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Vergissmeinnicht

»Jared/Nate«
von

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Vergissmeinnicht

VERGISSMEINNICHT
 

»Nathaniel, ich muss sagen, du siehst umwerfend aus.«
 

Ich verdrehte die Augen. Musste er denn immer so maßlos übertreiben? Und musste er immer meinen vollen Namen sagen? Das war nicht zum Aushalten. Mit verzogenem Gesicht sah ich ihn durch den Spiegel an. Er wurde genauso umwuselt wie ich, aber seltsamerweise schien ihn das nicht einmal im Ansatz zu stören, im Gegensatz zu mir. Mich machte dieses ganze Gewusel total verrückt. Ich wollte gar nicht daran denken, wie viele dieser verfluchten Nadeln sich haarsträubend nah an meiner Haut befanden.
 

Wir standen in irgendeiner dieser überteuerten, schicken und edlen Boutiquen vor einem dreigeteilten Spiegel, während die Schneiderinnen die Größen der Hemden, Hosen und Jacketts absteckten. Es war das erste Mal, dass ich einen Anzug anhatte. Jedenfalls konnte ich mich nicht daran erinnern, vorher jemals einen getragen zu haben. Und mir wurde klar, warum ich es nicht bereute, vorher nie einen getragen zu haben: Ich fühlte mich darin wie irgendein Schnösel — und einfach nur affig.
 

»Ich sehe lächerlich aus«, erwiderte ich brummelnd. Doch noch ehe ich damit fortfahren konnte, weiter zu jammern, sah ich, wie meine Mutter aus dem vorderen Bereich des Ladens kam, gefolgt von Susan, Jareds Mom. Das Gesicht meiner Mutter war gezeichnet von Verzückung und sie strahlte wie die Sonne, vermutlich voller Stolz. Sie hatte es nie geschafft, mich dazu zu überreden, einen Smoking anzuziehen, Jared indessen war es gelungen. Wahrscheinlich küsste sie ihm imaginär dafür die Füße.
 

»Du siehst umwerfend aus«, quietschte meine Mutter im selben Ton wie Jared nur wenige Augenblicke zuvor. Ich hörte ihn lachen, ihn amüsierte das Ganze natürlich sehr. Es kam nicht selten vor, dass ich ihn um seine Gelassenheit beneidete. Für ihn schien alles erstaunlich einfach zu sein. Als gäbe es nichts auf der Welt, das ihn aus der Ruhe bringen könnte. Manchmal fragte ich mich ernsthaft, wo er das herhatte. Seine Mutter war aufgedreht, immer auf Achse — was mitunter auch an ihrem Job lag — und schien ein nie versiegendes Energiedepot zu haben. Ich hatte sie mittlerweile besser kennen gelernt und sie war — ich kam mir vor wie ein schmachtender Teenager, wenn ich daran dachte — ein Vollblut. Ein fröhlicher, aufgeschlossener und temperamentvoller Mensch.
 

Ich konnte mich noch genau den Tag erinnern, als Jared und ich unsere Mütter zusammengesteckt hatten, um ihnen zu sagen, dass wir ein Paar waren. Damals hatten sie sich zum ersten Mal gesehen und auch ganz gut verstanden. Ich war sogar wirklich baff bewesen, wie gelassen sie die Tatsache aufgenommen hatten, dass ihre Söhne schwul waren. Später hatte meine Mom mir gesagt, dass sie so etwas schon vermutet hatte. Aber die mütterlichen Sinne und Instinkte würde ich wohl nie verstehen, also hatten ihre Erklärungen keinen Sinn. Meinem Verständnis half es nicht. Aber ab da an wurden Mom und Susan beste Freundinnen. Es war teilweise nicht auszuhalten. Sie verhielten sich manchmal wie kleine Mädchen und ich wollte gar nicht wissen, was sie insgeheim über Jared und mich beredeten. Es wäre für mich sogar erdenklich gewesen, dass sie geheime Hochzeitspläne schmiedeten.
 

Mom stürmte auf mich zu wie ein durch geknallter Elefant und ich konnte sie nur im letzten Augenblick davon abhalten, mich zu umarmen. Sie sah mich groß an, doch als ich ihr das Problem mit den Nadeln erklärte, brach sie in Gelächter aus.
 

