Ein Picknick mit unangemeldeten Gästen
Hallo ihr Lieben,
erst mal ein sehr, sehr verspätetes „frohes neues Jahr“. Ich hoffe, ihr seid gut
hineingerutscht.
Es tut mir echt leid, dass ich für das letzte Kapitel keine Benachrichtigung
geschickt habe (Gomen nasai; tiefe Verbeugung).
Aber die Tage „zwischen den Jahren“ waren echt turbulent. Jetzt hat mich leider
der Alltag wieder, viel zu schnell nach meinem Geschmack. Und leider hat das neue Jahr mit einer Menge Stress begonnen. Aber so ist das eben.
Machen wir das Beste daraus.
In diesem Kapitel bekommt Keisuke erneut den Charme von Rin zu spüren, auch
wenn es in einer gefährlichen Situation passiert.
Viel Spaß beim Lesen...
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Ein Picknick mit unangemeldeten Gästen
Das war in der Tat alles andere, als eine Besichtigungstour durch die Stadt.
Der kleine Trupp bestehend aus zwei Samuraikrieger, Rin, dem Fürstensohn und
Keisuke hatte schnell die Stadt durchquert und befanden sich nun schon
ziemlich weit entfernt von der Residenz und den letzten Häusern entfernt.
Keisuke warf einen schnellen Blick zur Seite. Der Fürstensohn saß sehr gut im
Sattel. Es gehörte wohl zur Ausbildung eines menschlichen Kriegers, diese
Kunst zu beherrschen. Zwar hatte Hiroki auch Keisuke ein Reittier angeboten,
doch der Youkai hat nur abfällig schnaubend abgelehnt. Nie im Leben würde er
sich auf so ein Tier setzen und so waren sie losgezogen
Rin und Hiroki auf Pferden, mit zwei Palastwachen und Keisuke zu Fuß. Der
Inuyoukai hatte keine Mühe den Pferden zu folgen. Er hielt sich seiner Rolle
getreu nur wenige Schritte seitlich von Rin auf.
Rin machte dieser Ausflug riesigen Spaß. Sie hatte bisher nur sehr selten auf
einem Pferd gesessen. Ah-Uhn war bis zu diesem Zeitpunkt mehr ihr Reittier
gewesen. Diese Art von Fortbewegung war völlig anders. Der Wind fuhr ihr warm
über die Haut. Das Klirren des Zaumzeugs schwang durch die Luft, wie auch das
gelegentliche zufriedene Schnauben der Pferde.
"Das war eine wunderbare Idee, Hiroki-san", rief sie aus.
Der junge Krieger lachte. "Ich kann mir denken, dass diese ewigen Verhandlungen
und Buchprüfungen nicht gerade die schönste Beschäftigung für eine junge Frau
sind."
"Und doch werde ich nachher Jaken-sama wieder Gesellschaft leisten. Er soll
nicht alles alleine machen", erwiderte Rin.
Allerdings sollte dieser Zeitpunkt ihrer Meinung nach eher später als früher
sein.
Es war ein wunderschöner Tag. Die Sonne schien hell vom Himmel herab und die
paar einzelnen Wolken machten nichts. Vögel zwitscherten. "Ich habe noch eine
Überraschung für Euch", sagte Hiroki in diesem Moment. Rin wandte den Kopf und
sah ihn an. "Und was könnte diesen Tag noch schöner machen?"
"Ein Picknick. In den Satteltaschen meiner Wachen verbergen sich wahre
Köstlichkeiten. Wir müssen nur noch einen geeigneten Platz finden."
Keisuke verzog angewidert den Mund. So eine Süßholzraspelei. Hiroki versuchte
offensichtlich Eindruck bei Rin zu schinden und sicherlich würde dieses Weib
sich geschmeichelt fühlen und nur so dahin schmelzen.
Es verging nur noch wenig Zeit, bis Hiroki schließlich die Zügel anzog und
sein Pferd anhielt. "Hier scheint mir eine gute Stelle zu sein. Hier bleiben
wir."
Er stieg ab und half Rin ebenfalls vom Pferd.
Die beiden Wachen nahmen die Satteltaschen von den Pferden und während der
eine die Tiere versorgte und sicherging, das sie sich nicht unerlaubt
entfernen konnten, packte der andere ein Picknick aus.
Eine schwere Decke wurde unter den Schatten eines Baumes auf den Boden gelegt.
