige Informationsquelle, denn der Kleine erzählte ihm noch lange nicht alles, was in ihm vorging.
 

„Duuuu….“, begann Tea lang gezogen wieder zu reden. „Heute ist es ja verdammt heiß draußen, da wollte ich dich fragen, ob du nicht mit mir ein Eis essen gehen willst. Es gibt so viele tolle….“

„Tut mir Leid Tea“, unterbrach er sie schnell, „aber ich kenn mich in der Stadt nicht so toll aus und außerdem ist es mir unangenehm so ganz allein mit einem Mädchen…“, log er das sich die Balken bogen. Das Letzte worauf Yami heute Lust hatte, war mit dieser Nervensäge alleine irgendwo hin zu gehen.
 

„Vielleicht wäre es gar nicht mal so schlecht, wenn ich zu Yugi gehen würde, ihm sagen würde, was ich für ihn fühle und ihn dann einfach in Grund und Boden knutschen würde. Ich würde darauf wetten, dann würde sie endlich raffen, dass ich überhaupt nicht an ihr interessiert bin und mit etwas Glück wäre das der Denkzettel, den sie braucht, um normal zu werden…“, sinnierte Yami im Stillen. Oh ja, das wäre eine Sache, die er gerne einmal ausprobieren würde.
 

„Aber wir wären gar nicht allein“, meldete sich Tea wieder zu Wort. „Yugi kommt ja auch mit.“

Das ließ den Angesprochenen nun aufhorchen. Schnell sah er zu dem Kleineren. Das wäre mal wieder eine Möglichkeit mit ihm zu reden. Yugi wirkte heute irgendwie angespannt und nervös, dass konnte Yami an seiner Körperhaltung sehen und er wollte nur zu gerne den Grund dafür wissen. Ohne weiter zu überlegen sagte er: „Okay, dann komm ich mit. Wann und wo?“

„Nach dem Unterricht und wo entscheiden wir dann später, wenn es soweit ist“, quietschte sie. Er nickte nur noch zustimmend und sah wie sie zu Yugis Tisch ging und begann mit ihm zu reden. Yami konnte sich schon denken, dass sie ihn erst jetzt darum bitten würde mitzukommen, dass war ihm aber egal, denn er wollte unbedingt mit dem Violettäugigen reden und der Zweck heiligte ja bekanntlich die Mittel.
 

********************
 

Die zweite Stunde war zu Ende. Wegen der ungewöhnlichen Hitze an diesem Tag war die Schule nach der zweiten Stunde beendet worden. Yami war sehr froh darüber, denn jetzt hatte er den restlichen Tag, um sich mit Yugi bei einem leckeren Eis zu unterhalten. Dass Tea dabei sein würde störte ihn zwar ein wenig, aber zumindest etwas Zeit hatten sie zu Zweit.

In der vorherigen Stunde war nämlich ein Zettel auf seinem Pult gelandet, auf dem sie ihm mitteilte, dass er und Yugi ja vorgehen sollten, weil sie sich noch umziehen wollte. Zu seinem Glück war sie auch direkt mit dem Schlussklingeln aus den Raum verschwunden und wahrscheinlich auf dem Weg zu sich nach Hause.
 

Die Klasse war bereits fast leer, als Yami an den Tisch seines kleineren Ebenbilds kam und diesen fragte: „In welche Eisdiele wollen wir denn gehen? Tea hat mir ausgerichtet, wir könnten vorgehen. Sie wollte noch nach Hause, um sich umzuziehen.“ Das sanfte Lächeln, das dabei seine Lippen zierte, kam wie immer automatisch, wenn er in diese Augen sah.
 

Yami sah den Kleineren hart schlucken. Er zögerte etwas und als er begann zu sprechen, ignorierte er die gestellte Frage. Es schien so, als wollte er ihm etwas sagen, was ihm wirklich auf dem Herzen lag.
 

„Yami, ich muss dir etwas sagen…“

Der Rotäugige konnte nicht umhin, Yugi erwartungsvoll anzusehen. Ohne einen wirklichen Grund dafür zu haben, fing sein Herz an, in einem wilden Tempo zu schlagen. Konnte er hoffen? War es möglich, dass…?

„Oh bitte, oh bitte…lass ihn bitte sagen, was ich wirklich von ihm hören will“, bettelte Yami innerlich ohne zu wissen zu wem.

„Ich…“, hauchte Yugi.
 

„Yaaaaaaaamiiiii“, gellte ein schriller Schrei durch den Raum. Tea kam hereingestürmt. Yami starrte sie einen Moment lang verdutzt an, nur um dann festzustellen, dass sein kleineres Ebenbild genau diesen Ausdruck nachahmte.

„Was sucht dieser Störfaktor noch hier?“, schoss es dem Größeren der beiden Jungs durch den Kopf.
 

„Ich war schon unterwegs Heim, als mir einfiel, dass ich dich fragen wollte, ob ich lieber einen Rock oder ein Kleid anziehen sollte. Was würde dir besser gefallen?“

„Zieh dir an, was dir am Besten gefällt. Ich bin mir sicher beides steht dir gut“, antwortete Yami ruhig.
 

Das Mädchen nickte kurz und verschwand aus der Tür.

„Also was wolltest du gerade sagen?“, fragte er neugierig. Jetzt wollte er es aber wirklich hören.

„Ich wollte etwas wicht…“

„Yami, was ist deine Lieblingsfarbe?“, hörten sie wieder Teas Stimme. Yami sah genervt zur Tür.

„Warum fragst du?“

„Ich wollte nur etwas in deiner Lieblingsfarbe tragen“, antwortete die Brünette.

„Zieh doch einfach an, was auch immer du willst. Ich bin sicher es steht dir“, lächelte Yami mit aufgesetzter Höfflichkeit. Es wäre bestimmt nicht so gut, jetzt die Nerven zu verlieren. Er folgte ihr, bis sie wieder aus der Tür verschwunden war. Es fiel ihm schwer noch zu lächeln, wo er ihr am liebsten den Mund mit dem Tafelschwamm gestopft hätte und einfach die Tür hinter ihr zugeschlagen hätte.
 

„Also noch mal von vorne, würde ich sagen.“

Kaum schaute er zu Yugi, war seine Wut verflogen. Diese Wirkung hatte der Kleine immer auf ihn. In seiner Nähe fühlte sich Yami einfach nur wohl und war glücklich. Doch der ältere der Beiden stutzte leicht. Yugi ballte seine Hände zu Fäusten? Seine gesamte Körperhaltung zeigte Wut. Was war denn nun los?

„Ich wo…“, begann er nun zum dritten Mal.
 

„Yami?“

Wieder Tea. Die Augen des Kleineren begannen zu funkeln vor Zorn und Yami sah diesem Phänomen fasziniert zu.

„Was ist denn noch Tea?“, fragte der Angesprochene ruhig und sanft nach, während er seinem inneren Auge Yugis Bild vorgaukelte, als er zu Tea sah. Nur so gelang es ihm gelassen zu bleiben und das Mädchen nicht am Kragen zu packen und durch das Fenster zu befördern. Er spürte Yugis Blick auf sich ruhen, doch dachte Yami sich nichts dabei. Er war viel zu beschäftigt damit, möglichst über die brünette Nervensäge hinweg zu schauen und sich den Nachmittag ganz alleine mit Yugi vorzustellen. Er hoffte, dass sein Gesicht dabei nicht wieder dieses dümmliche, halb senile Lächeln zeigte, von dem er wusste, dass es immer auf seinem Gesicht zu sehen war, wenn er an den Violettäugigen dachte.
 

So hörte der Punk die Worte des Mädchens auch nur wie durch Nebel.

„Yugi wird dich zu der Eisdiele bringen. Der Name ist ‚Café Piccolino’. Da haben die das beste Eis. Yugi weiß, wo es ist…wir sehen uns dann da…“, verabschiedete sich Tea und wolle aus der Tür gehen.
 

Yami zuckte zusammen, als die sonst so ruhige Stimme des Erwähnten auf einmal mit ungewohnter Lautstärke durch den Raum hallte.
 

„NEIN DAS WERDEN WIR NICHT!“, rief Yugi wutentbrannt. Fasziniert beobachtete Yami, wie er mit der geballten Faust so heftig auf den Tisch schlug, dass dieser wackelte. „VERDAMMT TEA, HÖRST DU ÜBERHAUPT ZU, WENN MAN MIT DIR REDET ODER STELLST DU AUTOMATISCH AUF DURCHZUG, WENN JEMAND ANDERES ALS DU REDET. ICH HABE DIR GESAGT, DASS ICH HEUTE ETWAS ANDERES VORHABE, ALS DIR BEI DEINEN PEINLICHEN FLIRTVERSUCHEN ZUZUSEHEN! DU HÄTTEST MICH VIELLEICHT VORHER FRAGEN SOLLEN, BEVOR DU EINFACH SO BESTIMMST, DASS ICH MITKOMME“, schrie er dem nervigen Mädchen entgegen. Der Rotäugige war von dem Ausbruch so geschockt, dass er im ersten Moment nur zusehen konnte, wie Yugi seine Tasche schulterte und den Raum verließ.
 

Nach einem Augenblick hatte er sich wieder gefangen und rief ihm hinterher: „Aber Yugi…“ Yami war sich noch nicht einmal sicher, ob der Gerufene ihn hörte. Zweifel begannen an dem sonst so selbstbewussten Jungen zu nagen. War es das gewesen, was der Kleine ihm sagen wollte? Hatte er ihm einfach nur absagen wolle?
 

