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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil

Das Tagebuch eines Gesuchten
von

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Der runde Robin

Wir liefen mit den Fässern den Fluss entlang, dort stellten wir sie ab. Ich keuchte vor Anstrengung. Black war schwer und stützte sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf meine viel schmalere Schulter. Anders als Black selbst, denn er keuchte nicht, sondern stimmte ein Shanty an. Mit einem gleichmäßigen „Alle die mit uns auf Kaperfahrt fahren“ durchquerten wir das Gebiet und auch ich wurde genötigt, beim ‚Yohoho’ mit einzustimmen. Der Seebär fuchtelte mit seiner Krücke mehr herum, um den Takt anzuzeigen, als dass er sie zum Laufen gebrauchte.

Als wir dann endlich hielten, war ich so erschöpft und verschwitzt, dass ich das Gefühl hatte, ich käme direkt aus dem Meer. Wir waren dem Fluss gefolgt, bis zu einem weiteren, winzigen und stufenweise abfallenden Wasserfall. Dort kletterten wir hinab und ich roch Salz und sah das Meer. Mit Schrecken erkannte ich, dass wir uns zwischen den zwei Klippen befanden, die man vom Schiff aus gesehen hatte. Ein Weg schlängelte sich direkt dort nach unten und es grauste mir beim Gedanken, was hier los sein musste, wenn die Flut gerade einsetzte. Wir folgten einem Steinhang bis zu einer Höhle, die so schmal war, dass sie eher einem Riss glich.

Vom Schiff aus war dieser Spalt nicht zu sehen gewesen. Ich starrte hinab, wenige Meter unter uns lagen die Wellen und ein paar Riffe, gefährlich tief liegend. Es reichte nur ein lockeres Stück Fels und man stürzte in die Tiefe und selbst wenn man schwimmen konnte, würden die Wellen einen wohl gegen die Felswände schlagen.

Wir schlüpften in die Öffnung, wobei Black mich grob vorschob, damit ich auch ja nicht auf den letzten Metern Reißaus nahm.

Die Gischt sprühte uns um die Ohren und es war so laut, dass ich nichts verstand, wenn die Männer sprachen. Sie bewegten nur ihre Münder. Wie Fische. , dachte ich. Wie Karpfen.

Als wir dann drinnen waren, war es mit einem Mal fast vollkommen still. Das Rauschen und Getose lag weit entfernt und drang kaum durch die Felswand zu uns durch. Es war so leise, dass ich jeden Schritt hören konnte, jeden noch so kleinen Widerhall. Fast, als wäre vor dem Eingang eine unsichtbare Wand. Nur der Geruch des Meeres hing in der Luft und zeugte noch von den mächtigen Naturgewalten außerhalb.

Robert, der die ganze Zeit die Gruppe angeführt hatte, entzündete eine Fackel, dann eine zweite. Als Black und ich hinein kamen, wir bildeten die Nachhut, herrschte bereits wieder Dämmerlicht. Die Gruppe war vorgegangen weiter in die Höhle hinein und wir folgten.

Es ging immer tiefer, wenn auch nicht allzu lang. Der Abstieg wurde immer steiler und es war schwer, auf dem nassen Boden nicht auszurutschen.

Dann blieben wir wieder stehen.

Ich sah mich um und vergaß den schweren Black auf meiner Schulter.

Ohne Frage befanden wir uns in einem Lager und ich verstand, wohin Wilkinson die ganzen Waren hat bringen lassen. Etliche Kisten, Fässer und Truhen standen herum. Viele fein säuberlich gestapelt, andere wild im Raum verteilt. Säcke und Beutel waren gehäuft in den Ecken, einige hingen an den Wänden. Es roch nach Salz, einige Stalaktiten hingen von der Decke herunter und zeigten bedrohlich auf den feuchten Boden. Weiter unten war ein kleiner See, wirklich winzig. Er lag völlig still da und ich fragte mich, ob es wirklich ein See war oder nur gesammeltes Flutwasser, denn ohne Frage stieg hier bei Flut das Wasser bis zur Decke.