Verschiedene Behälter mit Essen wurden ausgepackt und darauf verteilt.
Als alles fertig war, verbeugte sich die Wache kurz vor dem Fürstensohn und
zog sich dann mit seinem Partner etwas zurück um dem Fürstensohn und Rin eine
private Atmosphäre zu geben.
Keisuke kannte nicht soviel Taktgefühl, er lehnte sich unmittelbar an den
dicken Baumstamm, der die Schattenkrone über dem Picknick bildete. Das
einzige Eingeständnis, das er machte, war, dass er sich seitlich aufhielt,
nicht direkt im Blickfeld der beiden Menschen.
Rin nahm auf der Decke Platz und Hiroki gesellte sich zu ihr. Schon bald waren
sie in ein angeregtes Gespräch vertieft. Keisuke verdrehte die Augen hinter
den geschlossenen Augenlidern, als er Rin’s leises Kichern vernahm.
Die Zwei waren mehr als peinlich.
Der Wind drehte und kam nun aus östlicher Richtung. Keisuke versteifte sich
plötzlich. Er hatte eine Witterung aufgefangen. Menschen und nicht gerade
wenige. Zehn, oder sogar zwölf. Seine Nase kräuselte sich angewidert. Dem
Gestank zu urteilen, hatten sie sich seit Tagen nicht mehr gewaschen,
geschweige denn gebadet.
Er konnte sich kaum vorstellen, dass die Männer kamen um ihnen einen Guten Tag
zu wünschen und dann einfach weiterzogen.
Das Picknick würde eine herbe Unterbrechung erleiden. Es wurde Zeit die beiden
Turteltauben aus ihren rosaroten Träumen zu reißen.
Keisuke stampfte los. "Wir bekommen Besuch", sagte er knapp, als er neben
ihnen stand.
Hiroki hielt mitten in dem Satz inne, den er gerade begonnen hatte und starrte
Keisuke verblüfft an.
Rin schaltete jedoch schneller. "Was könnt Ihr wahrnehmen?", fragte sie mit
sachlicher und ruhiger Stimme. Von der jungen unbekümmerten Frau, war nichts
mehr zu erkennen.
"Männer, etwa zehn bis schätzungsweise zwölf. Ich glaube kaum, dass sie in
friedlicher Absicht kommen", antwortete Keisuke.
Hiroki erhob sich und Rin folgte sogleich seinem Beispiel.
"Wachen!", rief der Fürstensohn und augenblicklich kamen die beiden Männer
näher, die sich auf Rücksicht der fürstlichen Privatsphäre etwas außer
Reichweite gehalten hatten.
"So wie es aussieht, nähern sich uns mehrere Männer. Wir nehmen an, dass
Gefahr von ihnen ausgeht", informierte Hiroki sie. Er drehte den Kopf zu dem
Youkai. "Besteht noch die Möglichkeit die Hime außer Gefahr zu bringen?"
Keisuke legte den Kopf leicht schief und schloss einen Moment konzentriert die
Augen. Als er sie wieder öffnete, sagte er. "Nein. Sie haben sich aufgeteilt.
Jetzt kommen sie von zwei Seiten."
Hiroki presste ärgerlich die Lippen zusammen. "Es tut mir leid, Rin-chan.
Bitte sei tapfer. Wir werden alles tun, damit du unverletzt bleibst." In der
Aufregung war er unvermutet in die vertrauliche Ansprache gewechselt.
"PAH!", machte Rin, wandte sich ab und ging zu den Pferden, die zwischen den
Bäumen angebunden worden waren. Sie griff in eine der Satteltaschen, die an
ihrem Tier befestigt waren.
Als sie zurückkam, hielt sie in ihren Händen einen unterarmlangen Stock.
Hiroki sah etwas ratlos aus, doch bevor er sie noch fragen konnte, machte Rin
mit den Händen zwei schnelle Bewegungen und der Stab verwandelte sich in einen
langen Kampfstab. "Ich werde nicht tatenlos daneben stehen und zusehen, wie
ihr euer Leben riskiert", sagte sie mit fester Stimme.
Keisuke starrte sie ebenfalls etwas irritiert an. Damit hatte er nicht
gerechnet. Eher damit, das sie in Tränen ausbrechen würde und sich wimmernd
an die Männer wenden würde mit der Bitte sie zu beschützen.