»Nate hatte schon als kleines Kind Angst vor Nadeln und nun ist aus ihm ein stattlicher junger Mann geworden und er bekommt immer noch Schweißausbrüche dabei!«, erzählte sie munter drauf los. Susan und Mom lachten zusammen, während Jared still schief vor sich her grinste. Ich sah ihm an, dass er versuchte, es zu verkneifen. Er wusste, wie peinlich mir so was immer war und er wollte mich nicht zusätzlich in Verlegenheit bringen, aber diesmal scheiterte er kläglich.
 

»Mach dir nichts draus, Nate«, sagte Susan und tätschelte meine Schulter lächelnd. »Jared hat eine Phobie gegen Spinnen. Er hasst sie abgrundtief und rennt wie ein Irrer mit einem Staubsauger bewaffnet durch das ganze Haus und sucht es nach Spinnen ab, wenn er einmal irgendwo eine entdeckt hat.«
 

»Mom«, scharrte Jared und schürzte dabei die Lippen, während sich wieder die kleine Furche zwischen seinen Augen bildete. Ich grinste breit. Allein die Vorstellung und das Bild, das ich vor Augen hatte, waren überaus amüsant. Zu gerne hätte ich das live miterlebt. Der sonst so gelassene Jared rannte wie ein Verrückter mit einem Staubsauger durch das Haus auf der Jagd nach Spinnen. Das musste wirklich spektakulär aussehen. Ich sah die sanfte Röte, die sich unter seiner gebräunten Haut ausbreitete. Er sah einfach hinreißend aus, wenn er rot wurde. Mir passte es gar nicht, dass es so selten vor kam, dass ihm das Blut ins Gesicht schoss.
 

»Siehst du«, sagte Susan lachend, während sie Jared durchs Haar wuschelte. »Er verflucht seine Mutter auch dafür, dass sie seine peinlichen Eigenarten preisgibt. Aber es muss schließlich einen Ausgleich geben.«
 

Sie zwinkerte mir gut gelaunt zu. Dann wandte sie sich an meine Mutter. Sie standen nebeneinander vor uns und beäugten uns kritisch, als wären wir zwei aus Marmor geschlagene Skulpturen. Ihre Mienen sahen fachmännisch aus, hin und wieder murmelten sie einander etwas zu, nickten dann oder schüttelten die Köpfe oder verzogen die Gesichter oder lachten leise vor sich her. Frauen unter sich. Das war schon mit Mädchen anstrengend, aber wenn es die eigene Mutter mit der Mutter des Freundes war, dann war das sogar noch schlimmer.
 

Jared warf mir kurz einen skeptischen Blick zu, den ich nur erwidern konnte. Mütter waren beängstigend manchmal. Vor allem in Situationen wie solchen. Sie fachsimpelten mit den Schneiderinnen, die kurzzeitig irgendwohin verschwunden waren und nun wieder aufgetaucht waren, während diese erneut um Jared und mich wuselten.
 

Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis alles fertig abgesteckt war und wir gehen durften. Die Anzüge würden in einigen Tagen zur Abholung bereit stehen. Ich wollte gar nicht wissen, in welcher Höhe das Vermögen sein würde, dass meine Mutter für den Smoking bezahlen musste. Offenbar schien es sie nicht zu stören, obwohl ich auch nicht wollte, dass sie so viel Geld für mich ausgab. Sie war in heller Aufregung wegen der ganzen Geschichte.
 

Nachdem wir die Boutique verlassen hatten, hatten Jared und ich noch einen kurzen Moment für uns. Wir verschränkten unsere Finger ineinander, während er mit der freien Hand durch meine Haare strich. Dann konnte ich seine Lippen an meinem Ohr spüren, an meinem Hals und ich hob den Kopf, als er über meinen Kehlkopf fuhr. Sein Mund fand schließlich meinen und das Herz schlug mir wieder bis zum Hals, als wir uns küssten. Ich konnte seine Berührungen in letzter Zeit intensiver wahrnehmen, als hätte man mir die Augen verbunden und somit alle anderen Sinne geschärft. Viel inniger, viel prickelnder und sinnlicher. Dass es so war, hatte einen Grund und einen sehr, sehr bitteren Nebengeschmack.
 


 

Die Augen meiner Mutter schienen wie Sterne zu funkeln, als ich fertig angezogen vor ihr stand und mich wie ein formvollendeter Idiot fühlte. Meine Aversion gegen Smokings war größer geworden und selbst ihr ununterbrochenes Lobeslied änderte nichts an dieser Tatsache. Dass ich mich überhaupt hatte dazu überreden lassen.
 