Black löste sich von mir und die Gruppe sammelte sich vor einer roten Kiste. Ich sah sie nur kurz, ehe mir die Meute die Sicht nahm. Sie war blutrot, lackiert und geschliffen. Ohne Frage ein teures Stück. Ich selbst hielt mich fern und so blieb ich allein stehen und sah zu, was sie trieben.

„Mach sie schon auf!“, befahl Robert ungeduldig und auch die anderen Matrosen konnten es kaum erwarten. Jener, der die zweite Fackel hielt, leuchtete vor Aufregung in die völlig falsche Richtung und versengte leicht die Haare seines Nachbarn.

Black packte die kleine Kiste und mit einem Donnern hievte er sie auf ein Fass. Er zog die Schlüssel hervor und wartete einige Sekunden, fast andächtig, ehe er den ersten ausprobierte. Es herrschte Stille und Angespanntheit, jeder wartete was geschehen würde, aber er passte nicht. Ohne aufzusehen warf er ihn weg und griff den nächsten. Erneut hielt jeder den Atem an. Er passte.

Black sah kurz in die Runde, dann öffnete er den roten Klappdeckel. Ehrfürchtig wichen alle ein winziges Stück zurück, nur um dann wie gierige Hunde wieder vorzustürmen. Aber Black knallte sie blitzschnell wieder zu und schloss ab. Ich hatte neugierig den Kopf gereckt, aber dennoch nichts gesehen.

„Nein.“, sagte er dann ernst in die ungläubig drein blickenden Gesichter. Das war wie ein Startschuss. Geschrei wurde laut.

„Was soll das?!“, fauchte einer.

„Verräter!“, ein anderer und Robert wollte ihm die Kiste entreißen.

„Du wagst es, uns zu hintergehen?!“

„Idioten!“, fluchte Black. „Allesamt, denkt nach! Ich kenne euch doch, euch Halunken, euch alle! Ihr rennt mit euren Anteilen an Bord und dann geht das Prügeln und Morden los! Nein, sage ich, nein und nochmals nein!“

Einige schienen zuzustimmen, wenn auch unzufrieden, aber Robert nicht. Wie immer war er gegen das, was Black sagte und stampfte mit dem Fuß auf.

„Verräter, sage ich! Du willst sie nur für dich behalten, das ist es!“

„Bei meinem Holzbein, was hätte ich davon?! Damit mich die ganze Meute umbringt?!“, er lachte und schüttelte den Kopf. „Nein, so dumm ist der alte Black nicht. Ihr werdet sehen, wir werden gerecht teilen, wenn es an der Zeit ist.“, demonstrierend klopfte er auf den Truhendeckel. „Aber zuerst: Der runde Robin.“

Mit einem Knurren gaben sich damit alle zufrieden, wenn auch nur widerwillig. Man räumte einen alten, morschen Tisch frei und stellte ihn in die Mitte des Raumes, dann versammelten alle sich darum. Auch ich wurde heran gezogen. Die Truhe stellte man sichtbar für alle mitten hinauf.

Robert knurrte widerspenstig, ehe er ein Pergament ausbreitete und mit einer Feder einen großen Kreis darauf zog, anschließend einen noch größeren um diesen herum und um diesen einen dritten.

Mit finsterer Miene legte er die Feder auf den Tisch und verschränkte die Arme.

„Ich bin dagegen.“, brummte er.

„Die Sache ist entschieden.“, zischte Black drohend zurück. „Wer nicht mitzieht, zieht gar nicht mehr, aye?“, er griff die Feder und schrieb in die Mitte des Kreises deutlich, es für jene die nicht lesen konnten laut vorlesend:

„Hiermit gestehe ich, angeheuertes Mitglied der Crew, die Meuterei auf dem Schiff Caroline in Besitz des Kapitäns Sir Oldfield McWilkinson, mitgeplant und auch ausgeführt zu haben.“ Erstaunt stellte ich fest, was für eine außerordentlich gute Handschrift er hatte. Zudem schrieb er in gekonnter Schrift, statt in Druck, was mich ungemein davon überzeugte, dass er ein gebildeter Mann gewesen sein musste. Als er fertig war, richtete er sich auf und sah düster in die Runde. Dann schrieb er demonstrativ „Mathew Hullingtan Black“, in einer Linie von der Mitte des Kreises aus nach außen. Mathew Hullingtan in den ersten Ring, Black in den zweiten. Er reichte die Feder weiter, Robert einen drohenden Blick zuwerfend.