"Könnt Ihr damit überhaupt umgehen?", fragte er und deutlich konnte man seine
Skepsis aus seiner Stimme hören. "Ich habe keine Lust auch noch darauf zu
achten von Euch aus Versehen ko. geschlagen zu werden."
Rin hob nur leicht die Augenbraue an, dann verwandelte sie sich in einen
huschenden Schatten und in der nächsten Sekunde hatte Keisuke die Spitze des
Kampfstabes an der Kehle liegen.
Braune Augen blitzten ihn schelmisch an.
"Ich denke mir, dass reicht auch für Eure hohe Anforderungen, oder?"
Keisuke packte den Stab und drückte ihn mit aller Macht zur Seite, er spürte,
wie Rin für eine Sekunde versuchte ihm Widerstand entgegen zu setzen, doch
dann nachgeben musste. Er trat nah an sie heran und senkte den Kopf, damit er
in ihre Augen blicken konnte.
"Steht mir nicht im Weg herum, sondern haltet Euch gefälligst im Hintergrund,
wo Ihr keinen Schaden anrichten könnt", knurrte so leise, dass nur Rin es
verstehen konnte.
Dann wandte er sich mit einem Ruck ab.
Rin schüttelte nur sachte den Kopf. Dieser Youkai war verdammt schwierig und
vor allem würde er wohl niemals von seiner Meinung und Verachtung über und für
die Menschen abgehen.
Hiroki nickte indessen anerkennend. "Ich sehe, dass Ihr eine gewisse
Ausbildung erhalten habt. Doch bitte haltet Euch im Hintergrund.
Vielleicht ist auch das alles völlig überflüssig und sie sind nur auf der
Durchreise."
Er verschwieg Rin, dass er nicht wirklich daran glaubte, denn schon seit
etlichen Jahren, seit der Schutz des Inu no Taishou nicht mehr bestand, waren
die Überfalle auf die Dörfer der Umgebung mehr geworden, besonders zur
Erntezeit.
Zwar war das noch ein wenig hin, doch manche Banditentrupps ritten schon
vorher alles ab, um festzustellen, wo sich die größte Beute machen ließ.
Manchmal überfielen sie auch jetzt schon die Dörfer, dann war ihr Augenmerk
jedoch mehr auf die jungen Frauen gerichtet.
Was sie mit diesen machten, wollte Hiroki sich nicht mal in seinen schlimmsten
Träumen ausmalen.
Der Ziehtochter des Inu no Taishou durfte das unter keinen Umständen passieren.
Er konnte sich die Rache, die der Youkaifürst dann ihnen üben würde nicht mal
ansatzweise vorstellen.
Sein Blick fiel auf den Youkai, der mit grimmiger Miene, den Wald musterte. Er
hatte noch nie einen Youkai kämpfen sehen. Doch dieser Krieger würde die
Überzahl etwas ausgleichen. Vielleicht hatten sie doch eine Chance.
Rin fasste den Stab fester und zog sich etwas zurück. Die Männer hatten einen
Halbkreis um sie gebildete, nachdem Keisuke in die Richtung gezeigt hatte, aus
der die Hauptgruppe der Männer kommen würde. So warteten sie ab.
Rin beobachtete ihren Beschützer genau. Sie wusste um die feinen Sinne der
Youkai und da sie den größten Teil ihres Lebens unter ihnen verbracht hatte,
kannte Rin sie ganz genau. Keisuke hätte es sehr geärgert, wenn er gewusst
hätte, was die junge Frau aus seinen Bewegungen und seiner Miene herauslesen
konnte.
Rin presste die Lippen zusammen, als sich die Muskeln des Youkai unter dem
Stoff deutlich anspannten.
Es war soweit.
In diesem Moment raschelten Blätter und knackten laut und deutlich Äste. Aus
dem Schatten der Bäume kamen acht Pferde im langsamen Schritt auf sie zu.
Rin’s Blick glitt schnell über die Tiere und die Gestalten. Die Pferde waren
nicht die beste Qualität und bei drei von ihnen traten die Hüftknochen
deutlich hervor. Aber auch die anderen waren nicht gerade gepflegt.
Auch die Reiter waren nicht gerade eine Augenweide. Einzig der Anführer, der
nun sein Pferd direkt vor ihnen zügelte, hatte eine vollständige Samurairüstung.
Allerdings saß der Brustpanzer, als ob die Rüstung einst einem westlich
größeren Mann gehört hatte.