Gut, zumindest war ich der Meinung, fertig angezogen zu sein. Meine Mom sah das anders. Sie tadelte mich dafür, dass ich die obersten Knöpfe des Hemdes offen gelassen hatte; dass ich keine Krawatte trug und die Manschetten an den Ärmeln nicht geschlossen hatte. Da ich wusste, dass ich ohnehin keine Chance mehr hatte, aus dieser Sache heil wieder raus zu kommen, ging ich schnell nach oben und holte diese verfluchte Krawatte.
 

Während ich hilflos an dem Ding herumhantierte, trat Mom an mich heran und drehte mich an den Schultern zu sich um. Sie war kleiner als ich und ging mir bis zum Kinn. Behände löste sie meine Finger durch ihre ab. Geschickt knotete sie die Krawatte und zog sie vorsichtig zu, nachdem ich mir die Knöpfe zugemacht hatte. Dann richtete sie den Kragen des blütenweißen Hemdes und das Revers des schwarzen Jacketts. Behutsam strich sie über den Stoff. Ein seliges Lächeln lag auf ihren Lippen.
 

Als sie fertig war, trat sie einige Schritte zurück und betrachtete mich von oben bis unten. Ich fühlte mich wie eine Presswurst. Aber das behielt ich für mich. Das hätte nur wieder zu einer Diskussion geführt. Außerdem wollte ich ihr den Moment nicht kaputt machen. Sie sah glücklich und zufrieden aus, das wollte ich ihr jetzt nicht nehmen. Mom klatschte in die Hände, ihre Augen waren feucht.
 

Erschrocken stürzte ich zu ihr und schlang beide Arme um ihren Körper.
 

»Mom!«, sagte ich aufgebracht, während ich sie festhielt. Doch sie lächelte und strich sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
 

»Es ist nichts, mein Schatz«, versicherte sie mir. Dabei strich sie mir mit der Hand sachte über die Wange. Ich lehnte mein Gesicht in ihre Handfläche. Ja, sie war wirklich glücklich. Und ich war froh, dass sie es war.
 

Wir ließen einander los, als es an der Tür klingelte. Als ich öffnete, dachte ich, ich würde jeden Augenblick in Bewusstlosigkeit fallen. Jared hatte ja schon bei der Anprobe unglaublich ausgesehen, aber das war kein Vergleich zu dem hier. Eigentlich hatte sich nicht viel verändert. Ich wusste noch nicht einmal, was genau mich so an diesem Anblick überwältigte.
 

Er grinste mich schief an. »Na, Prinzessin, soll ich dir ein Blumengesteck ans Handgelenk binden?«, fragte er mich neckisch. Ich schnaubte empört. Warum wurde eigentlich immer ich zum weiblichen Part dieser Beziehung … degradiert? Das war eindeutig ungerecht.
 

Jared lachte, ehe er sich zu mir vorbeugte und mir einen Kuss auf die Lippen gab. Als er sich wieder von mir löste, sah ich, dass Susan auch da war. Während sie lächelnd an ihrem Sohn vorbeiging, legte sie ihm einen Blütenkopf in die Hand. Behutsam klopfte sie mir auf die Schulter, als sie auch mich passierte. Ein wenig verwirrt beobachtete ich Jared dabei, wie er mir die rote Nelke ans Revers steckte.
 

Meine Mutter gab mir dieselbe Blume in die Hand, nachdem ich mich zu ihr umgedreht hatte. Ich steckte sie Jared eher unbeholfen fest, aber sie schien zu halten, als ich fertig war. Dann schaute ich zu unseren Müttern, die grinsend nebeneinander standen und aussahen, als würden sie jeden Moment vor Stolz platzen. Jared nahm meine Hand in seine.
 

»Jetzt sieh dir die beiden an, Daphne«, sagte Susan zu meiner Mutter. Ihre Augen funkelten genauso wie die meiner Mom. »Sind sie nicht einfach umwerfend?«
 

Ich war froh, als Jared und ich endlich das Haus verließen. Bevor ich die Tür hinter mir schloss, konnte ich noch hören, wie Mom etwas wie »Ich kann mich noch an meinen Abschlussball damals erinnern …« sagen. Dabei verdrehte ich die Augen, dann folgte ich Jared ins Auto. Wir schauten uns kurz an, als wir im Cockpit saßen, dann startete er den Motor und manövrierte den Wagen auf die Straße. Während der Fahrt hielten wir unsere Hände miteinander verschränkt. Seine freie Hand lag auf dem Lenkrad.
 

