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F.E.A.R. - Frightening Ends, Angels Rise

Was, wenn Bella überhaupt nicht so fasziniert von Edward ist? Was, wenn er ihrer Meinung nach das Böse schlechthin ist?
von

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Die Ruhe nach dem Sturm

Hallo, Hallo? Ist da noch jemand?

Oh mein Gott, ich schäme mich zutiefst =( Ich, der einzige Hoffnungsträger in diesem Horror-Updatezeiten-Team, habe dieses mal nun auch lange für ein Kapitel gebraucht. Also falls ich hier Selbstgespräche führe, dann werde ich mich nicht wundern. Falls doch noch jemand das ist: Sorry =( Aber bei mir war so viel los, dann gabs noch einige Überarbeitungsbedürftige Stellen und ich bin einfach nicht voran gekommen. Ich habe das Chap vorzeitig beendet, sonst wäre es noch viel länger geworden. Mal schauen, ob absinthe_fairy die eigentlichen Ideen übernimmt oder sich was Neues einfallen lässt - egal wie, sie wird es bestimmt toll machen!
 

Jetzt erst mal viel Spaß mit diesem Kapitel hier. Anregungen, Meinungen und Kritik sind wie immer erwünscht!
 

Und was ich auch noch loswerden wollte: Wir haben kein einziges Mal Werbung gemacht und sind trotzdem für den DH-Award nominiert worden! Vielen Dank, das hat uns sehr gefreut!
 

Und ja, jetzt halte ich ja schon die Fresse, damit ihr lesen könnt ... =) Als kleine Überraschung gibt es anfangs übrigens einen kurzen EPOV.
 

so long, dubdug
 

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Edward
 

Die Fassade unseres Wohn-und Esszimmers war komplett verglast, ein einziges großes Fenster. Ich stand davor, sah in mein Antlitz, das mir seit über hundert Jahren auf spiegelnden Oberflächen entgegenblickte, und doch starrte ich daran vorbei nach draußen in die Nacht. Der Mond schien, warf ein bläuliches Licht auf den Vorgarten. Der leichte Wind versetzte die dünnen Ästchen der Bäume in kaum wahrnehmbare, beinah rhythmische Bewegungen.

Ein Schauspiel, das eine hypnotisierende Wirkung auf mich ausübte. Schön, leicht und grazil - und doch unbeschreiblich schwermütig. Wie die Ruhe nach dem Sturm, als hätte es diesen Vorfall am Samstagabend niemals gegeben.

Das Rascheln drang selbst durch die Gemäuer an meine Ohren, untermalte meine Melancholie auf eine nahezu gespenstische Weise. Es verschaffte mir ein bisschen Ruhe, ein bisschen Stille, auch wenn die Luft wie immer voller Gedanken hing. Carlisle saß in seinem Arbeitszimmer. Bewusst war er nach oben gegangen und machte sich schon seit einer Weile Sorgen um Isabellas Psyche. Er überlegte, dass sie zu einem Psychologen müsse, der ihr helfen könnte, ihre erlebten Traumata zu verarbeiten. Ich lächelte bitter. Und auch Carlisle kannte die eigentliche Antwort, denn es gab nur eine: Es war unmöglich für sie, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Würde sie diese irrsinnigen Erlebnisse jemandem schildern, würde sie sich entweder selbst schaden oder unsere Existenz in Gefahr bringen. Dass uns an Letzterem etwas lag, ernannte uns zu schrecklichen Heuchlern. Auch Carlisle wusste das, wenngleich er sich das nicht eingestehen wollte.
 

Jasper war einfach nur ungeheuer wütend, denn genau das, was er prophezeit hatte, war eingetreten. Es war unausweichlich gewesen, dass wir uns viel zu sehr in Isabellas Leben einmischten, dass wir nicht nur sie, sondern auch unser Geheimnis gefährdeten. Natürlich war er sofort zur Stelle gewesen, als er begriff, wie ernst die Situation war, aber mit sich im Reinen war er nicht. Und er hatte Recht. Meine ganze Familie hatte Recht gehabt, als sie es nach dem … Übergriff im Wald für klüger gehalten hatten, Forks zu verlassen. Nur ich hatte mich gesträubt, wollte meiner Familie unter keinen Umständen schon wieder einen Umzug zumuten. Nicht für etwas, was ich selbst verbockt hatte. Es würde einen Weg geben, hatte ich mir immer wieder eingeredet, so sehr, dass ich es am Ende selbst geglaubt hatte. Dabei war von Anfang an klar gewesen, dass es keinen Weg geben würde. Zumindest keinen, bei dem nicht nur unser, sondern auch Isabellas Leben einher gehen könnte. Ich war zu blind gewesen, wollte das Offensichtliche nicht wahrhaben. Die plagenden Schuldgefühle und das Bedürfnis, wiedergutzumachen, was ich angerichtet hatte, verschleierten meine Sicht.
 

Jetzt musste ich damit leben, alles noch viel schlimmer gemacht zu haben, und diese Last erdrückte mich fast; verschaffte mir die einzigen Schmerzen, die einem Untoten wirklich etwas anhaben konnten: seelische. Und sie waren grauenvoller, als es körperliche je sein konnten.

Emmett hatte mich vor einigen Stunden gefragt, was mit mir los sei, da wir schließlich noch rechtzeitig gekommen wären. Aber was bedeutete schon rechtzeitig? Das Schlimmste konnten wir verhindern, ja, aber wenn man bedachte, was Isabella bis zu diesem Zeitpunkt bereits alles durchmachen hatte müssen, dann kamen wir viel zu spät.
 

Nicht nur seine Prophezeiung belaste Jasper, auch sein Blutdurst setzte ihm zu. Beinahe wäre er derjenige gewesen, der bei dem Versuch, Phinnaeus, diesen Bastard, zu übermannen, selbst über sie hergefallen wäre. Und das wurmte ihn mehr als alles andere. Auch jetzt, wo das Schlagen von Isabellas Herzen unser sonst so totenstilles Haus erhellte, hatte er mit sich zu kämpfen. Er hatte es unter Kontrolle, es bestand keine akute Gefahr, aber die Tatsache, dass er zu einer potentiellen werden könnte, ließ ihn leiden. Alice spürte das, war an seiner Seite und hielt schweigend seine Hand.
 

Esme saß nicht weit entfernt von mir, neben der auf dem Sofa schlafenden Isabella. Sie betrachtete sie seit langer Zeit, war tief in ihre Gedanken versunken. Esme war die Einzige, die mich immerhin annähernd verstanden und sogar versucht hatte, mich zu unterstützen. Auch wenn sie selbst der Meinung gewesen war, dass ein Umzug vermutlich das Beste gewesen wäre, hatte sie zu mir gehalten. Und jetzt, wo sie dieses zarte, zerbrechliche Wesen vor sich liegen hatte, verstand sie mich besser denn je. Durch Isabella entsinnte sie sich an ihre eigene Zeit als Mensch, zumindest an die wenigen Momente, die ihr noch in Erinnerung geblieben waren. Ein Stück weit erkannte sie sich selbst in ihr wider. Das beschäftigte sie und ging ihr nahe.

Auch zog sie Vergleiche zwischen Alice, Rosalie und der kleinen Miss Swan, bemerkte, welch essentielle Unterschiede es unter den Dreien gab. Stark und selbstbewusst war die eine Seite, hilflos, allein und verloren die andere. Esme konnte nicht verstehen, warum dieses Mädchen von seiner Mutter so sehr im Stich gelassen wurde, konnte nicht nachvollziehen, wie man sein Kind hinter die eigenen Bedürfnisse stellen konnte.

Mir gefiel die Wendung nicht, die auf einmal ihre Überlegungen annahmen. Ich kam ins Spiel, Momente aus den vergangenen Jahren, die alle mich zeigten, abwesend, zerstreut, grübelnd. Abseits stehend von den anderen Mitgliedern dieser Familie, abseits von den Pärchen, als Einziger allein. Immer der stille Beobachter aus dem Hintergrund, aber nie ins Geschehen integriert. Zärtlichkeiten, welche die Liebespaare in diesem Haus untereinander austauschten, und ich, der ohne diese Attribute still nebenher lebte. Traurige Lieder am Klavier spielend mit einem Blick, der weit in die Ferne gerichtet war. Am Fenster sitzend, versunken und tief in mich gekehrt.
 

Sie wollte mich nur glücklich sehen, mehr wünschte sie sich nicht. Trotzdem fühlte ich mich äußerst unwohl und beschämt, wenn sie sich solche Gedanken machte.

Mit einem Mal wurde ein Bild in ihrem Kopf projiziert, dass mir noch weniger als die vorangegangen gefiel. Es war keines aus der Vergangenheit, es war etwas, was niemals passiert war und auch niemals passieren würde. Es zeigte Isabella und mich, wie wir uns gegenüberstanden und uns anlächelten. Nur eine harmlose Geste, und doch wirkte sie unendlich vertraut. Es steckte so viel mehr dahinter als nur ein Lächeln. Ich gab ein leises, unzufriedenes Knurren von mir.
 