Enttäuscht verließ Yami den Raum. Die – immer noch – bewegungslose Tea, ließ er da stehen, wo sie stand. Sie würde schon kapieren, dass niemand mit ihr Eis essen gehen würde, wenn sie ihren Schock überwunden hatte.
 

Yami selbst hatte gerade nur noch das Bedürfnis alleine zu sein…

Zweifel und Geständnisse

Kapitel 3: Zweifel und Geständnisse
 

Yugi lag in seinem Bett und hatte das Gesicht im Kissen vergraben. Er schluchzte laut auf. Die Tränen waren schon längst versiegt, doch der Schmerz saß tief. Das letzte Mal hatte er so geheult, als Ryou ihn verlassen hatte.
 

„Nein, das stimmt so nicht“, brachte Yugi sich die Ereignisse wieder in Erinnerung. Als Ryou ihn verlassen hatte, war er ganz ruhig gewesen. Fast so, als würde er unter Schock stehen. Die Worte des Weißhaarigen waren gar nicht ganz bis zu ihm durchgedrungen.
 

Es war schon irgendwie seltsam, eine Unterhaltung mit jemandem zu führen, bei der man kein Wort richtig hörte und trotzdem wusste, worum es dabei ging. Yugi konnte sich wage daran erinnern, dass Ryou irgendwann nichts mehr gesagt hatte und ihn nur erwartungsvoll und um Verzeihung bittend ansah. Er glaubte dann etwas gemurmelt zu haben, wie: „Ist gut. Jetzt weiß ich ja, dass es vorbei ist.“
 

Dann war er gegangen und hatte seit diesem Tag kein einziges Wort mehr mit Ryou gewechselt. Seine Anrufe hatte er ignoriert und in der Schule war er seinem Ex – Freund so gut es ging aus dem Weg gegangen.
 

Ja, weder an diesem Tag, noch die Tage danach hatte er geweint, aber eine Woche zuvor, da hatte er seine Tränen nicht stoppen können. Da war seine Welt zusammengebrochen.
 

Warum hatte er nur solches Pech in der Liebe? Warum verliebte er sich nur immer in den Falschen? Vielleicht war er einfach nicht für diese Art von Gefühlen geschaffen? Er hätte noch ewig im Bett liegen bleiben können und sich mit diesen Gedanken quälen können, doch er beschloss, dass es besser war, wenn er sich nicht in seinem Selbstmitleid ertränkte.
 

Yugi wischte sich kurz mit der Hand über die Augen, um die letzten Spuren der Tränen zu beseitigen. Er wollte eigentlich schnell im gegenüberliegenden Bad verschwinden, um sein Gesicht mit kaltem Wasser zu waschen. Sein Großvater sollte ihn schließlich nicht so niedergeschlagen sehen. Es reichte schon, dass er wusste, dass es etwas gab, was seinen Enkel bedrückte.
 

Der Bunthaarige war gerade an der Tür angekommen, als er hörte, wie die Klingel an der Ladentür betätigt wurde. Eigentlich war das Spielgeschäft nicht geöffnet, da ja heute die Inventur anstand, doch es konnte sein, dass sein Großvater vergessen hatte, das ‚GESCHLOSSEN’ – Schild in die Tür zu hängen.
 

Yugi beschloss nachsehen zu gehen und zur Not den Kunden zu bedienen und dann den Laden abzuschließen. Er war ja immerhin schuld daran, dass sein Opa vergessen hatte den Laden zu schließen. Schließlich hatte er ihm bei der Inventur helfen sollen. Als Yugi jedoch aus der Schule gekommen war, hatte der alte Mann nur einen Blick auf ihn geworfen und gewusst, dass etwas mit seinem Enkel nicht stimmte.
 

Er hatte Yugis Hand genommen und ihn in die Küche gezogen. Dort hatte er ihm ein Glas kalte Limonade gegeben und ein Stück Obsttorte unter seine Nase geschoben. Yugis Großvater hatte keinerlei Fragen gestellt. Das tat er in solchen Situationen nie. Hatte er auch bei der ganzen Sache mit Ryou nicht getan. Nicht, dass er sich keine Sorgen machte, doch er wartete immer ab, bis Yugi von selbst mit seinen Problemen zu ihm kam.
 

Der kleine Zuckerschub hatte dem Jungen gut getan, doch er half ihm nicht, die Szene in der Klasse zu vergessen. Dieser Blick von Yami…

Als er schon dachte, er könnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, hatte sein Großvater Yugi auf sein Zimmer geschickt.

„Ruh dich etwas aus mein Junge und mach deine Hausaufgaben. Das mit der Inventur schaffe ich auch allein“, hatte er mit seiner ruhigen, leicht kratzigen Stimme gesagt und war ins Lager verschwunden, noch bevor Yugi etwas darauf erwidern konnte. Der kleine Punk wusste, dass sein Opa ihm so nur die Gelegenheit gab, sich etwas auszuheulen und ein wenig runterzukommen.
 

Yugi stieg schnell die Treppenstufen zum Laden hinunter und hoffte, dass der Kunde keine Bemerkungen zu den geröteten Augen machen würde.

„Guten Tag. Es tut mir Leid, dass sie so lange warten mussten. Kann ich irgendwie behilflich…“

Yugi brach die Begrüßung ab, da er nun den Kunden sah.

Vor ihm stand sein größeres Ebenbild und starrte ihn mit seinen ernsten, rubinroten Katzenaugen an.

„Ich muss ganz dringend mit dir reden Yugi und es würde mir sehr helfen, wenn wir das irgendwo in Ruhe tun könnten und du mir zuhören würdest“, meinte Yami mit ernster Stimme.
 

********************
 

Yami hatte nach dieser Enttäuschung in der Schule eigentlich direkt nach Hause gehen wollen. Irgendwie hatte sich dann aber sein Heimweg zu einem Spaziergang durch die Innenstadt entwickelt. Der Kopf des bunthaarigen Jungen war viel zu sehr mit den Gedanken an seinen Klassenkammeraden gefüllt, als das er Augen oder Ohren für etwas anderes gehabt hätte. Ziellos schlurfte er durch die Straßen.
 

Warum war Yugi so wütend geworden? Natürlich war Tea immer sehr aufdringlich, doch der Kleine hatte dies doch sonst auch immer über sich ergehen lassen. Yugi hatte zwar nur Tea so angeschnauzt, doch Yami wurde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit ihm zu tun hatte. Vielleicht ja mit der Sache, die ihm Yugi sagen wollte?

Wenn er so richtig darüber nachdachte, schien es etwas Wichtiges gewesen zu sein. Ob es wohl darum ging, warum der Kleine immer so traurig wirkte? Wäre durchaus möglich, denn Yugi war die ganze Zeit so angespannt gewesen. Bisher hatte er dieses Thema immer ignoriert oder lapidare Antworten gegeben, wenn Yami versucht hatte ihn darüber auszuhorchen. In dem Fall, konnte er den Ausraster sogar verstehen, denn wenn man gerade versucht jemanden seine Gefühle zu offenbaren – besonders, wenn diese schmerzhaft waren – und dabei drei Mal von so einer penetranten Person gestört wurde, dann konnte dass einen schon ganz sauer machen.
 

Er hatte Mühe nicht laut aufzulachen, als er an das verdutzte Gesicht der Brünetten dachte. Das Tollste war allerdings ihre Sprachlosigkeit und dass sie sich vor Schock bewegungslos war. So hatte er sich mehr oder minder unbemerkt aus der Schule verschwinden, ohne dass sie ihm folgte. Der Punk hatte ihr zwar gesagt, sie sollte alleine Eis essen gehen, doch er war sich gar nicht so sicher, ob das Mädchen ihn überhaupt gehört hatte. Yami war die Lust auf Eis vergangen und Yugi war auch der einzige Anreiz gewesen, Tea zu begleiten. Da dieser aber wütend aus dem Raum gestürzt war, hatte sich das ja auch erledigt.
 

Waren diese plötzliche Flucht aus der Schule und der vorherige Wutausbruch wirklich die Folge von Teas unnötigen Störungen oder war da noch mehr? Ein schmerzhaftes Gefühl machte sich in Yami breit. Konnte es unter Umständen sein, dass Yugi ihm die Freundschaft aufkündigen wollte? Es hatte ja nicht von ihm aus begonnen. Je länger Yami sich die damaligen Szenen vor Augen führte, desto mehr gewann er den Eindruck, dass er sich dem Kleineren aufgedrängt hatte.

Es war keine böse Absicht gewesen. Er wollte Yugi doch nur näher kennen lernen. Yami hatte zwar zu dem Zeitpunkt schon mehr über den Violettäugigen gewusst, als der seiner Klasse, doch es war das Wissen, dass Yugi schwul war, nur ein Fakt gewesen und selbst da konnte er sich nicht so sicher sein. Vielleicht mochte der Kleine ja auch beide Geschlechter, oder diese Beziehung zu dem Weißhaarigen war nur ein einmaliger Versuch, um seine Sexualität zu erforschen. Möglich war alles.
 

Der Junge mit den roten Augen wollte jedoch noch viel mehr über den anderen erfahren. Er wollte wissen, was seine Hobbys waren, seine Vorlieben, seine Abneigungen. Yami wollte erfahren, was seine Lieblingsfarbe war und was er am liebsten aß. Jede noch so kleine Begebenheit aus Yugis Vergangenheit wollte er kennen. In seinem Eifer, hatte er sich vielleicht etwas zu sehr aufgedrängt?