»Du siehst wirklich …«
 

»Lächerlich aus?«, vollendete ich seinen Satz, bevor er zu Ende sprechen konnte. Er schüttelte lächelnd den Kopf, warf mir dann einen kurzen Seitenblick zu, ehe er wieder auf die Straße sah. Ich drückte sachte seine Hand.
 

»Atemberaubend ist das treffendere Wort. Mach dich nicht immer schlechter, als du bist, Bambi«, meinte er dann, hob unsere verschränkten Hände und strich mir mit seinem Handrücken behutsam über die Wange. Ich schloss für einen Moment die Augen und genoss einfach seine Berührung. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wie er darauf gekommen war, mich Bambi zu nennen, und obwohl ich ihm schon mindestens eine Million Mal gesagt hatte, er soll damit aufhören, unterließ er es nicht. Mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt und empfand es nicht mehr als nervend. Vielleicht war der Name auch ganz passend. Er hatte mir nie verraten, warum er mich so nannte, aber ich hatte um ehrlich zu sein auch noch nie gefragt.
 

Ich lehnte mich im Sitz zurück und ließ seine Hand los. Lachend fuhr ich mir mit den Fingern über die Augen, während ich mit Grauen daran dachte, dass wir tatsächlich auf den Abschlussball fuhren. Das war absurd. So absurd.
 

»Das wird eine Katastrophe«, sagte ich und schüttelte den Kopf. Ich hätte standhaft bleiben sollen, aber Jared hatte mich dazu überredet, auf den Ball zu gehen. Warum wollte er da überhaupt unbedingt hin? Konnten wir unseren Abschluss nicht auch allein zu Hause feiern? Das wäre viel entspannter gewesen.
 

Die Leute an unserer Schule hatten sich daran gewöhnt, dass sie ein schwules Paar in ihrer Mitte hatten. Am Anfang war es einfach nur schrecklich gewesen. Sie hatten getuschelt, gelästert, ausgelacht und sonst was. Einige waren gar nicht damit klargekommen, einige hatten uns gemieden und einen gigantischen Bogen geschlagen, wenn sie Jared oder mich irgendwo gesehen hatten. Aber es war inzwischen lange genug bekannt und nicht mehr der Rede wert. Einige Anfeindungen gab es natürlich immer noch, von Leuten, die der Meinung waren, wir seien minderwertig, Maden oder was ihnen noch so an Beleidigungen einfiel.
 

Allerdings hatte es auch einen Nachteil, dass sich das Interesse an unserer Homosexualität gelegt hatte. Und was sollte es auch anderes sein — denn sie waren es immer, die das Problem darstellten — als die Mädchen? Seitdem sie sich daran gewöhnt hatten, dass Jared nicht mehr für auch nur eine von ihnen zu haben sein würde, vermutlich bis zum Ende aller Tage, und ich ebenso wenig, hatten sie ein ausgesprochen lästiges Interesse daran gefunden, mehr über uns zu erfahren. Sie wollten mit ihm, mit mir oder am besten mit uns beiden befreundet sein, frei nach dem Motto: Jede Frau braucht einen schwulen besten Freund, oder wahlweise auch zwei. Das nervte ungemein. Ich hatte nie gedacht, dass mir in mal so viele Weiber auf einmal hinterher jagen würden; noch weniger, dass es aus einem anderen Grund als Liebe sein würde.
 

»Wird es nicht«, erwiderte Jared und bremste vor einer roten Ampel ab. Er schaute mich an und ich blickte auf sein Gesicht. Er wandte den Blick erst wieder von mir ab, als die Ampel auf grün umsprang und er wieder fahren musste. Offenbar war er sehr überzeugt davon, dass das der Abend unseres Lebens werden würde. Das lief natürlich in eine gegensätzliche Richtung, denn ich war, wie gesagt, vom Gegenteil überzeugt.
 

Im Endeffekt verstärkte dieser Abend den bitteren Nebengeschmack. Ich hatte nur Augen für Jared gehabt, daher bekam ich vom Rest wenig mit. Er war der Grund, warum ich nicht schon frühzeitig von dieser Heten-Party verschwand. Mit ihm an meiner Seite war alles einfach wunderbar. Das war so simpel wie schön.
 