Esme schmunzelte leicht. „Das kommt davon, wenn man anderer Leute Gedanken belauscht.“
 

Ich schwieg, versuchte zu verdrängen, was ich gesehen hatte.
 

„Setz dich zu mir, Edward“, bat sie mich mit einem mütterlichen Lächeln, doch ohne sie anzusehen schüttelte ich verneinend meinen Kopf.
 

„Isabella wird bald aufwachen“, entgegnete ich und verfiel zurück in mein Schweigen. Eigentlich sollte ich um ihretwillen überhaupt nicht anwesend sein, wenn sie aus ihrem Schlaf erwachte. Aber ich konnte nicht. War nicht in der Lage, den Raum, das Haus zu verlassen. Das Mindeste, was ich für sie tun konnte, war, den Abstand so groß wie möglich zu halten. Aber es würde nichts bringen, sie würde sich trotzdem erschrecken, wenn sie mich sah. So, wie sie jedes Mal bei einer Begegnung zu zittern anfing und sich wegen meiner bloßen Anwesenheit zu Tode fürchtete.

Seit so vielen Stunden sehnte ich mir ihr Aufwachen herbei, und gleichzeitig ängstigte ich mich jede Minute mehr davor. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie sie reagieren würde. Fühlte mich ungeheuer elend, wenn ich nur daran dachte.

Dennoch blieb ich, unfähig mich zu bewegen, stehen und starrte weiterhin aus dem Fenster. Lauschte ihrem regelmäßigen Herzschlag, der von Stunde zu Stunde kräftiger wurde.

Sie war so ahnungslos, schlief wie ein geschundener Engel und hatte nicht den blassesten Schimmer, dass sie seit Wochen unser aller Leben bestimmte.
 


 


 

Isabella
 

Schemen formten sich zusammen. Eine helle, weiße Zimmerdecke in einem nur vage beleuchteten Raum. Mein Blick war milchig und trüb, mein Hals brannte vor Trockenheit und mein Körper fühlte sich an, als hätte er an jeder einzelnen Stelle Muskelkater. Ein Gefühl, das komische Erinnerungen und vereinzelte Bilder in mir hochkommen ließ, die ich noch nicht zu einem Ganzen zusammenformen konnte. Es erschien mir alles total wirr, wie Fetzen von einem Albtraum.
 

Langsam erkundeten meine müden Augen den mir unbekannten Raum, der seltsam fremd auf mich wirkte. Hier war alles so edel, teuer und geräumig, ganz im Gegensatz zu der Umgebung, die ich sonst gewohnt war. Ich wusste nicht, wo ich mich befand, wusste nicht, wie ich hier hergekommen war.

Mein Blick fiel nach rechts, wo ich direkt in den goldbraunen Augen einer Frau landete, die sich an meine Seite gesetzt hatte. Ihr Lächeln strahlte etwas sehr Warmes, Herzliches aus; ihre Schönheit war befremdlich und doch irgendwie vertraut. Ich hatte diese Frau noch niemals zuvor gesehen.
 

„Hallo, Isabella. Wie fühlst du dich?“, fragte mich die Brünette. Sie versuchte, ihr Lächeln aufrechtzuerhalten, trotzdem konnte sie den mitleidigen Tonfall, der in ihrer Stimme mitschwang, nicht vertuschen.

Ich starrte sie einfach nur, konnte nichts entgegnen, stattdessen wurde der Nebel in meinem Kopf klarer, die Bilder deutlicher und alles nahm immer mehr Formen an. Eine Erinnerung nach der anderen übermannte mich. Ich hatte nicht geträumt.
 

„Du kennst mich nicht, mein Name ist Esme“, erklärte die Frau weiter und schien sehr darauf bedacht zu sein, behutsam mit mir zu sprechen.
 

„Esme … Cullen“, fuhr sie nach kurzem Zögern fort.
 

Cullen.

Löste normalerweise schon allein der Name Angst und Schrecken bei mir aus, so blieb dieser Effekt wie durch wundersame Weise in diesem Augenblick vollkommen aus. Wirkte nur wie eine Antwort auf eine Frage, die mir Gewissheit verschaffte. Eine emotionslose Notiz.
 

„Wir haben dich mit zu uns genommen“, fuhr sie fort.
 

Die Cullens waren diejenigen gewesen, die mir zur Hilfe gekommen waren. Mich aus dem Bett geschubst und mich von dort herausgeholt hatten. Vielleicht sollte mich diese Tatsache wundern, und irgendwie tat sie das auch. Aber irgendwie auch nicht.

Wie ferngesteuert streifte mein Blick durch den Wohnraum, suchte nach einer ganz bestimmten Person, die ich in meinem Kopf mit dem Namen Cullen regelrecht verschmolzen hatte. Und meine Augen wurden fündig, sahen seine schlanke Silhouette einige Meter von mir entfernt mit gesenktem Kopf vor dem Fenster stehen. Als könnte er spüren, dass ich ihn ansah und als würde er sich schlecht deswegen fühlen.

Vermutlich hätte ich schreiend davon laufen sollen, doch ich tat es nicht, schaute ihn einfach nur an.

Es ergab keinen Sinn, dass ich von den Cullens gerettet wurde, es ergab keinen Sinn, dass Edward in meiner Nähe war und nicht nach meinem Leben trachtete. Also hörte ich auf, nach einen Sinn zu suchen. Nahm es einfach hin. Ich empfand nichts. Es war, als wären meine sämtlichen Gefühle eingefroren, nichts als Taubheit umgab mich. Alles erschien mir egal, vollkommen gleichgültig. Ob ich nun lebendig oder tot war, was spielte das schon für eine Rolle …
 

„Du hast sehr lange geschlafen“, sagte die Frau mit den braunen Haaren, und aus Anstand sah ich zu ihr zurück. Ich fühlte mich unsagbar schwer, als würde mich eine Last von fünfhundert Kilo in das Polster drücken. Es war keine körperliche Empfindung, eher eine geistige. Die Dumpfheit in meinem Kopf schien Tonnen zu wiegen, drückte sogar auf meine Lider.
 

„Genau genommen fast zwei Tage. Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht und wussten lange Zeit nicht, ob das Gegengift anschlägt.“
 

Gegengift. Ihre Wörter drangen zu mir durch, ich nahm sie auf, aber mein Kopf verarbeitete sie nicht. Als würde es eine Sperre geben, die mich von sämtlichen Emotionen abschirmte. Ich starrte die Frau an und sah doch durch sie hindurch. Sie erwiderte meinen Blick, wirkte besorgt und schien nicht zu wissen, wie sie mit mir umgehen sollte. Ihr Lächeln war schwacher geworden, trotzdem behielt sie es bei, auch als sie schließlich aufstand.

„Du musst erst mal wieder zu Kräften kommen. Vermutlich überfordere ich dich gerade. Ich habe dir eine Suppe gekocht, magst du Suppe?“

Ich gab ihr keine Antwort, war nicht fähig zu sprechen.

Sie wartete trotzdem noch einen Moment ab, ehe sie mir noch einmal zulächelte und aus dem Raum verschwand.
 

Ich wusste, dass ich nun mit ihm allein war, müsste nur meinen Kopf drehen, um ihn sehen zu können. Ich spürte einen ganz leichten, minimalistischen Anflug von Unheimlichkeit, doch das Gefühl schwand, noch ehe ich es richtig deuten konnte, und wurde durch Gleichgültigkeit ersetzt. Monoton blicke ich vor mich hin, bis die Frau nach wenigen Minuten wieder zurück ins Wohnzimmer kam und eine dampfende Tasse bei sich trug. Mit einem kleinen Abstand stoppte sie vor mir, wollte mir das Gefäß schon übergeben, als sie jedoch umdisponierte.

„Am besten ist es, wenn du dich aufsetzt“, schlug sie vor und behäbig folgte ich ihrer Anweisung. Wie eine Maschine, der ein Befehl erteilt wurde.

Ich kauerte mich in die Ecke des Sofas, zog meine zugedeckten Beine an und nahm ihr die Suppe ab.
 

„Ich bin keine besonders gute Köchin“, lächelte sie entschuldigend, „aber vielleicht schmeckt es ja trotzdem.“
 

Die Tasse mit dem heißen Inhalt wärmte meine Hände, die ich fest darum geschlungen hatte. Die Brühe war klar, vereinzelt schwammen ein paar Gemüsestücke darin herum. Weil mein Hals sich regelrecht nach Flüssigkeit sehnte, nippte ich daran und verbrannte mir prompt die Zunge, was ich mir nicht anmerken ließ. Auch den furchtbar faden Geschmack behielt ich für mich und starrte stattdessen auf die flüssige Oberfläche, bis mein Blick auf meine rechte Hand fiel, auf dessen Rückseite ein Pflaster klebte.