Er hatte Yugi ja nie gefragt, ob er wirklich mit ihm befreundet sein wollte. Es hatte sich einfach so ergeben, da Yami fast jeden Tag seine Nähe gesucht hatte und ihn fast genauso oft in eine Unterhaltung verwickelt hatte. Hatte er Yugi vielleicht nur mit seiner Art überrollt? Gegen Tea hatte sein kleineres Ebenbild ja auch nichts unternommen. Und Yami konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Yugi freiwillig mit dieser Nervensäge befreundet war.
 

Eine quälende Frage schlich sich in die Gedanken des Teenagers. War er im Endeffekt nicht besser als dieser blauäugige Plagegeist? All diese Fragen machten ihn fast wahnsinnig. Er brauchte dringend Antworten darauf und es gab nur eine Person, die sie ihm geben konnte. Yami hatte die ganze Zeit über nicht auf den Weg geachtet, umso überraschter war er, als er feststellte, dass seine Füße ihn genau an den Ort gebracht hatten, an den er wollte. Er stand genau vor dem kleinen Laden von Yugis Großvater. Ohne zu überlegen trat Yami ein. Er wusste zwar nicht, ob dass eine so gute Idee war, doch er wollte Klarheit. Er wollte wissen, wie Yugi zu ihm stand.
 

Eine Weile musste er warten und erst da fiel ihm ein, dass Yugi etwas von ‚Inventur‘ erwähnt hatte. Der Punk wollte gerade wieder gehen, als er Schritte auf der Treppe hörte und eine ihm bekannte Stimme sagte: „Guten Tag. Es tut mir Leid, dass sie so lange warten mussten. Kann ich irgendwie behilflich…“ Yugis Stimme brach ab und er starrte den anderen aus großen Augen an.

„Ich muss ganz dringend mit dir reden Yugi und es würde mir sehr helfen, wenn wir das irgendwo in Ruhe tun könnten und du mir zuhören würdest“, antwortete Yami ernst.
 

********************
 

Nun saßen sie hier. In Yugis Zimmer und schwiegen. Schon seit fünf Minuten. Warum er sich hatte dazu überreden lassen Yami mit in sein Zimmer zu nehmen konnte der Violettäugige nicht sagen. War es dieser Blick gewesen? Die Art, wie der Größere ihn angesehen hatte? Nun, irgendetwas hatte ihn dazu bewogen, Yamis Wunsch nachzukommen und mit ihm ungestört zu reden. Yugi hatte nicht einmal nachgehakt, worum es bei dem Gespräch gehen sollte. Und jetzt? Jetzt saßen sie da und schwiegen!
 

Yugi wollte gerade aufstehen und seinen Besucher zur Tür begleiten – er war es schließlich der reden wollte und jetzt sagte Yami kein einziges Wort? – als er ein Räuspern seitens des Rotäugigen hörte.

„Yugi…es…ich wollte dich fragen, ob du…gerne mit mir befreundet bist?“, kam es stockend von dem Größeren.

„Was ist denn das bitte für eine Frage? Glaubst du nicht, ich hätte was gesagt, wenn es nicht so wäre? Ist das etwa die Sache, über die du so dringend reden wolltest?“
 

„Nun…auch“, meinte dann der Größere ernst. „Es ist so, du wirkst die ganze Zeit so niedergeschlagen. Weißt du das ich in der Zeit, seit ich in die Schule gekommen bin, kein einziges Mal habe lachen gesehen. Nicht mal schmunzeln. Und dann hast du heute diesen Ausraster. Da will ich natürlich wissen, ob es etwas mit mir zu tun hat“, meinte Yami weiter.
 

„Ich war nicht wegen dir sauer. Es war wegen Tea. Sie treibt mich irgendwann in den Wahnsinn. Sie hat mich zum Eis essen eingespannt. Ich habe ihr vorher gesagt, dass ich heute eigentlich meinem Großvater aushelfen wollte, aber sie hat nicht zugehört. Wie…wie kommst du auf so dumme Gedanken?“
 

„Du wolltest doch mit mir reden und bist ständig unterbrochen worden. Da habe ich gedacht, du wolltest mir absagen und als ich mir dann mehr Gedanken darüber gemacht habe, hatte ich so das Gefühl, dass ich mich dir vielleicht aufgedrängt habe und du einfach sagen wolltest, dass du die Schnauze voll hast von mir“, antwortete Yami stockend.
 

Zu sagen Yugi sah verdattert drein, wäre eine Untertreibung, doch zu einer weiteren Reaktion auf das Gesagte kam er nicht, da der Größere weiterredete.

„Wenn das aber nicht so ist, dann erklär mir doch bitte warum du in den Monaten, die wir uns kennen kein einziges Mal gelächelt hast?“, fragte Yami. „Oder ist es vielleicht ein Geheimnis?“
 

„Nein, ist…ist es ni…nicht“, stotterte der Violettäugige, „aber ich kann es dir trotzdem nicht sagen. Es…es ist etwas sehr Persönliches…“

Yami sah ihn beleidigt an.

„Also ist es doch ein Geheimnis. Wenn du mir sagst, dass wir Freunde sind, dann musst du mir auch vertrauen. Ich mache dir jetzt ein Angebot: Du erzählst mir, warum du immer so niedergeschlagen bist und ich verrate dir auch etwas sehr Persönliches von mir. Na, ist das ein Angebot?“
 

Yami wusste, dass zumindest ein Teil dieser Aufforderung emotionale Erpressung war, aber man nahm, was man kriegen konnte und hoffte auf das Beste. Vielleicht würde der kleine Anreiz, Yugi auch etwas Persönliches zu verraten, ausreichen, um ihn zum Reden zu bringen. Der größere der beiden Jungen konnte die verschiedensten Emotionen auf dem Gesicht des Keinen im Wechsel sehen. Da waren zuerst die Unsicherheit und der Zweifel, ob er wirklich reden sollte. Dann kam der Unwille. Warum sollte er Yami auch etwas erzählen, was diesen überhaupt nichts anging? Und ganz zum Schluss – und darauf setzte der Rotäugige all seine Hoffnung – die Neugier.
 

Yugi kämpfte noch einige Minuten mit sich, doch dann gewann seine Wissbegierde. Er wusste nicht warum, aber aus irgendeinem Grund wollte er unbedingt Yamis Geheimnis kennen. Außerdem hatte er Recht. Wie konnte Yugi behaupten sie wären Freunde, wenn er ihm nicht einmal so weit vertraute, ihm von seiner Vergangenheit zu erzählen? Bisher wusste nur sein Großvater von der Beziehung zu Ryou und dem unerfreulichen Ende und selbst sein Opa wusste nicht alles.
 

Auf der anderen Seite war da die Tatsache, dass wenn er Yami von seiner früheren Beziehung erzählte, er ihm auch sagen musste, dass er auf Jungs stand. Und obwohl er noch am Vormittag dazu bereit war sich zu seiner Homosexualität und seiner Liebe zu Yami zu bekennen, so hatte Yugi nun panische Angst davor. Er hatte diesen Blick gesehen, den der Größere Tea zugeworfen hatte und auch wenn er sich bis jetzt fragte, wie man sich in so jemanden wie Tea verlieben konnte, war er sich ziemlich sicher, dass es so war. Yugi hatte diesen Ausdruck in den Augen schon einfach zu oft bei seinem Ex – Freund gesehen. Damals hatte er diesen Ausdruck in den Augen des Weißhaarigen nicht deuten können, doch nun kannte er ihn.
 

Die Tatsache, schon verloren zu haben, ohne überhaupt gekämpft zu haben wurmte Yugi und er wusste, wenn er jetzt alles – und er meinte auch wirklich alles – erzählen würde, dann konnte er jetzt mit einer Abfuhr rechnen und dann hätte er nicht einmal einen Zufluchtsort. Sein Zimmer wäre dann mit den Erinnerungen verbunden, an den Tag, an dem ihm zum zweiten Mal das Herz gebrochen wurde.
 

Trotzdem flossen die Worte nur so aus ihm heraus, so als ob sie auf diesen Moment gewartete hätten. Als Yugi erst einmal angefangen hatte zu reden, konnte er nicht mehr stoppen.
 

„Du willst es wirklich wissen? Na gut ich erzähl es dir Yami, aber du musst mir erst bis zum Ende zuhören und erst dann will ich deine Kommentare hören“, forderte der Kleine, doch er wartete die Antwort nicht ab.
 

„Ich stehe auf Jungs“, begann er ganz unvermittelt. Yugi sah seinen Gesprächspartner dabei nicht an. Das Wichtigste war jetzt gesagt. Nein, das stimmte nicht ganz, dass er schwul war, war nur das Zweitwichtigste. Da der Kleine nicht auf Yami achtete, weil er überlegte, wie er weitermachen konnte, entging ihm das Aufblitzen in den roten Augen. Diese Aussage freute den Größeren, war er sich doch jetzt sicher, dass er zumindest eine Chance hatte.
 

Ohne weiter darüber nachzudenken oder sich daran zu erinnern, dass Yugi keine Unterbrechungen wollte, sagte Yami: „Na und, das tu ich auch. Ist doch nicht das Problem in der heutigen Zeit. Sag nicht, du bist wegen deiner sexuellen Orientierung so traurig. Das ist nichts, wofür du dich schämen müsstest.“

Er redete dabei sehr sanft und ernst.
 