Der nächste Matrose tat es Black gleich. Er schrieb seinen Namen, erst Tom in den ersten Ring, dann Anderson in den zweiten. Und so ging es weiter, bis der Kreis fast ausgefüllt war und nicht mehr zu erkennen, wer zuerst, und wer zuletzt geschrieben hatte. Ich verstand, wozu dieser so genannte „Runde Robin“ gut war. Nun war zwar bekannt, wer an der Meuterei teilnahm, aber nicht, wer ihr Anführer war. Und keiner würde es wagen, den anderen zu verpfeifen, denn er selbst hatte nun auch gestanden.

Dann kam Robert dran. Alle starrten ihn an, gespannt und wartend. Widerwillig griff er die Feder und tat, was verlangt wurde. Die Endung des Y aus seinem Namen Robert McGohonnay zog er demonstrierend stark und schnell, um seiner Wut Ausdruck zu verleihen. Die Feder kratzte dabei einen Riss in das Papier.

Nun fehlten nur noch fünf Namen, ehe ich an der Reihe war und ich sandte Stoßgebete über Stoßgebete zum Himmel, in der naiven Hoffnung, Gott würde mich erhören, über die blasphemische Äußerung von vorhin vielleicht lachen und die Männer nun meinen Namen einfach vergessen lassen. Ich versprach ihm, würde ich hier lebend heraus kommen, ohne dass mein Name auf diesem Papier stand, ich würde zurück ins Kloster gehen. Ich würde das frommste Schaf des Abtes werden, nie wieder ungehorsam sein, stets gottesfürchtig und ehrenhaft, voller Demut und Schweigsamkeit. Ja, ich würde sogar um Strafe und Buße bitten. Mich in den Staub werfen, vor jedem Mönch einzeln. Ich würde die Prostituierte, welche mich in meinem Alkoholrausch ausgenommen hatte, der Hexerei anklagen, ich würde nie wieder auch nur an die Lust denken, nie wieder der Völlerei nachgehen, immer beten, nie zu spät kommen, alles beichten. Ich würde nie mehr ein alkoholisches Getränk anrühren – abgesehen vom gesegneten Wein – und ich würde nie mehr in der Bibliothek schlafen. Ich schwor mir, dass ich auf dem Feld arbeiten würde, bis mir die Hände bluteten und dass ich es gern täte. Ich schwor mir auch, ich würde mich auf den Klosterhof stellen und dem heiligen Vater Recht geben: Markus war ein Ketzer gewesen und er hatte es verdient, verbrannt zu werden, es war Rechtens gewesen. Mit jeder Sünde, die mir einfiel, wuchs meine Verzweiflung und ich ging in die wahnwitzigsten Versprechungen über.

Ich würde mich für meine Vergehen selbst der Blasphemie anklagen und ohne Murren das Urteil des Gerechten hinnehmen.

Als ich diesen Gedanken in meinem Kopf widerhallen hörte, wurde mir bewusst, wie unsinnig meine Worte waren und wie sinnlos meine Lage.

Dann wurde die Feder an mich gereicht. Zwei Männer packten mich an je einem Arm und zerrten mich zum Tisch. Unschlüssig sah ich auf das Tintenfass, dann auf die Feder und anschließend auf das Papier. Der Kreis war fast vollkommen ausgefüllt, nur ein wenig Platz war noch übrig. Gerade mal genug für meinen Namen.

Wenn ich nicht unterschreibe…, dachte ich. …würde man es nicht einmal bemerken.