~Keisuke hat Recht~, dachte Rin. ~Es sind Banditen!~
Sie konnte nicht verhindern, dass sich ein flaues Gefühl in ihrem Magen
auszubreiten begann.
"Seid gegrüßt", rief der Mann. Sein Blick glitt über die kleine Gruppe. Für
einen Moment blieb er bei dem Fürstensohn hängen und ein kurzes Zucken der
Mundwinkel zeigte, dass er sehr wohl wusste, wer da vor ihm stand.
Hiroki nickte grüßend. "Euch ebenfalls einen schönen Tag. Ihr seid recht weit
ab von den Strassen. Seid ihr vom Weg abgekommen? Können wir euch helfen?"
Der Mann lachte laut auf, dann wandte er sich an seine Kumpane. "Wie nett. Er
fragt, ob er uns helfen kann."
Lautes Gelächter war die Antwort. Der Mann drehte sich wieder im Sattel um. Er
beugte sich leicht vor und fixierte die kleine Gruppe mit stechendem Blick.
"Lassen wir diese Spielchen. Wir wissen wer ihr seid. Euer Vater wird
sicherlich einiges springen lassen um euch wieder glücklich in seine Arme
schließen zu können. Sein Blick blieb auf Rin hängen. "Und die Schönheit dort
ist eine nette Dreingabe, die uns die Wartezeit auf das Lösegeld sicherlich
angenehmer gestalten wird."
Keisuke schob sich direkt zwischen Rin und das Pferd des Mannes.
"Verschwindet!", knurrte er.
Doch der Bandit grinste nur breit. Das helle Schleifgeräusch durchbrach die
angespannte Stille. Sonne blitzte auf der Klinge, die der Mann nun zog und in
die Luft reckte. "Greift sie..."
In diesem Moment sprang Keisuke vorwärts. Das Pferd des Banditen bäumte sich
erschrocken auf. Schwere Hufe zischten nur Millimeter an dem Kopf des Youkai
vorbei.
Mit der linken Hand griff Keisuke nach den Zügeln, mit der Rechten schlug er
mit voller Wucht gegen die Schulterpartie des Tieres. Das Pferd verlor die
Balance und fiel zur Seite um.
Sein schrilles Wiehern durchschnitt die Luft.
Die Pferde auf der linken Seite, wichen erschrocken und bockend zur Seite.
Drei Männer konnten das Gleichgewicht nicht mehr halten und flogen im hohen
Bogen zu Boden. Ein weiteres Tier entriss mit einer heftigen Kopfbewegung
seinem Reiter die Zügel und rast in kopfloser Panik davon.
Hiroki und die beiden Wachen hatten ebenfalls ihre Schwerter gezogen und
nutzen den Moment der Überraschung um sich auf die Banditen zu stürzen. Die
scharfen Klingen beendeten augenblicklich das Leben von drei Männern.
Rin hielt sich zurück, bis das Brechen von Zweigen in ihrem Rücken die Ankunft
des Hinterhalts ankündigte. Sie wirbelte herum und fand sich drei Gegner zu
Fuß gegenüber. Der erste kam schon mit gezücktem Messer auf sie zu.
Sie tauchte zu rechten Seite weg und wirbelt herum. Der Mann konnte nicht
mehr stoppen und rannte an ihr vorbei. Mit einem dumpfen Laut traf der
Kampfstab seinen Schädel und schickte ihn bewusstlos zu Boden.
Eine Bewegung aus dem Augenwinkel ließ Rin den Stab, so fest wie sie konnte
nach hinten stoßen. Ein Röcheln zeigte, das sie den Magen ihres Angreifers
getroffen hatte. Ein schneller Schlag schickte auch ihn zu Boden.
Doch der Dritte war klüger. Er griff nicht planlos an, sondern begann sie
langsam zu umkreisen, um ihre Schwäche zu finden. Wachsam verfolgte Rin jede
seiner Bewegungen
Keisuke war inzwischen wie der Dämon, der er war, über die Räuber gekommen.
Sein Herz jubelte, als er seine Krallen tief in den Körper des vor ihm
stehenden Mannes grub. Der schale Kupfergeruch von Blut tränkte die Luft. In
seiner Vorstellung tötete er erneut die Männer, die seinen Vater auf dem
Gewissen hatten.