„Ich schäme nicht dafür…warte…du…du bist auch schwul?“

„Ja“, sagte Yami schlicht. „Siehst du? Ich halte meine Versprechen. Du hast mir etwas von dir verraten und hast im Gegenzug etwas von mir erfahren. Ich würde sagen, du erzählst mir, warum du dich freiwillig zum Außenseiter machst und ich verrate dir noch ein Geheimnis von mir, dass kein anderer kennt, das du aber auf jeden Fall wissen willst.“
 

„Warte mal, ich habe die Info über dich noch nicht ganz verdaut. Du stehst auf Jungs? So richtig?“

„Ja, das tut aber hier nichts zur Sache. Ich habe meine Frage zuerst gestellt und du bist mir noch eine Antwort darauf schuldig. Ich sage dir alles was du wissen willst, aber erst, wenn du meine Fragen beantwortet hast. Keine Angst, es sind nur drei oder vier.“
 

Yugi starrte einen Moment lang in die rubinroten Augen seines Gegenübers, dann nickte er zustimmend.

„Na gut. Du willst es echt wissen? Dann erzähl ich es dir. Es hat etwas mit meinem ersten Freund zu tun. Sein Name ist Ryou. Ich kannte ihn damals schon fast mein ganzes Leben. Wir waren Freunde, lange bevor wir eine Beziehung hatten. Deswegen hat mich das, was er getan hat enttäuscht. In doppelter Hinsicht. Es hat zwar sehr wehgetan, weil er mich betrogen hat, aber noch mehr hat es mich verletzt, weil er unsere Freundschaft so verraten hat. Als wir…wir waren etwa ein Jahr zusammen. Niemand wusste davon, außer meinem Großvater. Es war eine schöne Zeit, bis er sich in einen anderen verliebte.“
 

Yugi erzählte Yami von Ryous Geburtstag, von dem Konzert, wie sein Freund Bakura kennen lernte und das die Beiden später zusammen kamen. Yami kannte zwar einige der Fakten schon, doch er hatte niemals daran gedacht, dass das Ende dieser Beziehung den Kleineren so fertig gemacht hatte. Jetzt, wo er ihm alles erzählt hatte, konnte er noch deutlicher den Schmerz und die Wehmut in den violetten Augen sehen.
 

„Nur weil dieser Ryou dich verlassen hat, vertraust du niemanden mehr?“ wollte er es noch mal bestätigt haben.

„Nein, nicht weil er Schluss gemacht hat und zu einem anderen gegangen ist…es liegt eher daran, wie ich es erfahren habe.“

Yugi hielt in seiner Erzählung inne und schluckte erstmal. Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln.

„Nachdem wir auf dem Konzert waren, schwärmte Ryou mir immer häufiger von Bakura vor. Ich habe mir am Anfang nichts dabei gedacht. Dann fing es an. Er hat mir immer öfter abgesagt, wenn wir verabredet waren. Ohne wirkliche Begründung. Selbst als ich ihn zwei Wochen lang nicht gesehen habe, wurde ich nicht misstrauisch.
 

An einem Freitag hat er mir dann gesagt, dass wir uns nicht treffen könnten, weil er mit seinem Vater wegfahren wollte. Ich hatte mich so sehr darauf gefreut endlich mal wieder was mit meinem Freund zu unternehmen. Habe richtig Pläne geschmiedet. Ich wollte mit ihm ein Picknick machen und dann in den kleinen Freizeitpark außerhalb der Stadt gehen. Es hat mich ganz schön enttäuscht, dass er so einfach absagte, aber ich wusste auch, dass Ryou seinen Vater lange nicht gesehen hatte, deswegen machte ich ihm keine Vorwürfe.
 

Am selben Tag kurz vor Unterrichtsschluss kam Hinata hereingestürmt. Er geht in unsere Parallelklasse. Ryou war da schon weg, weil er nicht an dem damaligen Sozialkundeprojekt teilnahm. Unsere Gruppe war immer die letzte am Freitag. Auf jeden Fall verkündete Hinata, er hätte DIE Neuigkeit. Er erzählte jeden der im Raum war, dass er Ryou mit dem Sänger von „The Thief’s“ gesehen hätte. Heftig am rumknutschen – und das nicht nur einmal.“
 

An der Stelle unterbrach Yugi sich. Ein unterdrücktes Schluchzen hallte durch das Zimmer und Yami konnte nicht anders. Ehe er wirklich wusste, was er da tat, sprang er von dem Stuhl auf den er saß und stürmte zu Yugi, der während des Redens im Raum herumgegangen war. Er nahm ihn in den Arm und drückte ihn ganz fest an sich. Beruhigend strich er dem Kleineren über den Rücken.
 

Der Punk wusste, wie die Sache weiterging, auch ohne es miterlebt zu haben. Trotzdem ließ er Yugi weiterreden, als dieser unter Schluchzen und Schniefen weitererzählte. Vielleicht tat es ihm ja gut, es sich endlich von der Seele zu reden? Wenn niemand von der Beziehung gewusst hatte, dann hieß es ja logischer Weise auch, dass bisher niemand da gewesen war, dem er seinen Kummer beichten konnte. Und den Verlust der ersten, großen Liebe zu verkraften war schwer.
 

„Ich wa…war t…to…total gescho…ockt. Ich wollte es nicht glauben. ‚So etwas würde Ryou mir doch nie antun!’ habe ich mir noch gedacht und während die anderen no…noch dabei waren sich die Mäuler darüber zu zerreißen, dass Ryou schwul war, brach für mich eine Welt zusammen. Jetzt passte so Vieles zusammen. Dass mein Freund keine Zeit mehr für mich hatte, dass er ständig irgendwelche fadenscheinigen Erklärungen benutzte, um zu verschwinden. Du wirst lachen, aber da ist mir erst so richtig aufgefallen, dass wir uns seit dem Konzert nicht ein einziges Mal geküsst haben oder überhaupt richtig berührt.
 

Ich weiß noch, dass ich Hinata hörte, wie er sagte: ‚Am Anfang habe ich ja gedacht, dieser Bakura knutscht mit einem echt süßen Mädchen, dass gerne legere Sportkleidung trägt. Dann hat sich unser Albino aber umgedreht und erst da habe ich ihn erkannt. Der Typ sieht aber von Hinten echt aus wie ein Mädchen.’
 

Weißt du eigentlich wie demütigend es ist, von einer fast fremden Person zu erfahren, dass dein Freund dich betrügt? Es hat zwar niemand etwas davon gewusst, was zwischen uns war, aber trotzdem war es demütigend. Dann habe ich in einem Anflug von Selbstverleumdung versucht mir einzureden, dass Hinata spinnt, dass er einfach nicht alle Tassen im Schrank hat.
 

Ich bin also zu Ryou nach Hause gerannt. Er war nicht da, aber seine Nachbarin hat mir gesagt, dass der Mann, der ihn abgeholt hat irgendwas von ‚…Teich im Park…' gesagt hatte. Es gibt nur einen Park hier in Domino mit einem Teich. Ich bin so schnell dahin gerannt, wie ich konnte. Da habe ich…ich ha…habe…“
 

Der Rest des Satzes ging im Schluchzen unter. Yugi konnte es noch heute nicht aussprechen. Er konnte es nicht vergessen. Dieses Bild. Ryou und Bakura auf einer Decke. Ein Picknick, genau so eines, wie er es geplant hatte. Und die Beiden, wie sie sich küssten. Leidenschaftlich und intensiv. Ryou schien die ganze restliche Welt vergessen zu haben. So war es bei ihren Küssen noch nie gewesen.
 

„Du brauchst nichts weiter zu sagen. Den Rest kann ich mir denken“, flüsterte Yami zärtlich. Er hatte während Yugi erzählte nicht aufgehört, diesen zu halten und zu trösten. Er wischte mit den Daumen die Tränenspur weg, die sich auf den Wangen des Kleineren abzeichnete.
 

„Ich bin nach Hause gelaufen und habe mich das ganze Wochenende in meinem Zimmer eingesperrt. Großvater hat sich Sorgen gemach und wollte wissen was passiert sei, aber ich habe es ihm nicht erzählt. Er weiß es bis heute nicht, obwohl ich glaube, dass er es sich denken kann. Ich habe die Woche drauf kein einziges Wort mehr mit Ryou geredet, aber es ist ihm nicht einmal aufgefallen. Er war frisch verliebt und glücklich und auch wenn es sich seltsam anhört, ich habe es ihm gegönnt.
 

Eine Woche später hat er mit mir Schluss gemacht. Ich glaube es hat ihn gewundert, dass ich nicht nach den Gründen gefragt habe, sondern einfach gegangen bin. Zu beginn der Ferien ist Ryou dann von der Schule gegangen. Ich habe seit er Schluss gemacht hat nicht mehr mit ihm geredet. Ich glaube er wollte sich von mir verabschieden, aber ich wollte ihn nicht sehen.
 