Tausend Fragen kamen in mir hoch, und doch interessierte mich keine einzige Antwort darauf.
 

„Es war das Amulett“, meinte plötzlich eine männliche, gedämpfte Stimme, die mich kurz aufschauen ließ. Es war der Arzt aus dem Krankenhaus, Edwards Vater, Dr. Cullen. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass er den Raum betreten hatte. Mit Absicht schien er den Abstand zu mir groß zu halten, als er langsam auf uns zugelaufen kam und sich hinter den Sessel, auf den sich Mrs. Cullen gesetzt hatte, stellte.

„Im Stab in der Mitte war hochkonzentriertes Gift“, sprach er weiter.
 

Das Amulett. Ich senkte meinen Kopf und fühlte mich, als hätte ich einen dumpfen Schlag bekommen. „Der Anhänger ist wie geschaffen für dich, geradezu wie für dich angefertigt. Er wird dich beeinflussen, sodass du keine Angst mehr vor Edward Cullen haben musst.“

Abwertend atmete ich durch und hasste mich für meine Dummheit selbst. So etwas konnte nur so jemandem wie mir passieren. Nur ich war erbärmlich genug, um darauf reinzufallen. Armselig wie ich war, hatte ich mich an so etwas Utopisches, an so etwas Absurdes geklammert, dass mich jemand mögen könnte. Mich. Jemand mögen. Wie irrsinnig das war, wurde mir erst jetzt bewusst. Ich hasste mich dafür, empfand nichts als Abscheu für mich.
 

„Es war das Öl einer uralten, ägyptischen Pflanze“, ergänzte Dr. Cullen ruhig. „Falscher Jasmin.“
 

Falscher Jasmin.
 

„Du duftest nach Jasmin, Isabella …“

Ich schloss meine Augen. Spürte die Erinnerungen, die sich wie Nadelspitzen in mein Fleisch bohrten. Hätte ich nicht diese Dumpfheit, die mich umgab, wäre ich vermutlich zusammengebrochen.
 

„Es ist nicht leicht, das richtige Gift zu identifizieren. Sowas kann oftmals Stunden, Tage, vielleicht sogar Wochen andauern. Die Symptomatik ist oftmals dieselbe und man braucht einen Anhaltspunkt, um nach dem entsprechenden Gift zu suchen. Wir haben es Alice zu verdanken … Sie hatte da den richtigen … Riecher.“
 

Ich hörte Dr. Cullen zu, und irgendwie auch nicht. Was er sagte, klang rätselhaft, genauso rätselhaft, wie eigentlich alles war.

Rätsel, die ich in diesem Moment einfach nicht lösen wollte.
 

„Ich habe vorhin deine Blutergebnisse erhalten. Wie es aussieht, hat deine Leber keinen größeren Schaden erlitten. Du solltest in nächster Zeit aber trotzdem noch eine gewisse Diät einhalten, damit sich deine Leber wieder vollkommen regenerieren kann. Wenn du möchtest, kann ich dir nachher einen Plan dafür ausdrucken.“
 

Ein leichtes Nicken, mehr brachte ich nicht zustande. Ich wusste nicht einmal, weshalb ich überhaupt genickt hatte, da mir eigentlich alles egal war. Ich starrte auf die Oberfläche der Suppe, verfolgte die kleinen aufsteigenden Rauchschwaden, die sich grazil in die Luft erhoben und sich dort letztendlich ineinander verwirbelten. Dieser Anblick hielt mich eine lange Weile gefangen, bis die Temperatur der Flüssigkeit leider so weit abkühlte, dass keine Rauchschwaden mehr kamen.

Stille war eingekehrt, niemand schien sich mehr zu trauen, etwas sagen. Ich wünschte mir, ich wäre allein, wünschte mir, dass ich ihre Blicke nicht auf mir spüren müsste. Wünschte mir, das alles wäre nicht passiert, auch wenn ich zugleich wusste, dass es nichts in der Welt gab, was das rückgängig machen könnte.
 

Vorsichtig schielte ich über den Rand meiner Tasse hinaus. Edward hatte an seiner Position nichts verändert. Seine Arme hingen schlaff an seinem Körper hinab, sein Blick ging nach draußen. Noch niemals hatte ich gewagt, ihn solange anzusehen. Auch jetzt tat ich das nur sehr vorsichtig, aber selbst das wäre in der Vergangenheit nahezu undenkbar gewesen. Er trug einen grauen, kaschmirartigen Pullover, eine legere, dunkelblaue Jeans und schwarze Schuhe. Hätte man mich gefragt, welche Art von Klamotten er für gewöhnlich trug, so hätte ich bis zu diesem Moment keine Antwort darauf geben können, wurde es mir bewusst. Irgendwie krank, wenn man bedachte, dass er seit Wochen die Hauptrolle in meinem Leben spielte.
 

Er senkte seinen Kopf, neigte ihn wenige Millimeter in meine Richtung, hielt kurz inne, ehe er mich über seine Schulter hinweg aus dem Augenwinkel heraus ansah. Dieser plötzliche Blickkontakt erschreckte mich und bereits nach zwei Sekunden senkte ich schnell meinen Blick, weil mir die Erinnerungen an seine pechschwarzen Augen ins Gedächtnis schossen. So furchterregend, so angsteinflößend.
 

Erneut trat ein Schweigen ein in dem ich hin und wieder an der beinah geschmacksneutralen Brühe nippte. Ich hatte das Gefühl, dass es meinem Magen gut tat. Die Stimmung war bedrückt, nahezu unerträglich beklemmend. Es war mir unangenehm, hier zu sein.
 

Nach einiger Zeit kam aus Edwards Richtung ein sehr ernüchtert klingender Laut, was seine Eltern dazu veranlasste, zu ihm zu sehen. Es war komisch. Für einen Moment wirkte es wie ein kurzer, stiller Dialog, den sie untereinander führten, bis wie aus dem Nichts Geräusche aus einer komplett anderen Richtung herrührten. Eigenartigerweise überraschten die Geräusche niemanden außer mir. Es war fast so, als hätten alle Anderen damit gerechnet.

In der Entfernung wurde eine Tür geöffnet und geschlossen, Schritte näherten sich. Und dann kamen auf einmal dieser braunhaarige Riese und die blonde Schönheit um die Ecke. Emmett und Rosalie Cullen. Ihre Kleidung war verdreckt, ihre Schuhe durchnässt und hinterließen feuchte Spuren auf dem vermutlich teuren Parkett. Doch Esme schien das nicht zu stören.

Während die Blondine nur einen abwertenden Blick für mich übrig hatte, wirkte der Wikinger-Typ fast schon erfreut, mich zu sehen. Doch sein Lächeln hielt nicht lange an. Und mir fiel auf, dass alle bis auf Edward angespannt in seine Richtung sahen.
 

Langsam, so als brächte er schlechte Nachrichten, schüttelte Emmett seinen Kopf. „Wir waren bis in den Bergen, aber dort haben wir seine Spur verloren. Es ist mir ein verdammtes Rätsel, wie er das in seinem Zustand geschafft hat.“
 

Berge? Ich begriff nicht, worum es ging. Hier gab es hunderte von Meilen keine Berge in der Nähe.
 

Sowohl die braunhaarige Frau als auch Dr. Cullen nahmen einen tiefen Atemzug. Wirkten beide gleichermaßen ihrer Hoffnungen - welche auch immer das gewesen waren - beraubt.

„Ihr dürft nicht vergessen, wie alt er ist“, seufzte Dr. Cullen schließlich. „Er hat sehr viel Kraft und ist reich an Erfahrungen. Wir haben Phinnaeus einfach komplett unterschätzt.“
 

Phinnaeus. Fynn. Der Name durchzuckte mich wie ein Stromschlag. Ich spürte seinen dreckigen Atem auf meiner Haut, seine Lippen auf meinen. Seine groben Hände auf meinem Körper. Sein Gewicht, das auf mir lastete. Ich begann schneller zu Atmen, schloss meine Augen und versuchte all diese schrecklichen Dinge abzuschütteln.
 

„Liebes“, hörte ich Esme sagen, während ich innerlich mit meinen unkontrollierbaren körperlichen Reaktionen kämpfte. Ich presste meine Lider förmlich zusammen, wollte die Bilder damit auf Ewigkeiten verbannen. Sie sollten raus aus meinem Kopf. Ich wollte sie nicht sehen, mich nie wieder daran erinnern, dieses Erlebnis nie wieder spüren müssen.

Gerade, als ich allmählich Erfolg damit hatte und die Projizierungen in meinem Kopf immer dunkler und schwärzer wurden, spürte ich auf einmal eine Hand auf meinem Arm, die mich augenblicklich zusammenfahren ließ.

