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Chou no Ko

蝶の子
von

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„Ich werde heiraten!“
 

Aoi strahlte von einem Ohr zum anderen als er uns diese freudige Mitteilung machte. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet der impulsive Gitarrist mit der lauten Stimme und der hibbeligen Art als erster von uns fünfen heiraten würde? Vielleicht war es auch nur das Überraschungsmoment und der Umstand kam mir deswegen seltsam schwammig vor. Die Worte hatte ich verstanden nur den Schweregrad ihrer Bedeutung konnte ich in dieser Situation nicht erfassen. Aoi war der Älteste der Band und gleichzeitig der Naivste. Es war mir ein vollkommenes Rätsel wie er bis jetzt im Showbusiness hatte überleben können. Später erzählte er mir einmal, dass ihn der Rückhalt der Band stark gemacht hat, überlebensfähig. Ohne seine Freunde hätten ihn die hungrigen Mäuler der Musikindustrie längst gefressen. Uruha erhob sich neben mir. Ich rutschte tiefer in die Kissen als das Gewicht schwand.
 

„Das ist großartig, Aoi!“
 

Die schlanken Arme des Gitarristen wanderten um Aois Hals, drückten ihn sanft. Ich stemmte meine Füße auf den Boden und stand schwungvoll auf. Fest klopfte ich ihm auf die Schulter.
 

„Glückwunsch“, lächelte ich.
 

„Das muss gefeiert werden!“
 

Uruha war Feuer und Flamme. Voller Enthusiasmus griff er nach einer vollen Sprudelflasche und schüttelte sie wie ein Rennfahrer auf dem Siegerpodest. Noch bevor es Aoi und mir gelang die rettende Tür zu erreichen, prasselte ein Wasserregen auf uns nieder und durchnässte unsere Oberteile bis sie an unserer Haut klebten. Aoi lachte und beschimpfte den Übeltäter zugleich, während ich mir die feuchten Strähnen aus dem Gesicht strich. Auch Uruhas T-Shirt hatte die Fontäne nicht ohne Flecken überstanden. Ich sah ihm zu wie er es sich galant auszog und sich danach mit der Hand durch sein schulterlanges Haar fuhr, das ihm nach dieser Aktion in wilden Strähnen ins Gesicht hing. Seine Taille war schmal und seine Haut sahneweiß, was es mir schwer machte den Blick abzuwenden. Aoi stieß mir den Ellenbogen in die Seite.
 

„Wäre es Kais Wohnung, hätte er uns längst rausgeworfen“, feixte er. Uruha zog eine Schnute. „Aber das ist meine Wohnung und sicher nicht das erste Mal, dass das Sofa Flecken abbekommt.“ Er lachte auf, schwang sein blaues Oberteil über dem Kopf und verschwand in das angrenzende Schlafzimmer.
 

„Da bin ich mir sicher“, murmelte ich als Uruhas wackelnder Hintern aus meinem Blickfeld verschwunden war. „Wissen es Reita und Ruki schon?“ Ich wandte mich Aoi zu, sicher die Antwort zu kennen. Wie erwartet schüttelte der Gitarrist den Kopf. Wie schon so oft in letzter Zeit spürte ich den Bruch der Band deutlich. Ich wusste nicht, ob es den anderen ähnlich ging, doch ich hatte das Gefühl wir steuerten unaufhaltsam unserem Ende entgegen. Sollte man sprichwörtlich nicht damit aufhören wenn es am schönsten ist?
 

Uruha kam in einem knitterfreien Hemd und mit einer Sektflasche in der Hand zu uns zurück. Uruhas Kleidung war stets faltenlos. Ebenso wie seine Persönlichkeit. Er mochte Ecken und Kanten haben, jedoch habe ich noch keine einzige ungebügelte Falte an ihm entdeckt. Falten erstickte er im Keim.
 

„Wir sollten mit etwas Prickelnderem als Wasser anstoßen. Was meint ihr?“
 

Ich schmunzelte. Ja, Uruha trank gerne. Bevor der smarte Gitarrist auf die Idee kommen konnte auch diese Flasche zu schütteln, nahm ich sie ihm aus der Hand und löste den Korken weniger spektakulär. Derweil hatte Uruha drei Gläser aus der Vitrine geschnappt und sie auf dem hellen Holztisch platziert, bereit gefüllt zu werden. Mehr als ein Mal schenkte er mir nach. Mir wurde warm und ich merkte wie ich mich entspannte. Ich sank zurück in die weichen Polster. Automatisch wanderte meine Hand zu meinen Rücken. Mit Daumen und Zeigefinger fuhr ich meine Wirbelsäule entlang. Ein Handgriff, der mittlerweile zur Gewohnheit geworden war. Als ich die Blicke der beiden bemerkte, löste ich die Hand aus meinem Rücken und trank einen großen Schluck.
 

„Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Uruha und ich setzte ein Grinsen auf. Alles okay, wollte ich damit sagen. Und tatsächlich ging es mir gut. Präziser gefasst, meinem Rücken ging es gut. Manchmal hatte ich das Gefühl meine Wirbelsäule wäre ein abstrakter Mörser und nach und nach würde sie mich zermahlen.
 

„Wirklich?“, hakte Uruha nach.
 

„Wirklich“, versicherte ich.
 

Uruha schnaufte leise. Er streckte seinen Arm nach der Fernbedienung aus und schaltete die Anlage ein. Er übersprang einige Lieder bis er einen Titel für gut befand und The Cure aus den Lautsprechern drang. Friday, I’m in love. Aoi lachte leise auf. Uruha mochte Robert Smith und wann sein selbst zusammengestellter Sampler das letzte Mal den CD-Spieler verlassen hatte, vermochte niemand zu sagen außer Uruha selbst.
 

Es wurde spät und Uruha bot uns an bei ihm zu übernachten. Doch da Aoi mit dem Wagen hier war und Tomiko nicht warten lassen wollte, schlug er das Angebot aus. Ich rang mit mir selbst. Ich würde gerne bei ihm schlafen, doch die Gewissheit die Wohnung am nächsten Morgen so oder so verlassen zu müssen, machte mir zu schaffen. Es würde mir nur unnötig schwer fallen. Ob Aoi mich mitnehmen könne, fragte ich, denn ich hätte vergessen die Katze zu füttern. Das war seiner Zeit eine meiner lausigsten Ausreden.
 

„Du vernachlässigst deine Katze zur Zeit etwas viel“, merkte Aoi an als wir in seinem Toyota saßen.
 

„Ich bin es nicht gewohnt mich um ein Tier zu kümmern. Ich werde mich bessern“, gelobte ich.
 

Tatsächlich hatte ich Maigo* (so hatte ich sie getauft, nachdem mir die Leiterin einer Abgabestation erzählt hatte, dass ihnen das Kätzchen völlig orientierungslos in die Arme lief. Niemand schien es zu vermissen, niemand kam, um es abzuholen.) erst seit drei Monaten bei mir Zuhause. Nachdem unsere Touren weniger wurden und alles auf einen Stillstand hinwies, fühlte ich mich einsam in meiner Wohnung und ich hatte ihr ein neues Heim gegeben. Wie alt sie war wusste ich nicht, woher sie kam wusste ich ebenso wenig. Doch als ich sie sah, maunzend in einem kleinen Käfig, wusste ich eines ganz sicher, dass ich nicht ohne sie nach Hause gehen würde. Es war so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Sie genoss meine Streicheleinheiten und ich genoss sie ebenfalls. Es tat gut durch das weiche Fell zu kraulen, zu spüren wie sich ihr kleiner Körper bei jedem Atemzug hob und senkte. Sie hatte eine kahle Stelle über ihrem rechten Auge. Es fiel besonders auf, weil sie komplett schwarzes Fell hatte. Für mich stellte es keinen Schönheitsmakel dar, sondern einen hohen Wiedererkennungswert. Sie sah richtig verwegen aus, wenn sie sich der Spielmaus in ihrem Rondell stellte.
 

Als ich nach Hause kam schlief sie auf dem Sessel, ihrem auserkorenen Lieblingsplatz. Der Futternapf war geleert und auch die Milch hatte sie feinsäuberlich ausgeschleckt. Ich zog mich ins Schlafzimmer zurück. Die Frage wie Reita und Ruki die Neuigkeit aufnehmen würden beschäftigte mich. Aoi schien der Einzige zu sein, der es wagte einen Schritt in Richtung Zukunft zu gehen. Doch als Band traten wir auf der Stelle. Wir alle waren Individuen, die sich in unterschiedliche Richtungen entwickelten. So etwas kann gut oder schlecht für eine Band sein. In unserem Fall hatten unsere Veränderungen eine negative Auswirkung. Ganz davon abgesehen, dass uns die Plattenfirma samt Produzent im Nacken saß und unsere künstlerische Freiheit mit unserer Uneinigkeit immer weiter abnahm.
 

Ich hatte mich gerade hingelegt als das Telefon ging. Ich ließ es klingeln bis der Anrufbeantworter ansprang.
 

„Du müsstest längst Zuhause sein“, vernahm ich Uruhas gedämpfte Stimme durch die angelehnte Türe hindurch, „Schläfst du schon?“
 

Ich sprang auf. Im Flur nahm ich den Hörer ab.
 