Aber als ich aufsah, wurde diese Art von Hoffnung zerstört, denn sowohl Robert, als auch jeder andere sah mich erwartungsvoll an. Ich hatte gar keine andere Wahl, als meinen Namen ebenfalls unter das Schriftstück zu setzen. Gequält atmete ich tief durch und stützte mich auf das Holz.

Gerade setzte ich die Feder an, da knallte es.

Erschrocken sah ich auf und auch die anderen sahen hinauf zum Ausgang, aber natürlich war nichts zu sehen.

„Ein Kanonenschuss.“, vermutete Robert. „Vielleicht ein Angriff?“

„Sei nicht albern.“, gab Black spöttisch zurück, aber auch in seiner Stimme lag etwas Unsicherheit. „Wer sollte die Caroline angreifen? Mitten am Niemandsland?“, doch dann folgte ein weiterer Schuss.

„Das war die alte Pauline!“, rief ein Matrose entschlossen und nickte eifrig. „Unsere alte Pauline, den Knall erkenn ich Meterweit wieder!“

„Er hat Recht.“, pflichtete ein Mann ihm bei. „Das sind unsere Kanonen, eindeutig.“

„Mach schnell!“, befahl Robert mir und eilig krakelte ich etwas Unlesbares hin. Er beachtete es kaum, es reichte ihm dass ich geschrieben hatte, also grabschte er das Pergament und faltete es zusammen. „Wir müssen zurück.“

Innerlich grinste ich, denn mein Name war nicht lesbar, unter keinen Umständen. Und wenn es keinem auffiel, dann war ich aus der Sache fein raus.

„Zurück?!“, rief Finn ungläubig. „Wenn es ein Angriff ist?! Zurück?!“

„Willst du hier fest stecken?!“, schrie Robert ihm entgegen. „Ohne Schiff, Kapitän und vor allem Navigator?!“, das leuchtete allen ein und so schwiegen wir.

Black knurrte gereizt: „Nehmt die Kiste mit, wir stecken sie in eins der Fässer und nehmen sie mit an Bord. Los, zum Fluss.“, dann trat er vor Robert und baute sich zu seiner vollen Größe auf. Dennoch war Robert etwas größer als er. „Und du, Robert, gib mir den Runden.“

„Vergiss es, Black.“, zischte der Maat unbeeindruckt. „Den behalte ich. Du die Kiste, ich den Robin.“

„Es ist gleich, wer den Robin hat.“, knurrte Finn. „Lass gut sein Black. Wir alle sind Zeuge, dass Robert den Robin hat. Los jetzt, wir haben keine Zeit.“, Black schnaubte, bedachte den ersten Maat mit einem düsteren Blick und drehte ab.

„Son, die Kiste!“, befahl er nur kühl. Ich sah ihm finster nach, aber widersprach nicht, sondern nahm das Stück an mich. Sie war verdammt schwer und ich fragte mich, was wohl darin sei, wagte es aber nicht, es laut zu tun.

Wir trotteten hinaus, wie im Gänsemarsch. Draußen warteten wir angespannt, denn Robert ließ auf sich warten. Als er dann endlich draußen war, gingen wir zum Fluss und füllten die Fässer mit Wasser. Zwei weitere Kanonenschüsse folgten, aber weder die Caroline, noch ein feindliches Schiff waren in Sichtweite von uns. Jeder von uns war angespannt bis zum letzten Muskel. Diesmal wurde kein Shanty gesungen, nicht einmal ein Wort gesprochen. Wir durchschritten den Wald nur langsam, die Fässer machten den Männern schwer zu schaffen. Ich legte die Truhe behutsam in mein eigenes Fass, dann schulterte ich dieses und so gingen wir weiter. Als wir die Boote erreichten, sahen wir zum Schiff. Noch immer herrschte Flut. Die Caroline hatte gekränkt und war nun etwas weiter rechts als zuvor. Sie lag völlig ruhig da und bis auf war sie nirgends ein Schiff zu sehen. Verwirrt sahen wir hin und her, aber es gab nichts, bis auf das blaue Meer. Wir beluden die Boote und desto näher wir der Caroline kamen, desto unsicherer wurden wir.