Esme, die der Besitzer derer war, zuckte aufgrund meiner Reaktion ebenfalls zusammen und zog ihre Hand schnell wieder zurück. Unbeholfen wollte sie sich mit ihrem Blick bei mir entschuldigen und das so intensiv, dass ich mich meiner vollkommenen Überreaktion schämte. Trotzdem kauerte ich mich fester zusammen, zog meine Beine noch mehr an meinen Oberkörper.

Die Suppe war bei meinem Zucken übergeschwappt und auf die Fleece-Decke getropft, was mein ohnehin schon mieses Gefühl noch einmal ansteigen ließ.
 

„Das macht doch nichts“, winkte Esme ab, als sie mich die Decke mustern sah. Sie war durch den Wind, auch wenn sie versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen. Mir hingegen war dieser Vorfall einfach nur ungeheuer peinlich.
 

Alle Blicke ruhten auf mir, ich fühlte mich wie ein Außerirdischer, der fünf Beine und drei Köpfe hatte. Noch nie konnte mich jemand verstehen oder meine Handlungsweisen nachvollziehen. Dieses Gefühl war mir also bestens vertraut, trotzdem tat es jedes Mal aufs Neue weh. Ich starrte vor mich hin und wünschte mir, nicht hier zu sein. Wünschte mir, ich wäre allein.
 

Ruhe kehrte ein und nach einigen Minuten stand Carlisle auf. „Lasst uns hoch in mein Arbeitszimmer gehen“, sagte er an Emmett und Rosalie gerichtet, die ihm daraufhin wortlos nach oben folgten.
 

Meine Taubheit kehrte allmählich zurück, ließ mich die Situation ein bisschen verdrängen und mich besser fühlen. Ich wusste nicht woher, aber mit einem Mal hörte ich die Stimme meiner Mutter summen. War es anfangs noch ganz leise, so nahm es nach einer Weile immer mehr Deutlichkeit an, so als würde sie direkt neben mir sitzen. (Bettina Wegener – Sind so kleine Hände http://www.youtube.com/watch?v=v5e9k1t0e_g )

Ich kannte die Melodie, kannte sie in-und auswendig, auch wenn es lange her ist, dass ich sie zum letzten Mal gehört hatte. Als ich noch kleiner war, hatte mich meine Mom jeden Abend mit diesem Lied in den Schlaf gesungen. Damals war ich noch zu jung, um den Sinn dieser Worte zu verstehen; ich begriff sie erst, als ich älter wurde.

Irgendwann hatte Renée dann einfach aufgehört, es für mich zu singen. Meinte, ich wäre zu alt dafür und müsse selbstständig einschlafen. Aber in diesem Moment hörte ich ihre Stimme so klar, als hätte sie es noch gestern Abend für mich gesungen. Sah ihren Blick, wenn sie mich zudeckte. Fühlte mich wie das kleine Mädchen, das unter die Bettdecke kroch und die Schönheit seiner Mutter bewunderte. Die Atmosphäre so friedlich, so voller Liebe.

Ich spürte den Kuss auf meiner Stirn, bevor sie aufstand und zu meinem Vater ging, der wie jeden Abend im Türrahmen stand und uns beobachtete. Er legte seinen Arm um meine Mutter und gemeinsam sahen sie mich noch für einen Moment mit einem Lächeln an, ehe sie die Tür schlossen und es dunkel wurde. Ein Stück heile Welt, das mit der Dunkelheit verschwand.

Denn ich war nicht das kleine Mädchen, das anschließend sein Kuscheltier fest umklammerte und friedlich einschlummerte.

Ich war meilenweit davon entfernt. Diese Welt gab es nicht mehr, würde es niemals mehr geben. Ich verstand nicht, wie sich alles derart ändern konnte, verstand nicht, wie ich von dort jemals hier landen konnte. Verstand nicht, warum mein Mutter nicht bei mir war, wo ich mir doch jetzt nichts sehnlicher wünschte, als von ihr in den Arm genommen zu werden.
 

Ohne es bemerkt zu haben, war mir eine vereinzelte Träne über die Wange gelaufen, und als ich deren feuchte Spur spürte, wischte ich sie mit samt den Erinnerungen weg. Eine Frage drängte sich mir auf, die ich mich nicht zu stellen wagte. Ich wollte wissen, wo mein Dad war und wie es ihm ging… ob er noch lebte. Aber diese Worte kamen nicht über meine Lippen, zu sehr fürchtete ich mich vor der Antwort. Wenn es ihm nicht gut ginge, dann würde ich den letzten Halt verlieren.
 

„Darf ich mich zu dir setzen?“

Ich sah auf, blickte in die Augen von Esme, die so voller Sorge erschienen, dass es mir nahezu wehtat. Es war zu überzeugend für Schauspielerei und gleichzeitig zu irreal, als dass sie es ernst meinen könnte.

Ich nickte und sie setzte sich zu meinen Füßen an den Rand des Sofas. Ich sah an ihr vorbei, erkannte hinter ihr Edward, der ein bisschen näher gekommen war, aber immer noch Abstand hielt. Sein Blick war nicht mehr nach draußen gerichtet, er hatte sich mir zugewandt und sah mich geradewegs an. Sein Gesichtsausdruck und seine Augen wirkten mitleidig, voller Reue und beinah gequält. Er wirkte so anders als der Edward, der mich jede Nacht in meinen Träumen verfolgte, anders als der, der mich töten wollte.

Ich verstand das alles nicht, war komplett überfordert.
 

„Wir können uns nur annähernd vorstellen, was du durchmachen musstest“, begann Esme und bekam meine Aufmerksamkeit, insofern ich zu dieser überhaupt fähig war. Ich senkte meinen Kopf. War mir nicht sicher, ob ich hören wollte, was sie mir zu sagen hatte.
 

„Wir haben die Situation zwar gesehen, aber es ist etwas anderes, sie selbst erlebt zu haben. Und auch wenn mir in meinem Leben selbst schon viele schreckliche Dinge widerfahren sind, so wäre es doch vermessen, zu sagen, dass ich nachempfinden kann, wie du dich fühlst. Ich kann es mir nur in etwa ausmalen … und was ich mir ausmale, ist die Hölle.“
 

Ihre mit Bedacht gewählten Worte gingen mir nah, obwohl ich nicht wollte, dass sie dies taten. Trotzdem konnte ich nichts dagegen tun. Ich wünschte mir, sie würde aufhören zu sprechen. Ich schämte mich für das, was passiert war. Schämte mich, hier zu sein. Schämte mich für alles.
 

„Aber weißt du, was ganz wichtig dabei ist und was ich dir ohne Zweifel versichern kann?“, fragte sie, woraufhin ich ohne sie anzusehen langsam meinen Kopf schüttelte.
 

„Dass du dir nicht die Schuld daran gibst, Isabella. Das darfst du unter keinen Umständen, um nichts in der Welt tun. Und weißt du, warum? Weil es nicht deine Schuld ist. Absolut nicht. Du kannst nichts dafür. Das musst du dir immer wieder sagen.“
 

Es war nicht meine Schuld? Wessen sollte es denn dann gewesen sein. Natürlich war es meine Schuld. Niemand außer mir war schuld daran. Hätte ich mich nicht so naiv auf einen völlig Fremden eingelassen, wäre niemals etwas passiert. Jetzt im Nachhinein verstand ich selbst nicht, wie ich so dumm sein konnte. Normalerweise hielt ich vor jedem Menschen lieber einen Schritt zu viel Abstand, als einen zu wenig. Doch auf Fynn war ich einfach zugelaufen, hatte mich selbst geradewegs ins Verderben gestürzt. Wie konnte ich mir unter Anbetracht dieser Dummheit nicht die Schuld daran geben? Mich für meine Leichtgläubigkeit nicht hassen?

All die Jahre wusste ich, dass ich nirgends dazugehörte, dass niemand etwas mit mir zu tun haben wollte. Und dann kam auf einmal jemand, der das Gegenteil behauptete, und anstatt skeptisch zu sein, hatte ich ihn mit offenen Armen empfangen, ihn zu dieser Tat vielleicht sogar noch animiert.
 