Auch Hiroki und sein Wachen waren nicht untätig. Eben wich der Fürstensohn
geschickt einem tief geführten Schwerthieb aus. Er riss die Klinge hoch und
parierte den nächsten Schlag. Der zweite beendete das Leben des Räubers.
Neben ihm stöhnte einer seiner Wachen schmerzerfüllt auf. In dem Versuch seinen
Herrn Deckung zu geben, war er hinterrücks angegriffen worden.
Hiroki verhinderte in letzter Sekunde, dass der Räuber mit einem letzten
Schlag dem Mann den Kopf von den Schultern holte.
Der Mann, der Rin umkreiste, entschloss sich es zu beenden. Mit einem Schrei
warf er sich auf sie. Das Schwert mit beiden Händen weit über den Kopf
hochgerissen. Doch Rin wich nicht zurück.
Im Gegenteil, sie sprang ihm entgegen und verkürzte so die Distanz zwischen
ihnen. Überraschung weitete seine Augen, als er erkannte, dass der nie so
schnell die Arme senken konnte, um ihren Schlag zu parieren.
Rin traf die richtige Stelle. Sämtliche Luft wich ihrem Angreifer aus den
Lungen. Sein Gesicht verfärbte sich erst weiß, dann grün, bis er schließlich
bewusstlos zusammenbrach.
"Mistkerl!", der wutentbrannte Schrei klang genau hinter Keisuke auf, im
selben Moment grub sich der Schmerz wie eine glühende Lanze in seinen Körper.
Augenblicklich schmeckte Keisuke Blut und das unheimliche Rasseln tief in
seiner Brust ließ ihn wissen, dass seine Lunge gerade getroffen worden war.
Seine Knie gaben unter ihm nach und er sank zu Boden. Mit beiden Händen
stützte er sich ab.
Blut lief ihn aus dem Mund, tropfte warm auf das Gras und färbte es rot.
Gleichzeitig schoss maßlose Wut in ihm hoch, verdrängte die schockartige
Starre, die ihn umfasst hatte, färbte die Adern in seinen Augen blutrot, ließ
seine Nägel um das vielfache ihrer ursprünglichen Länge anwachsen.
"STIRB!"
Der Inuyoukai hörte, wie die Luft die Schwertklinge seines Angreifers
umspielte, als sie hochgerissen wurde. Mit einem lauten Schrei sprang Keisuke
auf, wirbelte herum und spürte dennoch, dass es zu spät sein würde dem
tödlichen Schlag zu begegnen.
Das Bild vor ihm brannte sich tief in ihn ein und Keisuke wusste, dass er es
niemals wieder vergessen würde.
Vor ihm stand der Anführer der Banditen, der Mann, den er so unsanft vom Pferd
befördert hatte, das Schwert halb niedergefahren, doch die Klinge wurde
aufgehalten. Mit beiden Händen, den Stab hoch erhoben, stand Rin vor ihm und
blockte den todbringenden Schlag.
Keisuke sank die zum Schlag erhobene Hand langsam herunter.
Als Rin Keisuke fallen sah und den Dolch sah, der ihm im Rücken steckte,
zögerte sie keine Sekunde.
"NEIN!", sie warf sich mit erhobenen Kampfstab vor ihn. Ihre Arme erzitterten
in den Gelenken, als die Klinge das Holz traf. Sie wusste, dass nur die
Überraschung den Mann aufhielt.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Keisuke herumwirbelte. Sie ließ sich in die
Knie sacken und stieß den Stab mit aller Kraft nach aufwärts vorne.
Die Spitze traf den Banditen unter dem Kiefer und ließ ihn nach hinten taumeln.
Er verlor die Balance und fiel auf den Rücken.
Mit einem riesigen Sprung war Keisuke bei ihm. Er kam auf seinem Oberkörper
auf und augenblicklich legten sich seine Hände, wie eine tödliche Klammer um
den Hals des Mannes.
Rin wandte sich ab. Sie wollte nicht zusehen, wie der Youkai tötete.
Das Brechen der Wirbel, hallte überlaut auf der kleinen Lichtung.
Es war, als ob der Kampf erstarrte.
"Rückzug... Verdammt, die sind uns über. Rückzug!", schrie auf einmal einer der
Männer.