„Heeeeeeey!“, rief dann ein Matrose von Deck aus.

„Das ist Norman.“, knurrte Robert. „Frag was er will.“

Der letzte Satz, war an alle bei uns im Boot gerichtet, dennoch reagierte nur einer und rief laut:

„Was war denn los?!“ Doch wir bekamen keine Antwort. Stattdessen sahen wir, wie man die Seile hinunter ließ, um erst die Fässer, dann die Jollen hinauf zu ziehen.

Als alles verladen war, wurden auch wir hochgezogen, langsam und mühselig. Ich war froh, wieder an Bord zu sein, dennoch hatte ich ein schlechtes Gefühl.

Als ich an Deck stand, blieb mir für einen kurzen Augenblick das Herz stehen und instinktiv wich ich einen Schritt zurück.

Die Mannschaft war versammelt, an der hinteren Reling, luvwärts und alle mit düsterem und finsterem Blick. Das war nichts Ungewöhnliches und gewiss nicht das, was mir diesen Schreck versetzte. Nein. Diesen bekam ich durch die Marine der heiligen Inquisition, die unmittelbar vor den gefesselten Matrosen versammelt war, mit hämischen Grinsen, überlegen, da wir mit einer solcher Überraschung bei Weitem nicht gerechnet hatten.

Kaum wurde die Jolle an Deck geholt, stürzten mehrere Männer in roten Röcken, mit glitzernden Epauletten und breiten Hüten vor, um uns festzunehmen. Männer wie Finn oder Morgan reagierten sofort, anders als weniger mit Intelligenz beschenkte wie Tom.

Dennoch: An diesem Punkt fragte ich mich erstmals, ob eigentlich die Dummen die einzig Intelligenten waren.

Finn und Morgan begannen panisch die Seile der Jolle zu zerschneiden, um wieder zurück ins Wasser und wahrscheinlich so zurück an Land zu kommen. Natürlich war es Unsinn.

Finn hatte sein Seil fast durchtrennt, da donnerte ein Schuss über die Reling hinweg. Er schrie auf und stürzte laut krachend ins Meer, dicht gefolgt vom schreienden Morgan, als dieser sein Seil endlich durchbekommen hatte und das Schiff nun nur noch an einem Tau umher schwankte.

Ich starrte erst Black an, dann Wilkinson. Beide waren düster, finster, aber vollkommen regungslos, während die anderen um uns herum in lautem Fluchen ausbrachen, in Verwünschungen und Todesdrohungen. Einige sprangen über Bord, ihrem sicheren Kälte- oder Hungers-Tod entgegen - oder aber sie ertranken. Andere wehrten sich mit Händen und Füßen, so dass das Deck bald voller roter Flecken war. Und wieder andere, die auffällige Minderheit, stand mit gesenkten Köpfen da oder rief „Lang lebe der Königin!“, als würde dies auch nur ansatzweise etwas ändern.

Robert kam zu Black und mir und knurrte: „Sullivan, verflucht sollst du sein...!“, und dann wurden auch wir gepackt.

Ich starrte ihn an, unwissend, verständnislos, während man mich grob zur Reling zerrte, um mich zu fesseln. „Das wirst du büßen, Sullivan O'Neil! ich verfluche deinen Namen, vermaledeite Christenbrut!“

Dann knallte es erneut.

Ein Schuss, zwei, dann drei.

Auf Deck herrschte mit einem Mal Stille, nur das Echo der Pistolen hallte auf dem Ozean wieder, um zu uns zurück zu schleudern.

Die Mannschaft der Caroline kniete an der Reling, die Arme auf den Rücken gebunden und vor jedem Zweiten ein rotrockiger Soldat mit Flinte.

Ich sah düster auf und der Hass der Matrosen um mich begann auch in mir aufzuflammen. Wir sahen mit an, wie sie den Jolly Roger einholten und dann, lichterloh brennend, ins Meer warfen, ehe sie die Flagge der heilig-königlichen Majestät Königin Katherine hissten, Herrscherin der gleichnamigen Stadt St. Katherine.