Als ich später darüber nachgedacht habe, da wurde mir klar, dass ich nicht verletzt war, weil er mich betrogen hat, sondern wie ich es erfahren habe und wie er sich verhalten hat. Ich kann ihm nicht vorwerfen, dass er sich in jemanden anders verliebt hat. Das passiert, aber er hätte es mir gleich sagen sollen. So viel Respekt vor unserer Freundschaft hätte Ryou haben müssen. Ich hätte gerne von ihm erfahren, dass er frisch verliebt war. Wer weiß, vielleicht hätte ich es ihm schnell verziehen und wir hätten wie Freunde darüber reden können, was an Bakura so toll ist.“
 

Bevor er seine letzten Sätze sprach, blickte er Yami tief in die Augen. Er sollte sehen, wie ernst ihm die Worte waren, die er nun sagte.

„Wie soll ich mich denn da bitte in eine Gruppe einfügen können. Der Mensch, den ich am meisten vertraut habe…den ich fast mein ganzes Leben lang gekannt habe, hat mich hintergangen – als Freund und als Partner. Wie soll ich da den anderen oberflächlichen Typen in unserer Klasse vertrauen? Wie soll ich da fröhlich sein? Dieses Erlebnis war für mich ein Denkzettel, den ich nie vergessen werde. Ich werde nie wieder in meinem Leben so naiv sein, deswegen glaube ich dir nicht, dass du schwul bist. Yami, du hast Tea heute genau so angesehen, wie Ryou es früher bei Bakura getan hat. Du stehst auf sie!“
 

Yami sah seinem Gegenüber mehrere Sekunden lang schweigend in die Augen. Er schien nach einer passenden Reaktion zu suchen. Dann konnte er nicht mehr an sich halten und brach in lautes Gelächter aus.
 

„Da…das…i…is…ist zu ko…komi…komisch. Nein, wie kommst du darauf? Guter Scherz echt. Na klar steh ich auf Tea, wo ich sie doch die meiste Zeit des Tages auf den Mond schießen will. Nein, ich glaube ich erzähle dir zuerst mein Geheimnis, damit wir quitt sind. Dann verstehst du mich vielleicht besser.“
 

Yami hielt sich den vom Lachen schmerzenden Bauch und setzte sich auf Yugis Bett, da das am nächsten stand. Als er sich beruhigt hatte und hochblickte, sah er in neugierige, violette Augen, die erwartungsvoll auf ihm ruhten.

Der Geduldsfaden reißt

Kapitel 4: Der Geduldsfaden reißt
 

Yugi war unterwegs zur Schule. Seit dem gestrigen Nachmittag lag ein breites Grinsen auf seinem Gesicht, welches einfach nicht verschwinden wollte. Es war das erste Mal seit Langem, dass er sich wieder auf die Schule freute. Der Grund für diese plötzliche Freude hatte auch einen Namen: Yami.
 

Das etwas dümmliche Lächeln auf seinem Gesicht wurde noch eine Spur breiter bei dem Gedanken an seinen Freund. Ja, Yami war sein festen Freund. Irgendwie war es seltsam dieses Wort für den Punk mit den roten Augen zu benutzen. Nicht unangenehm, aber auf eine verwirrende Art sehr irreal. All seine Wünsche schienen sich mit einem Schlag, innerhalb weniger Stunden erfüllt zu haben.
 

Yugi hatte sich im Laufe des gestrigen Abends und des heutigen Morgens des Öfteren kneifen müssen, um sicher zu sein, dass er nicht träumte. Sollte dies alles nur ein Hirngespinst sein, so wollte er auch gar nicht aufwachen, musste sich der bunthaarige Junge eingestehen. Umso schöner war es natürlich, dass der morgendliche Anruf von Yami auf sein Handy Realität pur war.
 

Mit einem verträumten Seufzer erinnerte sich Yugi an den schönsten Nachmittag seines Lebens.
 

Erwartungsvoll blickten seine violetten Augen in die roten von Yami. Er war absolut gespannt, was denn nun folgen würde.
 

„Ich weiß, dass ist jetzt vielleicht ein bisschen unfair, aber eine kleine Frage hätte ich da vorher noch. Warum haben du und dieser Ryou eure Beziehung geheim gehalten? Sind die Leute hier an der Schule etwa so intolerant?“, hakte Yami nach.

„Ich schätze mal, aus demselben Grund, aus dem du dir nicht die Mädchen mit einem simplen ‚Ich bin schwul!’ vom Leib hältst. Es ging niemanden etwas an – weder damals, noch heute“, antwortete Yugi schlicht und sachlich.
 

„Ich dachte, du glaubst mir nicht, dass ich auf Jungs stehe?“, wollte der Größere wissen.

„Das würde jetzt zu unnötigen Diskussionen führen, würde ich sagen. Du sagst mir vielleicht besser das, was du mir verraten willst, sonst bin ich hier der Einzige, der Fragen beantwortet“, meinte Yugi leicht schnippisch. „Außerdem hast du gesagt, dass ich dich besser verstehen werde, wenn ich dieses Geheimnis kenne“, fügte der Kleine noch an.
 

Er wunderte sich, wie cool und gelassen er klang, wo doch sein Herz in doppelter Schallgeschwindigkeit und bis zum Hals schlug. Ein heiseres und sehr sexy Lachen, war Yamis erste Reaktion auf diesen Kommentar und verursachte einen angenehmen Schauer, der über Yugis Rücken lief.
 

„Du hast Recht, ich sollte dir zuerst alles erzählen. Weißt du, dieses Konzert, auf dem du mit deinem Ex – Freund warst, auf dem war ich auch. Während du wahrscheinlich nur schlechte Erinnerungen an diese Nacht hast, da du ja denkst, dass dies der Anfang vom Ende deiner Beziehung war, war es für mich die tollste Nacht aller Zeiten. Ich habe auf diesem Konzert nämlich jemanden kennen gelernt und mich auf den ersten Blick in diesen Jungen verliebt. Gut…’kennen gelernt’ wäre etwas zu viel des Guten. Ich habe ihn umgerannt oder er ist in mich hineingerannt, wie man es nimmt. Wir haben auch nicht viel geredet. Dieser süße Typ, hat nur ‚Danke’ gesagt, als ich ihm auf geholfen habe…aber an diesen Abend, traf mich die Liebe zum ersten Mal, wie ein Hammerschlag…“, schwärmte Yami. Er hoffte, dieser kleine Wink mit dem Zaunpfahl würde genügen, um Yugi an ihre erste Begegnung zu erinnern, doch weit gefehlt…

Er konnte es dem Gesichtsausdruck des Kleineren ansehen.
 

Yugi versuchte sich nicht anmerken zu lassen, was diese Worte bei ihm bewirkten. Ein brennender Schmerz breitete sich in seiner Brust aus. Sein Herz blieb eine Sekunde lang stehen und Yugi hatte wirklich Mühe damit, seine Gesichtszüge möglichst neutral zu halten.
 

Er hatte es von Anfang an geahnt. Sein Herz wurde ihm nun gebrochen, denn der, dem er es schenken wollte, wollte es gar nicht haben. Er wartete auf die Liebe einer anderen Person…oder hatte er diese schon? Die Tränen unterdrückend, die sich schon wieder hochkämpften, sah Yugi seinen Gegenüber an und forderte ihn stumm auf weiter zu sprechen.
 

„Hey, nicht traurig sein. Du kennst doch das Ende meiner Geschichte nicht. Vielleicht hilft sie dir, diesen Abend in einem anderen Licht zu sehen…“, meinte Yami aufmunternd, da er ja diese Veränderung in Yugis Mimik und Gestik wahrgenommen hatte.
 

Sein kleineres Ebenbild schien enttäuscht und traurig zu sein aufgrund der Aussage er sei verliebt. Könnte dies das Zeichen sein, auf das er so gehofft hatte? Konnte es sein, dass Yugi etwas für ihn empfand? Dieser Gedanke machte Yami irgendwie glücklich und ließ ihn schnell mit seiner Schilderung fortfahren.
 

„Also, ich bin diesem unheimlich süßen Jungen dann gefolgt, weil ich im ersten Moment einfach zu geplättet war, um ihn anzusprechen. Erst war er bei so einem Verkaufsstand und hat zwei Flaschen Limonade besorgt. Als ich da aber ankam, war dieser Junge schon wieder auf dem Weg zurück in die Menschenmenge. Ich bin ihm also nach und gerade als ich diesen Unbekannten eingeholt hatte und ihn ansprechen wollte, da sehe ich doch wie er einen anderen küsst.
 

Du kannst dir bestimmt vorstellen, wie ich mich gefühlt habe. Ich bin aus allen Wolken gefallen. Da passiert dir mal etwas so Gutes, wie die berühmt berüchtigte ‚Liebe auf den ersten Blick’ und dann ist eben die Person, für die du so empfindest, schon vergeben.“
 

Yami unterbrach sich kurz. Zum einen um Luft zu holen und zum anderen um zu sehen, ob es bei Yugi vielleicht ‚KLICK’ machte. Er sah allerdings nur, dass der Kleinere zustimmend nickte und dann etwas murmelte, dass sich nach „Ich kenne das Gefühl“ anhörte. Also blieb dem Rotäugigen keine andere Wahl und er erzählte weiter.
 