„Manche Menschen sind einfach schlecht“, fuhr sie fort, nachdem sie vergeblich auf ein Nicken gewartet hatte. „Dafür kann niemand etwas, und du schon gar nicht.“

„Außerdem“, fing sie neu an, richtete ihren Blick kurz auf ihre Hände, die sie auf dem Schoß liegen hatte, „bist du nicht die Einzige, die von Phinnaeus getäuscht worden ist.“
 

„Wir kennen ihn schon seit einer Weile“, gab sie leise zu, was ihr offenbar nicht leicht über die Lippen ging. „Allerdings hatten wir ihn als netten jungen Mann kennengelernt, genau wie du auch. Niemals hätten wir uns auch nur in unseren kühnsten Albträumen ausgemalt, wer oder was tatsächlich hinter dieser vermeintlich freundlichen Fassade steckt. Er hat uns ebenso hinters Licht geführt wie dich.“

Sie atmete tief durch, schien zu überlegen, wie sie ihre nächsten Sätze formulieren sollte. „Weißt du, Isabella …. Es ist nur sehr schwer zu beschreiben … aber Phinnaeus hat eine Art Aura um sich herum, eine Art Talent. Er kann die Leute glauben lassen, was er möchte, dass sie glauben.“
 

Meine Stirn legte sich in Falten, glich der eines trotzigen Kindes. Was meinte sie mit Aura und Talent? Es war mehr als verwunderlich, was sie behauptete. Auch wenn ich, obwohl alle irdischen Instinkte in mir augenblicklich versuchten, zu widersprechen, nicht gegenargumentieren konnte. Dieser Strudel, wenn er mich angesehen hatte, dieses Gefühl, als würde er meine Gedanken verwirbeln, bis ich selbst nicht mehr wusste, was ich eigentlich wollte. Irgendetwas war immer sehr seltsam an ihm gewesen, das konnte ich nicht abstreiten. Trotzdem hatte ich mich viel zu leicht von ihm verleiten lassen, viel zu sehr von der Hoffnung verlocken lassen, jemand würde sich für mich und mein erbärmliches Leben interessieren.

Vielleicht war er wirklich begabt darin, andere Menschen zu manipulieren. Aber das änderte nichts an Letzterem, an meiner Leichtsinnigkeit.
 

„Das muss sich total verwirrend für dich anhören“, sprach Esme weiter. „Ich wünschte, ich könnte es dir plausibler erklären – aber das kann ich leider nicht.“ Bedauernd sah sie mich eine Weile an. „Wir bereuen es alle zutiefst, dass wir selbst auf ihn reingefallen sind, dass wir nicht früher, so wie Edward es wollte, eingeschritten sind. Ich weiß nicht, wie wir diesen Fehler jemals wieder gut machen können. Wir alle machen uns große Vorwürfe.“
 

Sie machten sich Vorwürfe? Für was denn? Immerhin hatten sie mir mein Leben gerettet, mich von der wahrscheinlich grausamsten Sache, die einem Menschen passieren könnte, bewahrt. Ohne sie wäre ich vermutlich tot. Und auch wenn ich momentan noch nicht wusste, ob ich darüber froh sein sollte, so war diese Tatsache doch keine, die man einfach unter den Teppich kehren konnte.

Aber verspürte ich Dankbarkeit? Eigentlich nicht. Diese Dinge gingen zwar durch meinen Kopf, doch es war, als hätte ich keinen Bezug dazu. Als würde ich teilnahmslos einem Film folgen.

Trotzdem hatte ich den Drang, etwas dazu zu sagen, doch ich konnte einfach nicht. Kein Wort kam über meine Lippen.
 

„Auch dass er entkommen konnte, macht uns unglaublich zu schaffen“, ergänzte sie.
 

Fynn war entkommen.

Nur nach und nach sickerte diese Erkenntnis in mein Bewusstsein. Es war nicht so, dass ich mir bisher Gedanken über sein Verbleiben gemacht hatte, trotzdem hatte ich insgeheim die Hoffnung gehegt, dass er nicht mehr dort draußen frei herumlaufen würde.

Doch er tat es. Kam ungestraft davon. War nicht bei der Polizei, im Gefängnis, wo die Welt vor ihm sicher war, sondern könnte gleich morgen erneut mich oder ein anderes Mädchen aufsuchen, das dumm genug war, seinen gelogenen Worten Glauben zu schenken.

Hatte Dr. Cullen vorhin von ihm gesprochen? Waren Emmett und Rosalie aufgebrochen, um ihn zu suchen?
 

„Es wird dir wahrscheinlich kein Trost sein …“, begann eine Stimme zu sprechen, die nicht Esme gehörte. Sie war tiefer, männlicher und unverwechselbar melodisch. Auch wenn sie in diesem Moment gebrochener und zugleich hasserfüllter klang, als ich sie jemals zuvor wahrgenommen hatte, so erkannte ich sie sofort. Edward. Ich erschreckte mich. Wagte es nicht, meinen Kopf anzuheben, sondern schielte nur vorsichtig nach oben. Ich war darauf gefasst gewesen, in seine Augen zu blicken, doch wider Erwarten hatte er sich erneut gen Fenster gedreht und sah nach draußen, als er mit zusammengepresstem Mund sprach.
 

„Er läuft zwar immer noch dort draußen herum, aber das, was er dir angetan hat, wird er niemals mehr jemand anderem antun könnten. Er wird nie wieder Menschen täuschen können. Das versichere ich dir.“
 

Seine Worte waren so voller Gewicht, in ihnen steckte eine unheimliche Aussagekraft, die selbst durch meinen tauben Zustand ein bisschen Angst zu mir durchsickern ließ. Ich wusste nicht, was hinter dieser kryptischen Andeutung steckte. Weder was sie bedeutete noch was er damit meinte. Aber ich spürte, dass etwas Größeres darin verborgen lag. Viel mehr, als er ausgesprochen hatte.
 

Wie sollte es gehen, dass Fynn nie wieder Menschen täuschen konnte? Ich wollte es erfahren, wollte fragen, woher er diese Gewissheit nahm, doch ich traute mich nicht, schaute ihn einfach nur ehrfürchtig an. Aber das Warten war vergebens, Edward redete nicht weiter, schien alles gesagt zu haben, was er zu sagen hatte. Und so kehrte wieder Stille ein. Jeder schien auf seine eigene Weise seinen Gedanken nachzuhängen. Edward tat das, in dem er, ohne auch nur ein einziges Mal seine Haltung zu verändern, in den Garten sah, Esme setzte sich zurück auf den Sessel und schloss ihre Augen, so als wäre sie sehr erschöpft. Ich hingegen starrte auf die die Suppe, die inzwischen kalt geworden war und spürte nichts als Leere in meinem Kopf. Die Erinnerungen, die sich immer wieder einen Weg in mein Bewusstsein bahnen wollten, verdrängte ich.
 

Stunden des Schweigens vergingen, bis allmählich der Morgen anbrach, der den Raum in ein grau- bläuliches Licht tauchte, das immer heller wurde und irgendwann gänzlich die Schatten der Nacht mit sich nahm. Es war der trostloseste Morgen, den ich jemals erlebt hatte.
 

Schritte waren das erste Geräusch, das seit ewig langer Zeit zu hören war. Sie kamen von oben, näherten sich über die Treppe dem Wohnraum, bis schließlich Emmett, Rosalie und mit ein bisschen Verzögerung ein blonder junger Mann zum Vorschein kamen. Letzterer hörte auf den Namen - zumindest soweit ich wusste - Jasper und war der Freund von der kleinen Schwarzhaarigen, die ich, seitdem ich hier war, noch kein einziges Mal gesehen hatte. Jasper würdigte mich keines Blickes, behandelte mich, als wäre ich Abschaum. Wahrscheinlich war ich das in seinen Augen auch.
 

„Na, Isabella?“, sagte der Riese plötzlich und ließ mich in Anbetracht seiner tiefen Stimme zusammenzucken. „So ganz frisch siehst du immer noch nicht aus“, stellte er weiter fest.
 

Seine Erscheinung, sein Auftreten war so angsteinflößend. Das reinste Muskelpaket; bei einem einfachen Handschlag würde er mir wahrscheinlich all meine Finger brechen. Ich wusste ohnehin nie, wie ich mich in der Gegenwart von Männern verhalten sollte, so jemand wie Emmett, der vor Maskulinität nur so strotze, schüchterte mich doppelt ein. Bestimmt nahm er Steroide.
 

„Viel reden tust du auch nicht, was?“, fuhr er fort, nachdem ich nicht geantwortet hatte. „Davon könnten sich gewisse Damen hier in diesem Haus ruhig mal eine Scheibe abschneiden.“ Er grinste verschmitzt. Was jedoch nicht lange anhielt, da Rosalie ihre Augen verdrehte und ihm daraufhin einen ordentlichen Schlag auf die Brust gab. Er rieb sich die Stelle, warf ihr einen gespielt echauffiertem Blick zu und lachte schließlich lauthals.
 

„Brecht ihr wieder auf?“, fragte Esme, woraufhin alle drei mit den Köpfen nickten. Es machte ganz den Anschein, als wollten sie wegen meiner Anwesenheit nicht mehr dazu sagen, was mein Gefühl, dass ich hier fehl am Platz war, erhöhte.

„Hier, die Nachricht für Mr. Swan“, kam Dr. Cullen ebenfalls die Treppe hinunter und händigte Emmett einen weißen Zettel aus.

Mr. Swan.

„Heißt das, Charlie geht es gut?“, kam es wie von einem innerlichen Instinkt getrieben aus mir heraus, woraufhin sämtliche überraschte Blicke auf mir lagen.

