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Einhundertzehn Ereignisse

von

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78. Klinge

78. Klinge
 

Lichtstrahlen brachen sich an der spiegelnden Oberfläche der scharfen Klinge. Zweifelnd betrachtete das 16-jährige Mädchen den Stahl. Er fühlte sich kalt in ihren Händen an. Sie war sich nicht sicher, ob sie es wirklich tun sollte. Doch sie hatte das dringende Gefühl, dass sie es tun musste.
 

Viel zu oft schon in ihrem jungen Leben war sie gezwungen gewesen, Dinge zu tun, die sie nicht gewollt hatte. Der Druck lastete schwer auf ihr. Die Verantwortung, die Angst zu versagen, die Einsamkeit.

Es würde ein endgültiger Schnitt sein, wenn sie sich denn dazu durchringen könnte.
 

Aus dem Badezimmerspiegel blickten ihr die kalten, abgebrühten Augen eines Mädchens entgegen, das vollkommen verloren wirkte, in dem maßgeschneiderten Anzug, mit der Krawatte und dem hochgeschlossenen Hemd. Die Kleidung fühlte sich ungewohnt an und das war sie auch. Erst vor einer Woche hatte ein Schneider das Anwesen aufgesucht und sie gefühlte Stunden lang vermessen, hatte Nadeln in Stoffteile und zu ihrem Missfallen auch in ihre Haut gesteckt. Er wäre es nicht gewöhnt solche Dinge für eine junge Lady anzufertigen, waren seine Worte gewesen.
 

Doch sie durfte nicht mehr eine junge Lady sein.

Niemand würde sie ernst nehmen, adrett gekleidet, höflich und sich dem Willen der Erwachsenen unterwerfend.

Sie musste ihre neue Rolle nicht nur spielen, sie musste sie werden.

So trug sie nun die neue Kleidung, die erstaunlicherweise doch besser verarbeitet war, als die unsicheren Hände des Schneiders sie es hatten befürchten lassen.
 

Sie konnte ihren Blick nicht von dem schimmernden Metall abwenden. Es würde nicht lange dauern, nur ein, zwei kurze Schnitte, dann wäre es getan.

Mit zitternden Fingern hob sie die Klinge.

Sie lockerte den Stoff des Hemdes, damit sie besseren Zugriff auf die Stelle hatte, an der sie schneiden wollte.

Noch einmal sah sie sich selbst in die Augen, bevor sie sie schloss und ihren Griff festigte. Weiß traten die Knöchel an ihrer Hand hervor, so sehr umklammerte sie das Messer.
 

Doch bevor sie den Schnitt ausführen konnte, legte sich eine Hand auf ihre Schulter und eine andere auf ihre Rechte, die die Klinge hielt. Integra zuckte nicht zusammen, sie erschrak nicht einmal.

Ein Scheppern erklang als das Messer ihren Fingern entglitt und im Waschbecken aufschlug. Mit fragendem Bick drehte sie sich um, nur um auf die undurchschaubaren Augen des Vampirs zu treffen.

Er ließ ihre Hand nicht los. Stattdessen griff er mit der anderen nach einer Strähne ihres blonden Haares.

„Lasst es, wie es ist“, waren seine einzigen Worte, bevor er wieder verschwand.
 

Und sie ließ es so.



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