Viele unserer Männer hatten mit Sicherheit eine Art Schmerz im Innern, als sie die Fahne erkannten, aber die meisten nur blanke Wut. Doch jeder Schrei, jeder Fluch, jedes Knurren wurde mit einem drohenden Schlag sofort erstickt.

Dann kam er. Er, der Mann, der mein restliches Leben beeinflussen und nach fünf Jahren beenden sollte:

John Anderson O'Hagan, Beauftragter der heiligen Mutter Kirche und inquisitorischer Gouverneur der Bereiche Esas, St. Katherine und Otori.

Er ging mit stolzem und ruhigem Gang quer über das Deck, in langsamen, jedoch weiten Schritten und mit erhobenem Kopf. Als ich Wilkinson kennen lernte, dachte ich, ich hätte einen Mann kennen gelernt, der nicht nur kalt, sondern auch stolz war, wie ein Felsen, unumstürzbar. Aber O'Hagan übertraf ihn bei Weitem:

Als er vor uns allen zum Stehen kam und jeden einzelnen der Crew musterte, durchliefen uns kalte Schauer unter seinen eisblauen Augen. So hell, dass sie fast blind wirkten, aber so stechend, dass jeder kleine Blick zu schmerzen schien. Sein Mund bewegte sich dabei kein einziges Stück. Er war schmal und emotionslos, ebenso wie der Rest seines glatten Gesichtes.

Ich schätzte sein Alter um die vierzig Jahre, aber beim näheren Betrachten wieder auf Anfang dreißig. Je nach Blickwinkel sah er anders aus, jede Bewegung verwirrte den Betrachter nur umso mehr. Seine schmalen Schultern ließen ihn schwächlich wirken, sein breites Kreuz jedoch stark. Seine weichen Handrücken ließen vermuten, dass er nie einen Finger krumm machte, aber seine Handflächen waren vernarbt und hart.

Als er mich ansah, stieg in mir unbändiger Hass. Wie aus einer Ahnung heraus, dass ich diesen Mann niemals mögen würde. Wir sahen uns lange an, wobei es eigentlich nur lange wirkte. Zehn Sekunden, vielleicht fünfzehn, dann drehte er die Augen zu Black ohne seinen Kopf zu bewegen. Sein roter Mantel hob sich vom blauen Meer im Hintergrund beißend ab, ebenso wie sein Hut mit der schneeweißen Perücke darunter. Es war der abscheulichste Anblick meines Lebens.

„Sind alle versammelt?“, fragte der Gouverneur mit arrogant klingendem Unterton, ohne sich seinem Diener zuzuwenden. Dieser, unmittelbar neben ihm stehend und mit den Händen hinterm Rücken, beugte sich seitlich zu ihm und sagte:

„Es sind alle versammelt, Sir.“

O'Hagan gab keine Antwort, nur sein linker Mundwinkel hob sich leicht an. Anschließend trat er einen Schritt vor und räusperte sich vernehmlich.

Ein zweiter Diener bewegte sich mit vornehmem Gang zu ihm, er hatte durch den Wind ein wenig mit der Perücke zu kämpfen und als einer der Männer ihm vor die Füße spuckte, drehte er sich fast ängstlich herum. Er übergab dem Gouverneur mit einer tiefen Verbeugung eine Schriftrolle und trat dann rückwärts wieder neben ihn. O'Hagan entrollte sie. Erst als er fertig war, sah er hinauf und begann vorzulesen:

„Im Namen der heiligen Inquisition, der stellvertretenden heiligen Mutter Kirche, der heiligen, königlichen Majestät und vor allem des Heiligen Vaters persönlich, klage ich hiermit alle hier anwesenden und nicht der königlichen Krone unterstehenden Männer, Frauen und auch Kinder der Ketzerei, des Mordes, des Verrates an Inquisition und Krone und des Raubes an, so wie der Piraterie, was das obig genannte noch einmal vertieft.“

„Bastard einer räudigen Hündin!“, entfuhr es einem Matrosen. O'Hagan fuhr ungerührt fort. Jedoch erst, nachdem er zufrieden hörte, dass der Rufende seinen Schlag dafür erhalten hatte.