 

Eigentlich wollte ich nicht zu Jared fahren und ich suchte nach Gründen, einfach abzusagen und zu Hause zu bleiben. Nicht, weil ich nicht zu ihm wollte, sondern einfach, weil ich wusste, welche Intention hinter dem Ganzen steckte. Der bittere Nebengeschmack hatte sein Maximum erreicht. Er sprengte jede Skala.
 

Ich war innerlich zerrissen. Würde ich nicht hingehen, würde ich Jared vor drei Tagen zum letzten Mal gesehen haben. Ging ich aber hin, würde ich wissen, dass es mein letzter Abend mit ihm sein würde.
 

Der Abschied. Das Ende, wie ich auch gern in Gedanken sagte. Er ging an eines dieser Elite-Colleges auf der anderen Seite des Landes. Morgen ging sein Flug dorthin. Ich war nicht wütend und auch nicht enttäuscht. Natürlich wollte ich, dass er sich seine Träume und Wünsche erfüllte, und ich wollte nicht, dass er sich wegen mir irgendetwas anderes überlegte. Er sollte dorthin gehen, wo er die besten Chancen hatte, das zu bekommen, wonach er suchte. Das konnte ich verstehen, immerhin wollte ich auch dasselbe für mich.
 

Trotzdem fiel es ungemein schwer, ihn gehen zu lassen. Ich wusste nicht, ob ich es ertragen würde, seine gepackten Koffer zu sehen; ob ich diesen Abschied ertragen würde. Was in meinen Augen banal angefangen hatte, war in etwas Größerem geendet, als ich je angenommen hätte. Vielleicht hätte ich mich nicht so tief da hinein ziehen lassen sollen, dann würde mir der Abschied jetzt nicht so schwer fallen. Aber dann hätte ich etwas Wunderbares verpasst. Ich bereute keinen Moment, den ich mit Jared verbracht hatte. Vermutlich war es deswegen umso schmerzhafter, sich jetzt von ihm zu trennen.
 

Ich fand mich schließlich doch bei ihm wieder. Die Tür wurde geöffnet, noch bevor ich überhaupt klingeln konnte. Meine geplante Unterhaltung, die ich mit ihm führen wollte, fiel komplett ins Wasser, denn kaum war ich über der Schwelle, fielen wir uns in die Arme und knutschten.
 

Meine Orientierung ging flöten, alles verschwamm zu einem Strudel aus Farben. Ich fühlte die Wärme seines Körpers an mir, spürte seine nackte Haut auf meiner, nahm seine weichen Lippen auf meinen wahr. Mein Kopf war wie leergefegt. Ich hatte vergessen, dass ich mit ihm hatte reden wollen. Aber was hätte ich sagen sollen? Was hätte er denn sagen sollen? Da gab es nichts mehr. Wir wussten, dass dieser Abend der Abschied war. Worte waren nicht nötig, um das deutlich zu machen. Das wussten wir beide.
 

Es sollte keinen Morgen geben. Das hier sollte bis in die Ewigkeit andauern. Für die Zeit, die ich bei ihm war, war ich mir sogar sicher, dass die Nacht ewig währen würde, aber das lag wahrscheinlich nicht unwesentlich am Alkohol. Mir war egal, woher Jared die zwei Weinflaschen hatte. Mir war alles egal, solange er bei mir. Wir tranken beide Flaschen aus und ich konnte den Geschmack des Alkohols auch in seinen Küssen schmecken. Ich war nicht betrunken genug, um anzufangen zu heulen vor lauter Selbstmitleid, zum Glück.
 

Seine Hände waren überall. Ich fühlte die Hitze seiner Haut, seinen Atem auf meinem Gesicht, seine Wimpern an meinen Wangen. Das hier war so anders als die Male zuvor. So einzigartig. So unvergesslich. So unendlich.
 

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, sah ich mich blinzelnd um. Das Licht fiel durch das große Zimmerfenster. Langsam setzte ich mich auf, fasste mir an den Kopf und stöhnte lautlos. Mein Schädel fühlte sich schrecklich an und als ich mich daran erinnerte, dass ich mit Jared zwei Weinflaschen geleert hatte, wusste ich auch, warum.
 