Mit einem schnellen Blick stellte Rin fest, dass von ursprünglich zwölf
Angreifern nur noch fünf standen. Doch auch diese waren teilweise stark
verwundet. Jetzt war ihr Anführer tot und alles was sie noch interessierte,
war ihr eigenes Leben zu retten.
Der Körper unter ihm erschlaffte. Nur widerwillig löste Keisuke den todbringenden
Griff. Mit einem Ruck hob er den Kopf. Seine blutgetränkten Augen fixierten
die fliehende Beute und die Jagdinstinkte erwachten.
Mit einem Sprung war er auf den Beinen und lief los. Doch mit einem Mal befand
sich ein Hindernis in seinem Weg.
Den Kampfstab quer vor der Brust stand Rin völlig reglos vor ihm.
"Nein!", sagte sie leise, so leise, das er es fast gar nicht hörte. Er wollte
es auch nicht hören. Er wollte diese Männer jagen, er wollte sie töten.
"Keisuke-san, bitte bleibt... ich habe Angst ohne Euch", sagte Rin. Es war das
Letzte, das ihr einfiel, wobei sie stark bezweifelte, das es ausreichen würde
um den entfesselten Youkai aufzuhalten. Mehr als einmal hatte Keisuke ihr
gesagt, was er über die Menschen dachte. Und in diesem Zustand war er
eigentlich nur noch auf seine Beute fixiert. Doch sie musste es versuchen.
Rin konnte ihn nicht einfach losziehen lassen. Er war verwundet. Was, wenn die
Männer Halt machen würden und dem einzelnen verletzten Youkai auflauern?
Und so setzte sie auf das Einzige, was ihrer Meinung nach zu ihm durchdringen
konnte. Der Beschützerinstinkt eines Inuyoukai. Er sollte sie beschützen, dass
war sein Auftrag.
Und Rin hatte Recht.
Die blutroten Augen richteten sich auf sie und starrten sie an. Keisuke, fühlte
seinen Herzschlag wie dumpfe Trommelschläge in seinen Schläfen widerhallen und
doch klärte sich allmählich seine wutverschleierte Sicht.
Vor ihm stand Rin. Die braunen Augen weit und mit einem seltsamen Ausdruck auf
ihn gerichtet. Erst jetzt kamen ihm ihre Worte zu Bewusstsein.
Sie hatte Angst ohne ihn.
Es war seine Aufgabe sie zu beschützen. Augenblicklich verrauchte seine Wut.
Die blutgetränkten Augen verfärbten sich langsam wieder in ein warmes Braun.
"Ich bleibe", seine Stimme klang heiser und rau. Rin nickte und atmete hörbar
auf. "Ich Danke, Euch."
"Rin-chan. Ist alles in Ordnung? Seid Ihr verletzt?", aufgeregt kam Hiroki
heran. Noch immer das Schwert in der rechten Hand. Seine Rüstung wies mehrere
tiefe Risse auf und über seinem linken Arm zog sich ein breiter, blutiger
Streifen. Doch er sah noch viel besser aus, als seine beiden Wachen.
Einer lag stöhnend am Boden und hielt sich einen breiten Schnitt am Bein. Der
andere hielt sich nur noch mit seinem Schwert, das er als Stütze in den Boden
gerammt hatte, aufrecht. Offensichtlich hatte die Banditen bis zuletzt versucht
Rin und Hiroki unverletzt als Geiseln zu bekommen.
Rin ließ den Kampstab sich zurückverwandeln und steckte ihn an eine Schlaufe
ihres Gürtels. "Ich bin in Ordnung. Doch wir müssen die Verletzten versorgen,
bevor wir zum Schloss zurückkehren können."
Hiroki reinigte das Schwert mit einer schnellen Schleuderbewegung von dem Blut,
das an der Klinge haftete. "Ich werde Euch dabei helfen."
"Ich komme gleich, doch zuerst will ich mich um Keisuke-san kümmern. Ihm
steckt immer noch ein Messer im Rücken", erwiderte Rin ruhig.
Hiroki riss die Augen auf und wandte den Kopf zu dem Youkai, der die ganze
Zeit bewegungslos hinter Rin gestanden hatte. Der Youkai sah in der Tat nicht
gut aus.
Er hatte mehrere tiefe blutende Wunden und seine Kleidung war an mehr als
einer Stelle völlig zerrissen.
Er hatte gekämpft wie mehrere Männer und ohne ihn wäre dieser Überfall ganz
bestimmt anders ausgegangen. So hatten sie gewonnen.