„Ich blieb den Rest der Nacht hinter diesem Jungen stehen, in der Hoffnung, er würde sich einmal zu mir umdrehen. Seine Augen würden dann in meine sehen und es würde ihm genauso gehen wie mir. Er würde sich auf der Stelle in mich verlieben und den anderen Typen sausen lassen, um mit mir zusammen zu sein. Doch soll ich dir was sagen? Das passierte nicht! Stattdessen habe ich mir die ganze Zeit über angesehen, wie mein Traummann diesen bescheuerten Typen angeschmachtet hat, nach dessen Hand gegriffen hat und ihm ständig kleine, süße Küsse auf den Mund gegeben hat. Doch weißt du, was das Schlimmste daran war?“
 

Yugi schüttelte den Kopf. Er konnte sich gut vorstellen, wie Yami sich gefühlt haben musste. Er empfand ja gerade im Moment dasselbe. Deswegen interessierte es ihn auch brennend, was der andere als noch schlimmer empfand, als das Gefühl, vor Enttäuschung den Boden unter den Füßen zu verlieren.
 

„Das Schlimmste für mich, war, dass der andere Typ, dem die ganze Aufmerksamkeit dieses süßen Jungen gehörte, diesen komplett ignorierte und stattdessen den Sänger der Band anhimmelte. Das war so frustrierend. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie dieser Trottel nur so hohl sein konnte. Da stand neben ihm, der wirklich niedlichste und freundlichste Junge der Welt und dieser Idiot schmachtet einen unerreichbaren Sänger an.
 

Leider hatte ich nach dem Konzert keine Möglichkeit mehr den Beiden zu folgen, weil ich abgeholt wurde, diesen Jungen habe ich aber nie vergessen.“

Yami lächelt ein wenig verträumt, als er diese letzten Worte sprach und starrte ins Leere. So als würde er vor seinem geistigen Auge noch einmal diesen Moment Revue passieren lassen, in dem er diesen Jungen über den Weg gelaufen war.
 

“Wie kommst du jetzt darauf, dass ich mich besser fühle?“, fragte Yugi nach. Seine Stimme klang dabei gereizt und der heisere Unterton, der auf die unterdrückte Traurigkeit hinwies, war mehr als deutlich zu hören.

„Für dich war der Abend doch auch nicht gerade toll. Du hast dich zwar verliebt, aber der Typ war vergeben und erinnert sich bestimmt nicht einmal an dich. Außerdem kannst du viel erzählen, denn nur weil du sagst, du hättest dich in einem Kerl verliebt, heißt es noch lange nicht, dass es so ist. Also muss ich dir auch nicht glauben, dass du schwul bist. Deine kleine Geschichte hat mich in keiner Weise überzeugt.“
 

„Wer sagt denn, dass sie schon zu Ende ist?“, erwiderte darauf der größere Punk. „Obwohl du in einem Punkt Recht hast: der Typ erinnert sich nicht an mich, aber das ist nicht so schlimm, denn ich werde es schon schaffen mich in sein Gedächtnis einbrennen zu können.
 

Also, wo war ich? Ach ja, jetzt weiß ich es wieder. Ich habe meinem Vater natürlich von dieser Begegnung erzählt. Er hat auch gesehen, dass es mir nicht so gut ging. Er hatte richtiges Mitgefühl mit mir, denn so verliebt war ich noch nie gewesen. Damals haben wir noch in Australien – in Perth um genau zu sein – gelebt, weil da die Niederlassung der Automobilfirma war, für die mein Vater arbeitet. Etwa eine Woche später hat er dann das Angebot bekommen, die große Filiale, die hier in Domino eröffnet wurde zu leiten. Es hieß für uns beide, dass wir von Vorne anfangen mussten, aber ich glaube mein Dad hat den Job aus zweierlei Gründen nur für mich angenommen. Erstens hat er etwas mehr Zeit für mich und muss nicht ständig herumreisen und Zweitens konnte er mir wenigstens die Chance bieten, diesen Unbekannten vom Konzert zu suchen.
 

Klar hat auch das Geld und der Posten an sich etwas mit der Entscheidung meines Vaters zu tun hierher zu ziehen, aber ich bin mir hundertprozentig sicher, dass diese beiden Sachen ihm seine Überlegungen erleichtert haben.
 

Und stell dir einmal vor, kurz bevor ich also hierher nach Domino gezogen bin, wurde in den Medien veröffentlicht, dass der Sänger von „The Thief’s“ schwul sei und seit einiger Zeit einen Freund hat. Weißt du wie groß meine Überraschung und Freude war, als sie diesen Freund des süßen Jungen gezeigt haben“, an dieser Stelle hielt er inne um zu sehen, ob Yugi nun endlich alle Informationen hatte, um endlich darauf zu kommen, von wem er die ganze Zeit über redete.
 

Tatsächlich konnte Yami das Leuchten der Erkenntnis in den violetten Augen sehen. Gleich darauf folgte ein Ausdruck des totalen Unglaubens und gerade als Yugi den Mund aufmachen wollte, um zu fragen, ob er mit seiner Vermutung Recht hatte, sprach Yami weiter.
 

„Ich habe ja gedacht besser kann es nicht laufen, jetzt musst du nur noch diesen Jungen vom Konzert finden und ihn für mich gewinnen. Doch siehe da, es kam sogar noch besser. Ich war genau an der Schule angemeldet, in die auch mein schnuckeliger Unbekannter ging – oder geht? Doch, geht ist besser. Stell dir einmal vor, ich kam sogar in die gleiche Klasse. Das würde ich als einen richtigen Glücksfall bezeichnen.
 

Jetzt sitze ich genau zwei Plätze hinter meinem Unbekannten und kann ihn im Unterricht beobachten. Das freut mich zwar und glaub’ mir, ich war noch nie so glücklich in meinem Leben wie jetzt, weil ich ihn wiedergefunden habe – auch wenn er sich noch nicht an unsere Begegnung erinnert. Ich habe nur etwas Probleme damit, besagten Jungen für mich zu gewinnen. Die Sache hat nämlich zwei Haken: zum einen ist er mit dem absolut nervigsten Mädchen auf diesem Planeten befreundet – und ich frage mich echt warum – und zum anderen ist seine letzte Beziehung wie du dir bestimmt denken kannst sehr beschissen zu Ende gegangen, deswegen kommt er nicht wirklich aus sich raus und hat etwas Angst davor mir zu vertrauen.“
 

An dieser Stelle hörte Yami auf zu erzählen. Er sah seinen Gegenüber abwartend an. Diese violetten, geheimnisvollen Augen leuchteten richtig. Zum ersten Mal, seit dem Abend des Konzerts, konnte er ein ehrliches, glückliches und atemberaubendes Lächeln auf Yugis Gesicht sehen.
 

Er hatte es sich während des Zuhörens auf dem Boden, im Schneidersitz bequem gemacht und jedes Wort, das aus dem Mund des Größeren kam aufgesaugt. Nun stand er langsam auf und Schritt für Schritt näherte er sich dem Bett, auf dem sein Gast saß.
 

„Du meinst…mich…damit?“, flüsterte Yugi zaghaft. Yami grinste schief und nickte langsam.

„Ich war der Unbekannte, dem du…du gefolgt bist auf dem Konzert?“, kam es stockend aus dem Kleineren. Wieder erntete er nur ein stummes Nicken als Antwort.

Mit jeder Frage die Yugi stellte, kam er einen Schritt näher.

„Aber…warum…du hast Tea doch so angesehen…“

Den Rest des Satzes ließ er ungesagt.
 

„Wie wäre es, wenn wir mit unserem Deal fortfahren? Ich verrate dir, warum ich immer so geduldig mit dieser Nervensäge war und sie vorhin so angesehen habe und du erzählst mir, was du mir sagen wolltest. Wie wäre das?“
 

Der Violettäugige stand nun genau vor seinem größeren Ebenbild und nickte zustimmend. Er hatte ja sowieso vorgehabt, Yami zu gestehen, was er für ihn fühlte.

„Ich war so geduldig mit Tea, weil ich gedacht habe, sie sei eine sehr gute Freundin von dir. Außerdem war es die einzige Möglichkeit, etwas über dich zu erfahren, weil sie die Einzige war, mit der du dich wenigstens ab und zu unterhalten hast. Heute, als sie zum dritten Mal in unser Gespräch geplatzt ist, habe ich mir vorgestellt, ich würde mit dir reden und nicht mit ihr. Die Aussicht, sich mal privat mit dir zu unterhalten und etwas Freizeit mit dir zu verbringen, war das, was mir geholfen hat diesen Plagegeist zu ertragen. Als ich Tea so verklärt angesehen habe, da hatte ich dein Gesicht vor meinem geistigen Auge und die Vorstellung von unserem gemeinsamen Ausflug zur Eisdiele“, erklärte der Siebzehnjährige dem Kleineren die Situation vom Vormittag.
 

„Warum bist du überhaupt mit so einer Tussi befreundet Yugi?“, hakte der Rotäugige noch nach.

„Was heißt befreundet? Sie hat sich mir aufgedrängt, als es mir am miesesten ging. Tea hat geglaubt, ich wäre so deprimiert, weil Ryou gegangen war und weil er mir nie erzählt hatte, dass er auf Jungs stand. Seit dem Tag hat sie mich dann jedes Mal vollgequatscht, wenn ein Typ sie hat abblitzen lassen“, erzählte Yugi übereifrig. Er war so froh darüber, dass er wusste, was dieser Blick bedeutete. Das Wichtigste jedoch war, dass er dem anderen glaubte.
 

In Yamis Augen war so viel Ehrlichkeit und Offenheit. So viel Zärtlichkeit und Zuneigung, dass er an der Ernsthaftigkeit seiner Worte gar nicht zweifelte. Der Rotäugige nickte ernst. Diese Antwort war nachvollziehbar und logisch. Dieses Verhalten passte eindeutig zu der Brünetten.
 