Als mir der Gedanke an Jared kam, hielt ich inne. Es war still im Zimmer. Mein Herzschlag dröhnte laut in meinen Ohren. Nur langsam sickerte mir die Tatsache ins Bewusstsein, dass ich allein war. Und als es völlig eingesunken war, trieb es mir die Tränen in die Augen. Dabei wollte ich nicht heulen. Aber das war wahrscheinlich der verspätete Effekt vom Alkohol.
 

Jared war schon weg. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass er bereits seit etwa einer Stunde im Flugzeug saß, auf dem Weg in seine neue Heimat. Die leeren Weinflaschen waren aus dem Zimmer verschwunden, meine Sachen lagen ordentlich gefaltet und gestapelt auf seinem Schreibtischstuhl. Und auf den Sachen, unübersehbar, stand ein kleiner Topf mit einer blühenden Pflanze, von einer leuchtend blauen Farbe, prächtig und stolz.
 

Ich schlug die Decke zurück und ging hinüber. Ein kleiner Zettel hing an einem Spross. Vorsichtig löste ich ihn von der Pflanze und faltete ihn auseinander. Jareds Schrift erkannte ich auf den ersten Blick. Doch ich schloss die Augen, noch bevor ich anfing zu lesen. Ich fragte mich, ob ich überhaupt wissen wollte, was in diesem Brief stand. Aber ich las ihn doch. Ich konnte nicht anders.
 

Hey Bambi,
 

Du hast so tief und fest geschlafen und sahst dabei so niedlich aus, dass ich dich nicht wecken wollte. Verzeih mir. Aber du weißt, wie gern ich dir beim Schlafen zusehe und ich bin froh, dass ich noch ein wenig Zeit dazu hatte.

Ich hoffe, du bist mir deswegen nicht sauer. Dir direkt ›Lebwohl‹ zu sagen, hätte ich nicht geschafft, daher hab ich es nicht getan. Ich denke, du hättest es auch nicht gewollt. Wir beide sind nicht die Typen, die einander einfach die Hand reichen und ›Mach’s gut‹ sagen.

Ich wollte dir etwas dalassen, das dich an mich erinnern soll. Die Auswahl an Dingen war groß, aber ich hab mich schließlich für das Vergissmeinnicht entschieden. Eine Pflanze ist vermutlich ein schwacher Trost, aber speziell diese sagt alles, was ich nicht in Worte fassen könnte. Das Vergissmeinnicht ist meine Lieblingsblume, aber das weißt du ja. Aus dem Grund dachte ich, würde es dich vielleicht freuen, wenn ich dir eine schenke. Du hast schließlich immer noch keine Pflanzen bei dir im Zimmer, sogar bis jetzt konnte ich dich nicht davon überzeugen, dir eine anzulegen, aber jetzt hast du eine.

Kümmere dich bitte gut um sie, Bambi. Wann immer du sie anschaust, wird sie dich an unsere Zeit erinnern. Sie wird dein Bindeglied zu mir sein. Ich will nicht kitschig romantisch werden, du bist sowieso kein Fan von übertriebener Romantik. Aber gib trotzdem gut auf das Vergissmeinnicht acht, sie hat einen Teil von mir bei sich behalten.

Blas’ keinen Trübsal, wenn ich weg bin. Du gehst auch bald aufs College. Lern dort neue Leute kennen und freunde dich mit ihnen an.

Wir haben uns bestimmt nicht das letzte Mal gesehen. Pass auf dich auf.
 

Ich liebe dich, Nathaniel Rivers.
 

Jared
 

Das Vergissmeinnicht. Ich starrte die Pflanze eine Ewigkeit lang an. Schließlich schaffte ich es sogar zu lächeln. Jetzt hatte er mir doch eine Pflanze aufgedreht, ohne dass ich mich dagegen wehren konnte. Es stimmte nämlich; ich hatte mich immer gegen Grünzeug in meinem Zimmer ausgesprochen, zumindest seitdem ich eine davon zugrunde gerichtet hatte. Aber jetzt hatte ich das Vergissmeinnicht und ich würde mich darum kümmern.
 


 

Mom und Susan verabschiedeten mich, als ich mich auf den Weg zum Gate machte. Nun trat auch ich meinen Flug in Richtung neuer Heimat an. Mein College war nicht ganz so weit von Zuhause entfernt wie Jareds, aber es war trotzdem ein gutes Stück Weg.
 