„Jeder der Angeklagten bekommt das Recht, von einem Richter angehört zu werden und bei einem Priester der heiligen Mutter Kirche Beichte zu tun, ehe das Todesurteil durch den Strang in der Stadt Annonce über ihn vollstreckt und auch ausgeführt wird.“, er schloss die Schriftrolle wieder und gab sie fast schon gleichgültig seinem Diener zurück. „Führt sie ab.“

Und in genau diesem Moment, als er diesen Satz ausgesprochen hatte, begannen alle Männer sich zu rühren. Fast, als hätten sie den Satz erwartet, nahmen sie die Gefangenen an den Armen und führten sie unter Deck. Lautes Gebrüll ging los, aber der Gouverneur nahm gar keine Notiz davon. Er sah nur kühl in die Runde.

Auch ich blieb ruhig und starrte ihn an, ungläubig, völlig überwältigt. Vor meinen Augen war dies alles noch nicht geschehen. Ich war in Gedanken noch immer beim Wasserfall, sah noch immer den Lauf von Roberts Pistole, den Runden Robin direkt vor mir, die Caroline weit hinten am Horizont. Keine Rotröcke, keine Inquisition, kein Gouverneur. Nur Meuterer und eine geheimnisvolle, rote Kiste.

Wilkinson begann zu toben wie ein Tier und sich mit Händen und Füßen zu wehren, so weit es eben ging. Noch nie zuvor, habe ich den sonst so ruhigen und stolzen Kapitän so wütend und voller Zorn erlebt. Sein Kopf war puterrot und sein Nebelbrecher hing schief an seinem Schädel. Gleich fällt er hinunter., dachte ich. Und damit bricht auch unser letzter Mast.

„Ich klage an!“, brüllte er, so laut, dass es alles übertönte. „Ich klage sie an!“

O'Hagan wurde endlich auf den plötzlich unheimlich alt wirkenden Mann aufmerksam und hieß seinen Männern, anzuhalten. Mit einem Nicken befahl er ihnen, Wilkinson zu ihm zu führen. Als der Kapitän dann vor dem Stellvertreter der Kirche zum Stehen kam, keuchte er:

„Ich klage sie an! Der Meuterei! Allesamt!“

„Ihr seid Pirat.“, stellte O'Hagan ein wenig spöttisch fest und zog seinen linken, schwarzen Lederhandschuh gerade. „Ihr habt keine Rechte.“ Er wirkte alles andere, als interessiert.

Schon wollte man Wilkinson abführen, aber er brüllte wie im Wahn: „Ich war Offizier der Marine! Ihr ward mein Soldat, O'Hagan, mir verdankt Ihr Eure Stellung! Ich habe Euch zu dem gemacht, was Ihr heute seid! Mir habt Ihr das alles hier zu verdanken! Ist das gar nichts wert?!“

O'Hagan sah ihn eiskalt an und ich wartete darauf, dass er den Befehl zur Tötung gab oder dass er wenigstens nachfragte, irgendetwas. Doch es geschah nichts.

Gespannt starrten erst alle Wilkinson, dann O'Hagan an und sogar die Mannschaft ließ von ihren Befreiungsversuchen ab, um das Geschehen zu verfolgen.

„Nein.“, sagte der Gouverneur dann, fast gelangweilt. „Es ist nicht einmal einen Pfifferling wert.“

Nun drehte der Kapitän durch. Er begann zu schreien, riss sich los und stürmte auf O'Hagan zu. Er stürzte fast, aufgrund der nach vorn gefesselten Arme, aber dennoch schafften die Männer es nicht, ihn zurück zu halten. Er sah rot, endgültig.

Wieder knallte es. Der Geruch von Schwefel breitete sich aus und eine dicke Rauchwolke fegte in die Luft, um sich in der Takelage zu spalten und zu verlieren.