„Das habe ich mir schon irgendwie gedacht“, entgegnete Yami, „aber nun zu meiner zweiten Frage: Was wolltest du mir sagen?“

Verlegen sah der Teenager zu Boden. Jetzt war es so weit. Hunderte von Malen hatte er vor dem Spiegel geübt, was er wie sagen würde, doch nun fehlten dem Kleinen einfach die Worte.
 

Einige Sekunden der Stille vergingen. Yami drängte Yugi nicht dazu anzufangen, sondern nahm dessen zierliche Hand in seine und drückte sie. Die Wärme dieser Geste überwältigte den Violettäugigen. Warum hatte er überhaupt noch Angst? Er wusste jetzt ja, was der andere für ihn empfand und er wusste auch, dass dieser es ernst mit ihm meinte. Wozu also noch zögern?
 

„Ich empfinde genauso für dich, wie du für mich. Ich habe gedacht, es wäre bei mir Liebe auf den ersten Blick, doch du hast mir heute gezeigt, dass es nicht so war. Wenn ich ehrlich bin, dann bin ich froh darüber, dass ich dich damals nicht wirklich wahrgenommen habe. Ich war so sehr auf Ryou fixiert. Hättest du dich schon an diesen Abend an mich rangemacht, hätte ich dich bestimmt abblitzen lassen und dich für immer gehasst oder zumindest unsympathisch gefunden.
 

Ich denke so ist es besser. Seit dem du in unsere Klasse gekommen bist, läst du mich nicht mehr los. Ich…ich…“
 

Mitten im Satz wurde er unterbrochen, als seine Zimmertür aufgerissen wurde und Yugis Großvater seinen Kopf hineinsteckte.

„Ich habe vorhin die Klingel gehört mein Junge…Oh…entschuldige, ich wusste nicht, dass du Besuch hast. Möchte dein Gast vielleicht etwas trinken?“
 

Yami konnte nicht anders und grinste schief. Jetzt wurde sein kleiner Schwarm schon wieder unterbrochen. Es schien so, als hätte sich die ganze Welt verschworen, um Yugi daran zu hindern, das auszusprechen, was er zu sagen hatte.

„Nein danke Großvater. Das hier ist Yami, ein Klassenkammerad von mir und wir haben etwas Wichtiges zu besprechen.“

„Dann lass ich euch zwei wohl am Besten allein.“ Mit diesem Satz schloss der alte Mann die Tür wieder.
 

Yugi grinste den Größeren nun auch an.

„Vielleicht ist es besser, wenn ich dir diese drei Worte noch nicht sage. Ich vertraue dir zwar, aber beim letzten Mal habe ich es ja auch so sehr überstürzt…denke ich zumindest. Vielleicht sind diese ständigen Unterbrechungen ein Wink des Schicksals, dass wir es etwas langsamer angehen sollten. Es ist ja auch ein bisschen kitschig, so ein plötzliches Liebesgeständnis. Wenn es dir reicht, dann sage ich dir, dass mein Herz dir von dem Moment an gehört hat, als ich in deine Augen gesehen habe und ich vertraue dir. Bei keinem anderen habe ich mich je so wohl gefühlt, wie bei dir Yami. Ich bin gerne mit dir befreundet und wäre gerne mehr als nur dein bester Freund. Viel mehr.“
 

Das schien dem Größeren zu genügen. Mit einer schnellen, fließenden Bewegung hatte er Yugi beide Arme um die Taille geschlungen und ihn rittlings auf seinen Schoß gezogen*. Mehr aus Reflex, als mit Absicht, legten sich die Arme des Kleineren um Yamis Hals. Den Bruchteil einer Sekunde sahen sie sich in die Augen, Sie waren sich so nah. Yugi konnte den warmen Atem des anderen auf seinen Lippen fühlen. Und mit einem Mal war alles ganz leicht.
 

Ohne weiter darüber nachzudenken legte der sonst so schüchterne Junge die Lippen auf die seines Gegenübers und küsste diesen zart und sanft. Der etwas Ältere war völlig überrumpelt von Yugis Initiative, doch nach dem ersten Schreckmoment erwiderte er die zärtliche Berührung.
 

Yugi zu küssen, war genau so, wie er es sich immer vorgestellt hatte. Es war atemberaubend und vertraut. Seine Lippen schmeckten so süß und…unschuldig. Yami verlor sich ganz in diesem Gefühl. Als die Finger des Kleinen den Weg in seinen Haarschopf fanden und ihn noch näher an sich drückten, entkam dem Rotäugigen ein genießerischer Seufzer. Wie oft hatte er von diesem Moment geträumt? Wie oft hatte er versucht zu erahnen, wie es sein würde? Doch dieser Kuss übertraf all seine Erwartungen.
 

Yami ließ seine Hände wieder über Yugis Rücken wandern, so wie er es getan hatte, als er ihn getröstet hatte. Da diese Berührung diesmal nicht aufmunternd oder tröstend gemeint war, war auch die Reaktion eine andere. Mit tiefer Genugtuung bemerkte der Punk die kleinen Schauer, die Yugis Rücken hinab liefen und die leichte Gänsehaut, die sich auf der weißen Haut bildete. Zufrieden Grinste er in den Kuss hinein.
 

Die beiden Jungen waren so sehr in ihrer eigenen Welt gefangen, dass sie das leise Öffnen und das schnelle wieder Schließen der Türe nicht mitbekamen. Sie hörten auch nicht den alten Mann, der im Weggehen den Kopf schüttelte und mit einem zufriedenem Lächeln murmelte: „Ja, ja…ein Klassenkammerad…Wichtiges zu besprechen…zu meiner Zeit nannte man das noch rumknutschen…ts ts ts.“
 

Wieder zurück im Hier und Jetzt, war der Bunthaarige am Schultor angekommen, an dem schon jemand auf ihn wartete. Yami begrüßte ihn mit einem strahlenden Lächeln und Yugi lächelte zurück. Als sie nur noch einen Schritt von einander entfernt standen, glitten die Arme des Violettäugigen wie von selbst in den Nacken des Größeren. Aus dem, was eigentlich kurzen Begrüßungsküsschen werden sollte, wurde ein intensiver und leidenschaftlicher Kuss, der ausdrückte, wie sehr sie einander in den wenigen Stunden, die sie getrennt waren, vermisst hatten.
 

Die beiden Teenager hatten beschlossen ganz offen zu ihrer Beziehung zu stehen, anstatt sie zu verheimlichen. Sollten die anderen doch reden was sie wollte! Sollten sie doch lästern! Im Endeffekt war es Yami und Yugi egal, denn sie wussten beide, dass die wichtigsten Menschen in ihrem Leben – ihre Familien – zu ihnen halten würden. So gingen sie Hand in Hand in das Schulgebäude.
 

********************
 

Der Schultag war schon vorbei und wider Erwarten, war er besser verlaufen, als Gedacht. Die beiden Punks hatten zwar zu Beginn des Tages ziemlich viele Blicke auf sich gezogen und für eine Menge Verwirrung gesorgt, doch anstatt die Jungs zu meiden und in Getuschel und Spekulationen zu verfallen, waren ihre Klassenkammeraden ganz offen auf sie zugekommen und hatten Yami und Yugi gefragt, ob sie nun ein Paar wären oder nicht.
 

Yami hatte alle dies bezüglichen Zweifel dann ausgeräumt, als er sich zu seinem kleineren Ebenbild gebeugt hatte und diesen kurz und heftig geküsst. Yugi wurde erst wieder bewusst, dass seine Mitschüler ihn anstarrten, als sich Yamis Lippen von seinen lösten. Während der Kleinere rot anlief, grinste der Rotäugige nur provozierend.
 

Daraufhin brach dann eine weitere Flutwelle von Fragen über sie hinein. Alle wollten wissen, wie lange sie schon ein Paar waren, wie sie zusammengekommen waren und vor allem, wer den ersten Schritt gemacht hatte.
 

Yami erzählte sehr freimütig von ihrer ersten Begegnung. An der Stelle, an der er gesehen hatte, dass Yugi mit einem anderen da war, hielt er inne. Der Rotäugige wusste ja nicht, ob sein kleineres Ebenbild damit einverstanden war, wenn er hier seine gesamte Vorgeschichte herumposaunte. Doch seine Sorge war unberechtigt, denn Yugi lächelte sanft und erzähle die Story ihrer ersten Begegnung weiter.
 

Nachdem die Beiden geendet hatten, waren es vor allem die Mädchen, die Yugi umringten, um ihn zu trösten und zu versichern, wie Leid ihnen das Ende seiner ersten Beziehung tat. Er hörte solch Kommentare, wie: „Oh, du Armer, dann hast du die ganze Zeit still vor dich her gelitten“ oder „Du hättest uns davon erzählen sollen, wir hätten dich doch getröstet und wieder aufgeheitert“ und „Jetzt hast du aber was Besseres abbekommen“.
 

Mit so vielen positiven Reaktionen hatten die beiden Teenager nicht gerechnet. Nur eine Person schien es nicht akzeptieren, dass ‚ihr geliebter Yami’ schon vergeben war. An einen Jungen! An Yugi! Die Brünette erdolchte den Kleineren mit ihren Blicken.