Hiroki nickte ihm anerkennend zu. "Danke, Keisuke-san, für Eure Hilfe. Ihr
ward derjenige, der uns den Sieg gegen diese Übermacht gebracht habt. Lasst
Euch von Rin versorgen."
"Pah", knurrte Keisuke. "Ich bin in Ordnung. Diese kleinen Kratzer bringen
mich nicht um."
"Das weiß ich. Doch setzt Euch bitte hin", erwiderte Rin ruhig. Sie kannte nur
zur Genüge die Widerspenstigkeit von Youkai’s wenn sie verwundet waren.
Widerwillig nahm Keisuke Platz. Das Messer steckt in der Tat so tief zwischen
seinen Schulternblättern, dass er selbst nicht richtig dran kam. Es würde
ausreichen, wenn Rin es einfach herauszog.
"Es ist gut. Zieht das Messer einfach heraus Meine Wunden werden schnell
verheilen", fauchte Keisuke ärgerlich. Er schmeckte dem metallenen Geschmack
von Blut auf der Zunge und das erinnerte ihn an seine Unaufmerksamkeit, die
überhaupt zu dieser Verletzung geführt hatte. Die ganze Situation war nicht
dazu gedacht seine ohnehin schlechte Laune in irgendeiner Weise anzuheben.
"Das weiß ich", erwiderte Rin. "Doch mit einem Pressverband, der die Blutung
stillt, wird der Stich schon heute Abend nur noch eine dumpfe Erinnerung sein.
Also haltet still und lasst mich machen. Gebt mir Euren Dolch."
Keisuke verschluckte die ätzende Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag und
reichte Rin den Dolch. Er hörte Stoff reißen und wandte den Kopf.
Rin trennte ohne mit der Wimper zu zucken einen breiten Stoffstreifen aus dem
Ärmel ihres Haori’s. Sie reichte ihm das Messer wieder und vergrößerte
vorsichtig den Riss durch den das Messer ihn getroffen hatte. Dann half sie
ihm behutsam den Haori abzulegen. Der nackte Oberkörper kam zum Vorschein.
Deutlich konnte man die klar definierten Muskeln erkennen, die sich unter
seiner Haut abzeichneten. Doch Rin achtete nicht darauf, ihre gesamte
Aufmerksamkeit war auf das Messer gerichtet. Sie legte vorsichtig ihre Hand
auf seinen Rücken nahe der Wunde.
Keisuke spürte die sanfte Berührung und die Wärme ihrer Hand, fühlte, wie sie
vorsichtig über seine Haut strich und dann nahe der schmerzenden Stelle zum
Liegen kam. Für einen kurzen Moment vergaß er über dieses Gefühl, das sich
seltsam beruhigend und doch unglaublich intensiv anfühlte, den Schmerz.
"Seid Ihr bereit?", hörte er ihre leise Frage. Er nickte nur wortlos.
Rin legte ihre Hand um den Griff und zog mit einem kräftigen Ruck die Klinge
aus seinem Körper.
Schmerz flammte wie Feuer in ihm auf und Keisuke biss sich auf die Zunge, um
nicht laut aufzustöhnen. Gleichzeitig spürte er, wie Rin einen Teil des
Stoffes, den sie abgeschnitten hatte, als Kompresse fest auf die Wunde drückte.
Dann beugte sie sich zu ihm und griff unter seinen Armen entlang um den
restlichen Stoff als provisorischen Verband um seinen Oberkörper zu wickeln.
Dabei merkte sie gar nicht, wie sich ihr Oberkörper fest auf die nackte Haut
des Youkai presste.
Keisuke jedoch registrierte es sehr wohl. Unvermutet befand sich Rin in
absoluter Nähe zu ihm. Er fühlte die Weichheit ihres Körpers, der sich an ihn
schmiegte, fühlte, wie sie ihn umarmte. Dabei fiel ihr langes Haar über ihre
Schuler und glitt wie schwarze Seide über seine Brust.
Ihr Duft stieg ihm unvermittelt warm in die Nase.
Wildblumen... Seine Nasenflügel weiteten sich, als er ihn in sich aufnahm.
"So... das dürfte reichen. Bis heute Abend ist sicher alles verheilt", sagte
Rin und strich noch einmal prüfend über die Bandage.
"Alles in Ordnung?", fragte sie und hob den Kopf.