Wilkinson stand vor O'Hagan. Er starrte ihn ungläubig an, mit großen, weit aufgerissenen Augen. der Gouverneur richtete noch immer die Pistole auf ihn. Kalt sah er zu, wie der Mann erst zwei Schritte vor, dann nach hinten schwankte. Es sah aus wie ein verrückter Tanz. Erst ein wenig vor, dann etwas zurück, dann wieder vor, mit jedem Satz schwungvoller. Letzten Endes streckte er die gefesselten Arme aus und es war unklar, ob er Halt suchte oder etwas sagen wollte. Mit einem dumpfen Aufprall stürzte er zu Boden und blieb reglos liegen.

Der Diener neben O’Hagan nahm die Mühe auf sich, sich zum Verletzten zu beugen und zu lauschen, denn scheinbar gab dieser gerade seine letzten, gurgelnden Worte von sich.

Ich stand nur da, mit geweiteten Augen und starrte auf die Wunde in Wilkinsons linkem Schulternblatt. Sein blauer Mantel färbte sich langsam immer dunkler. Erst nur wenig, dann immer stärker und binnen kürzester Zeit sah man etwas Blut auf dem Holz unter ihm.

Als der Diener sich dann wieder erhob, schüttelte er den Kopf, gespielt traurig. „Er ist tot, Sir.“

„Wie bedauerlich.“, O’Hagan hingegen gab sich keine Mühe, sein mangelndes Interesse zu verbergen. Er übergab die Waffe seinem links stehenden Gehilfen, dieser brachte sie nach einer Verbeugung weg um sie durch eine neue, geladene zu ersetzen. „Seine letzten Worte?“

„Ich habe sie nicht verstanden, Sir. Irgendetwas mit ‚undankbar’, Sir.“

Der Gouverneur sah weder zu ihm, noch zu Wilkinson, sondern nur vor sich in die Luft.

„Also nur Belangloses, wie es scheint. Unter Deck mit den Gefangenen.“

„Sehr wohl, Sir.“

Diesmal wehrte sich keiner, als man uns ein weiteres Mal packte, um uns durch die niedrigen Türen zu zwängen. Ich warf einen letzten Blick zum liegenden Wilkinson, keiner beachtete den Kapitän. Dann sah ich zu O’Hagan, der Hand der Inquisition.

Der Vertreter Gottes.

Der Teufel., dachte ich, ehe man mich mit einem Stoß weiter zwang.

Er ist der leibhaftige Teufel.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Momachita
2013-03-21T08:29:28+00:00 21.03.2013 09:29
Die letzten zwei Seiten musste ich schon wieder unabhängig vom Rest lesen. Aber wieder konnte ich mich schnell in das Geschehen einfinden.
Die letzten drei Sätze gefallen mir richtig gut. Sie fassen einfach richtig gut nochmal zusammen, wie schon Sons erster Eindruck von seinem zukünftigen "Erzfeind"(?) war. Da scheint Son ja schon eine sehr gute Intuition zu haben, mittlerweile. Er misstraut ja eigentlich jedem und zweifelt alles um sich herum sofort an. Wenn man bedenkt, was für eine Wandlung er schon bis hierhin vollzogen hat, ausgehend von seiner naiven Flucht zu Beginn der Geschichte.
Und nichts davon wirkt aufgedrängt. Du schaffst es sehr schön, dass man dir den von seinen eigenen Gefühlen hin- und hergeworfenen Son abkauft. Ein überaus überzeugender Charakter.
Und ich hoffe für Son, dass es nicht einfach so zurück nach Annonce geht... ich hoffe so sehr mit ihm noch viel mehr neue Länder und fremde Welten erkunden zu können..!
Von:  KasibaldHorizon
2012-01-22T00:46:07+00:00 22.01.2012 01:46
War das mit dem "runden Robin" deine Idee?
Son's Gedankengänge beim Unterschreiben haben mich ein wenig genervt und dann,dass er mit Absicht nicht anständig unterschrieben hat! xD
Mit O'Hagan ist ja gar nicht gut Kirschen essen xD Aber der ist ja so finster, das gefällt mir schon wieder :D:D xD
Doch Wilkinson tat mir schon leid ._.



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