„Wie kann der kleine Fruchtzwerg es wagen…dabei hat er doch behauptet, er wäre mein bester Freund und dann zieht er so eine Nummer ab. Der hat mich doch bestimmt gestern nur angeschrieen, damit Yami ihm folgt. Das ist doch alles nur ein blöder Scherz…es kann gar nicht sein, dass er dieses halbe Baby MIR vor zieht…genau, das ist nur ein blöder Witz…“
 

Absolut überzeugt von dieser Idee, ging sie auf das Objekt ihrer Begierde zu, um sich ihre Vermutung bestätigen zu lassen.

Außer ihr, Yugi und Yami waren noch zwei andere Personen im Raum. Zum einen war da Tracy Wittman – das Mädchen, das Tea mit ihrer Randale in den Mädchentoiletten fast zu Tode erschreckt hatte – und zum anderen Misako Kenzo. Auch sie war nicht gerade gut auf die penetrante Brünette zu sprechen. Alle Anwesenden – außer Tea – waren vom Klassenlehrer eingeteilt worden, den Raum nach dem Unterricht sauber zu machen.
 

Mit neugierigen Blicken beobachteten die beiden anderen Mädchen nun, wie die Brünette schnurstracks zu dem rotäugigen Jungen ging und auf ihn einredete.

„Hey Yami“, flötete sie mit ihrer schrillen Stimme, „das war ein echt gelungener Scherz heute, aber du glaubst doch nicht wirklich, ich würde dir abkaufen, du wärst mit dieser halben Portion zusammen. Komm schon, du könntest doch was Besseres haben…MICH.“
 

Tea war nicht davon abzubringen, dass sie die perfekte Wahl für den Punk wäre. Sie hatte zwar in der Pause mit angehört, als die anderen Yami und Yugi ausgefragt hatten und auch den vertrauten Umgang der beiden Jungs mitbekommen, doch wahr haben wollte sie es nicht.

Auch die Worte, die der Rotäugige zu ihr sagte, prallten ungehört an ihr ab.

Als er nämlich sagte: „Das war kein Witz Tea. Ich bin jetzt mit Yugi zusammen und ich bin froh darüber, ihn endlich für mich gewonnen zu haben. Komm klar damit. Außerdem sollte die Frage wohl eher lauten: Was sollte ich mit dir anfangen, wo ich doch Yugi habe?“
 

Die beiden Mädchen, die Zeuge dieser Unterhaltung wurden, mussten sich ein lautes Auflachen verkneifen. Wenige Sekunden später verschwand jedoch das Grinsen von ihren Gesichtern, als sie begriffen, dass die Brünette diese eiskalte Abfuhr nicht als solche aufgefasst hatte.
 

Tea hatte es irgendwie geschafft Yami in eine Ecke des Zimmers zu drängen und versuchte nun ihn zu umarmen und ihm einen Kuss aufzudrücken.

Dabei säuselte sie – wie sie wahrscheinlich dachte – verführerisch: „Komm schon, wie kannst du etwas ablehnen, was du noch nicht probiert hast. Ich verspreche dir, nur ein Kuss von mir und du wirst alles Vorherige vergessen.“
 

„Ja, das wird er bestimmt“, murmelte Misako, „allein schon deswegen, weil sein Körper versuchen wird ihn vor diesem traumatischen Erlebnis zu schützen…“

Tracy kicherte ganz leise.
 

Der rotäugige Junge sah ganz verzweifelt aus. Wie konnte er nur fliehen? Er wurde mit dem Grundsatz erzogen, dass man Mädchen nicht schlug oder sonst wie körperlich angriff. Beiden Beobachterinnen war klar, dass sie etwas unternehmen mussten, um den armen Yami vor dieser Nervensäge zu retten, doch noch bevor eines der Mädchen reagieren konnte, traf ein nasser Tafelschwamm Teas Rücken.
 

Während die Brünette noch Löcher in die Luft starrte und versuchte zu verstehen, warum ihr Blazer hinten so nass war, sahen Tracy und Misako in die Richtung, aus der das Wurfgeschoss kam. Was sie dort sahen, würden beide nie vergessen.
 

Der sonst so ruhige Schüler Yugi Muto sah aus, als wäre er unter Strom geraten. In seine sanften, tiefvioletten Augen blitzte die Wut, seine weichen Gesichtszüge wirkten mit einem Mal entschlossen und hart, Der ganze Körper war angespannt, die Hände zu Fäusten geballt und mit der aufwendig hochgegelten Frisur, wirkte er wie ein Stachelschwein kurz vor dem Angriff.
 

Misako und Tracy beobachteten dieses Schauspiel fasziniert. So hatten sie ihren kleinen Yugi noch nie erlebt. Mit schnellen Schritten war er bei Tea angelangt, packte sie am Arm und zog sie – mit einer Kraft, die man ihm gar nicht zugetraut hätte – so weit weg von seinem Freund, wie es nur möglich war.
 

Seine sonst so ruhige und zarte Stimme hatte eine gefährliche Lautstärke und eine nicht zu überhörenden, drohenden Tonfall, als er der Blauäugigen entgegen schrie: „SAG MAL HAST DU NOCH ALLE TASSEN IM SCHRANK ODER WAS TICKT BEI DIR SONST SO NICHT MEHR RICHTIG. KRIEG ES ENDLICH IN DEINEN HOHLEN SCHÄDEL REIN: YAMI – IST – MIT – MIR – ZUSAMMEN“, er sprach jedes Wort extra langsam aus, damit Tea auch jedes einzelne richtig verstehen konnte.
 

„ICH WIEß JA NICHT, WAS MIT DIR NICHT STIMMT, ABER SOLLTEST DU ES JEMALS WIEDER WAGEN, DICH AN MEINEN FREUND RANZUMACHEN – EGAL WIE, EGAL WANN UND EGAL WARUM – WIRST DU DIR WÜNSCHEN DIE JUNGS MIT DEN „HAB – MICH – LIEB – JACKEN“ HÄTTEN DICH ABGEHOLT, ALS DU DAMALS DIE MÄDCHENTOILETTE DEMOLIERT HAST. UND LASS DIR DASS EINE GESAGT SEIN, YAMI WERDE ICH NICHT SO EINFACH AUFGEBEN: VOR ALLEM NICHT WEGEN DIR UND SCHON GAR NICHT FÜR DICH.“
 

Mit diesen Worten ließ er Teas Arm los, den er die ganze Zeit festgehalten hatte. Ohne sie auch nur noch eines Blickes zu würdigen schnappte er sich seine Tasche, nahm auch gleich die seines Freundes an sich und ging zu diesem. Yami sah ihn immer noch mit großen Augen an. Er hätte nie gedacht, dass sein Yugi zu so einem Wutausbruch fähig war.
 

„Yugi…das war…“

Er fand keine Worte dafür. Während der Angesprochene ihm die Tasche reichte, griff er gleichzeitig nach der Hand des Größeren und schenkte ihm ein liebevolles und sanftes Lächeln. Von der Wut, die noch wenige Momente vorher in seinem Gesicht zu lesen war, fand sich keine Spur mehr. Auch Yugis Stimme hatte wieder ihren normalen und liebenswerten Klang wieder, als er flüsterte: „Es ist so wie ich es gesagt habe: Ich gebe dich nicht so einfach kampflos her. Du bist mir wichtig und deswegen hoffe ich, dass du damit leben kannst, dass ich auf jeden eifersüchtig werde, der dir zu nahe kommt.“
 

„Nur, wenn du damit leben kannst, dass es mir bei dir nicht anders gehen wird“, flüsterte Yami zurück. Er schlang seinen freien Arm um die Taille des Kleineren und zog ihn näher an sich ran. Gemeinsam gingen sie aus dem Klassenzimmer.
 

Erst das lang gezogene, schmachtende „Ooooooooh“, erinnerte sie daran, dass noch weitere Personen im Raum waren. Ohne sich umzudrehen wollte Yami wissen: „Tracy, Misako, stört es euch, wenn wir schon gehen?“
 

„Nö, tut es nicht. Wir wollten auch gerade gehen. Wir sind doch sowieso fertig. Den Schwamm kann Tea auch allein aufräumen und den Wasserfleck soll sie auch mal schön selbst wegwischen. Schließlich ist sie ja dafür verantwortlich.“
 

Und so blieb Tea zum zweiten Mal in dieser Woche alleine im Klassenraum zurück. Völlig paralysiert vom Schock. Wer hätte schon gedacht, dass der kleine Yugi so ein Organ hatte? Sie mit Sicherheit nicht!



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Lamello
2022-01-16T10:28:16+00:00 16.01.2022 11:28
Eine wirklich schöne Story, die muss kommentiert werden. Die Geschichte ist so schön rund. Lässt sich ganz prima lesen und Dein Schreibstil ist wirklich toll. Mir hat sie sehr gut gefallen. Gerade die Schleife in die Vergangenheit und das erste Treffen der beiden. Wirklich schön!
Von:  Silverphinix
2012-01-26T21:26:20+00:00 26.01.2012 22:26
Was noch kein einziger Kommi ubs, ich sollte mich schämen dabei habe ich diese Ff ja so lange schon in meinen Favos.
Ich finde die ganze Story super, bitte weiter solche schönen Ffs schreiben.
Achja Charlie ist doch voll süss, ach den muss man einfach lieb haben und das er deinen Computer Tastatur mit seinem Körbchen verwechselt hat heisst doch das er dich mag, er will in deiner Nähe sein.

Lg
Silverphinix


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