„Weshalb sollte es ihm nicht gut gehen?“, erkundigte sich Dr. Cullen irritiert.

„Ich wünschte nur, ich könnte Cullens Gesicht sehen, wenn er dich findet. Zu schade, dass er nicht dabei sein kann. Aber er ist leider gerade mit anderen Dingen beschäftigt … Angeln, wenn du verstehst, was ich meine“, hallten mir Fynns Worte durch den Kopf, woraufhin ich für einen ganz kurzen Moment zu Edward schielte.

„Ich weiß nicht …“, sagte ich leise und durcheinander, wenngleich ich unheimlich erleichtert war, dass Charlie offenbar nichts fehlte. Zumindest, wenn ich Dr. Cullen Glauben schenken konnte.

„Legt es so hin, dass er es auf alle Fälle findet. Unten habe ich noch unsere Telefonnummer drauf geschrieben.“

Emmett nickte, faltete den Zettel und steckte ihn anschließend ein.

„Okay, dann danke, Jungs“, sagte Dr. Cullen mit einem sehr dankbaren Lächeln.

„Keine Ursache“, antwortete Rosalie, leicht angesäuert wegen der vorangegangenen Bezeichnung. Ihr Kommentar brachte Emmett und Carlisle zum Schmunzeln.

„Du weißt, wie ich das gemeint habe, Rose“, lächelte der Arzt.

„Ja ja, schon gut“, gab sich Rosalie geschlagen, verzog aber dennoch ihr Gesicht, als sie zusammen mit Emmett und Jasper nach draußen ging und verschwand.
 

Das war so eine kleine, unbedeutende Situation, trotzdem strahlte sie etwas ungeheuer Familiäres auf mich aus. Ich beneidete die Cullens für die Familie, die sie hatten, für die Zusammengehörigkeit, die deutlich spürbar im Raum lag. Ich kannte so etwas nicht, hatte so etwas nie erfahren, mir erschien das vollkommen fremd. Und jetzt, wo ich mir nichts sehnlichster wünschte, als irgendeine Form von Halt zu besitzen, wurde es mir bewusster als jemals zuvor in meinem Leben.
 

„Weißt du, wann dein Vater wieder nach Hause kommt?“, riss mich Dr. Cullen aus den Gedanken. Ich zuckte mit den Schultern und sagte dann ganz leise „Dienstag.“

„Heute ist Dienstag, Isabella“, lächelte er. „Ich meinte eher die Uhrzeit.“

Dienstag war heute? Hatte ich seit der Nacht von Samstag auf Sonntag ununterbrochen geschlafen? Ich war geschockt, kam mir auf einmal vor, als hätte ich einen Zeitsprung gemacht. Zwei Tage waren einfach vergangen, ohne dass ich es mitbekommen hatte. Ich war vollkommen vor den Kopf gestoßen, konnte mir diese lange Zeitspanne nicht erklären, da ich sie nicht als solche empfunden hatte.
 

„Vermutlich gegen Abend“, antwortete ich gedämpft, kämpfte immer noch mit der Vorstellung, solange nicht bei Bewusstsein gewesen zu sein.
 

„Dann …“, stammelte ich, „werde ich wohl jetzt langsam gehen“. Es war wie ein innerer Impuls, der mir sagte, ich müsse Zuhause sein, bevor Charlie heimkehrte. Um nichts in der Welt wollte ich ihm erklären müssen, was mir widerfahren war und wie es dazu kam, dass ich bei den Cullens übernachtet hatte. Es war mir viel zu peinlich, um auch nur ein Wort darüber zu verlieren – ganz zu schweigen von den Schuldgefühlen, die sich Charlie machen würde, welche ich wiederum nicht verkraften könnte.

Nein, Dad durfte nie erfahren, was in seiner Abwesenheit geschehen war.
 

„Isabella“, zog Dr. Cullen verwirrt seine Augenbrauen zusammen. „Wir sind eigentlich davon ausgegangen, dass wir dich noch ein paar Tage hier behalten werden. Du bist immer noch deutlich angeschlagen und in deinem Zustand solltest du unter ständiger Überwachung stehen.“
 

Überwachung.

Wie grotesk es sich anhörte, wenn diese Worte plötzlich von einem der Cullens laut ausgesprochen wurden. Sie taten doch seit Wochen nichts anderes, als mich zu verfolgen, mir nachzujagen und mich zu überwachen.
 

„Dann haltet ihr mich hier fest …?“, fragte ich mit zittriger Stimme, senkte meinen Kopf und wusste die Antwort eigentlich schon selbst. Niemand half jemand anderem ohne Gegenleistung, das hätte ich eigentlich wissen müssen. Und auch wenn ich keine Ahnung hatte, woraus diese Gegenleistung bestehen sollte, so wurde mir augenblicklich klar, dass ich zwar von dem einem, der mich gefangen gehalten hatte, gerettet wurde, dafür jetzt aber in einem anderen Gefängnis steckte.
 

„Was? – Um Gottes willen, nein, Isabella“, meinte Dr. Cullen bestürzt. „Niemand hält dich hier fest, das würden wir niemals tun. Wir dachten nur, dass es das Beste wäre. Dein Zustand sollte sich erst wieder stabilisieren, bevor wir dich guten Gewissens gehen lassen können. Alles andere wäre verantwortungslos. Nur darum geht es uns.“
 

Ich konnte kaum glauben, was ich gehört hatte.

„Dann haltet ihr mich nicht gefangen?“
 

„Natürlich nicht“, schüttelte Dr. Cullen seinen Kopf und schien geschockt zu sein, dass ich diese Annahme getätigt hatte.

„Ich weiß, Isabella“, fuhr er nach kurzer Zeit besonnen fort, „dass dein Eindruck von uns wahrscheinlich nicht der Beste ist. Und mit Sicherheit hast du auch berechtigte Zweifel daran … Aber ich kann dir versichern, dass wir dir niemals etwas Schlechtes wollten. Keiner von uns.“
 

Das „keiner“ hatte er so betont, dass kein Zweifel offen blieb, auf wen er damit angespielt hatte. Seine Familie wusste also von dem Vorfall im Wald. Er hatte es ihnen erzählt. Und ich hatte keine Ahnung, ob ich das gut oder schlecht finden sollte. Es hatte etwas Erschreckendes an sich. Mir kamen wieder die Vermutungen in den Sinn, die ich über diese Familie hegte, das Gefühl, dass irgendetwas nicht mit ihnen stimmte.
 

„Ich würde gerne gehen …“, gab ich leise von mir.
 

Dr. Cullen seufzte, schien nicht zu wissen, wie er mich vom Gegenteil überzeugen konnte und fuhr sich mit seiner Hand durch die Haare.

„Und wenn du wenigstens noch einen Tag bleibst? Zumindest so lange bis …“, er brach ab und ich bemerkte, wie Esme und er sich besorgte Blicke zuwarfen.
 

„Bis?“, erkundigte ich mich, spürte ich doch, dass sie mir etwas verschweigen wollten.
 

„Nun ja“, seufzte Dr. Cullen widerwillig. „Bis deine äußerlichen Verletzungen, zumindest die offensichtlichen, verheilt sind.“
 

Wovon sprach er? Ich sah an mir herunter, blickte auf meine Hände, die zwar ein bisschen verkratzt waren, was man aber sicherlich nicht als Verletzungen bezeichnen konnte. Die kleinen Wunden hätte ich mir genauso bei der Gartenarbeit oder sonst wo hinzuziehen können, sie waren der Rede nicht wert. Falls ich noch irgendwo anders am Körper Verletzungen hatte, was ich stark vermutete, da einige Stellen immer wieder schmerzten, dann könnte man diese aufgrund meiner Kleidung nicht sehen. Also wo war das Problem?

Ich war verwirrt und die Art, wie sich Dr. Cullen und seine Frau ansahen, verunsicherte mich.
 

„Es kann sein, dass du es wegen der Schmerzmittel, die ich dir gegeben habe, nicht spürst. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, es nichts Schlimmes. Du hast nur ein paar Kratzer im Gesicht“, versuchte er zu beschwichtigen.

Meine Hand tastete erschrocken an meine Wange, doch zu meiner Verwunderung konnte ich keine Schürfwunden spüren. Trotzdem war ich alarmiert.

„Beruhige dich, es ist wirklich keine Katastrophe. - In ein, zwei Tagen wird man keinerlei Spuren mehr sehen können“, meinte Esme in einem mitleidigen Tonfall, der mir erst recht zu denken gab.
 

„Haben Sie einen Spiegel?“, fragte ich verstört, woraufhin sich das Ehepaar erneut einen betroffenen Blick zuwarf.
 