„Uruha?!“
 

„Hab ich dich geweckt?“, fragte er.
 

Ich verneinte. Seine Stimme klang ruhig, fast ein wenig schläfrig. Ich hörte den Alkohol aus ihm sprechen.
 

„Glaubst du, dass wir es schaffen?“
 

„Ich habe Zweifel“, gestand ich ihm und Zweifel plagten ihn mit Sicherheit auch, sonst würde er mich nicht mitten in der Nacht anrufen und diese Frage stellen. Nicht einmal wenn er betrunken war.
 

„So…“
 

Wir schwiegen eine Weile. Ich lehnte an der Kommode, dem Spiegel den Rücken gekehrt. Bevor ich sein leises Räuspern hörte, dachte ich schon er wäre eingeschlafen.
 

„Ich hab jemanden kennen gelernt.“
 

Diese Worte stürmten so unvorbereitet auf mich ein, dass ich mir nicht mehr sicher war, ob wir noch vor wenigen Minuten von derselben Sache gesprochen hatten. Hatte ich vorhin eine letzte Chance vertan?
 

„Das freut mich, Uruha“, sagte ich und fühlte mich dabei wie ein Roboter, der sein Programm zur Selbsterhaltung abspielte.
 

„Er ist wirklich nett“, erklärte er, „Er arbeitet bei einem Autohaus.“
 

„Auf Männer in Anzügen warst du schon immer scharf“, sagte ich, doch es gelang mir kaum es belustigt klingen zu lassen.
 

„War das ein Vorwurf?“
 

Seine Stimme klang verunsichert und ich rief mich zur Ordnung.
 

„Ich bin nur müde“, versuchte ich das Gleichgewicht in unser Gespräch zurückzubringen, „Ich freue mich wirklich, wenn du jemanden gefunden hast. Stellst du ihn uns vor?“
 

Wollte ich ihn überhaupt kennen lernen?
 

„Vielleicht. Er wohnt nicht in Tokyo“, erklärte er mir.
 

Ich wurde das Gefühl nicht los, dass mehr an der ganzen Sache hing, doch ich war zu müde, mein Kopf vom Alkohol zu benebelt. Als ich nicht antwortete, fragte er mich, ob ich geistig noch anwesend wäre. Ich lachte leise und verneinte. Er wünschte mir eine gute Nacht und entschuldigte sich für seinen späten Anruf, dann legte er auf. Ich musste die neuen Informationen erst sortieren bevor ich sie speichern konnte. Sonst würde ich durcheinander kommen. Vorerst lagen sie in einem temporären Ordner und würden bis morgen früh warten müssen. Davor wollte ich mir keine Gedanken darüber machen. Sie würden mir den Schlaf rauben.
 

Als Uruha in die Band kam, machte er keinen Hehl daraus, dass er homosexuell war und niemand von uns hatte ein Problem damit. Ein Problem wurde es für mich erst, als ich begann Uruhas Art attraktiv zu finden. Doch Uruha war ein Mann und er war ein Arbeitskollege.
 

Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was er eben von mir erwartet hatte. Dass ich jubele oder dass ich ausrasten würde. Vielleicht aber auch genau das, was ich getan hatte. Ich hatte in einen Modus umgeschaltet, bei dem ich bildlich gesprochen aus meinem Körper trat und eine sprechende Hülle hinterließ. Meine Gefühle nahm ich dabei mit. Ich stand quasi neben meinem leeren Selbst und beobachtete es ruhig. Ich versuchte diesen Zustand bis zum nächsten Morgen andauern zu lassen, doch es gelang mir nicht. Im Morgengrauen riss ich meinen Wecker in einem Anfall von Verzweiflung von meinem Nachttisch. Ich lag wach in meinem Bett und rang um Kontrolle. Meine Knochen begannen zu mahlen, mein Rücken schmerzte. Ich würde eine weitere Kapsel aus meiner Packung brauchen.
 

*Maigo: verirrtes Kind



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Ruha_Chan
2009-05-13T11:52:50+00:00 13.05.2009 13:52
Das Warten hat sich gelohnt. Ich befürchtete schon, du hättest die Story aufgegeben.
Das Ganze ist so geschrieben, dass man glauben könnte, es wäre wahr. Daher hoffe ich, dass "deine" Jungs sich am Ende der Story nicht endgültig voneinander entfernt haben, sondern wieder zusammen finden.
Ruha_Chan
Von:  Terra-gamy
2009-05-12T19:45:25+00:00 12.05.2009 21:45
Lass das aber nicht zu tragisch enden.


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