Ich setzte mich ans Fenster des Flugzeugs und schaute hinaus, bis wir abgehoben und hoch in den Lüften waren. Das Vergissmeinnicht befand sich in seinem Topf fest umschlossen von meinen Händen, sicher stehend auf meinen Beinen und blühte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (18)
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Von:  _stups_
2010-08-20T10:04:26+00:00 20.08.2010 12:04
Oh Gott ist das gemein :D das kann nicht der letzte Teil sein :O MAAAN

Ich will einen 4. Teil verdammt :D biiiiiiiiiiitteeeeeeeeeee
Jared und Nate sind so toll, das kann nicht das Ende sein :D
maaaaaaaaan :D ja ich reg mich grad echt auf :D ich will nen 4. TEIIIIL :D

lg. Stups (mennooooo)
Von:  Schwarzer_Fussel
2010-08-16T17:10:45+00:00 16.08.2010 19:10
Ist das jetzt das Ende??
Nein oder?! D:
Scheinbar aber schon... *seufz*

Naja, wenns vielleicht doch mal einen 4ten Teil geben sollte, kannst du mir dann bitte ne ENS schicken?
Ich würd mich freun (:

LG Fussel.
Von:  Tshioni
2010-06-18T21:58:56+00:00 18.06.2010 23:58
och nööö!!! ;(
das ist ja voll traurig!
kommt denn da noch ein kapitel mit einem guten schluss?
ich will i-wie nicht, dass die Beziehung der beiden auseinader geht. und wenn sie sich wirklich lieben, dann sollten die beiden etwas daran setzten und sich wieder vereinen!
lg
Tshioni
Von:  W-B-A_Ero_Reno
2010-03-29T11:59:50+00:00 29.03.2010 13:59
mou ich hab grad alle drei teile gelesen und bin wirklich gerührt.
Die beiden sind wirklich ein so wunderschönes paar und ich mag es mir gar nicht vorstellen, dass sie jetzt getrennt sind. warum muss die zukunft manchmal aber auch so gemein sein...
naja die ff ist jedenfalls ganz toll geschrieben! ich liebe deinen art wie du schreibst.

Alles Liebe
MugenNoHana
Von: abgemeldet
2010-01-07T13:22:07+00:00 07.01.2010 14:22
Ich hab grad alle drei Teile gelesen und die beiden sind echt niedlich zusammen ^^
Ich mag das Ende auch, wenn sie versch. Wege gehen und es traurig is, besonders der Brief von Jared an Nate.
Ich finde aber dennoch das es ein guter Abschluss is und wie Jared schon geschrieben hat, sehen sie sich bestimmt wieder, ob du nun eine Fortsetzung schreibst, wo es wirklich passiert oder ob sich der Leser das selber denken darf wie er möchte.
lg deathly
Von:  Leucan
2009-12-10T16:32:13+00:00 10.12.2009 17:32
Das kann doch nicht das Ende sein *sniff*
Ja, ja, stimme den anderen zu. Fortsetzung, mal wieder ^^ Bittee...
Ach, und mal wieder wirklich toll geschrieben. XD
LG KC
Von:  Tali
2009-11-10T20:16:51+00:00 10.11.2009 21:16
Traurig!! Wirklich sehr traurig! Der Abschiedsbrief war so toll! Vorallem, der Satz, dass sie sich bestimmt nicht das Letzte Mal gesehen haben. Jared schreib dies als Tatsache und Versprechen. Ich wünsche, sie würden sich wirklich eines Tages wiedersehen.
Von: abgemeldet
2009-10-21T21:36:08+00:00 21.10.2009 23:36
T____T ich weine!!!
die story und die beiden haben mir verdammt gut gefallen (: gibt es dazu vllt noch irgendwann eine weitere fortsetzung,die mich dann nicht zum heulen bringt oder so? ;)
noch ein großes lob an deinen shreibstil und deine kreativität!!! ^^
Von:  Selkie
2009-10-03T19:29:16+00:00 03.10.2009 21:29
baah T__T
jez muss ich schon wieder heulen...
die beiden sind so süß, die dürfen nicht getrennt sein Q___Q das kannst du denen (und mir XD) doch nicht antun!!!
*schniief* naja --nix zu ändern...
schöne FF mit nem bitteren Nachgeschmack ^^
schön geschrieben~
Von:  Lanaxylina
2009-08-10T11:26:50+00:00 10.08.2009 13:26
wunderschön^^
wie die anderen davor habe auch ich mir die drei Teile gerade durchgelesen und bin auch der Meinung, dass sie sich wiedersehen sollen!
grüße faith


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