„Bleib doch erst mal hier und ruh dich noch ein bisschen aus. Es ist wirklich nicht so schlimm, wie du jetzt vielleicht denkst“, bemühte sich die braunhaarige Frau erneut, doch vergebens. Die Andeutungen, die sie bereits getätigt hatten, waren zu viele gewesen. Was stimmte mit meinem Gesicht nicht?
 

Hilfesuchend sah ich die beiden an, ehe Carlisle schließlich seufzte, mit seinen Schultern zuckte und, obwohl es ihm offenbar widerstrebte, nach oben deutete. „Erster Stock, zweite Tür links.“

Ohne noch einmal über mein Vorhaben nachzudenken, schob ich die Decke beiseite und stand auf. Mir wurde leicht schummrig im Kopf und meine Schritte wirkten auf mich, wie die eines Schlafwandlers. Auf den Beinen zu sein verlangte mir mehr ab, als ich es von der sitzenden Position heraus eingeschätzt hatte. Trotzdem begab ich mich zur Treppe und schleppte mich Stufe für Stufe nach oben. Im ersten Stock landete ich in einem geräumigen Flur, suchte nach der zweiten Tür auf der linken Seite und öffnete diese schließlich. Vorsichtig betrat ich das große und edle Badezimmer, das sich dahinter verbarg. Alles glänzte, alles war auf Hochglanz poliert. Jede Fliese schien die noch so kleinste Bewegung sofort zu Reflektieren. Ein Duft von einem gutriechenden Badeschaum lag in der Luft. Ich kam mir vor wie in einem Möbelhaus.
 

Langsam und mit bedächtigen Schritten näherte ich mich über den flauschigen, bordeauxroten Teppich dem großen Waschbecken, über dem ein überdimensionaler Spiegel angebracht war. Ich stellte mich davor, ging für einen Moment tief in mich und blickte schließlich direkt hinein. Was ich sah, ließ mich augenblicklich gefrieren.
 

Ich hatte blaue Striemen an Hals und Gesicht. Dunkelbläulich verfärbte Druckstellen, die in länglichen Formen meine Haut zierten. Sie sahen aus wie ... Abdrücke von Fingern. Wie in einem Zeitraffer blitzten Bilder durch meinen Kopf. Fynns Gesicht direkt über meinem, seine Hände, die mit aller Gewalt mein Gesicht fixierten. Ich spürte es, als würde es in diesem Moment passieren und schloss schnell meine Augen, um diese Erinnerungen nahezu zwanghaft zu verbannen. Am liebsten hätte ich sie mit einem Messer aus meinen Gedanken geschnitten, sie wie ein Stück Papier verbrannt und die Asche für immer verstreut.

Ich versuchte, meine Atmung zu regulieren, appellierte immer wieder an mich, tief durchzuatmen. Doch es half nichts, ich spürte die Abdrücke trotz geschlossener Augen, spürte, wie sie entstanden waren. Auch die Erinnerung an meine Hämatome an den Handgelenken, die mir Edward vor einigen Wochen zugefügt hatte, schossen durch meinen Kopf. Es war, als würde es einen Zusammenhang geben.
 

Ein plötzliches Klopfen an der Tür ließ mich regelrecht zusammenfahren.

„Ich bin‘s, Alice. Darf ich reinkommen?“, fragte eine hohe Stimme leise. Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte, starrte einfach nur auf die verschlossene Tür. Natürlich wollte ich nicht, dass sie oder irgendjemand anderes reinkam, doch meine Lippen bewegten sich einfach nicht, und so öffnete sich vorsichtig die Tür und die zierliche Schwarzhaarige steckte ihren Kopf hinein.

Sie lächelte mich an, ehe sie durch den kleinen Spalt zu mir ins Badezimmer schlüpfte und die Tür hinter sich wieder verschloss.
 

Sie begutachte mich kurz, schenkte mir erneut ein Lächeln, als sie auf mich zugelaufen kam und vor mir stoppte. Bedeutungsvoll grinsend hielt sie einen kleinen schwarzen Beutel vor ihre Brust und tippte mit ihrem Finger drauf. „Ich habe meine besten Freunde mitgebracht“, verkündete sie.

Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete; noch dazu war mir ihre Anwesenheit äußerst unangenehm.

Sie bemerkte, dass ich ihr nicht folgen konnte und leerte prompt und ohne sich in ihrer leichten Euphorie bremsen zu lassen den Inhalt ihres Täschchens auf dem Rand des Waschbeckens aus. Nacheinander drapierte sie kleine Fläschchen mit bräunlichen Inhalten, Stifte und Puderdosen sorgfältig in einer Reihe. Allesamt Kosmetikartikel, die teuer und edel aussahen und von deren Marken ich teilweise noch nie etwas gehört hatte. Was bei mir aber nicht unbedingt etwas heißen musste.
 

„Glaub mir, ich weiß bestens, wie es ist, mit Haut-Typ 1 gestraft zu sein“, sie verdrehte ihre Augen. „Ich bin sozusagen ein Perfektionist, wenn es ums Schminken geht und vertrau mir, wenn ich mit dir fertig bin, wird man nicht mal mehr den Hauch eines blauen Fleckes sehen.“

Nach wie vor blieb sie vollkommen überzeugt, hingegen ich sie anstarrte, als wäre sie gerade einer Irrenanstalt entsprungen.

„Jetzt guck nicht so wie ein Eichhörnchen. Setzt dich auf den Badewannenrand, na los.“
 

Sie hatte so ein bestimmendes Auftreten, dass ich überhaupt nicht wusste, was ich tun sollte und vollkommen eingeschüchtert war. Nachdem sie drei weitere Male gen Eckbadewanne deutete, folgte ich schließlich etwas überfordert ihrer Anweisung und setzte mich. Sie hatte mich total überrumpelt.

Sie stellte sich vor mich, stemmte ihre Hände in die Hüften und musterte mein Gesicht nahezu fachmännisch, als würde sie sich einen Plan zurechtlegen.

„Am besten, wir fangen mit einer Grundierung an. Was meinst du?“

Ich … meinte gar nichts.

„Schön, dann sind wir uns ja einig“, sagte sie zufrieden und bediente sich an den Fläschchen hinter sich. Aus einer kleinen, dünnen Tube drückte sie eine dickliche, grüne Flüssigkeit auf ein weißes Wattepad, mit dem sie sie sich anschließend meinem Gesicht näherte. Doch als sie nur noch wenige Zentimeter von meiner Haut entfernt war, zuckte ich mit meinem Kopf reflexartig zurück.

Überrascht und entschuldigend blickte sie mich an. „Ich möchte dir nichts tun, wirklich nicht“, versicherte sie.

Weil ich mir wegen meiner Ängstlichkeit unheimlich blöd vorkam, hielt ich still, als sie es ein zweites Mal versuchte. Doch ich fühlte mich deutlich unwohl dabei und konnte es nur sehr schwer über mich ergehen lassen.

Langsam fing sie an, die cremeartige Substanz auf meiner Haut zu verteilen.
 

Was danach folgte, war eine in etwa fünfundvierzigminütige Prozedur, in der sie diese Schritte immer wieder mit anderen Pasten oder Pudern wiederholte. Jede einzelne Vorgehensweise kommentierte sie und versuchte mir zusätzlich Tipps zugeben, wie ich das zukünftig am besten selbst tun könnte. Nicht, dass ich auch nur eine Sekunde ernsthaft zuhörte; ich nahm ihr kontinuierliches Reden eher wie ein monotones Hintergrundgeräusch wahr, ähnlich wie bei einem Radio.

Im Prinzip war ich froh, dass sie so viel sprach, denn somit machte sie mir diese Situation nicht noch unangenehmer, als sie es ohnehin schon war. Und zu meinem Glück stellte sie mir weder irgendwelche Fragen noch kam sie auf den Vorfall vom Samstag zu sprechen. Darüber war ich sehr dankbar. Und so schaltete ich einfach ab, starrte ins Leere und wartete, bis sie fertig war.
 

„Jaaa“, meinte sie überlegend, ging ein paar Schritte zurück und betrachtete mich ausgiebig, „ich glaube, so ist es gut.“ Sie grinste und war offenbar stolz auf sich.

„Na los, steh schon auf und guck dich an“, drängelte sie eifrig, als könne sie es nicht erwarten, bis ich ihr „Meisterwerk“, wie sie es selbst vorhin bezeichnet hatte, in Augenschein nahm. Also tat ich ihr den Gefallen, stand auf, stellte mich vor den Spiegel und wurde augenblicklich … sprachlos.
 

Ich konnte nicht sagen, dass ich viel erwartet hätte, um genau zu sein, hatte ich eigentlich gar nichts erwartet. Mit einem Makeup, das mir meine Mutter mitgegeben hatte, hatte ich damals versucht, die Blessuren, die mir Edward zugefügt hatte, an meinen Handgelenken zu überdecken. Aber es war vergebens gewesen. Das einzige, was ich damit erreicht hatte, waren schmutzige Pulloverärmel.