Keisuke sah sie wortlos an, als ob er sie zum ersten Mal bewusst wahrnahm. Er
sah den zerschnittenen Ärmel ihrer Kleidung aus dem sie den Verband für ihn
gemacht hatte, er sah die Blutspritzer und die Flecken, die sich auf ihrem
Haori befanden. Dorthin gelangt, während sie sich um ihn gekümmert hatte.
Seine Wunden verbunden hatte.
Sein Blick senkte sich und fiel auf ihre Hände. Schmale, gepflegte Hände...
nun rot gefärbt von seinem Blut und doch schreckte sie nicht davor zurück,
oder wischte sie angewidert ab. Sie war anders, als die Menschen, die er sonst
kennengelernt hatte.
Rin sah ihn schweigend an. Ihr entging nicht, wie er sie von oben bis unten
musterte. Doch sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was
Keisuke in diesen Momenten durch den Kopf ging. Dieser Youkai war so schwer zu
durchschauen. "Ich muss den anderen helfen", sagte sie und wandte sich
schließlich ab. Sie spürte, wie die Keisuke’s Blicke ihr folgten.
Einer der beiden Wachen war wirklich ernsthaft verletzt. Seine tiefe Beinwunde
blutete stark und es war eine Aderpresse notwendig um die Blutung zu stoppen.
Konzentriert arbeitete Rin. Sie wusste, wenn sie Fehler machte, würde dieser
Mann sterben, bevor sie ihn einem Heiler übergeben konnte.
Die zweite Wache hatte nur geringfügige Verletzungen. Sie half dem Fürstensohn
eine Trage zusammenzustellen, die sie hinter einem ihrer Pferde befestigen
konnten.
Als Hiroki schließlich neben Rin trat, nickte er anerkennend. "Hervorragende
Arbeit, Rin-Hime. Ich muss Euch bewundern. Ihr habt nicht nur tapfer gekämpft,
sondern habt auch noch medizinische Kenntnisse. Was für überraschende
Fähigkeiten verbergt Ihr sonst noch?"
Rin wurde unwillkürlich rot bei den lobenden Worten. "Das ist nichts besonders,
Hiroki-san. Wir haben eine sehr gute Heilerin auf unserem Schloss. Megumi-sama
hat mir oft erlaubt, dass ich ihr bei ihrer Arbeit zusehen konnte. Doch meine
Fähigkeiten sind beschränkt." Sie warf einen besorgten Blick auf das blasse
Gesicht der Wache, die mit äußerster Anstrengung versucht ihre Schmerzen zu
verbergen. "Wir sollten uns beeilen. Solche Verletzungen verlangen einen
erfahrenen Heiler."
Der Fürstensohn nickte und winkte Keisuke herbei. "Kommt helft uns."
Der Youkai folgte wortlos dem Befehl.
Sie führten eines der Pferde heran und befestigten die Trage an dem Sattel, so
dass die beiden Stangen sich auf den Boden abstützen und mitschleiften.
Gemeinsam hoben sie dann den Verletzen auf die Trage und banden ihn so fest,
das ihm der Transport sowenig Schaden wie möglich zufügte und er doch recht
sicher lag.
So schnell wie möglich machten sie sich auf den Weg. Keisuke lief wie auf dem
Hinweg neben den Pferden her. Doch diesmal führte er zusätzlich das Tier, das
die Trage mit dem Verletzen zog, am Zügel.
Der Rückweg dauerte gezwungenermaßen länger als der Hinweg, doch schließlich
erreichten sie in der Dämmerung das Schloss. Die Wachen sahen ihnen
erleichtert entgegen, denn die Zeit, die normalerweise so ein Ausflug dauerte
war schon längt überschritten.
Nicht mehr lange und sie hätten auf Befehl des Fürsten einen Suchtrupp
losgeschickt.
So erwachten sie zu hektischer Aktivität, als die kleine Gruppe zerschunden
und zerzaust in den Schlosshof einritt.
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Ende Kapitel 5
Dieser Ausflug wäre beinahe ziemlich übel ausgegangen. Nur die Gegenwart des
Youkai hat das Schlimmste verhindert.
In der Zwischenzeit war Jaken nicht untätig und es werden „geheime Pläne“
geschmiedet.
Und Keisuke findet endlich eine akzeptable Begründung für sein
ganz persönliches Problem, dass ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen will.
Liebe Grüße
chaska