Doch jetzt, als ich in mein Spiegelbild sah, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Es war fast so, als hätte ich mir den Anblick, den ich noch vor einer dreiviertel Stunde betrachtet hatte, nur eingebildet gehabt. Wenn man nicht genau wüsste, wo die Flecken gewesen waren, dann sah man nichts. Es waren nur noch minimale Andeutungen darauf vorhanden, die man zweifelsohne für einfach Schatten halten konnte. Auch an meinem Hals waren die Spuren kaum noch zu erahnen, wenn ich sie zusätzlich mit meinen Haaren verdecken würde, dann waren sie nahezu unsichtbar. Dabei war es nicht mal so, dass meine Haut einen anderen Teint hatte, ich sah genauso aus wie immer, nur vielleicht ein bisschen besser. So würde ich mich definitiv trauen, Charlie über den Weg zu laufen.
 

„Und, was sagst du?“, fragte Alice aufgekratzt, die neben mir stand und zusammen mit mir in den Spiegel blickte. „Es ist toll, oder?“

„Ja“, meinte ich leise, woraufhin sie über ihr ganzes Gesicht strahlte.

„Freut mich, dass ich dir helfen konnte.“

„Hier“, griff sie nach einer Tube und einem Puder, welche sie mir anschließend entgegenhielt. „Es sind ja noch ein paar Stunden, bis dein Vater nach Hause kommt. Kann sein, dass du es noch mal auffrischen musst. Einfach auftragen, wie ich es dir gesagt habe.“

Unsicher nahm ich ihr die Utensilien ab, die sie mir regelrecht aufdrängte. „Ich weiß nicht … ob ich das annehmen kann.“

Sie winkte ab. „Ich hab Tonnen von dem Zeug. Du kannst es gerne behalten.“
 

Ich wollte erneut Widerstand leisten, doch sofort schüttelte sie ihren Kopf und signalisierte mir ganz deutlich, keinerlei Widerrede zu dulden. Weil ich nicht wusste, was ich tun sollte, starrte ich auf die Sachen, die sie mir offenbar schenken wollte. Ich hatte keine Ahnung, warum sie das tat. Um genau zu sein, hatte ich nicht die geringste Vorstellung, warum sie all diese Sachen für mich getan hatten. Sie retteten mich – Warum? Und warum half mir Alice jetzt noch dabei, dass ich halbwegs wie ein normaler Mensch aussah? Warum taten das die Cullen für mich? Ich verstand das alles nicht, meine ganze Welt schien Kopf zu stehen.
 

Verwirrt steckte ich die Kosmetikartikel schließlich vorsichtig in meine Tasche und suchte in meinem Kopf nach irgendwelchen passenden Worten, die ich ihr sagen konnte.

„Keine Ursache“, meinte sie plötzlich, woraufhin ich irritiert zu ihr aufsah, da ich noch keinen einzigen Ton von mir gegeben hatte.

Sie grinste und tippte sich mit dem Finger gegen ihre Stirn. „Ich hab manchmal so eine Art Intuition. Nichts dabei denken.“

Ich nickte zögerlich, auch wenn ich absolut nicht verstand, was sie damit gemeint hatte.

Wortlos standen wir uns noch für einen Moment gegenüber. Ich wusste weder, wo ich hinsehen noch was ich sagen sollte. Nach kurzer Zeit entschied ich mich zu gehen, nickte ihr schüchtern zu und wollte mich schon wegdrehen, als sie mich auf einmal aufhielt.

„Isabella“, begann sie und suchte anscheinend nach einer passenden Formulierung, während ich innehielt und sie irritiert ansah.

Sie seufzte. „Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Wahrscheinlich gibt das für dich alles keinen Sinn. Und ich kann so gut verstehen, wenn du keine Minute mehr länger hier bleiben möchtest. Wir müssen wie Monster auf dich wirken und du hast guten Grund, uns keinen Millimeter zu trauen.

„Aber weißt du, wir wollen dir nichts Schlechtes. Das wollten wir niemals. Auch Edward beziehungsweise gerade Edward nicht. Manchmal lernt man Leute einfach auf dem falschen Fuß kennen.“

Sie machte eine kurze Pause. „Du musst gar nichts dazu sagen, wahrscheinlich kannst du das auch nicht. Das Ganze wird dich komplett überfordern. Alles, was ich möchte, ist, dass du darüber nachdenkst, Isabella. Der erste Eindruck muss nicht immer der richtige sein.“
 

Sie hatte Recht, ich konnte dazu nichts sagen. Aber ihre Worte waren mit Sicherheit zu mir durchgesickert, auch wenn ich noch nicht wusste, was ich mit ihnen anfangen sollte.

„Das wollte ich nur loswerden, entschuldige bitte“, lächelte mich die Schwarzhaarige verhalten an. Ich nickte nach ein paar Sekunden, ehe ich mich ihrer Geste folgend aus dem Badezimmer begab.



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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Von: abgemeldet
2010-11-25T09:28:51+00:00 25.11.2010 10:28
Die Gescichte finde ich toll.. gehts denn noch weiter?
Hier wurde ja schon lange nichts mehr geschrieben...
Von: abgemeldet
2010-04-12T17:13:32+00:00 12.04.2010 19:13
Halli Hallo,

also ich find es klasse das es weitergeht find die FF echt toll!
Das pit hat alles verändert, war der dreh in der ganzen geschichte!
Ich freu mich schon auf die nächste!

LG
heartly
Von:  Cygni
2010-04-12T11:20:29+00:00 12.04.2010 13:20
okay, jetzt ha ichs gelesen...

aww~
wie sich alle sorgen um sie machen! das ist sooo süß!
alice ist sowieso die beste, da gibt es nichts zu diskutieren,
was mich auch interessieren würde ist was edwart gemeint hat...

lg stellax3
Von:  Cygni
2010-04-12T10:18:54+00:00 12.04.2010 12:18
ich hab noch nix gelesen aber ich hab trotzdem schon hyperventiliert;
einfach weil ein neues kap da ist...
Von: abgemeldet
2010-04-11T20:13:32+00:00 11.04.2010 22:13
ich finde du hättetst weiterschreiben sollen!!!!! dann wär es jetzt länger!!! oooo ich sterbe gleich...diagnose:neugierde^^...

bitte schreib gaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaanz schnell weiter!!!!!!

lg shila1
Von: abgemeldet
2010-04-10T20:35:01+00:00 10.04.2010 22:35
Ein sehr gelungenes Kapitel! Ihr habt Talent, echt jetzt!
Ich liebe eure FF schon seit ich das erste Kapitel las und lese sie immer und immer wieder gerne...Nur biiitte beeilt euch mit den neuen Kapiteln, ja?

lg Crispy
Von:  simone123
2010-04-10T17:24:06+00:00 10.04.2010 19:24
Also ich schließe mich dark-butterfly an, ich finde es auch schade das du so lange brauchst um weiter zu schreiben. Ich muß mir dann auch immer erst alles noch einmal durchlesen, weil man das meiste schon wieder vergessen hat. Ich hoffe du läßt uns nicht wieder so lange warten.
Ich finde das Kapitel eigendlich recht gut bis auf das mir Bella etwas zu viel denkt und zu wenig redet. Ich meine klar sie hat einen Schock, aber ich an ihrer Stelle hätte 1000 Fragen die ich gerne beantwortet haben wollte. Ich hoffe sie kommt im nächsten Kapitel, welches hoffendlich bald kommt, etwas mehr aus sich heraus.
LG
Simone
Von:  dark-butterfly
2010-04-10T16:46:19+00:00 10.04.2010 18:46
Ähm... immer noch kein Kommi Oo ??

Okay, dann schreib ich mal, ich bin immer überrascht wenn ein neues Kapi on kommt. Auch wenn ich es verstehen kann, dass mam mal etwas Zeit bracuht um zu schreiben, doch es ist schade das ich entweder brauche um erst mal mit zu bekommen was vorher war oder schon mal das Ende des Vorherigen Kapis lesen muss....

Aber ich finde den Schreibstil immer noch klasse und die Atmpsphäre die ihr schafft ^^
ich lese diese FF echt super gerne!
Fynn soll sterben!! Auch wenn ich super gerne wüsste was Eddy denn jetzt damit meinte das er wohl keinen mehr täuschen könnte. Alice ist so genial, ich weiß auch nicht, egal welche FF oder RPG Alice ist und bleibt Alice XD sie ist einfach super.
Eddy tut mir in seiner Verzweifuling Leid, auch wenn ich schon denke das Bella im nächsten Chap erst mal nachdenken wird, was das alles auf sich hatte. Sie war ja schon ziemlich verwirrt über die ganze Situation, was ja verständlich ist.

Ich bin gespannt was als nächstes passiert & hoffe das es etwas schneller raus kommt, weil ich weiter lesen will was passiert TT___TT

LG d-b


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